Mordfieber - Volker Backert - E-Book
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Mordfieber E-Book

Volker Backert

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Beschreibung

Die tödliche Seite der Gier: Der nervenaufreibende Thriller »Mordfieber« von Volker Backert jetzt als eBook bei dotbooks. Wo eine Frau wie ein Stück Fleisch verkauft wird … Mit wachsender Besorgnis muss Charly Herrmann, Chef der SOKO Franken, dabei zusehen, wie die Drogenmafia an der bayerisch-tschechischen Grenze immer skrupelloseren Geschäfte nachgeht: Nach dem Verkauf von Crystal Meth bringen die Schwerverbrecher nun Snuff-Videos in den Umlauf, in denen junge Prostituierte vor laufender Kamera von Kampfhunden getötet werden. Während Herrmann noch mit Hochdruck daran arbeitet, dem Snuff-Ring auf die Spur zu kommen, verschwindet plötzlich Ruby, die Tochter seiner Ex-Geliebten – zuletzt gesehen auf dem tschechischen Drogenstrich. Hermann weiß, dass er Ruby um jeden Preis wiederfinden muss, wenn er sie vor dem schlimmsten aller Schicksale bewahren will … So atemberaubend spannend wie Bernhard Aichner, so suchtgefährdend wie Andreas Franz: »Brutal bis an die Grenzen und doch so authentisch, dass es schmerzt«, urteilt Main-Echo. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Regio-Krimi »Mordfieber« von Volker Backert ist der zweite Band seiner Hardboiled-Krimi-Reihe um den SOKO-Franken-Chef Charly Herrmann, bei der alle Bände unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 335

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Über dieses Buch:

Wo eine Frau wie ein Stück Fleisch verkauft wird … Mit wachsender Besorgnis muss Charly Herrmann, Chef der SOKO Franken, dabei zusehen, wie die Drogenmafia an der bayerisch-tschechischen Grenze immer skrupelloseren Geschäfte nachgeht: Nach dem Verkauf von Crystal Meth bringen die Schwerverbrecher nun Snuff-Videos in den Umlauf, in denen junge Prostituierte vor laufender Kamera von Kampfhunden getötet werden. Während Herrmann noch mit Hochdruck daran arbeitet, dem Snuff-Ring auf die Spur zu kommen, verschwindet plötzlich Ruby, die Tochter seiner Ex-Geliebten – zuletzt gesehen auf dem tschechischen Drogenstrich. Hermann weiß, dass er Ruby um jeden Preis wiederfinden muss, wenn er sie vor dem schlimmsten aller Schicksale bewahren will …

So atemberaubend spannend wie Bernhard Aichner, so suchtgefährdend wie Andreas Franz: »Brutal bis an die Grenzen und doch so authentisch, dass es schmerzt«, urteilt Main-Echo.

Über den Autor:

Volker Backert (geboren 1962 in Coburg) studierte in München und Bayreuth. In Coburg arbeitete er als Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit jahrelang eng mit der Polizei zusammen – seine Erfahrung mit dem Alltag der Strafverfolgung floss in seine Reihe von Regio-Krimis um den Kriminalkommissar Charly Herrmann ein. Volker Backert lebt am Obermain.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine abgründige Krimi-Reihe um den SOKO-Franken-Chef Charly Herrmann mit den Bänden »Todesfessel«, »Mordfieber« und »Rhein-Main-Bestie«.

Die Website des Autors: www.volkerbackert.com

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eBook-Neuausgabe August 2023

Dieses Buch erschien bereits 2015 unter dem Titel »Hardrock« bei Emons

Copyright © der Originalausgabe 2015 Emons Verlag GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Nicole Kwiatowski, Seregam

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-754-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Volker Backert

Mordfieber

Kriminalroman

dotbooks.

There’s no time to lose

I heard her say

Catch your dreams before

… they slip away!

»Ruby Tuesday« – Rolling Stones, 1967

Das organisierte Verbrechen findet in Deutschland ideale Bedingungen vor und nutzt diese. Die großen Paten haben längst alle in Deutschland investiert.

Roberto Scarpinato,

Leitender Oberstaatsanwalt der »Distrettuale Antimafia di Palermo«,

in: »Kriminalistik. Unabhängige Zeitschrift für die kriminalistische Wissenschaft und Praxis«, Nr. 8-9/2014, S. 510

Prolog

Bundeskriminalamt

Abteilung so (Schwere und Organisierte Kriminalität)

Am Treptower Park 5-8

12435 Berlin

Verteiler Kripo intern/bundesweit – eilt sehr

VS/Geheim

(Auszug)

[…] wurden seit März 2013 bei Razzien von Polizei und Steuerfahndung in Berlin, Frankfurt und Hannover auch mehrere DVDs und Datenträger sichergestellt, die privat aufgenommene sogenannte »Snuff« – Videos zeigen (reale Ermordungen vor laufender Kamera).

In allen Fällen wurden junge Frauen, die offenbar dem Rotlichtmilieu angehörten, von Kampfhunden angefallen und getötet.

Es gibt konkrete Hinweise, dass diese Morde in Deutschland gefilmt wurden.

[…] Es besteht der dringende Verdacht einer serienmäßig geplanten und organisierten Produktion dieser Kurzfilme (ca. 10-12 Minuten).

Bei den Auftraggebern/Abnehmern der Filme handelt es sich höchstwahrscheinlich um deutsche und internationale Top-Verdiener: Nach Schätzungen des FBI zahlen Insider 500.000-700.000 Dollar für eine Snuff-Produktion.

Achtung: Absolute Mediensperre!

[…] Das BKA leitet die bundesweiten Ermittlungen in Referat so 45 (Operation »Underdog«).

[…] ebenso ein Aussteiger-/Zeugenschutzprogramm […]

[…] Höchste Priorität auf allen Ebenen […]

1. Buch

08:58 Uhr – Bad Staffelstein, Obermain-Marathon

»… begrüße ich euch zu Deutschlands schönstem Landschaftsmarathon, hier im Gottesgarten am Obermain …!«

Freudetrunken quäkte der Ansager durch den Lautsprecher.

Wolkenloser blauer Himmel spannte sich über das Obermaintal, vom Felsplateau des Staffelbergs über die Basilika Vierzehnheiligen bis hinüber zu Kloster Banz. Dazwischen, inmitten des fränkischen Kurstädtchens Bad Staffelstein, ein Riesenpulk fast zweitausend knallbunter Läufer, die hüpfend und klatschend den Startschuss herbeisehnten.

Der Ansager überschlug sich: »… und jetzt ist es wirklich so weit, nur noch fünfzehn Sekunden, gebt mir den Countdown, zehn, neun …«, Tausende johlten mit, »…fünf, vier, drei, zwei, eins …«

Der Startschuss, ein einziger Aufschrei.

Viertausend Beine setzten sich in Bewegung, trippelnd, trabend, spurtend; frenetisch angefeuert von den dicht gedrängten Zuschauern am Straßenrand.

Vierhundert Meter weiter.

Hinter den Fan-Reihen entlang der Adam-Riese-Straße stand ein unrasierter, magerer Mann. Trotz der frühsommerlichen Temperaturen im abgetragenen, offenen Parka, die Hände tief in den Taschen vergraben. Spöttisch betrachtete er die vorbeikeuchenden Läufer und ihre euphorisierten Familien am Rand. Ein kleines Mädchen mit Zöpfchen begann plötzlich an der Beintasche seiner Cargohose herumzuzupfen.

»Papa … Bombom … Papa … Bombom!«

»Hör auf, du Fratz!« Unwirsch schüttelte er sie ab; die Kleine fiel auf den Hosenboden und begann zu weinen.

Alarmiert drehten sich die Ersten um, die Mutter stürzte herbei; vorwurfsvolle, derbe Rufe. »Hey, Alder, bass fei auf.«

Der Mann blieb reglos stehen, die Hände in den Taschen. Mit ausdruckslosem Gesicht, aus schmalen Augen fixierte er die Provokateure, die sofort verstummten.

»Na also«, sagte er leise.

Ein letztes verächtliches Grinsen, dann wandte er sich um. Gelangweilt schlenderte er den schmalen Fußweg in Richtung Obere Gartenstraße.

Die letzten Schritte seines Lebens.

Er schloss gerade die Haustür auf, als er hinter sich ein Geräusch hörte und sich umdrehen wollte – zu spät! Blitzartig wischte etwas über sein Gesicht, umschlang seinen Hals, ein heftiger Stoß in die Wohnung hinein. Die Schlinge schnürte ihm die Luft ab: Geschocktes kurzatmiges Keuchen, vergeblich versuchte er, sich aus eiserner Umklammerung zu lösen; hinter ihm fiel die Haustür zu, steinhart bohrte sich ein Knie zwischen seine Schulterblätter, presste ihn auf den Teppichboden.

Sein Hals, immer fester abgeschnürt, wurde brutal wieder nach oben gerissen, das Blut staute sich, gleich musste der Kopf platzen! Siedend heiß die Todesangst, ein Zwingerhund ganz in der Nähe begann zu rasen und zu toben; nur noch unmenschliches Röcheln, sein Kehlkopf implodierte, unter grauenvollen Schmerzen, immer weiter und weiter, »… ein neuer Teilnehmerrekord, mit zweitausendeinhundertvierundfünfzig Läuferinnen und Läufern …«, der Hund heulte und tobte, in seinen Augäpfeln platzten jetzt die ersten Adern.

Er war blind, als er endlich das Bewusstsein verlor.

Er war tot, bevor alle Läufer aus der Adam-Riese-Straße in die Bahnhofstraße eingebogen waren.

20:09 Uhr – B303/E48, Höhe Marktredwitz

Der Gegenverkehr riss ab, endlich die heiß ersehnte Lücke: Blitzartig schaltete Charly herunter, blinkte links und scherte aus.

Vollgas.

Unwiderstehlich zog der 78er Alfa Spider an dem tschechischen Speditions-Lkw vorbei.

Cheb 27 km.

Endlich. Charly entspannte sich, ließ die Schultern fallen und genoss einen verstohlenen Seitenblick. Was für geile Titten … fast wie damals … und das mit fünfundvierzig …

Sie musste husten, immer heftiger, drehte ihren Kopf zur Seite; ein Mix aus süßem Haarspray und kaltem Rauch stieg ihm in die Nase.

»Du rauchst zu viel, Manu.«

»Was?«, fragte sie heiser. Mit einem völlig zerknüllten Tempotaschentuch betupfte sie ihre schwarz umrandeten Augen.

Ein Blick in den Rückspiegel, dann zog er wieder nach rechts.

»Vergiss es.«

Die Tachonadel versteifte sich auf hundertvierzig.

Freie Fahrt auf der B 303/E 48.

Charlys Finger zielte Richtung CD-Player, zuckte dann doch wieder zurück: Keine Ablenkung mehr, volle Konzentration auf das Ziel.

Noch fünfundzwanzig Kilometer bis Cheb. Noch zwanzig bis zur Grenze.

»Du hast noch was gut, Manu, keine Frage. Auch wenn’s zwanzig Jahre her ist.«

»Zweiundzwanzig.«

Nur mühsam unterdrückte er den Reflex, Springsteen einzuschieben und auf Vol. 20 hochzudrehen.

»Meinetwegen, zweiundzwanzig … die Rocky Horror Show damals auf dem Coburger Schlossplatz, vor dem Landestheater, ich weiß ja, was du meinst …«Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu. »Aber damit eins klar ist: Selbst wenn wir Ruby heute finden, du kannst nur mit ihr reden, Manu! Deine Tochter ist volljährig … und wir werden sie garantiert nicht fesseln und in den Kofferraum sperren!«

Sie antwortete nicht.

Wieder musterte er sie aus den Augenwinkeln.

Gesichtsbräuner und üppig aufgelegtes Make-up verschleierten ihr wahres Alter nur notdürftig. Immer breiter und tiefer wurden ihre beiden markanten Falten von der Nase hinab zu den Mundwinkeln. Was ihren hohen Wangenknochen damals ein faszinierend katzenhaftes Aussehen verliehen hatte, wirkte jetzt ausgezehrt.

Alt. Verbraucht.

Im Gegensatz zu ihrer schwarzen Löwenmähne, dachte Charly, die steht beim Friseur seit dreißig Jahren unter Denkmalschutz. Und ganz zu schweigen von ihrem Body; absoluter Wahnsinn … der passen immer noch die Jeans von damals …

»Sie muss heim«, sagte sie tonlos. »Ruby muss mit heim. Ruby – muss – heute – mit – heim.«

Ruby Sosniok, einundzwanzig, ohne Schulabschluss. Schwarze Stachelfrisur; zierliche Figur. Auf den ersten Blick sechzehn oder siebzehn. »Einmal Frühchen, immer Frühchen«, Manus mütterliches Mantra.

Ruby Sosniok: Unterlippenpiercing, asiatische Tattoos auf den schmächtigen Schultern, Vorliebe für auffällige Ohrringe. Meist in schwarzer Nietenjacke, Röhrenjeans und alten Chucks unterwegs. Mit dreizehn erstmals polizeilich aufgegriffen. Aktiv in der Coburger Antifa-Bewegung, mehr provokationsfreudige Mitläuferin als politische Überzeugungstäterin. Kifferin, mehrere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Aber ein bildhübsches Gesichtchen, dachte Charly, hohe Wangenknochen, katzenhaft-rassig … genau wie ihre Mutter damals … Manu, die Alleinerziehende, die ihrer einzigen Tochter alles durchgehen ließ … und zu allem Überfluss ihn, Charly, bei ihren seltenen, zufälligen Begegnungen immer gerne aufzog: »Sie könnte auch von dir sein … Ruby hat deine Widerspenstigkeit und Sturheit … und wir hatten doch damals …«

»Nein!«

»… doch, wir hatten damals noch diesen einen Quickie, nach dem Schlossplatzfest …«

Charly stöhnte leise und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Vor ihm jetzt ein dunkelblauer Hofer BMW, der grundlos immer langsamer wurde.

Keine Überholmöglichkeit, gefühltes Schritttempo jetzt.

Er hupte ärgerlich.

Wie zum Hohn schob sich aus dem Fahrerfenster vor ihm eine rot-weiße Kelle.

Halt, Polizei.

»Scheiße, was ist das?«, hauchte Manu. Ihre schwarz-silbernen Fingernägel krallten sich in das alte Tempotaschentuch.

»Schleierfahndung wahrscheinlich. Bleib ruhig.«

Der BMW schaltete Warnblinklicht ein und rollte, gefolgt von Charly, auf einen kleinen Parkplatz hinaus.

»Hilfe, was sind das denn für Geisterbahnfressen?« Von einer Plakatwand starrten drogenzerstörte Gesichter auf sie herab.

Crystal Meth – Drogy pomalu zabíjet!

Drogen töten langsam!

»Guten Abend, die Herrschaften. Verdachtsunabhängige Kontrolle …« Ein jugendlicher Dreitagebart, tiefe Augenschatten, dönergeschwängerter Atem. »Die Papiere, bitte.«

Wortlos, betont langsam, zückte Charly ein dünnes schwarzes Mäppchen.

Die müden Augen des Zivilfahnders wurden lebendig. »Was denn, was denn, ein Kollege!? Karl-Heinz Herrmann, Polizei Coburg … ja, wer sagt s denn!« Er lachte, reichte den Ausweis zurück und wandte sich an Manu. »Madame?«

Sie reagierte nicht. Wippte nur sanft, kaum sichtbar, mit dem Oberkörper vor und zurück. Wie die kleine Ruby damals, dachte Charly spontan und spürte einen leisen Stich Wehmut.

»Alles in Ordnung, Frau … Herrmann?«

Charly wehrte wortlos ab. Manu ignorierte die Frage und schaute weiter starr nach vorn. »Können wir jetzt endlich weiterfahren?«, flüsterte sie.

»Was sagen Sie?« Fragend drehte ihr der Fahnder ein Ohr zu.

»Können wir jetzt endlich weiterfahren?«, fauchte sie, fuhr herum, begann urplötzlich zu schreien. »Haben Sie auch eine Tochter, haben Sie die auch schon mal suchen müssen? Dort drüben? In der Tschechei, auf dem Drogenstrich …?«

20:41 Uhr – irgendwo zwischen Cheb und Nürnberg

»Au, lass mich los, du Wichser!«

Das grell geschminkte Girl mit dem Unterlippenpiercing stolperte fast auf seinen weißen High Heels. Ärgerlich schlug sie nach dem bärtigen Biker-Hünen, der sie, fest am Oberarm gepackt, in das schummrige kleine Werkstattbüro stieß.

»Schnauze, Schlampe!«

Am Tisch lehnte ein rotblonder Strubbelkopf in Jeans, Bikerstiefeln und der gleichen Kutte: Black Bastards. Vor ihm kniete eine dralle Dunkelhaarige und knöpfte ihm gerade die Jeans zu. Lässig reichte er ihr ein Papiertaschentuch, »war geil, Mina, absolut geil!«, und schob sie sanft, aber bestimmt in Richtung Tür, bevor er sich den Neuankömmlingen zuwandte.

»Hey, Bruder … weißt ja, meine Tür steht dir immer offen!« Spöttisch musterte er die merkwürdige Begleiterin. »Was is ’n das für eine, Rocco? Die Fickamsel hier macht euch Probleme? Nicht dein Ernst!« Grinsend schüttelte er den Kopf, »’n Satz heiße Ohren hat da früher gereicht! Oder isse noch nicht ordentlich zugeritten?«

»Keine Ahnung, was die Kollegen schon ausprobiert haben, Steve«, brummte der Bärtige. Trotz des Schummerlichts der Schreibtischlampe machte er keine Anstalten, seine schwarze Sonnenbrille abzunehmen. »Bin heut nur Chauffeur. Aber eins kann ich dir sagen: Kotzt mich ganz schön an, was ihr auf der Zufahrt hier veranstaltet! Sind dreimal gefilzt worden, bis wir in der Dreckshalle endlich drin waren. Was soll die ganze Scheiße?«

Der Rotschopf lächelte selbstgefällig. »Professionell arbeiten, professionell absahnen. Sagt Raoul immer. Und heute wollen wir besonders professionell absahnen. Mit deiner lebenden Fracht hier … zeig mal den Begleitschein …«

Schweigend zog Rocco einen braunen Umschlag aus seiner Lederjacke.

»Ah ja … klaut Drogen, bunkert Geld, ist unbelehrbar. Vier-Tages-Rendite null. Eng befreundet mit Tante Christel …«

Steve und Rocco lachten.

Das Mädchen starrte aus riesigen Pupillen von einem zum anderen. »Hey, ihr schwulen Arschficker, verpisst euch …« Sie ließ sich in einen abgewetzten Polstersessel fallen. »Mann, ich brauch Kohle, ich will ’n paar schöne weiße Steine … Kristall, ihr Penner … klare weiße Steine …!« Aus ihrem Mundwinkel rann ein Spuckefaden.

Verächtlich betrachtete Steve ihre netzbestrumpften dünnen Beine.

»Zweite Chance?«, fragte Rocco leise.

»No way. Von ihrer Sorte haben wir mehr als genug.«

»Also Kiesgrube?«

»Nix Kiesgrube. Goldgrube!«

Rocco runzelte fragend die Stirn.

»Goldgrube …?«

»Hollywood.«

»Was, mit der da?«

»Raoul hat wieder mal ’nen echt Perversen an der Angel … der zahlt dafür ein Vermögen.«

»Für ’nen Porno – mit der da?«

»Kein Porno. Dark Hollywood.«

Kurze Stille. »Du meinst Dog Hollywood …«

»Oder so.« Steve grinste. »Gleich geht’s los. Bring sie zu unserer kleinen Arena rüber.«

»Wo?«

»Dort hinten, neben dem grauen Pick-up.«

»Was ’n das für einer?«, fragte Rocco misstrauisch.

»Der Dog-Man, ’n Belgier. Nissan Navara mit X-Line Hardtop, passt zu seinen X-Dogs. Keine Bullies oder Staffs, nee, X-Dogs sind das, so richtig versaute Kreuzungen, absolut verhaltensgestört … echte Bestien!«

20:50 Uhr – Cheb

»Hier … nein … doch, das muss es sein!« Manus Stimme kippte vor Entsetzen.

Schweigend musterte Charly die graue Baracke, auf die sie zeigte. »Za Mostní branou 14«, die Adresse stimmte. Eine Sackgasse zwischen Gebrauchtwagenbasar und Schrotthandel. Hier, an ihrem Ende, ein paar kahle hohe Bäume, unter die sich eine Baracke duckte.

LOVE PARADISE.

Rote Herzen blinkten aus dunklen Fensterhöhlen. Verwitterte blaue Fensterläden, von der Hauswand blätterte der Putz ab. In krassem Gegensatz dazu die massive neue Eingangstür aus poliertem Stahl. Eine kaugummikauende korpulente Schwarze, in Netzstrümpfen und weinrotem XXL-Satinbody, langweilte sich auf ihrem eigens herausgestellten Barhocker. Ein weiterer Hocker neben ihr war leer.

Rasch überflog Charly die wenigen Autos, die am Straßenrand parkten: ein tschechischer Skoda Fabia, ein Erfurter Opel Astra und ein alter Golf aus Wunsiedel. Allesamt unauffällig.

Bis auf den letzten Wagen.

Professionell schräg auf dem Gehsteig: Allzeit bereit, wie eine Raubkatze auf dem Sprung – ein silberfarbener Maserati GT. Kennzeichen Nürnberg, Anton Nordpol, vier fünf null eins. Jede Felge ein Monatslohn eines Polizeikommissars …

»Stopp, Manu. Kundschaft. Die verhandeln jetzt erst. Wir warten.«

Charly kurbelte das Seitenfenster seines 78er Spider herab und zündete sich eine Lucky Strike an.

Was hab ich mich bloß breitschlagen lassen, dachte er verdrossen. An meinem schichtfreien Wochenende, der schöne Sonntag. Wollte mit Alex und Bernie auf der Thieracher Hütte abhängen, auf Bernies neunundvierzigsten Geburtstag anstoßen …

»Ruby ist weg!«, hatte sie ins Telefon geheult. »Diesmal ist was passiert, ich spür’s genau!«

GHB, war sein erster Gedanke, K.O.-Tropfen. Die Fälle in der Region nahmen dramatisch zu; vier Vergewaltigungen und drei Vermisste allein in Oberfranken in den letzten zwei Wochen. Er behielt seine Gedanken für sich, versuchte, sie zu beruhigen. Sie ließ es nicht zu.

»Nein, ich weiß es! Irgendwas ist passiert! Sie war seit Tagen völlig überdreht, hat ständig gelabert, überhaupt nicht mehr geschlafen!«

Klare Diagnose: Speed. Ruby musste auf Crystal Meth sein. War jetzt seit fünf Tagen verschwunden. Heute früh hatte Manu dann in Rubys Nachttisch ein Päckchen gummigebündelte Werbekärtchen entdeckt:

LOVE PARADISE Cheb. Za Mostní branou 14.

Ein Vermisstenfall unter vielen – für die Polizei. Nicht für Manu. Und, widerwillig gestand er es sich ein, auch nicht für ihn.

Charly inhalierte tief. Es mochte aus rein polizeilicher Sicht Aktionismus sein; privater, riskanter Aktionismus. Aber er war seiner früheren Geliebten den Gefallen einfach schuldig. Langsam stieß er den Rauch wieder aus. Ihr – und nicht zuletzt auch Ruby …

»Ey!« Ihre Fingernägel gruben sich in seinen Unterarm. »Da, den Typen kenn ich!«

Südländischer Teint, durchtrainiert, Anfang dreißig, teure Jeans, darüber schwarzes Maßhemd, Sonnenbrille, die langen schwarzen Haare zum Zopf gebunden. Ein Macho wie aus dem Bilderbuch, dachte Charly. Der klassische Latin Lover. Angeregt telefonierend, schlenderte er aus dem »Love Paradise«, direkt auf Charly und Manu zu, in Richtung des hinter ihnen stehenden Maserati.

»Der war letzte Woche im Steinweg, der hat mit Manu sogar getanzt, das hat sie mir aufs Handy geschickt!«

»Ein Poussierer. Ein klassischer Poussierer.« Charly schnippte die halb gerauchte Lucky aus dem Fenster.

»Was? Was macht so einer?«

»Er … lässt sich bezahlen. Sehr gut bezahlen.«

Ihre Unterlippe zitterte. »Wofür?«

»Für das, was er ködert … und liefert … Frischfleisch!«

20:51 Uhr – irgendwo zwischen Cheb und Nürnberg

»Ist die kleine Schlampe endlich fit?«, dröhnte eine Männerstimme durch die Halle. »Kommt mal in die Puschen, Jungs … die Babys warten schon!«

Erregtes, bösartiges Gebelle von zwei Hunden drang aus einem offenbar zum Zwinger umgebauten alten Container. Scheinwerfer wurden angeknipst, leuchteten in der heruntergekommenen Fabrikhalle ein eingezäuntes Geviert aus.

Direkt vor dem Containerzwinger umrahmten stacheldrahtbewehrte Metallgitter ein Viereck von gut acht mal acht Metern. Ein schwarzer Wasserschlauch und zwei fleckige Eisenstäbe lagen neben der einzigen Gittertür, die ins Innere führte. Von jeder Ecke aus, wie Flutlichtstrahler in einem Stadion, richtete sich ein Scheinwerfer auf die Spielfläche.

Ein Rotlicht begann zu blinken. Das Hallentor öffnete sich.

Langsam rollte ein dreckbespritzter Range Rover Evoque mit dunklen Scheiben herein. Hinter ihm schloss sich das Tor wieder. Die Lampe erlosch.

Ein stämmiger, untersetzter Mann stieg aus, in Cargohose und einem nach Schweiß stinkenden Polyester-Trikot von Manchester United. Grauer Pferdeschwanz, zerfurchte Stirn. Auffallend stark behaarte Arme. Mit kaltem Blick ignorierte er Steves ausgestreckte Hand.

»Dimitrij.« Er deutete auf die Arena. »Film, ›Dogfight‹ – hier?«

Steve nickte. Er setzte zur Gegenfrage an, doch der Graue hatte ihnen schon wieder den Rücken zugekehrt. Er kramte etwas vom Rücksitz des Range Rovers. Einen Panasonic-Camcorder.

Steve griff Rocco am Ellbogen. »Wo ist die Kleine jetzt?«

Der Biker zeigte mit dem Kinn nach rechts. »In der Bude neben den Kötern. Is eingepennt.«

»Kein Wunder. Wenn sie vier Tage durchgemacht hat. Gib ihr was, schieß nach.«

»Und Raoul …«, begann Rocco.

Steve fluchte. »Scheiße, der Meister will ja ständig auf dem Laufenden gehalten werden.« Er fingerte sein Handy aus der Brusttasche.

Rocco schüttelte verständnislos den Kopf.

»Und dafür zahlt einer irgendwo ein Vermögen, sagst du?«

»Für echten Snuff? Unter Garantie. Für Live-Hackfleisch, möglichst lang und blutig, ’ne halbe Mille. Ey, das is Big Business, Rocco. Das holt die kleine Fotze aufm Strich in hundert Jahren nicht rein.«

»Hat er die Dürre überhaupt gesehen?«

»Wer?«

»Raoul.«

Steve klemmte sein Smartphone zwischen Schulter und Wange und kratzte mit dem Zahnstocher einen Fingernagel sauber. »Er hat sie selbst poussiert, Mann. Bayreuth … oder Coburg? Und ihr die Schönheit des Kristalls nahegebracht. Keine vierzehn Tage is das her.«

»Und wo isser jetzt?«

»Dringende Geschäfte. Denke, er wollte mal den neuen Maserati ausfahren. Nach Cheb.«

»Wo ist Ruby Sosniok?« Charly fixierte die eisblauen Augen seines Gegenübers.

Der Lude schien nachzudenken. Endlich bequemte er sich zu einer Antwort. Leise, aber unmissverständlich.

»Du Penner … du kannst mir amoll den Schuh aufblosn!«

Verächtlich zupfte er ein nicht vorhandenes Staubkorn von seinem schwarzen Hemd.

»Zeig dein’ Faschingsausweis beim Autoscooter, vielleicht derfst dort amoll mitfahr’n! Wos inderessierd mich eier klaane Schlampe, des geht eich an Scheißdreck an!«

Er drückte die Fernbedienung seines Zündschlüssels, wollte seinen Weg an Charly vorbei fortsetzen.

Ein schriller Wutschrei, Charly riss den Kopf herum.

Manu kam herangeschossen, in ihrer Linken blitzte es auf, Charly erkannte etwas aus seinem Handschuhfach – die ausgeklappte Klinge seines Polizeimessers.

Mit zitternder Hand zielte sie auf den Nabel des Luden. »Ich schlitz dich auf, du Sau! Wo ist Ruby?«

»So if you really want me, come on and let it show«, trällerte das Girl.

Durch einen Spalt der Außenjalousie beobachtete Rocco, wie sie sich auf dem durchgesessenen braunen Schmuddelsofa fläzte.

Ihre High Heels stachen Löcher in den schäbigen Bezug, ohne dass sie es merkte. Interessiert betrachtete sie ihre eigenen Finger, die, scheinbar völlig losgelöst vom übrigen Körper, einen irrwitzigen Tanz vor ihren Augen vollführten. »… come on and let it show; la la la lala laa …«

»Verrückt«, murmelte er und drehte sich wieder um, »wieder voll drauf!«

Er schnupperte. Ein leicht säuerlicher Geruch hing in der Luft. Steve öffnete gerade eine Kühlbox mit rohem Fleisch.

»Ey, so kurz vorm Auftritt? Wülste echt noch futtern?«

Steve lachte. »Vergiss es, Gringo! Die haben seit achtundvierzig Stunden nix mehr fressen dürfen, die gehen topfit in den Ring … hungry like a wolf!« Mit leisem Schmatzen holte er zwei steakgroße Fleischbrocken aus der Box und schloss sie wieder. »Die brauch ich nur zum Schminken!«

»Schminken …?«

»Genau! Du gehst jetzt rein zu ihr und ziehst die Kleine aus … und von mir bekommt sie dann eine gründliche Abreibung … mit diesem blu-tig ro-ten Fleisch hier!« Triumphierend schwenkte er die beiden Fleischlappen vor Roccos Gesicht. »Kleiner Appetitanreger … für hungrige belgische Wölfe!«

Der Lude explodierte förmlich.

Ein blitzartiger Sidekick, das Messer flog aus Manus Hand, seine Rechte schoss nach vorne, packte sie an den Haaren, donnerte ihr Gesicht gegen die Seitenscheibe des Spider.

Ein erstickter Aufschrei, mit zertrümmerter Nase sackte sie neben dem Wagen zusammen. Ein letzter verächtlicher Tritt, gezielt an die Kniescheibe der benommen am Boden Liegenden, dann sprintete er los Richtung Maserati.

Charly jagte hinterher, erwischte ihn in letzter Sekunde, als der Poussierer schon die Fahrertür öffnete. Charlys Fußfeger traf ihn genau in der Kniekehle.

Er klappte zusammen, riss Charly unsanft mit zu Boden.

Beide Männer wälzten sich auf dem schmutzigen Asphalt, Charly konnte gerade noch einem Kniestoß in die Weichteile ausweichen, bohrte im Gegenzug den ausgestreckten Daumen in das linke Auge seines Gegners, sah plötzlich Manu, die sich mit blutverschmiertem Gesicht auf allen vieren näherte.

»Ruby … wo is mei klaane Ruby …«

»Er geht einfach nicht mehr ran. Komisch.«

Steve klappte das Handy wieder zusammen. »Aber kein Problem. Plan B heißt, trotzdem durchzieh’n, egal, was kommt.« Er kickte einen Kronenkorken über den Betonboden der alten Fabrikhalle. »Diinitrij und Bert wollen schließlich auch ihre Gage … kein Bock auf Stress mit den beiden. Nicht hier und nicht heute.«

Er schlug mit der Faust auf den Gitterzaun, schloss ganz kurz die Augen und versuchte, das hysterische Geschrei des Mädchens und das gierige Geheul der Hunde zu verdrängen.

Zehntausend Öcken … für fünf Horrorminuten und ein bisschen Saubermachen … und nächsten Sommer gehört uns die Route 66, mit Mina hinten aufm Bock! Er öffnete die Augen wieder, reckte entschlossen den Daumen.

»Los geht s – Film ab!«

Keuchend hielt Charly den deutlich jüngeren Luden im Schwitzkasten, aus dem Augenwinkel sah er Manu, die jetzt, immer noch kriechend, die offene Fahrertür erreicht hatte, dort an ihrem Schuh nestelte – und plötzlich etwas kleines Weißes in den Maserati warf!

Irritiert lockerte sich für einen Sekundenbruchteil Charlys Griff. Sofort entschlüpfte ihm sein Gegner wieder, traf ihn mit dem Ellbogen an der Schläfe und kickte Manu zur Seite, ihr Kopf schlug auf dem Bordstein auf.

Er sprang in den Wagen und startete den Motor.

Alles aus … Verloren … Wie durch einen Nebelschleier, unwirklich und ungläubig zugleich, hörte Charly den Motor hochtourig aufheulen – und gleich darauf Bremsen quietschen … der Maserati brach aus, kratzte mit hässlichem Geräusch an einer Backsteinwand entlang … und kam zum Stehen.

Direkt vor einem quer gestellten silbernen Skoda Octavia mit blauen und gelben Streifen an der Seite.

Policie.

»Bien fait, mes p’tites, bien fait!«

Steve kämpfte mit akutem Brechreiz, während der Belgier anerkennend seine Hunde tätschelte. Keine Belohnung – die hatten sich die beiden Bestien soeben selbst verschafft. Das nackte Bündel Fleisch, das vor drei Minuten noch ein junges Mädchen gewesen war, lag schlaff in der Ecke und regte sich nicht mehr. Selbst die weißen High Heels, die sie als einziges Kleidungsstück anbehalten durfte, waren jetzt blutbespritzt.

»Passport, passport!«

Dimitrij. In Gummistiefeln, den Camcorder immer noch in Aktion, hielt er auf die Tote und winkte ungeduldig, bis Steve verstand.

Der obligatorische Abspann.

Nahaufnahme des Opfers.

Mit der Bildzeitung von heute, Beweis für aktuelles Filmmaterial.

Dann der Ausweis. Mit spitzen Fingern zog Steve eine Plastikkarte aus seiner Brusttasche. Trat näher heran. Ganz nahe. Route 66 … Route 66 …, hämmerte es in seinem Kopf, als er den Ausweis auf die Leiche fallen ließ – direkt auf die entstellend große Bisswunde in der Wange des schmalen Gesichts. Dimitrij grunzte befriedigt und zoomte den Namen heran.

Nadine Wiesmüller, *12.10.1996, Bayreuth.

08:14 Uhr – Polizei Coburg

»Sind Sie jetzt völlig durchgeknallt, Herrmann?«

Polizeidirektor Frank Ritter, ein durchtrainierter, kahlköpfiger Eins-neunzig-Mann, war außer sich. Erregt tigerte er hinter seinem Schreibtisch auf und ab.

»Sie erzählen mir Montag früh so ganz nebenbei, dass Sie am Wochenende im Ausland waren, sich dort erstens falsch ausgewiesen haben, zweitens eine private Schlägerei mit einem mutmaßlichen Zuhälter und Drogendealer begonnen haben und drittens Ihre Begleiterin jetzt deshalb in der Klinik liegt?«

Charly tastete nach seiner grünblau verfärbten Schläfe und verzog das Gesicht. »Nicht so laut, Chef, bitte! Es war … es war eine Art Notwehr, es war Gefahr im Verzug!«

»Gelaber! Wieso das denn?«

»Der Typ wäre uns fast entwischt – und er weiß, wo Ruby Sosniok steckt. Wir wissen, dass er sie persönlich geködert, poussiert hat – hier im Steinweg, im ›Wooloomooloo‹!«

Ritter winkte ärgerlich ab. »Gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, in Cheb den Charles Bronson zu spielen!«

»Wenigstens kennen wir ihn jetzt.« Charly blieb hartnäckig. »Raoul Scheffler aus Nürnberg. Sitzt in Cheb in U-Haft, weil er Manuela Sosniok lebensgefährlich verletzt hat. Und Crystal im Wagen hatte.«

Das Telefon klingelte.

»Ritter … ja was … wie …?« Der Polizeidirektor ließ sich in seinen Chefsessel fallen, der heftig zu vibrieren begann.

Charlys Blick schweifte über den beneidenswert leeren Schreibtisch nach hinten, durch Ritters Fenster, hinüber zum Festungsberg, wo die Veste, das Coburger Wahrzeichen, thronte.

Trutzig. Unbeirrt von Stürmen, lauen Lüftchen oder Wolkengebilden aller Art.

Für Besucher eines Chefbüros ein echtes Vorbild, dachte Charly, eine Top-Motivation bei unangenehmen Terminen aller Art.

Robust. Charakterstark. Unerschütterlich.

»BKA? Zeugenschutzprogramm?«, fragte Ritter ungläubig.

Charly horchte auf.

»Kommen Sie sofort«, sagte Ritter heiser. »Große Lagebesprechung!«

Vierzehn Kollegen im großen Lagerraum, Ritter hatte die gesamte Schicht zusammengetrommelt.

Erstaunlich, dachte Charly, dass zur Rechten des Chefs nicht wie üblich sein Stellvertreter Heinz-Uwe Löhlein sitzt, sondern die neue Kollegin Fiona Brouwers.

»Jetzt ist die grad ein Vierteljahr da«, ätzte Schnauzer, das Tom-Selleck-Double der Coburger Polizei, leise, »und hat schon den guten Heinz-Uwe abgehängt?«

»Na, ihr Einstand letzten Samstag in der ›Ponderosa‹ in Lautertal war auch nicht übel. Ritter ist doch selbst bei den Letzten gewesen, um zwei Uhr früh«, schaltete sich Moser, genannt Quax, ein. »Ich sag euch eins, die ist ’ne ganz heiße Kandidatin für den Blitzaufstieg in den höheren Dienst. Auch wenn sie heute etwas mitgenommen aussieht.«

Charly musterte skeptisch die Kollegin, deren Anblick ihn jedes Mal an eine mittelmäßige US-Schauspielerin erinnerte, deren Name ihm einfach nicht einfallen wollte: Klein, gut gebaut, halblange hellblonde Haare, Anfang dreißig.

Gut – aber austauschbar. Standardschönheit, dachte er. Und deutlich blasser heute als sonst, Quax hat recht …

Der Polizeichef räusperte sich. »Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Vorrede zunächst ein kleines Update für Sie alle: Wir haben seit einer knappen halben Stunde einen neuen Mordfall. In Bad Staffelstein wurde ein dreiunddreißigjähriger Mann erdrosselt in seiner Wohnung aufgefunden. Hierzu übergebe ich aus aktuellem Anlass das Wort der Kollegin Fiona Brouwers. Sie wird vertraulich über einen Punkt informieren, der bisher der höchsten Geheimhaltungsstufe unterlag und selbst im Polizeipräsidium nur zwei ausgewählten Personen bekannt war. Bitte, Frau Brouwers!«

»Danke.« Nur die Andeutung eines Lächelns. »Ja, liebe Kollegen, was jetzt folgt, ist ein dienstliches Outing. Ihr wisst, dass ich vor einem Vierteljahr erst nach Coburg versetzt wurde. Was ihr noch nicht wisst, leider noch nicht wissen durftet: Ich komme nicht aus München vom Bayerischen Landeskriminalamt, das LKA war nur meine vorletzte Dienststelle. Nein … ich bin seit eineinhalb Jahren beim Bundeskriminalamt tätig. Ich bin Kriminalrätin des BKA, ursprünglich Standort Berlin im Referat SO 45, Ermittlungen Schwere und Organisierte Kriminalität, zuletzt im Zeugenschutzprogramm, Referat 36 mit Standort Meckenheim.«

Verblüfftes Raunen, ungläubiges Kopfschütteln.

Moser blies fassungslos die Backen auf. Fiona wartete, bis sich die Unruhe gelegt hatte.

»Ihr kennt den Codenamen ›Underdog‹«, ein prüfender Blick aus leicht schräg gestellten grauen Augen, »das BKA fahndet nach Produzenten und Auftraggebern der Snuff-Videos, die seit letztem Jahr aufgetaucht sind. Stichwort Kampfhund, mutmaßlicher Hintergrund Milieu und Drogenmafia. Das Zeugenschutzprogramm des BKA hat vor Kurzem erstmals gegriffen, einer unserer Informanten, ein Mann aus dieser Drogen- und Rotlichtszene, ist ausgestiegen. Wir haben ihn in Phase eins des Programms erst mal an einen sicheren Ort gebracht.«

»Bad Staffelstein?«, fragte Charly ungläubig.

»Genau, Charly.« Fiona nickte ihm kurz zu. »Und weil ich in Phase eins für die Betreuung des Aussteigers Thorsten Geest zuständig bin«, sie stockte und verbesserte sich, »… zuständig war, wurde ich, wie seit Kurzem üblich, vom BKA mit einer anderen Vita ausgestattet und als ›normale‹ Kriminalbeamtin an die örtlich zuständige Dienststelle versetzt. Ziel ist es, höchste Geheimhaltung bei gleichzeitig maximaler polizeilicher Effizienz sicherzustellen …«

Sie schluckte, schien sich ihrer unpassend floskelhaften Sprache bewusst zu werden. Etwas zu schnell schaltete sie den Beamer ein.

Auf der Leinwand neben ihr erschien ein hageres, unrasiertes Gesicht mit stechendem Blick.

»Das ist Thorsten Geest, dreiunddreißig Jahre, aus Bad Saarow in Brandenburg. Unser Aussteiger, der erste und bislang einzige Informant in Sachen ›Underdog‹. Er wurde jetzt in Bad Staffelstein erdrosselt.«

Nachdenkliche Stille.

»Aber das BKA hat sicher auch für diesen Fall eine Regelung getroffen«, sagte Charly ironisch.

»Selbstverständlich.« Fiona schien den leisen Spott nicht zu bemerken. »Bei Tod oder Verschwinden eines Aussteigers: sofortige interne Aufdeckung und volle Kooperation mit der ermittelnden örtlichen Dienststelle.«

Ritter schob seine Kaffeetasse zur Seite. »Frau Brouwers ist vom BKA vorläufig abgestellt, daran ändert sich erst mal nichts. Kollege Adler vom Polizeipräsidium Bayreuth hat mir soeben bestätigt, dass sie bis zur Klärung des Falles als BKA-Verbindungsbeamtin bei uns im Haus bleibt. Der Fall Geest bekommt selbstverständlich höchste Priorität bei uns. Dienstlich unterstellt sind Sie ja unverändert Berlin«, er nickte Fiona bestätigungsheischend zu, »ihr Auftrag hier heißt ›Fachlich beratende und koordinierende Unterstützung der Kripo Coburg.«

»Auf Deutsch, die Frau Kriminalrätin pfuscht uns allen jetzt nach Herzenslust ins Handwerk«, murmelte Quax.

Charly schüttelte grimmig den Kopf. Wortlos stand er auf, verließ den Raum und zog die Tür hinter sich zu.

Manu liegt auf Intensiv, Ruby wird vielleicht von irgendeiner Drecksau grad zugeritten … und ich darf mich nicht drum kümmern, weil sich diese BKA-Nullen ihren wichtigsten Mann unterm Arsch wegziehen und abmurksen lassen!

11:10 Uhr – Berlin-Zehlendorf, Golfclub Wannsee, Parkplatz

Sanft erstarb der 6,75-Liter-Motor des cognacmetallicfarbenen Bentley Mulsanne. Ralph Wernstedt strich liebevoll über das polierte Wurzelholz seines Armaturenbretts. Er tat es gern, besonders wenn er der angenehm dunklen Frauenstimme mit dem unwiderstehlichen Akzent lauschte, die gerade wieder aus der Freisprechanlage erklang.

Joan van Steen, die neue Sekretärin. Geboren und aufgewachsen in Kapstadt, Südafrika.

»… Wirtschaftssenator Benninghoff hat zugesagt, die Eröffnungsrede auf dem Kongress zu halten …«

»Das ist gut«, sagte Wernstedt und lächelte einer brünetten jungen Frau zu, die mit geschulterter Golftasche vorbeiging und ihm einen neugierigen Blick zuwarf, »das ist sehr gut.«

»Und schließlich«, Joan machte eine effektvolle Pause, »ein Anruf von ›i&u TV‹. Sie sind angefragt. Für Günther Jauch; nächsten Sonntag. Thema Glücksspiel in Deutschland.«

Wernstedt schloss die Augen.

Wieder huschte der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht. Endlich. Es war geschafft.

Alle Mühen hatten sich gelohnt.

Der Aufstieg vom Erben eines schmuddeligen kleinen Flipperlokals in Berlin-Wilmersdorf zum größten deutschen Spielhallenbesitzer.

Vom ungestümen Rausschmeißer in den wilden Achtzigern zum Talkshowgast bei Günther Jauch fast dreißig Jahre später.

Eine Einladung, die wertvoller war als ein Bundesverdienstkreuz.

Versonnen betastete er das cremefarbene Lederlenkrad. Sein rechter Zeigefinger war merkwürdig verkrümmt und vernarbt. »Ich bin noch da, Joan, ich bin noch da … Bitte bestätigen Sie den Termin bei Herrn Jauch.«

Es hatte sich gelohnt, den großen Bruch mit den Etablierten seiner Branche zu riskieren. Gelohnt, den Bundesverband Spielwirtschaft zu gründen. Seriös und professionell aufzutreten. Um dann mit frischem Geld wieder neue Einnahmequellen zu erschließen. Neue Wege zu beschreiten, neuen Einfluss zu gewinnen …

»… mache ich, Chef. Moment bitte, ein Anruf auf Leitung zwei …«

Wernstedts Augen wurden schmal.

Leitung zwei kannten nur ein paar Insider. Die Nummer war für absolute Notfälle reserviert. »Stehen Sie durch, Joan! Bis später! … Jaa? … Hallo, was gibt s? … Wie? Was? … Raoul Scheffler sitzt in U-Haft? In Cheb?«

Wernstedt zog seinen verkrüppelten Zeigefinger vom Lederlenkrad und ballte die Faust. »So ein Idiot!«, zischte er leise. »Bekommt von uns ganz Nordbayern und lässt sich abfischen! In Cheb! Ganz genau … Hauen Sie ihn jetzt erst mal da raus, so schnell es geht … Natürlich, marktübliche Konditionen … Schmierstoffe sind dort schließlich billiger als bei uns …«

Ein lässiger Zwei-Finger-Gruß an den Oberstaatsanwalt, der gerade bester Laune aus dem Clubhaus kam.

»Aktuelle Transaktionen, was steht da in den nächsten Tagen an?… Hui!« Er pfiff durch die Zähne. »Auch das noch … Nein, auf keinen Fall! Einen Transfer dieser Größenordnung können wir jetzt nicht mehr canceln! … Umleiten, unbedingt umleiten! … Geht einfach in Planquadrat Südwest … mit neunzig zu zehn … Ja natürlich, wir schreiben lieber zehn Prozent ab als hundert! Kleine Staatsabgabe«, lächelte er und grüßte nochmals den Oberstaatsanwalt, der jetzt fröhlich winkend in seiner schwarzen S-Klasse vorbeifuhr.

»Gönn deinem Gegner kleine Erfolge … umso leichter kommst du zu großen Erfolgen! So, und jetzt ist gut, ich will hier endlich auf den Golfplatz. Diekmann von der BILD wartet schon …«

12:20 Uhr – Coburg, Goldbergsee

Der Splitt knirschte, als Charly den schwarzen Alfa Spider auf den Parkplatz lenkte. Kein Bock auf Kantinengeschwätz heute, einfach nur raus an die Luft. Er stieß die Tür auf, blieb sitzen.

Sanft kräuselte sich die Wasseroberfläche. Zwei Graureiher standen im seichten Uferwasser. Misstrauisch drehten sie ihre langen dünnen Hälse in seine Richtung.

Er zückte langsam das Handy und drückte den neu abgespeicherten Kontakt: »Cheb Klinik«.

»… ja, genau … Herrmann, deutsche Polizei … Manuela Sos-ni-ok aus Coburg, keine Angehörigen … Danke … Ja … wie … Zustand verschlechtert … liegt im Koma?«

Charlys Gesichtszüge versteinerten. »Verstehe … müssen abwarten, natürlich … halten Sie mich bitte auf dem Laufenden … Wiedersehen …« Er schwang sich aus dem Wagen, vergrub die Hände in den Taschen, sog in tiefen Zügen die frische Luft ein. Seine Gedanken rasten.

Nichts, gar nichts wäre passiert, wenn ich damals nicht aus München zum Klassentreffen des Ernestinums gekommen wäre …damals, 1992 … und wenn ich am Abend davor nicht die Rocky Horror Show auf dem Schlossplatz besucht hätte … ein heißer Freitagabend im August, ausgelassene Partystimmung … du hast meinen Ehering gesehen und mir von deinem Trucker-Freund erzählt, wir haben uns überhaupt nichts vorgemacht … wir haben nur den Sog dieses berauschenden Moments gespürt, haben uns gemeinsam mitreißen lassen … ihn intensiv gelebt, geliebt und ausgekostet … in deinem Ein-Zimmer-Apartment am Südring … It’s now or never!

Und Montagmorgen saß ich wieder im PP München, Kommissariat 16, Operative Fallanalyse. Und du hinter deiner Kasse im Plus-Supermarkt im Wirtsgrund in Wüstenahorn …

Es war keine Liebe.

Nichts künstlich Überhöhtes.

Und erst recht kein schlechtes Gewissen danach. Es war … ja, es war ein Stück Dankbarkeit, einen solchen Moment gemeinsam erlebt zu haben …

Denn dass neun Monate später Ruby zur Welt kam, ist reiner Zufall.

Sonst hättest du mir das nicht erst Jahre später erzählt. Auch die Story, dass sie an einem Dienstag zur Welt kam und du sie nach dem alten Stones-Kracher »Ruby Tuesday« benannt hast; alles Mögliche hast du erzählt, als wir uns im Spielwaren-Schleier in der Judengasse über den Weg gelaufen sind.

Du mit der kleinen Ruby, ich mit der kleinen Valerie. Und dann zwei Stunden lang in diesem chaotischen »Elterncafé Babbel« saßen. Bis sie uns rausgeschmissen haben …

Er bückte sich, hob einen flachen Kieselstein auf und ließ ihn, abseits der Graureiher, über den See tanzen. Sechs, sieben, acht, neun Mal. Ein paar Enten draußen auf dem See stoben auf.

Ruby ist nicht von mir.

Bestimmt nicht.

Aber sie ist ein Coburger Kind. Und wir sind immer noch die Coburger Polizei. Wir müssen Ruby suchen, dachte er störrisch.

»Scheiß auf diesen BKA-Mist!«

Wütend zog er die Tür zu, startete den Alfa und ließ die 1,6-Liter-Maschine aufheulen. Empört flohen die beiden Graureiher auf den Goldbergsee hinaus.

13:05 Uhr – Polizei Coburg

»Kommen Sie rein, Frau Brouwers!«

Ritter lehnte am Schreibtisch und nickte Fiona zu. »Ist die Tür zu? Gut.«

Wortlos wies er auf seinen Besuchertisch. »Frau Brouwers, unter vier Augen. Und vier Ohren. Topsecret!« Eindringlich fixierte er sein Gegenüber.

»D’accord«, sagte die BKA-Frau kühl.

»Lassen Sie mich ohne Umschweife auf den Punkt kommen: Wir haben ein Leck!«

»Ein Leck?«

»Ein Informationsleck. Einen Maulwurf.«

Fiona zog die perfekt gezupften Augenbrauen hoch. »Ein schwerwiegender Vorwurf. Wie kommen Sie darauf?«

»Zu viele Pannen in letzter Zeit. Unsere letzten vier Drogenrazzien waren allesamt ein Flop. Entweder blank oder nur ein Bruchteil der erwarteten Menge.«

»Viermal hintereinander? Das ist in der Tat auffällig. Eindeutig zu oft.«

»So ist es. Und unsere Drogenfahnder sind definitiv sauber.«

»Haben Sie einen Verdacht?«

Ritter nickte düster. »Es gibt nur einen Kollegen außerhalb des K4, der privat und dienstlich enge Kontakte mit unseren Rauschgiftlern pflegt. Und gleichzeitig die Razzia-Termine kennt.«

»Und – wer?«

»Herrmann«, sagte der Coburger Polizeichef leise.

»Charly Herrmann?« Fiona war sichtlich überrascht.

»Charly Herrmann … so schmerzhaft es menschlich sein mag. Er ist der Einzige, der im Ausschlussverfahren übrig bleibt. Er ist finanziell sicher empfänglich; Sie wissen ja, dass er wegen früherer … äh, Unangepasstheiten und Sperenzchen nur Kommissar ist. Und mit A9 macht man nun mal keine großen Sprünge.«

»Verrückt«, sagte Fiona. »Er hat doch diesen Serienmörder mit dem ›Nikolaushaus‹ gefasst. Und die Morde an den Balletttänzerinnen aufgeklärt. Und ist immer noch A9?«

»Das führt uns jetzt nicht weiter, Frau Kollegin! Völlig sachfremde Erwägungen!« Ritter wehrte unwillig ab. »Zurück zum Thema! Seit heute weiß ich, dass Herrmann auch privat in der Szene unterwegs ist: auf dem Drogenstrich in Cheb!«

»Ich dachte, er wollte einer Bekannten helfen?«

»Sie meinen diese Posse mit der angeblichen Suche nach Ruby Sosniok? Reines Ablenkungsmanöver, bloße Show!«

Fiona strich sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. »Was erwarten Sie von mir?«

Ritter straffte sich auf eins neunzig. »Genaue Beobachtung des Kollegen Herrmann. Inoffiziell – und absolut diskret. Als BKA-Kommissarin sind Sie dafür geradezu prädestiniert – neutral, objektiv und kompetent! Berichte ausschließlich mündlich, ausschließlich an mich.«

Sie überlegte. »Ich möchte keinen Kollegen bespitzeln. Aber hier geht es letztlich darum, andere Kollegen zu schützen … Ermittlungserfolge nicht zu gefährden … richtig?«

Ritter nickte befriedigt. »Und den Kollegen bestenfalls vielleicht sogar zu entlasten. Ich will jedenfalls hundertprozentig sicher sein, bevor ich ein offizielles Verfahren wegen Amtsdelikts beim LKA in München anleiere!« Er streckte die Hand aus.

Nachdenklich schlug sie ein.

Aus sanftem Nieseln war aggressiver Platzregen geworden. Charly schob das Lucky-Strike-Päckchen zurück in die Lederjacke und setzte widerwillig zum Sprint an.

Zwanzig Schritte bis zur Raucherhütte im Innenhof der Coburger Polizei. Eine alte Holzbude des Coburger Weihnachtsmarktes, aufgekauft und umfunktioniert zum Allwetterschutz der rauchenden Kollegen. Erst belächelt, aber dann schnell akzeptiert – auch weil höhere Etagen jetzt nicht mehr so schnell erkannten, wer denn gerade wieder ein Zigarettenpäuschen einlegte.

Keuchend erreichte Charly den Unterstand. Er war nicht der Einzige.

»Du rauchst?«

Fiona stieß Rauch aus. Ihr schwaches Lächeln erstarb sofort wieder. »Nur wenn es wirklich brennt.«

Charly inhalierte tief. »Geht mir genauso. Absoluter Krisenraucher. Das Päckchen hier war zwei Monate unberührt im Schreibtisch.«

Schweigend starrten sie hinaus.