Rhein-Main-Bestie - Volker Backert - E-Book
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Rhein-Main-Bestie E-Book

Volker Backert

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Beschreibung

Der kalte Hauch des Todes: Der nervenaufreibende Thriller »Rhein-Main-Bestie« von Volker Backert jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Monster in Menschengestalt treibt sein Unwesen … Kurz vor der anstehenden Bundestagswahl befindet sich die SOKO Franken um den Kriminalkommissar Charly Herrmann in höchster Alarmbereitschaft. Doch dann passiert das Undenkbare: Deutschlands gefährlichster Triebtäter Dirk Lepky, genannt »die Rhein-Main-Bestie«, bricht aus der Sicherheitsverwahrung aus – jener Schwerverbrecher, der Herrmann vor seiner Gefangennahme blutige Rache geschworen hatte … Während der SOKO-Chef Himmel und Erde in Bewegung versetzt, um den Serienkiller aufzuspüren, droht die bundesweite Medienhysterie aus dem Ruder zu laufen – und Herrmann muss einsehen: Die wahren Monster lauern nicht nur in den Hochsicherheitstrakten von Gefängnissen … So atemberaubend spannend wie Andreas Gruber, so suchtgefährdend wie Frank Kodiak: »Ein rasanter und sehr aktueller Regionalkrimi!«, urteilt Bayern im Buch. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Regio-Krimi »Rhein-Main-Bestie« von Volker Backert ist der dritte Band seiner Hardboiled-Krimi-Reihe um den SOKO-Franken-Chef Charly Herrmann, bei der alle Bände unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 239

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Über dieses Buch:

Ein Monster in Menschengestalt treibt sein Unwesen … Kurz vor der anstehenden Bundestagswahl befindet sich die SOKO Franken um den Kriminalkommissar Charly Herrmann in höchster Alarmbereitschaft. Doch dann passiert das Undenkbare: Deutschlands gefährlichster Triebtäter Dirk Lepky, genannt »die Rhein-Main-Bestie«, bricht aus der Sicherheitsverwahrung aus – jener Schwerverbrecher, der Herrmann vor seiner Gefangennahme blutige Rache geschworen hatte … Während der SOKO-Chef Himmel und Erde in Bewegung versetzt, um den Serienkiller aufzuspüren, droht die bundesweite Medienhysterie aus dem Ruder zu laufen – und Herrmann muss einsehen: Die wahren Monster lauern nicht nur in den Hochsicherheitstrakten von Gefängnissen …

So atemberaubend spannend wie Andreas Gruber, so suchtgefährdend wie Frank Kodiak: »Ein rasanter und sehr aktueller Regionalkrimi!«, urteilt Bayern im Buch.

Über den Autor:

Volker Backert (geboren 1962 in Coburg) studierte in München und Bayreuth. In Coburg arbeitete er als Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit jahrelang eng mit der Polizei zusammen – seine Erfahrung mit dem Alltag der Strafverfolgung floss in seine Reihe von Regio-Krimis um den Kriminalkommissar Charly Herrmann ein. Volker Backert lebt am Obermain.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine abgründige Krimi-Reihe um den SOKO-Franken-Chef Charly Herrmann mit den Bänden »Todesfessel«, »Mordfieber« und »Rhein-Main-Bestie«.

Die Website des Autors: www.volkerbackert.com

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eBook-Neuausgabe September 2023

Copyright © der Originalausgabe 2017 Emons Verlag GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Nicole Kwiatowski

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-805-8

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Volker Backert

Rhein-Main-Bestie

Kriminalroman

dotbooks.

I can’t get no satisfaction

’cause I try and I try and I try

I can’t get no, I can’t get no satisfaction!

Rolling Stones, 1965

Innere Erregung wird fortlaufend zentralnervös produziert und staut sich auf es kommt zum Triebstau. Durch ein Suchverhalten nach dem passenden Schlüsselreiz wird die Triebhandlung in Gang gesetzt. Bei starkem Triebstau reicht schon ein schwacher Reiz (Auslöser), damit die innere Sperre (…) beseitigt wird, um die Handlungen ablaufen zu lassen (…) so lange oder so oft, bis der Trieb befriedigt ist. Eine endgültige Triebbefriedigung kann sich jedoch nicht einstellen.

Haberkamp, »Triebgeschehen und Wille zur Macht«, 2000

Prolog

Lokales. Unser MdB Dr. Manfred Nassel bricht heute zu einem viertägigen Informations- und Meinungsaustausch der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe nach Kiew auf.

01:14 Uhr – Kiew; V.I.P. Menys Club »Grande Royale de la Fleur«

Wild schäumt der weiße Krimsekt über ihre prallen braunen Brüste. Juanita wirft den Kopf in den Nacken und lacht.

Ächzend sinkt der Dicke mit der weißen Tolle vor ihr auf die Knie. Behutsam, fast schüchtern küsst und züngelt er sich an den kostbaren nassen Spuren entlang. Juanita lacht immer noch, kehlig und aus weiter Ferne.

Seine Gier wächst, er berauscht sich förmlich an ihrer drallen Nacktheit; er schmatzt, er saugt, wird immer hemmungsloser, im jagenden Rhythmus von Leonid Agutin und Al di Meola, ihr »Cosmopolitan Life« hetzt und befeuert ihn, immer weiter, immer schneller. Bis er, keuchend vor Lust, endlich innehalten muss. Tief, ganz tief vergräbt er sein Gesicht in der klebrigweichen Wärme zwischen ihren riesigen Brüsten. Sie riecht und schmeckt exotisch süßlich; ein betäubender Sinnesmix, ein wahrer Overkill aus Krimsekt, Bodylotion und Parfüm.

Urplötzlich beginnt sein Kopf zu schmerzen. Ein Schmerz, wie er ihn noch nie erlebt hat. Steinhart pocht es hinter seiner linken Schläfe, der Schmerz drückt bis an sein Auge.

Dann schlagartig Totenstille – lachend presst sie ihm die schweren Brüste auf die Ohren. Er hört und sieht nichts mehr, er bekommt plötzlich keine Luft mehr. Die Angst kocht hoch, siedend heiße Todesangst schießt durch seine Brust.

Und dann der Blitz, der Feuerball! Direkt unter der Schädeldecke, was für ein unfassbar großer, dunkler Schmerz!

Wie ein Sack, wie ein großer nasser Sack, rutscht er langsam an Juanita ab, bis ganz nach unten, bis auf den Boden. Er hört es nicht mehr, wie die Kollegen Bundestagsabgeordneten, nur noch in Unterhosen, lachend und grölend in Raupenformation hereinkrabbeln.

»Manni, Manni! Was ist los mit dir? Nicht schwächeln, na sdrowje, towarischtsch!«

Letzte Meldung: MdB: Hirnschlag! Tragödie in Kiew.

MdB Dr. Manfred Nassel liegt im Koma. Wie sein Büro soeben mitteilte, befand sich Dr. Nassel auf einem Arbeitstreffen der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe in Kiew. Im Rahmen des dichtgedrängten Terminplans brach er dort bei einem intensiven Informationsaustausch mit örtlichen Wirtschaftsvertretern zusammen. MdB Dr. Nassel war bekanntlich auch für die Bundestagswahlen am 24. September wieder als Direktkandidat nominiert.

Wie der Bundeswahlleiter auf Anfrage unserer Zeitung mitteilte, kann nach den Vorschriften des Bundeswahlgesetzes kein Ersatzkandidat mehr für den jetzt im Koma liegenden Dr. Manfred Nassel nachnominiert werden. Für das Direktmandat des Wahlkreises ist damit nach aktuellen Umfragen Sylvia Freyberger; deutlich vor Hannes Förster; die aussichtsreichste Bewerberin.

Tag 1

Hier habe ich ihr damals den Kopf abgeschnitten.

Unruhig starrt Dirk Lepky durch das Seitenfenster des Polizeikombis.

Weinberge säumen den schwarzgrauen Fluss. Gleich muss die Wohnbebauung am Hang dort drüben anfangen, gleich muss der alte graue Wohnblock kommen. Vier Stockwerke nur.

Wo ich sie langsam ausbluten ließ. In ihrer zerkratzten, stumpf gescheuerten weißen Wanne. Was war das für ein Gegurgel damals. Und immer wieder zuckte ein Teil. Bis auch ihr letzter Finger endlich ruhig war.

Der Bulle auf dem Beifahrersitz dreht sich um. Fragt ihn nach dem Mittagessen vorhin. Er ignoriert ihn. Seit Fahrtbeginn regen sich die beiden Grauhaarigen über ihren Kantinenfraß auf.

Draußen ziehen dunkle Bäume vorüber. Der blau-weiße Wegweiser zur Autobahn.

»Scheißkartoffelsalat«, stöhnt der Bulle jetzt und krümmt sich tief in den Beifahrersitz. »Diese elende Drecksmayonnaise! Oahh … fahr mal rechts ran, schnell!«

Ächzend schwingt er sich aus dem Wagen, watschelt gebückt über das Straßenbegleitgrün und schafft es gerade noch hinter eine Schlehenhecke. Durch die offene Wagentür hört man Stöhnen, dann ein heftiges Prasseln, das den sanften Regen übertönt.

Frische kühle Luft zieht in den Wagen. Erstaunt sieht er, wie auch der Fahrer jetzt mit schmerzverzerrter Grimasse seinen Gurt löst. In seinem Nacken beginnt es zu kribbeln.

Seine eigene Stimme klingt heiser vor Aufregung: »Hey, mich zerreißt’s gleich! Lass mich mit raus!«

»Spinner. Du wartest hier«, presst der Fahrer mit verkniffener Miene hervor und zieht den Schlüssel ab.

»Dann scheiß ich euch die ganze Schüssel ein, schnell, lass mich mit!«

Es ist so einfach. So unfassbar einfach.

Nach zehn Jahren, vier Monaten und drei Tagen Hochsicherheitstrakt: Einfach loslaufen!

Ein atemloser Spurt, im Zickzack, über die kleine Wiese, ein unsichtbarer Kirchturm schlägt gemütlich fünfzehn Uhr. Er schlägt Haken, wie bei den Jailhouse Baskets, zwischen ein paar Birken durch, über den Bahndamm hinüber.

So unfassbar einfach.

Nur weil zwei Hauptwachmeister die große Scheißerei bekommen. Und noch größere Angst um ihre sauberen Rücksitze.

Dem salmonellenverseuchten Kartoffelsalat in der Personalkantine sei Dank: Ein paar winzig kleinen Bakterien ist es tatsächlich gelungen, ihn, die »Rhein-Main-Bestie«, zu befreien …!

Seine Augen leuchten. Keuchend hetzt er weiter, an einer schier endlosen Reihe abgestellter Güterwaggons entlang.

Und Professor Oßwald, der Gutachter; starrt jetzt missmutig auf die Uhr; spielt ungeduldig mit seinem silbernen Stift …

Nein, der Strafgefangene Dirk Lepky steht heute nicht zu deiner Verfügung; nein, der Strafgefangene Dirk Lepky lässt heute keine Messungen und Kontrollaufnahmen zu …

Nein! Der Herr Lepky scheißt auf deine Studie!

Der Herr Lepky ist nicht mehr gefangen, der Herr Lepky ist FREI … FREI … FREI!

Der ICE 599 bremst ab. Leise zischend rollt er auf Gleis 9 des Frankfurter Hauptbahnhofs ein. MdB Sylvia Freyberger, seit Hanau allein in ihrem Erste-Klasse-Abteil, hat ihre schwarzen Zweihundertfünfzig-Euro-Pumps ausgezogen. Sie stemmt ihre Füße gegen den Sitz vis-à-vis und lacht ins Telefon.

»Übertreib nicht so, Dörte! ›Sechser im Lotto‹, also nein, einen Hirnschlag wünsche ich niemandem, nicht mal dem Kollegen Nassel … Doch, doch, das kannst du mir glauben!« Sie kichert und dreht vergnügt an ihrer Perlenkette. »Aber stimmt schon, ohne ihn als Direktkandidaten kann ich wesentlich ruhiger schlafen. Endlich nicht mehr zittern müssen wegen meines Listenplatzes … Bei allem Respekt, aber wenn ich das Direktmandat jetzt nicht hole, wann dann? Dieser Rechts-Kandidat Hannes Förster ist ein mittelmäßiger Ex-Schüler von mir, Polizistensöhnchen mit einer Werbeklitsche, ich bitte dich! Ob die Schwarzen sich hinter dem versammeln … Hey, was ist das denn?«

Irritiert sieht sie aus dem Fenster: Etliche schwer bewaffnete Bereitschaftspolizisten, breitbeinig und kaugummikauend, stehen auf dem Bahnsteig.

»Hier wimmelt’s vor Schwarzen! Bereitschaftspolizei, diese gepanzerten Möchtegern-Supermänner, du weißt schon … Mindestens dreißig Mann steigen jetzt in den ICE ein, wird doch keine Terrorwarnung sein? Melde mich später wieder!«

Sie schlüpft gerade in ihre Pumps, als die Tür schon aufgeschoben wird. »Gu-tn Taag«, zwei Mann, ihre Blicke rasen durch das Abteil.

»Können Sie mir sagen, was hier eigentlich los ist?« Sylvia Freyberger reckt das Kinn und präsentiert ihren Parlamentsausweis. »Wen oder was suchen Sie hier?«

Die Polizisten studieren kurz den Ausweis, bevor sie ihn betont desinteressiert zurückreichen.

»Personenfahndung«, sagt einer schmallippig, als sie sich zum Gehen wenden.

»Nach wem?«, ruft sie ärgerlich.

»Das wollen Sie lieber nicht wissen. Frau Abgeordnete.« Robust schiebt er die Tür hinter sich zu.

Im Gang stehen inzwischen vier Polizisten, die, nach kurzer Absprache, die nächsten Abteile durchkämmen.

Kommissar Charly Herrmann poliert lustlos den vorderen linken Kotflügel seines schwarzen 78er Alfa Spider. Aus den Boxen leiern Mick Jagger und Kollegen ihr ewig gleiches »I can’t get no, oh no, no, no, hey, hey, hey, that’s what I say«.

Abgenudelt, abgedroschen. Selbst als Klingelton auf dem eigenen Handy langsam nervig.

Er wirft den Lappen auf die Motorhaube und lässt sich auf den eingestaubten Gartenstuhl fallen. Selbst hier, im Schatten der Garage, sind es gefühlte fünfunddreißig Grad. Der gnadenlose Spätsommer kennt heuer kein Pardon.

Ein durstiger Zug aus der Bierflasche.

Kein Bier vor vier? Früher mal. Jetzt heißt es: höchstens zwei vor drei. Oder höchstens drei vor zwei?

Egal, es ist die erste Urlaubswoche. Und die fühlt sich hier allemal besser an, als mit Marietta last minute irgendwo im Süden. Zehn Tage in die Sonne knallen? Nur BILD lesen, am Pool dösen, über lackierte Fußnägel lästern, sich morgens und abends über irgendwelche Russen am Büfett ärgern?

Nicht mehr mit mir.

Mit zwei Kumpels mal nach Norwegen, bis zum Polarkreis hoch. Oder USA/Kanada, der Indian Summer, an den großen Seen. Natur pur. Schweigen, Ruhe. Das wäre echte Erholung. Budgetmäßig leider noch nicht drin.

Dann aber auch keine faulen Kompromisse wie »a Wöchla MTB im Allgäu«. Dann lieber zu Hause bleiben und das große Ziel nicht aus den Augen verlieren …

Jäh wird er aus seinen Gedanken gerissen.

»Servus, Charly.« Dazu der typisch röhrende Begrüßungslacher, den er unter Tausenden heraushört.

Bernie Winter, der faltig braun gebrannte Ex-Kollege, die unverwechselbare Mischung aus Dieter Bohlen und Rod Stewart. Nach dubiosen Milieugeschichten vor einigen Jahren aus der Kripo ausgeschieden, erst den größten Sicherheitsdienst der Region (seCOrity) aufgebaut, jetzt in der Immobilienbranche auf Mallorca aktiv.

»Muss doch mal nach dem Rechten schauen, wenn ich in deinem Revier bin!«

Kurze Umarmung. Charly schnuppert. Kaum wahrnehmbar, der schwache Hauch eines weiblichen Parfüms. Er grinst.

»Weibergeschichten, wusst ich’s doch. Was sonst treibt dich hierher.« Er greift in den grünen Kasten, wirft ihm ein Gampertbräu zu und deutet mit dem Kinn zur Garagenwand, wo an einer Schnur der angerostete Öffner hängt.

»Alles wie früher, Charly.«

»Der Bieröffner? Oder die Weibergeschichten?«

Die Flaschen klackern. Zwei wohltuend tiefe, synchrone Züge.

»Ahh …« Bernie leckt sich über den Mund. »Nichts gegen San Miguel. Aber so ein frisches Fränkisches …« Breitbeinig setzt er sich auf einen wackligen kleinen Arbeitshocker. »Im Übrigen, was heißt Weibergeschichten. Bin auf Malle dick im Geschäft, aber weil ich hier noch gemeldet bin, will ich auch hier wählen. Außerdem, ganz wichtiges Klassentreffen. Hab doch jahrelang keinen und keine mehr gesehen. Muss sagen, das war ein Fehler.«

»Jetzt sag nicht, beim Klassentreffen schlug der Blitz ein«, spöttelt Charly.

»Und wie er einschlug, wenn ich’s dir sage.« Bernies Jacketkronen, es müssen die dritten sein, schimmern perlmuttweiß. »Könnte echt was werden. Die Kleine aus der ersten Reihe. Jetzt isse Steuerberaterin.«

Charly zieht die Brauen hoch. »Doch nicht die …?«

»Genau die …!«

Die Flaschen klackern erneut. Charly macht als Erster leer. Zielsicher lässt er sie zurück in den Kasten klappern.

»Ich glaub’s ja nicht. Back to the roots, ausgerechnet du, der Global Player in Sachen Liebe?«

»Tja, alles hat seine Zeit, Kollege. Nix Parship, nix Internet: Lass den Fick in deiner Stadt!«

»Is auf Dauer auch keine Lösung.« Charly erleichtert sich durch sanftes Aufstoßen. »Manchmal eher Teil des Problems.«

Bernie zückt ein weiß-rotes Fortuna-Päckchen.

Fumar puede matar. Rauchen kann tödlich sein.

Bedächtig klopft er eine Kippe heraus. »Klingt gar nicht gut. Wie läuft’s mit Marietta?«

Charly winkt müde ab. »Der Kick ist weg. Vom Alltag erstickt. Kleine Machtspielchen, ständige Besserwissereien. Genauso wie im Job. Du kennst das doch.«

Bernie stößt Rauch aus. »Dann mach ’nen Cut, Alter! Weißt doch, wie’s geht, bist doch kein Anfänger.«

Charlys Blick wandert über Bernies blonde Mähne hinweg, aus der Garage hinaus, verliert sich in der Ferne, hoch am blauen Himmel über der Stadt.

»Vielleicht hätte ich doch aussteigen sollen. Damals, mit dir zusammen.« Blind, ohne hinzusehen, tastet er hinter sich im Kasten nach einem neuen Bier.

Hält inne. Stößt die Flasche ärgerlich wieder zurück.

»Die Gier fehlt, Bernie. Wo ist verflucht noch mal die alte Gier? Und dann will sie mir immer wieder ein Gespräch über Midlife-Crisis reindrücken. Wenn ich das schon höre. Diese Frauenzeitschriften-Erfindung!«

»Der frühen Siebziger!« Bernie feixt. »Hab ich kürzlich erst gelesen, kannst du ihr ruhig mal unterjubeln: Die Midlife-Crisis hat sich 1974 ’ne Frau ausgedacht, ’ne Amerikanerin. Hieß auch noch Gail mit Vornamen. Gail Sheehy oder so ähnlich.«

»Nicht zu fassen! Und daraus wurde eine der verheerendsten Waffen …«

»… der psychologischen Kriegsführung …«

»… gegen Männer im besten Alter!«

Langsam verebbt ihr Gelächter wieder. Die Gesichter entspannen sich. Und plötzlich, wie auf ein geheimes Kommando, fixieren sie sich. Der Bulle und der Ex-Bulle.

Schweigend. Endlos lange.

Bis sich Bernie nach vorn beugt. Langsam, immer weiter, bis sich seine angeschwitzten Strähnen gegen Charlys harte Stirn pressen.

»Lass dich bloß nicht von ihr unterkriegen, Charly«, sagt er leise. »Ich kenne das. Scheiß auf Midlife-Crisis oder Burn-out. Du musst nur eins wiederfinden. Das, was in unserem Alter noch wichtiger ist als früher.«

»Spuck’s aus.«

»Deinen Trigger. Jeder Bulle, jeder Mann hat seinen ganz persönlichen Trigger.«

»Scheiße!« Wütend schlägt Charly gegen das Lenkrad seines 78er Alfa Spider.

»Scheiße sagt man nicht, Opa«, kommt es postwendend vom Rücksitz.

»Stimmt, Chiara. ’tschuldige. Hab mich nur geärgert, dass die mit ihren Wahlplakaten jetzt schon die Parkplätze am Kindergarten blockieren. Das dürfen die doch gar nicht … Wir bleiben jetzt einfach hier stehen!« Er steigt aus und klappt seinen Fahrersitz nach vorn.

Chiara klettert heraus, ihre Gummistiefelchen streifen an und hinterlassen braune Spuren an seiner Lehne. Charly verkneift sich die bei jedem anderen Mitfahrer ansonsten dringend gebotene Unmutsäußerung.

»Da, den Mann kenn ich!« Sie zeigt auf das Plakat eines breit lächelnden, dunkelhaarigen Mittdreißigers im Halbprofil, ein dunkelblaues Sakko betont lässig am Zeigefinger über seiner Schulter.

Hannes Förster – Für uns durchstarten nach Berlin!

»Das ist der Papa von Kim und Lina!«

»Und euer Elternbeiratsvorsitzender, ich weiß, hat mir alles deine Mama erzählt«, sagt Charly. »Und, kennst du auch die hier?«

Gepflegte seriöse Freundlichkeit, dezent gestylter Wuschelkopf.

Sylvia Freyberger – ökologisch, sozial, erfahren!

»Nö.« Chiara bleibt vor dem Plakat stehen und bohrt ein Fingerchen in ihre Nase. »Wer is das?«

»Na, das ist doch die, äh … die Freundin … die beste Freundin von Nicky! Von eurer Frau Langguth!«

»Die Nicky kenn ich. Aber die alte Frau da ned. Das muss ich ihr gleich sagen!« Eifrig dreht sie sich um und rennt Richtung Eingang.

»Alte Frau? Die ist so alt wie ich!«

Grinsend folgt Charly ihr in das lärmende Gewusel und hält sich diskret im Hintergrund. Die hübsche Nicky, die männlichen Flirtversuchen gegenüber zwar resistent, ansonsten aber eine sehr charmante, schlagfertige Unterhalterin ist, ist leider nicht zu sehen.

Hinter der angelehnten Bürotür mühsam unterdrückte, erregte Frauenstimmen. Instinktiv spitzt er die Ohren.

»… wenn der Elternbeiratsvorsitzende spontan ein paar private Bonbons für die Kinder auspackt, ich bitte dich!« Eine dunkle, tiefe Frauenstimme, wie in den Sechzigern Alexandra, denkt Charly, mein Freund, der Baum … Eindeutig Nicole Langguth, die Chefin.

»Jetzt hör aber auf! Als ob es um Bonbons für die armen Kinderchen geht!« Und das ist eindeutig Nickys Lebensgefährtin, die MdB. Sylvia Freyberger wird merklich lauter. »… in Parteifarben verpackt – durchbeißen, durchstarten, HF für uns!–, hier, mitten in deinem Kindergarten, das ist dermaßen dreist und unverschämt, und du tolerierst das auch noch, unglaublich!«

Die Tür wird aufgerissen, die Abgeordnete rauscht mit klackernden Absätzen und dezentem Parfümwölkchen heraus – und legt blitzartig den Schalter um.

»Ah, Herr Kommissar, grüße Sie«, der unvermeidlich routinierte, fast männlich anmutende Händedruck, »na, was macht die Kunst? Hier sind wir uns aber noch nie begegnet!«

»Spätschicht heute. Da springt man eben mal ein.«

»Tja, was wär unsere Volkswirtschaft ohne Omas und Opas, meine Rede … Wiederschauen, Herr Herrmann, Grüße an Ihren Chef!« Schon eilt sie weiter, dreht sich dann noch einmal winkend um. »… und natürlich an alle Kollegen!«

»Scho recht«, brummt Charly. Während er ihr hinterherschaut, überlegte er, was ihn eigentlich so stört an Sylvia Freyberger.

Ist es nur ihre anbiedernd-aufgesetzte Leutseligkeit, gerade jetzt im Wahlkampf? Oder ihre frühere Rechthaberei als Oberstudienrätin für Englisch und Französisch, jahrelang gefürchtet von Chiaras Mama, seiner Tochter Valerie?

»Hi, Charly!« Nicky kommt aus ihrem Büro und wirft ihm rasch ihr unwiderstehliches Sommersprossen-Lächeln zu. Einen Moment länger und intensiver als sonst …?

»Hey!« Es ist Eifersucht, stellt er erstaunt im gleichen Moment fest. Ein Stück ehrliche Eifersucht auf Nickys Lebenspartnerin, die Frau Abgeordnete.

»Satisfaction«. Sein Klingelton holt ihn zurück.

Anruf Bruno. Bruno Förster, der pensionierte Kollege. »Bruno, alter Gedankenleser!«

»Wieso …?«

»Bin grad am Kindergarten, sag deinem Junior, er soll seine Plakate sauber aufstellen! Blockiert hier einen Stellplatz, zusammen mit der Frau Abgeordneten, pardon Noch-Abgeordneten.«

»Charly!« Försters Raucherstimme verfällt in altbekannte Aggressivität. »Keine anderen Probleme? Nein? Aber jetzt! Pass auf, was sagst du dazu: Die Bestie, die »Rhein-Main-Bestie« … ist auf der Flucht!« Er atmet schwer, sein leichtes Asthma paart sich unüberhörbar mit wollüstiger Erwartung.

Die Bestie.

»Du erinnerst dich? Ich schlitz euch auf wenn ich wieder draußen bin!«

Widerwillig spürt Charly ein Frösteln über seinen Rücken kriechen. Chiara verschwindet gerade mit zwei Freundinnen im Gruppenraum.

Er presst das Handy ans Ohr, geht rasch hinaus. »Lepky ist draußen? Verdammt noch mal, wie gibt’s denn das …?«

Die Ampel ist dunkelgelb, Charly tritt das Gaspedal zum Anschlag durch.

»Steffen«, brüllt er ins Handy, »ist der Chef da? Ich brech den Urlaub ab, sofort! Und ich brauch alles über die Flucht von Dirk Lepky heute! Wo, wann, wie; einfach alles! Und such mir seine alte Akte bei uns raus! Ja, Lepky, Dirk Lepky, Festnahme 2006, Urteil 2007! Bin in zwei Minuten da!«

Er feuert das Handy auf den Beifahrersitz, die Ampel zweihundert Meter vor ihm am Kaufhof springt auch schon auf Gelb.

Cool down, man. Dreh jetzt nicht durch.

Lepky ist nicht der Einzige, den du hinter Gitter gebracht hast und der jetzt wieder draußen ist.

Mit einer Hand fingert er das Wrigleys-Päckchen aus seiner Brusttasche, drückt sich einen Kaugummi direkt in den Mund.

Aber er ist der einzige Fünffachmörder.

Er ist der Erste, der ausbricht.

Und er ist der Einzige, der dir persönliche Rache geschworen hat.

»Fünf Morde in achtundzwanzig Monaten. Fünf Frauen. In ihren Wohnungen überfallen, vergewaltigt und grauenhaft zugerichtet. Wahre Blutbäder. Ein doppelter Kehlkopfschnitt war sein Markenzeichen. Immer in Hochhäusern und Wohnungsblocks. Dormagen, Troisdorf, Mannheim, Schweinfurt, Aschaffenburg. Das war die ›Rhein-Main-Bestie‹, Steffen.«

KK z. A. Siller nickt. »Sagt mir auch noch was. Ein Riesen-Hype, war sogar in unserem Konfirmandenunterricht damals ein heißes Thema.«

»Der Typ gehörte einer Drückerkolonne im Rhein-Main-Gebiet an. Zeitschriftenvertrieb. Und er hat schon im Gerichtssaal blutige Rache angekündigt.« Charly blättert die erste Akte des Stapels auf seinem Schreibtisch auf. »Hier, April 2007.«

Neugierig beugt sich Siller mit über den alten Zeitungsausschnitt.

Lebenslänglich für Dirk Lepky

Eklat im Gericht: Blutiger Racheschwur

FRANKFURT (dpa). Zu lebenslänglich mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilte das LG Frankfurt heute den Sexualmörder Dirk Lepky. Zu einem Eklat kam es nach der Urteilsverkündigung, als Lepky im Gerichtssaal zu brüllen begann: »Ich schlitz euch alle auf! Richter; Staatsanwalt und die zwei Bullen, die mich verhaftet haben!« Er wurde von zwei Justizwachtmeistern überwältigt und aus dem Saal getragen (Foto).

Lepky hatte 2004 bis 2006 im Rhein-Main-Gebiet fünf Frauen in ihren Wohnungen überfallen, vergewaltigt und auf sadistische Art und Weise ermordet. Von den Boulevardmedien wurde er als »Rhein-Main-Bestie« tituliert. 2006 fasste ihn die Polizei im oberfränkischen Coburg.

»Wow, er schlitzt euch auf?«, feixt Siller und boxt Charly in die kurzen Rippen. »Da zuckt die Wampe, Kollege, oder? Wie habt ihr den eigentlich geschnappt damals?«

»Von wegen Wampe!« Ärgerlich fegt Charly die Faust des Kollegen zur Seite. »Mein Sixpack ist schneller wieder ausgegraben, als du dir einen neuen anlegst.«

Siller winkt spöttisch ab. »Und damals?«

»Damals? Das war feinster kriminalistischer Instinkt; das, was euch allen so abgeht. Okay, war natürlich Zufall, dass Bruno und ich damals auf dem Marktplatz waren. Nur ein paar Schritte weiter. Einer vom Städtischen Ordnungsdienst hat ihn dort gerade ermahnt, weil er seine Kippe weggeschmissen hat. Bisschen schroff vielleicht. Und als er ihm dann noch unterstellt hat, er habe das letzte Woche schon gemacht, ist Lepky völlig ausgetickt. ›Lüge, ich war letzte Woche in Aschaffenburg!‹, brüllt er den Ordnungsdienstler richtig aggressiv an …« Charly verstummt. Nachdenklich nagt er an seinem gelb-roten Kugelschreiber. LOTTO Bayern.

»Ja und? Weiter?«

»Da hat es bei mir Klick gemacht. Aschaffenburg. War noch frisch im Hinterkopf. Hier, alles noch da …« Charly zieht einen dünnen Hefter aus dem Aktenstapel.

Hausfrau brutal ermordet – war es die »Rhein-Main-Bestie«?

ASCHAFFENBURG. Eine 54-jährige Hausfrau wurde gestern Nachmittag in ihrer Wohnung im Fichtenweg im Stadtteil Nilkheim grausam ermordet. Eine Nachbarin alarmierte die Polizei, nachdem sie Schreie und seltsame Geräusche aus der Wohnung gehört hatte. Die Beamten brachen die Tür auf konnten aber nur noch den Tod der Frau feststellen. Bis Redaktionsschluss war unklar; ob es sich um einen weiteren Mord der »Rhein-Main-Bestie« handelt, die in den letzten Monaten bereits vier Frauen in Hessen und Franken gefesselt, gequält und ermordet hat. Die Polizei bestätigte bislang lediglich einen »gewaltsamen Tod«. Auf einer Pressekonferenz sollen heute weitere Informationen bekannt gegeben werden.

»Wir haben ihn mitgenommen, weil er dem Ordnungsdienstler vor unseren Augen eine gewischt hat. Personalienfeststellung, volles Programm hier bei uns. Drücker stehen sowieso unter Generalverdacht. Und auf seiner Jacke ist mir ein kleiner dunkler Fleck aufgefallen. Der hat ihm letztlich das Genick gebrochen. Das war eingetrocknetes Blut seines letzten Opfers.«

Charly blättert weiter bis zu ein paar verblassten Faxseiten. »Dazu hab ich mir von den Kollegen aus Aschebärsch dann das hier faxen lassen. Auszug aus der Mordakte. Der Kollegin Dippold, damals Anwärterin bei mir, ist richtig schlecht geworden.«

Auffindesituation: Die Tote liegt nackt auf der linken Körperseite in der Badewanne, umgeben von einer großen Blutlache. Die Füße zeigen zum Abfluss. Die Augenpartie ist mit Panzerklebeband fest verklebt, mit dem gleichen Klebeband sind Hände und Füße gefesselt. Der BH ist direkt unter dem Kinn fest um ihren Hals gewickelt. Direkt darunter klafft der Hals in seiner gesamten Breite weit auf. Luft- und Speiseröhre, ebenfalls durchschnitten, sind deutlich zu erkennen. Im Brustbereich ca. 12-15 Einstiche, wahllos verteilt. Am Unterleib, zwischen Rippenbogen und Scham, mehrere, teilweise ineinander übergehende Schnittstichwunden, die offenbar mit großer Wucht und Schnelligkeit ausgeführt wurden. Außerhalb der Badewanne keine sichtbaren Blutspuren.

»Dirk Lepky war die ›Rhein-Main-Bestie‹, Steffen. Und ich habe ihn mit Bruno zusammen geschnappt.«

Auch die letzten blauen Streifen am Himmel sind jetzt verschwunden. Stein-, graphit- und bleifarben, in allen nur denkbaren Grauschattierungen haben sich mächtige Wolkengebirge ausgebreitet.

Passend zur Gemütslage, denkt Charly. Gedankenverloren, ein Toastbrot, den Kicker und den Autoschlüssel in der Hand, schlendert er über den »tegut«-Parkplatz.

»Hallooo, Herr Kommissar!«

Aus dem unscheinbaren VW Golf neben ihm schiebt sich ein hamsterbäckiges Grinsen. Unrasiert, gelb verfärbte Zähne, markante Buddy-Holly-Brille. Lunz von der BILD. Wortführer der Scheißhausfliegen, der »SHF«, wie die Boulevardschreiberlinge polizeiintern codiert sind.

Charly belässt es bei einem kurzen Nicken, »’n Abend«, murmelt er und schlendert betont desinteressiert weiter.

Lunz steckt sein Smartphone weg und schwingt sich aus dem Wagen.

»Lepky auf der Flucht! Ist das nicht ein Hammer?«, heftet er sich atemlos an Charlys Fersen. »Sie haben ihn damals zur Strecke gebracht! Sie sind in seinem Visier!«

»Anfragen an die Pressestelle, Lunz. Sie kennen die Spielregeln.«

»Gefahr im Verzug, maximales öffentliches Interesse, Herr Kommissar!« Gehend und redend zugleich, stopft Lunz sich das zerknitterte Leinenhemd in die Hose. »Kommissar Herrmann: Angst vor rachelüsterner Bestie, scheut sogar vor jeder persönlichen Äußerung zurück! Wie gefällt Ihnen das?«

»Einmal Arschloch, immer Arschloch. Wo hab ich das bloß gelesen? Weiß gar nicht, warum mir das plötzlich einfällt. Nix Persönliches, Lunz.« Er schließt die Fahrertür seines Alfa Spider auf, wirft Toastbrot und Zeitung auf den Beifahrersitz.

Lunz lässt nicht locker. Er krallt sich an der offenen Tür fest.

»Lepky ist der reinste Lottosechser für uns! Die ›Rhein-Main-Bestie‹ reloaded, die grausigen Taten damals, die potenziellen Opfer heute, wie wollen Sie diesem Hype entkommen? Machen Sie das Beste draus, spielen Sie mit, Herrmann!«

Er kann gerade noch seine Finger in Sicherheit bringen. Mit quietschenden Reifen startet Charly vom Parkplatz, lässt die Stones aus den Boxen dröhnen.

»… you can’t alwaysget what you want, you can’t always get what you want!«

»Schau doch mal, diese wunderbaren Grauschattierungen, Friedrich! Diese Wolkenschichten, da drüben, über den Weinbergen!« Die silberhaarige Frau im Rollstuhl lächelt ihn liebevoll an.

Friedrich Carl, ehemaliger Vorsitzender Richter am Landgericht Frankfurt, reagiert nicht. Das leere Rotweinglas in der Hand, starrt er von der Terrasse über den kurz geschorenen Rasen zur Hecke hinab, die das Grundstück umgibt.

Ist sie dicht genug?

»… da könnte ich sämtliche Blei- und Graphitstifte nutzen, die ich habe, alle Härtegrade, von 8B bis F, schau doch nur diesen Himmel an! Friedrich? Ist etwas? Du bist so still, seit du in der Wohnung warst … Was ist nur los?«

Er stellt das Weinglas auf den dunklen Holztisch zurück. »Nichts, Liebes. Gar nichts.«

Hab nur die Nachrichten gehört. Und sofort diesen geifernden Psychopathen im Gerichtssaal vor Augen gehabt.

»Alles gut, Liebes. Lass uns reingehen. Es wird bald regnen, ich spür schon meine Knie.«

»Geh – geh – geh! Und jetzt steil spielen, steil! Ge-nau-er spielen!«

Typisches Trainergebrüll. Donnerstagabend auf deutschen Fußballplätzen.

Folge dem Flutlicht! Es war die richtige Eingebung.

Vorsichtig drückt er sich an der dunklen Wand entlang. Ein kleines Sportheim, das schon bessere Tage gesehen hat. Auf dem Sandplatz zwei Handvoll Spieler, die sich, in gelben und roten Leibchen, zwischen Mittelkreis und Strafraum einer Hälfte tummeln.

Und, viel wichtiger: eine unverschlossene Tür!

Blitzschnell schlüpft er hinein, nur drei, vier Schritte bis in die Umkleidekabine.

Schlaraffenland! Freie Auswahl!

Habichtsgleich fährt sein kleiner Kopf herum, sichtet und sichert zugleich.

Hier, eine schwarze Regenjacke. Sofort überstreifen! Eine Geldbörse lugt aus einer Jeans. Zwei Zwanziger, raus damit und einstecken!

Draußen: immer noch Flutlichtgebrüll. Gut so!

Ein schwarzer Billig-Rucksack fällt ihm ins Auge. Kein auffälliges Label, leer, bis auf Duschgel und Handtuch – perfekt!

Die Jeans hier könnte passen … hinein in den Rucksack! Hier das Sweatshirt, dort das T-Shirt … hineinstopfen!

Jetzt nur noch ein schneller Kassensturz, wo stecken die anderen Portemonnaies, in den Hosen oder den Sporttaschen, alles wie vor zwanzig Jahren, nichts hat sich geändert; vier Zehner, drei Zwanziger, ein Fünfziger … geil, Glückssträhne!

Triumphierend stopft er sich die Scheine in die Hose. Plötzlich, ein Geräusch im Gang! Kommt gleich jemand? Leichtfüßig springt er auf die Bank, öffnet das weit oben liegende Fenster und hangelt sich an der Rückseite des Sportheims vorsichtig hinaus.

Die Nacht ist mein Freund.

Ein adrenalinbefeuerter Sprint über die Bundesstraße, dann verschluckt ihn wieder die Dunkelheit.

Tag 2