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Sie sind vernarrt in Frittiertes, züchten die schönsten Tulpen (und wässrigsten Tomaten) der Welt - und lieben nichts mehr als Urlaub im Wohnwagen. Annette Birschel lebt seit über zehn Jahren im Land der Kaufleute und Pfarrer. In ihrem Buch gibt sie Antworten auf Fragen, die uns Deutsche seit jeher beschäftigen: Warum hassen Holländer Gardinen? Schmecken Bitterballen wirklich bitter? Und wieso muss im Oranje-Land immerzu alles lekker, leuk und makkelijk* sein? Eine überfällige Bestandsaufnahme unseres sympathischen Nachbarn im Westen - mit Humor und feinsinnigem Spott erzählt. * übersetzt etwa: toll, lustig und unkompliziert
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Das Buch
Die deutsche Autorin und Journalistin Annette Birschel lebt seit über fünfzehn Jahren unter Holländern und weiß: Das Leben hinter den Deichen hat seine besonderen Tücken. Man macht sich zum Beispiel äußerst verdächtig, wenn man Gardinen im Wohnzimmer aufhängt. Bei Geburtstagsfeiern sollte jeder Gast nur ein Stück Kuchen essen (und wirklich nur eins!). Und Sinterklaas, der holländische Nikolaus, kommt schon Mitte November in den Niederlanden an – und zwar auf einem Dampfschiff. Die Niederländer sind anders, als wir Deutschen denken, und dennoch sind sie uns ähnlich. Davon erzählt Annette Birschel. Es ist die Geschichte einer Liebe auf den zweiten Blick.
Die Autorin
Annette Birschel, geboren 1960 in Braunschweig, aufgewachsen in Bremen, lebt seit vielen Jahren als freie Korrespondentin in Amsterdam und arbeitet für deutsche Medien, unter anderem für den WDR Hörfunk
Annette Birschel
Mordsgouda
Als Deutscheunter Holländern
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Juli 2011
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2011
Umschlaggestaltung und Gestaltung
des Vor- und Nachsatzes: Sabine Wimmer, Berlin
Titelillustration: © Isabel Klett
Satz und eBook:
Prolog
Irgendetwas war anders, das konnte ich riechen. Schon auf der Treppe. Fett. Der typische Amsterdamer Freitagabendgeruch. Und richtig, im Esszimmer von Jan und Hetty stand mitten auf dem Tisch die Fritteuse.
Eigentlich war das nichts Außergewöhnliches. So war es seit Jahren, jeden Freitag, wenn wir uns bei unseren Freunden zum borrel trafen mit Kind und Kegel, Mann und Maus. Den Mann gab es in meinem Leben zwar nicht mehr, aber die Tradition dieses geselligen Umtrunks zum Wochenabschluss war geblieben. Nun erklommen nur noch mein Sohn Marten und ich freitags um 18 Uhr die steile Treppe in den dritten Stock.
Sonst hatte sich eigentlich nichts geändert – nur dass die Fritteuse verschwunden war. Wahrscheinlich verstaubte sie im Schrank auf dem Boden. Obwohl, ich bin mir nicht sicher, ob Hetty und Jan nicht klammheimlich den Apparat hervorholten, wenn wir wieder abgezogen waren, um spätnachts doch noch in den Genuss der ein oder anderen kleinen Schweinerei zu kommen.
Denn was ist schon ein echter niederländischer Freitagabend-borrel ohne Fett: kleine Frühlingsröllchen, loempias, dicke kroketten und bitterballen. Immer wenn es gesellig werden soll, holt der Holländer die Fritteuse aus dem Schrank. Ob das nun auf dem Bauernhof in Drenthe ist, nach einem Gipfeltreffen in Den Haag oder eben im dritten Stock eines Wohnhauses in Amsterdam-Süd: zum stilvollen Abschluss einer Arbeitswoche gehört nun mal Frittiertes. Je fetter, desto geselliger.
In den letzten Wochen schien diese Art der Geselligkeit allerdings unangebracht gewesen zu sein, beinahe pietätlos, mussten sich meine Freunde gedacht haben. Schließlich war ich ja ein Häufchen Elend, glaubten sie zumindest, und so fütterten sie mich mit kalten italienischen Häppchen und Crackern mit französischem Weichkäse. Was mir zugegebenermaßen nicht ganz ungelegen kam.
Dazu schenkten sie mir einen guten alten Jenever ein, oder auch zwei. Der Aschenbecher stand in Reichweite, und es gab keine missbilligenden Blicke, wenn ich mal wieder zum Feuerzeug griff. Auch das war eine nicht zu verachtende Nebenwirkung meines neuen Status der Frisch-Entliebten.
Diese Phase schien nun unwiederbringlich vorbei zu sein. Das konnte ich zuerst riechen und dann auch sehen. Die Flasche Jenever stand nicht mehr vor meinem Teller, der Aschenbecher war auch nicht zu sehen. Und statt Provolone und Parmaschinken lagen nun blässlich-graue Röllchen, Bällchen und Stäbchen auf dem Tisch, und mittendrin stand die Fritteuse. Es sollte also wieder gesellig werden.
Marten hatte sich gleich zu seinen Freunden ins Wohnzimmer verzogen. In der einen Ecke des Sofas hing bereits Piet, seine langen Beine quer über den Couchtisch gelegt, in den Ohren die Stöpsel seines iPods. Und in der anderen lümmelte sein zehnjähriger Bruder Jip. Er hatte seine blonden Haare mit viel Gel straff nach hinten gekämmt, vermutlich in der Hoffnung, mindestens so erwachsen auszusehen wie die beiden anderen. Die waren immerhin schon zwölf.
Dazwischen saß nun also Marten in seinem rot-weißen Ajax-Amsterdam-Shirt. Mit seinen blonden Locken und den neiderregend langen Wimpern hätte man ihn glatt für einen Klon vom kleinen Lord halten können. Das funktionierte allerdings höchstens bei kurzsichtigen alten Damen.
Einträchtig stopften die drei Chips in sich hinein, tranken Cola und starrten gebannt auf den Fernseher, wo sich sprechende Mäuse mit gemeinen, aber dummen Katzen herumschlagen mussten. Sie schenkten mir einen kurzen und glasigen Blick, als ich hereinsah, murmelten kurz »Hallo« und wandten sich dann wieder den wichtigeren Dingen des Lebens zu.
Im Esszimmer stand Jan am Tisch und frittierte. Über seiner Jeans wölbte sich ein kleiner Bauch, von der Hitze der Fritteuse klebte das rotblonde Haar an seinem Kopf und war sein ohnehin etwas rosiges Gesicht nun fast schon rot. Mit seligem Lächeln warf er gekonnt ein paar panierte Fleischbällchen, bitterballen, in das kochende Fett. Dann holte er so einfühlsam, wie er sonst acht Stunden am Tag gefährliche Viren und Spam aus den Computern des Verkehrs- und Wasserministeriums fischte, lange, graue, fingerdicke Wurststengel aus ihrer Plastikhülle. Frikandellen. Als ich das Wort zum ersten Mal hörte, dachte ich an saftige dicke Buletten und bestellte gleich eine. Das kleine ›n‹ mitten in dem Wort hatte ich überhört. Den Fehler macht man nur einmal.
Was in so einer frikandel drin ist, weiß keiner so genau, und es will auch keiner wissen. Aus gutem Grund. Es ist wohl irgendeine Mischung aus Kuheutern und Kalbsgedärmen, angereichert mit feingeraspelten Schweineohren, naturidentischen, EU-geprüften Aromastoffen und Geschmacksverstärkern. Das wird dann in der Fabrik zu den langen viereckigen Stäben gepresst, die die Niederländer so unglaublich glücklich machen können. 600 Millionen frikandellen essen sie im Jahr, nicht ohne sie zuvor in Ketchup und Mayonnaise zu ertränken.
Zwei dieser Monster hielt Jan nun in den Händen und küsste mich: links, rechts, links, ein Küsschen auf die Wange. »Welkom, wir frittieren heute.«.
Na, das war ja schließlich nicht zu übersehen.
»Gezellig, oder?«
Zwölf Jahre Niederlande hatten mich gelehrt, dass es auf diese Frage nur eine Antwort gibt: »Sehr gesellig, sicher.«
»Wir haben auch kaassoufflés.«
Jan zeigte auf die kleinen viereckigen Teigpäckchen, die mit einer entfernt nach Käse schmeckenden Paste gefüllt sind und mit einem Soufflé so viel gemein haben wie der Papst mit Silvio Berlusconi. Dabei lächelte er so glückselig, dass ich auf einmal alles verstand: Der Verzicht auf frittierte Häppchen am Freitagabend musste für Jan und Hetty eine große Entbehrung gewesen sein. Und das nur meinetwegen! Ich spürte eine ungeheure Welle der Zärtlichkeit für meine Freunde aufkommen.
Wenn sie nun der Meinung waren, dass meine Zeit als klagendes Opfer vorbei sein sollte, dann war das gut so. Um ehrlich zu sein, ich hatte die kleinen bitterballen eigentlich auch vermisst. Die sind nämlich alles andere als bitter und heißen auch nur deswegen so, weil man sie früher zu einem Gläschen Kräuterbitter aß.
»Und? Hattest du eine schöne Woche?«, begrüßte Hetty mich munter, als sie aus der Küche kam, in den Händen die Schüssel mit den Fritten. Zur Begrüßung braucht man die auch nicht unbedingt. Die Hände natürlich. Der Niederländer küsst. Links, rechts, links.
Hetty hatte ihre langen braunen Haare straff zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre Brille halb auf die Nase herabgeschoben. Fast ähnelte sie meiner Handarbeitslehrerin, hätten da nicht dicke Perlen lustig von ihren Ohren gebaumelt. Jetzt stellte sie die Pommes auf den Tisch und arrangierte Ketchup und Mayonnaise drum herum. Wir setzten uns.
»Nun sag mal«, meine Freundin sah mich mit ihren Schokoladenaugen auffordernd an, »was tust du jetzt? Gehst du zurück nach Deutschland?«
Um ihre Direktheit habe ich sie immer schon beneidet. Ohne Umschweife und überflüssigen Schnickschnack steuert sie auf ihr Ziel zu. Es ist ja auch außerordentlich zeitsparend.
»Nein, wieso? Warum sollte ich denn zurück?« Ich war verwirrt.
Die Balkontür stand halb offen, so dass einem die feuchte Kälte lustig in die Knochen kriechen konnte, die Kinder saßen mit Chips und Cola gemütlich vor dem Fernseher. Und ich steckte mir gerade einen heißen bitterbal in den Mund. Sehnsucht nach der Heimat hatte ich absolut nicht. Warum auch?
»Na, wo du jetzt keinen Mann mehr hast.«
»Was? Bin ich etwa nichts ohne Mann?«, schnaubte ich. »Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad.«
Ich war richtig stolz, dass mir just in diesem Moment der Emanzenklassiker eingefallen war. Nur – das hätte ich wissen müssen – dieses Argument prallte an Hetty ab wie eine Sturmböe an den Betonlocken von Königin Beatrix.
Nicht, dass meine Freundin ein Hausmütterchen wäre. Im Gegenteil.
Hetty ist Managerin, eine absolute Karrierefrau. Selbst an einem Freitagabend kann sie beinah verklärt von ihrer Arbeit sprechen, als könne sie den Montag und die Aussicht auf eine neue, vollgepackte 40-Stunden-Woche gar nicht erwarten. Nur verbindet sie mit Feminismus eben lila Latzhosen und BH-Verbrennungen vor dem Monument für die Opfer von Krieg und Gewalt auf dem Amsterdamer Dam, dem Platz mitten in der City.
»Das ist Quatsch. Sonst würdest du nämlich jetzt nicht hier sitzen.« Hetty blieb nüchtern und ungemein logisch, wie immer. »Schließlich bist du wegen eines Mannes hierhergekommen. Und jetzt ist der weg. Also kann es gut sein, dass du auch gehst.«
Genau in diesem Moment blieb mir der bitterbal im Halse stecken. Das heißt, die eine Hälfte. Die andere Hälfte fiel mir aus dem Mund, und das heiße Kalbfleischragout tropfte über meine linke Hand auf den blank polierten Esstisch.
»Shit«, sagte ich, und dann selbstverständlich gleich »Sorry« hinterher.
Beides sind ungemein wichtige Wörter.
Holländer lieben Schimpfwörter, vor allem, wenn sie die weiblichen und männlichen Geschlechtsteile umschreiben. Das sagt sich so lekker. Und sorry sagen sie sowieso immer. Wenn sie einem die Ladentür vor der Nase zupfeffern zum Beispiel. Sorry hat nichts, aber auch gar nichts mit ›Entschuldigung‹ zu tun. Sorry heißt so viel wie ›dumm gelaufen‹.
Und nun war ja wirklich etwas dumm gelaufen. Nicht nur, dass ich den Tisch meiner Freunde bekleckert hatte. Ich hatte mich zudem wieder mal zu einem emotionalen Ausbruch hinreißen lassen, hatte beinahe eine Grundsatzdebatte über den Wert der Frau in einer von Männern dominierten Welt vom Zaun gebrochen. Und nichts ist den Niederländern verhasster als heftige Streitgespräche an ihrem heiligen Freitagabend-borrel. Wer das tut, ist ungesellig.
Jan schlug mir kräftig mit der Hand auf den Rücken.
»Allmählich solltest du doch einen bitterbal essen können«, sagte er munter.
Ich hustete noch immer, mein Gesicht war knallrot und die Wimperntusche verschmiert.
»Ja, kann ich auch«, krächzte ich. »Sogar beim Neujahrsempfang von Königin Beatrix.« Ich trank einen Schluck Wein und der halbe bitterbal rutschte endlich dorthin, wo er schon längst hätte sein sollen. »Da passiert mir das nie. Da kann ich bitterballen vom Silbertablett nehmen, in Senf dippen und formvollendet verspeisen. Häppchen für Häppchen. Ohne zu kleckern. Und dabei kann ich auch noch mit dem charmanten Pressesprecher der Dame das deutsch-niederländische Verhältnis erörtern.«
Doch was ich absolut nicht kann, musste ich im Stillen zugeben, ist einen bitterbal essen und dabei angemessen auf eine typisch holländisch-direkte Frage antworten. Warum konnte ich auf eine direkte Frage nicht einfach eine ebenso direkte Antwort geben, ohne Hintergedanken zu vermuten, die die Holländer nun mal meistens nicht haben?
»Das mit dem Kleckern nehm ich dir nicht ab«, sagte Hetty und wischte den Tisch sauber. »Aber alles andere glaube ich dir aufs Wort. Reden kannst du immer.«
Ich nickte zerknirscht. »Es tut mir leid, ich wollte nicht so heftig …«
»Ist schon gut«, unterbrach mich Hetty. »Wir kennen dich ja allmählich.« Sie grinste frech und legte noch ein paar bitterballen auf meinen Teller. »Warum musst du gleich aus allem eine Prinzipienfrage machen?«
Ich nickte beschämt. Ich war meinem Ruf der streitsüchtigen Deutschen mal wieder mehr als gerecht geworden.
»Aber wie ist es denn nun? Gehst du zurück nach Deutschland, ja oder nein? Schließlich bist du für einen Mann hierhergekommen. Ohne den Friesen säßest du doch gar nicht an diesem Tisch.«
Hetty war nicht nur unerbittlich, sondern hatte auch noch recht. Der ›Friese‹, wie ich meinen Exmann nenne, hatte mich schließlich vor zwölf Jahren überhaupt hierhergebracht.
»Es hat ihn aber nicht viel Mühe gekostet, mich zu überzeugen. Amsterdam ist ja nicht gerade Salzgitter oder Islamabad«, protestierte ich leicht. »Außerdem bin ich kein Einzelfall. Jedes Jahr kommen schließlich Tausende von deutschen Frauen in die Niederlande, nur der Liebe wegen. Zwischen unseren Ländern verläuft die erotischste Grenze Europas.«
Jan sah mich auf einmal äußerst interessiert an.
»Und es sind längst nicht nur Deutsche«, sagte ich noch mit leichtem Triumph. »Denkt mal an Prinzessin Maxima. Die ist ja auch nicht wegen der Tomaten oder des überreifen Goudas in ein Land gezogen, das jederzeit von einer Flutwelle überrollt werden kann.«
»Maxima hat aber noch einen Mann, und du nicht.«
Das saß.
»Ohne Mann ist es ungesellig«, sagte Hetty.
Gesellig, da war das drohende Wort wieder. Ich wusste, dass ich nun meinen Mund halten musste.
Jan nickte zustimmend. »Oder hast du jetzt die Nase voll von holländischen Männern?«
Er klang doch leicht besorgt. Aber das sind Männer ja schnell, wenn es einem von ihrer Sorte an den Kragen geht.
»Nein, nein«, beruhigte ich ihn. »Der Friese war ein Einzelfall. Ich liebe Männer, und holländische ganz besonders.«
Jan wirkte erleichtert.
»Aber brauche ich unbedingt einen Mann, um weiterhin gesellig in Amsterdam zu leben?«
»Natürlich«, meinte Hetty. »Außerdem wird es Winter, und dann hast du es kalt im Bett.«
Ich murmelte etwas von einer Wärmflasche. Jan sah schon wieder etwas besorgt aus.
Als ich mir später am Abend zu Hause die letzten Reste der bitterballen von den Zähnen schrubbte, überdachte ich meine Lage. Irgendwie hatten Jan und Hetty ja recht. Ich hatte mir damals den Mann ausgesucht, nicht aber das Land. Musste ich mich nun nach zwölf Jahren auch von dem Land scheiden lassen und in die Heimat zurückkehren? Wenn es nach Jan und Hetty ginge, hatte ich wohl kaum eine Wahl, zumindest wenn ich mein bisheriges nettes holländisches Leben weiterführen wollte.
»Das wäre ja wohl gelacht«, sagte ich kämpferisch zu meinem Spiegelbild. »Dann lieber Fisch ohne Fahrrad.«
Doch das unbehagliche Gefühl verschwand nicht.
Wahrscheinlich auch deswegen, weil der Vergleich mit dem Fisch und dem Fahrrad in den Niederlanden nicht so ganz glücklich ist. Wenn man bedenkt, dass sich ganze Regierungskommissionen dafür einsetzen, jeden Querschnittsgelähmten und selbst Frauen in Burkas aufs fiets, das Fahrrad, zu bekommen, dann ist nicht ganz auszuschließen, dass nicht längst irgendwo ein Modell speziell für Fische kursiert. Ein Wasserrad natürlich.
›Ohne Mann ist es ungesellig.‹ Hettys Worte klangen noch in meinen Ohren. Geselligkeit ist der höchste Glückszustand für einen Niederländer. Arbeit, Politik, Wohnung – alles muss gezellig sein. Das gilt selbst fürs Bett, wird gemunkelt. Wenn ein niederländischer Mann der Geliebten nach einer heißen Liebesnacht zum Abschied sagt: ›Es war gesellig‹, dann ist das durchaus ein Kompliment.
Ein großes Elend ist dagegen die Ungeselligkeit. Die ongezelligheid muss unter allen Umständen vermieden werden. Das gilt für jede Ebene. Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber nach einem Treffen erklären, dass es nicht sehr gezellig war, kann man mit Massenstreiks rechnen. Das kommt aber eigentlich nie vor, weil sie sich dann doch immer wieder einigen und es sich wahrscheinlich bei ein paar bitterballen wieder so richtig nett machen.
Wenn ich also nicht in dieses tiefe Jammertal abgleiten wollte, dann blieb mir eigentlich gar nichts anderes übrig: Ein Mann musste her – ein holländischer, versteht sich.
Kapitel1
Amsterdam zählt 90Inseln, 550 000Fahrräder, 1300 Brücken und 767 457Einwohner. Einer davon bin ich. Und das seit zwölf Jahren. Ich besitze 43Paar Schuhe, darunter ein paar rot-weiß-blaue Holzpantinen, klompen, ein Fahrrad, drei Käsehobel, einen Exmann, den Friesen, und natürlich habe ich einen echten Amsterdamer zu Hause: zwölf Jahre alt mit zwei Pässen und einer Ajax-Klubkarte. All die Jahre hatte es mir hier gefallen. Warum sollte ich also nach Deutschland zurück?
Zugegeben: Damals, vor meinem Umzug aus Genf, hatte ich davon geträumt, an einer idyllischen Gracht zu wohnen. Das blieb ein Traum. Dazu hätte ich mir schon einen anderen, lukrativeren Beruf oder einen anderen Mann suchen müssen. Gegen so ein altes malerisches Grachtenhaus macht sich unser behäbiger Wohnblock aus wie ein Opel Corsa gegenüber einem Jaguar. Aber der kann schließlich auch ganz behaglich sein.
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