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Eine Leiche im Zoo und jede Menge Chaos: Der vierte Fall für Louisa Manu!
Louisa Manu ist verliebt, ihr Leben ungewohnt leichenfrei – und es wundert sie überhaupt nicht, dass das nicht lange so bleibt.
Als ihre Schwester behauptet, dass im Kölner Zoo vor ihren Augen eine Leiche entsorgt wurde, ist das fast wie ein Wink des Schicksals für Lou. Am nächsten Tag wird auch gleich der passend zerfressene Körper ans Rheinufer geschwemmt. Grund genug für die Möchtegerndetektivin, sich die merkwürdigen Geschehnisse hinter den Käfigstäben genauer anzusehen.
Die Tätersuche würde sich allerdings sehr viel einfacher gestalten, wenn Kommissar Rispo nicht jeden ihrer Rehercheversuche sabotieren würde. Und manche Dinge kann man selbst mit einem Kuss nicht wiedergutmachen …
Jeder Band der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.
Erste Leserstimmen
„Saskia Louis gelingt es einfach immer, mich zum Lachen zu bringen!“
„Ich kann diese Reihe jedem empfehlen. Aber Achtung: Louisa macht süchtig ...“
„spritzig, humorvoll, spannend, mitreißend und mit einer guten Portion Gefühle“
„Vergnüglich und frech wie auch die vorigen Bände!“
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Seitenzahl: 387
Louisa Manu ist verliebt, ihr Leben ungewohnt leichenfrei – und es wundert sie überhaupt nicht, dass das nicht lange so bleibt. Als ihre Schwester behauptet, dass im Kölner Zoo vor ihren Augen eine Leiche entsorgt wurde, ist das fast wie ein Wink des Schicksals für Lou. Am nächsten Tag wird auch gleich der passend zerfressene Körper ans Rheinufer geschwemmt. Grund genug für die Möchtegerndetektivin, sich die merkwürdigen Geschehnisse hinter den Käfigstäben genauer anzusehen. Die Tätersuche würde sich allerdings sehr viel einfacher gestalten, wenn Kommissar Rispo nicht jeden ihrer Rehercheversuche sabotieren würde. Und manche Dinge kann man selbst mit einem Kuss nicht wiedergutmachen …
Jeder Band der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.
Erstausgabe Juli 2018
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-96087-420-1 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-421-8 Hörbuch-ISBN: 978-3-96087-986-2
Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography shutterstock.com: © Bongkot Kiyapat Lektorat: Janina Klinck
E-Book-Version 24.09.2024, 12:49:02.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Eine Leiche im Zoo und jede Menge Chaos: Der vierte Fall für Louisa Manu!
Für Oma Kuckuck, weil sie eine liebenswerte, inspirierende und vor allem verrückte Nudel ist.
Ich hatte immer damit gerechnet, dass ich aufgrund eines dummen Unfalls sterben würde. Dass ich auf einer Bananenschale ausrutschen und in einen Gully fallen würde. Dass ich bei dem Versuch, mein versenktes Handy aus der Toilette zu fischen, nach vorne kippen, mit dem Kopf feststecken und auf tragische, aber urkomische Art und Weise in der Kloschüssel ertrinken würde. Dass ich von einem Fohlen umgerannt und mit dem Kopf unglücklich in einem zu Boden gefallenen Hornissennest aufschlagen würde.
Die Tatsache, dass ich letztendlich den Tod finden würde, weil meine Mutter mir den Kopf abriss, war enttäuschend. Wie sähe der Spruch auf meinem Grabstein dann bloß aus?
Hier liegt Louisa Manu, die ihrer Mutter unrecht tat und mit den Konsequenzen leben – sowie sterben – musste.
Ich stöhnte und öffnete die Augen. Mein Blick fiel auf den Wecker, der die verbleibenden Minuten bis zu meinem tragischen Tod hinunterzählte.
„Scheiße“, stöhnte ich und richtete mich auf.
Die Decke rutschte von meinen Schultern, und träge unternahm ich den Versuch, meine Beine aus dem Bett zu schwingen, als ein Arm sich um meine Hüfte schlang und mich zurück auf die Matratze zog. „Heute ist Sonntag, Lou“, drang ein verschlafenes Murmeln hinter meinem Rücken hervor.
„Nein, heute ist Familien-Brunch-Tag“, korrigierte ich und versuchte mich aus der Umarmung zu winden. Aber Rispo war hartnäckig. Als wolle er mir beweisen, dass er trainieren ging. Also bitte. Als ob ich das nicht wüsste. Ich trug ein Bild von seinem Körper mit mir in meinem Portemonnaie herum.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht die international anerkannte Bezeichnung dafür ist.“
„Aber es ist die von der Familie Manu anerkannte Bezeichnung, und das ist, was zählt. Und jetzt hör auf, mich zu begrapschen, Josh!“ Ich musste lachen, als er seinen Griff noch verstärkte und mich fester in seine Arme zog, sodass mein Gesicht nun in seine Halsbeuge gepresst wurde. Als würde ich von einem weichen, kuscheligen Teppich umhüllt. Nur dass der Teppich hart war. Und eher heiß als warm. Und seinen Händen nach zu urteilen, die in unbestimmte Sphären vordrangen, auch nicht in Kuschelstimmung. Okay, die Metapher mit dem Teppich funktionierte überhaupt nicht.
„Es ist Viertel nach zehn, Joshi“, sagte ich wehleidig, schob ihn von mir und zog seine Hände unter der Decke hervor, die sehr überzeugend versuchten, mich zum Liegenbleiben zu überreden. „Meine Mutter wird jede Minute in die Zeitung sehen, und je unpünktlicher ich komme, desto mehr Zeit hat sie, sich eine Bestrafung für das auszudenken, was sie zu lesen bekommt.“
„Hört sich für mich an, als wärst du so oder so verloren, was machen die zehn Minuten dann noch aus?“, murmelte Josh verschlafen.
„Ich muss vor Emily eintreffen, sonst fragt meine Mutter mich noch über mein Liebesleben aus.“
„Und?“
„Ich will dich noch eine Weile als mein kleines schmutziges Geheimnis behalten.“ Es war ein ungeschriebenes Gesetz im Hause Manu, dass der Letzte, der durch die Tür kam, das Kreuzverhör meiner Mutter durchleiden musste. Und in dem Bereich konnte die CIA noch eine Menge von Gitti Manu lernen!
Rispo öffnete ein Auge und musterte mich abschätzig. Sein Kinn war rasurbedürftig, seine dunklen Haare standen zu allen Seiten seines Kopfes ab und es fiel ihm schwer, mich mit seinem Blick zu fixieren.
„Wir sind seit zwei Monaten zusammen“, sagte er nachdenklich. „Glaubst du nicht, es wird langsam Zeit?“
Gott, nein! Meine Mutter würde ihn kennenlernen wollen und ein derartiges Treffen würde in unangenehmen Fragen, peinlicher Stille und meinem Wunsch, den Kopf in den Ofen zu stecken, münden, damit man meine Rufe der Verzweiflung nicht hörte.
„Ich kann meiner Mutter nicht den Zeitungsartikel des Grauens zeigen und ihr im gleichen Atemzug erzählen, dass ich ihr meinen neuen Freund verschwiegen habe“, sagte ich schnaubend. „Oder möchtest du diese Woche noch auf eine Beerdigung gehen?“
„Nein“, meinte er und gähnte. „Das würde meinen Zeitplan durcheinanderwerfen.“
„Na siehst du. Wir reden da wann anders drüber“, schlug ich vor und entwand mich mit einem Ruck seinem Griff, bevor ich von der Matratze glitt. „Ich kann mich gerade ohnehin nicht konzentrieren. Ich kann nur daran denken, wie laut meine Mutter schreien wird und wie viele Hunde in der Nachbarschaft darunter werden leiden müssen!“
Ein Lächeln zog an Joshs Mundwinkeln. „Schön. Ich würde ja mitkommen und dir Personenschutz bieten, aber ich habe versprochen, Mo vom Flughafen abzuholen.“
Mo war einer von Joshs vier jüngeren Brüdern, der die letzten fünf Jahre als Reisejournalist durch Brasilien, Peru und all die anderen Länder, in denen man gerne Meerschweinchen aß, getourt war. Eigentlich hatte er schon vor ein paar Monaten zurückkehren wollen, aber aufgrund irgendeines Auftrages – oder, wenn man Josh glauben wollte, der fehlenden Eier in seiner Hose – hatte sich seine Rückreise verzögert.
„Sag deinen Brüdern Hallo von mir, und wenn du Finn siehst, erinnere ihn daran, dass er mir noch neunzig Euro schuldet.“
Josh setzte sich hin und streckte die Arme über den Kopf, sodass die Decke weiter an seinem nackten Oberkörper hinabrutschte. „Ich habe dir gesagt, dass du ihm keinen Cent leihen darfst. Finn ist wie die verdammte Bank bei Monopoly, die andauernd Geld von dir verlangt – nur dass du bei ihm nie über Los kommen wirst.“
„Du spielst Monopoly?“, wollte ich verwirrt wissen.
„Nicht die Nachricht, die ich dir vermitteln wollte, Lou.“
Ich verengte die Augen. „Du bist einer dieser Spieler, die alles kaufen und am Ende nicht tauschen wollen, oder? Und ich wette, du willst immer das Auto sein.“
„Natürlich bin ich das Auto“, sagte er und verschränkte die Hände im Nacken. „Alle anderen Figuren sind lächerlich. Vor allem die Schubkarre, die du wahrscheinlich nehmen würdest.“
„Was hast du gegen die Schubkarre? Die ist toll. Ich mein, wie soll ich denn sonst all mein fiktives Geld herumfahren?“ Abgesehen davon, dass Schubkarren nach Rasenlüfter-Schuhen das unterschätzteste Gartengerät der Welt waren. Sie bekamen einfach nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienten!
„Was hat eine Schubkarre mit dem Spielprinzip von Monopoly zu tun?“, wollte Josh wissen. „Es besteht überhaupt kein Zusammenhang zwischen der Figur und dem Spiel.“
„Aber es ist realistisch, dass ein Auto umherfährt, um Grundstücke zu erstehen und Hotels zu bauen, ja?“
„Ein Auto kann ein Statussymbol sein und steht somit für den Kapitalismus, den das Spiel vertritt.“
Ich verdrehte die Augen, konnte mir aber nur mühsam ein Lachen verkneifen. „Nun, wenn du mit mir spielst, würde ich dir den Fingerhut empfehlen, damit dich meine Sticheleien nicht treffen.“
Rispo sah mich belustigt an. „Süße, wenn dein Trash-Talk sich auf demselben Niveau wie dein Dirty-Talk befindet, dann sehe ich da kein Problem.“
Warnend richtete ich meinen Zeigefinger auf ihn. „Dünnes Eis, Mister.“
Josh lachte leise. „Dann lass uns noch mal darüber reden, dass du meinem Bruder Geld leihst.“
Nein, das hielt ich für keine gute Idee. „Ich erinnere ihn selbst an seine Schulden. Sehen wir uns heute Abend?“ Ich zog mir das T‑Shirt über den Kopf und versuchte, mich nicht allzu sehr von Joshs Bauchmuskeln ablenken zu lassen. Was wirklich schwierig war, denn … sie waren so präsent.
Josh verzog unzufrieden den Mund, gönnte mir jedoch den Themenwechsel. „Wenn in Köln heute niemand umgebracht wird, ja“, meinte er und starrte auf das Shirt, das ich unachtsam zu Boden hatte fallen lassen. „Und du musst wirklich aufhören, meine T‑Shirts zu klauen.“
Ich grinste. „Du musst wirklich anfangen, hässlichere T‑Shirts zu kaufen. Es ist, als würdest du dir wünschen, dass ich sie dir wegnehme.“ Dafür, dass er Polizist war, war er skandalös unachtsam, was die Sicherheit seiner Kleidung anging. Wenn er sie dauernd unbeaufsichtigt zurückließ, konnte ich ihm auch nicht helfen.
„Wie ich sehe, ist das Ganze also meine Schuld“, stellte Rispo trocken fest und stand ebenfalls auf, sodass er jetzt vor mir stand.
„Jap“, sagte ich ernst, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft. „Und jetzt gehe ich duschen, damit meine Mutter ihre Nase nur aufgrund meiner Tischmanieren, nicht aber wegen meines Geruches rümpft.“
„Okay, ich komme mit.“
„Oh nein!“ Wenn Josh mit unter die Dusche kam, würde das Wort unpünktlich ungeahnte Dimensionen annehmen.
„Aber wieso nicht?“, fragte er unschuldig, während seine Finger meine Seiten hinaufstrichen und eine Gänsehaut zurückließen. „Denk an all das Wasser, das wir sparen könnten. Das könnte deine gute Tat des Tages werden. Du glaubst doch an Karma und all den anderen Mist.“
Ich schüttelte eisern den Kopf. „Vergiss es. Ich geh nicht mit dir duschen.“
„Warum nicht?“
„Weil du so groß bist, dass du mir all das gute Wasser wegnimmst, sodass bei mir nur noch das dreckige ankommt“, erklärte ich.
Josh nickte. „Aha, verstehe“, meinte er, drehte mich um und schob mich an den Schultern aus dem Schlafzimmer in Richtung Bad.
„Ich meine das ernst, Josh! Das Wasser ist nicht nur dreckig, sondern auch noch kalt, wenn es mich endlich erreicht.“
„Jaja“, sagte er, bevor er die nächste halbe Stunde damit verbrachte, meine Hygienebedenken vollkommen zu ignorieren.
Ich kam natürlich zu spät.
Als ich endlich vor dem Haus meiner Eltern hielt, zeigte die Uhr zehn nach elf an, und mit einem unheilvollen Gefühl stieg ich aus dem Wagen. Die Sonne schien heiß auf meinen Kopf und der pinke Oleander, der den Vorgarten meiner Mutter schmückte, wiegte sich sanft im Sommerwind. Welch ein wunderschöner Tag, um meinen Kopf zu verlieren.
Ich machte mir nicht die Hoffnung, dass meine Mutter den Artikel übersehen hatte. Sie las jeden Sonntagmorgen das Kölner Blatt, und mein Interview stand auf Seite zwei – zusammen mit einem schicken, überdimensioniert großen Foto. Mama las langsam, aber sie war nicht blind.
Ich zog eine Grimasse und wünschte mir erneut, dass ich vor dem verhängnisvollen Nachmittag letzte Woche gewusst hätte, dass ein Journalist alles, was man in seiner Gegenwart sagte, niederschreiben durfte. Aber wieso hätte ich auch vorsichtig sein sollen? Schließlich hatte Chris das Interview geführt.
Chris, von dem ich Josh noch immer nichts erzählt hatte.
Es war nicht so, dass ich ihn anlog. Er hatte nur schlichtweg nie danach gefragt, ob der Chris vom Kölner Blatt der gleiche Mann war, in den ich bis vor fünf Jahren verliebt gewesen war. Und freiwillig würde ich ihm das ganz sicher nicht auf die Nase binden. Er würde sich nur grundlos aufregen, und es gab da wirklich nichts, worüber er sich Sorgen machen musste.
Tief durchatmend klingelte ich, und ein paar Sekunden später öffnete mein Vater die Tür.
„Hallo, Loubalou“, sagte er lächelnd und drückte mich kurz an sich. „Du bist spät dran.“
„Ich weiß, tut mir leid.“ Ich hatte noch heißen Sex in meiner Dusche. „Ist Emmi schon da?“ Ich reckte den Hals, um einen Blick ins Wohnzimmer zu erhaschen, während ich meine Schuhe auszog.
„Nein, sie hat heute Morgen angerufen und abgesagt. Liegt wohl krank im Bett.“
Seit wann war verkatert ein Synonym für krank? „Ach so“, sagte ich und schluckte. Ich hätte meine kleine Schwester als Puffer gebrauchen können. Sie hatte vor nicht allzu langer Zeit ihr Studium abgebrochen, was mich für ein paar Wochen aus der Schusslinie unserer Mutter gezogen hatte. Emily würde zwar im September eine Ausbildung zur Floristin beginnen, aber das hielt unsere Mutter nicht davon ab, ihr allwöchentlich eine Standpauke über Durchhaltevermögen und Disziplin zu halten. Durchhaltevermögen hatte ich – wie ich unter der Dusche soeben eindrucksvoll bewiesen hatte –, der Disziplin konnte ich jedoch nicht allzu viel abgewinnen. Die überließ ich lieber den Sportlern und Unterwäsche-Models dieser Welt.
„Wir haben schon angefangen“, unterrichtete mich Papa und machte eine einladende Geste ins Wohnzimmer hinein. „Die Mädchen haben dich bereits vermisst.“
Besagte Mädchen waren Isabell und Lara, meine Nichten und die begabtesten Kaugummi-Weitspuckerinnen dieser Stadt. Nicht zu vergessen angehende Traktorrennfahrerinnen. Bei ihnen war also mit einer Menge Ruhm und Ehre zu rechnen.
„Ich habe sie auch vermisst“, sagte ich ehrlich, blickte zu ihm auf und nutzte die Gunst der Stunde, um die Miene meines Vaters eingängig zu studieren.
Sie war neutral.
Nichts deutete darauf hin, dass er an diesem Morgen schon eine Krise zu bewältigen gehabt hatte. Möglicherweise hatte meine Mutter die Zeitung also noch gar nicht angerührt?
Misstrauisch trat ich ins Wohnzimmer und ließ meinen Blick hastig über den für eine zwanzigköpfige Familie gedeckten Frühstückstisch gleiten.
Mein sieben Jahre älterer Bruder Jannis, der den Großteil seiner Jugend damit verbracht hatte, mir zu erzählen, dass Babys zusammen mit den Kartoffeln unter der Erde wuchsen – der Grund dafür, dass ich bis heute ein eher gespaltenes Verhältnis zu dieser Nutzpflanze habe –, saß gemeinsam mit seiner Frau Steffi am Ende der Tafel. Er hob nicht einmal den Kopf, als ich eintrat. Er war offenbar vollauf damit beschäftigt, seine beiden ihm gegenübersitzenden Töchter auszublenden, die sich laut darüber stritten, ob Zwerge Minigolf erfunden hatten oder die Menschen seit der Erfindung des Spiels einfach nur furchtbar gewachsen waren. Steffi winkte mir zu, und meine Mutter ließ ein: „Da bist du ja endlich“, verlauten.
„Tut mir leid. Der Verkehr.“ Das war nicht einmal gelogen. Es hieß ja nicht ohne Grund Geschlechtsverkehr.
Meine Mutter nickte knapp, während ich um den Tisch herum eilte, meinem Bruder liebevoll auf den Kopf schlug, Steffis Rücken tätschelte und Lara und Isa einen Kuss auf den Scheitel gab.
„Na, ihr kleinen Monster“, begrüßte ich sie. „Heute schon kleine Kinder gefressen?“
„Nein, nur ein Nutellabrot“, sagte Isa mit großen Augen.
„Ich hab ein Kind gefressen“, meinte Lara und reckte stolz ihr Kinn. „Aber ich verrate nicht welches.“
Ich verkniff mir ein Grinsen, während ich mich gegenüber meiner Mutter niederließ. „Sehr gut. So wird die Polizei dich niemals erwischen.“
Meine Mutter kräuselte unzufrieden ihre Nase. „Setz ihnen keine Flausen in den Kopf, Louisa. Nur weil du es dir zum Hobby gemacht hast, tote Menschen zu finden und die Polizei zu belästigen, müssen deine Nichten ja nicht denselben Weg einschlagen.“
Ich verdrehte die Augen, während Jannis’ Mundwinkel sich nach oben bogen. „Ach, manche Polizisten werden doch ganz gerne belästigt, oder Lou?“ Er blickte mich herausfordernd an.
Ich kratzte mir mit dem Mittelfinger die Nase und beschloss zu schweigen. Jannis wusste, dass ich mit Rispo zusammen war und unserer Mutter diese Tatsache am liebsten noch für ein paar Tage, vielleicht auch Jahre, vorzuenthalten gedachte. Leider hielt ihn das nicht davon ab, sich einen Spaß daraus zu machen, eine dämliche Anspielung nach der anderen von sich zu geben.
„Ich habe schon eine ganze Weile weder eine Leiche noch ein abgetrenntes Körperteil gefunden“, versuchte ich meine Mutter zu besänftigen.
Sie presste die Lippen aufeinander und verzog den Mund zu einem Lächeln, das Horrorfilm-Regisseure in Begeisterungsstürme hätte ausbrechen lassen. „Willst du für diese Errungenschaft jetzt lobende Worte hören, Louisa?“
Nein, aber ein zärtliches Schulterklopfen wäre ganz nett gewesen. Zweieinhalb Monate ohne Vorfall waren ein Glas Champagner wert, fand ich. Aber ich wollte meine Mutter nicht unnötig anstacheln.
„Natürlich nicht“, sagte ich deshalb. „Könntest du mir bitte die Brötchen reichen?“ Ich streckte meine Hand aus, doch meine Mutter reagierte nicht.
Sie hob lediglich eine Augenbraue. „Ich weiß nicht, Louisa. Ich fürchte, ich bin zu kontrollsüchtig, um sie dir zu überlassen.“
Oh, oh.
Meine Wangen wurden heiß und ich räusperte mich. „Bitte, was?“, fragte ich leise nach. Vielleicht deutete ich die Zeichen falsch.
„Nun, ich habe heute einen interessanten Artikel in der Zeitung gelesen. In dem stand, dass die Mutter von Louisa Manu sich unnötig in das Leben ihrer Tochter einmischt.“
Ich presste die Lippen aufeinander. Ich hatte den Sturm kommen sehen, aber nicht genug Zeit gehabt, mich in Sicherheit zu bringen.
„Nun … Louisa Manu ist ein wirklich weit verbreiteter Name –“
„Louisa Josephine Manu, hüte deine Zunge! Du hast mich lächerlich gemacht!“
Es waren zwei Sätze gewesen! Zwei blöde, blöde Sätze … Meine Güte, wenn meine Mutter wüsste, dass ich sie eigentlich als so verkrampft wie einen ungedehnten Sportler und prüde wie ein von einer Nonne gedrehter Zeichentrickfilm bezeichnet hatte, dann hätten sie die abgedruckten Sätze sicherlich nicht so aufgeregt. Sie war vergleichsweise gut weggekommen!
„Was, worum geht’s?“ Jannis erwachte plötzlich zum Leben. „Welcher Artikel?“
Meine Mutter verengte die Augen zu Schlitzen. So wütend hatte ich sie nicht mehr gesehen, seitdem Jannis Emily vor zwanzig Jahren beim Abendessen versucht hatte, weiszumachen, dass sie soeben den Osterhasen gegessen habe. „Deine Schwester hielt es für lustig, in einem Interview meinen Charakter anzuzweifeln“, presste sie zwischen den Lippen hervor.
„Es war ein Versehen!“, verteidigte ich mich und hob die Hände in die Höhe. „Ich wollte nicht, dass es gedruckt wird.“
„Aber du hast es gesagt!“
„Ja, aber eher als Witz. Verstehst du? Um die Stimmung aufzulockern. Ich finde, meine Worte waren eigentlich ganz charm–“
„Du hast mich als Problemzone deines Lebens beschrieben.“
Ja, weil ich Rispo diesen Titel hatte aberkennen müssen. „Ich habe auch gesagt, dass ich meine Neugier von dir habe!“, sagte ich triumphierend. „Neugier ist eine gute Eigenschaft.“
„Du hast gesagt, dass meine Neugier sich in meiner Kontrollsucht äußert!“
Stöhnend legte ich den Kopf in den Nacken. „Ich habe nicht das Wort Kontrollsucht benutzt. Das mit der Problemzone tut mir leid, ich hielt es für witzig. Ansonsten habe ich nur angemerkt, dass ich meine kontrollierte Herangehensweise an einen Fall von dir habe. Du liest da zu viel zwischen den Zeilen.“
„Problemzone deines Lebens, Louisa?!“
Ja, das war vielleicht etwas zu viel des Guten gewesen. „Es tut mir leid, Mama“, sagte ich ernst. „Ich habe das alles nur aus Spaß gesagt, und als ich den Artikel bekommen habe, war das Kölner Blatt bereits im Druck und –“
„Ist das ein Knutschfleck an deinem Hals?“, unterbrach mich meine Mutter schockiert und schnappte nach Luft.
Abrupt drückte ich mein Kinn auf die Brust. „Was? Nein.“
Verdammt! Rispo und die blöde Dusche.
„Das ist ein Knutschfleck!“, rief meine Mutter, ihre Stimme jetzt auf einer Frequenz, die nur noch Hunde hören konnten. „Erst machst du also deine eigene Mutter in der Öffentlichkeit lächerlich und dann springst du mit irgendeinem Kerl ins –“ Ihr Blick fiel auf Lara und Isa, die neugierig die Ellenbogen auf den Tisch gelegt hatten und sich nach vorne lehnten. Sofort verstummte sie.
„Was ist ein Knutschfleck?“, wollte Isa wissen.
„Das hast du falsch verstanden, Liebes“, meinte Steffi. „Sie sagte Knautschfleck. Das sind Flecken, die entstehen, wenn man ganz fest ein Kissen umarmt.“
„Ahh“, machte Isa, während Lara skeptisch die Nase kräuselte.
„Warum umarmst du Kissen, Tante Lou?“, wollte sie wissen. „Dafür gibt es doch Menschen.“
Ich stöhnte leise und alles, woran ich denken konnte, war der ausgezeichnete Ofen, der bei meiner Mutter in der Küche stand und ausreichend Platz für meinen Kopf bot.
„Gitti“, meldete sich mein Vater mit ruhiger, durchdringender Stimme zu Wort. „Louisas Privatleben ist ihre eigene Sache, und ich bin mir sicher, dass Lou dem Kölner Blatt bereits mitgeteilt hat, dass sie gerne ein öffentliches Entschuldigungsschreiben und eine Richtigstellung des Interviews für die nächste Ausgabe verfassen würde.“ Er warf mir einen warnenden Blick zu. „Nicht wahr, Lou?“
Ich presste die Hand an meinen Hals und überdeckte so hoffentlich den Knutschfleck, während ich folgsam nickte. „Ähm, sicher.“ Ich würde mit Chris sprechen müssen.
Doch meine Mutter war offensichtlich noch immer nicht zufrieden. Mit verengten Augen musterte sie mich. „Hast du einen neuen Freund?“, wollte sie schließlich wissen.
Ach, verdammt. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf rauschte, bevor ich vorsichtig nickte. „Ja, habe ich.“
„Und wann hattest du vor, mir das zu erzählen?“
Keine Ahnung. Im Oktober … 2030? „Es ist noch relativ frisch“, sagte ich langsam. „Ich wollte warten, bis ich mir sicher bin, dass es was Ernstes ist.“
„Und? Ist es das?“
„Ich … also …“
„Lou, das ist eine Frage, auf die du nur mit Ja oder Nein antworten musst.“
Ich seufzte. „Ja, ist es“, sagte ich und hörte in meinem Kopf eine Mausefalle zuschnappen. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich in diesem Szenario der Käsewürfel war. „Du kennst ihn bereits. Es ist Joshua Rispo.“
„Der Polizist, dem du hinten reingefahren bist?“, fragte meine Mutter verwirrt.
„Ja. Wer hätte es gedacht, aber offensichtlich ist ein Auffahrunfall eine legitime und erfolgreiche Anmachstrategie.“
Diesen Kommentar ignorierte meine Mutter. Stattdessen trat jetzt tatsächlich ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Wie wunderbar! Er hat einen Job und ist offensichtlich bereit, über charakterliche Schwächen hinwegzusehen. Er scheint genau der richtige Mann für dich zu sein, Louisa! Ich würde ihn gerne kennenlernen.“
„Aber du kennst ihn ja schon“, erinnerte ich sie.
„Bring ihn zum nächsten Sonntagsbrunch mit“, sagte sie und überging damit meinen Einwand.
Hilfesuchend wandte ich mich zu Jannis.
„Das hört sich toll an!“, sagte der grinsend. „Ich würde mich über männliche Verstärkung freuen.“
Verräter.
„Ich werde fragen, ob er Zeit und Lust hat“, sagte ich gequält. „Aber ich würde mir keine allzu großen Hoffnungen machen, er ist sehr beschäftigt.“
„Du bringst ihn mit, Ende der Diskussion“, sagte meine Mutter schneidend. „Zumindest das schuldest du mir für diesen furchtbaren Artikel. Du kannst froh sein, dass ich überhaupt noch mit dir rede.“
Und leider hatte sie damit recht.
Vier Stunden später klebte das T‑Shirt an meinem Rücken, Erde an meinen Händen und ein Kaugummi unter meinem Schuh. Ich hatte meiner Mutter gegenüber ein solch schlechtes Gewissen gehabt, dass ich ihr noch zwei Stunden im Garten geholfen hatte, bevor ich nach Hause fuhr. Ich plante, mir eine Picknickdecke zu schnappen und es mir mit einem Buch in der Sonne gemütlich zu machen. Der Juli gab noch einmal Vollgas, bevor er das Zepter an den August weitergeben würde. Leider nutzten die Kölner das gute Wetter auch dafür, ihre Kaugummis fröhlich auf den Boden zu spucken, damit sie im Mund mehr Platz für ihr Eis hatten.
Genervt schloss ich das Auto ab und hob den Fuß, um mir das klebrige Mistvieh von der Sandale zu pulen.
„Hey!“
Eine Gestalt sprang aus dem Schatten eines Baumes, beide Hände erhoben. Ich schrak zusammen, verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings zu Boden.
„Scheiße“, fluchte ich und rieb mir die schmerzenden Handflächen, mit denen ich mich abgefangen hatte, bevor ich aufsah. Geradewegs in Emilys Gesicht.
„Meine Güte, du bist wirklich furchtbar schreckhaft, seitdem du so oft tote Menschen siehst“, meinte meine Schwester ungeduldig und half mir auf die Füße.
„Du bist hinter einem Baum hervorgesprungen! Woher soll ich wissen, dass du kein Irrer bist, der mich attackiert?“
„Attackieren, um was zu tun?“, wollte sie irritiert wissen. „Deine hässlichen Schuhe zu stehlen? Deine falsche Lederhandtasche mitzunehmen, die mit Lippenpflegestiften, Kassenbons und Kekskrümeln gefüllt ist? Vielleicht, um dein Portemonnaie zu klauen, in dem sich zurzeit zwei Euro fünfzig und ein Bild von Joshs Oberkörper befinden?“
Es war beunruhigend, dass sie den genauen Inhalt meiner Tasche und meiner Geldbörse kannte, aber ich sollte nicht überrascht sein. Sie wühlte andauernd in meinen Dingen herum. „Das Bild ist nicht nur von seinem Oberkörper“, widersprach ich. „Man kann auch sein Gesicht sehen.“
„Sein schlafendes Gesicht, meinst du?“
Ich hätte ihr das Foto nie zeigen dürfen. Verärgert rieb ich mir meinen schmerzenden Hintern, und erst jetzt bemerkte ich, dass meine Schwester nicht allein war. Neben ihr stand Finn, einer von Joshs jüngeren Brüdern.
„Hey“, grüßte ich den ungewohnt schweigsamen 25-Jährigen, bevor ich zurück zu Emily blickte. „Du siehst nicht so krank aus, wie du es Mama weisgemacht hast“, stellte ich fest und musterte ihr Gesicht. Sie wirkte vollkommen übermüdet, aber weder verschnupft noch fiebrig.
„Ich konnte nicht zum Brunch kommen“, sagte sie ernst und griff nach meinem Arm. „Ich bin viel zu aufgewühlt.“
„Aufgewühlt weswegen?“, wollte ich augenverdrehend wissen. War das Kamasutra in einer Neuauflage mit dreißig zusätzlichen Seiten erschienen?
„Lou“, meinte Finn und schob Emily fahrig aus dem Weg, seine Augen so groß wie Teebeutel. „Du musst uns helfen. Wir … wir haben einen Mord beobachtet.“
„Ihr habt was?“
„Einen Mord beobachtet“, wiederholte Finn, und hätte er seine Augen noch weiter aufgerissen, wären sie ihm vermutlich aus dem Kopf gesprungen.
Emily zog eine Grimasse und stellte sich wieder vor ihn. „Also, eigentlich haben wir die Tat an sich nicht gesehen, aber wir haben beobachtet, wie sie die Leiche weggeschafft haben.“
Ungläubig öffnete ich den Mund, bevor ich wiederholte: „Ihr habt was?“
Finn wechselte einen Blick mit meiner Schwester, bevor er laut hörbar murmelte: „Ich glaube, Josh hat ihr das Gehirn rausgevögelt.“
„Ich hätte meine Kamera einschalten sollen“, meinte Emmi verärgert. „Ihr Gesichtsausdruck ist Gold wert.“
Ich ignorierte beide Kommentare. „Sagt mir, dass das ein Scherz ist“, stieß ich hervor.
„Kein Scherz, dein Gesicht ist zum Schießen! Ich schwör –“
„Das mit dem Mord, Emily!“
„Oh, das. Nein, das ist unser voller Ernst“, stellte sie klar und hielt mir ihren Finger ins Gesicht, um besagte Ernsthaftigkeit noch einmal zu verdeutlichen. „Wir haben die Leiche genau gesehen! Na ja, also nicht genau, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass da Blut auf den Boden getropft ist.“ Sie legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. „Obwohl es schon sehr dunkel war und die Gestalten etwas weiter weg … aber ich gucke Fernsehen! Ich weiß doch, wie es aussieht, wenn man einen toten Körper in einen Teppich einwickelt.“
„Es war kein Teppich“, sagte Finn und schüttelte den Kopf. „Es war eine Decke.“
„Du warst doch komplett high!“, meinte Emily und zeigte ihm den Vogel. „Es war ein Teppich und er war rot. Oder blau. Vielleicht auch gelb, aber das hätte auch das Licht der Laterne sein können.“
„Ich war nicht high! Wir haben erst danach einen geraucht, aber du hast, während wir da waren, immer nur diese schwarz-weißen Pferde angestarrt. Du hast der Leiche nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt.“
„Zebras, Finn! Sie heißen Zebras. Und du vergisst, dass ich die scheiß Kamera gehalten habe, ich habe genau –“
„Leute!“, unterbrach ich sie laut, bevor noch mein Gehirn platzte. „Ihr redet wirres Zeug. Was habt ihr wo und wann gesehen? Und warum geht ihr damit nicht zu Josh?“
Finn kratzte sich am Kopf. „Nun, es gibt da ein paar Kleinigkeiten, die die Sache verkomplizieren“, gab er zu.
„Warum?“, wollte ich wissen.
„Weil sie illegal sind“, erklärte er irritiert, so als hätte mir das klar sein müssen.
„Nur ein bisschen illegal“, meinte Emmi, eine Hand auf ihre Brust gelegt. „Du hattest immerhin einen Schlüssel, Finn.“
„Einen Schlüssel, den ich geklaut habe“, gab er zu bedenken.
„Geliehen“, korrigierte Emily ihn.
„Ich habe ihn verloren, ich kann ihn nicht mehr zurückgeben.“
Emily machte eine wegwerfende Handbewegung. „Der Gedanke zählt, Finn!“
Ach du liebe Güte. Stöhnend legte ich den Kopf in den Nacken und winkte meinem ruhigen Nachmittag hinterher, den ich hastig hinter der drohenden Katastrophe verschwinden sehen konnte.
„Kommt einfach rein“, seufzte ich, packte beide an den Schultern und schob sie zum Eingang, bevor ich um sie herumging und die Tür aufsperrte. „Ihr werdet mir das Ganze von Anfang an erzählen müssen.“
„Eigentlich ist das alles sowieso deine Schuld, Lou“, sagte Emmi vorwurfsvoll, während wir in das kühle Treppenhaus traten. „Wir sind nur deinetwegen in den Zoo eingebrochen!“
„Ihr habt was getan?“ Meine Stimme hallte laut von den gekachelten Wänden wider, und ungläubig wandte ich mich zu ihr um.
„Pscht“, machte Finn und sah mich tadelnd an. „Willst du, dass wir in den Knast kommen?“
Keine Ahnung. Darüber würde ich genauer nachdenken müssen.
„Wir wollten auch gar nicht lange bleiben“, verteidigte sich Emily und lief die Stufen hoch. „Nur ein halbes Stündchen, um genug Material zu bekommen. Und Finn macht da doch sowieso gerade sein Praktikum. Es war also nicht total illegal.“
„Emily, ich glaube, du solltest das Wort illegal noch einmal im Duden nachschlagen, dir scheint dessen Bedeutung nämlich entfallen zu sein!“, fuhr ich sie an. „Was denkt ihr euch dabei, in eine öffentliche Einrichtung einzubrechen?“
„Musst du gerade sagen“, meinte Emily feindselig und blieb vor meiner Wohnungstür stehen. „Du verschaffst dir doch andauernd irgendwo widerrechtlich Zutritt!“
Ja, natürlich. Aber doch nur, um dem Allgemeinwohl zu dienen – und meine Neugierde zu befriedigen. Außerdem log ich mir den Weg durch eine verschlossene Tür. Ich musste keine Schlüssel stehlen. Es war also etwas vollkommen anderes!
„Es ist doch auch nicht wichtig, was wir getan haben“, versuchte Finn die Wogen zu glätten, während ich etwas zu energisch die Tür aufschloss, sodass das Holz bedrohlich knarzte. „Wichtig ist, was wir gesehen haben.“
Oh, da war ich anderer Meinung, aber ich wusste es besser, als auf taube Ohren einzureden. „Was zum Teufel wolltet ihr überhaupt dort?“, wollte ich wissen und stieß die Tür auf.
„Hab ich doch gesagt“, meinte Emily augenverdrehend. „Unser Plan war es, Material zu sammeln!“
Sprach sie absichtlich in Rätseln oder hatte das viele Gras, das sie rauchte, ihr nun endgültig die Fähigkeit genommen, zusammenhängende Sätze zu formulieren? „Material für was, Emmi?“, fragte ich ungeduldig, während ich die beiden kriminellen Unschuldsengel in meine Wohnung schubste und die Tür schloss. Twinky, mein verhaltensgestörter Kater, kam mir entgegen, grüßte mich mit einem lauten Maunzen und ließ sich dann auf den Rücken fallen, um sich den Bauch kraulen zu lassen. Finn war nur allzu bereit, der Bitte nachzukommen, während ich meine Schwester fordernd ansah.
„Na, Videomaterial für ‚Das geheime Leben der Louisa Manu‘ natürlich“, meinte sie kopfschüttelnd. „Gott, Finn hat recht. Der viele Sex, den du zurzeit bekommst, vernebelt dein Gehirn. Du warst doch mal halbwegs klug.“
Das geheime Leben der Louisa Manu? Ich hatte inständig gehofft, dass sie ihre Idee, eine Art YouTube-Serie über mein Leben zu führen, wieder vergessen hatte. Das erste Video, das sie online gestellt hatte, war furchtbar gewesen! Und es existierte nur noch, weil es absurderweise tatsächlich den Umsatz meines Blumenladens gesteigert hatte. Aber das hieß nicht, dass ich heiß darauf war, mich erneut im Internet lächerlich zu machen! Das bewerkstelligte ich im realen Leben nämlich schon zur Genüge.
„Was hat ein Zoo denn bitte mit meinem Leben zu tun?“, wollte ich irritiert wissen.
Emmi zuckte die Achseln, warf ihr frisch blondiertes Haar über die Schulter und durchquerte mein Wohnzimmer, um sich auf die Couch fallen zu lassen. „Ich wollte dich mit einem Elefanten im Porzellanladen vergleichen und dachte mir, dass es doch ganz cool wäre, das mit einem echten Elefanten zu verbildlichen. Und bei Nacht wirkt das alles so viel dramatischer. Aber der Elefant war nicht sonderlich artistisch und das Porzellan ist immer gleich zerbrochen, sobald wir es über den Zaun geworfen haben, also …“ Sie hob enttäuscht die Schultern.
„Wow“, sagte ich trocken. „Du schmeichelst mir, Emily.“
Meine Schwester klimperte mit den Wimpern. „Ich schäme mich für nichts.“
Das war mir klar. Es war ihre Superkraft.
„Lou …“, unterbrach Finn meine Gedanken. Er strich Twinky ein letztes Mal über den Bauch und stellte sich dann neben mich.
„Ja?“, fragte ich.
„Du hast eine Gurke gefüllt mit Blumen auf deinem Tisch stehen.“
„Ich weiß“, meinte ich erschöpft. „Das hält sie länger frisch.“
„Ach so“, sagte Finn, nickte und ließ sich neben Emily auf die Couch sinken. „Ich dachte, es wäre vielleicht ein Versehen oder so was.“
„Du dachtest, ich hätte aus Versehen Blumen in eine ausgehöhlte Gurke gesteckt?“, hakte ich nach. Nur um sicher zu gehen.
Finn zuckte die Schultern. „Na ja, du hast ganz offensichtlich einen an der Klatsche. So unwahrscheinlich ist das also gar nicht.“
Ich verengte die Augen. „Finn, darf ich dir einen Tipp geben? Für die Zukunft? Wenn du Hilfe von jemandem willst, bezeichne ihn nicht als bekloppt.“
Für einige Sekunden schien er angestrengt über diesen Vorschlag nachzudenken, bevor er nickte. „Okay. Wäre vielleicht mal ein neuer Ansatzpunkt. Aber ich dachte, du stehst drauf, ein bisschen verrückt zu sein. Ich meine, Josh steht drauf, oder nicht?“
Das wurde ja immer besser.
Ich presste die Lippen aufeinander und verengte die Augen, doch bevor ich wütend werden konnte, fiel mir Emmi in die unausgesprochenen Worte.
„Jetzt reg dich nicht darüber auf, Lou. Er hat dich doch quasi als etwas Besonderes bezeichnet und jeder Mensch möchte doch besonders sein, oder nicht?“, sagte sie. „Aber zurück zum wirklich wichtigen Thema: Unsere Filmerei im Zoo wurde am Ende von zwei Gestalten unterbrochen, die eine Leiche weggetragen haben.“
„Schön.“ Ich versuchte mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Was für Gestalten waren das?“
„Keine Ahnung. Männer, glaube ich.“
„Oder Frauen“, warf Finn ein.
„Vielleicht war es auch ein Mann und eine Frau. Die eine Gestalt war größer als die andere.“
„Seid ihr sicher, dass es nicht auch zwei Menschenaffen gewesen sein könnten? Ihr wart immerhin im Zoo“, sagte ich trocken.
„Ja, jetzt wo du es sagst“, meinte Finn und nickte. „Wenn sie die richtig gut dressiert hätten … dann wäre das unglaublich klug, oder? Menschenaffen zu benutzen, um eine Leiche wegzukarren? Ihre Fingerabdrücke würde doch nie jemand testen!“
„Das war ein Witz, Finn!“
„Oh.“ Er wirkte beinahe enttäuscht.
Emmi seufzte laut. „Sie kamen auf jeden Fall aus Richtung des Löwengeheges“, erklärte sie, öffnete ihre Handtasche und holte ein silbrig glänzendes Objekt daraus hervor. „Des Löwengeheges, Lou! Sie haben die Leiche bestimmt von den Riesenkatzen zerstückeln lassen. Aber warum machst du dir nicht einfach selbst ein Bild“, schlug sie vor und hielt mir die Kamera hin. „Wir haben das Ganze aufgenommen.“
Meine Augenbrauen flogen in die Höhe und sofort griff ich nach dem Gerät. „Ihr habt es gefilmt? Warum sagst du das nicht gleich?“
„Du warst zu sehr damit beschäftigt, uns dafür anzupflaumen, dass wir etwas Illegales getan haben“, stellte Emily weise fest. „Dabei tun wir das alles nur zu deinem Besten!“
Mhm, schon klar. Sie schadete meinem Ruf, damit mein Laden besser lief. Welch ein schönes Verkaufskonzept.
Ich beschloss, über Emmis verblendete Sicht der Dinge hinwegzusehen, klappte stattdessen die Kamera auf, ließ mich auf den Boden sinken und rief das letzte Video ab.
Das erste Bild zeigte zwei paar Füße und ein verdrecktes 1-Cent-Stück, auf dem man die Zahl kaum erkennen konnte. Inspirierendes Stillleben.
„Ist das Ding an?“, konnte man Emilys Stimme im Hintergrund vernehmen, bevor die Linse nach oben schwenkte und einen fast vollkommen schwarzen Hintergrund einfing.
„Du bist die Regisseurin“, hörte ich Finns gedämpfte Stimme. „Du musst doch wissen, ob die Kamera an ist!“
„Keine Ahnung, ich kann nichts sehen. Außerdem blendet mich dieses rotblinkende Licht total.“
Das Kamerabild wackelte, schwenkte von einer Richtung zur anderen. Straßenlaternen blitzten kurzzeitig auf, nur um dann wieder zu verwischen, bis man schließlich einen schwach beleuchteten Felsen erkennen konnte, neben dem ein dunkles Holzgerüst stand. Die Kamera wackelte stetig weiter, sodass mir beinahe schlecht wurde, während Emmi auf dem Video nuschelte: „Wo sind die ganzen Pavians … oder heißt es Paviane? Pavia? Von denen hätte ich auch gerne eine Aufnahme. Lou und das Wort Affe gehen ja quasi Hand in Hand.“
Ich nahm den Blick kurz von dem kleinen Bildschirm, um Emily und Finn zuckersüß anzulächeln. „Sagt mal“, begann ich langsam und sah zurück zu den immer noch stark schwankenden Aufnahmen, „wart ihr besoffen, als ihr das gedreht habt?“
Stille.
Meine Augen wurden groß und ungläubig öffnete ich den Mund. „Oh mein Gott! Ihr wart wirklich besoffen? Wie soll ich auch nur ein Wort glauben, das aus eurem Mund kommt, wenn eure Wahrnehmung an diesem Abend einen Dreck wert war?“
„Alkoholisiert macht der Zoo nun mal mehr Spaß“, erklärte Emily neunmalklug. „Aber wir haben kaum drei Flaschen Wein getrunken – und Bloody Marys sind ja quasi Gemüse, also … Wir wissen, was wir gesehen haben, Lou. Guck hin, gleich kommt die Leiche!“
Augenverdrehend blickte ich wieder auf das verdunkelte Display, auf dem das Bild so unkontrolliert von einer Seite zur anderen schwankte, dass man das Gefühl bekam, die Kamera sei auf dem Rücken eines tollwütigen Welpen angebracht worden.
„Ey, Emmi, was meinst du: Sind diese Pferde schwarz mit weißen Streifen oder weiß mit schwarzen Streifen?“
„Es sind Zebras, Finn!“
„Weiß ich doch, aber die Frage ist –“
„Pscht.“
Ein paar Sekunden lang hielt die Kamera still. Sie war in die Ferne gerichtet, und unter einer schwach leuchtenden Straßenlaterne konnte man ein paar hohe Bäume und Zäune erahnen. Doch sie waren viel zu weit entfernt, als dass man sie einem Gehege hätte zuordnen können.
„Hörst du das auch?“, flüsterte Emily zu genau dem Zeitpunkt, als man in den Tiefen der Schatten eine Bewegung wahrnehmen konnte. Da waren tatsächlich zwei Gestalten, die etwas Längliches trugen. Doch sie waren zu weit weg, um Einzelheiten erkennen zu können. Außerdem wichen sie geschickt den Lichtkegeln aus, die die Lampen warfen. Sie trugen Kappen und dunkle Kleidung. Aber dem, was sie schleppten, konnte man weder eine Farbe noch eine genaue Form zuordnen. Das Geschehen war zu weit entfernt, der Weg viel zu düster und die Kamera besaß gefühlte minus sechs Megapixel.
„Das ist voll die Leiche“, hörte man Finn zischen, bevor ein Ruck die Kamera erfasste. Er hatte offensichtlich an Emilys Arm gerissen. Emmi quietschte leise im Hintergrund, bevor ihre hastigen Schritte durch die Lautsprecher drangen. Die Gestalten waren längst nicht mehr zu erkennen, stattdessen sah man mehrere Glasfassaden, das Holzgerüst von vorhin und dann den Boden. Den Boden. Den Boden. Das glitzernde Eichenblatt des Centstücks. Den Boden. Und dann wurde der Bildschirm schwarz.
Ich ließ die Kamera sinken und hob langsam den Blick zu Emily und Finn, die mich erwartungsvoll ansahen.
„Und?“, wollte meine Schwester wissen, während sie mit dem Fuß nervös auf und ab wippte.
Ich räusperte mich. „Lasst mich nur noch mal kurz zusammenfassen: Ihr seid illegal in den Zoo eingebrochen, habt euch ordentlich betrunken und dann im Stockdunkeln beobachtet, wie zwei vermummte Gestalten, die vielleicht männlich waren oder aber auch weiblich oder aber auch zwei sehr große Affen, ein leichenförmiges Etwas weggeschafft haben? War das bevor oder nachdem ihr einen Joint geraucht habt?"
„Davor!“, sagte Emily triumphierend.
„Na, wenn es davor war, dann ist ja alles geklärt. Dann versteh ich gar nicht, warum ihr damit nicht zu Josh oder gleich zum FBI gegangen seid.“
„Weil Josh uns nicht geglaubt hätte und es das FBI nur in Amerika gibt“, sagte Finn dümmlich.
„Oh mein Gott, Finn, das weiß ich!“, fuhr ich ihn an. „Denn dieses Video beweist gar nichts. Außer, dass ihr eine stete Kameraführung für unnötig haltet, ihr nicht die Einzigen wart, die nachts im Zoo umhergewandert sind, und du wirklich lernen solltest, was ein Zebra ist, wenn du als Tierpfleger arbeiten willst!“
„Zebras sind auch nur Pferde, die sich für was Besseres halten“, belehrte mich Finn bissig. „Und es war eine beschissene Leiche, die sie da getragen haben, Lou! Ich weiß, wie die aussehen. Das Ding, was sie geschleppt haben, war schwer und länglich – und was sonst sollte man nachts beseitigen, wenn nicht eine Leiche? Es ergibt absolut Sinn.“
„Der Gegenstand, den sie getragen haben, hätte alles sein können, Finn!“
„Ach ja? Was denn zum Beispiel?“
„Zum Beispiel …“ Ich verstummte, überlegte, öffnete den Mund – doch mir wollte partout nichts einfallen. „Keine Ahnung!“, kapitulierte ich schließlich. „Aber die Polizei wird aufgrund dieses Videos und den Zeugenaussagen von zwei betrunkenen Verbrechern nicht den ganzen Zoo umgraben.“
„Natürlich nicht“, meinte Emmi und nickte. „Deswegen sind wir ja auch zu dir gekommen.“
„Puh, okay … ich könnte sicherlich einige Überzeugungsarbeit bei Josh leisten, sodass er zumindest mal beim Zoo vorbeifährt, aber –“
„Gott, nein!“, rief Finn sofort und Panik spiegelte sich in seinen Augen wider. „Josh darf nie erfahren, dass ich irgendwo eingebrochen bin! Er würde mich direkt beschuldigen, eine Straftat begangen zu haben.“
„Ihr habt ja auch eine Straftat –“
„Meine Güte, seit wann bist du eine solche Spielverderberin?“, unterbrach Emily mich schnaubend. „Du schläfst mit einem Bullen, nicht mit einem Gesetzbuch. Wir haben nichts Schlimmes getan. Die Tiere haben sich über unseren Besuch gefreut. Also, komm drüber hinweg, dass ich dich als Elefant bezeichnet habe, und konzentrier dich! Wir wollen nicht, dass du mit der Polizei redest, wir wollen, dass du dein Blumendetektivin-Ding abziehst.“
Prustend schüttelte ich den Kopf. „Ich bin in Rente, Emmi. Der Laden läuft gut, ich brauche keine weitere Aufmerksamkeit.“ Außerdem war nach allem, was ich wusste, überhaupt kein Mord geschehen.
„Als ob du des Marketingeffektes wegen auf deine bekloppten Mörderjagden gegangen bist“, sagte Emmi und zeigte mir den Vogel. „Du liebst es, im Dreck anderer zu wühlen. Das ist deine große Leidenschaft. Du bist eine … Menschengärtnerin!“
Ich verdrehte die Augen. „Netter Neologismus, aber ihr habt überhaupt keine Anhaltspunkte. Selbst wenn ich nicht in Rente wäre – es gäbe nichts, was ich tun könnte. Es gibt ja nicht einmal eine Leiche.“
„Nur, weil du die Leiche nicht gesehen hast, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt“, sagte Finn ernst. „Komm schon, Lou. Vielleicht ist es wirklich nichts. Vielleicht haben unsere Augen uns einen Streich gespielt. Aber was, wenn nicht?“ Dramatisch riss er die Augen auf, bevor er langsam und mit eindrucksvoll tiefer Stimme hinzufügte: „Was … wenn nicht?“
Ich seufzte schwer und sah zwischen meiner Schwester und Mister Clooney hin und her.
Was wäre schon dabei, wenn ich mal beim Zoo vorbeisah? Das Einzige, was mich davon abhielt, war Rispos düstere Miene, die mir augenblicklich in den Kopf sprang, sobald ich daran dachte, wie ich ihm erzählte, dass ich einem möglichen Mordfall nachging. Schon wieder.
Es lief gut zwischen uns. Absurd gut! Ich war so glücklich wie schon lange nicht mehr. Und wenn ich meine Nase erneut in fremde Angelegenheiten steckte … würde das Josh überhaupt nicht gefallen. Meine von Gott gegebene Fähigkeit, mithilfe von glücklichen Zufällen Mordfälle zu lösen, hatte er bisher weder als legitimes Hobby noch als Marketingmittel anerkannt. Vielmehr war er sehr vorsichtig damit geworden, was er mir über die Fälle erzählte, die er bearbeitete. So als könne ich jederzeit aufspringen und mich auf die Suche nach dem Mörder begeben. Worüber ich zugegebenermaßen schon mehr als einmal nachgedacht hatte. Doch das musste er ja nicht wissen.
Andererseits: Ich würde in den Zoo gehen und mich ein wenig umgucken. Das war wahrlich kein Staatsschutzdelikt. Es erinnerte eher an einen Waldspaziergang. Und der war ja wohl völlig harmlos! Und wenn Emily und Finn dann aufhören würden, mich zu nerven …
„Okay, ich mach’s“, sagte ich, gab Emily die Kamera zurück und stand auf. „Ich fahr morgen mal beim Zoo vorbei und sehe mich um. Aber mehr tue ich nicht. Also versprecht euch nicht zu viel davon.“
Emmi lächelte breit. „Danke!“, sagte sie. „Ich passe währenddessen auch auf den Laden auf. Ich traue der neuen Mitarbeiterin nicht.“
Ja, da hatten wir etwas gemeinsam. Rebecca, das Mädchen, das ich als Ersatz für Trudi eingestellt hatte, war mir nicht geheuer. Sie war eine ausgebildete Floristin, unfassbar pünktlich und effizient, räumte die Dinge immer an ihren angestammten Platz zurück und verhielt sich allseits höflich. Es war offensichtlich, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmte.
„Bei deinem Glück findest du die Leiche innerhalb von zwanzig Minuten. Wahrscheinlich noch mit einer pinken Schleife verziert“, sagte Finn begeistert. „Am besten gehst du morgens. Ich habe die Spätschicht und muss als Praktikant erst um eins antanzen. Du kannst es wie einen Zufall aussehen lassen, damit das Ganze nicht mit Emmi und mir in Verbindung gebracht werden und Joshi mir nichts vorwerfen kann!“ Hörte sich für mich nach einem bombensicheren Plan an. „Versprichst du, Josh nichts von dem Einbruch zu sagen? Bitte?“
Ich pustete mir unsicher die Haare aus der Stirn, nickte jedoch. „Jaja, ist schon gut. Ich verrate nichts.“
Erleichtert nickte Finn. „Okay, super. Apropos Joshi: Jetzt, da du tatsächlich großen Einfluss auf ihn hast, müssen wir planen, wie wir diesen Umstand zu unser beider Nutzen verwenden können.“
„Unser beider Nutzen?“, wollte ich skeptisch wissen.
„Natürlich. Ich habe schließlich dazu beigetragen, dass ihr jetzt zusammen seid, und möchte entlohnt werden!“
„Aha. Stand das im Kleingedruckten des Vertrages, den du mir nie vorgelegt hast? Und wie genau hast du uns zusammengebracht?“
„Nun, ich war es, der vorgeschlagen hat, du sollst wieder mit ihm schlafen – und du hast ja auch auf mich gehört, oder?“, meinte er scheinheilig.
Ich schnaubte. „Du schuldest mir neunzig Euro, Finn, meine Entlohnung ist, dass ich dir noch zwei Wochen gebe, bis du sie mir zurückzahlen musst.“
Er zog eine Grimasse. „Schön, einen Versuch war es wert. Komm, Emmi, wir gehen.“
Emily nickte grinsend. „Danke, Loubalou, aber tu überrascht, wenn du die Leiche findest.“
Das würde mir nicht schwerfallen, denn ich war ziemlich sicher, dass keine Leiche existierte. „Sag mal, Finn“, sagte ich, als ich ihnen die Tür aufhielt. „Warum bist du eigentlich nicht beim Flughafen? Wolltet ihr nicht alle zusammen Mo abholen?“
Finn blinzelte, runzelte die Stirn und schlug sich dann mit der Hand dagegen. „Scheiße! Ich wusste, dass ich was vergessen habe.“ Fluchend rannte er mit Emmi im Schlepptau die Treppe hinunter.
Kopfschüttelnd sah ich ihnen hinterher. Immer, wenn ich fürchtete, ich wäre verpeilt und durcheinander, dachte ich an die beiden – und fühlte mich wie die ordentlichste, strukturierteste Person, die diese Welt zu bieten hatte.
Ein kleines Männchen saß in meinem Kopf und schlug mit einem Wecker gegen meine Schläfe.
Benommen öffnete ich ein Auge.
Ach nein, kein Wecker. Ein Telefon klingelte.
Das war beruhigend, wenn auch nicht weniger nervig.
Das Läuten wurde lauter, und da es sich dabei nicht um die Melodie von Bibi Blocksberg handelte, konnte es nicht mein Handy sein, das nach Aufmerksamkeit schrie. Ich linste auf meinen Wecker – wer zum Teufel rief nachts um fünf an?! – und drehte mich dann auf die andere Seite.
„Josh“, murmelte ich und tastete nach dem Körper neben mir. „Josh, jemand ruft an. Verhafte ihn. Los.“
„Hm?“, kam es verschlafen zurück.