mRNA-Therapie - Daniel Schmitz-Buchholz - E-Book

mRNA-Therapie E-Book

Daniel Schmitz-Buchholz

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Beschreibung

Die mRNA-Therapie ist seit der Covid-19-Pandemie in aller Munde. Nach mehreren Jahrzehnten der Forschung gipfelte die Entwicklung 2020 in der Zulassung der ersten mRNA-Therapie überhaupt, den Impfstoffen der Firmen Biontech und Moderna. Dass die mRNA-Therapie spannende Ansätze zur Prophylaxe und Behandlung nicht nur von Covid-19, sondern auch von HIV, Malaria, Grippe, Multiple Sclerose, Herzinfarkten, Krebserkrankungen und vielen anderen Krankheiten mitbringt, ist bisher nur wenig bekannt. Dieses Buch wendet sich an alle, die sich für die mRNA-Therapie interessieren und erklärt anhand vieler einfacher Abbildung die Grundlagen, Chancen und Risiken der mRNA-Therapie einfach und verständlich. Im Mittelpunkt steht dabei das Verstehen der immunologischen Zusammenhänge der Therapie, der Stand der aktuellen Forschung und die bisherigen Erkenntnisse über Risiken und Nebenwirkungen der mRNA-Therapie.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Grundlagen

Was ist eigentlich die mRNA?

Und was sind eigentlich Zellen?

Die Medizin bisher: Langweilig?

Die mRNA-Therapie: Spannend?

Die mRNA-Therapie

mRNA-Impfungen

Das Immunsystem verstehen

Warum mRNA-Impfung?

mRNA-Impfung gegen Covid-19

Auffrischung gegen Mutation und das Vergessen

mRNA-Grippeimpfungen

mRNA-HIV-Impfungen

mRNA-Tollwut-Impfungen

Malaria-mRNA-Impfstoff

Weitere mRNA-Impfungen

mRNA-Therapie: Nicht nur ein Impfstoff

mRNA-Therapie am Herz

mRNA-Therapie bei Mukoviszidose

mRNA-Therapie von Lebererkrankungen

mRNA-Therapie bei Bluterkrankungen

mRNA-Therapie für das Gehirn

mRNA-Therapie bei “Rücken” oder “Gelenk”

mRNA-Therapie bei Autoimmunerkrankungen

mRNA-Therapie der multiplen Sklerose

mRNA-Krebstherapie

Allgemeine mRNA-Immunstimulation

Therapie: Gegen Krebs-Antigene

Individualisierte Krebsantikörper

Wie kommt die mRNA in den Körper?

Risiken und Nebenwirkungen

Fakten und Fiktion: Nebenwirkungen

Lokale Nebenwirkungen der mRNA-Injektion

Systemische (Neben-)Wirkungen

Schwere Nebenwirkungen der mRNA-Impfung

Kann die mRNA unser Erbgut verändern?

Werden wir zum Virus-Produzenten?

Ist mRNA-Therapie gefährlich in der Stillzeit?

mRNA-Therapie in der Schwangerschaft

Kinder und mRNA-Impfung, geht das gut?

Macht die mRNA-Therapie unfruchtbar?

mRNA-Therapie und Herzmuskelentzündung

Kann eine mRNA-Impfung Alzheimer auslösen?

Löst die mRNA-Impfung eine Allergie aus?

Was kann sonst noch passieren?

Wortgefechte

Geschichte der mRNA-Therapie

Vom Labor zur Marktzulassung

Schlusswort

Vorwort

Die mRNA-Therapie ist inzwischen ein heißes Thema, und Milliarden von Menschen haben sich in den letzten zwölf Monaten viele Gedanken darüber gemacht. Denn mit der Corona-Pandemie wurde das Thema der mRNA-Therapie plötzlich aus einer Nische, für die sich bisher nur schusselige Wissenschaftler interessierten, mitten in die öffentliche Diskussion katapultiert.

Obwohl seit mehr als fünfzig Jahren bereits an der mRNA-Therapie geforscht wird, gab es bislang keine im Alltag eingesetzten Produkte oder Medikamente. Aber das änderte sich schlagartig, als 2020 die ersten Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickelt wurden – und dazu auch die mRNA-Impfstoffe der Firmen BioNTech und Moderna zählten.

Was der eine oder andere vielleicht bereits weiß, liegt für viele noch im Dunkeln: Die mRNA-Technik ist längst nicht nur auf die Covid-19-Impfstoffe beschränkt. Vielmehr gibt es ein ganzes Arsenal an Einsatzmöglichkeiten, und weltweit forschen im Jahr 2021 etliche Firmen an Dutzenden von weiteren mRNA-Präparaten, die als Impfungen, Krebstherapie, zur Behandlung von Gendefekten, bei Autoimmunerkrankungen und vielen anderen Krankheiten eingesetzt werden sollen.

Aktuell gibt es leider wenig Literatur über die mRNA-Therapie und deren Möglichkeiten und Chancen, und ich hoffe, dass ich diese Lücke mit diesem Buch ein wenig schließen kann.

Das Ziel dieses Buches ist es, interessierten Menschen einen Eindruck zu geben, was die mRNA-Therapie eigentlich ist, was möglicherweise in den nächsten Jahren auf uns zukommt und ob sie tatsächlich das halten kann, was einige Wissenschaftler versprechen: eine Revolution der Medizin!

Um die Zusammenhänge möglichst verständlich darzustellen, habe ich dabei die immunologischen Fakten zum Teil stark vereinfacht. Lesen Sie dazu vergleichsweise einen Ausschnitt aus dem Wikipedia-Artikel zu mRNA-Impfstoffen: “(...) erfolgt anschließend (...) eine Präsentation der Epitope des Antigens auf einem dafür vorgesehen Proteinkomplex der Zelloberfläche, dem Haupthistokompatibilitätskomplex MHC I.” Wer das verstehen will, braucht ein Hochschulstudium im naturwissenschaftlichen Bereich. Das ist nicht das Ziel dieses Buches.

Zur besseren Verständlichkeit habe ich versucht, die Zusammenhänge zu vereinfachen und die grafischen Illustrationen so wenig kompliziert wie möglich zu gestalten. Ich hoffe, das ist mir gelungen, ohne dass für Sie wichtige Fakten oder Zusammenhänge fehlen. Wenn es in dem einen oder anderen Fall für Sie zu simpel geworden ist, tut es mir leid. Gleichzeitig hoffe ich, dass möglichst viele interessierte Menschen durch die allgemein verständliche Darstellung einen spannenden Zugang zur faszinierenden Welt der mRNA-Therapie erhalten. Wer tiefer in die Materie einsteigen will, findet sicherlich Fachliteratur zuhauf – dieses Büchlein soll nicht dazu gehören!

Weiterhin möchte ich noch ein Wort zu den Quellenangaben verlieren. Streng wissenschaftlich ist es geboten, jede Aussage mit einer Quellenangabe zu belegen. Politiker verlieren in den letzten Jahren reihenweise ihre Doktortitel, weil damit eher kreativ verfahren wurde … Ich habe bewusst auf viele Quellen verzichtet und lediglich die neuesten wissenschaftlichen Arbeiten angeführt. Ich glaube, es hilft niemandem, wenn ich seitenlange wissenschaftliche Studien oder Internet-Links mit Datum des letzten Aufrufs aufliste. Wenn Sie zu einem bestimmten Thema mehr wissen möchten, hilft Google mit den nötigen Stichwörtern schnell weiter. Ich hoffe, Sie können mit dieser Ungenauigkeit im Dienste der Lesbarkeit leben und haben trotzdem Ihren Spaß mit meinem Buch. Die Quellen habe ich jeweils als Link angegeben. Wenn Sie keine Lust haben, diese Links mühsam in den Browser einzutippen, finden Sie eine Liste der Quellenangaben direkt zum Anklicken auch auf meiner Webseite http://www.mrna-therapie.info.

Ihr Dr. Daniel Schmitz-Buchholz

Freiburg, August 2021

Grundlagen

Was ist eigentlich die mRNA?

mRNA ist eine Abkürzung für messenger-RNA, oder noch weiter ausgeschrieben: messenger ribonuclein acid, oder auf Deutsch: Boten-Ribonukleinsäure. Vergessen Sie als Laie am besten den Teil der Ribonukleinsäure. Der sagt lediglich aus, woraus die RNA besteht, und das ist für das Verständnis der Funktion und Aufgabe der RNA eigentlich gar nicht wichtig. Ob sie aus Zuckerwatte oder Ribonukleinsäure besteht, ist erstmal egal. Viel wichtiger ist, dass es sich offenbar um etwas handelt, was als Bote unterwegs ist, Botschaften beziehungsweise Informationen transportieren kann. Und das ist tatsächlich die Kernaufgabe der RNA: Sie transportiert Botschaften im Körper.

Abbildung 1: Eine stark vereinfach dargestellte mRNA als eine Kette von Informationen.

Das, was im obigen Bild aussieht wie eine Wimpernreihe, ist die mRNA – eine lange Kette aus einzelnen Informationen, die zusammen einen Sinn ergeben.

Aber damit wir verstehen, welche Informationen wann und wohin transportiert werden, müssen wir zunächst einen genaueren Blick auf den menschlichen Körper werfen und uns klarmachen, woraus der Körper aufgebaut ist: aus einer unzähligen Menge an Zellen.

Und was sind eigentlich Zellen?

Im Grunde sind Zellen nichts anderes als die kleinsten Bausteine unseres Körpers, die selbst als kleine Einheit für sich funktionieren. Sie haben bestimmte Bedürfnisse, brauchen Ernährung, können sich bewegen, sterben und haben meistens eine ganz spezielle Aufgabe, der sie im Körper nachgehen. Denken Sie dabei an die roten Zellen des Blutes, die den Sauerstoff im Blut transportieren. Oder die Zellen der Immunabwehr, die schädliche Bakterien oder Viren finden und bekämpfen sollen, oder auch die Zellen der Haut, die eine schützende Schicht auf der Außenseite unserer Körper bilden. Oder die kleinen grauen Zellen des Nervensystems, die uns (oder zumindest den meisten von uns) das Denken ermöglichen. Diese Liste könnte man noch lange, lange fortsetzen ... Aber wichtig ist nur eines: Unser Körper besteht aus Billionen von verschiedenen Zellen, die alle unterschiedlich aussehen und unterschiedliche Aufgaben bewältigen müssen. Und wenn das alles gut funktioniert und die Zellen ihre Arbeit gut machen, dann können wir lange und unbeschwert leben.

Damit unsere Körperzellen ihre Aufgaben gut erledigen können, brauchen sie verschiedene Werkzeuge oder Bauteile. Diese können sie zum Teil von außen aufnehmen, die allermeisten davon müssen sie jedoch selbst herstellen. Die wichtigste Art dieser Bausteine nennt man Proteine, und sie bestehen aus Eiweiß. Man schätzt, dass es beim Menschen 40.000 bis 800.000 verschiedene Proteine gibt!

Abbildung 2: Ein Protein. Es besteht aus einer langen Kette von Eiweiß und wurde anhand einer mRNA erstellt. Die mRNA ist der Bauplan für ein Protein.

Einige Beispiele für Proteine sind:

Insulin: Insulin wird von speziellen Zellen hergestellt und benötigt, um unseren Stoffwechsel zu steuern.

Myosin: Myosin ist ein wichtiges Protein in Muskelzellen, das unsere Muskelbewegungen ermöglicht.

Antikörper: Antikörper sind große Proteine, die von Immunzellen hergestellt werden, um Gegner zu markieren und anzugreifen.

Um diese Werkzeuge (ab jetzt spreche ich von Proteinen) herzustellen, braucht die Zelle neben kleinen eigens dafür angelegten Produktionsstätten einen Bauplan. Denn unsere Proteine bestehen oft aus bis zu mehreren hundert Bausteinen, selten aus über tausend! Die müssen alle in der richtigen Reihenfolge aneinandergesetzt werden, um ein funktionsfähiges Protein zu bilden.1 Dafür braucht es einen Plan.

Und der liegt in allen Zellen, die Proteine herstellen sollen, vor: Der Plan ist das Erbgut des Menschen, die DNA. Sie befindet sich im Zellkern und enthält Zehntausende von Bauplänen für ebenso viele Proteine.

Also: einfach DNA nehmen und Proteine herstellen? Nein, so einfach geht es leider nicht, denn das menschliche Erbgut ist ein Wust aus Millionen von verschiedenen Informationen und Bauplänen und liegt kompliziert gefaltet im Zellkern einer jeden Zelle. Schließlich liegt dort die Information über fast alles, was uns ausmacht. Und wenn nun eine einzelne Zelle ein einzelnes kleines Protein erstellen möchte, dann macht es wenig Sinn, wenn dabei jedes Mal der komplette Bauplan des Menschen und für alle möglichen Proteine hervorgeholt und ausgebreitet werden müsste.

Die Lösung für dieses Problem ist die mRNA. Die mRNA ist das Bindeglied zwischen dem gesamten Erbgut des Menschen und der Produktion eines einzelnen Proteins.

Abbildung 3: Ein Teil der DNA im Zellkern wird in eine mRNA übersetzt. Anhand der mRNA wird dann das Protein erstellt. Der Prozess findet im Inneren der Zellen statt.

Denn anstatt jedes Mal eine komplette Version des menschlichen Erbgutes, also des Bauplans, für den ganzen Menschen aus dem Zellkern auszulesen und dort nach der richtigen Stelle zu suchen, wird das nur mit einem ganz kleinen Teil gemacht. Man kann es sich so vorstellen, dass im Kern einer jeden Zelle wie in einer großen Bibliothek der gesamte Bauplan des Menschen vorliegt, und wenn eine Zelle ein einzelnes Werkzeug daraus herstellen möchte, wird nur die betreffende Stelle des Bauplans kopiert, in die Werkstatt getragen und dort verwendet, um das entsprechende Protein herzustellen. Und im Anschluss kann die kleine und kurze Kopie einfach entsorgt werden, bis wieder etwas Neues gebraucht wird. Dann wird wieder im Zellkern eine Abschrift der betreffenden Stelle angefertigt, in die Werkstatt gebracht und produziert. So einfach ist das.

Und was hat das alles mit der mRNA zu tun? Die mRNA ist Kopie der Stelle aus der Bibliothek, die vom Zellkern zur Werkstatt gebracht wird. Und daher kommt auch die Bezeichnung messenger oder Bote, denn die mRNA ist der Bote, der den Bauplan für ein Protein aus der großen Bibliothek des Zellkerns in die Werkstatt, wo dann produziert werden kann, trägt. In Abbildung 4 sehen Sie den Prozess aus Abbildung 3 nochmal, wie er tatsächlich innerhalb der Zelle stattfindet:

Abbildung 4: Der Prozess der Proteinproduktion innerhalb der Zelle.

MERKE: die mRNA ist ein Bauplan für ein einzelnes Protein, das von Zellen im menschlichen Körper anhand dieses Plans produziert werden kann.

Wie schon beschrieben, gibt es verschiedene Arten von Proteinen, die eine Zelle auf diese Art und Weise produzieren kann. Diese Proteine können dann im Inneren der Zelle weiterverwendet werden:

Abbildung 5: Ein produziertes Protein kann eine Funktion im Inneren der Zelle haben und dort verbleiben.

oder in die Zellwand eingebaut werden:

Abbildung 6: Ein Protein kann nach seiner Fertigstellung in die Zellwand integriert werden und dort zum Beispiel als Rezeptor nach außen ragen oder einen durchlässigen Kanal schaffen, durch den Stoffe durch die Zellwand transportiert werden können.

oder sogar nach außen abgegeben werden:

Abbildung 7: Ein Protein kann nach der Produktion auch nach außen abgegeben werden. Ein Beispiel wäre das Insulin, es könnte aber auch ein Antikörper sein, der außerhalb der Zelle gegen einen Erreger wirken soll.

So weit, so gut. Diese hier gezeigten Prozesse laufen übrigens jeden Tag billionenfach in unserem Körper ab. Unsere Zellen sind rund um die Uhr damit beschäftigt, neue Proteine herzustellen, selber zu verwenden, in ihre Zellwände einzubauen oder an die Umgebung abzugeben, wo sie verschiedene Funktionen wahrnehmen können. Wie bedeutend das für die mRNA-Therapie ist, werden wir gleich noch sehen. Sie haben gelernt, dass Zellen anhand einer mRNA ein Protein herstellen können.

1 Proteine bestehen aus Aminosäuren, die in langen Ketten aneinandergefügt werden.

Die Medizin bisher: Langweilig?

Zurück zur Medizin. Vieles in der Medizin funktioniert, indem uns von außen ein Medikament zugeführt wird. Wenn wir Schmerzen haben, nehmen wir eine Tablette. In dieser Tablette ist ein Wirkstoff enthalten, der uns das Gefühl des Schmerzes nimmt oder lindert. Wenn wir eine Infektion haben, nehmen wir ein Antibiotikum. Dieses Antibiotikum tötet Bakterien und kann die Erkrankung heilen. Wenn wir Krebs haben, bekommen wir eine Chemotherapie, die dann die Krebszellen abtötet. So funktioniert die Anwendung von Medikamenten, die in den meisten Fällen letztendlich nichts anderes sind als Chemikalien oder eben künstlich hergestellte Substanzen, von denen wir wissen, dass sie bestimmte Wirkungen im Körper entfalten. Pharmafirmen sind auf der Suche nach immer neuen Medikamenten und schütten in ihren Laboren immer neue Stoffe zusammen. Sie testen diese an Zellen und Tieren und auch Menschen und versuchen herauszufinden, was sich als Medikament für eine bestimmte Erkrankung eignet und was man direkt wieder in den Abfluss kippen kann, weil es entweder gar nicht wirkt oder hässliche Nebenwirkungen hat.

Die mRNA-Therapie: Spannend?

Die mRNA-Therapie hat eine ganz andere Grundlage. Denn die Überlegung ist folgende: Wie wir bereits wissen, verfügt fast jede Zelle über die Fähigkeit, Proteine zu produzieren, und tut dies am laufenden Band – nach Plänen, die in Form von mRNA vorliegen und aus dem Erbgut des Menschen immer wieder nach Bedarf neu angefertigt werden. Einige findige Wissenschaftler haben sich in den 1990er Jahren gefragt: Was passiert eigentlich, wenn wir von außen in die Werkstatt der Zelle eine andere mRNA, also eine ganz andere Bauanleitung, hineinbringen? Eine Bauanleitung für ein Protein, das die Zelle bisher gar nicht kannte und das vielleicht auch im Erbgut des Menschen so gar nicht vorkommt?

Kommt dann auch aus der Zellwerkstatt das gewünschte Protein heraus? Auch wenn die Information dazu vielleicht gar nicht im Erbgut des Menschen enthalten ist? Oder würde die Zelle die mRNA gar nicht annehmen? Das sind sehr interessante Fragen.

Als Erstes musste dafür eine mRNA in einem Reagenzglas hergestellt und so aufbereitet werden, dass man sie in eine menschliche Zelle hineinbringen kann. Allein das war schon mit viel Arbeit verbunden und konnte Anfang der 1980er das erste Mal erreicht werden. Es folgten weitere lange Jahre des Experimentierens. Das Problem war dabei zunächst, dass man nicht einfach eine mRNA zusammensetzen und spritzen kann. Denn sie würde sofort vom Körper abgebaut, vom Immunsystem des Körpers angegriffen und vernichtet werden, bevor sie in irgendeine Zelle gelangen könnte. Aber am Ende gelang es tatsächlich, mRNA als Bauplan für ein beliebiges Protein herzustellen und diese in Zellen einzuschleusen. Die Lösung war dabei, die mRNA in kleine Fettbläschen zu verpacken und einige Veränderungen an bestimmten Teilen der mRNA vorzunehmen. Die Fettbläschen werden als Nanopartikel bezeichnet. So aufbereitet war die mRNA stabiler, wurde nicht mehr angegriffen und zerstört und konnte in das Innere von Zellen eingeschleust werden. Schematisch kann man sich die in Fettbläschen verpackte mRNA so vorstellen:

Abbildung 8: Ein Blick in ein Mikroskop auf in Nanopartikel verpackte mRNA-Stränge.

Bringt man diese nun mit menschlichen Zellen zusammen, verschmelzen diese mit den Nanopartikeln:

Abbildung 9: Die Nanopartikel aus Fettmolekülen verschmelzen mit der Zellwand und geben die mRNA in das Zellinnere ab (stark vereinfacht).

Und nach ein paar Jahren des Experimentierens zeigte sich: Ja, es funktioniert! Es war zwar mit vielen, vielen Problemen verbunden, die man zunächst lösen musste, aber grundsätzlich kann man eine mRNA in eine Zelle einschleusen. Die nächste Frage war natürlich: Würde die Zelle diese mRNA tatsächlich als Bauplan akzeptieren und ein Protein herstellen?

Abbildung 10: Nachdem die mRNA in das Innere der Zelle gelangt ist, wird anhand der Informationen der mRNA ein Protein hergestellt.

Heureka! Anfang der 1990er Jahre konnte man einen großen Erfolg feiern. In der Werkstatt der Zelle wird tatsächlich genau dieses Protein zusammengebaut, für das die mRNA den Bauplan übermittelt! Man könnte vielleicht erstmal gelangweilt gucken, mit den Achseln zucken und fragen: Und jetzt? Aber wenn man weiter darüber nachdenkt, dann erschließen sich unendlich viele Möglichkeiten. Denn man kann damit die Zellen des Körpers gezielt mit neuen Proteinen ausstatten, die sie bisher gar nicht kannten. Oder defekte Proteine durch funktionierende ersetzen. Oder eine Abwehrreaktion gegen bestimmte Krankheitserreger auslösen, etwa so wie bei einer Impfung … oder, oder, oder.

Besonders relevant ist in diesem Zusammenhang noch die Frage, wie lange diese Proteinproduktion anhält. Werden die Zellen nun bis in alle Ewigkeit das neue Protein herstellen? Nein, natürlich nicht! Studien haben gezeigt, dass die Proteinproduktion zwar bereits innerhalb von Stunden losgeht, aber ihren Höhepunkt nach etwa zehn Tagen erreicht und dann schnell wieder abfällt.2

Das Besondere an der mRNA-Technik ist dabei, dass die Herstellung der mRNA und der Nanopartikel schneller, günstiger und flexibler ist als viele andere Herstellungsprozesse für komplexe Medikamente oder zum Beispiel Impfstoffe. Denn einen wesentlichen Teil der eigentlichen Produktion übernehmen ja die menschlichen Zellen! Und egal, welches Protein man in den Zellen sehen möchte, es geht immer um den gleichen Prozess: mRNA herstellen und in Nanopartikel verpacken. Die Hoffnungen der Forscher ruhen daher darauf, bereits bekannte Therapien damit deutlich verbessern und gleichzeitig ganz neue Therapieansätze umsetzen zu können. Beides hat sich inzwischen bestätigt, wie wir im weiteren Verlauf noch sehen werden.

Es gibt inzwischen etliche Forschungsgruppen und Firmen (die meistens aus Forschungsgruppen hervorgegangen sind), die mit aller Kraft auf dem Gebiet der mRNA-Therapie forschen. Es geht um viel Ehre und Geld. Denn wem es gelingt, ein wirkungsvolles mRNA-Medikament auf den Markt zu bringen, der hilft nicht nur Tausenden oder Millionen von Patienten, sondern kann seinen Namen auch in die Medizingeschichtsbücher eintragen. Dass im Moment an vielen Fronten mit hohem Einsatz geforscht wird, erkennen Sie an den “Pipelines” einiger bekannter mRNA-Firmen.

Abbildung 11: Aktueller Stand der Forschung der Firma TranslateBio, Quelle: translate.bio.

oder

Abbildung 12: Ein Teil der Forschung der Firma Moderna, Quelle: modernatx.com.

In den weiteren Kapiteln gehe ich auf die wichtigsten Forschungen ein und hoffe, dass ich Ihnen sowohl die zugrunde liegenden Krankheiten als auch die bisherigen Forschungserfolge gut verständlich und spannend darbieten kann.

2https://doi.org/10.1016/j.omtn.2019.08.001

Die mRNA-Therapie

In diesem Kapitel erfahren Sie konkret, welche Therapieansätze es für die mRNA-Therapie aktuell gibt. Ich stelle Ihnen zunächst jeweils die Grundlagen der Erkrankung vor, die Sie verstehen müssen, um die Wirkungsweise der mRNA-Therapie jeweils zu begreifen. Dann werfen wir einen Blick auf die konkreten Forschungen der verschiedenen Firmen, die sich im Wettlauf um die ersten mRNA-Anwendungen befinden.

mRNA-Impfungen

Die mRNA-Impfungen sind auf den ersten Blick das naheliegende Thema, denn die mRNA-Impfung ist bereits seit 2020 im weltweiten Einsatz und hat sich in der Prophylaxe der Covid-19-Infektion erfolgreich bewährt. Die meisten von uns – ich eingeschlossen – wüssten heute nichts von der mRNA-Therapie, wenn es die Corona-Pandemie nicht gegeben hätte.

Die Funktionsweise der mRNA-Impfstoffe ist zwar etwas komplexer als bei anderen mRNA-Therapien, aber das soll uns nicht davon abhalten, zuallererst einen Blick darauf und später auf die anderen Möglichkeiten der mRNA-Therapie zu werfen. Dass das Ganze ein ganz aktuelles und heißes Thema ist, erkennen Sie auch an der Entwicklung der publizierten wissenschaftlichen Artikel zu dem Thema mRNA-Impfung:

Abbildung 13: Die Anzahl der wissenschaftlichen Artikel pro Jahr zum Thema der mRNA-Impfung. Sie sehen den deutlichen Trend von 2005 bis 2021. Lange Zeit gab es nichts dazu, jetzt wird es jedes Jahr mehr. Quelle: PubMed.gov.

Das Immunsystem verstehen

Das Immunsystem ist für die Abwehr und Bekämpfung von Krankheitserregern zuständig. Der Körper ist sogar ziemlich erfolgreich darin, sich gegen Krankheiten zu wehren. Er hat über Jahrmillionen extrem gute Strategien entwickelt, eindringende Krankheitserreger ausfindig zu machen, zu identifizieren und zu bekämpfen.

Merke: Der Körper ist ziemlich gut zu erkennen, wenn etwas Fremdes und von außen eingedrungen ist.