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Welchen Weg sollen Lehrende einschlagen, damit Lernende eine gute mündliche Kompetenz entwickeln können? Eine internationale Autor:innenschaft gibt in diesem Band praxisorientierte Antworten für die schulische Sekundar- und Primarstufe sowie die Erwachsenenbildung. Die fachdidaktischen Ansätze in den Beiträgen bauen auf im Feld erforschtem Wissen auf und stellen überwiegend empirische Forschungsprojekte vor. Auf Basis der Datengrundlagen werden konkrete Vorschläge für eine praktische Umsetzung entwickelt. Quel chemin les enseignant.e.s doivent-ils.elles emprunter pour que les apprenant.e.s développent de bonnes compétences orales? Ce volume tente de répondre à cette question à travers une série de contributions, issues d'un groupe international d'auteur.e.s. Les approches didactiques émanent en grande partie de recherches sur le terrain et présentent majoritairement des projets empiriques. Sur la base de ces données, des idées concrètes de mise en oeuvre sont proposées, orientées vers la pratique tant dans l'enseignement secondaire que primaire ainsi que dans la formation pour adultes.
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Seitenzahl: 450
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Carmen Konzett-Firth / Alexandra Wojnesitz
Mündlichkeit im Französischunterricht: Multiperspektivische Zugänge
DOI: https://doi.org/10.24053/9783823394969
© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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Internet: www.narr.deeMail: [email protected]
ISSN 2197-6384
ISBN 978-3-8233-8496-0 (Print)
ISBN 978-3-8233-0289-6 (ePub)
Warum besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt Bedarf an einer vertieften Auseinandersetzung mit Mündlichkeit? Aus unserer sowohl theoriegeleiteten als auch praxisorientierten Sicht nimmt das Sprechen im (schulischen) Französischunterricht nach wie vor nicht immer den Platz ein, der ihm gebührt. Der Grund hierfür ist die Volatilität und Komplexität von Mündlichkeit und ihre daraus resultierende erschwerte Messbarkeit (Decke-Cornill/Küster 2015, 267) sowie schwierige Dokumentierbarkeit (Krechel 2016, 215). Unser Sammelband sieht sich somit als Beitrag dazu, den Platz der oralité sowohl im Unterrichtsgeschehen als auch in der Forschung zu stärken.
Dieses Anliegen bewog uns dazu, für den Frankoromanistentag 2020 die fachdidaktische Sektion „Multiperspektivische Zugänge zur Mündlichkeit im Französischunterricht“ / „Perspectives multiples de l’oralité dans l’enseignement du français“ anzubieten. Da dieser Einladung erfreulicherweise 15 Expert*innen aus fünf Ländern folgten, fand die Sektion unter unserer Leitung (Carmen Konzett-Firth, Universität Innsbruck, und Alexandra Wojnesitz, Universität Wien), am 24./25. September 2020 online statt. Die Teilnehmer*innen stellten die Ergebnisse ihrer rezenten (empirischen) Forschung vor und diskutierten mit uns auf Französisch und Deutsch deren Bedeutung für eine moderne Didaktik der Mündlichkeit der französischen Sprache. Der Großteil der Referent*innen erklärte sich daran anschließend dankenswerterweise dazu bereit, ihre Beiträge für den vorliegenden Sammelband zu Papier zu bringen.
Die Aufsätze spiegeln jene diverse Forschungs-und Praxislandschaft wider, welche die Fremdsprachendidaktik im deutschsprachigen Raum prägt: Sowohl Professor*innen als auch Nachwuchswissenschaftler*innen, die zum Teil stärker in der Forschung, zum Teil mehr in der Praxis verankert sind, sowie Lehrende aus Lehrer*innenbildungskontexten, tragen zum Gelingen dieses multiperspektivischen Bandes bei. Diese anregende Mischung aus verschiedenen theoretischen Rahmungen, methodologischen Zugängen und Erkenntnisinteressen in Zusammenhang mit Mündlichkeit im Französischunterricht führte in der Sektionsarbeit zu höchst produktiven Diskussionen und soll auch in ihrer schriftlichen Version den Leserinnen und Lesern vielfältige Anknüpfungspunkte und neue Perspektiven bieten.
Im aktuellen fremdsprachendidaktischen Diskurs sind höchst unterschiedliche Zugänge zur Mündlichkeit zu beobachten, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sich der Thematik nähert. In vielen Fällen wird auf die mündliche Dimension von Sprache im Rahmen der Fertigkeit „Sprechen“ Bezug genommen, sie wird also aus einer kompetenzorientierten Perspektive behandelt. Mündlichkeit wird dabei als Lernziel und als eine zu erwerbende Fertigkeit betrachtet. Üblicherweise wird zwischen monologischem und dialogischem Sprechen unterschieden, und häufig werden die aus dem GERS stammenden Bezeichnungen „zusammenhängendes Sprechen“ sowie „an Gesprächen teilnehmen“ in curricularen Texten übernommen. Mündlichkeit – oder Sprechen – ist auch ein traditionell fixer Bestandteil des kommunikativen Unterrichts (siehe dazu ausführlicher Schmenk 2005), da Kommunikation und kommunikative Kompetenz häufig mit gesprochener Sprache und mit individueller, insbesondere mündlicher, Sprachproduktion in Verbindung gebracht werden (Martinez 2014).
Wenn Mündlichkeit in fremdsprachendidaktischen Publikationen als empirisches Phänomen thematisiert wird, werden meist Bezüge zur Linguistik und zur Spracherwerbsforschung hergestellt. Fremdsprachendidaktiker*innen aus der deutschsprachigen romanistischen Fachdidaktik beziehen sich dabei zum Teil auf varietätenlinguistische Beschreibungsansätze wie jenem von Peter Koch und Wulf Österreicher (Koch/Oesterreicher 1985/2007/2011), in denen die ,gesprochene Sprache‘ als eigene Varietät im Gegensatz zur ,geschriebenen Sprache’ konzeptualisiert und auch aus dieser Dichotomie heraus charakterisiert wird (siehe etwa Rösler 2014, Schmelter 2014 oder den Eintrag zur „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ im Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik, Zydatiß 2017). Mündlichkeit wird in solchen Konzepten über Merkmalsbeschreibungen (vor allem des Lexikons und der Syntax in Bezug auf verschiedene kommunikative Genres) und in Abgrenzung zu einer schriftlichen Norm definiert. Eine weitere von Fremdsprachendidaktiker*innen häufig zitierte linguistische Referenz ist das psycholinguistische Sprachproduktionsmodell von Willem Levelt (Levelt 1995). Darin wird Mündlichkeit in erster Linie als Sprechen konzeptionalisiert und die kognitive Leistung eines Individuums bei der mündlichen Sprachproduktion, also bei der Produktion einer mündlichen Äußerung, systematisch modelliert. Levelts mehrdimensionales und komplexes Faktorenmodell umfasst die Bereiche der Konzeptualisierung, Formulierung und Artikulation und integriert darin den Zugriff auf sprachliches und nicht-sprachliches Wissen sowie das Hörverstehen.
In anderen Arbeiten, insbesondere in der anglistischen Fachdidaktik, wird, analog zum fachlichen Diskurs in anglophonen Ländern, eher auf Modelle zur kommunikativen Kompetenz sowie auf Forschung zum Erwerb von Flüssigkeit, Komplexität und Korrektheit in der Produktion von Äußerungen verwiesen (z. B. Goh/Burns 2012; Hallet et al. 2020; Pakula 2019; Schmidt 2016). Die in diesen Publikationen und im GERS (Trim et al. 2001) verwendeten Modelle der kommunikativen Kompetenz beschreiben die verschiedenen Wissens- und Handlungsdimensionen mündlicher Sprech- bzw. Interaktionskompetenz, die zwar ursprünglich auf das soziolinguistische Modell von Hymes zurückgehen, aber in ihren moderneren Ausprägungen weniger auf der Beschreibung empirischer Daten als auf Erfahrungswerten oder theoretischen Überlegungen basieren. Kommunikationskompetenzmodelle waren und sind aber vor allem deswegen sehr erfolgreich, weil sie sehr gut operationalisierbar sind (sowohl für Zwecke des Lehrens und Lernens als auch insbesondere des Überprüfens) und auch mit dieser Zielrichtung erstellt wurden (cf. Schmenk 2005).
Eine weitere Verbindung der fachdidaktischen Literatur zur Linguistik, die häufig aus der Gegenrichtung erfolgt – d. h. dass auf Grundlage von linguistischen Analysen Hypothesen über fremdsprachendidaktische Inhalte aufgestellt und in Studien entsprechend untersucht werden – ist im Bereich der Phonetik/Phonologie bzw. Aussprachekompetenz beobachtbar. Hier sind in den letzten Jahren im Rahmen der Beforschung romanischer Sprachen eine Reihe an Arbeiten entstanden, die dem Forschungsfeld der Perzeptionslinguistik entstammen und mit fachdidaktischen Fragestellungen verknüpft werden (so z. B. in einem rezenten Thementeil zur Aussprache in der Zeitschrift Französisch heute (2020, 51(1)). Die Aussprache kann als Teilfertigkeit des Sprechens gelten und wird in der Literatur auch so eingeordnet (Krechel 2016; Nieweler 2017).
Die mündliche Ausprägung von Sprache stellt aber im schulischen Fremdsprachenunterricht nicht nur ein Lernziel, sondern auch ein Lernwerkzeug und einen Lernort dar1. Sprache spielt zunächst wie in vielen anderen Unterrichtsfächern eine integrale Rolle in Lehr-Lern-Prozessen. Sie ist zwar nicht das einzige, aber sicherlich das Kommunikationsmittel und Lernwerkzeug par excellence, um Inhalte zu er-, be- und verarbeiten und zu vermitteln. Dies gilt sowohl für lehrendengesteuerte Lehr-Lern-Kontexte als auch für Formate des Peer-Lernens. In psycholinguistischen Theorien des Spracherwerbs kommt der gesprochenen Sprache sogar eine zentrale Rolle im Spracherwerbsprozess zu (vgl. die Output-Hypothese von Swain, z. B. 2005). Gleichzeitig ist (gesprochene) Sprache im Fremdsprachenunterricht aber auch ein Lernort. Die mündliche soziale Interaktion bietet eine besonders intensive Gelegenheit für Lernende, den Lerngegenstand ‚Fremdsprache‘ leiblich-multimodal zu erfahren und daran teilhaben zu können, um ihn sich im Sinne eines konstruktivistischen Lernbegriffs zu eigen zu machen (Lantolf 2011)2. Das Paradigma des kommunikativen Unterrichts nützt dieses Prinzip (zumindest implizit), indem möglichst viele Situationen geschaffen werden, in welchen Lernende aktiv an mündlichen Interaktionen teilnehmen können, unabhängig davon, ob diese in einem plenaren Setting ablaufen oder zwischen Lernenden untereinander ausgeführt werden. Auch der aufgabenorientierte bzw. aufgabenbasierte Ansatz (task based language teaching) sieht in der mündlichen Interaktion den zentralen Lokus für Lernanlässe und Lernprozesse, wenn auch auf der Basis eines anderen theoretischen Hintergrunds: Laut der Interaktionshypothese (Long 1996) werden mündliche Aushandlungen von Bedeutung, d. h. Situationen, in denen Lernende Bedarf an der (gemeinsamen) Bearbeitung eines sprachbezogenen Problems haben, als besonders lernförderlich betrachtet. In der (empirisch unterstützten) Annahme, dass solche Aushandlungen vorzugsweise in jenen Settings stattfinden, in denen Lernende ein Informationsdefizit überbrücken müssen, setzt der aufgabenorientierte Ansatz stark darauf, dementsprechende Handlungsrahmen im Unterricht zu arrangieren (Samuda et al. 2018).
Die Mündlichkeit bzw. die mündliche Kompetenz genießt bei Fremdsprachenlernenden nach dem Motto Das kann ich später einmal brauchen, also insbesondere aus einer Nützlichkeitsperspektive, traditionell einen hohen Stellenwert (Kallenbach 1996). Sprechen wird von linguistischen Lai*innen auch oft mit der gesamten Sprachkompetenz gleichgesetzt (Nieweler 2017, 124), was dazu führt, dass (besonders ältere) ehemalige Französisch-Lernende häufig angeben, dass sie ihr „Schulfranzösisch“ nicht in Frankreich brauchen könnten und dass sie zwar viele Jahre Unterricht gehabt hätten, aber „im wirklichen Leben“ nicht kommunizieren könnten. Darüber hinaus gaben in verschiedenen rezenten Untersuchungen viele befragte Studierende an, dass zu einem guten Französischunterricht ein Fokus auf Sprechen, insbesondere in authentischen Alltagssituationen, dazugehöre (cf. Grein et al. 2021).
Auch aus Perspektive der Lehrkräfte wird Sprechen prinzipiell als (sehr) wichtig erachtet, was etwa an zugespitzten Titeln von Lehrer*innenfortbildungen, wie jener der Fachtagung des Österreichischen Sprachenkompetenzzentrums, Sprachen sind zum Sprechen da (ÖSZ-Fortbildungsreihe Sprachen im Blick, November 2020), illustriert werden kann. Der hohe Stellenwert der Sprechkompetenz zeigt sich auch beispielsweise im beliebten Format der österreichischen Fremdsprachen-Redewettbewerbe, die es auch in mehrsprachiger Ausführung gibt (siehe dazu die Internet-Seiten zum Sprachencontest1 der berufsbildenden Schulen und zur Initiative „Sag’s multi“2 des Österreichischen Rundfunks, bei der auch die Herkunftssprachen der Schüler*innen einbezogen werden) und bei der sich Jugendliche vor Publikum in ihrer Rede- und Gesprächskompetenz messen und so medien- und öffentlichkeitswirksam ihre in der Schule (und evtl. in anderen Kontexten) Sprach- bzw. Sprechkompetenz demonstrieren. Diese Formate werden auch von bildungspolitischen Instanzen (Bildungsdirektionen, Ministerien) als willkommene mediale Aushängeschilder für schulische Leistungen unterstützt. In der offiziellen Bildungspolitik wird dem besonderen Stellenwert der mündlichen Kompetenz im Fremdsprachenunterricht allerdings nicht immer Rechnung getragen. So ist etwa die Entscheidung der Bildungsverantwortlichen in Österreich bei der Neukonzeption der Reifeprüfung zuungunsten der – von Expertenseite vorgeschlagenen – obligatorischen mündlichen Komponente in den fremdsprachlichen Fächern ausgefallen. Konkret bedeutet das, dass Schüler*innen in Österreich die Reifeprüfung in einer lebenden Fremdsprache ablegen können, ohne dass ihre mündliche Kompetenz überprüft wird. Es ist zu befürchten, dass Rückkopplungseffekte einer solchen Prüfungsbestimmung negative Auswirkungen auf die inhaltlichen Prioritäten im Unterricht haben und die mündliche Kompetenz (noch) stärker zurückdrängen werden. Untersuchungen in vergleichbaren bildungsorganisatorischen Konstellationen, etwa in den Niederlanden (Michel et al. 2021), zeigen entsprechende Tendenzen auf.
Der Mündlichkeit im Fremdsprachenunterricht wird grundsätzlich nichtsdestotrotz ein hoher Status zugeschrieben (cf. Schmidt 2016); in Bezug auf die Wahrnehmung dieser Kompetenz gilt sie als im Sprachgebrauch vorrangig und als für den Transfer von Schulwissen in die Alltagswelt nützlich. Gleichzeitig wird Sprechen auch als „Königsdisziplin“ (Blume/Nieweler 2018) bezeichnet und hat den Ruf, schwierig zu sein, ganz speziell im Französischunterricht, ist doch das Französische eine Sprache, in der Schreibung und Lautung besonders deutlich voneinander abweichen (Pustka 2016)3. Auch aus Sicht der Lehrkräfte ist das Fördern der mündlichen Kompetenz schwierig (Caspari 2017): Das Üben und Anwenden braucht Zeit und das freie Sprechen, insbesondere in Interaktion, kann – zumindest in analogen Unterrichtssettings – kaum außerhalb der Unterrichtssituation trainiert werden (siehe dazu auch Fußnote 3). Zudem mangelt es häufig an strategischer Planung der Entwicklung der Fertigkeit Sprechen im Unterricht. Lehrbücher orientieren sich trotz zunehmender Kompetenzorientierung nach wie vor stärker an einer strukturellen (also an sprachsystemischen Aspekten orientierten) Progression als an einer kompetenzorientierten. Innerhalb der produktiven Fertigkeiten wird dabei außerdem der schriftlichen ein höherer Stellenwert eingeräumt, jedenfalls, was die Anzahl und strategische Platzierung der Aufgaben betrifft (García García 2016). Nicht zuletzt belegen empirische Daten (Konzett-Firth 2017 und in diesem Band) mit Videoaufnahmen über 5 bzw. 6 Lernjahre in zwei verschiedenen Klassen, die von erfahrenen Lehrpersonen geleitet wurden, dass die Fertigkeit Sprechen kaum systematisch unterrichtet wird und eine offensichtliche Orientierung an einer Progression, die über die Länge der Beiträge und die inhaltliche Komplexität der Redethemen hinausgehen würde, unterbleibt. Das FRAISE-Korpus zeigt darüber hinaus, dass im Unterricht zwar relativ viel gesprochen wird und Schüler*innen auch untereinander immer wieder in der Fremdsprache sprechen, dass damit aber nicht zwingend ein (erkennbar) zielorientiertes Trainieren zur Steigerung von mündlicher Kompetenz verbunden ist.
Der GERS (Conseil de l’Europe 2018), der als Grundlage vieler aktueller Lehrpläne im deutschsprachigen Raum die zu erreichenden Lernziele im Fremdsprachenunterricht beschreibt, legt für den Bereich der Sprechkompetenz eine grundlegende Unterscheidung zwischen Produktion und Interaktion fest. Diese beiden Kategorien sind eine Folge der fertigkeitsorientierten Herangehensweise des GERS, wonach sprachliche Kompetenzen in rezeptive, produktive und interaktive (und seit dem Companion Volume auch vermittelnde) Fertigkeiten unterteilt werden. Um der Operationalisierbarkeit willen werden also zwei Bereiche mündlicher Kompetenz, nämlich Rezeption und Produktion, zunächst in Form von Hören/Lesen bzw. Sprechen/Schreiben analytisch getrennt, um dann in Form der dritten Fertigkeit Interaktion wieder annähernd zusammengeführt zu werden (allerdings mit starker Betonung der produktiven Komponente). Der GERS spricht zwar von „kommunikativen Aktivitäten und Strategien“ (S. 54), bietet aber für die jeweiligen Aktivitätskategorien sehr wohl Kompetenzbeschreibungen in Form von Kann-Deskriptoren an. Die mündliche Kompetenz kommt aber noch in einer weiteren Form im GERS vor, nämlich in einzelnen Teilbereichen innerhalb der sogenannten „kommunikativen Sprachkompetenzen“: Die Aspekte „phonological control“, „turntaking“ sowie „spoken fluency“ beziehen sich eindeutig und ausschließlich auf Mündlichkeit, während die restlichen Bereiche der linguistischen, soziolinguistischen und pragmatischen Kompetenz sowohl für mündliche als auch für schriftliche Sprachverwendung gelten. Korrekte oder zumindest verständliche Aussprache (cf. Pustka 2021) und angemessene Flüssigkeit (sowie die Fähigkeit, „spontan“, d. h. unvorbereitet, zu sprechen) sind dabei zwei essentielle Teilkomponenten des Sprechens.
Demgegenüber ist der Aspekt des interaktiven Sprechens, also der gegenseitigen Redezugsübernahme und des gemeinsamen Ko-Konstruierens von Interaktion, erst vor relativ kurzer Zeit (u. a. durch den Einfluss des GERS) als eigenständige Komponente stärker in das Bewusstsein von Lehrpersonen und Fachdidaktiker*innen gerückt (cf. García García 2016) und bedarf noch weiterer, insbesondere empirischer Forschung.
Ein weiterer inhaltlicher Fokus, der sich im Bereich der fachdidaktischen Forschung zur Mündlichkeit in den letzten Jahren herausgebildet hat, ist der Ansatz der Lexikogrammatik, der sich u. a. auch aus linguistischen Forschungsarbeiten im Bereich der Phraseologie und der Konstruktionsgrammatik speist und aufgrund von neuesten Erkenntnissen zum Spracherwerb als fruchtbarer Ansatz für den Fremdsprachenunterricht vorgeschlagen wird (cf. Bürgel et al. 2021). Bürgel plädiert etwa (z. B. 2020) dafür, dass „Phraseme“, also größere lexikogrammatische Einheiten, beim Lehren und Lernen stärker fokussiert werden sollten, und zwar sowohl in Lehrwerken als auch im Unterricht (siehe auch Bürgel sowie Sobel in diesem Band).
Bereits seit Beginn der kommunikativen Wende steht also das Sprechen bzw. die mündliche Kompetenz im Fremdsprachenunterricht ganz oben in der Liste der zu erreichenden Lernziele. Dies spiegelt sich auch in den Materialsammlungen bzw. Lehrerhandreichungen zur Förderung von Sprechkompetenz wieder, die in den letzten Jahrzehnten publiziert wurden. In einem Überblicksartikel fassten Neveling et al. (2012) eine ganze Reihe der in solchen Publikationen beschriebenen Verfahren in einer Klassifikation zusammen und unterzogen diese einer Analyse. In den von ihnen dokumentierten Verfahren schien eine kleinere Anzahl an Aktivitäten auf, die stärker auf die sprachliche Form fokussierten und eine größere Gruppe, die stärker auf den Inhalt abzielte. Bei den inhaltsorientierten Aufgaben unterschieden die Autor*innen zwischen monologischen und dialogischen Formaten und konnten eine beträchtliche Bandbreite an verschiedenen durch die Verfahren angeregten Sprechhandlungen identifizieren. Dazu gehörten für die monologischen Sprechsituationen beschreibende, präsentierende und erzählende Formen, die sich wiederum in verschiedene Textgenres unterteilen ließen. Die Aktivitäten zum dialogischen Sprechen wurden von den Autor*innen in solche, die zum Bereich der „Gesprächskompetenz“ gezählt werden können und solche, die sich an der „Diskussionskompetenz“ orientierten, unterteilt. Was allerdings tatsächlich im regulären Fremdsprachenunterricht passiert und welche Verfahren wirklich in die Praxis umgesetzt werden, dazu liegen erst wenige empirische Befunde vor (Martinez 2014). García García (2016) hat jedenfalls in einer Lehrwerksanalyse von Französisch- und Spanischlehrbüchern festgestellt, dass Sprechkompetenzen dort eine eher untergeordnete Rolle spielen und dass im Vergleich zu anderen Fertigkeiten relativ wenige Sprechaufgaben vorkommen, insbesondere kaum solche zur mündlichen Interaktion. Wenn Lehrwerke als ,heimliche Lehrpläne‘ Verwendung finden, dann kann demnach wohl Schmidt zugestimmt werden, dass das tatsächliche Lehren und Lernen mündlicher Kompetenzen im kommunikativen, kompetenzorientierten Unterricht durchaus noch ausbaufähig ist (Schmidt 2016).
Zu den grundlegenden Schwierigkeiten in Bezug auf das Unterrichten mündlicher Kompetenz gehören das zeitintensive Üben der Sprechkompetenz, die traditionell in der gemeinsamen Unterrichtszeit im Klassenzimmer erfolgt (wobei sich durch digitale Medien diesbezüglich innovative Möglichkeiten eröffnet haben), und die Diskussion darüber, ob authentische Sprechkontexte im Klassenzimmer geschaffen werden sollten oder es sie überhaupt geben könne (Lütge 2017; Ollivier 2017). Einig scheinen sich Fachdidaktiker*innen aber darüber zu sein, dass eine systematische Förderung von mündlichen Kompetenzen und ein gezielter Aufbau von Sprechfertigkeiten im Hinblick auf eine Progression wichtig ist (Lütge 2017; Schmidt 2016; Caspari 2019). Ein diesbezüglich vielfach erwähntes Szenario ist jenes, das Doff/Klippel 2007 beschreiben (und welches auch Kurtz 2013 in ähnlicher Weise vorschlägt), wonach zunächst einfachere, stärker auf reine Nachahmungs-Produktionsprozesse ausgerichtete Sprechaktivitäten eingesetzt werden sollen, gefolgt von responsiven, also stärker fremdgesteuerten Aktivitäten, bis hin zu initiativen Sprechhandlungen. Mehrere Autor*innen (Caspari 2019; Bürgel 2011; García García 2016) schlagen in Bezug auf interaktive mündliche Kompetenzen eine systematische Vorgehensweise vor, welche die Lernenden von stärker gelenkten zu freieren Dialogen hin anleitet, unter stetiger Verringerung der angebotenen Hilfeleistung (scaffolding). Typischerweise werden vorbereitete, stark angeleitete Rollenspiele vor allem für den Anfangsunterricht vorgeschlagen (Vorbeck-Heyn 2010; Fischer 2017), wobei auch hier jeweils ein Fortschreiten von gelenktem und nachahmendem Sprechen zur freien Gestaltung hin anvisiert wird. Dabei wird von manchen Autor*innen darauf hingewiesen, dass die Vorbereitungsphase für das freie Sprechen nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – schriftlich ablaufen dürfe (Fischer 2017; García García 2016 und in diesem Band). Bürgel (2010/2011, und in diesem Band) plädiert außerdem dafür, das Konzept der sogenannten „Dialogschulung“ auch für höhere Lernniveaus beizubehalten, insbesondere in Form von mündlichen Modellen, die geübt und besprochen werden, um dann in einem freien Rollenspiel ganze sprachliche Versatzstücke daraus einzusetzen.
Interaktives Sprechen gilt bei allen Expert*innen als komplexeste der mündlichen (Teil-) Fertigkeiten und als das eigentliche Ziel, das alle anderen Komponenten beinhaltet. Um dieses zu erreichen, sei es wichtig, sprachliche Flexibilität anzustreben. Dazu gehöre einerseits die Förderung der mündlichen Kompetenz, andererseits auch die Bewertung mündlicher Leistungen von Anfang an. Dieses Ziel setzt Kriterien für Anforderungen an mündliche Kompetenzen auf verschiedenen Stufen sowie gut ausgebildete Lehrpersonen voraus (siehe u. a. den Beitrag von Witzigmann in diesem Band). Schließlich betonen sowohl Lütge (2017) als auch Caspari (2019) die Notwendigkeit, eine sprechförderliche Unterrichtsatmosphäre zu schaffen, unter anderem durch Fehlertoleranz, transparente Bewertungsverfahren und dem Einräumen von viel Sprechzeit für die Lernenden.
Der vorliegende Band vereint eine große Bandbreite von Ansätzen und Überlegungen rund um die Didaktik des Mündlichen im Französischunterricht. Er enthält Beiträge zur Primardidaktik, zum Unterricht in der Sekundarstufe und zur Erwachsenenbildung.
Abgesehen von unterschiedlichen inhaltlichen Foki und verschiedenen Formen und Kontexten des Französischunterrichts sind auch die Referenzpunkte der Beiträge je nach theoretisch-diskursivem Hintergrund, fachlicher Orientierung und methodologischer Ausrichtung unterschiedlich. Einige gemeinsame Eckpfeiler lassen sich jedoch ausmachen: Dazu zählt einerseits der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen, der bekanntlich die Grundlage der meisten Lehrpläne in europäischen Bildungskontexten bildet. Für manche stellt er den Beginn des ins-Zentrum-Rückens der Mündlichkeit dar (z. B. Schlemminger/Bichon; Franke), anderen dient er als kritische Folie (z. B. Konzett-Firth). Wieder andere verwenden den GERS und insbesondere die darin enthaltenen Kann-Beschreibungen bzw. Niveau-Stufen als Grundlage für die Kategorienbildung und als Kompetenzkonstrukt (z.B. Lovey; Seyferth). Vielen Beiträgen gilt die Linguistik als Referenzpunkt, wobei hier auf ganz unterschiedliche Forschungsbereiche Bezug genommen wird: Das Spektrum reicht von soziolinguistischen Modellen (Mordellet-Roggenbuck) über die kognitionsorientierter Spracherwerbsforschung (Witzigmann; Franke), Lernersprachenanalyse (Imgrund), Phraseologie und Konstruktionsgrammatik (Bürgel) bis hin zur Interaktionsforschung (García García; Konzett-Firth). Zu den fachdidaktischen Referenzpunkten zählen die medienunterstützte Fremdsprachendidaktik (Sobel), die Unterrichtsforschung (Grein et al.; Imgrund) und die Sprachtestforschung (Witzigmann; Seyferth).
Der Band ist in vier Abschnitte untergliedert: Im ersten Teil,„Mündlichkeit als empirisches Phänomen“, stellen die Beiträger*innen Studien vor, die Französischunterricht beforschen, indem sie durch Beobachtung, Audio- und Videoaufnahmen gewonnene Daten analysieren und nach verschiedenen Gesichtspunkten untersuchen: Wie wird Französisch als Fremdsprache tatsächlich unterrichtet? Wie gestalten Lehrende und Lernende gemeinsam mündliche Interaktionen im Unterricht? Und wie können die Erkenntnisse aus diesen Studien in die LehrerInnenbildung einfließen?
Im ersten Beitrag, verfasst von Matthias Grein, Lisa Ströbel und Bernd Tesch, geht es um die multimodale Verfasstheit von Mündlichkeit als körperlich-räumliches Phänomen und sich daraus ergebende Konsequenzen für die Beschreibung und Interpretation mündlicher Kompetenz im Französischunterricht. Die Autor*innen analysieren dazu mit der Dokumentarischen Methode ein Videokorpus aus Aufnahmen von Französischunterricht. Sie setzen sich in ihrer Analyse kritisch mit dem Begriff der Kompetenz auseinander und plädieren dafür, dem kognitiv-individuellen Konzept eine soziale Komponente hinzuzufügen, das sich durch die beobachtbare Materialität und Körperlichkeit von schülerseitigem Handeln auszeichne.
Der zweite Beitrag (Marta García García) beschreibt anhand von transkribierten Unterrichtsaufnahmen den Einsatz der Debatte als Unterrichtsformat zur Förderung der mündlichen Kompetenz. Anhand der detaillierten Analyse von drei Datenausschnitten zeigt die Autorin deutlich, welche (hohen!) Ansprüche die Debatte an die didaktische Umsetzung im Französischunterricht stellt. Die empirischen Daten belegen, dass dieses eigentlich zur Interaktionsschulung eingesetzte Format leicht Gefahr läuft, in der Praxis eine monologisch geprägte Gestalt anzunehmen. Im Anschluss an die Datenanalyse präsentiert Marta García García daher konkrete unterrichtsmethodische Vorschläge, wie diesem Risiko begegnet werden kann.
Der dritte Beitrag (Carmen Konzett-Firth) widmet sich in ähnlicher Weise der Untersuchung empirischer Unterrichtsdaten und analysiert Videoaufnahmen von Peer-Interaktionen im Französischunterricht im Hinblick auf ihr interaktionskompetenzförderliches Potenzial. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Lernende sich in der Konstruktion ihrer gemeinsamen Gespräche auf vielfältige kontextuelle Aspekte (u. a. räumlich-körperliche Gegebenheiten, eingesetzte Artefakte, aufgabenbezogene Ziele usw.) orientieren und dass diese Faktoren für die didaktische Anleitung bzw. Gestaltung der Lernenden-Interaktionen eine Rolle spielen und daher in die Unterrichtsplanung miteinbezogen werden sollten.
Im vierten Beitrag wird ein weiteres empirisches Forschungsprojekt vorgestellt, in welchem sich Bettina Imgrund mit Professionsentwicklung von Französischlehrkräften auf der Primarstufe und mit Qualitätskriterien für guten Unterricht im Bereich Mündlichkeit beschäftigt. Sie arbeitet zu diesem Zweck mit dem unterrichtspsychologischen Konzept der Tiefenstrukturen, welches sie auf die Fremdsprachendidaktik überträgt und so versucht, den Gründen für bestimmtes Lehrerhandeln auf die Spur zu kommen. Für Imgrund ergibt sich aus den empirischen Daten, dass Primarlehrpersonen in ihrer Ausbildung eine stärkere fremdsprachliche Fachausbildung erhalten sollten, um den fachlichen Inhalt (in diesem Fall, die Förderung der mündlichen Kompetenz) methodisch adäquat umsetzen zu können.
Der zweite Teil des Bandes, „Mündlichkeit in Lehrwerken und im lehrwerksbasierten Unterricht“, nimmt deutschsprachige Lehrwerke für den Französischunterricht in den Blick. Drei empirische Studien fragen danach, welche Inhalte und Methoden Lehrwerke zum Thema Mündlichkeit anbieten und wie Lehrpersonen Lehrwerke und andere Methoden einsetzen, um mündliche Kompetenzen zu fokussieren.
Im ersten Beitrag gibt Christoph Bürgel einen Einblick in das Sprachmaterial in drei im deutschen Sprachraum häufig verwendeten Französisch-Lehrwerken. Nach einer einführenden Darstellung über die korpuslinguistische Perspektive auf Sprache in ihrer phraseologischen Verfasstheit und einer kurzen Übersicht über einige in diesem Kontext wichtige Aspekte des mündlichen Französisch stellt Bürgel eine empirische Untersuchung von Französisch-Lehrwerken vor und stellt fest, dass es notwendig wäre, das verwendete Sprachmaterial an den tatsächlichen, durch die Korpuslinguistik gut erforschten, Status Quo der mündlichen französischen Sprache anzupassen.
Im zweiten Beitrag aus dem Dissertationsprojekt von Gwendoline Lovey werden die Wege untersucht, die Schüler*innen einschlagen, wenn sie an der Grundschule in bestimmten Gebieten der Schweiz lehrwerkgestützt Französisch lernen. Das Sprechen soll nicht auf Vor- und Nachsprechen begrenzt sein, sondern die Lernenden werden mittels authentischer Aufgabenstellungen bereits im Anfängerunterricht dazu aufgefordert, in Kleingruppen echte kommunikative Redeabsichten zu verwirklichen. Loveys Studie basiert auf direkten Beobachtungen im Klassenzimmer sowie Interviews mit den Lehrkräften und Schülern und liefert so ein umfassendes Bild der tatsächlichen Umsetzung lehrbuchseitiger Vorschläge.
Manuela Franke verfolgt im dritten Beitrag eine ähnliche Fragestellung und stellt eine 2019/2020 an der Universität Potsdam durchgeführte Studie über kriteriengeleitete Unterrichtsbeobachtungen im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I vor. Diese ermöglichen es, die Routinen und Gewohnheiten des Lehrwerkeinsatzes zur Förderung von Mündlichkeit sichtbar zu machen und sie im Hinblick auf ein mögliches Gelingen der mündlichen Sprachaneignung und -verwendung zu überprüfen. Ihre Studie bestätigt frühere Ergebnisse empirischer Unterrichtsforschung, dass der Sprechkompetenz (sowohl monologisch als auch dialogisch) immer noch wenig Raum im Klassenzimmer eingeräumt wird und dass insbesondere interaktive Sprechformate stark von schriftlicher Vorbereitung geprägt sind.
Der dritte Teil des Buches, „Didaktische Konzepte und Methoden zur Förderung mündlicher Kompetenz“, vereint Beiträge, die verschiedene innovative Umsetzungsmethoden zur Förderung der Mündlichkeit im Französischunterricht vorstellen.
Im ersten Beitrag von Martina Sobel wird ein alternatives Unterrichtskonzept vorgestellt, welches die mündliche Interaktionsfähigkeit im Anfangsunterricht fördert. Gelernt wird nach lexikogrammatischen Prinzipien, d. h. mit authentischen Anwendungssituationen orientierten Wortschatz- und Grammatikelementen, welche als Chunks zusammengefasst und in Bausteinsystemen formuliert und automatisiert werden. Digitale Lernräume und –formate werden neben dem Flipped Classroom-Konzept genutzt, um den speziell im Anfangsunterricht relevanten Subaspekten der Mündlichkeit, wie z. B. Aussprache und Flüssigkeit, Rechnung zu tragen.
Im zweiten Beitrag plädiert Isabelle Mordellet-Roggenbuck für eine Einbeziehung neuer digitaler Medien und deren fluider Übergänge zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in den Mündlichkeitsunterricht. Sie argumentiert für eine eigenständige Betrachtung des Mündlichen als von der Schriftlichkeit deutlich zu unterscheidenden Form der Sprache und verweist insbesondere auf den hohen Gehalt an Idiomatizität der gesprochenen, insbesondere interaktiv verwendeten Sprache. Der Beitrag nimmt dabei die Perspektive der Französischdidaktik in Bezug auf Mündlichkeit ein und zeigt auf, welche veralteten Vorstellungen über Sprache und Normen zum Teil in der Französischunterrichtspraxis noch bestehen. Die Autorin plädiert dafür, diese durch aktuellere, von der modernen Linguistik inspirierte Konzepte zu ersetzen.
Gérald Schlemminger und Celine Bichon stellen im dritten Beitrag „Promouvoir la compétence orale des élèves du primaires: la technique de la visualisation picturo-graphique simultanée (VPS) en classe de FLE“ die Lerntechnik VSP vor. Diese u. a. auf Montessori und Freinet basierende Technik beruht auf einer starken neuronalen Verbindung neuer sprachlicher Lerninhalte, bei der alle Sinne stimuliert werden. Die mnemonische Verankerung geschieht durch (ikono-)graphische, haptische und phonische Perzeption sowie durch Wiederholung.
Im vierten Beitrag stellt Aurora Floridia die Methode der Psychodramaturgie linguistique (PDL) vor, in der die Mündlichkeit im Spracherwerb eine übergeordnete Rolle spielt. Der Ausdruckswunsch, die Interaktion und das individuelle Lerntempo sind dabei vorrangig. Besonders betont wird die Bedeutung der PDL-Leitung, die behutsam und einfühlend das in einer bestimmten kommunikativen Situation für eine bestimmte Person notwendige Vokabular bzw. Strukturen zur Verfügung stellt, damit sich der konkrete Ausdruckswunsch der/des Lernenden adäquat erfüllen kann.
Im vierten Abschnitt des Bandes geht es schließlich um das Evaluieren und Beurteilen von mündlicher Kompetenz im Französischunterricht. Die beiden Beiträge dieser Sektion beschäftigen sich aus zwei ganz unterschiedlichen Perspektiven mit Kriterien zur Bewertung und stellen Fragen zur Qualitätskontrolle und – optimierung von Bewertungsprozessen, die in verschiedener Hinsicht auch wertvolle Hinweise für die LehrerInnenbildung liefern können.
Der erste Beitrag von Sybille Seyferth zeichnet ein Forschungsprojekt zur Entwicklung eines bundeslandspezifischen Beurteilungsrasters nach, welches zur kriterienorientierten Einschätzung und Überprüfung der mündlichen kommunikativen Kompetenzen im Französischunterricht gegen Ende der Sekundarstufe I in Bremen eingesetzt werden kann. Bei der auf dem GERS und dem lokalen Curriculum Erstellung der Konstrukts sowie bei den Entwicklungsschritten des Beurteilungsrasters wurden qualitative Aspekte, Fragen der Praktikabilität und der bildungspolitische Kontext berücksichtigt. Der dokumentierte Forschungsprozess und die Diskussion der Ergebnisse zeigen beispielhaft auf, wie (weit) die Entwicklung, Validierung, Revision und Pilotierung eines Beurteilungsrasters für mündliche Kompetenzen, teils in Kooperation mit Lehrkräften, gelingen kann.
Stéfanie Witzigmann stellt im zweiten Beitrag eine Studie vor, in der authentische Videovignetten von Schüler*innen von Lehrpersonen verschiedener Ausbildungs- bzw. Erfahrungsstufen (Lehramtsstudierenden und erfahrenen Französischlehrkräften im Grundschul- sowie Sekundarbereich) einmal holistisch und einmal mithilfe eines analytischen Rasters beurteilt wurden. Sie kann zeigen, dass die Sprachkompetenzen der Bewerter*innen einen Einfluss auf ihre Bewertungen hatten. Besonders interessant scheint das Ergebnis, dass hohe Sprachkompetenzen der Bewertenden offensichtlich in holistischen Beurteilungen zu valideren Urteilen führen, dass eine schwächere eigene Sprachkompetenz von Bewerter*innen aber durch das Verwenden von analytischen Beurteilungsrastern ausgeglichen werden kann.
Die große Bandbreite an Forschungskontexten und Fragestellungen, die in diesem Band versammelt sind, ermöglichen den Leser*innen vielfache Perspektivenwechsel, aber auch einen Überblick über die aktuellen Themen im Bereich der Mündlichkeit, die Französischlehrende und Französischdidaktiker*innen derzeit umtreiben. Die empirischen Studien liefern Antworten auf einige aktuelle Forschungsfragen, während die theoretischen Beiträge neue Kontextualisierungen anbieten und weitere pistes für zukünftige Studien aufzeigen. Die praktischen Beiträge wiederum stellen ganz konkrete Umsetzungsvorschläge vor, die bereits erfolgreich in der Praxis angewandt wurden. Insgesamt liefert der vorliegende Band auf diese Weise eine Fülle an Einblicken und Diskussionsanstößen.
Darüber hinaus schlägt das Buch eine Brücke zwischen den drei Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz, die zwar unterschiedliche nationale Bildungskontexte aufweisen, aber dennoch inhaltlich und methodisch in einen fruchtbaren Austausch treten können.
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Theoretische und empirische Ansätze zur Rekonstruktion einer komplexen Kompetenz im Französischunterricht
Kompetenz ist mittlerweile ein omnipräsenter und kaum mehr umstrittener Leitbegriff in der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung. Während der pragmatische Nutzen alltäglich zu überwiegen scheint und rein sprachliche, also logozentrische Kompetenzkonstrukte in der fremdsprachendidaktischen und applied linguistics (AL)1 Forschung ausgiebig bearbeitet wurden, bleiben viele klassische Kritikpunkte des herrschenden Kompetenzbegriffes – als individualistisch, rein kognitiv und körperlos – relativ unbearbeitet bestehen (DGFF 2008), insbesondere in empirischer Perspektive.
Im Beitrag diskutieren wir daher wie gefordert (z. B. Schwerdtfeger 2001) empirische Zugänge zur Kompetenzrekonstruktion, die sprachliches Können, insbesondere mündliches, als sozial und materiell vermittelt konzipieren. Wie also kann man mündliche Kompetenz unter Einbezug von Materialität und Sozialität verstehen?
Wir gehen dafür im zweiten Abschnitt zunächst auf konzeptionell-empirische Grundlagen und Limitierungen des (mittlerweile) klassischen Kompetenzbegriffes ein. Auch hier beziehen wir uns weniger auf die weiten theoretischen Debatten als vielmehr auf die empirischen Konsequenzen, die wir zwar als mehrfach eingefordert, aber im deutschsprachigen Kontext selten forschungspraktisch realisiert verstehen. Dies diskutieren wir theoretisch (dritter Abschnitt) mit Bezug auf die diesbezüglich konvergierenden Positionen in applied linguistics und Erziehungswissenschaft, die auf eine ideologische Überladung des gängigen Kompetenzbegriffs hinweisen, und dann an einer exemplarischen Analyse (vierter Abschnitt) unter Einbeziehung der klassisch nicht berücksichtigten Materialitäten von Körper, Raum und Dingen. Dabei beziehen wir uns auf Daten und Überlegungen, die im Kontext des Projekts „Normen und Praktiken des fremdsprachlichen Klassenzimmers: Eine rekonstruktive Studie zum Unterricht romanischer Sprachen im Kontext von Bildungsreformen und gesellschaftlichem Wandel“2 entstanden sind und die Dokumentarische Methode zur Videoanalyse nutzen. Im Ausblick (fünfter Abschnitt) bündeln wir die Ergebnisse und skizzieren weitere Perspektiven.
Wir skizzieren hier die klassische Perspektive der Fremdsprachendidaktik (FSD) auf Kompetenz und die darauf bezogene Kritik. Dies tun wir anhand eines empirischen Beispiels, das wir später noch einmal mit einer neuen Perspektive analysieren.
Als „klassisch“ bezeichnen wir hier diejenige Position, die den Bildungsstandards entspricht bzw. darauf aufbaut (z. B. KMK 2004; Tesch et al. 2008), typischerweise mit Bezug zur Kompetenzdefinition von Weinert. Üblicherweise werden die Bildungsstandards für die erste Fremdsprache auch für weitere Fremdsprachen angelegt, diesem Usus folgen wir. Die Bildungsstandards bauen auf dem GER auf1, dessen Skalen „kontextfrei“ (Europarat 2001, 32; Herv. i. O.) entwickelt sein sollen. Allerdings wird dazu ergänzend formuliert: „Dennoch müssen die Deskriptoren in einem gemeinsamen Referenzrahmen kontext-relevant sein, also auf alle nur denkbaren relevanten Kontexte bezogen und in sie übersetzt werden können“ (ibid.; Herv. i. O.). Es finden sich zwar im GER oder den Bildungsstandards durchaus Listen mit Kontexten (cf. ibid. 54; KMK 2004, 13) und zu den mündlichen Kompetenzen folgende Ausführungen, die wohl am besten zu der unten präsentierten Szene passen. Unter dem Titel „Sprechen: An Gesprächen teilnehmen: Die Schülerinnen und Schüler können an Gesprächen über vertraute Themen teilnehmen, persönliche Meinungen ausdrücken und Informationen austauschen (B1)“ (KMK 2004, 13) werden verschiedene separate kommunikative Handlungen/ Kompetenzen aufgeführt, darunter auch die folgende: „Die Schülerinnen und Schüler können soziale Kontakte herstellen durch Begrüßung, Abschied, Sich-Vorstellen, Danken und Höflichkeitsformeln verwenden (A2)“ (ibid.). Aber inwiefern diese Angaben für unterschiedliche Sprechende und Lernende Unterstützungen, Limitierungen oder Besonderheiten darstellen, wird ebenso wenig diskutiert wie die konkreten materiellen Landschaften dieser Kontexte und deren Bedeutung. In Bezug auf mündliche Kompetenz finden sich weiter Aussagen, die die relative Vagheit der Beschreibung in den Bildungsstandards ausschließlich auf didaktische oder methodische Fragen beziehen:
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vorrangigkeit der kommunikativ-interkulturellen Kompetenz die Französischdidaktik vor neue Fragen stellt. Denn das Lernziel „kommunikative Kompetenz“ macht in sich noch keine Aussage darüber, wie die notwendigen Sprachmittel erworben werden. Auch der GeR und die Bildungsstandards liefern noch keine konkreten methodischen Konzepte. (Meißner/Tesch 2008, 49)
Demnach ist mit Kompetenzorientierung (KO) einerseits eine Stärkung der Mündlichkeit verbunden, andererseits bleibt bewusst offen, wie Kompetenz gefördert werden kann. Von dieser Offenheit ausgehend lässt sich fragen, ob und inwiefern KO im Französischunterricht umgesetzt wird. Dafür werfen wir einen ersten Blick auf eine exemplarische unterrichtliche Sprechsituation.
Die Stunde, aus der unser empirisches Beispiel kommt, beginnt mit einer Vorstellung des Forschungsprojekts durch den Lehrer und die Forscherin. Dann stellt der Lehrer fest, dass eine neue Schülerin (Sw2) nicht anwesend ist und er sagt, dass er eigentlich eine „Vorstellungsrunde“ für diese Schülerin machen wollte. Danach spricht er mit einem Schüler (Sm1) und einer Schülerin (Sw1) ab, dass sie wie scheinbar zuvor schon abgesprochen trotzdem „eine kleine Dosengeschichte“ machen, was der Klasse offenbar verständlich ist. Schließlich geht der Lehrer kurz durch eine Tür am hinteren Ende des Raumes für ca. 10 Sekunden aus dem Raum, kommt wieder und eröffnet die Stunde auf Französisch:
Transkript 11 :
Lehrer: Bonjour à toutes et à tous.
Classe: Bonjour Monsieur
L: Alors, prévu c’était une présentation pour Sw2, malheureusement Sw2 n’est pas là. C’est pas grave, on va quand même ähm (.) nous présenter, c’est à dire il y a deux p- deux élèves parmi vous qui vont se présenter (..) et on va commencer avec (.) toi (1) (blickt zu Sm1) tu viens ici (.) tu ouvres la boîte (.) et tu fais (1) °comme tu fais.° ok? (.) tu viens? Tu te présentes? Grace à la boîte et avec la boîte.
Die „boîte“, anhand derer Sm1 und Sw1 sich vor der Klasse stehend abwechselnd vorstellen sollen, ist eine Dose, in der ca. 15 kleine Gegenstände sind, die als Impulse für das Geburtsdatum oder ein kleines Segelschiff als Impuls für ein Wunschreiseziel dienen. Sm1 beginnt mit dem Schiff, danach nimmt Sm2 das Haus. Insgesamt dauert die „Dosengeschichte“ ca. 3 Minuten.
Bild 1: Präsentation
Wir präsentieren hier – logozentrisch – die rein sprachlichen Transkripte der mündlichen Produktion der beiden Lernenden.
Transkript 2 :
Sm1: Un jour (.) je voudrais (.) ähm voyager en Se- Seychelles?
Sw1: j’habite à Fulda.
Ca. 2 Minuten später nimmt auch Sw2 das Schiff:
Transkript 3:
Sw1 „Un jour äh je voyage à (.) Afrika Su:d:?“
Dabei handelt es sich wohl um Beispiele von „sich vorstellen“, das expliziert der Lehrer zumindest als Auftrag, und damit um das als am wenigsten anspruchsvoll ausgewiesene Ziel, auf A2, alle anderen sind im Bereich B1 oder B1+ verortet. Sm1 kann möglicherweise besser Französisch, zumindest ist seine Konstruktion bezüglich des Reiseziels etwas komplexer. Außerdem bearbeitet er die gesamte „boîte“, ohne eine Vokabel beim Lehrer nachfragen zu müssen, anders als Sw1. Insgesamt bewältigen beide aber abwechselnd alle Impulse der boîte vor der Klasse am Lehrerpult stehend, sie können sich anhand der Impulse vorstellen und somit das kommunikative Ziel erfüllen. Der Lehrer gibt den beiden abschließend sprachliches Feedback.
Es handelt sich wohl recht eindeutig um eine Übung, allerdings um eine Übung die nach Bär (2016, 14sq.) diverse Kriterien für „intelligentes Üben“ (ibid., 15) im Rahmen kompetenzorientierten Unterrichts erfüllt. Das Kriterium „Vielfalt“ könnte man möglicherweise als erfüllt ansehen, da es sich nicht um eine Lehrbuchübung handelt und sich im Unterricht auch noch andere Übungen finden. „Rhythmisiert“ ist die Übung, da sie zum Beginn der Stunde stattfindet und nicht von weiteren gleichen Übungen gefolgt ist. Sie ist zudem auf gewisse Weise abwechslungsreich und es gibt „Feedback“ durch den Lehrer (s. u.). Es handelt sich wohl zudem um ein eher „implizites Üben“, da nicht z. B. sprachliche Mittel isoliert geübt werden. Es scheint sich also um eine potentiell sinnvolle kompetenzorientierte Übung zu handeln. Bär nennt allerdings auch noch weitere und etwas diffusere Kriterien:
Damit Schülerinnen und Schüler Übungen als Chance für ihren eigenen Lernprozess begreifen, sollten diese idealerweise sinnhaft sein, eine ‚persönliche Betroffenheit‘ auslösen und an das individuelle Vorwissen der Lernenden anknüpfen. (Bär 2016, 13)
Diese nehmen wir zum Ausgangspunkt, kritischer zunächst auf Kompetenzorientierung und dann damit verbunden auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Übung einzugehen.
Ein typisches Beispiel für Kritik lautet, dass in der KO kein Raum für „Bildung“ gelassen werde und dementsprechend KO rein funktional gedacht sei, die Inhalte gingen verloren (DGFF 2008, 7). Weiter liege zu viel Gewicht auf Tests, was dazu führe, dass Teilkompetenzen isoliert betrachtet würden, aber in der Wirklichkeit immer nur integrativ vorkämen (ibid., 12).
Man kann berechtigterweise einwenden, dass diese Diskussion schwer anhand einer einzelnen Übung zu führen ist, auch wenn möglicherweise einzelne Argumente plausibilisiert werden könnten. Weiter könnte man auch darauf hinweisen, dass wir in unserem Sample (cf. dazu Abschnitt 4) wiederholt auf Einheiten stoßen, die auf den ersten Blick nach vertiefter inhaltlicher – sinnhafter – Auseinandersetzung wirken, sich aber in der rekonstruktiven Analyse ebenfalls als Übungen herausstellen (cf. Tesch/Grein im Druck). Letztlich haben wir die im Verbaltranskript gezeigte Sequenz aber ausgewählt, um daran zu zeigen, dass auch der Rahmen der o. g. Kritik inzwischen hinterfragt worden ist, insbesondere mit Hinblick auf die Materialität der Situation1. Darauf gehen wir im folgenden Abschnitt ein.
Hier diskutieren wir Erziehungswissenschaften und AL als zwei Bezugsdisziplinen, in denen auf konvergierende Weise Kompetenzbegriffe mit Hinblick auf soziale Kontexte und deren spezifische Materialität hinterfragt werden. Dafür bieten wir keinen exhaustiven Überblick, sondern beziehen uns selektiv und im Sinne unserer Argumentation auf verschiedene Ansätze.
Kimura und Canagarajah (2020) kritisieren gängige Kompetenzbegriffe aufgrund deren rein kognitiver, individualistischer sowie logozentrischer Ausrichtung. Auch Hall (2019, 86; Herv. i. O.) kritisiert, „competence continues to carry an ideology of homogeneity, permanence, and universality“, also als Ausdruck herrschender Ideologien der Moderne (cf. Kimura / Canagarajah 2020, 19). In diesem Rahmen würde auch die kognitive, im individuellen Bewusstsein angesiedelte Kompetenz kausal als Ursprung von Sprache wirken (cf. Canagarajah 2018, 268/270).
Stattdessen hänge, so die Kritik, Kompetenz an (geteilten) framings, Situationsdeutungen oder Rahmungen, durch die ein Kontext sozial situativ und materiell von den Handelnden erst hergestellt wird (Kimura/Canagarajah 2020, 9sq.). Im Beispiel von Kimura und Canagarajah (2020) ist die geteilte Rahmung das gemeinsame erfolgreiche Handeln im Kontext der Forschungsgruppe, wobei ein Forscher u. a. durch detailliertes Zeigen und materiell gebundene Verweise ein Verständnis über die Diskussionsgrundlage herstellt. Seine sprachlichen „Fehler“ spielen in dieser geteilten Orientierung am Handeln im Forschungsprojekt keine erkennbare Rolle.
Schulischer Fremdsprachenunterricht unterscheidet sich allerdings auch institutionell von Arbeitsplatzkontexten. Denn die Unterrichtsteilname ist generell in Deutschland verpflichtend und die Verwendung der Zielfremdsprache ist nicht per se notwendig, um ein kommunikatives Ziel zu erreichen, sondern sie stellt zunächst selbst den institutionell vorgegebenen Zweck dar. Andere Rahmungen als im Beispiel von Kimura und Canagarajah (2020) sind daher durchaus möglich und müssen empirisch rekonstruiert werden. Sie müssen aber zunächst theoretisch greifbar gemacht werden und daher beziehen wir uns nach dem Blick in die AL auch auf schulpädagogische Überlegungen, die ebenfalls den Kompetenzbegriff (kritisch) betrachten.
Kompetenz wird klassisch – wie in 2.1 beschrieben – als individualistisch, kognitiv und universalistisch gefasst. In der interpretativen Erziehungswissenschaft wie in der AL wird parallel und teilweise konvergierend der top-down gesetzte (cf. Zeitler et al. 2013; Hu 2012) – disziplinär psychologische – Kompetenzbegriff bearbeitet. Kompetenz soll dabei Leistung erfassen und diese ist nach Wagener interaktiv erzeugt (2020, 41sqq.): „Dabei ist Leistung als soziales Konstrukt aufzufassen, „das erst im Beurteilungsprozeß erzeugt“ wird (Luhmann 2002, 66), etwa nach dem Code „besser/schlechter“ (ibid., S. 73)“ [sic]. Nach Ricken (2018, 52sq.) bedeutet diese Sicht auf Prozesse:
So wie gute SchülerInnen nicht einfach gute SchülerInnen sind, sondern als gute SchülerInnen hervorgebracht – präziser: sichtbar gemacht – werden müssen (und sich selbst hervorbringen bzw. sichtbar machen müssen), so liegt – zum einen – auch Leistung nicht einfach vor, sondern muss als spezifische dadurch hervorgebracht werden, dass sie material erkennbar, individuell zurechenbar und sozial anerkennbar gemacht wird.
Diese Sichtbarmachung von Leistung im Unterricht erfolgt zudem nicht nur prozessual, sondern auch interaktiv (cf. Wagener 2020, 41). Wagener (2020, 5sqq.) zufolge geht es bei der Frage nach der Kompetenz weiter um die Konstruktion einer Differenz zwischen Lernenden, deren Maßstab derjenige der Schule ist. Denn dort bedeutet Kompetenz nicht allein kommunikativer Erfolg – denn der wäre natürlich in der Verkehrssprache Deutsch wahrscheinlicher – sondern zumindest auch die Erfüllung schulischer Aufgaben und die Erbringung benotbarer Leistung.
Die Sozialität im Unterricht entspricht nicht unbedingt nahtlos derjenigen außerhalb des Unterrichts. Nach Trautmann (2009) bleibt der grundlegend institutionelle Charakter schulischen Unterrichts aber in der Fremdsprachendidaktik weitgehend unberücksichtigt. So betreten junge Menschen die Institution Schule formal und kommunikativ gesehen als Schüler*innen und sie werden auch in dieser Rolle angesprochen1. Es handelt sich dabei um ein Set an dauerhaften institutionellen Handlungsanweisungen, die nicht mit den konkreten Bearbeitungsweisen dieser Anweisungen z. B. durch die Schüler*innen und Lehrpersonen gleichgesetzt werden können (cf. Bohnsack 2017, 129). Typischerweise müssen sich Schüler*innen in der Schule mit trivialisierten Gegenständen wie vereindeutigenden Fragen zu komplexen Themen auseinandersetzen und sie tun dies häufig, indem sie die Aufträge abarbeiten, ohne sich mit der Rolle und den damit verbundenen Aufgaben zu identifizieren, aber diese auch nicht kategorisch ablehnen. Weiter ist dabei eine Bezugnahme zu Peers typisch sowie dass die Schüler*innen komplementär passend zu den Lehrpersonen handeln (cf. Grein/Vernal Schmidt 2020, 24sq.). Dies wird metaphorisch als die Erfüllung eines „Jobs“ beschrieben (ibid.) Und auch die Kommunikationsziele der Lernenden im FSU entsprechen nicht automatisch den Kommunikationszielen des FSU und der Fremdsprachendidaktik (aber sie können sich natürlich entsprechen).
Zusammengefasst zeigen sich Kompetenzen, oder besser deren Darstellung und Erzeugung, demnach also interaktiv, sozial und institutionell vermittelt. Kompetenzerzeugung im Unterricht wie auch in anderen Kontexten erfolgt aber nicht nur interaktiv und sozial, sondern auch materiell.
Die vier Begriffe aus der Überschrift sind nicht immer trennscharf, werden aber im sozialen Handeln und in der Sinnkonstruktion auch nicht als separat voneinander behandelt. Daher stellt deren Unterscheidung eine Heuristik dar, die dem besseren Verständnis dient. Weiter handelt es sich dabei um Affordanzen, also „dass Lebewesen die Gegenstände in ihrer Umwelt vor dem Hintergrund der individuellen Beschaffenheiten und Anforderungsstrukturen bzw. ihrer Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen und nutzen“ (Vernaci 2021, 37sq.).
Körper sind ein zentraler Bestandteil von kommunikativem Handeln, nur durch sie können wir auf etwas zeigen, Dinge nutzen, uns durch den Raum bewegen und in situ mit anderen ebenfalls körperlichen Menschen interagieren (cf. Canagarajah 2018, Mondada 2016). Nur (sozialisierte) Körper schmecken auch die crêpes aus der Stunde vor den Ferien oder nehmen die Produktion ungewohnter, markierter Laute wahr, z. B. von Nasalen. Weiter verleiht die sog. Körpersprache durch Blicke, Mimik und Körperhaltung der Verbalsprache oft erst ihre kontextbezogene Verständlichkeit.1 Auch Körper sind in Rollen eingebunden: So entspricht im schulischen Unterricht z. B. oft die Differenz zwischen Stehen und Sitzen auch zugleich jener zwischen Lehrperson und Schüler*innen. Nicht alle Körper dürfen gemäß kontextueller und oder institutioneller Regeln alles machen. Für ein Verständnis von Kompetenz oder besser von kommunikativem Erfolg/Handeln ist es daher notwendig, auch körperliches Handeln zu analysieren.
Dabei bewegen sich die Körper und ihre Menschen nicht einfach im luftleeren Raum, sondern es gibt Räume, die symbolisch aufgeladen sind. In der Schule „gehören“ die Tafel und der Raum davor der Lehrperson, auch wenn dies je nach Unterrichtssetting aufgeweicht werden kann. Dies gilt auch für Bewegung während der Unterrichtsstunde generell, die zumeist von der LP sanktioniert sein muss (cf. framing der Räumlichkeit bei Kimura/Canagarajah 2020). So ist es auch in unserem Beispiel der boîte-Übung (s. u. für mehr Details). Es gibt weiter spezifische visuelle und akustische Räume im Klassenzimmer (cf. Rabenstein 2018, 333sq.), in denen Interaktionen nicht öffentlich sind. Wenn Französisch-Sprechen-Können aber als Leistung und in der Benotung den Sprechenden zugerechnet werden soll, dann muss dies zumindest die benotende Lehrperson einbeziehen.
Dinge gehören zu (Klassen-)Räumen wie selbstverständlich dazu, ebenso zum Unterricht (zur weiteren Differenzierung von Dingen im Unterricht cf. Rabenstein 2018/2018a). Sie hängen eng mit Räumen zusammen, aber auch mit Assoziationen, also Mensch-Ding-Verbindungen mit emergentem Sinn (Asbrand/Martens 2018, 124sqq.). Lehrpersonen können zum Beispiel nur durch Stift oder Kreide an die Tafel schreiben; Schüler*innen benötigen beispielsweise das Lehrbuch, um darin Aufgaben zu erledigen oder Dinge darunter zu verstecken. Im hier analysierten Beispiel brauchen sie ein kleines Segelschiff-Modell, um zu wissen und zugleich der Klasse und der LP zu signalisieren, was sie als nächstes mündlich äußern müssen. Dabei können die Dinge, wie etwa das Segelschiff, z. B. zur Wiederholung genutzt werden oder auch um Neues zu erarbeiten, zu lernen bzw. Kompetenzen aufzubauen (ibid.). Empirische Beispiele der Berücksichtigung von Dingen im (deutschsprachigen) Fremdsprachenunterricht sind eher selten. So findet sich z. B. bei Konzett (2015) eine Diskussion, wie die Affordanzen eines Würfelspiels im Französischunterricht zur Bearbeitung der damit verbundenen Übung beitragen.
Mündliche Leistung im Französischunterricht ist symbolisch und praktisch an Räume, Dinge und Körper gekoppelt – selbstverständlich zählt dazu auch ein Sprachbegriff, der aber auch andere semiotische Ressourcen berücksichtigen können muss. Daraus kann dann auch ein Begriff von sprachlich-kommunikativem Können, insbesondere mündlichem Können, entwickelt werden, der die genannten Limitierungen nicht aufweist, sondern an Materialität anschlussfähig ist. Canagarajah (2018, 285; Herv. i. O.) schlägt „emplacement“ vor, das er definiert als „the strategic and ongoing attunement to an assemblage of agents and resources in expansive spatiotemporal scales for the emergence of thinking and meaning in activity“. Dabei soll dieser Begriff weiter „the more agentive work of bodies and objects beyond the cognitive orchestration of individuals“ (ibid., 284sq.) betonen und zudem auf den spezifischen Kontext und dessen soziale Normen eingehen, die navigiert werden müssen (cf. auch Kimura/Canagarajah 2020). Hall bietet ebenfalls terminologischen Ersatz für den Begriff „competence“ (2019, 86) und diskutiert diverse Alternativen („Repertoire“, „Expertise“, „Grammar“, „Semiotic Resource“, „Semiotic Register“, ibid. 86sqq.), bei denen Multimodalität fokussiert und eine limitierte individuell-kognitive Handlungsfähigkeit zugunsten der materiellen und normativen Affordanzen relativiert werden.
Bei Wagener (2020) wird Leistung als multimodal interaktiv erzeugt und von kontextuellen Machtkonstellationen abhängig verstanden, aber nicht spezifisch auf Sprache bezogen. Er bezieht sich ebenso wie Asbrand/Martens (2018) auf die Praxeologische Wissenssoziologie. Letztere nutzen den Kompetenzbegriff eines „anforderungsspezifischen Zusammenhang[s] von theoretischen und handlungspraktischen Wissensbeständen“ (ibid., 158), der ebenfalls betont multimodal gedacht ist.
Es ist für die Diskussion nicht zentral, ob dafür der Begriff der Kompetenz selbst verworfen oder weiterentwickelt wird, sondern dass Handeln nicht als individualistisch sowie rein kognitiv und stattdessen als multimodal, sozial und materiell gedacht ist. Dieses Verständnis ist dann anschlussfähig an Konzepte von Mehrsprachigkeit im Sinne von Translanguaging