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Jungen aus türkischen und arabischen Familien brechen öfter die Schule ab, werden häufiger arbeitslos und gewalttätig. Zudem sind sie oft anfällig für religiöse oder nationalistische Radikalisierung. Ist das alles mit dem Bildungsniveau der Eltern und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu erklären? Dem Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak zufolge gründet das Problem der neuen Bildungsverlierer nicht nur in einer verfehlten Integrationspolitik. Ausgehend von seiner Forschung, seinen Erfahrungen als Sozialarbeiter und seiner eigenen Biographie belegt er, dass der gesellschaftliche Misserfolg der Jungen in erster Linie an der Erziehung im Elternhaus liegt. Analytisch stark und unterstützt mit Fallbeispielen zeigt Toprak die Gründe und macht unmissverständlich klar, was sich ändern muss, damit Integration funktionieren kann.
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Seitenzahl: 280
Muslimisch, männlich, desintegriert
AHMET TOPRAK kam mit zehn Jahren aus einem zentralanatolischen Dorf zu seinen Eltern nach Deutschland. Nach dem Hauptschulabschluss ging er zurück in die Türkei, machte Abitur und studierte dort ein Jahr lang Anglistik. 1991 setzte er sein Studium in Deutschland fort und wechselte schließlich zur Pädagogik. Nach dem Diplom 1997 arbeitete er als Anti-Gewalt-Trainer mit mehrfach straffälligen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und promovierte parallel. Seit 2007 ist er Professor für Erziehungswissenschaft an der FH Dortmund.
Muslimische Jungen sind im Mittelpunkt eines ideologischen Kräftemessens: Wer ist schuld daran, dass sie sich mit der Integration häufig schwertun? In der hitzig geführten Debatte kommt die Lebensrealität muslimischer Jungen zu kurz, findet der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak. Ausgehend von seiner Forschung, seinen Erfahrungen als Sozialarbeiter und seiner eigenen Biographie belegt Ahmet Toprak, dass der gesellschaftliche Misserfolg der Jungen in erster Linie an der Erziehung im Elternhaus liegt. Hier legen die Mütter den Grundstein für Unselbstständigkeit. Hier ziehen die Väter spätere Machos groß. Analytisch stark und unterstützt mit vielen Fallbeispielen zeigt Toprak die Gründe für das Versagen der Erziehung in muslimischen Familien auf und macht unmissverständlich klar, was sich ändern muss, damit Integration funktionieren kann.
Ahmet Toprak
Was bei der Erziehung muslimischer Jungen schief läuft
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-2162-2
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Der Autor / Das Buch
Titelseite
Impressum
Vorwort
I.Leben und Aufwachsen der Jungen in der Familie
II.Integrations- und Erziehungsfehler: Wie der Alltag die Jungen überfordert
III.Was ist zu tun?
Quellenverzeichnis
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Vorwort
Für meinen Sohn
Viele werden noch den Werbespot der Sparkasse aus dem Jahr 2000 vor Augen haben: Ein stolzer Vater eilt ins Krankenhaus, um seinen neugeborenen Sohn in die Arme zu schließen. Auf die Liebeserklärung des Vaters: »Mein Junge, mein Stolz, meine Altersvorsorge«, zeigt ihm das Baby einen Vogel. Die Werbung lief zwar im deutschen Fernsehen, doch veranschaulicht gut, warum in traditionellen muslimischen Familien der Wunsch nach einem Sohn immer noch hoch im Kurs steht: Er ist die Absicherung im Alter.
Ich bin in einem Dorf in Zentralanatolien geboren, als fünftes Kind von insgesamt sechs Kindern. Hier spielte die Religion im Alltag praktisch keine Rolle. In unserem Dorf gab es nicht einmal eine Moschee. Der Wunsch meines Vaters nach einem Sohn war nach zwei Töchtern aber trotzdem ungebrochen. Wir sind sechs Geschwister, und die Aufteilung ist paritätisch: drei Jungen und drei Mädchen. Das Problem aus Sicht meines Vaters bestand aber darin, dass die ersten zwei Kinder das »falsche« Geschlecht hatten: nämlich weiblich. Meine Mutter wollte ebenso sehr mindestens einen Sohn. Mein Vater soll nach der Geburt seiner zweiten Tochter auf dem Dorfplatz mit Blick auf einen sehbehinderten Jungen gesagt haben, dass er unbedingt einen Sohn haben möchte, auch wenn der so schiele wie dieser Junge. Diese Bemerkung war deplatziert und respektlos gegenüber dem Jungen auf dem Dorfplatz, zeigt aber dennoch eindrucksvoll, wie tief sein Wunsch nach einem Sohn verwurzelt war.
Eine Familie ist sogar so weit gegangen, dass der eine Bruder dem anderen, der keinen Sohn hatte, einen seiner Söhne gab. Er hatte schließlich viele und der andere keinen einzigen. Nach drei Jahren wurde der Junge aber wieder zurückgegeben, weil der Bruder selbst zwei Söhne bekam. Welche psychischen Probleme dieses Kind später bekam, ist nicht überliefert. Dieses Beispiel zeigt, wie technisch der Wunsch nach einem Kind sein kann. Warum ist ein Junge so wertvoll, dass Eltern sogar zu solch absurden und illegalen Praktiken greifen?
Kinder haben in türkischen, kurdischen und arabischen Familien einen großen Stellenwert. Ein kinderloses Ehepaar ist im engeren Sinne keine Familie. Die Ehe kann geschieden werden, wenn die Frau keine Kinder auf die Welt bringt. Ein frisch verheiratetes Paar steht unter enormem Druck, nach der Eheschließung ein Kind zu bekommen. Laut Untersuchungen aus der Türkei spielt das Geschlecht des ersten Kindes zunächst keine Rolle. Aber im Allgemeinen wollen die Ehepaare spätestens beim zweiten Kind einen Sohn. Die Eltern begründen diesen starken Wunsch mit den Motiven »Fortbestehen der Familie« sowie »Stärkung des Haushaltes«. Zudem gehen die Familien davon aus, dass verheiratete Töchter den Haushalt verlassen und Jungen nicht. Die Söhne sollen die Eltern im Alter finanziell unterstützen. Die Töchter werden in eine fremde Familie verheiratet, weshalb eine finanzielle Unterstützung von dieser Seite nicht erwartet wird. Die bekannte Familiensoziologin Çiğdem Kağıtcıbaşı aus der Türkei hat die Bedeutung von Kindern in der Familie zusammengefasst. Ihre wissenschaftliche Untersuchung unterscheidet drei voneinander unabhängige Typen des »Wertes von Kindern«:
ökonomisch
(z. B. Alterssicherung, Beitrag zum Familienhaushalt)
psychologisch
(z. B. emotionale Stärkung, Familienbindung)
sozial
(Statuserhöhung, Fortführung des Familiennamens)
Bei Familien, die ein geringes Bildungsniveau sowie schlechte Aussichten auf eine Rente haben, gehen Wissenschaftler davon aus, dass die ökonomischen und sozialen Motive eine bedeutende Rolle spielen, um sicher zu sein, dass im Alter jemand da ist, um zu helfen. Die Eltern sehen dem Soziologen Bernhard Nauck zufolge in den Jungen langfristig einen größeren ökonomischen Nutzen. Deshalb möchten die Familien so viele Söhne wie möglich haben. Die psychologischen Motive, wie z. B. »Ich habe Freude, ein Kind heranwachsen zu sehen«, sind eher in der gebildeten städtischen Mittelschicht der Grund für ein Kind als bei ökonomisch schwachen Bevölkerungsschichten. Wenn psychologische Beweggründe für den Kinderwunsch im Vordergrund stehen, ist die Anzahl der Kinder gering, weil das Geschlecht des Kindes keine Rolle spielt, wies Bernhard Nauck zudem nach.
Zurück zu unserem Dorf. Bevor mein Vater sich entschied, nach Deutschland zu gehen, hatte er bereits vier Kinder. Außerdem musste er zwei Söhne seines verunglückten Bruders versorgen. Mein kleiner Bruder und ich kamen erst später zur Welt. Das Dorfleben in der Türkei war hart. Die Familie lebte von Viehzucht und etwas Landwirtschaft. Große Sprünge waren nicht möglich. Im Winter war das Dorf mit 150 bis 200 Einwohnern für mehrere Monate von der Außenwelt abgeschnitten. Da mein Vater mit Viehzucht und Ackerbau die Familie nicht optimal ernähren konnte, ging er im Sommer als Saisonarbeiter nach Adana – einer großen Stadt am Mittelmeer. Aus unterschiedlichen Gründen war die Familie auch leicht verschuldet.
Im Dorf war es selbstverständlich, dass der Mann arbeitet und für die Ernährung der Familie zuständig ist. Wenn es erforderlich war, musste er lange Wege auf sich nehmen, hart arbeiten und neue und zusätzliche Verdienstmöglichkeiten erschließen. Dafür musste der Mann mit anderen Männern vernetzt sein und stets ein offenes Ohr haben. Die Frau war an das Haus gebunden, so auch meine Mutter. Sie ist vor allem zuständig für den Haushalt und die Versorgung der Kinder. Sie ist nicht verpflichtet, für den Unterhalt der Familie zu arbeiten. Sollte es einer Familie finanziell nicht gut gehen, wurde das ausschließlich dem Mann angelastet.
Gespräche mit meinen Eltern und den anderen Bewohnern des Dorfes legen nahe, dass der Wunsch nach einem Sohn ökonomische und soziale Gründe hatte. Erstens kann ein Sohn bereits ab der Pubertät arbeiten und das Familieneinkommen ergänzen. Zweitens gehört der Sohn ein Leben lang zur Herkunftsfamilie, führt also den Familiennamen fort und versorgt die Eltern im Alter und bei Krankheit. Das ist eine anerkannte soziale Norm. Mädchen sind davon befreit. Zum einen ist ein Mädchen aus traditionellen Gründen nicht verpflichtet zu arbeiten. Zum anderen wird sie durch Heirat die Herkunftsfamilie verlassen und eine andere Familie stärken. Das heißt, ein Mädchen ist für die Herkunftsfamilie ökonomisch nicht attraktiv.
Um der prekären Arbeitssituation zu entkommen, entschied sich mein Vater schließlich, nach Deutschland zu gehen. Meiner Mutter zufolge war das ursprünglich nicht seine Idee, sondern ist auf ihre Initiative zurückzuführen. Scheinbar war das Familieneinkommen nicht ausreichend, und mein älterer Bruder, der noch ein Kleinkind war, konnte nicht zur ökonomischen Entlastung beitragen. Weil meine Mutter Druck aufbaute, verkaufte mein Vater einen Teil der Schafe und Kühe und machte sich auf den Weg nach Ankara. Er meldete sich als Gastarbeiter, wurde aber nicht berücksichtigt. Erst nach zwei Jahren Wartezeit, im Jahre 1969, durfte er nach Stadthagen reisen und bekam dort eine Anstellung im Straßenbau zugewiesen.
So wie auch meine Eltern, kommt der überwiegende Anteil der türkischen Gastarbeiter aus solch prekären Lebensverhältnissen. Ab Mitte der 1950er-Jahre schloss Deutschland mit Staaten wie Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Marokko, Tunesien, dem damaligen Jugoslawien und der Türkei Anwerbeverträge. Sie sollten den Bedarf an Arbeitskräften decken, der unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg bestand. Diese Vereinbarungen enthielten keine Vorgaben zur Anzahl der Gastarbeiter oder ihrer Qualifikation. Sie beschrieben lediglich die Organisation und die Vermittlung und sollten gewährleisten, dass die Arbeitnehmer alle erforderlichen Informationen bezüglich ihrer Aufnahme und Beschäftigung erhielten. Ziel war es, junge und gesunde Arbeitskräfte nach Deutschland zu vermitteln. Das neue Personal wurde vorwiegend in der Metall-, Auto- und Baubranche gebraucht, und der Großteil der Angeworbenen hat auch in diesen Bereichen gearbeitet. Dass so viele Männer zunächst ohne ihre Familien nach Deutschland gekommen sind, heißt in der Wirtschaftssprache: Nachfrage und Angebot decken sich passgenau. Hier ein wirtschaftlich aufstrebendes Land, das händeringend nach Arbeitskräften sucht. Dort, in Südeuropa und Maghreb (die nordafrikanischen Länder Marokko, Algerien und Tunesien), junge, arbeitsfähige Männer, die wirtschaftlich unter Druck stehen, weil sie ihre Familie nicht angemessen ernähren können.
Wie auch mein Vater wohnten die ersten Gastarbeiter in Wohnheimen und Sammellagern. Die Unterkünfte waren nach Geschlechtern getrennt, ohne Bad, dafür mit Sammeltoiletten und Gemeinschaftsküchen, überbelegt und auch noch überproportional teuer. Anfang der 1970er-Jahre war der überwiegende Teil der muslimisch geprägten Arbeitnehmerschaft männlich und verheiratet. Mehr als die Hälfte von ihnen hatten ihre Frau im Heimatland zurückgelassen. Es war vorgesehen, dass die Arbeitskräfte durch Rotation ausgetauscht werden sollen. Das erwies sich aber als nicht praktikabel, weil die Firmen sich dagegen wehrten, ihre eingearbeiteten Arbeitskräfte zurückzusenden. Nach dem Anwerbestopp von 1973 durften viele Männer ihre Familien nachholen. Es war zu erkennen, dass der Großteil der Gastarbeiter in Deutschland bleiben würde. Mein Vater hat nicht erst bis 1973 gewartet, sondern meine Mutter bereits ein Jahr nach seiner Ankunft zu sich geholt.
Werte, Normen und tief verwurzelte Einstellungen lassen sich bekanntlich nicht von heute auf morgen ablegen. Zwar haben die Gastarbeiter aus der Türkei größtenteils ihre Familien und Kinder nach Deutschland geholt, aber viele waren nur körperlich in Deutschland anwesend. Die nicht vorhandene Integrationspolitik der 1970er- und 1980er-Jahre hat mit dazu beigetragen, dass die Einstellungen der Gastarbeiter sich kaum veränderten. Es gab weder Deutsch- noch Integrationskurse, der Alltag der Menschen war monoton, geprägt von intensiver Arbeit und wenig Freizeit. Die Menschen waren quasi sich selbst überlassen. Um der Einsamkeit und dem Fremdsein zu entkommen, haben sich die Familien zusammengeschlossen und versucht, räumlich nah beieinanderzubleiben.
So hat es auch mein Vater gemacht. Weil er im niedersächsischen Stadthagen einsam war und niemanden kannte, zog er nach Köln. Er ist bei den Ford-Werken nicht nur einer sicheren Arbeit nachgegangen. Er wollte vor allem in der Nähe der Verwandten sein. Diesem Bedürfnis nachzugeben, hat nicht nur Vorteile. Denn dadurch werden die dörflichen Einstellungen in der Diaspora fortgeführt: Die soziale Kontrolle bleibt beibehalten, Abweichungen werden von Verwandten und Bekannten registriert und geächtet.
Die Erzählungen und Handlungen meiner Eltern belegen eindrucksvoll, dass sie bis tief in die 1980er-Jahre an eine baldige Rückkehr in die Türkei geglaubt haben. Deshalb haben sie ihre Einstellungen, auch bezüglich der Geschlechterrollen, zunächst nicht verändert. Während meine Mutter nach Deutschland kam, blieben die fünf Kinder (drei Mädchen und zwei Jungen im Alter von einem bis elf Jahren) bei Verwandten in der Türkei. Weil die beiden Mädchen aus Sicht meiner Eltern schutzlos waren ohne Mutter und Vater, wurden sie sehr bald nach Deutschland geholt, wie kurz darauf auch meine dritte Schwester. Mein älterer Bruder und ich kamen zum Schluss, erst 1980, nach. Ich versuche die Begründung meines Vaters einigermaßen wörtlich wiederzugeben, die ich so öfter gehört habe. »Ab einem bestimmten Alter [hier ist Pubertät gemeint] durfte man die Mädchen nicht alleine lassen. Wer weiß, was passiert. Wir haben auch eine Ehre. Deshalb haben wir deine älteren Schwestern und danach die jüngere Schwester zu uns geholt. Bei euch war ich anderer Meinung. Jungs können auch alleine bleiben. Ihnen passiert nichts. Außerdem wollte ich, dass ihr die gute Schulbildung in der Türkei habt. Aber deine Mutter wollte, dass auch ihr kommt.«
Hier wird deutlich, dass sich die Einstellung meines Vaters bezüglich der Geschlechterrollen bis in die 1980er-Jahre kaum verändert hat. Schutzbedürftige Mädchen müssen in der Obhut der Eltern bleiben. Jungen sind diesbezüglich nicht gefährdet. Mit guter Schulbildung für die Jungen wollte mein Vater anscheinend erreichen, dass wir später für unsere Familien sorgen können. Bei den Mädchen war das anscheinend nicht notwendig, weil sie heiraten und in die Obhut des Mannes übergehen.
Diese Ansicht hat sich bei meinen Eltern mit der Zeit extrem gewandelt, worauf ich noch eingehen werde. Dieser Wandel findet aber nicht in jeder Familie statt. Im Gegenteil: Einige Einstellungen werden durch Migration sogar noch konservativer oder extremer.
Viele Zuwanderer türkischer, kurdischer und arabischer Herkunft stammen aus wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten oder aus Krisenregionen. Massenarbeitslosigkeit, Armut, Analphabetismus und eine mangelhafte Infrastruktur bestimmen das Leben dort auch heute noch. Die Tradition hat einen hohen Stellenwert. In diesem Milieu ist die Erziehung gekennzeichnet durch eine dominante Haltung der Eltern. Autorität und Respekt prägen die Beziehung zwischen Kind und Eltern. Das Kind – vor allem ein Mädchen – muss gehorsam sein und die von den Eltern übertragenen Aufgaben sorgfältig ausführen. Widerspruch ist nicht vorgesehen. Die Eltern haben Anspruch auf Achtung. Erfahren sie diese nicht, haben die Kinder kein Anrecht auf Liebe. Liebe ist an Bedingungen gekoppelt.
Die Dominanz der Eltern zeigt sich in vielen Lebensbereichen. Natürlich nehmen sie Einfluss auf die Schulbildung der Kinder. Wichtige Entscheidungen werden aber auch für erwachsene Kinder getroffen, zum Beispiel in Bezug auf die Berufsausbildung oder wenn es um die Eheschließung geht. Eltern gehen in der Regel davon aus, dass die Kinder nicht dazu in der Lage sind, diese Entscheidungen selbst zu treffen.
Ein anderes Beispiel für die enorme Dominanz der Eltern ist, und das noch mehr als bei Eltern aus anderen Kulturkreisen, dass sie an Entscheidungen festhalten, auch wenn sie nicht hundertprozentig von ihnen überzeugt sind. Würden sie von einer getroffenen Entscheidung abrücken, wäre dies ein Zeichen von Schwäche. Diese dominante Haltung nehmen die Eltern gleichermaßen gegenüber Söhnen wie Töchtern ein, wobei die Mutter gegenüber Jungen häufig ambivalent handelt und nachgiebig ist. Auf diesen Teil der Erziehung werde ich im Abschnitt »Geschlechtsspezifische Erziehung« detaillierter eingehen.
In der Erziehung haben Respekt vor Autoritäten, Ehrenhaftigkeit und Zusammengehörigkeit für Migranten aus dem muslimischen Kulturkreis immer noch eine große Bedeutung. Die Kinder werden von klein auf nach diesen traditionellen Werten erzogen und zu einem entsprechenden Benehmen gegenüber ihren Eltern, älteren Geschwistern und anderen Verwandten sowie außerhalb der Familie gegenüber Lehrkräften und Geistlichen angehalten. Kinder dürfen ihre älteren Verwandten niemals mit dem Vornamen ansprechen, sie sollen in Gegenwart der Eltern schweigen, den Höherstehenden nicht widersprechen. Selbst erwachsene Söhne und Töchter haben sich an diese Regeln zu halten, dürfen in Anwesenheit der Eltern nicht rauchen und keinen Alkohol trinken. Respekt bedeutet in diesem Zusammenhang, sich gegenüber den Autoritäten loyal, gehorsam und unterordnend zu verhalten. Çiğdem Kağıtcıbaşı zufolge ist das Ziel dieser Erziehung, die familiären Bindungen zu festigen und die Bedürfnisse der Familie auch im gesellschaftlichen Leben voranzustellen.
Eltern können das traditionelle Erziehungsmodell in Deutschland nicht immer strikt durchsetzen, manche wollen es auch nicht. Wie widersprüchlich dieses Modell dann in der Praxis erscheint, illustrieren zwei Beispiele aus meinem privaten Umfeld zum »Respekt vor Autoritäten«.
Zwischen 1993 und 1997 studierte ich in Regensburg. Ich hatte nicht nur deutsche Freunde, sondern auch viele Freunde, deren Eltern aus der Türkei stammten. Wir waren eine richtige Clique, und über kurz oder lang heirateten zwei unserer Freunde. Der Bräutigam war sehr konservativ und noch dazu streng religiös, während die Braut für ihre liberalen Ansichten bekannt war. Die Hochzeit fand in einer großen Stadt in NRW statt. Wir mieteten also einen Sprinter und fuhren als »türkische« Clique los. Angekommen im Hochzeitssaal, fiel uns sofort auf, dass Männer und Frauen getrennt saßen. Wir, eine gemischte Gruppe von acht, wollten natürlich zusammensitzen. Mit der Bemerkung: »Das sind halt die Freunde der Braut« wurde uns dieser Wunsch gewährt. Mit der Frage nach alkoholischen Getränken handelten wir uns dann allerdings den einen oder anderen bösen Blick ein.
Je länger der Abend wurde, umso heiterer ging es am Nachbartisch zu. Einige junge Männer amüsierten sich prächtig. Sie waren ganz schön angetrunken, obwohl auf der Hochzeit kein Alkohol ausgeschenkt wurde. Wie können sie von Fanta und Mineralwasser so betrunken sein? Einer der jungen Männer wurde schließlich sehr laut und schrie seine Mutter und andere Erwachsene an. Die Mutter, bemüht, die Lage zu beruhigen, betonte immer wieder, dass ihr Sohn zu viel Alkohol getrunken hätte. Er könne nichts für sein Verhalten, so ihre Argumentation.
Zwar wurde auf der Hochzeit kein Alkohol ausgeschenkt, das mehr oder weniger heimliche Trinken der jungen Männer wurde aber trotzdem nicht reglementiert. »Was ich offiziell nicht weiß, kann ich auch nicht verbieten«, ist hier die Formel. Mehr noch: Das öffentliche Trinken wird als männliches Verhalten wahrgenommen und deshalb geduldet.
Ich habe es auf türkischen, kurdischen oder arabischen Feiern noch nie erlebt, dass eine Frau oder ein Mädchen wegen übertriebenen Alkoholkonsums aus dem Saal komplementiert werden musste. Aber mindestens ein Mann oder Junge auf jeder Hochzeit schlägt über die Stränge. Es ist paradox: Der Konsum von Alkohol wird einerseits aus religiösen Gründen und als respektlos gegenüber Autoritätspersonen abgelehnt und andererseits als Ausdruck einer Männlichkeitsnorm akzeptiert.
Das zweite Beispiel zum »Respekt vor Autoritäten« als ambivalentem Erziehungsziel bezieht sich auf meine Familie. Wie ich bereits geschrieben habe, wird Kindern beigebracht, die älteren Geschwister nicht mit dem Namen anzusprechen, sondern mit »abla« (Große Schwester) oder »abi« (Großer Bruder). Das praktizieren wir auch in unserer Familie, mit einer Ausnahme.
Meine drei Schwestern sind alle älter als ich. Zwischen der jüngsten und mir liegen lediglich 17 Monate Altersunterschied. Wir verstehen uns nicht nur gut, sondern sind wie Freunde. Meiner Schwester ist es recht, dass ich sie in der Öffentlichkeit nicht als große Schwester anspreche. Meiner Mutter ist das aber ein Dorn im Auge. Sie ermahnt mich immer wieder, dass ich meine Schwester nicht beim Namen nennen soll. Das sei schließlich respektlos. Als ich sie dann irgendwann mal genervt gefragt habe, was die richtige oder falsche Ansprache mit Respekt zu tun hat, meine Schwester und ich sind immerhin beide erwachsen, war sie überrascht. Mit dieser Frage hatte sie anscheinend nicht gerechnet. Eine substanzielle Antwort habe ich von meiner Mutter nicht bekommen. Sie meinte nur, dass das nun mal so sei. Außerdem würden Verwandte und Bekannte dann schlecht über uns reden. Geändert haben wir unser Verhalten immer noch nicht. Jedes Mal, wenn Bekannte und Verwandte vorbeikommen und ich meine Schwester mit ihrem Namen anspreche, ist meine Mutter peinlich berührt und begründet unser »Fehlverhalten« mit dem kaum vorhandenen Altersunterschied.
Die beiden Beispiele machen deutlich, dass es beim Erziehungsziel »Respekt vor Autoritäten« in erster Linie um die Außendarstellung der Familie geht. Das Verhalten der Kinder zeigt an, dass die Familie zusammengehört und innerhalb der Familie Respekt und Loyalität herrschen. Dabei ist die Umsetzung dieses Erziehungsziels nicht immer einfach. Unterschiedliche Erwartungshaltungen können miteinander konkurrieren und führen so zu unterschiedlich konsequenter Ahndung von »Vergehen«, wie unser erstes Beispiel deutlich gemacht hat.
Das Erziehungsziel »Ehrenhaftigkeit« schließt an die Erziehung zum »Respekt vor Autoritäten« an und spielt im Erziehungsalltag der Familien ebenfalls eine zentrale Rolle. Vereinfacht ausgedrückt, wird die Ehrenhaftigkeit dem Kultur- und Sozialanthropologen Werner Schiffauer zufolge durch zwei Größen bestimmt: durch die Beachtung der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt einer Familie und durch die geschlechtsspezifische Ausrichtung der Ehre. Traditionell gibt es eine klare Grenze zwischen dem Bereich der Familie – »innen« – und der Außenwelt. Auch in Deutschland wird von konservativen Familien sehr darauf geachtet, dass diese Grenze nicht überschritten wird. Vor allem den männlichen Kindern wird sehr früh vermittelt, auf etwaige Grenzüberschreitungen sofort und entschieden zu reagieren, z. B. ihre (jüngeren) Geschwister zu verteidigen, um nach außen ein geschlossenes Bild zu vermitteln.
Eine Grenzverletzung nach innen möchte ich anhand eines Beispiels aus meinen Erfahrungen als Sozialarbeiter darstellen.
Während meiner Tätigkeit als Sozialarbeiter betreute ich den 17-jährigen Mehrfachstraftäter Hakan. Er war wegen diverser Delikte zwar bei mir in Betreuung, erschien aber nur sehr unregelmäßig zu unseren Terminen. Als ein Brief von mir an Hakan mit dem Hinweis »verzogen« zurückkam, beschloss ich, an seiner alten Adresse nach dem Rechten zu sehen. Seine Mutter öffnete mir die Tür und lud mich auf eine Tasse Kaffee ein. Wie sich herausstellte, wohnte Hakan noch immer dort. Der Postbote sei vermutlich neu und hätte den Brief nicht zugestellt, weil Hakans Name nicht am Briefkasten stünde. Die Mutter und Hakan haben unterschiedliche Nachnamen. Der alte Postbote habe das alles gewusst. Sie sei sehr froh, dass ich mich um ihren Sohn kümmere, beteuerte die Mutter. Zum Ende des einstündigen Gesprächs versprach sie mir, dass sie Hakan morgen zu mir ins Büro schicken würde. Am nächsten Morgen kam nicht Hakan, dafür aber ein aufgewühlter und aggressiv wirkender Mann, der sich mit einem Küchenmesser in der Hand vor meinem Schreibtisch aufbaute. Er fragte mich, was mir einfallen würde, seine Frau zu besuchen und mit ihr in seiner Küche gemütlich Kaffee zu trinken? Dabei fuchtelte er weiter mit dem Messer herum. Mittlerweile kamen meine Kolleginnen und Kollegen aus ihren Büros gestürmt. Auf meine Erklärung, dass ich die Einladung seiner Frau aus Höflichkeit angenommen hätte, und weil ich unbedingt wissen wollte, was mit Hakan los sei, reagierte der Mann nicht. Im Gegenteil: Meine Argumente machten ihn noch wütender. Ich als integrer Mann hätte diese Einladung ausschlagen müssen, sobald ich erfuhr, dass seine Frau alleine zu Hause war. Durch die Intervention meiner Kollegen beruhigte sich der Mann schließlich, und ich versprach ihm, dass ich nie wieder mit seiner Frau Kaffee trinken würde. Er packte sein Messer ein und ging. Wir sahen von einer Anzeige ab.
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Die sozialstrukturelle Benachteiligung in der Bundesrepublik Deutschland hat der Soziologe Ralf Dahrendorf in den 1960er-Jahren mit folgenden Worten beschrieben: katholisch, weiblich, ländlich. Demnach hatten es katholische Mädchen vom Land schwer, den Bildungsaufstieg zu realisieren. Diesen Dreiklang nutzen Politiker und Bildungsforscher schon lange nicht mehr, weil die katholischen Mädchen vom Land mittlerweile viel öfter das Abitur erwerben und ein Studium aufnehmen als die Jungen. Zumindest auf Basis der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs kann diese Feststellung also nicht mehr aufrechterhalten werden.
Basierend auf Dahrendorfs Formel haben die Bildungsforscher der internationalen PISA-Studie im Jahre 2015 die Ergebnisse in einem neuen Dreiklang zusammengefasst: muslimisch, männlich, aus der Großstadt. Das heißt, die neuen Bildungs- und Integrationsverlierer sind männlich, Muslime und leben in einer Großstadt der alten Bundesländer. Es ist nicht neu, dass junge muslimische Männer in Deutschland im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehen. Trotz ihrer Präsenz auch in den Medien ist das Wissen über sie und ihre Denkweise gering. Wir nehmen die muslimischen Jugendlichen in der Öffentlichkeit dann wahr, wenn sie als Gewalttäter oder frauenverachtende Machos in Erscheinung treten. Die daraus folgenden öffentlichen Debatten werden in der Regel in Schwarz-Weiß-Manier geführt. Die eine Seite behauptet, die Jungen seien deshalb auffällig, weil sie systematisch im öffentlichen Leben und institutionell diskriminiert würden. Die Argumente der anderen Seite zielen darauf ab, dass sich die muslimischen Jungen mit ihrer machohaften Verhaltensweise selbst im Weg stehen, in Deutschland demnach keine systematische Diskriminierung herrscht. Wie üblich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.
Sobald in Deutschland jemand auf die Verhältnisse innerhalb der muslimischen Bevölkerung und ihrer Familien schaut und dabei Probleme identifiziert und benennt, steht der Vorwurf im Raum, man problematisiere zu sehr. Genauer gesagt: man erkläre soziale Probleme mit der Kultur und der Religion. Das ist in der Tat ein nachvollziehbarer Einwand, heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass religiöse und kulturelle Traditionen komplett negiert werden können, wenn wir sachlich, aber kritisch auf die Erziehungsstile und -inhalte der Familien blicken. Die Familien sind genauso geprägt von kulturellen und religiösen Einstellungen wie von den sozialen Rahmenbedingungen, dem Bildungsniveau der Eltern, der Wohngegend, sozialer Ausgrenzung, Diskriminierung und verfehlter Integrationspolitik. Sind es also die sozialen oder die kulturellen Faktoren, die die Integration der muslimischen Jungen in die Gesellschaft erschweren?
In diesem Buch vertrete ich – basierend auf meiner eigenen Biografie, der praktischen Arbeit mit Jungen aus dem muslimischen Kulturkreis und weiterführenden Forschungsarbeiten – die These, dass für den Erfolg oder Misserfolg der Integration in erster Linie die Erziehung und das Verhalten der Eltern verantwortlich sind. Im Vergleich zu den Mädchen gewähren sie den Söhnen mehr Freiheit, setzen kaum bis keine Grenzen. Die Jungs dürfen über die Stränge schlagen, ohne dass sie dafür Konsequenzen zu spüren bekommen. Fallen sie in der Schule oder anderen Bildungseinrichtungen negativ auf, werden sie bedingungslos in Schutz genommen und lange als Kinder behandelt, die keine Verantwortung für ihr Fehlverhalten übernehmen müssen. Sie brauchen weder diszipliniert zu sein noch ordentlich, dürfen stören und Aggressivität ausstrahlen. Denn der Junge soll später in der Lage sein, seine Familie in Schutz zu nehmen. Zugleich soll er eine solide Ausbildung abschließen, ausreichend Geld verdienen, heiraten und seine Familie ernähren. Darauf wird er von seinen Eltern aber nicht vorbereitet. Im Gegenteil: Die ambivalente Erziehung, geprägt von vielen Freiheiten bei zugleich hoher Erwartungshaltung, trägt dazu bei, dass die Jungen den Anforderungen nicht gerecht werden können.
Vor allem sollen die Jungen sich an den Vätern als Vorbild orientieren. In vielen Fällen ist der Vater aber nicht in der Lage oder willens, dieser Aufgabe nachzukommen. Viele Väter sind erwerbstätig und dadurch selten zu Hause. Einige sind schlicht als Vorbild nicht geeignet, sei es aufgrund von Arbeitslosigkeit, Alkoholkonsum, Gewaltbereitschaft oder weil sie durch ihren Migrationshintergrund den Anforderungen nicht gewachsen sind. Denn ab einem bestimmten Alter können die Jungen besser Deutsch, kennen sich im deutschen Bildungs- und Sozialsystem besser aus und beherrschen die Regeln des Alltags besser als ihre Väter. Dadurch bleibt der Vater lediglich in der Wunschvorstellung als Autoritätsperson bestehen. In der Realität sind die Söhne ihren Vätern überlegen. Das führt dazu, dass der Junge kaum Orientierung erhält und Grenzen ausreizt.
Zieht man gängige Erklärungsmuster für gescheiterte Integration heran, wäre bei mir selbst eine kriminelle Karriere eigentlich vorprogrammiert gewesen: eine Schule, in der Gewalt und Drogenkonsum an der Tagesordnung waren; Eltern, die wenig bis kaum Zeit für uns Kinder hatten und sich mit dem deutschen Bildungssystem nicht auskannten; und ein Stadtteil mit sehr hohem Ausländeranteil: ein sozialer Brennpunkt. Dennoch haben alle drei Jungen in meiner Familie akademische Abschlüsse erworben: Zwei von uns sind Professoren, und einer ist Berufsschullehrer. Warum waren die Jungen aus unserer Familie so erfolgreich? Dafür mache ich vier zentrale Gründe aus, die unabdingbare Voraussetzung für Erfolg und gelungene Integration sind:
Klare erzieherische Orientierung mit Grenzsetzung
Gleichbehandlung der Jungen und Mädchen in der Erziehung
Geringe bzw. keine religiöse Erziehung in der Familie
Vermeidung der Opferrolle – auch wenn die Integrationsangebote und sozialen Rahmenbedingungen nicht immer optimal sind
Basierend auf diesen vier Voraussetzungen habe ich das vorliegende Sachbuch in drei Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil werde ich anhand von konkreten Beispielen aus der Sozialen Arbeit, der Schule und meiner eigenen Biografie darstellen, wie Jungen in türkischen, kurdischen und arabischen Familien meist aufwachsen. Vor allem werde ich die unterschiedlichen erzieherischen Funktionen der Elternteile darstellen, die das Verhalten der Jungen immens beeinflussen. Dadurch wird deutlich, dass viele junge Männer auf die komplexe und sich verändernde Außenwelt nicht ausreichend vorbereitet werden.
Im zweiten Abschnitt gehe ich auf die sozialen Rahmenbedingungen der Integration muslimischer Jungen ein. Mittels ausgewählter Themenbereiche werde ich aufzeigen, warum diese Integration nicht optimal verläuft und wo die Versäumnisse der deutschen Migrations- und Integrationspolitik liegen. Dadurch wird deutlich, dass das selbstbewusste Auftreten vieler junger Männer in der Öffentlichkeit oft nur gespielt ist. Vielmehr suchen sie nach Orientierung, was ich anhand aktueller Themen wie der Verherrlichung des türkischen Präsidenten Erdoğan und des Salafismus verdeutlichen werde.
Im dritten und letzten Teil werde ich konkrete pädagogische und politische Handlungsempfehlungen formulieren, deren Umsetzung die Jungen von Beginn an besser unterstützen und ihre Integration in die Gesellschaft sichern würde.