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Magisterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Theologie - Sonstiges, Note: 1,1, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Interesse an der muslimischen Minderheit in Deutschland ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen, hauptsächlich allerdings aufgrund von Negativ-Schlagzeilen. Direkte Verbindungen zu brutalen Terror-Gruppen bestehen – wenn auch real nur in den seltensten Einzelfällen – zumindest mental in den Köpfen der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Das allgemeine Augenmerk richtet sich aber zunehmend nicht nur auf diese Extrembeispiele misslungener Integration, sondern auch auf die allgemeine Notwendigkeit einer gelingenden Eingliederung ethnischer, sozialer und religiöser Minderheiten in die deutsche Gesellschaft. Integration ist das große Schlagwort überall in der Politik der vergangenen Jahre. Jeder fordert sie, und es gibt auch durchaus ernst gemeinte und Erfolg versprechende Ansätze und Projekte. Problematisch jedoch wird das Vorhaben, wenn die zu Integrierenden nicht angehört werden, ihre eigenen Versuche, sich aktiv in die Mehrheitsgesellschaft einzubringen, nicht honoriert, vielleicht nicht einmal als solche erkannt werden. Bevor ein nicht nur friedliches, sondern auch fruchtbares und bereicherndes Miteinander stattfinden kann, sollte zuerst das gemeinsame Ziel als solches festgelegt und genauer definiert werden. Denn die Definition gelungener Integration variiert beträchtlich auf beiden Seiten. Was also denkt die ‚andere Seite’? Welche Gedanken machen sich die Muslime in Deutschland über ihre Integration? Welche Vorstellungen, Wünsche, Bedenken haben sie – und warum? Was tun sie konkret, wie verhalten sie sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, und warum so und nicht anders? Und welche Rolle spielt ihre Religion dabei? Neun junge Musliminnen wurden für die vorliegende qualitative Studie zu diesen Themen befragt. Teilnehmende Beobachtung in der muslimischen Mädchengruppe, der die Interview-Partnerinnen allesamt angehören, runden die Ergebnisse ab.
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Das Interesse an der muslimischen Minderheit in Deutschland ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen, hauptsächlich allerdings aufgrund von Negativ-Schlagzeilen. Direkte Verbindungen zu brutalen Terror-Gruppen bestehen - wenn auch real nur in den seltensten Einzelfällen - zumindest mental in den Köpfen der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Das allgemeine Augenmerk richtet sich aber zunehmend nicht nur auf diese Extrembeispiele misslungener Integration, sondern auch auf die allgemeine Notwendigkeit einer gelingenden Eingliederung ethnischer, sozialer und religiöser Minderheiten in die deutsche Gesellschaft. Integration ist das große Schlagwort überall in der Politik der vergangenen Jahre. Jeder fordert sie, und es gibt auch durchaus ernst gemeinte und Erfolg versprechende Ansätze und Projekte.
Problematisch jedoch wird das Vorhaben, wenn die zu Integrierenden nicht angehört werden, ihre eigenen Versuche, sich aktiv in die Mehrheitsgesellschaft einzubringen, nicht honoriert, vielleicht nicht einmal als solche erkannt werden. Bevor ein nicht nur friedliches, sondern auch fruchtbares und bereicherndes Miteinander stattfinden kann, sollte zuerst das gemeinsame Ziel als solches festgelegt und genauer definiert werden. Denn die Definition gelungener Integration variiert beträchtlich auf beiden Seiten. Was also denkt die ‚andere Seite’? Welche Gedanken machen sich die Muslime in Deutschland über ihre Integration? Welche Vorstellungen, Wünsche, Bedenken haben sie -und warum? Was tun sie konkret, wie verhalten sie sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, und warum so und nicht anders? Und welche Rolle spielt ihre Religion dabei? Diese Fragestellung ist ein weites Feld, und so werde ich sie auf einen kleinen Ausschnitt begrenzen. Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte des Islams auf deutschem Boden und die der türkischen Gastarbeiter in Deutschland werde ich die muslimische Gemeinde der Aksa-Moschee in der niedersächsischen Kleinstadt Stadthagen vorstellen, welche Schauplatz meiner Feldstudie ist. Dann werde ich mich zunächst mit den theoretischen Grundlagen der Arbeit beschäftigen, indem ich einen groben Überblick über den Forschungsstand in Sachen Integration der (türkischen) Migranten in Deutschland gebe und die beiden wichtigsten Theorien bezüglich deren Integration vorstelle.
Der Hauptteil der Arbeit dreht sich schließlich um die Teilnehmerinnen der Mädchengruppe der Stadthäger Aksa-Moschee. Neun junge Frauen im Alter zwischen 15 und 22 sind in Leitfaden-Interviews zum Themenfeld ihrer persönlichen Auffassung und Einstellung der
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Integration im Zusammenhang mit ihrer Religion befragt worden. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass die Mitgliedschaft in einer solchen Gruppe nicht dem Regelfall einer jungen türkischen Muslimin entspricht, sondern eher einen Sonderfall darstellt.1Die Auswertung dieser Interviews im Spiegel der bereits erschienenen Literatur und deren Erkenntnisse führt letztlich zu einem für die breite Öffentlichkeit sicherlich erstaunlichen, für Fachleute aber wenig überraschenden Ergebnis: Integration und Religiosität schließen sich nicht nur gegenseitignichtaus, sie scheinen sogar im Gegenteil in einem positiven Verhältnis zu stehen, nach dem eine aufgeklärte (im Sinne von gebildete), aktive Religiosität eine Integration erleichtert und die Auseinandersetzung mit diesem Thema massiv fördert. Der Politikwissenschaftler Lutz Hoffmann nimmt an, dass die Wahrnehmung der einheimischen Gesellschaft - auch die der Migrationsforscher - „unüberwindbar parteiisch zugunsten des Aufnahmelandes ist“,2was schon „bis zu einem gewissen Grade (…) aus strukturellen Gründen unvermeidbar“3sei. Assimilation, spurenlose Angleichung, werde im Zuge einer „Selbstverständlichkeitsunterstellung“4als Ziel vorausgesetzt. Der Soziologe Johannes Twardella führt aus:
„In der Orientalistik wird dies unter dem Stichwort ‚Orientalismus’ diskutiert: Ist es möglich, dass ein Forscher, der als Person tief in der europäischen Kultur verwurzelt ist und mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet, die in dieser Kultur, in der Kultur des Westens entstanden sind, sich mit dem Thema Islam befasst und zu seriösen Ergebnissen kommt? Die Kritiker des ‚Orientalismus’ bezweifeln dies und behaupten, unter dieser Voraussetzung werde nur ein Konstrukt vom Islam entstehen, das auf einer Opposition basiert, die sich aus der Definition der eigenen kulturellen Identität ergibt. Ausgehend von einer positiven Definition des Eigenen werde der Islam als ‚das ganz Andere’ konstruiert.“5
Gerade auch im Zusammenhang mit muslimischen Frauen(bildern) ist das Thema ein sehr sensibles. Die Migrationsforscherin Ursula Boos-Nünning schreibt: „Der Grat zwischen Schilderungen der (wahrgenommenen) Realität und der Stereotypisierung ist schmal, ja hauchdünn, oft sind es gerade die Artikel, die sich wähnen, wohlwollend gegenüber ‚Ausländern’, gegenüber zugewanderten Familien oder Mädchen türkischer Herkunft zu sein, die bewirken, daß bei den
1Boos-Nünning/ Karakaşoğlu stellen in ihrer Erhebung fest, dass nur 5 % der türkischen Mädchen (11 % aller untersuchten Migrantengruppen) in ihrer Freizeit oft oder sehr oft „kulturelle Zentren für die Herkunftsgruppe“, und 8 % (8 % gesamt) „Einrichtungen mit religiösen Angeboten“ besuchen. Boos-Nünning/ Karakaşoğlu (2005), S. 144. An anderer Stelle heißt es, 7 % der türkischen Musliminnen treffen sich oft oder sehr oft in religiösen Einrichtungen mit Freunden. Vgl. ebd., S. 405. 20 % der Türkinnen haben wenigstens einmal an einem Treffen einer - nicht notwendigerweise ethnischen oder religiösen - Mädchengruppe teilgenommen. Vgl. ebd., S. 450.
2Hoffmann, Lutz: Der Einfluß völkischer Integrationsvorstellungen auf die Identitätsentwürfe von Zuwanderern. In: Heitmeyer, Wilhelm/Dollase, Rainer (Hrsg.): Die bedrängte Toleranz. Ethnisch-kulturelle Konflikte, religiöse Differenzen und die Gefahren politisierter Gewalt. Frankfurt/M., 1996. S. 242.
3Ebd., S. 243.
4Ebd., S. 242.
5Twardella, Johannes: Moderner Islam. Fallstudien zur islamischen Religiositöt in Deutschland. Religionswissenschaftliche Texte und Studien, Band 11. Hildesheim, 2004. S. 139f.
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Lesern oder Zuschauern vorhandene (falsche oder teilrichtige) Meinungen verfestigt werden. (…) Es sind deutsche Wissenschaftlerinnen, die zur Stereotypisierung von Frauen und Mädchen türkischer Herkunft beitragen.“6
Als Angehörige eben jener einheimischen Gesellschaft, als deutsche Wissenschaftlerin, gebe ich mir zwar alle Mühe, unbefangen und offen an meinen Forschungsgegenstand heranzugehen, doch sollten die entsprechenden Anmerkungen in diesem Sinne im Hinterkopf verbleiben.
Publikationen und qualitative Studien zum Thema Islam in Deutschland, und auch speziell zum Thema muslimische Jugendliche in Deutschland, schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Das ist gut so, war dieser Bereich doch lange Zeit in der Sozialforschung arg vernachlässigt. Für meine Arbeit stellt dieses Phänomen einerseits eine Erleichterung dardenn ich kann die Ergebnisse anderer Forscher aufgreifen und von ihrer Arbeit profitieren -andererseits stehe ich nun vor der Schwierigkeit, alle Veröffentlichungen angemessen zu berücksichtigen und in der Fülle der neuesten Literatur keine wichtigen Publikationen zu übersehen. Auch stellt sich die Frage, ob eine weitere Studie überhaupt noch vonnöten ist. Wenigstens ein Novum (meines Wissens nach zumindest) bietet meine Arbeit jedoch in der Herangehensweise. Die meisten Studien rekrutieren ihre Forschungsobjekte aus möglichst breit gestreuten Hintergründen, um eine Übersicht über die UnterschiedlichkeitdesIslams in Deutschland unddermuslimischen Jugend zu geben (vgl. Öztürk,7Stauch,8Klinkhammer9). Die einzige Gemeinsamkeit, die alle ihre Probanden jeweils aufweisen, ist die Zugehörigkeit zur muslimischen Minderheit, ein wie auch immer ausgelebtes Bekenntnis zum Islam. Andere Studien engen das Feld weiter ein und erhalten auf diese Weise mehrere Konstanten, die eine spezifischere Analyse zulassen. (Neclá Kelek arbeitet mit den türkisch-muslimischen Schülern einer ausgewählten Gesamtschule;10Yasemin Karakaşoğlu-Aydin konzentriert sich auf türkische Lehramts- und Pädagogikstudentinnen.11) Meine Arbeit nun beschäftigt sich mit den Teilnehmerinnen der Mädchengruppe eines einzelnen Moscheevereins in einer
6Boos-Nünning, Ursula: Mädchen türkischer Herkunft: Chancen in der multikulturellen Gesellschaft? In: Gieseke, Heide/Kuhs, Katharina (Hrsg.): Frauen und Mädchen in der Migration. Lebenshintergründe und Lebensbewältigung. Frankfurt/M. 1999. S. 26f.
7Öztürk, Halit: Wege zur Integration. Lebenswelten muslimischer Jugendlicher in Deutschland. Bielefeld 2007.
8Stauch, Karima Katja: Die Entwicklung einer islamischen Kultur in Deutschland. Eine empirische Untersuchung anhand von Frauenfragen. In: Berliner Beiträge zur Ethnologie. Band 8. Weißensee Verlag, Berlin 2004.
9Klinkhammer, Grit: Moderne Formen islamischer Lebensführung. Eine qualitativ-empirische Untersuchung zur Religiosität sunnitisch geprägter Türkinnen der zweiten Generation in Deutschland. Marburg 2000.
10Neclá Kelek: Islam im Alltag. Islamische Religiosität und ihre Bedeutung in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern türkischer Herkunft. Münster 2002.
11Yasemin Karakaşoğlu-Aydın: Muslimische Religiosität und Erziehungsvorstellungen. Eine empirische Untersuchung zu Orientierungen bei türkischen Lehramts- und Pädagogik-Studentinnen in Deutschland. Frankfurt a.M., 2000.
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niedersächsischen Kleinstadt. Die Mädchen sind immer noch unterschiedlich genug im Hinblick auf ihren Bildungsstand und ihre Individualität, jedoch weist die Gruppe eine gewisse Homogenität auf, was der Sozialisation in derselben Stadt, derselben sozialen und tatsächlichen Umgebung und - ganz wichtig - in etwa derselben Rezeption des Islams durch den gemeinsamen Moscheeverein und den gemeinsamen Besuch der Mädchengruppe zu verdanken ist. Die jungen Musliminnen verbindet also eine gemeinsame Basis, was zu einer relativen Vergleichbarkeit ihrer Aussagen führt.
Die ersten Berichte von Begegnungen mit Muslimen in Deutschland reichen zurück bis in das Mittelalter, als sie sich freilich auf den Empfang weniger Gesandter aus muslimischen Reichen beschränkten.12Unter dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. dienten im 18. Jahrhundert eine Handvoll Türken in dessen Garde der „Langen Kerls“, und auch der Aufbau der späteren preußischen Ulanenregimenter wurde von insgesamt rund 1000 muslimischen Soldaten unterstützt. Im Ersten Weltkrieg gelangte erstmals eine größere Gruppe türkischer Muslime als Kriegsgefangene nach Deutschland. Auf diese Weise entstand 1914 im Gefangenenlager von Wünsdorf bei Berlin die erste Moschee auf deutschem Boden.13In der Weimarer Republik entwickelte sich die „Deutsch-Moslemische Gesellschaft“,14ein Zusammenschluss aus Muslimen und nicht-muslimischen Gönnern, die ein reges Gemeindeleben unterhielten und 1925 die älteste bis heute erhaltene deutsche Moschee in Berlin-Wilmersdorf in Betrieb nahmen.15Der Zweite Weltkrieg brachte erneut muslimische Kriegsgefangene aus den Gebieten des sowjetischen Herrschaftsbereichs, die zum Teil im weiteren Verlauf auf deutscher Seite kämpften.
Die wirkliche, auch für die deutsche Bevölkerung sichtbare Geschichte des Islams in Deutschland beginnt mit den türkischen Gastarbeitern, die seit 1961 von der Bundesrepublik als billige Arbeitskräfte angeworben wurden. Zu 89 % bestand die Masse sozial und kulturell
12Vgl. Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland. Islam und die westliche Welt, Bd. 5. Graz, Wien, Köln, 1981. S. 13.
13Vgl. ebd., S. 24. Für die muslimischen Soldaten war seinerzeit ein Saal als Gebetsraum hergerichtet worden. Vgl. ebd., S. 13. Eine Gruppe muslimische Kriegsgefangene, die im Zuge des Kriegs von 1870/71 nach Deutschland gelangt waren, nutzten eine die ursprünglich als Ästhetikbau innerhalb eines „türkischen Gartens“ konzipierte so genannte „Rote Moschee.“ Ebd. S. 21.
14Vgl. Bauknecht, Bernd: Muslime in Deutschland von 1920 bis 1945. Köln, 2001. S. 65.
15Vgl. ebd., S. 59.
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völlig unvorbereiteter Migranten aus Männern.16„Gastarbeiter werden nicht zum Bleiben eingeladen“,17bemerkte der Politikwissenschaftler Dieter Oberndörfer, und auch von den Gastarbeitern selbst dachten anfangs - und zum großen Teil heute noch - die wenigsten ans Bleiben. Mit der Vorstellung vom schnell gemachten Vermögen ließen sie ihre Familien zurück, um ein paar Jahre später reich zurückzukehren. Ein Anwerbe-Abkommen brachte türkische Gastarbeiter in großen Zahlen nach Deutschland. Fast eine Million türkische Staatsbürger kamen auf diese Weise in die Bundesrepublik.18Als ein Jahrzehnt später der Anwerbe-Stopp verhängt wurde (1973), vergrößerte sich die Zahl durch den Familien-Zuzug noch enorm. Aus dem kurzen Arbeitsaufenthalt war längst ein Langzeitarrangement geworden, und der Traum vom großen Geld hatte sich für viele nicht völlig zerschlagen, aber zeitlich nach hinten verlagert. Selbst als die Verabschiedung des Gesetzes „zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern“ (1983), das ehemaligen Gastarbeitern 10.500 DM plus Kinderzuschlag und eingezahlte Rentenversicherungsbeiträge als Rückkehrhilfe bereitstellte, kehrten nur rund 250.000 Menschen in die Türkei zurück.19
Unvorbereitet und ungeplant richteten sich erst die Gastarbeiter, dann auch ihre Familien in Deutschland ein und arrangierten sich meist unter pragmatischen Prämissen mit den ungewohnten Verhältnissen. Da die baldige Rückkehr in das Heimatland für die meisten weiterhin als feste Absicht im Raum stand, sich lediglich immer wieder verzögerte, gab man sich häufig mit Provisorien zufrieden. Dies galt auch und vor allem für die Gebetsräume, die sich schon die ersten Ankömmlinge einzurichten begannen und die den zumeist tatsächlich zutreffenden Terminus der Hinterhof-Moschee hervorriefen.20
Die Verbreitung von Muslimen in Deutschland heute lässt sich statistisch nicht ohne weiteres erfassen. Offizielle Zahlen existieren nicht. (Zwar werden in den Standesämtern die Angaben der Religionszugehörigkeit auf freiwilliger Basis erhoben, doch dürfen sie aus - meiner Meinung nach - fragwürdigen Gründen nicht statistisch ausgewertet werden.) Es bleibt daher nur die Annäherung über die Ausländerstatistik, die neuerdings durch die Berücksichtigung
16Vgl. Stauch (2004), S. 15.
17Oberndörfer, Dieter: Einwanderungsland Deutschland. Worüber reden wir eigentlich? In: Frech, Siegfried/Meier-Braun, Karl-Heinz (Hrsg.): Die offene Gesellschaft. Zuwanderung und Integration. Schwalbach/Ts., 2007. S. 89.
18Şen/Goldbergnennen die Zahl 910500 im Jahr 1973.Vgl.Şen,Faruk/Goldberg, Andreas: Türken in Deutschland. Leben zwischen zwei Kulturen. Verlag C. H. Beck, München 1994, S. 20.
19Die Gründe hierfür sind vielfältig und gehen oft auf die zur dieser Zeit politisch wie sozial unsichere Lage in der Türkei zurück. Vgl. ebd., S. 25 und Goldberg/Halm/Şen (2004), S. 19f.
20Solange sich der Kreis der Muslime auf die tatsächlichen Gastarbeiter beschränkte, sorgten zumeist deren Arbeitgeber neben der Unterbringung auch für die Bereitstellung von Gebetsräumen. Die Notwendigkeit zur Einrichtung von Moscheen in Eigenregie ergab sich also vielfach erst durch die verlängerten Bleibeabsichten und dem damit verbundenen Familiennachzug. Vgl. Abdullah (1981), S. 69 - 76 und Wunn, Ina: Muslimische Gruppierungen in Deutschland. Ein Handbuch. In Zusammenarbeit mit Hamideh Mohagheghe, Bertram Schmitz, Wolf D. Aries, Hilal Al-Fahad u.a. Stuttgart, 2007. S. 29f.
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eines Migrationshintergrundes auch bei deutschen Staatsbürgern präzisiert wird. Die Teilstudie „Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ der Mikrozenzus-Befragung zum Thema „Bevölkerung und Erwerbstätigkeit“ des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2005 gibt Auskunft über Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund gleichermaßen.21Dies erleichtert den Rückschluss auf die Zahl der Muslime, da sie auch nach Nationalitäten unterteilt. Da sich Türken und Menschen türkischer Herkunft in der überwiegenden Mehrheit zum Islam bekennen,22scheint - zumindest, wenn wie in dieser Arbeit nur der Teil dertürkischenMuslime relevant ist - eine Gleichsetzung dieser Gruppe mit der Zahl der Muslime halbwegs legitim.23Diesen Zahlen zufolge leben derzeit etwa 15,3 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Mit 14,2 % stellen die Türken bzw. Menschen türkischer Herkunft die mit Abstand größte Nationalitätsgruppe. Als grober Annäherungswert dürfte die Zahl der Mitglieder der türkisch-islamischen Minderheit in Deutschland also knapp 2,2 Mio. betragen.24
Wie viele dieser türkischen Muslime in Moscheevereinen organisiert sind oder auch nur gelegentlich eine Moschee besuchen - also aktiv und auch nach außen hin in ihre Religion involviert sind - lässt sich kaum oder eher gar nicht feststellen.25Die Religionswissenschaftlerin Gritt Klinkhammer kam mit ihren Versuchen, sich der Zahl anzunähern, im Jahr 2000 zu dem Ergebnis, dass „etwa ein Drittel der in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime in einem islamischen Verein organisiert sind.“26Die Islam-Expertin Ursula Spuler-Stegemann vermutet, dass „etwa die Hälfte aller türkischen Muslime allein von DITIB repräsentiert wird“27- dem Dachverband also, dem auch die Aska-Moschee angehört.28Ina Wunn hingegen schränkt ein: „Während die DITIB gern darauf hinweist, dass sie zur Zeit die Mehrheit der Moscheevereine vertritt, macht das von dem Bochumer Religionswissenschaftler Volkhard Krech erarbeitete Moscheeverzeichnis für
21Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Fachreihe 1, Reihe 2.2. Wiesbaden 2007.
22Einen Anhaltspunkt gibt die quantitative Studie von Boos-Nünning/Karakaşoğlu, in deren Stichprobe sich 95 % der Türkinnen zum Islam bekennen. Vgl. Boos-Nünning/Karakaşoğlu (2005), S. 381.
23Über die Gesamtzahl der Muslime in Deutschland gibt dieser Behelf freilich keine gesicherte Auskunft, da auch Migranten aus anderen Ländern muslimischen Glaubens sind und auch Deutsche ohne Migrationshintergrund gelegentlich zum Islam konvertieren.
24Als Gesamtzahl der Muslime in Deutschland nennt Öztürk „2,8 bis 3,2 Mio.“ und beruft sich „auf eine Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Jahre 2000“. Öztürk (2007), S. 20.
25Vgl. die Aufstellung der Schwierigkeiten bei Spuler-Stegemann, Ursula: Muslime in Deutschland. Informationen und Klärungen. Freiburg im Breisgau 2002. S. 98.
26Klinkhammer, Grit: Moderne Formen islamischer Lebensführung. Eine qualitativ-empirische Untersuchung zur Religiosität sunnitisch geprägter Türkinnen der zweiten Generation in Deutschland. Marburg 2000. S. 84.
27Ebd.
28Der Verband, mit vollem NamenDiyanetİşleriTürkİslamBirliği,auf deutschTürkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion,verbreitet den Islam offizieller türkischer Prägung und vereint nach eigenen Angaben “über 880 Ortsgemeinden”. (Aussage der Website unter http://ditib.de/default.php?id=5&lang=de, eingesehen am 02.09.2008.)
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Nordrhein-Westfalen deutlich, dass sich nur etwa dreißig Prozent der Moscheegemeinden der DITIB zurechnen.“29
Stadthagen ist die Kreisstadt des Landkreises Schaumburg in Niedersachsen, 50 km westlich von Hannover. Die Stadt hat rund 23 000 Einwohner, im Landkreis leben etwa 164 600 Menschen.
Der Ausländeranteil an der Bevölkerung im Landkreis Schaumburg beträgt etwa 5,3%.30Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund31ist mit 10 bis 20 % wesentlich höher. Zwischen 5 und 10 % der Schaumburger mit Deutschem Pass stammen aus einem Migrationshintergrund, was auf eine relativ hohe Einbürgerungsrate schließen lässt. (Im Vergleich dazu beträgt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund auf ganz Deutschland bezogen 18,6 % an der Gesamtbevölkerung. 8,9 % der Bevölkerung haben eine andere Nationalität, 9,7 % besitzen Migrationshintergrundunddie deutsche Staatsbürgerschaft.)32Im Juni 2008 lebten 2773 Menschen mit türkischem Pass im Landkreis Schaumburg.33Mit einem Anteil von 32 % der Ausländer und 1,7 % an der Gesamtbevölkerung Schaumburgs stellt diese Gruppe die mit Abstand größte nationale Minderheit dar.34