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Irmgard Weyrather

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Beschreibung

»Arische« Frauen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus als »höchstes Gut« des Volkes gefeiert: »Heilig soll uns sein jede Mutter deutschen Blutes.« Im nationalsozialistischen »Mutterkult« wurde der Mutterschaft der »deutschen« Frau ein quasi-religiöser Rang verliehen und damit das Leben der meisten Frauen ideologisch aufgewertet. Mutterschaft war keine private und persönliche Angelegenheit, sondern Staatsaufgabe und religiöse Handlung. Hierbei spielte das Mutterkreuz mit seinen drei Verleihungsstufen eine besondere Rolle. Millionenfach verliehen, war es die einzige und äußerst begehrte Auszeichnung, die der NS-Staat für seine verdienten Frauen übrig hatte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Irmgard Weyrather

Muttertag und Mutterkreuz

Der Kult um die »deutsche Mutter« im Nationalsozialismus

FISCHER E-Books

Inhalt

Die Zeit des Nationalsozialismus [...]Einleitung1. Historische Voraussetzungen des Kults um die »deutsche Mutter« NS-Frauenideologie, Eugenik und Antisemitismus2. Von der Blumenwerbung zur Bevölkerungspolitik Der »Deutsche Muttertag« in der Weimarer Republik und im Übergang zum Dritten Reich3. Der Muttertag als »Deutsche Feierstunde«MarienverehrungSehnsucht nach Rückkehr in den MutterleibMutter-Sohn-Beziehung4. Die Funktionalisierung des Muttertags für die Zwecke der Nationalsozialisten5. Das »Ehrenkreuz der Deutschen Mutter« »Auslese«-Verfahren und bürokratische Erfassung6. Abgelehnte Mutterkreuzanträge oder Wie die »deutsche Mutter« nicht sein durfte»Nicht deutschblütig«»Erbkrank« und dumm»Konstitutionelle Minderwertigkeit«Totgeborene zählen nicht»Asozial« und »arbeitsscheu«»… des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter nicht würdig«»Unwirtschaftlich«»Mutter raucht, Vater trinkt«Uneheliche Kinder und »unsittlicher Lebenswandel«Verurteilt wegen § 218»Derzeitige Wohnung: KZ«»Nicht förderungswürdig«»Streitsüchtig«, »schlampig«, »nörglerisch«7. Die Entziehung des Mutterkreuzes8. Reaktionen »kinderreicher« Mütter auf die ›Mutterkreuz-Auslese‹»Dies ist mein sehnlichster Wunsch« – Bittbriefe»Ich habe kein Interesse daran« – Verweigerung der Annahme9. Reaktionen der Bevölkerung auf die Mutterkreuzverleihung»Eine Auszeichnung hohen Grades« – Stimmungs- und Spitzelberichte»Vertrauensbeweise für den Führer«10. Das Mutterkreuz: »Staatssymbol« oder »Kaninchenorden«?11. Die »Mütterehrungsfeiern« am Muttertag 1939–1944Sprachverlust und Epigonentum in den ›Mutterkult‹-Feiertexten»… da du’s empfingst in heißer Lust«Die profanisierte UnsterblichkeitDie »Deutsche Mutter« als Ersatz für Gott und MuttergottesMuttertagsfeiern als Kultfeiern einer ›politischen Religion‹Kitsch und Tod im MutterkultVom ›Mutterkult‹ zum TodeskultMuttertagsfeiern als Ansporn zu Geburten-»Nachschub«Muttertagsfeiern im »totalen Krieg«12. »Du hast mich gelehrt, alles Schwache zu verachten« Zum psychischen Zusammenhang von Mutterverehrung und NS-HerrschaftSchlußQuellenverzeichnisUngedruckte QuellenGedruckte QuellenZeitschriften und Zeitungen vor 1945Ausgewählte LiteraturVor 1945Nach 1945

Die Zeit des Nationalsozialismus

Eine Buchreihe

Herausgegeben von Walter H. Pehle

Einleitung

Mütter wurden im Nationalsozialismus als »höchstes Gut« des Volkes gefeiert. »Heilig soll uns sein jede Mutter deutschen Blutes.« In diesem NS-Propagandasatz sind die wichtigsten Elemente des NS-»Mutterkults« angedeutet. Den »arischen« und »erbgesunden« Frauen, die – ob mit oder ohne Erwerbstätigkeit – in Mutterschaft und Mutterrolle ihre wichtigste Lebensaufgabe sahen, boten die Nationalsozialisten eine gesellschaftliche und politische Aufwertung. Sie wollten die Frauen nämlich nicht nur einfach auf die Mutterrolle festlegen, sondern sie feierten die Mutterschaft der »arischen« Frauen bis hin zur religiösen Überhöhung.

Sie erklärten die »deutschen« Mütter zur »heiligsten Kraft«, zur »Wahrheit des Lebens« und zur »Offenbarung des Göttlichen«. Die Mütterehrungsfeiern waren Teil der nationalsozialistischen Religionsimitation, die Mutterschaft, d.h. das Gebären von »arischen« und »erbgesunden« Kindern wurde als eine Art heilige oder göttliche Handlung verstanden. Die Muttertagsfeiern und Mutterkreuzverleihungen dienten nicht nur der Manipulation der Frauen, sondern sie waren Teil der Zelebration des Nationalsozialismus als politischer Religion.

Ein politisches System, das der Hauptlebensaufgabe der meisten Frauen, der Mutterschaft, einen quasi religiösen Rang gab – sofern sie »arische« Kinder geboren hatten, wertete das Leben der meisten Frauen ideologisch auf: Mutterschaft war keine private und persönliche Angelegenheit mehr, sondern Staatsaufgabe und religiöse Handlung zugleich. Sie war aus Nazi-Sicht – gleichwertig mit dem Kampf der Soldaten und selber Teil eines Kriegs: des »Geburtenkriegs« gegen die »Minderwertigen« und »Fremdrassigen«, die das »deutsche Volk« angeblich zu zerstören drohten.

Unabhängig von persönlicher moralischer Schuld und auch unabhängig davon, wie viele Frauen den Nationalsozialismus unterstützten bzw. den »Führer« bewunderten, zeigt die nationalsozialistische Verehrung der »deutschen Frau und Mutter«, daß Frauen keineswegs allein aufgrund ihres Geschlechts zu den vom Nationalsozialismus Bedrohten oder Diskriminierten zu rechnen waren.

In diesem Buch wird die Bedeutung von Rassenhygiene, Bevölkerungspolitik und Antisemitismus für den nationalsozialistischen »Mutterkult« gezeigt. Aufgezeichnet wird die Entwicklung des »Mutterkults« aus den Muttertagsfeiern in der Weimarer Republik, seine Verstärkung und Ausnutzung durch die NS-Ideologen nach 1933 und die Entwicklung zu einem quasi-religiösen und zentral gelenkten Kult um die »arische« Mutter zur Zeit des Kriegs. Ein besonderes Gewicht liegt dabei auf der Darstellung der breitangelegten »erbgesundheitlichen Auslese« der »kinderreichen Mütter« durch Staats- und Parteiapparat für die Auszeichnung durch das »Ehrenkreuz der Deutschen Mutter«. Es wird untersucht, wie die Mütter sein mußten, damit ihnen diese »Ehre« zuteil wurde, welche Mütter vom Mutterkreuz ausgeschlossen wurden und welchen es nachträglich wieder entzogen wurde.

Um die Wirkung des NS-»Mutterkults« auf die »arischen« Frauen herauszufinden, werden die Reaktionen der schon lange auf das Mutterkreuz wartenden, der abgelehnten wie der ausgezeichneten Mütter und ihrer Familien untersucht. Dem schillernden Charakter des Ehrenkreuzes zwischen einer einem Kriegsorden gleichkommenden nationalen Auszeichnung für geehrte Mütter und einem lächerlichen »Kaninchenorden« für »Preiskühe« wird anhand von Stimmungsberichten aus der Bevölkerung und überlieferten Flüsterwitzen nachgegangen. Schließlich wird nach der Bedeutung des »Mutterkults« für die Integration von Frauen und Männern in das NS-Herrschaftssystem und seine Kriegs- und Vernichtungspolitik gefragt.

1. Historische Voraussetzungen des Kults um die »deutsche Mutter«

NS-Frauenideologie, Eugenik und Antisemitismus

Der Nationalsozialismus hat mit seinen »Mütterehrungsfeiern« eine spezifische Form des »Mutterkults« hervorgebracht und in Ideologie und Praxis entfaltet. Im nationalsozialistischen »Mutterkult« wird den Frauen ein ausgezeichneter Platz in der NS-Weltanschauung und im NS-Staat eingeräumt. Die Feier der Mutterschaft bezog sich jedoch nicht nur – wie man annehmen könnte – auf den Aspekt des Frauenlebens, dem die Nationalsozialisten besondere Aufmerksamkeit widmeten, vielmehr hatte sie die Tendenz, die nationalsozialistische Frauenpolitik überhaupt auszumachen.

Das nationalsozialistische Frauenbild war im Grunde kein Frauen-, sondern ein Mutterbild: Ein weiblicher Mensch wurde fast nie als ›Frau‹ gesehen, sondern immer gleich als ›Mutter‹, denn nach den Vorstellungen der NS-Ideologen war die Frau ein naturbestimmtes Wesen.[1] Über die Mutterrolle der Frau heißt es in einem Programm der NSDAP: »Der Staat muß für die Hebung der Volksgesundheit durch den Schutz der Mutter und des Kindes sorgen.«[2] Der Schutz der Mutter ist unmißverständlich dem Ziel der Hebung der Volksgesundheit untergeordnet. Das Programmzitat ist ein Hinweis darauf, daß der »Mutterkult« der NS-Rassenpolitik untergeordnet war. Wenn Frauen in der NS-Ideologie ausgezeichnet wurden, dann unter der doppelten Reduktion auf die »deutsche Mutter«; denn eine Frau, die keine »Deutsche« im rassenideologischen Sinn war, wurde nicht als Mensch anerkannt, sondern diffamiert als »Untermensch« wie die Russinnen oder als »Unmensch« wie die Jüdinnen.

Die Frauenideologie der NSDAP ist als »keineswegs originell« bezeichnet worden. Ähnliche Auffassungen von Wesen und Bestimmung der Frau fänden sich bei den meisten konservativen Parteien und Gruppen. Die Übergänge von konservativen zu »faschistischen Vorstellungen« seien fließend.[3] Diese Vorstellung trifft jedoch nur zu, wenn man unter »der Frau« wie die Nationalsozialisten nur die »deutsche« Frau versteht. Aber auch dann gilt die These nur sehr eingeschränkt. Auch die »rassisch einwandfreien« Frauen bekamen ihre Bedeutung als Mutter innerhalb der NS-Ideologie nur als »Trägerin von Blut und Rasse«, also aufgrund rassistischer, nicht einfach konservativer Vorstellungen. Konservative Frauenbilder, z.B. das katholische Frauenbild, trennen die Frauen nicht grundsätzlich in die angeblich höherwertiger und minderwertiger Rassen, auch wenn in vielen konservativen Ideologien Rassismus nachweisbar ist.

Die NS-Mutterverehrung schützte nicht die Mütter, die zu den vom NS-Staat verfolgten Gruppen gehörten. 1938 wurde die erste Frau hingerichtet, Liselotte Herrmann, eine »deutsche Mutter«, die im Widerstand gegen den NS-Staat tätig gewesen war. Um sie im Gefängnis dazu zu bringen, weitere Widerstandskämpfer zu verraten, ließ die Gestapo im Nebenzimmer ihr Kind nach ihr rufen.[4] Später bedeutete für die in den KZs neu ankommenden Frauen die Tatsache, daß sie ein Kind dabei hatten, gleich das Todesurteil, besonders für die jüdischen Frauen. Damit wurde das Bild der Frau als »Schöpferin des Lebens« geradezu umgekehrt. In dem Bericht einer jüdischen Ärztin über ihre Erlebnisse in Auschwitz heißt es: »Jedes jüdische Kind brachte automatisch seiner Mutter den Tod.«[5]

Wie viele »deutsche Mütter« verhaftet wurden, weil ihre eigenen Kinder der Aufforderung der HJ, sie zu denunzieren, gefolgt waren, wissen wir nicht. »Deutschsein« im rassenpolitischen Sinn reichte nicht immer aus, um am Leben zu bleiben, denn eine echte »deutsche« Frau mußte auch dem NS-Staat zustimmen. Die Mutter-Kind-Beziehung als solche, unabhängig von rassistischen und politischen Vorgaben, wurde vom NS-Staat nicht nur mißachtet, sondern noch bewußt benutzt für zusätzliche Quälereien der Opfer oder als Informationsquelle für Denunziationen.

»Mutter und Kind – eher zerspränge die Welt als diese Einheit«, heißt es im NS-»Spruchgut« für Muttertagsfeiern in der Schule.[6] Die Nationalsozialisten haben diese Einheit millionenmal »zersprengt«. Der Ausdruck »Mutterkult« für diese Seite der NS-Ideologie ist selbst Teil der Ideologie, deshalb wird er hier in Anführungszeichen gesetzt. Trotzdem gilt: Die große Mehrheit der damals in Deutschland lebenden Mütter konnte den »Ehrentitel« »Deutsche Mutter« auf sich beziehen. Ausgeschlossen waren die Frauen, die zu den vom NS-Staat diskriminierten oder verfolgten Minderheiten gehörten.

Die nationalsozialistische Frauen- und Mutterideologie war unmittelbar mit der nationalsozialistischen Bevölkerungsideologie bzw. -politik verknüpft. »Bevölkerungspolitik« wiederum wurde von den Nationalsozialisten nicht als ein Politikfeld unter anderen verstanden, sondern war das Kernthema ihrer politischen Absichten und ihrer quasi religiösen Mission.

»Bevölkerungspolitik ist nicht ein begrenztes Teilgebiet der Politik, sondern der sinngebende Gipfel aller Politik überhaupt«, schrieb Fritz Lenz, einer der bekanntesten Rassenhygieniker des »Dritten Reichs«.[7] Bei der Bevölkerungspolitik oder – weniger neutral ausgedrückt – bei der Rassenpolitik ging es den Nationalsozialisten ›ums Ganze‹, hier waren alle Mittel gerechtfertigt, um ihre Ziele zu erreichen.

Bevölkerungspolitik wurde als Krieg aufgefaßt: »Es geht hier um einen wirklichen Krieg im Sinne eines Großkampfes der ganzen Gemeinschaft gegen die Gefahr des Niedergangs und der Volkszerstörung.« In diesem »Krieg des Lebens« durften »genau wie im Krieg der Waffen« »nur die ausgewählten Voll-Tauglichen an die Front«.[8] Diese Übertragung des Tauglichkeitsbegriffs aus dem Krieg auf den Zusammenhang von Gebären, Leben und Sterben in der Zivilbevölkerung entspricht der von den Nationalsozialisten formulierte Vergleich des 1939 eingeführten Mutterkreuzes mit einer militärischen Auszeichnung. Den »volltauglichen« Müttern wurden für ihre Leistungen an der »Geburtenfront« schließlich Kriegsauszeichnungen, nämlich Mutterkreuze, umgehängt, und die vermeintlichen »Gegner« in diesem Krieg, nämlich die Juden, erhielten einen Judenstern und wurden anschließend ermordet.

Bevölkerungspolitik, Eugenik, Rassenhygiene, Sterbehilfe und Antisemitismus gab es ebenso wie den Mutterkult schon vor 1933 und jeweils unabhängig von der »Weltanschauung« der NSDAP. Im Nationalsozialismus verschmolzen diese verschiedenen Strömungen zu einer scheinbar einheitlichen »Weltanschauung« und Politik und radikalisierten sich gegenseitig. Die Vorstellungen der deutschen Rassenhygieniker, deren Ziel die »genetische Verbesserung des (deutschen) Menschen« war, wurden unabhängig von und lange vor der NS-Bewegung entwickelt, von dieser aber eifrig aufgenommen.[9]

Rassenhygiene bzw. Eugenik als Wissenschaft ist nicht automatisch Antisemitismus und der Verklärung einer angeblichen »arischen Rasse« gleichzusetzen. Einige frühe Rassenhygieniker, z.B. Alfred Grotjahn und Wilhem Schallmeyer lehnten die »Arierideologie« ab.[10] Trotzdem wurde meist von »höherwertigen« und »minderwertigen« Rassen gesprochen. Außerdem waren die meisten Rassenhygieniker, Eugeniker und Bevölkerungswissenschaftler als »deutsche Akademiker« schon fast traditionell antisemitisch, ihr Antisemitismus kam sozusagen als private Überzeugung zu ihrer »wissenschaftlichen« Rassenhygiene hinzu und vermischte sich mit dieser entweder schon vor oder erst nach 1933 zu einer Ideologie, die den nationalsozialistischen Rassenwahn förderte oder mit ihm identisch wurde.

Eugenische und rassenhygienische Vorstellungen waren vor 1933 auch bei vielen Beteiligten der Frauenbewegung und der Linken vorhanden.[11] Menschen nach ihrem vermeintlichen »Erbwert« zu beurteilen, und das Leben von »Minderwertigen«, d.h. Kranken und Behinderten für einen Schaden am Volk zu halten, der besser verhindert worden wäre, war weit verbreitet. In den 20er Jahren existierte auch bei vielen, die gegen den Paragraphen 218 kämpften, die Vorstellung, daß, wenn soziales Elend schon nicht beseitigt werden könnte, doch wenigstens die Frauen, die in diesem Elend lebten, keine Kinder bekommen sollten, da ihre Kinder weniger oder gar nichts »wert« seien. Es ging bereits weniger um das Glück der Kinder als um ihren »Wert«.[12]

Die Vorstellungen der Rassenhygieniker beruhten im Prinzip auf folgenden (Fehl-)Annahmen: Darwins Theorie der »natürlichen Auslese«, daß nämlich der »Tüchtigere« sich durchsetze und dies zu einer Verbesserung der Menschheit und zum Zivilisationsfortschritt der Weißen gegenüber den »Negern« geführt habe, wurde zunächst für richtig, seit Beginn des Wohlfahrtswesens jedoch für ungültig erklärt. Durch den Schutz des Staates für die Armen, Kranken und Schwachen hätte sich die »natürliche Auslese« nicht mehr durchsetzen können, und es sei zum Gegenteil, zu einer »Gegenauslese« gekommen. Für die Annahme einer »Gegenauslese« war wiederum die Anprangerung des Geburtenrückgangs in Deutschland seit 1900 wesentlich sowie die dazugehörige Vorstellung, daß die Familien der gebildeten, d.h. »wertvollen« Schichten, also auch immer die, die sich mit einem Thema wie Rassenhygiene beschäftigten, besonders wenig Kinder bekamen und die Armen und Kranken, d.h. »Minderwertigen« zu viele.

Da die erblich »Minderwertigen« angeblich mehr Kinder hatten als die erblich »Wertvollen«, verschlechterte sich nach Ansicht der Rassenhygieniker das »deutsche Volk« bzw., die »arische Rasse« immer mehr. Diese »Gegenauslese«, manchmal auch »Kontraselektion« genannt, sollte durch eine »Gegen-Gegen-Auslese« durch staatliche Eingriffe bekämpft werden. Die »Wertvollen« sollten zu mehr Geburten angeregt, die »Minderwertigen« sterilisiert werden.[13] Letzteren sollte auch nur weniger oder gar keine staatliche Fürsorge zuteil werden, denn wenn sie aus Armut oder wegen ärztlicher Nichtversorgung starben, dann waren sie nach den Vorstellungen der Rassenhygieniker eben im »Überlebenskampf« der Starken gegen die Schwachen unterlegen gewesen.[14]

Die Rassenhygieniker verstanden den Menschen als Teil eines überindividuellen, empirisch nicht greifbaren ›Erbstroms‹. Der menschliche Körper war für sie nur die vorübergehende Hülle des überindividuellen »Erbplasmas«, das »eigentliche Wesen« des Menschen wurde zum »Anlagenbestande« verdinglicht. Das Volk – es wurde auch von »Volkskörper« gesprochen – wurde als Träger einer »Gesamterbmasse« verstanden.[15] Der Körper des einzelnen Menschen wurde dadurch gegenüber dem angenommenen »eigentlichen Wesen« bzw. dem »Volkskörper« entwertet. Der aus der »Erbmasse« zufällig bei einem angeblich »Erbkranken« in Erscheinung getretene »kranke Erbstrom« sollte dem »Volkskörper« zuliebe durch Sterilisation unterbrochen werden.

Diese Verdoppelung war in den »Mutterkult«-Veranstaltungen der Nationalsozialisten deutlich zu spüren, die geehrten Mütter wurden hier nicht nur als Frauen, die Kinder geboren hatten, angesprochen, sondern gleichzeitig als Trägerinnen des »Erbstroms« oder »Bluts« der »deutschen Rasse«. Die Verdoppelung des Menschen in ein physisches und in ein metaphysisches Wesen ist auf der Ebene der nationalsozialistischen Ideologie Ausdruck der säkularisierten Vorstellung von der Welt, die gleichzeitig von metaphysischen Vorstellungen nicht lassen konnte. Für die Rassenhygieniker und ebenso für die Nationalsozialisten war das Individuum nicht mehr Werk Gottes, aber auch noch nicht einfach Kind seiner Eltern, es war die Erscheinungsform von etwas Übernatürlichem, eben des »Erbstroms« oder des »Bluts«, wobei das »Blut« an die Stelle von Gott trat.

Die Konzepte der Rassenhygiene und der damit verbundenen »Rationalisierung der Fortpflanzung«, also der Lenkung der Fortpflanzung nach erbbiologischen Kriterien, waren mit unausgesprochener Sexualität aufgeladen und gleichzeitig auch eine Art Religionsersatz. Gerade durch die Entstehung des darwinistischen Weltbildes waren die Paradies- und Ewigkeitsvorstellungen der christlichen Religion verlorengegangen. Der Mensch war nicht mehr Schöpfung Gottes, sondern nur noch das höchst entwickelte Tier. Die verlorengegangenen Paradiesvorstellungen wurden durch die Vorstellungen von einem »biologischen« Zukunftsstaat, in dem es nur noch »erbgesunde« Menschen und deshalb kein Leid mehr geben würde, ersetzt. Das mit der Eugenik verbundene Postulat von der »Rationalisierung der Fortpflanzung« bedeutete auch die Emanzipation des Geistes von der Sinnlichkeit und die völlige Beherrschung von Sexualität, Zeugen und Gebären durch den Verstand, also die Überwindung der Natur und der Sterblichkeit des Menschen. Nicht die konkrete Sinnlichkeit und die wirklichen lebendigen Kinder sollten Bedeutung haben, sondern der »ewige Blutstrom« und das ewige Weiterbestehen der »Rasse« bzw. des »Volkskörpers«.[16]

Der »Erbstrom«, das »Blut«, die vermeintlichen »arischen«, »deutschen« Erbanlagen bildeten auch den angebeteten Kern des Nationalsozialismus, wenn man ihn als »politische Religion« (Voegelin) versteht.[17] Die Mütter bekamen in dieser »Weltanschauung« eine herausragende Stellung, da sie dieses wertvolle »Blut« jeweils an die nächste Generation gaben. Wo das »Blut« an die Stelle von Gott trat, konnten auch die »deutschen Mütter«, die dieses »Blut« weitergaben, an Gottes Stelle treten. »Heilig soll uns sein jede Mutter deutschen Blutes«, heißt es in einem NS-»Mutterkult«-Text. Dieser Spruch und viele andere ähnliche waren nicht (nur) Propagandaformeln, die die »deutschen« Frauen zum Gebären anspornen sollten, sondern pseudoreligiöse Formeln, Ausdruck des Nationalsozialismus als politischer Religion.

Antisemitismus und Rassenhygiene bzw. Eugenik wurden in ihrer Kombination im Nationalsozialismus so gefährlich, weil den Juden als angeblich fremder, aber unter der »deutschen« lebenden »Rasse« die Hauptschuld an der »Entartung« des »deutschen Volks« gegeben wurde. Der NS-Bevölkerungspolitiker Paul Danzer, der mehrere Bücher schrieb, die die »deutschen Familien« zu mehr Geburten anreizen sollten, und der eines dieser Bücher »Geburtenkrieg« nannte, forderte eine »wohldurchdachte Lenkung« dieses »Krieges«, »denn die innere Kraft für die biologische Selbstbehauptung eines Volkes, der gesunde menschliche Instinkt der Arterhaltung hat durch Zivilisation und jüdische Zersetzung Schaden gelitten«. Paul Danzer, der diese Worte im Vorwort der Neuauflage seines Buchs »Geburtenkrieg« 1943 schrieb, wußte als NS-Bevölkerungspolitiker, was mit dem Krieg gegen Volkszersetzung gemeint war. Man weiß auch, was damals »zu Ende denken« bedeutete, wenn vom »Rassegedanken« die Rede war: »Die mit Auslese, Aufartung und Ausmerze verbundene Volkserhaltung kann nur von denen verstanden werden, die die ganze Größe und Weite des nationalsozialistischen Rassegedankens zu Ende denken«, schrieb Danzer 1943.[18]

Der Zusammenhang zwischen rassenhygienischer Praxis und der Ermordung der Juden wird durch die historische Abfolge der Verbrechen und den Einsatz derselben Täter deutlich. Das gegen die Juden gerichtete »Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« und das gegen »Erbkranke« gerichtete »Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes«, beide vom September 1935, sollten ursprünglich als ein einziges »Gesetz gegen die volksschädliche Ehe« erlassen werden. Die Täter der Euthanasie-Morde der Aktion T 4 boten sich Himmler als Vergasungsexperten für die Morde an den Juden an. Das gesamte Stammpersonal der Mörder von Belzec, Sobibor und Treblinka rekrutierte sich aus dem früheren Personal der Aktion T 4.[19] Gedanklich wie praktisch hingen eugenische »Weltverbesserung« durch »Ausmerze« und »Auslese« und die Verfolgung und Ermordung der Juden im Nationalsozialismus zusammen.

In der Vorstellungswelt Hitlers waren die Juden eine die »Deutschen« bedrohende Rasse, die »ausgerottet« werden mußte, bevor das »deutsche Volk« bzw. die »arische Rasse« durch die »Gegen-Auslese« so »degeneriert« war, daß es sich nicht mehr gegen die Juden würde wehren können. Nach der Ideologie und Praxis des NS-Staats waren der Kult um die einen und die Ermordung der anderen Mütter und ihrer Kinder Teile derselben zusammenhängenden Logik, eben der NS-Rassenideologie und -politik, der »Verbesserung« und »Arisierung« des deutschen Volks. Der Kult um die »deutsche Mutter« und die Ermordung der europäischen Juden dienten für Hitler demselben Ziel: der Weltherrschaft des »aufgearteten« »deutschen Volks«.

Der NS-Staat ergriff viele politische Maßnahmen, um die deutsche Bevölkerung zu »arisieren«, ihr »Erbgut aufzuarten« und die als »arisch« und »erbgesund« Akzeptierten zu vermehren. Auf die Seite der »geburtenfördernden« Maßnahmen gehören neben rein »ideellen« Anreizen wie dem Mutterkreuz die Ehestandsdarlehen für junge »deutsche« und »erbgesunde« Familien[20], die Einführung der »Kinderbeihilfen« (Kindergeld) ab dem dritten Kind und Steuererleichterungen für Familien, die Lebensborn-Heime für uneheliche, vom Nationalsozialismus überzeugte, »rassereine« Mütter, die starke Einschränkung von Verhütungsmitteln und die Todesstrafe für aktive Abtreibung sowie die ständige Werbung an »deutsche«, »erbgesunde« Männer und Frauen, Familien zu gründen und viele Kinder zu bekommen.

Zu den »geburtenverhindernden« Maßnahmen gehörten die hunderttausend Zwangssterilisationen und die Zwangsabtreibungen an als »erbkrank« angesehenen »Deutschen« und an Jüdinnen und Zigeunerinnen, die Morde an angeblich »erbkranken« psychisch Kranken, die »Nürnberger Rassegesetze« und schließlich auch die millionenfachen Morde an den europäischen Juden. In diesem Zusammenhang hat auch der »Mutterkult« bzw. das Mutterkreuz als Maßnahme innerhalb der »Aufartung des deutschen Volks« seinen Platz.

Die Aussagen, die der NS-»Mutterkult« über das »Wesen« der »deutschen« Frauen enthält, haben mehr mit den Wünschen und Gefühlen der nationalsozialistischen Männer und Frauen zu tun als mit der damaligen Realität. Der Kult sprach Frauen nur als Mütter an, weil nach der NS-Ideologie die »deutschen« Frauen eben nur Mütter zu sein brauchten, weiter nichts. Wenn Frauen außerhalb der Familie bzw. des Bauernhofs auftauchten, so war dies aus NS-Sicht schon fast eine Folge der »Entartung« des deutschen Volks, eine ›Fehlentwicklung‹, die wieder rückgängig gemacht werden mußte. In einer »Führerrede« von 1936 heißt es: »Es gibt zwei Welten im Leben eines Volkes: die Welt der Frauen und die Welt des Mannes. Die Welt der Frau ist, wenn sie glücklich ist, die Familie, ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim.«[21] Zu diesem Glück wollten die Nationalsozialisten der (»deutschen«) Frau »im weitesten Ausmaß die Möglichkeit verschaffen … weil sie dann unserem Volk am allermeisten nützt«.[22]

In bezug auf die Berufstätigkeit der Frauen und ihr Eindringen in die »Welt des Mannes« entsprach die Praxis nicht bzw. nur in sehr widersprüchlicher Weise der Ideologie.[23] Das Frauen- bzw. Mutterbild des NS-Kults blieb von der Wirklichkeit der Frauenarbeit weitgehend unberührt. In den Kult-Texten kommt Arbeit von Frauen nur als direkte Arbeit für die Familie vor oder als Ersatzarbeit für den in den Krieg gezogenen Mann. Im letzteren Fall ist die Frau dann allerdings meist Bäuerin und geht statt ihres Ehemanns aufs Feld, übt also eine Arbeit aus, die sich gut mit dem NS-Frauenbild, dessen Ideal die »deutsche« Bäuerin mit zehn Kindern war, vereinbaren ließ.

Erst gegen Ende des Krieges wird in den Reden der »Mütterehrungsfeiern« auch der »arbeitenden Frau« bzw. der »Frau im Rüstungseinsatz« gedankt, die natürlich auch dann noch nebenbei viele Kinder bekommen sollte. In den Kult-Texten selbst, in den Liedern und Gedichten der Muttertagsfeiern, kommt Frauenarbeit weiterhin nur als Familienarbeit bzw. als Bäuerinnenarbeit vor.

»Die natürliche Vollfrau, die ihren Mann liebt, wünscht im Innersten ihres Seins als Ausdruck ihrer Liebe die Empfängnis«, heißt es in einem einschlägigen NS-›Mutterbuch‹.[24] Der NS-»Mutterkult« war nicht ein Aspekt der NS-Frauenideologie unter anderen, sondern ihr Zentrum, er entsprach der bestimmenden Vorstellung, die die Nazis von (»deutschen«) Frauen hatten. Im NS-Kult wurden (»deutsche«) Frauen nur als Mütter angesprochen, eine andere Realität gab es nicht bzw. wurde ausgeblendet. Eine Frau, die keine Kinder hatte oder wollte, galt nicht als richtige Frau, deshalb brauchte sie im Kult nicht berücksichtigt zu werden.

2. Von der Blumenwerbung zur Bevölkerungspolitik

Der »Deutsche Muttertag« in der Weimarer Republik und im Übergang zum Dritten Reich

Bei der Installierung ihres »Mutterkults« konnten die Nationalsozialisten einen Feiertag benutzen, der schon vorhanden, aber weder von der Kirche noch von den politischen Gegnern besetzt war: den »deutschen Muttertag«. Die kurze Vorgeschichte des »deutschen Muttertags« bot ihnen die Chance, die Inhalte der NS-Mutterideologie als alte deutsche Tradition darstellen zu können. Gleich nach der »Machtübernahme« konnten sie mit ihrer Propaganda für den Muttertag suggerieren, daß sie den vermeintlichen alten deutschen Festen erst wieder den »richtigen« Sinn geben würden, später konnten sie die Gefühle, die in der Bevölkerung mit dem Muttertag verbunden waren, für die Mutterkreuzverleihungen nutzen, die ab 1939 bei den Muttertagsfeiern stattfanden.

Der »deutsche Muttertag« war erst in den 20er Jahren vor allem von konservativen »Söhnen« aus einer Mischung von Geschäftsinteresse und Gefühlsduselei heraus propagiert und verbreitet worden. Die Nationalsozialisten störte bei der Betonung der alten »deutschen Tradition« des Muttertags nicht, daß dieser zuerst in Amerika und von einer Amerikanerin, Ann Jarvis, propagiert worden war. Jarvis forderte die Einführung eines »Mother’s day« erstmals 1907. Die Idee des Muttertags machte von da an eine steile Karriere. Schon 1914 wurde er mit der »Mother’s day bill« vom amerikanischen Kongreß zum Staatsfeiertag erklärt.

In Deutschland wurde der Muttertag ab 1923 auf die Initiative des »Verbandes Deutscher Blumengeschäftsinhaber« hin propagiert und praktiziert, allerdings nicht als Staatsfeiertag. Der Verband hatte 1922 beschlossen, dem Beispiel Amerikas zu folgen und den Muttertag auch in Deutschland einzuführen. Rudolf Knauer, der Geschäftsführer des Verbandes, startete 1923 die erste Werbekampagne für den Muttertag.[25] Zur Strategie des »Verbandes der Blumengeschäftsinhaber« gehörte es, die Muttertags-Idee möglichst von »irgendeiner gemeinnützigen Gesellschaft« als »neutraler Stelle« verbreiten zu lassen, denn der Verband wußte: »Ein zu starkes Hervortreten der Blumengeschäftsinhaber in Deutschland wäre einer baldigen Einführung nicht zum Vorteil.«[26] Das Ziel war erreicht, als der überregionale »Vorbereitende Ausschuß für den Deutschen Muttertag« 1925 durch Knauer in die »Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung« integriert wurde.[27]

Der »Vorbereitende Ausschuß für den Muttertag« verbreitete ab 1925 jedes Jahr die »10 Gebote für den Muttertag«. In diesen Geboten wurden konkrete Angaben gemacht, wie die Mutter – lebend oder tot – von den Kindern zu ehren sei, z.B. »Nimm der Mutter am Sonntag alle Arbeit ab« oder »Gehe zum Friedhof, wenn dort deine Mutter liegt.« Das zweite Gebot lautete: »Stelle früh leuchtende Blumen auf den Tisch«, das vierte Gebot bezog sich auf die gestorbene Mutter und enthielt die Anweisung: »…schmücke das Grab mit den Blüten des Frühlings.«[28] Das Interesse der Blumengeschäfte wurde auf diese Weise geschickt vertreten.

Neben der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung warb auch der Verband der Blumengeschäftsinhaber weiterhin für den Muttertag. Die Verbandszeitschrift spornte die Mitglieder an, sich gegen die verschiedensten Wirtschaftsgruppen, die alle am Muttertagsgeschäft teilhaben wollten, zu behaupten. Es gab Konkurrenz aus der Süßwaren-, Parfümerie-, Weißwaren-, Konfektions- und Porzellanbranche.[29] Die Blumengeschäfte wurden aufgefordert, frühzeitig mit der Werbung zu beginnen, denn nur so könnte »im Volke die Meinung festwurzeln, daß Muttertag und Blumengabe ein einheitlicher Begriff seien«.[30]

Trotz des Bemühens der Initiatoren, »neutral« zu erscheinen, wurde der Muttertag den Geruch der Geschäftemacherei nicht los. Es wurde immer wieder gegen den Muttertag eingewandt, daß er vor allem dem Absatz von Geschenkartikeln und Blumen diene und besonders Frauen aus ärmeren Familien gar nichts von ihm hätten. Soziale Kritik am Muttertag drückte folgendes Gedicht aus dem »Vorwärts« aus:

Muttertag

In den Schaufenstern prangen Schilder,

prangen Girlanden und rührende Bilder:

Gedenkt der Mutter am Muttertag,

schenkt ihr mehr, als sie haben mag,

schenkt ihr Blumen, schenkt ihr Konfekt,

seidene Strümpfe, Klubsessel, Sekt!

Wer seiner Mutter in Liebe gedenkt,

der schenkt.

Vor den Schaufenstern stehen die Frauen

der Arbeitslosen und überschauen

die Herrlichkeiten. Seltsamer Brauch!

Mütter – Mütter sind wir ja auch.

Wir haben Kinder und haben kein Brot,

uns drücken Sorgen und Wohnungsnot.

Von der Ehre wird, wer kein Essen hat,

nicht satt.

Muttertag? Soll der uns retten?

Uns fehlen die Windeln, uns fehlen die Betten.

Wenn wir Mütter werden und hilflos sind.

Da feiert man weder Mutter noch Kind,

da läßt man uns ohne Sorge in Ruh,

da hält man Augen und Taschen zu.

Für Schwangerenschutz hat die Bürgerwelt

kein Geld.

Nur einmal im Jahr ehrt man uns gebührend,

nur einmal im Jahr findet man rührend,

und traurig, daß man uns sonst vergißt –

weil das so ’ne schöne Reklame ist.

Die Menschen sind herrlich um uns bemüht,

wenn ihnen daraus ein Geschäft erblüht,

daß man einen Tag nach den Müttern tauft

und kauft und kauft und kauft …[31]

Sozialdemokraten und Kommunisten galten als Gegner der Muttertagsfeiern, dies war nicht verwunderlich, denn in den Augen der selbsternannten Volkserzieher, z.B. der »Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung«, waren ja gerade sie mit den »zersetzenden Mächten« gemeint, gegen die mit Hilfe des Muttertags gekämpft werden sollte. In den »Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung«, die den Muttertag propagierte, stellte der Geschäftsführer Hans Harmsen zum Muttertag 1931 im Rückblick auf das vorangegangene Jahr fest: »Die Kritik hielt sich in Grenzen. Die kommunistischen Zeitungen arbeiten mit den bekannten Schlagworten: ›Haß nähren gegen Bürgertum und das kapitalistische System‹, ›§ 218 abschaffen‹ u.ä.«[32]

Die Arbeiterbewegung war gegenüber dem Muttertag jedoch nicht völlig immun. 1930 berichtete Harmsen in seiner Broschüre »Wie feiern wir den Muttertag?«, daß der Muttertag auch »in den Kreisen der Arbeiterschaft« »immer stärker Boden« gewinne. Die Arbeiterwohlfahrt hätte in den letzten Jahren an einigen Orten Muttertagsfeiern durchgeführt. Er sah hierin »ein Zeichen für die einigende Kraft des Muttertagsgedankens über die Parteischranken hinweg«.[33]

Die 1919 gegründete Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung, deren Ziel es war, »deutsche Würde« und »gute Sitte« zur Geltung zu bringen, betätigte sich »volkserzieherisch im Sinne geistiger Erneuerung und körperlicher Ertüchtigung unter besonderer Berücksichtigung bevölkerungspolitischer Bestrebungen«.[34] Zu den von ihr propagierten Themen gehörten auch Rassenhygiene und Eugenik, der Kampf gegen Prostitution und gegen »Schmutz und Schund« in Presse und Film. Ihr gehörten Vertreter von vielen staatlichen Behörden, der Kirchen (1932 auch noch der jüdischen Gemeinde) und von freien (nur konservativen) Wohlfahrtsverbänden an, u.a. auch der »Reichsbund der Kinderreichen« …[35] Die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung, die zunächst nur ins Spiel gekommen war, um die durchsichtigen Absichten der Blumengeschäfte zu tarnen, entwickelte eigene ideologische Interessen am Muttertag. Öffentliche Mütterehrung und Bevölkerungs- bzw. eugenische Politik wurden durch diese Organisation bereits in der Weimarer Republik zumindest ideologisch verknüpft.

Die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung wollte mit dem Muttertag für die »heilige« Mutterschaft und gegen die Liberalisierung der Sexualmoral, gegen die sexuelle Aufklärung und die weitverbreiteten, verbotenen Abtreibungen kämpfen. Vor allem die Sowjetunion galt ihr als das Land, in dem jede Sexualmoral zerstört und jedes Familienleben zerfallen war. Hans Konrad schrieb 1927 in einer von der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung herausgegebenen »Denkschrift« zum »Deutschen Muttertag«: »Vor allem arbeiten zwei Kräfte heute am Zerfall der Familie, die in ihrer ethisch und rechtlich festgefügten Form der einzige gesunde Boden der Mutterschaft ist. Die eine entsittlichende – von Westen aus Amerika kommend – ist die Folge der zunehmenden Rationalisierung. Die andere – vom Osten ausgehend – ist der schrankenlose Individualismus mit seiner Zerschlagung der Familie und der Auflösung jeder Sexualmoral, wie wir es heute in dem Kampfe Sowjetrußlands gegen die bisherige Wirtschaftsordnung erleben. Wenn wir aus der Statistik heute erfahren, daß die Zahl der Abtreibungen in vielen großen Städten Deutschlands an Zahl die Geburten übertrifft, so mag uns bewußt werden, daß unser Volk vor seiner inneren Selbstauslöschung steht.« Es gelte, »den zerstörenden Mächten und dem auflösenden Zeitgeist einen bewußten Willen entgegenzusetzen. Hier kann der Deutsche Muttertag ein geeigneter Ansatzpunkt sein, um dem Gedanken der Familie und der Mutterschaft in breitesten Kreisen unseres Volkes wieder Geltung zu verschaffen«.[36] Der Muttertag wird politisiert, er wird zum Symbol nationaler sittlicher Behauptung gegen Ost und West stilisiert, und er wird zum Vehikel für antiemanzipatorische Forderungen. Er sollte dem Erhalt der Familie dienen, die selbst wiederum für ein ›Bollwerk‹ gegen Industrialisierung, Rationalisierung und Individualisierung gehalten wurde.

Konsequent propagierten die Muttertagswerber die traditionelle Frauenrolle und hielten die Berufstätigkeit von Müttern für ein Übel. Die Frauen sollten »des Amtes als Mutter der Kinder im Hause walten und schalten«, heißt es in der erwähnten Denkschrift der Arbeitsgemeinschaft zum Muttertag von 1927. Es sei ein »Schaden«, daß viele Mütter ihre Kinder allein ließen, um »draußen in der Wirtschaft Geld zu verdienen«.[37] Der wahre Frauenberuf, dessen Sinn in der Muttertagsfeier »tief erfaßt« werden sollte, sei es, »an der Seite des Mannes Priesterin an seinem Herde und Mutter seiner Kinderschar zu sein«.[38] Formulierungen wie »Priesterin an seinem Herde« zeigen, daß dem Muttertag von seinen Initiatoren auch schon in den 20er Jahren pseudoreligiöse Inhalte gegeben wurden.

Es fehlte auch nicht an dem naheliegenden Versuch, das Geschäft mit einem ›Vatertag‹ zu wiederholen. Die Initiatoren des Vatertags wurden jedoch von den Anhängern des Muttertags heftig bekämpft, weil man durch den von ihnen beabsichtigten »humoristischen Geschmack« des Vatertags, den »Muttertagsgedanken« »profanisiert« und »diskreditiert« sah. Der Vatertag war nämlich 1931 vom »Reichsverband Deutscher Herrenausstattungs-Geschäfte« unter dem Motto »Schenkt Krawatten« initiiert worden.[39] Diese plumpe Werbung war allerdings verräterisch, sie barg die Gefahr, die so umsichtig eingestimmte Bevölkerung auf die Idee zu bringen, daß das Motto »Schenkt Blumen zum Muttertag« sowie das Engagement des Verbandes der deutschen Blumengeschäftsinhaber für den Muttertag doch nicht so uneigennützig war. Dem Vatertag fehlte eine Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung, die verglichen mit dem Verband der Blumengeschäftsinhaber eine »neutrale« Organisation war und sich immer wieder glaubwürdig gegen den Vorwurf verwahren konnte, der Muttertag diene Geschäftsinteressen. 1930 hieß es in ihren »Mitteilungen«: »Wir bitten unsere Mitglieder herzlich, denjenigen gegenüber, die mit dem Argument der wirtschaftlichen Ausnutzung gegen den Muttertag arbeiten, aufklärend entgegenzutreten.«[40]

Mit dem Muttertag Geschäfte zu machen, wurde aber gleichzeitig als selbstverständlich angesehen. Rudolf Knauer, der Geschäftsführer des Verbandes der Blumengeschäftsinhaber, schrieb 1932 in den »Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung«: »Die einen sagten, daß sich gewerbliche Kreise des Muttertags bemächtigen wollten, um ihn zur Geschäftsbelebung auszunützen. Das geschieht ganz natürlich mit jedem Festtag.«[41]

Es wurde immer wieder dazu aufgefordert, der Mutter Blumen zu schenken: »An Blumen als Zeichen der Liebe und der Verehrung der Mutter soll nicht gespart werden«, schreibt Hans Konrad 1927 in der Denkschrift zum Muttertag.[42] Die mit der Propagierung des Muttertags verbundenen Geschäftsinteressen sollten also einerseits nicht auffallen, andererseits als selbstverständlich gelten. Die Huldigung der Mutter als »Priesterin am Herde« des Mannes sollte gleichzeitig das Geschäft beleben – ein bißchen geschmacklos mag diese Kombination auf manche Kritiker schon damals gewirkt haben.

Neben der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung war auch der »Reichsbund der Kinderreichen« an der Verbreitung der Muttertagsfeiern beteiligt. Zu seinem Programm gehörte u.a. der Kampf gegen Abtreibung und Geburtenkontrolle. Der Reichsbund der Kinderreichen wollte vor allem Mütter mit vielen Kindern ehren. Es ging wohl auf seine Initiative zurück, wenn in verschiedenen Städten schon in den 20er Jahren Mütter mit vielen Kindern in öffentlichen Muttertagsfeiern besondere Ehrengaben erhielten: in Münster Tasse und Kuchenteller, in Braunschweig eine Brosche und eine »Ehrengabe« und in Kiel ein Sparbuch mit 20 Mark. In Preußen konnten deutsche Mütter mit 12 und mehr Kindern ab 1927 einen Antrag auf Ehrung stellen. »Bei gutem Leumund und guter Erziehung« bekamen sie eine Tasse der Porzellanmanufaktur oder 100 Mark.[43] Diese öffentlichen Geschenkprämien für eine hohe Kinderzahl waren bereits Vorformen der späteren Mutterkreuzverleihungen, sie hatten allerdings noch nicht den Charakter einer quasi militärischen Auszeichnung. Mit Ausnahme von Preußen, wo die Mütter erst einen Antrag stellen und ihren guten Leumund und ihre Erziehungsleistungen begutachten lassen mußten, wurden die Mütter für diese Auszeichnungen auch noch nicht auf ihre »Würdigkeit« hin überprüft.

Die Muttertagsbewegung der Weimarer Zeit war auch eine Gegenreaktion auf die Bewegung gegen den § 218 und die »Neue Frau«. Die »Neue Frau« wurde von der Linken und von den »modernen« Frauenzeitschriften als Idealbild der emanzipierten Frau stilisiert und war dem konservativen Frauenbild, das immer ein Mutterbild war, geradezu entgegengesetzt. Die »Neue Frau« war eine Folge der Mobilisierung der Frauen im Ersten Weltkrieg, die sie dazu gezwungen und in die Lage versetzt hatte, berufstätig zu sein und ohne Mann einen Haushalt zu führen. Zu dieser Selbständigkeit, die die Frauen während des Krieges erlebt hatten, kam das Wahlrecht und die politische Gleichheit für Frauen, die ihnen die Weimarer Verfassung zugestanden hatte. Diese Selbständigkeit ermöglichte das Bild der »Neuen Frau«, das von den Linken als positives Frauenbild und von den Rechten als Schreckgespenst beschrieben wurde. Eine »Neue Frau« war »nicht nur die Intellektuelle, die sich wie Marlene Dietrich anzog und einen Männerhaarschnitt trug, oder die junge Angestellte, die eher wie ein Teenager aussah. Auch die junge verheiratete Fabrikarbeiterin gehörte dazu, die nur einmal am Tag eine warme Mahlzeit bereitete, die den praktischen Bubikopf trug und mit allen Mitteln versuchte, ihre Familie klein zu halten.«[44] Hans Harmsen, der Hauptinitiator der Muttertagsbewegung, war erklärter Gegner dieser besonders von Alexandra Kollontai vorgelebten und literarisch und politisch beschriebenen »Neuen Frau«. Sie war eine der Identifikationsfiguren der »emanzipierten« Frauen der Weimarer Republik.

Die Aggressionen Harmsens gegen die »Neue Frau« richteten sich nicht nur gegen deren freiere Sexualmoral, sondern vor allem gegen den Versuch, die Familie klein zu halten. Harmsen, selbst Vater von über 10 Kindern, war, wie alle Muttertagsförderer, selbstverständlicher Gegner einer Abschaffung des § 218. Gerade in den Jahren 1929–1932, in denen die Bewegung gegen den § 218 ihren Höhepunkt erlebte,[45] intensivierte sich die Muttertagspropaganda. Wer den Muttertag propagierte, war wie selbstverständlich gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper bzw. darüber, ob sie eine begonnene Schwangerschaft austragen wollten oder nicht. Denn zu dem von der Muttertagsbewegung geförderten Frauenbild gehörte es unabdingbar, daß eine Frau jede Schwangerschaft als Glück begrüßte oder sie wenigstens als Opfer auf sich nahm.

Das konservative Mutterbild, das von der Muttertagsbewegung der Weimarer Zeit propagiert wurde, war damals keineswegs das allein dominierende. Die Weimarer Republik zeichnete sich gerade durch ein neues Frauenbild aus, das die bisherige Definition der Frau als Mutter zu überwinden begann. Die Muttertagsbewegung wollte demgegenüber wieder zum Frauenbild der Kaiserzeit zurück und endete schließlich im rassistischen, nationalsozialistischen Frauenbild, das nach 1923 mit staatlicher Macht gegen das Ideal der »Neuen Frau« durchgesetzt wurde.

Karin Hausen hat bei ihrer Darstellung der Geschichte des Muttertags in der Weimarer Republik die Mutterehrung als Versuch beschrieben, einen »Kult des Mutter-Bildes« zu verankern.[46] Den Muttertags-Regisseuren sei es nicht um eine Verbesserung der sozialen Lage der wirklichen Mütter, sondern nur um »Verständnis für die Mutter als Idee«, die Mutter »als Verkörperung ideal gesetzter Eigenschaften und Verhaltensweisen« gegangen. Die Mutter sei sakral stilisiert und gerade hierdurch sei dann auch die Aufopferung der Mutter für die Familie legitimiert worden. Die erwachsenen Kinder, die das Mutter-Opfer als Fürsorge beanspruchten, sollten sich durch den Muttertag von der Dankesschuld entlasten, damit sie weiterhin das Opfer der Mutter annehmen konnten.[47] Nach Karin Hausen inszenieren die Kinder und v.a. die erwachsenen Söhne ein Fest, bei dem die Mutter nur Objekt der Handlung ist und passiv die Ehrungen der Kinder und der sich in Kinderrollen zurückversetzenden erwachsenen Söhne (die Töchter sind ja meistens selber wieder Mütter) entgegennehmen muß. Mutter-Ehrung in dieser Form sei Mutter-Kult, mit dem die Männer die Verunsicherung in ihrer Männlichkeit durch die Erlebnisse im Ersten Weltkrieg und durch die zunehmende Emanzipation der Frauen zu bewältigen versuchten. Der Muttertag habe die Sehnsucht angesprochen, wieder in der »bedingungslosen Mutterliebe« aufgehoben zu sein, verbunden mit dem Wunsch, dem schwierigen Erwachsenen-Dasein zu entfliehen.[48]

Die Analyse der gesellschaftlichen Funktion der Muttertagsfeiern kann nicht erklären, warum nicht nur die konservativen Männer, sondern auch zahlreiche Mütter die Ehrungen am Muttertag begrüßten. Am Muttertag war nicht nur vom »Opfer«, sondern genauso von »Ehre« die Rede. Die angesprochenen Mütter, die das »Opfer« der Schwangerschaft auf sich genommen hatten, wurden geehrt und erhöht. Sicher hatte auch ein Teil der Frauen ein Bedürfnis nach dieser Art Ehrung. Darüber hinaus besteht die Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind nicht nur im »Opfer«, d.h. in Versorgungsarbeit, sondern enthält auch Lust- und Machtgefühle. Selbst in der öffentlichen Forderung nach dem totalen Opfer der Mutter kann die Sehnsucht nach der frühen Mutter-Kind-Symbiose stecken, in der das Kind noch vollkommen von der Mutter abhängig ist und deshalb ihr »Opfer«, d.h. Versorgung ohne Gegenleistung, fordert. Möglicherweise erinnerten sich ältere Frauen am Muttertag auch an die schöne Zeit der Mutter-Kind-Symbiose nach der Geburt. Für die subjektive Wahrnehmung war der Muttertag nicht nur Zelebrierung der Mutter als »Opfer«, sondern ebenso Erhöhung und Aufwertung tatsächlicher eigener Erfahrungen, des biographischen Erlebnisses und der Erinnerungen der Mutterschaft.

Blickt man vom Kult um die »Deutsche Mutter«, der im Nationalsozialismus betrieben wurde, zurück auf den Muttertag der 20er Jahre, so verliert dieser noch mehr von seiner Unschuld als »familiärer Feiertag des Dankes und der Liebe«, die ihm Klaus Vondung noch für die Zeit der Weimarer Republik attestierte.[49] Den Muttertagsgedichten und Feierprogrammen ist es noch nicht anzusehen, aber auch schon in der Weimarer Republik war für die Hauptinitiatoren des Muttertags – vielleicht abgesehen von den nur am Geschäft Interessierten – dieses Engagement Teil ihrer bevölkerungspolitischen Propagandaarbeit. Der »Deutsche Muttertag« hieß nicht nur »Deutsch«, um von seinem amerikanischen Ursprung abzulenken. Den Propagandisten des Muttertags ging es auch in der Weimarer Zeit nicht um die Mutter, sondern um die »deutsche« Mutter. Es wäre deshalb korrekter, schon in bezug auf die Zeit der Weimarer Republik nicht von »Mutterkult«, sondern vom Kult um die »deutsche Mutter« zu sprechen. »Deutsch« war zwar noch nicht im nationalsozialistischen, d.h. rassistischen Sinn gemeint, den Förderern des Muttertags ging es jedoch bereits nicht bloß um die Ermunterung der Bevölkerung, mehr Kinder zu bekommen, sondern um die Förderung von im eugenischen Sinne einwandfreiem Nachwuchs.

Die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung hatte bereits die »bevölkerungspolitischen Bestrebungen« in ihre Satzung aufgenommen.[50] Am deutlichsten wird der Zusammenhang zwischen Muttertagsfeiern und Bevölkerungspolitik an den Aktivitäten von Hans Harmsen, dem Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung und Mitglied des Centralausschusses der Inneren Mission. In der »Arbeitsgemeinschaft« war er einer der aktivsten Muttertagspropagandisten; er brachte mehrere Broschüren mit Anleitungen und Erfahrungsberichten zu Muttertagsfeiern heraus.[51] In den letzten Jahren wurde sein Name genannt im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der »Verstrickung« der evangelischen Kirche in die Sterilisationsverfahren gegen »Minderwertige« und die Unterstützung der »Euthanasie«.[52] Bezeichnenderweise war Hans Harmsen auf beiden Gebieten aktiv. 1925 sah er im Muttertag »eine überaus günstige Möglichkeit (…), unserer Arbeit sonst nicht zugängigen Kreisen die bevölkerungspolitischen Fragen näherzubringen …«[53]

Harmsen verstand unter Bevölkerungspolitik keineswegs nur die Bemühungen, die Deutschen zur erhöhten Kinderproduktion anzuregen, sondern, wie die anderen Bevölkerungspolitiker seiner Zeit, die »Gesamtheit des Volkes von schädlichen Erbmassen zu befreien«.[54] Ihn beunruhigte nicht der Geburtenrückgang insgesamt, sondern nur der in den »erbbiologisch hochstehenden, sozial leistungsfähigen Schichten«.[55] Die Kinderzahl in diesen Schichten sollte u.a. auch deshalb groß sein (mindestens drei Kinder bis zum 5. Lebensjahr), um den Kinderreichtum der »untüchtigen, minderwertigen Bevölkerungsgruppen« auszugleichen.[56] Entsprechend dem Denken der anderen Bevölkerungspolitiker seiner Zeit, forderte er eine »differenzierte Fürsorge«, d.h. Einsparungen bei der »Anomalen-, Kranken-, Siechen- und Altersfürsorge«, beim Anstaltsbau und bei der Wiedereingliederung von »Körperbehinderten und Halbwertigen« in die Gesellschaft.[57] Die »evangelische Fachkonferenz für Eugenik«, die auf Initiative Harmsens ins Leben gerufen wurde und deren Leiter er war, sprach sich bei ihrer ersten Sitzung im Mai 1931 in Treysa für eine »differenzierte Fürsorge« aus, die sich an Harmsens Konzept anlehnte[58]: »Erhebliche Aufwendungen sollten nur für solche Gruppen Fürsorgebedürftiger gemacht werden, die voraussichtlich ihre volle Leistungsfähigkeit wiedererlangen. Für alle übrigen sind dagegen die wohlfahrtspflegerischen Leistungen auf menschenwürdige Versorgung und Bewahrung zu begrenzen.«[59]

Klee urteilt über Harmsen, daß Vertreter der Inneren Mission wie dieser von den Nationalsozialisten gar nicht erst gleichgeschaltet werden mußten. Sie wären es – was ihr rassenideologisches Gedankengebäude angeht – bereits vorher gewesen.[60] Ernst Klee zitiert Harmsen aus dem stenographischen Protokoll der Konferenz von Treysa zum Thema »Euthanasie«: Es sei fraglich, ob »wir mit einem ungeheuren Kostenaufwand die Lebenswahrscheinlichkeit der in unseren Anstalten befindlichen Pfleglinge über das Maß der freien Außenwelt zu kultivieren haben«. Und weiter: »Würde nicht schon dadurch die Frage gelöst sein, daß wir für diese ganzen Gruppen auf ärztliche Hilfe verzichten?« Und schließlich: »Die Sterblichkeit in unseren Anstalten ist wesentlich günstiger als draußen.«[61]

Harmsen sprach sich als Mitarbeiter der Inneren Mission, als Geschäftsführer des »Gesamtverbandes der evangelischen Krankenanstalten« und als Leiter der »evangelischen Fachkonferenz für Eugenik« für die Sterilisierung von Anstaltsinsassen aus.[62] Er arbeitete bereits 1932 zusammen mit später noch sehr aktiv werdenden Rassenhygienikern wie Baur, Bluhm, Burgdörfer und von Verschuer an dem Entwurf für ein rassenhygienisches Sterilisationsgesetz für Preußen.[63] Im Unterschied zum nach 1933 folgenden Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) – an dem Harmsen auch mitwirkte – wurde 1932 noch von Freiwilligkeit und Einwilligung des Sterilisanden gesprochen.[64] Da jedoch in der Begründung zu dieser Gesetzesvorlage von der »Dauerausschaltung« der »Minderwertigen« die Rede war, deren Last das deutsche Volk nicht mehr tragen könne, wäre es wohl doch nicht ganz der freien Entscheidung der Betroffenen überlassen gewesen, ob sie sterilisiert worden wären.[65]

Konsequent begrüßten die bekannten Bevölkerungspolitiker und Rassenhygieniker die »Machtergreifung«. Harmsen erwartete von der neuen Regierung, »daß entsprechend den bisher von der Partei vertretenen Forderungen nun schnell auch praktische Maßnahmen folgen werden«. Er erwartete mit Blick auf Hitlers »Mein Kampf« und Staemmlers »Rassenpflege im völkischen Staat« eine neue »deutsche Bevölkerungspolitik«. So schrieb er: »Voran stehen rassenpflegerische Forderungen, die nicht nur auf eine Beseitigung fremdvölkischer Schmarotzer, sondern bewußt auf eine Scheidung der Rassen hinauslaufen.«[66] Die Erwartungen von Harmsen sollten in Erfüllung gehen.

Die Mutterehrung in der Zeit der Weimarer Republik, die als Ehrung der Leistung aller Mütter erschien, zeichnete nach der Intention der Muttertagswerber bereits in den 20er Jahren die »deutsche« Mutter aus, die im eugenischen Sinn »gesund« war. Die Kriterien »gesund« und »deutsch« implizierten die Benachteiligung der diesem Gesundheitsideal nicht entsprechenden und der nicht-»deutschen« Mütter. Die »Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung« baute ideologische Brücken in den Nationalsozialismus hinüber. Sowohl in bezug auf die Muttertagsfeiern wie in bezug auf die ersten »bevölkerungspolitischen« Maßnahmen konnte das NS-Regime problemlos an diese Vorarbeiten anschließen. In diesem speziellen Sinn war die Behauptung der Nazi-Propaganda gedacht, eine deutsche Tradition fortzusetzen. Die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung begrüßte den nationalsozialistischen Staat, in dem sie ihre Arbeit kontinuierlich weiterführen konnte.

In ihren »Mitteilungen« vom 15. März 1933, die sich mit dem nächsten Muttertag befaßten, ging sie noch nicht auf die neue Regierung ein. Ihr Hauptproblem war in diesem Jahr ebenso wie im vorigen, ob der vom »Reichsverband Deutscher Herrenausstattungsgeschäfte« propagierte Vatertag dem Muttertag schaden könnte.[67] Über die veränderten politischen Verhältnisse brauchte sich die »Arbeitsgemeinschaft« in bezug auf den Muttertag offensichtlich keine Sorgen zu machen.

Um so mehr kümmerten sich die Nationalsozialisten um den Muttertag. Dieser wurde sofort nach der Machtübernahme von ihnen zu ihrer Sache gemacht. Bereits zum Muttertag im Mai 1933 hieß es im Völkischen Beobachter: »Die nationale Revolution hat alles Kleinliche hinweggefegt! Ideen führen wieder (…). Die Idee des Muttertags ist dazu angetan, das zu ehren, was die deutsche Idee versinnbildlicht: die deutsche Mutter! (…) Mit diesem Begriff ›Mutter‹ ist ›Deutschsein‹ ewig verbunden – kann uns etwas enger zusammenführen als der Gedanke gemeinsamer Mutterehrung?«[68] Die Nationalsozialisten nahmen die verbreitete Kritik am Muttertag auf – ohne jedoch den Blumengeschäften zu schaden. In der Wochenbeilage »Die deutsche Frau« im Völkischen Beobachter, die im Mai 1933 ganz dem Muttertag gewidmet war, kritisierte Magda Goebbels, daß »diese an sich so schöne Sitte von kapitalistischer Geschäftstüchtigkeit ausgenutzt« worden sei und »in die Gefahr (geriet), ihren eigentlichen Zweck und Sinn zu verlieren«.[69] Der Muttertag sei ein »Tag der äußerlichen Gaben und Geschenke« geworden, »statt eines Tages der innerlichen Verehrung und Dankbarkeit«. Der »unbemittelte kleine Mann« habe sich diese Feier entweder versagen oder sie »nach seinem Sinn« umgestalten müssen. Diesen umgestalteten Muttertag, d.h. einen Muttertag ohne Geschenke und mit viel »Kindesliebe«, empfiehlt sie allen »deutsch empfindenden Menschen« als Vorbild. Die Blumengeschäfte konnten trotzdem mit diesem Aufruf zufrieden sein, denn er endete mit den Worten: »So ist der deutsche Muttertag gemeint, und so sollen wir ihn erleben. Wenn das Herz diesen Tag erfaßt hat, dann wird auch das kleine äußerliche Zeichen, die kleine Gabe, geheiligt sein.«

Die Geschenke wurden also nicht abgeschafft, sondern noch »geheiligt«. Die Nationalsozialisten nahmen die Kritik am Muttertag auf, nicht um ihn abzuschaffen, sondern um den »echten, wahren, deutschen« Muttertag daraus zu machen. An anderer Stelle derselben Ausgabe des Völkischen Beobachters wurden auch wieder die Blumensträuße verteidigt: »Wollen wir wehren, daß das deutsche Kind ein Sträußchen Blumen der Mutter bringt? Blumen sind das Symbol der Liebe und des Dankes, solange das deutsche Gemüt lebt! Nicht Geschäftemacherei ist der Grundgedanke des Muttertags – nein! Erhaltung der gemütlichen, in Blumen am sinnigsten zum Ausdruck kommenden Ehrung der Mutterliebe – das ist der Gedanke des Muttertags.«[70]

Bereits ein Jahr später, im Mai 1934, war der Muttertag zu einem Bestandteil des später verbindlich festgelegten »nationalsozialistischen Feierjahres«[71] geworden. Die »Feiern im nationalsozialistischen Jahreslauf«[72] oder das »nationalsozialistische Feierjahr« bestanden aus nationalen Feiertagen und aus Parteifeiern. Sie waren unterschiedlich akzentuiert, bildeten jedoch zusammen eine Einheit, denn sie sollten u.a. Macht und Einheit von Partei und Staat demonstrieren. Es entstand für die Feiern ziemlich rasch eine »kanonische Feierordnung«, die deutlich machte, daß das »nationalsozialistische Feierjahr« in Konkurrenz zum Feierjahr der Kirchen stand. Mehrere nationalsozialistische Feiertage, wie der »Tag der Machtergreifung« am 30. Januar, der »Geburtstag des Führers« am 20. April oder der »Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung« am 9. November, entstammten ausschließlich der Ideologie der kurzen Geschichte der NSDAP. Für einige andere Feiertage, wie eben den Muttertag oder die Sommer- bzw. Wintersonnenwende, wurde auf vermeintliche deutsche Feiertradition zurückgegriffen. Eine Ausnahme bildete der 1. Mai, der zum »Tag der nationalen Arbeit« und später zum »Nationalen Tag des Deutschen Volkes« wurde, sowie das Weihnachtsfest. Bei beiden mußte der ursprüngliche Sinn verdrängt oder umgedeutet werden. Beim »internationalen Kampftag der Arbeiterklasse« wurde dies mit sehr viel Propagandaaufwand betrieben, beim Weihnachtsfest, das zur »Deutschen Kriegsweihnacht« werden sollte, hatten die NS-Feierideologen wahrscheinlich wenig Erfolg, da der christliche Inhalt des Weihnachtsfests zu tief im Bewußtsein der Bevölkerung verankert war. Die anderen christlichen Feiertage blieben weitgehend unbeachtet, erst 1944 wurde versucht, aus Ostern »Deutsche Ostern« zu machen und es auf ein altes germanisches Frühlingsfest zurückzuführen. Pfingsten sollte ein Fest des »Hohen Maien« werden.[73] Die Mühe, die die NS-Ideologen mit der Veränderung christlicher Feste hatten, zeigte sich auch an nicht öffentlich geäußerten, nach 1940 einsetzenden Überlegungen, den Muttertag an Pfingsten zu feiern, um damit diesem Fest eine nationalsozialistische Prägung zu geben.[74]