My Story. Streng geheim. - Brigitte Melzer - E-Book

My Story. Streng geheim. E-Book

Brigitte Melzer

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Beschreibung

Mitten aus dem Leben und ganz nah dran

Gothic Girl Charlie macht mit allen Mitteln den Streber Finn zum Gespött der Schule. Als sie sich in ihn verliebt, sieht sie statt dunkelschwarz endlich wieder rosarot.

Blöder Umzug! Grässliche neue Schule! Aus Protest gegen ihre Eltern investiert Charlie ihr ganzes Geld in schwarze Klamotten und färbt sich die Haare grün. Doch damit macht sie sich erst recht zur Außenseiterin. Und es kommt noch schlimmer. Lukas, Schulstar und größter Angeber aller Zeiten, erpresst sie: Charlie soll seinen Konkurrenten Finn vor allen lächerlich machen. Doch das ist schwieriger, als es zunächst klingt, denn „Streber“ Finn ist unheimlich nett …

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Seitenzahl: 264

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Inhaltsverzeichnis
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
12
Kapitel 13
Kapitel 14
 
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Copyright
1
Mein Leben war im Eimer.
Seit Dad mitten in den Sommerferien nach Hause gekommen war und uns von seinem neuen Job erzählt hatte, musste ich zusehen, wie jeden Tag alles ein Stückchen mehr den Bach runterging.
An jenem harmlosen Abend war mir das allerdings noch nicht klar gewesen. Mein kleiner Bruder Marius und Sophie, meine ältere Schwester, waren von der Nachricht genauso erstaunt wie ich. Wir hatten nicht einmal gewusst, dass Dad die Firma wechseln wollte. Nachdem er allerdings so begeistert von seinem neuen Job in der Zentrale eines großen Versicherungskonzerns war, freuten wir uns natürlich mit ihm. Zumindest bis die Worte »Umzug« und »München« fielen. Warum ich nicht gleich darauf gekommen bin, dass es in unserer Kleinstadt gar keine Zentrale für irgendwas gibt, weiß ich bis heute nicht.
Nachdem die Neuigkeiten auf dem Tisch waren, ging alles ganz schnell. Von einem Tag auf den anderen standen plötzlich überall Umzugskartons herum. Schränke wurden ausgeräumt, Geschirr und Gläser in Papier gewickelt und schon bald war in unserem Häuschen jede Gemütlichkeit dahin. Sogar in der Gartenlaube stapelte sich Zeug, das darauf wartete, verpackt zu werden.
Die große Abschiedsparty, die unsere Eltern so vollmundig angepriesen hatten, fiel reichlich mau aus. Die meisten unserer Freunde waren mit ihren Eltern in den Ferien, sodass nur wenige kamen. Statt zu feiern, saßen wir mit langen Gesichtern in den Ecken und versicherten uns gegenseitig, den Kontakt aufrechtzuerhalten.
Am Abend vor dem Umzug fassten Sophie, Marius und ich einen Plan: Wenn unsere Eltern erst sahen, wie schlecht es uns in München ging, würden wir bald wieder nach Einbeck zurückgehen. Immerhin schienen sie sich auch nicht wirklich von dort verabschieden zu wollen. Warum sonst sollten sie unser kleines Häuschen noch nicht verkauft haben?
Der Umzug war die Pest. Es war noch nicht mal richtig hell, als die Umzugswagen vor dem Haus auftauchten. Mit vereinten Kräften waren sie bis zum Mittag beladen und wir konnten uns auf die 550 Kilometer lange Fahrt machen. Als wäre das nicht nervig genug, fand das ganze Umzugsgedöns einen Tag vor meinem vierzehnten Geburtstag statt!
Eine Party mit meinen Freunden war nicht drin, denn wir mussten ja einen Tag vorher umziehen, und die gewohnte Familienfete fiel genauso ins Wasser wie meine alljährliche Geburtstagstorte. Klar, dass an meinem Geburtstag jeder mit Möbelaufbauen und Kistenausräumen beschäftigt war. Natürlich hatte auch niemand Zeit gehabt, ein Geschenk zu besorgen. Außer einer kurzen Gratulation und dem Versprechen, sobald alles an Ort und Stelle stand, nachzufeiern, gab es keine Anzeichen, dass tatsächlich mein Geburtstag war. Abgesehen von dem Geld, das Dad mir mit den Worten »Kauf’ dir was Schönes!« in die Hand drückte. Viel mehr Geld als üblich – ein deutliches Zeichen seines schlechten Gewissens. Recht so!
Mein alter MP3-Player hatte schon vor einer Weile den Geist aufgegeben, und ich lag meinen Eltern seit Monaten damit in den Ohren, dass ich unbedingt einen iPod brauchte. Das Geld hätte mir meinen Wunsch auf einen Schlag erfüllt. Dann jedoch kam mir ein anderer Gedanke: Vielleicht wäre es ja anderweitig besser angelegt? Statt mir also meinen lang gehegten Wunsch zu erfüllen, investierte ich die Kohle in Stufe eins unseres »Zurück nach Hause«-Plans: Protest.
Da ich ohnehin nicht vorhatte, meine Kisten auszuräumen, fuhr ich in die Innenstadt, um ein bisschen herumzubummeln und zu überlegen, wie ich die Sache angehen könnte. Die ultimative Idee überfiel mich schließlich, als ich an einem finsteren Friseurladen in der Nähe des Hauptbahnhofs vorbeispazierte. Die staubigen Schaufenster waren mit schwarzem Tüll verhängt, dazwischen hingen künstliche Spinnennetze und Gummispinnen – genau das Richtige für mich. Nicht die Spinnen, aber der Laden.
Die Haarschnippler drin waren alle wie Goths angezogen, ziemlich abgedrehte schwarze Klamotten, dunkle Schminke und total schräge Frisuren. Klar, dass die mich in meiner Jeans und meiner hübschen Bluse angeglotzt haben, als wäre ich eine Außerirdische. Ein bisschen kam ich mir auch so vor – allerdings wie eine auf dem Seziertisch. Aber wenn Mom und Dad begreifen sollten, wie schlecht der Umzug für ihre lieben Kleinen war, mussten wir eben auch bereit sein, Opfer zu bringen. Mein erstes Opfer waren (abgesehen davon, dass ich auf den iPod verzichtete) meine langen braunen Haare, die ich so viele Jahre liebevoll gehegt und gepflegt hatte.
Was sein muss, muss eben sein!
Als Erstes ließ ich mir die Haare auf Schulterlänge stutzen. Nachdem ich das überstanden hatte, ohne heulend vom Stuhl zu fallen, kam die Farbe dran. Knallschwarz mit dunkelgrünen Strähnen, bei deren Anblick Mom daheim beinahe hintenüber gekippt wäre! Was soll ich sagen? Im Großstadtdschungel werden Teenager nun mal leicht instabil.
Natürlich blieb die Veränderung nicht bei den Haaren. Ganz oder gar nicht, das war schon immer meine Devise. Also fragte ich einen der Goth-Friseure gleich noch, wo er seine Klamotten her hatte. Der Typ – ich glaube jedenfalls, dass es ein Typ war – empfahl mir einen Secondhandshop ganz in der Nähe. Da ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was man in der Szene so trägt, suchte ich mir einfach einen Haufen Klamotten zusammen, von dem ich hoffte, dass er gruftig genug aussehen würde. Immerhin bekam ich für mein Geld eine Menge Kram, das meiste davon schwarz, mit vielen Nieten, Ketten und Totenköpfen – es sollte ja kein Klischee unerfüllt bleiben. Zum Schluss musste noch die Drogerie an der Ecke für die entsprechende Schminke herhalten.
Eigentlich wollte ich es ja noch auf die Spitze treiben und mir ein Nasenpiercing verpassen lassen. Allerdings bestand der Typ im Piercing-Studio auf die Einverständniserklärung meiner Eltern. Hallo?! Sehe ich aus (also mal von der neuen Frisur abgesehen), als würden meine Eltern zustimmen, wenn ich mir das Gesicht durchlöchern lassen will?
Ich wollte mein Glück noch bei einem anderen Studio versuchen. Bis ich allerdings endlich eins fand, waren da schon die Schotten dicht. Am nächsten Tag war mein Wunsch, mir Metallteile in mein Gesicht bohren zu lassen, auch schon wieder verflogen. So gesehen haben Ladenschlusszeiten durchaus etwas für sich.
Allerdings hatte ich auch so schon genug getan. Das Gezeter meiner Eltern war groß, als sie meinen neuen Gothic-Look bewundern durften. Mir selbst gefielen das viele Schwarz, die toupierten Haare und der Totenkopfkrempel gar nicht so schlecht. Nicht dass ich darin hübsch aussah oder das Zeug meinem Geschmack entsprach, doch hatte ich zur Abwechslung mal was Wildes und Verruchtes an mir. Richtig übel war die schwarze Schminke – nun ja, wenn es der Sache diente, war ich bereit, das durchzuziehen.
»Das trägt man hier«, erklärte ich meinen Eltern, als sie die Hände über dem Kopf zusammenschlugen und mich mit ungläubig aufgerissenen Augen anstarrten. »Die laufen hier alle so rum.« Gut, streng genommen hatte ich – von den Gestalten im Friseurladen einmal abgesehen – bisher niemanden gesehen, der mit mir, dem Teufel in Schwarz, Ähnlichkeit gehabt hätte. Aber das mussten Mom und Dad ja nicht wissen. Alles, was zählte, war der Schockeffekt. Wenn sie begriffen, wie schlecht sich diese Umgebung auf meine Entwicklung auswirkte, konnten wir bald wieder Kisten packen.
In gespielter Gleichgültigkeit schnappte ich mir das Telefon und verzog mich damit in mein Zimmer, um meine beste Freundin Jenny anzurufen. Obwohl wir nur drei Haustüren voneinander entfernt gewohnt hatten, telefonierten wir ständig. Jetzt jedoch fehlte es mir zum ersten Mal, nicht einfach hinübergehen und bei ihr klingeln zu können.
Ich wählte Jennys Nummer und lauschte dem Klingelzeichen. Plötzlich wurde ich nervös. Wie würde es sich anfühlen, mit ihr zu sprechen, jetzt wo wir nicht mehr beinahe Tür an Tür wohnten? Ob sie sich weiter entfernt anhören würde?
Nach dem dritten Klingeln knackte es in der Leitung. »Hallo?«, meldete sich Jenny.
»Mensch, bin ich froh, dich zu hören!«
»Wer ist denn da?«
»Jenny!«, rief ich, ehrlich entsetzt darüber, dass sie meine Stimme nicht sofort erkannte. »Ich bin’s!«
»Ach, Charlie.«
Klang das, als hätte sie jemand anderen erwartet? »Natürlich! Wer denn sonst!«
»Klar.« Eine kurze Pause, dann: »Und, wie geht’s dir in deinem neuen Zuhause?«
»Ich hasse es.«
»Ach komm schon! Du bist doch erst seit ein paar Tagen dort.«
»Zwei, um genau zu sein. Das sind schon ein paar zu viel.«
»So schlimm?«
Ich nickte, und als mir einfiel, dass sie das nicht sehen konnte, sagte ich rasch: »Ja.«
»Dir entgeht hier echt was!« Sofort plapperte sie drauflos, was sich in meiner Clique so alles tat. Eigentlich hatte ich gedacht, ich wäre noch nicht lange genug weg, um viel verpasst zu haben. Doch ich hatte mich offensichtlich geirrt. Mike, der das ganze letzte Jahr hinter mir her gewesen und mir zugegebenermaßen auch nicht gleichgültig war, flirtete plötzlich mit Sandra. Hallo?! Hatte der Typ noch nie etwas von einer angemessenen Trauerzeit gehört? Wie konnte er mich so schnell vergessen?
Mir blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn Jenny überrollte mich förmlich mit Neuigkeiten. Wer mit wem, wer konnte sich nicht mehr ausstehen und wo bahnte sich was an. Außerdem plante Jenny eine Party zum Schulbeginn, und Torben tüftelte schon am alljährlichen Herbstfest, das wegen des großen Lagerfeuers immer der Hit war.
Nach einer Weile begann Jenny zu kichern. »Das Beste hast du übrigens verpasst«, gluckste sie.
Besser als die Tatsache, dass sich mein Freund – na ja, mein Fast-Freund -, kaum dass ich aus der Stadt war, der Nächstbesten an den Hals warf? »Was denn?«, fragte ich deshalb wenig interessiert.
»Timo hat mich gefragt, ob ich mit ihm zum Tanzkurs gehe!«, platzte es aus Jenny heraus. Sie war schon seit Monaten verrückt nach Timo, hatte sich aber nie getraut, ihm das zu sagen – und Timo war nun auch kein Kommunikationswunder. So waren die beiden umeinander herumgeschlichen, ohne dass einer gewagt hätte, den Anfang zu machen. »In zwei Wochen geht es los! Ist das nicht genial?« Sie plapperte weiter, erzählte in grausamen Einzelheiten, was Timo mit welchem Blick, welcher Körperhaltung und in welcher Tonlage gesagt hatte. Alles Dinge, die mich noch vor ein paar Tagen brennend interessiert hätten. Jetzt jedoch hätte ich Jenny am liebsten angeschnauzt, sie solle endlich die Klappe halten. Nicht dass mich ihr Glück nicht interessiert hätte. Natürlich tat es das! Sie war immerhin meine beste Freundin. Aber es tat weh. Ich wollte von ihr hören, wie sehr sie mich vermisste und dass sie es kaum aushielt, ohne unsere gemeinsamen Unternehmungen. Ich wollte hören, wie die Clique trauernd im Park hockte und über meinen Weggang lamentierte. Stattdessen erzählte sie mir, wie viel Spaß alle hatten!
»Weißt du was«, fiel ich ihr ins Wort, als ich es nicht länger aushielt, »das erzählst du mir am besten haarklein, wenn ich wieder da bin.«
»Du kommst zurück!?!«
»Worauf du wetten kannst!«
Einen Augenblick herrschte Schweigen, vielleicht eine hundertstel Sekunde, dann setzte am anderen Ende der Leitung lautes Jubelgeschrei ein, das mich knapp am Hörsturz vorbeischrammen ließ. Nachdem Jenny sich endlich wieder eingekriegt hatte, japste sie: »Wie …? Was …? Wann …?«
Nun war es an mir, in allen Einzelheiten zu berichten, was sich Sophie, Marius und ich ausgedacht hatten. Als ich von meinem drastischen Umstyling erzählte, brach Jenny in schallendes Gelächter aus. »Das würde ich zu gerne sehen!«
Ich ignorierte ihre Worte und redete immer weiter. Von meinen Eltern, die das Haus noch nicht verkauft hatten, meinen Geschwistern, die es hier ebenso hassten, wie ich, und davon, dass hier alles einfach nur laut, groß und unübersichtlich war. Was mir gestern auf meinem Weg durch die Innenstadt keineswegs entgangen war.
»Jedenfalls haben wir nicht vor, uns hier einzuleben«, kam ich endlich zum Schluss.
Am anderen Ende der Leitung herrschte ein langes Schweigen, dann kam ein gedehntes »Wow« aus dem Hörer.
»Ist das alles, was dir dazu einfällt?«
Statt mir Vorschläge zu machen, was wir noch tun könnten, fragte sie: »Kannst du mir ein Foto von deinem neuen Outfit mailen?«
»Nein!« Es genügte schon, wenn ich mich hier vor meiner Familie zum Horst machte. Ganz sicher sollten meine Freunde mich nicht in diesem Zustand sehen!
»Weißt du, Charlie«, kam es zögernd vom anderen Ende der Leitung, »ich fände es wirklich schön, wenn du wieder hier wärst, aber du solltest dir vielleicht lieber nicht zu viel Hoffnung machen.«
»Wie bitte?!« War das dieselbe Freundin, mit der zusammen ich meine Zukunft geplant hatte? Die, mit der ich einmal in eine Wohngemeinschaft ziehen und zusammen studieren wollte? Ausgerechnet sie fiel mir jetzt in den Rücken!
»Versteh mich nicht falsch«, druckste sie rum. »Aber ich glaube nicht, dass deine Eltern all den Aufwand betreiben, um gleich wieder zurückzukommen.«
»Das werden sie wohl müssen, wenn es ihren Kindern schlecht geht!«, blaffte ich.
»Und was ist mit dem Haus in München?« Jenny ließ einfach nicht locker. »Ist das nur gemietet?«
Das Haus war gekauft. Aber das hatte doch nichts zu sagen. Bestimmt konnte man so ein Haus genauso umtauschen wie einen Pulli, der beim Waschen fusselte.
Ich konnte es einfach nicht glauben! Jenny versuchte ja förmlich, mich von Einbeck fernzuhalten. Das wollte ich mir nicht länger anhören. »Ich muss jetzt Schluss machen«, behauptete ich. »Du kannst dich ja melden, falls du doch noch Lust bekommst, mir zu helfen.«
»Charlie, ich will doch nur nicht -«
Was sie nicht wollte, hörte ich nicht mehr. Ich legte auf und warf das Telefon aufs Bett. Jenny würde schon sehen, dass ich auch ohne ihre Unterstützung zurechtkam!
Ich war schon sehr gespannt, was sich Marius und Sophie einfallen lassen würden. Nachdem die Sommerferien in Bayern später begannen und folglich auch länger dauerten als bei uns zu Hause, blieb uns noch einiges an Zeit, um kräftig weitere Pläne zu schmieden.
Leider hatte ich nicht mit der Bestechlichkeit meiner Mitstreiter gerechnet. Der Erste, der abtrünnig wurde, war Marius. Mit seinen zwölf Jahren war er ohnehin eine Nervensäge, dass er allerdings so schnell umkippte, nur weil Dad ihm ein schickes neues Skateboard kaufte, war der Gipfel! Unnötig zu erwähnen, dass es ganz zufällig in der Nähe unseres neuen Hauses ein paar gute Möglichkeiten zum Skaten gibt.
Blieben noch Sophie und ich. Was haben wir uns alles überlegt! Jammern würden wir, dass sich die Balken bogen. Außerdem wollten wir nur schlechte Noten schreiben, keine Freunde finden und ständig krank sein – bis unsere Eltern aufgaben!
Zum Schulbeginn fing ich gleich mal an, mich im Kranksein zu üben. Einen Tag vor dem Ende der Ferien überfielen mich geheimnisvolle Magenkrämpfe, die es mir leider unmöglich machten, in die Schule zu gehen. Sophie wollte mittags heimkommen und ebenfalls über Übelkeit, Kopfschmerzen und einen grauenvollen ersten Schultag klagen. Gemeinsam würden wir dann mindestens eine Woche krankfeiern und – sobald wir ein oder zwei Tage in der Schule waren – sofort einen Rückfall bekommen.
Ich lag in meinem Zimmer auf dem Bett, blätterte lustlos durch meine Palette an Teenie-Zeitschriften und überlegte, welche Poster ich raustrennen sollte, um sie später zu Hause an die Wände zu hängen, als unten Sophie mit lautem Geschrei zur Tür hereinpolterte. Das war ja noch besser, als ich’s mir vorgestellt hatte! Die war regelrecht hysterisch!
Ich ließ alles fallen und stürmte aus dem Zimmer, um auch ja nichts von Sophies Auftritt zu verpassen. Bei dem Gebrüll musste der Weltklasse werden! Ich war noch nicht ganz unten, als ich von der Treppe aus sah, wie Sophie Mom kreischend um den Hals fiel. Wenn sie jetzt noch ein paar Tränen rausquetschen konnte, wäre sie brillant!
Ich sah ihren Rücken unter ihrer langen blonden Mähne beben.
Übertreib es nicht! Wer würde ihr schon glauben, wenn sie gleich einen Totalzusammenbruch erlitt?
»Mom!«, keuchte sie außer Puste. »Mom! Das glaubst du nicht!«
Das klang so gar nicht depressiv. Misstrauisch kam ich näher.
»Was ist denn los?«, rief Mom in einer Mischung aus Grinsen und Erstaunen. »Ist etwas passiert?«
Ja! Natürlich ist etwas passiert! Die Schule ist der schrecklichste Ort, an dem ich je war! Alle hassen mich! Komm schon, Sophie! Sag es endlich!
Und Sophie schrie: »Ich kann auf Schüleraustausch! Nach England!«
»Was?!«, riefen Mom und ich gleichzeitig.
Wie sich herausstellte, gingen einige der Schüler für drei Monate ins Ausland, um dort in einer Gastfamilie zu leben und am Unterricht teilzunehmen. Eine der Schülerinnen hatte, obwohl bereits alles organisiert war, kurzfristig abgesagt. Da sonst niemand wollte, hatte die Lehrerin einfach Sophie gefragt.
Meine Schwester war begeistert – genau wie meine Eltern.
Die nächsten vier Tage ging alles drunter und drüber. Flüge buchen, Infos einholen, Koffer packen. Das ganze Haus stand kopf. Nur ich nicht. Ich hätte Sophie am liebsten erwürgt!
Die erste Schulwoche war noch nicht einmal vorbei, da saß sie bereits in einem Flieger nach London und ich stand mit unserem Plan allein da.
Zur Not musste es eben auch ohne Hilfe gehen. Auch wenn nur eine Tochter nach Einbeck zurückwollte, würden meine Eltern nachgeben. Sie konnten doch unmöglich riskieren, dass ich vor lauter Unglück hier starb!
Das Unternehmen »Zurück nach Hause« würde also fortgesetzt werden, diesmal nur noch mit Beteiligten, auf die ich mich hundertprozentig verlassen konnte: mich.
Kaum war Sophie fort, erinnerten sich meine Eltern daran, dass es mich auch noch gab. Sie erklärten meine Zeit des Leidens für beendet und stellten mich vor die Wahl: Schule oder Arzt.
Nachdem ich mich nicht gerne zu Ärzten schleppen lasse – schon gar nicht, wenn mir nichts fehlt -, erklärte ich mich brummend bereit, am Montag in die Schule zu gehen.
Heute war es so weit – mein erster Schultag. Um meinen Eltern eine Freude zu machen, gab ich mir besonders viel Mühe, mich aufzubrezeln. Das schwarze Nietenband um meinen Hals war nur das krönende Sahnehäubchen meines Outfits. Dazu gehörten außerdem ein Paar Netzstrümpfe, ein Faltenmini mit einer silbernen Kette als Gürtel und ein T-Shirt mit verblasstem Totenkopfaufdruck – natürlich alles in Schwarz. Die Plateauschuhe waren, gemessen am Rest, ziemlich harmlos und nicht einmal hoch genug, um mir ernsthaft Höhenangst zu machen.
Meine toupierten Haare, um die ich ein Band aus Tüll – na, welche Farbe wohl? – gewickelt hatte, wogten bei jedem Schritt hin und her, als hätte mir jemand Schilf auf den Kopf gesetzt. Ziemlich wildes, finsteres Schilf.
Als ich in die Küche kam, stand Mom am Herd und rief mir über die Schulter ein »Guten Morgen« zu, ohne sich zu mir umzudrehen. Dad war leider schon zur Arbeit, sodass er mich nicht in voller Pracht bewundern konnte. Erst als Mom mir einen Pfannkuchen auf den Teller packen wollte, bemerkte sie meinen Aufzug. Während der letzten Tage war ich zwar auch in Schwarz herumgelaufen, doch dabei hatte es sich nur um Jeans und T-Shirt gehandelt. Keine Schminke, keine Ketten, keine Nieten. Umso größer war der Schock jetzt. Moms Gesicht war Gold wert! Lange würde sie sich das garantiert nicht mit ansehen können. Kunststück: Ich erschrak ja selbst noch, wenn ich an einem Spiegel vorbeilief. Dieser Friedhofs-Look war einfach etwas vollkommen anderes als meine gewohnten verwaschenen Jeans und die Tops in Pastellfarben. Krasser noch als die Klamotten waren der schwarze Lippenstift und das Kajal, mit dem meine ohnehin dunklen Augen riesig und fast schon bedrohlich wirkten.
»Charlotte, kannst du nicht wenigstens dieses Hundehalsband abnehmen? Das sieht ja unmöglich aus!«
Eigentlich nennt Mom mich Charlie, zumindest wenn sie nicht gerade ihrem Unmut über mich Ausdruck verleihen will. In letzter Zeit schwankte sie auffallend oft zwischen beiden Namen. Aber wenn es um Unmut ging, war ich die Meisterin! Wie sollte ich sie denn nennen? Mutter? Frau Berg? Da ich das nur schwer umsetzen konnte, war besagtes Hundehalsband – ein Lederband mit Nieten – ein Teil meines Protests.
»Das ist ein Zeichen meiner Knechtschaft«, erklärte ich deshalb auch trotzig, während ich beobachtete, wie der Pfannkuchen beinahe neben meinen Teller gepflatscht wäre, weil Mom die Augen verdrehte.
Mit Schwung beförderte sie das von meinem Tellerrand hängende Teil an seinen Platz. »Ach, Charlie«, seufzte sie.
Da! Nun war ich wieder Charlie! Das bedeutete, es würde eine weitere Litanei an Erklärungen folgen, warum wir nach München ziehen mussten! Und das Schlimmste war, dass ich dem vollkommen allein ausgeliefert war, denn Marius war längst auf dem Weg zur Schule.
»Du wirst sehen«, fuhr Mom fort, »in ein paar Wochen hast du dich eingewöhnt und willst gar nicht mehr woanders wohnen als hier.«
Denkst du!
Wenn alles gut ging, würden wir in ein paar Wochen bereits wieder unsere Sachen in Umzugskartons stopfen und nach Hause zurückgehen. Um mir Arbeit zu sparen, hatte ich bisher nur das Nötigste ausgepackt.
Zufrieden über Moms Ungnade, stieß ich die Gabel in den Pfannkuchen und machte mich darüber her.
»Ach, Kind«, seufzte Mom und ließ sich mir gegenüber auf einen Stuhl fallen. Sie hob die Hand, um mir durch die Haare zu streichen, wie sie es früher so oft getan hatte, zog sie aber gleich wieder zurück. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass sie ihre Finger nie wieder aus meiner wirren Mähne kriegen würde, wenn sie sich erst darin verfingen. Stattdessen tätschelte sie mir in geduldiger Elternmanier die Schulter. »Du wirst sehen, dass es hier wirklich schön ist. Bestimmt lernst du heute einige nette Kinder in der Schule kennen.«
»Teenager.«
Mom nickte schnell. »Natürlich. Teenager. Ich vergesse gerne, wie erwachsen du schon bist.«
Bevor sie auch noch anfangen konnte, in Erinnerungen an meine Kindheit zu schwelgen, verfrachtete ich meinen Teller in die Spüle und lief in mein Zimmer, um meine Tasche zu holen. Dummerweise hatte ich nicht daran gedacht, mir auch da ein passendes Gruftistück zu besorgen, sodass ich mich jetzt mit meiner geliebten rosa Messenger-Bag zufriedengeben musste, die mich schon zu Hause immer zur Schule begleitet hatte. Im Spiegel sah ich damit aus wie ein Zombie mit Farbklecks unterm Arm.
Auf dem Weg nach unten, kam ich an Sophies Zimmer vorbei. Durch die offene Tür konnte ich einen Blick auf ihren Schreibtisch werfen. Dort lag ihr iPod. Wenn sie mich schon so schmählich im Stich ließ, würde ich mir das Teil bis zu ihrer Rückkehr ausborgen. Immerhin hatte ich für unseren Plan darauf verzichten müssen, mir einen eigenen zuzulegen. Das war nur gerecht!
Auf dem Schulweg war ich fast schon guter Dinge. Ich ließ mich ordentlich von einem von Sophies Rockalben volldröhnen und ging in Gedanken schon den Nervenzusammenbruch durch, den ich nach der Schule bekommen würde, sobald Mom mich nach meinem Tag fragte.
Wenn alles gut lief, würde ich diesen Weg nicht allzu oft entlangmarschieren müssen. Dafür, dass wir so nah an den Alpen waren, erschien mir München erstaunlich flach. Zu Hause war alles viel hügeliger. Keine zwei Straßen von unserer neuen Bleibe entfernt, wurden die Einfamilienhäuser mit den großen Gärten von gedrängten Reihenhäuschen abgelöst. Inmitten dieser Reihenhaussiedlung lag auch mein Gymnasium – den Namen hab ich mir nicht gemerkt. Es genügte ja wohl, wenn ich hinfand.
2
Schon von außen schrie die Schule Siebzigerjahre! Die Fassaden mit braunen Platten überzogen, aufgelockert durch Senfgelb an den Ecken und um die Fenster herum. Innen wirkte der Bau durch die nackten Betonwände und das abgenutzte Linoleum düster und renovierungsbedürftig. Es war eine Gesamtschule, bestehend aus Grund- und Realschule und Gymnasium. Entsprechend viel Zeit kostete es mich, in diesem Gewirr das Sekretariat zu finden. Warum konnte man so was nicht in der Nähe des Haupteingangs unterbringen, sondern irgendwo inmitten eines Labyrinths aus Gängen und Treppenhäusern. Nachdem ich endlich dort ankam, wurde mir meine Klasse zugewiesen und der Weg dorthin erklärt. Ich schwöre, dass ich zugehört habe, trotzdem irrte ich durch die Schule und fand das Klassenzimmer erst, nachdem ich an einem der Pausenstände – hässliche Kästen mit viel Braun und Gelb – nachfragte.
Als ich endlich am Ziel ankam, hatte der Unterricht bereits begonnen. Ich blieb auf dem Gang stehen und lauschte den Stimmen, die aus den Klassenzimmern drangen. Aus einem der Räume schallte das Gelächter mehrerer Schüler, während aus dem Zimmer, in das ich gleich musste, nur eine durchdringende Stimme zu hören war. Das musste Frau Fechtner, meine Klassenleiterin, sein. Ohne Eile verstaute ich den iPod in meiner Tasche, bevor ich auf die Tür zuging – und noch einmal stehen blieb.
Daran, dass ich gleich einer Horde völlig Fremder gegenüberstehen würde, hatte ich bisher keinen Gedanken verschwendet. Das holte ich dafür jetzt im Zeitraffer nach. Ich gehöre nicht gerade zu den schüchternen Zeitgenossen, die keinen Anschluss finden. Allerdings war ich auch noch nie in der Situation, mich einer neuen Klasse präsentieren zu müssen. In meiner alten Schule waren es die Neuen gewesen, die sich von uns begutachten lassen mussten – nicht umgekehrt.
Als fester Teil der In-Clique an meiner alten Schule sollte es mir nicht schwerfallen, die Typen hier von mir zu überzeugen. Entschlossen riss ich die Tür auf und platzte in die Klasse.
Geschätzte dreißig Augenpaare richteten sich auf mich. Natürlich hatte ich damit gerechnet, dass mich meine neuen Klassenkameraden anstarren würden. Das macht man nun mal mit Neuen. Dafür sind sie da. Dass sich das so unangenehm anfühlen würde, hätte ich allerdings nicht gedacht. Irgendwo hörte ich ein Kichern. Bevor ich jedoch sehen konnte, woher es kam, stand schon Frau Fechtner vor mir. Entschieden zu nah! Wie eine Frau mit diesen Ausmaßen und in ihrem gesetzten Alter – die Gute war bestimmt schon dreißig! – so schnell vom Pult zur Tür kommen kann, ist mir immer noch schleierhaft.
»Du bist also Charlotte Berg!«, empfing sie mich mit dröhnender Stimme.
Ich machte einen Schritt zurück, um ihrem Schatten zu entkommen, der mir die Sicht nahm, und hörte, wie einige meiner neuen Übergangsmitschüler – nichts anderes waren sie für mich – zu gackern begannen. Als hätte ich mir meinen Namen ausgesucht!
»Charlie«, korrigierte ich daher schnell und laut genug, dass es auch alle hören konnten.
Zum ersten Mal gelang es mir, einen ausgiebigeren Blick an Frau Fechtner vorbei in die Klasse zu werfen. Alle starrten mich an, als wäre ich irgendein Alien. Die meisten tuschelten miteinander, kicherten oder lachten. Nur einer lächelte freundlich: ein Typ mit wuscheligen, blonden Haaren und ziemlich eindringlichen blauen Augen. Das war bestimmt der Klassenstreber auf der verzweifelten Suche nach Anschluss. Dabei saß er nicht einmal in der ersten Reihe.
»Schluss mit dem Lärm!«, durchdrang Frau Fechtners Stimme den Raum von einem Ende zum anderen, als es immer lauter wurde. Schlagartig kehrte Ruhe ein. Als sie sich jedoch wieder zu mir herumdrehte, nutzten einige sofort die Gelegenheit weiterzuquatschen, während andere hinter ihrem Rücken Grimassen schnitten. »Und du, Charlotte -«
»Charlie.«
»Du suchst dir jetzt erst einmal einen Platz«, fuhr sie unbeirrt fort und wandte sich gleich wieder an die Klasse: »Einer von euch gibt Charlotte«, ich stöhnte leise, doch Frau Fechtner machte nicht einmal eine Pause, »die Unterlagen der letzten Woche. Sie hat ja durch ihre Krankheit einiges verpasst.«
»Und jetzt ist sie wohl tot«, tönte einer der Jungs aus dem hinteren Teil des Klassenzimmers und löste damit eine Welle von Gelächter aus, die nicht einmal die gestrenge Frau Fechtner mit ihrer Stimme durchdringen konnte.
Ich fühlte mich kein Stückchen tot und hatte nicht die geringste Ahnung, wie der Typ auf so einen Schwachsinn kam – zumindest nicht, bis ich auf einen freien Platz am Fenster zuhielt und dabei mein Spiegelbild in der Scheibe sah. Die Gruftklamotten! Die hatte ich völlig vergessen! Kein Wunder, dass mich alle so ansahen und sich vor Lachen kaum noch einkriegten! Ein einziger Blick quer durch den Raum genügte, um zu sehen, dass kein Mensch auch nur ansatzweise ähnlich angezogen war. Schlechter Start. Gaaaanz schlechter Start.
Als ich mich in der dritten Reihe neben einem blonden Mädchen setzte, packte die ihre über den Tisch ausgebreiteten Unterlagen und zog sie hastig auf ihre Seite, bevor sie mit ihrem Stuhl so weit nach außen rückte, dass sie sich gegen die Heizung quetschte.
Heilige Salzkartoffel, was glaubte die? Dass ich sie fressen wollte? Ich ließ mir nichts anmerken und schenkte ihr mein freundlichstes Lächeln. Gut, durch den schwarzen Lippenstift und das dunkle Kajal konnte es womöglich den ein oder anderen ein wenig einschüchtern, aber meine Banknachbarin starrte mich an, als hätte ich ihr soeben verkündet, dass ich sie in der großen Pause dem Satan opfern würde.
»Ich bin Charlie«, versuchte ich es trotzdem in gedämpfter Lautstärke, denn vorne an der Tafel fuhr die Fechtner schon wieder mit ihrem Unterricht fort und schrieb irgendwelche Sätze und Grammatikregeln an die Tafel. Als meine Nachbarin nicht sofort antwortete, fügte ich noch ein »Und du?« hinzu.
Daraufhin brabbelte sie etwas, das sowohl Sanne wie auch Anne hätte heißen können. Vielleicht meinte sie auch, sie fände mich Panne.
Pannen-Anne gab mir jedenfalls keine Gelegenheit, noch einmal nachzufragen, denn sie beugte sich gleich über ihre Bücher und steckte ihre bebrillte Nase so tief hinein, dass ich sie vermutlich nicht einmal mit Gewalt hätte dazu bringen können, mich noch einmal anzusehen.
Während mich meine Banknachbarin, die wohl nicht vorhatte, meine Freundin zu werden, keines Blickes würdigte und mich vermutlich zurück in meine Gruft wünschte, spürte ich die Blicke der anderen dafür umso deutlicher. Und noch immer wurde getuschelt und gekichert.
Zum Glück bin ich selbstbewusst genug, es wegzustecken, wenn mich Leute anstarren. Allerdings würde es schwer werden, mit diesem Einstieg – und in dem Outfit – Freunde zu finden.
Ich grübelte noch darüber nach, wie ich den Leuten zeigen konnte, dass ich gar nicht der Grufti war, für den sie mich hielten, da tippte mich jemand am Ellbogen an. Als ich mich umdrehte, sah ich den blonden Klassenstreber, der sich über den Gang gebeugt hatte, um auf sich aufmerksam zu machen. Als ich ihn ansah, wurde sein Lächeln breiter.
»Die meinen das nicht so«, sagte er gedämpft.
Doch. Taten sie. Das wusste ich nur zu gut, denn wenn wir in meiner alten Schule Neue auf dem Kieker hatten, meinten wir das auch genau SO. Die haben dann kein Bein auf den Boden gekriegt. So würde es mir jetzt auch ergehen.
Daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Vielleicht war es sogar gut so, denn wenn mein Plan erst aufging, würden wir sowieso nicht mehr lange hier sein. Wozu sollte ich mir also überhaupt die Mühe machen, Freunde zu suchen, wenn wir ohnehin bald wieder nach Hause zogen? Wen ich nicht kannte, den würde ich später auch nicht vermissen.
Da es nichts weiter zu sagen gab, richtete ich den Blick auf die Fechtner, doch der Blonde war noch nicht fertig. »Ich bin übrigens Finn«, stellte er sich vor. »Finn Hausmann.«
Ich nickte und setzte aus purer Gewohnheit dazu an, ihm meinen Namen zu nennen, doch er kam mir zuvor. »Charlie. Nicht Charlotte«, sagte er augenzwinkernd. »Ich weiß.«
Der Typ war ganz klar dringend auf der Suche nach Freunden. Anders konnte ich mir nicht erklären, warum er mit einem Außenseiter wie mir sprechen sollte. Er hätte wohl gerne noch mehr gesagt, doch ein mahnender Blick vom Pult rief ihn zur Ordnung. Er setzte sich wieder aufrecht hin und konzentrierte sich auf das, was an der Tafel stand.
Bis zum Pausengong sprach niemand mehr ein Wort mit mir. Erst als die Fechtner das Klassenzimmer verlassen hatte, geriet ich unversehens wieder in den Mittelpunkt.
»Sag mal, du Grufti«, fing ein schwarzhaariger Typ prompt an.
»Es heißt nicht Grufti, sondern Goth«, korrigierte ich ihn, froh, zumindest so viel im Internet gelesen zu haben, um meinen neuen Style namentlich verteidigen zu können, wenn ich sonst schon keine Ahnung davon hatte.
Der Kerl verzog das Gesicht. »Nenn dich, wie du willst. Für mich bleibst du ein Grufti.« Und mit einem Blick in die Runde, die sich inzwischen um uns versammelt hatte, meinte er: »Oder was sagt ihr?«
»Recht hast du, Lukas!«
Andere stimmten so eifrig zu, dass mir schnell klar wurde, dass keiner diesem Lukas gerne widersprach. Er war derjenige, mit dem sich hier niemand anlegen wollte.
»Warum haltet ihr euch nicht einfach ein bisschen zurück?«, rief Finn über das Stimmengewirr hinweg. Damit brachte er tatsächlich einige zum Schweigen und handelte sich gleichzeitig einen finsteren Blick von Lukas ein. Wer war der Kerl? Mein selbst ernannter Streber-Ritter?