Nachhaltig geht die Welt zugrunde - Rudolf Buntzel - E-Book

Nachhaltig geht die Welt zugrunde E-Book

Rudolf Buntzel

0,0
3,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Die Welt ist zweigeteilt: In Standardsetzer und Standardnehmer. Kolonialismus neuen Typus: Die Standardsetzer sind dabei immer die reichen Player.« Ulrich Dambrot, Wissenschaftler und Journalist, soll herausfinden, ob Nachhaltigkeitsstandards und ihre Zertifizierung in Afrika korrekt umgesetzt werden. Dabei bemerkt er, dass einige internationale Unternehmen mit diesem Geschäftsmodell sehr eigennützig umgehen. Und spätestens als eine Lobbyistin der ökologischen Landwirtschaft ermordet aufgefunden und Ulrich von einer aufgebrachten Gruppe von Bauern in Uganda angegriffen wird, erkennt er, dass er mit seinen Nachforschungen in das Fadenkreuz unterschiedlichster Gegenspieler geraten ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Akteure des Romans

Vorwort

1. Szene: Ferienhaus in den Bergen Les Voirons

2. Szene: Der Auftrag

3. Szene: Bei GOOD FOOD GLOBAL

4. Szene: Summit in Dubai

5. Szene: Beschattung

6. Szene: Roberts Ankunft in Uganda

7. Szene: Ulrichs Ankunft in Uganda

8. Szene: Der Anschlag

9. Szene: Der Les Voirons-Kreis

10. Szene: Der Diebstahl

11. Szene: Wie baut man eine Falle und fällt selbst hinein?

12. Szene: Ulrich auf Recherche

13. Szene: Todd ist gefragt

14. Szene: Im fernen Genf

15. Szene: Unter Bauern in Wabusana

16. Szene: Chief Inspector Matutua

17. Szene: Rückzug aufs Land nach Mbele

18. Szene: Bei der Bauerngruppe von Budadiri

19. Szene: Auf der Ranch von Faruk

20. Szene: Sitzung der WOAH - Eine Rückblende

21. Szene: Der Angriff

22. Szene: Robert und die Flucht

23. Szene: Ulrichs Grenzübertritt

24. Szene: Ankunft in Nairobi

25. Szene: Das Wiedersehen

26. Szene: Bei den UN-Organisationen

27. Szene: Die Mordermittlung

28. Szene: Das Ende des Les Voirons Kreises

29. Szene: Senior Superintendent Anastasio Waweru – eine Rückblende

Epilog

Verzeichnis von Institutionen und Abkürzungen

Danksagung

IMPRESSUM

Rudolf Buntzel

Nachhaltig geht die Welt zugrunde

Polit-Thriller

Akteure des Romans

André SewadehWissenschaftler der WeltbankAngelina LocsinPhil. Agrarattacheé in GenfAnastasio WaweruSenior Superintendent in NairobiBablu GanguliVerband partizipatorische Zertifizierung in IndienElizabeth ImenRezeptionistin in der Unterkunft in KampalaEmojungDschihadistErique SeauveVorsitzende von IFABCFaruk OloboVeterinär, Ranchbesitzer, AgrarpolitikerFiona NampijjaErmordete Geschäftsführerin von NogamuFranz NagelGeschäftsführer von Good Food Global GFGFrancisOnkel von Isaac, TaxiunternehmerFred BokowaNationale Standardorganisation UgandaGodfrey MuvuluziBauern, neuer Vorsitzender von NogamuGudrun UhlenbrokAfrika Korrespondentin der ARD in NairobiHans BosseVorstand IFABC, CEO von FLOHeinrich SchulzVorstand IFABC, CEO MetroIbrahim MatutuaChief Detective in KampalaIsaac SsenkaaliBegleiter von UlrichJanett AkongoRezeptionistin in der Unterkunft in KampalaJoboDschihadistJohn GarbutVorstand IFABC, CEO von Tesco, G.B.Jutta NeumannBüromitarbeiterin von Good Food GlobalLucy NamuChemikerin von KEPHIS in KeniaMaria MkoziPolizistin in KampalaNoelina NassimbwaMitarbeiterin von Caritas UgandaNelson BuxtonManager der RanchOwen JeskinEU-Kommission, DG HandelPeter MöllerMitarbeiter von Food for All (FfA), AuftraggeberRobert PieperSecurity von GFG, Ulrichs AntagonistRuth KlingeMitarbeiterin von GFGSamuel MaigaleVorsitzende der Bauerngruppe in WabusanaSantiago de CabrelaKoordinator von UNFSSSusan EricsonVorstand von IFABC, CEO von ISEALTodd BensonKoordinator von Ulrichs Recherche in UgandaThomas BarasaKoordinator von Ulrichs Recherche in KeniaUlrich DambrotAutor / Journalist, Protagonist des Romans

Vorwort

Ulrich Dambrot, ein angesehener Wissenschaftsjournalist deutscher Tageszeitungen. Er meint von sich, er habe ein gutes politisches Urteilsvermögen. Zuerst war er ja begeistert, als der Earth Summit von 1992, der Weltumwelt- und Entwicklungsgipfel von Rio, mit dem breit akzeptierten Konzept der Nachhaltigkeit rauskam.

Doch als der Begriff anfing modisch zu werden, wuchs bei ihm die Skepsis. Er erlebte, wie sich mehr und mehr Wirtschaftsunternehmen des Begriffs ermächtigten. Als dann daraus sogar ein allumfassendes Geschäftsmodell wurde, das sich wie Mehltau über alle gesellschaftlichen Bereiche legte, war es um seine Sympathie für den Ansatz geschehen.

Zuerst bilden sich Standardorganisationen, die für verschiedenste Gesellschaftsbereiche durchdeklinieren, was in der Branche unter Nachhaltigkeit zu verstehen sei. Das geht nach Ansicht von Ulrich ja noch, denn viele von diesen Standardorganisationen geben sich gemeinnützig. Doch mit eskalierendem Gebrauch immer mehr konzerngesteuerten Nachhaltigkeitsansagen hielt der Kommerz Einzug.

Dann kamen die Zertifizierungsunternehmen dazu, die mit Hilfe von Betriebsprüfungen bestätigen, ob einer Firma und ihren Produkten das Prädikat „nachhaltig“ zusteht. Diese Auditfirmen verdienen sich eine goldene Nase an der Überprüfung und Bestätigung der Nachhaltigkeit. Buchprüfungsfirmen, Managementberatungs-Unternehmen, Wirtschaftsprüfer, Rankinginstitute und viele mehr stürzten sich über die neugeschaffene Fundgrube der Nachhaltigkeits-Zertifizierung. Nachher war dieser Informationsfluss, der sich über die Waren und Dienstleistung ausbreitete, fast mehr wert als das Produkt an sich. Für die Produzenten wurde es langsam fast schwieriger den Nachweis zu erbringen, dass sie mit den Auflagen konform gehen, als den Auflagen ansich nachzukommen.

Schließlich setzte die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit ihren glorreichen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung auf der Welt noch eins drauf. Die selbstgebastelten Nachhaltigkeitsstandards der privaten Wirtschaft bekamen von der Völkergemeinschaft die höhere Weihe.

Da war der Geduldsfaden von Ulrich gerissen. Wenn erst die Agrarchemie sich mit ihren Produkten als Inbegriff von Nachhaltigkeit ausgeben kann und für sich die Weltenrettung reklamierte, ist das Konzept zur Unerträglichkeit mutiert.

Ulrich nimmt sich vor etwas gegen dieses Greenwashing zu unternehmen.

1. Szene: Ferienhaus in den Bergen Les Voirons

Heinrich erklimmt die Berge in der Nähe von Genf im zweiten Gang. Er ist Bergfahren nicht wirklich gewohnt. Erst recht nicht mit dem ihm fremden Mietwagen, den er sich gerade erst in Genf geliehen hat. Ihm entgegen kommen immer wieder Rennradfahrer den Berg herunter, in einem – wie es ihm erscheint – halsbrecherischen Tempo. Da muss so etwas wie ein Rennen stattfinden, so kommt es ihm vor. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis er an einem Posten der Rennleitung vorbeikommt. Heute ist Sonnabend, da haben die Leute Zeit sich zu verausgaben. Wie kann man seine Kräfte nur an diesen Bergen vergeuden?

Oben auf dem Kamm angekommen, hält Heinrich an und fährt an die Seite. Er muss sich orientieren. Zum Glück hat er einen guten Ausschnitt einer Wanderkarte des Massif Les Voirons zugeschickt bekommen. Auf der Karte ist die Lage des Ferienhauses mit Textmarker gut sichtbar gekennzeichnet. In der Nähe von Pointe de Mirabelle, hieß es in der Einladung. Ohne den Kartenausschnitt hätte er den Weg zu dem Treffen schwer gefunden, denn sein GPS versagt hier in den Bergen. Hoch oben auf 1.000 Meter liegt das Ziel, direkt über dem Genfer See. Heinrich kann den See schon die ganze Zeit über in der Ferne beobachten. Bei gutem Wetter soll man angeblich auch den Mont Blanc von dem Ferienhaus aus sehen können, heißt es in der Einladung. Doch heute hängen die Wolken zu tief.

Er ist auf die dringliche Bitte von Erique, an dem Treffen teilzunehmen, der Einladung gefolgt. Erique Seauve ist der Vorsitzende des IFABC, dem Internationalen Dachverbands der Zertifizierer und Prüfer. Außerdem ist er der Chef der größten Zertifizierungsfirma Europas. Seine Firma ist richtig breit aufgestellt, sie zertifiziert aber auch alles. Durch die kann man selbst seine Großmutter zertifizieren lassen. Heinrich Schulz schmunzelt, das so zu sagen ist despektierlich. Dabei gehört er ja selbst einem breit aufgestellten multinationalen Konzern an. Er arbeitet in der Konzernspitze der Lebensmittelgroßhandelsfirma Metro. Sein Büro hat Heinrich in Berlin. Stolz kann Heinrich sein auf das, was Metro in Sachen Qualitätskontrolle erreicht hat. So gut die gesamte Lebensmittelkette hat Metro nach den Nachhaltigkeitsstandard von Good Food Global ausgerichtet. Kein anderer Standard hat eine solche Breite und Ausschließlichkeit im internationalen Lebensmittelhandel erreicht.

Was mache ich hier, in den Bergen bei Genf, fragt sich Heinrich. Ich sollte doch eigentlich zu Hause bei der Familie sein? Halb offiziell soll das Treffen sein, ein wenig gesellig, aber auch mit der Absicht, Dienstliches zu besprechen, so hat Erique Seauve ihn persönlich angesprochen. „Bitte, Heinrich, Du musst einfach kommen. Es wird ein erlauchter Kreis von Vertretern unseres Weltverbands kommen. Da kannst Du nicht fehlen. Wir haben was ganz Wichtiges zu besprechen. Du wirst sehen.“ Ein solche dringliche Bitte hat Heinrich dem Verbandsvorsitzenden einfach nicht abschlagen können. Seine Frau war gar nicht begeistert, dass er nach dem Termin die ganze letzte Woche über in Genf nicht sofort zum Wochenende nach Hause kommt. Wie soll er ihr das Zusatztreffen vermitteln? Mit Wichtigkeit kann er nicht kommen, denn er weiß ja selbst noch nicht, warum gerade dieses Treffen so wichtig sein soll.

Erique, ihr Vorsitzender, ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Wenn er im Raum ist weiß jeder sofort, wer hier das Sagen hat, ohne dass Erique sich aufspielen muss. Er strahlt einfach den Chef aus. Heinrich bewundert Erique. So viel Charisma, so große Kompetenz, und gleichzeitig eine angenehme, zuvorkommende Art. Schon allein wegen seines engen Verhältnisses mit ihm konnte Heinrich ihm kaum die Bitte abschlagen.

Heinrich hat seinen Standort auf der Karte gefunden. Jetzt ist es nicht mehr weit. Ein wenig über den Grad auf dieser Straße hinaus und dann muss da irgendwo am Hang ein Waldweg links abgehen. Den muss ich finden. Der Rest ergibt sich angeblich von selbst.

Heinrich muss langsam fahren um die Abzweigung nicht zu verpassen. Jetzt kommen ihm die Rennradfahrer den Berg hoch entgegen. Sie müssen ordentlich keuchen. Trotzdem wundert sich Heinrich, wie schnell sie auch bergauf noch sind. Da sieht er einen geteerten Weg links abbiegen. Das muss er sein. Heinrich blinkte links, doch er muss warten, um eine sichere Lücke in der Kolonne der bergauffahrenden Radfahrer zu finden.

Der Weg ist ganz passabel, ein Forstweg, so scheint es. Doch es dauert noch wesentlich länger, als Heinrich vermutet hatte, bis ein Haus auf einer Lichtung auftaucht. Traditionelles hölzernes Bauernhaus, voll durchrenoviert, so hat es in der Beschreibung geheißen. Mit Fernblick in die Alpenwelt, und ganz am Horizont sieht man noch einen blanken Streifen, den Genfer See, Lac Leman. Ganz schön entlegen die Hütte, aber höchst idyllisch, perfekt für ein verschwiegenes Stelldichein.

Vor dem Haus stehen schon einige andere Wagen. Alles Mietwagen, vermutet Heinrich, denn auch den anderen Teilnehmern ist es nicht anders ergangen: Sie sind aus der ganzen Welt zu ihrer Vorstandssitzung in Genf eingeflogen und mussten dann sehen, wie sie hier rauskommen. Eine Stunde Autofahrt hatte Erique angekündigt. Das stimmt nicht ganz, Heinrich hat 1 ½ Stunden gebraucht.

Warum nur sollten sie sich hier treffen, so weit weg vom Schuss? Wofür überhaupt ein solches Treffen? Wer war eingeladen? Warum diese Geheimnistuerei? Voller unbestimmter Erwartungen lädt Heinrich sein Gepäck aus dem Wagen.

Schon kommt ihm Erique entgegen. „Heinrich, ich freue mich, dass Du gekommen bist. Ich kann mir vorstellen, dass Dir das nicht leichtgefallen ist, Dich einfach mal so 2 Tage aus Deinem übervollen Kalender heraus zu lösen. Aber so geht es uns ja allen. Umso mehr hoffe ich, dass es keine Zeitverschwendung wird.“ „Der Kalender ist eine Sache, die nörgelnde Familie jedoch viel dringlicher.“ Erique lacht. Ja, so geht es uns allen.

„Wer ist denn noch da?“, fragt Heinrich erwartungsvoll. „Noch sind nicht alle eingetroffen, aber die Nachzügler werden bald hier sein. Fast der halbe Vorstand ist gekommen, die Leute, mit denen du schon die letzten 2 Tage in Genf zusammen warst.“ „Hätten wir die Dinge nicht auch in unserer Sitzung in Genf diese Woche besprechen können?“ „Wo denkst Du hin. Das hier geht weit über unsere regulären Geschäfte hinaus. Ich habe außerdem auch noch ein paar weitere Schlüsselpersonen eingeladen, die nicht zu unserem engen Kreis der Zertifizierer gehören. Zwei Vertreter von Standardorganisationen sind auch dabei. Du wirst sehen.“

Die anderen stehen oder sitzen auf der Terrasse, einige begrüßen Heinrich Schulze mit Handschlag, die meisten bleiben sitzen. Es gibt ein Begrüßungsgetränk, ein paar Schnittchen und Knabbersachen. Man betreibt Smalltalk, solange wie noch weitere Gäste erwartet werden. Helfende Hände aus dem Dorf waren engagiert, um das Essen anzurichten und die Bedienung vorzunehmen. Man genießt die Plätze in der Nachmittagssonne, die Bergwelt rings herum, die Stille der Abgeschiedenheit und die Fernsicht bis zum Mont Blanc Massiv, wenn es sich nicht gerade mal wieder wie meist hinter Wolken versteckt.

Irgendwann ist es dann soweit, und Erique ergreift das Wort. „Liebe Kollegen und Kolleginnen, was für ein Glücksfall, dass wir so viele von Euch zusammengebracht haben. Ich glaube, die Elite der internationalen Nachhaltigkeitszertifizierer ist anwesend, und noch einige unserer wichtigsten Standardorganisationen aus dem Food Bereich. Wir sind hier in aufgelockerter Runde zusammengekommen, um uns einmal ganz losgelöst von unserer sonstigen Agenda etwas grundsätzlicher über unseren Geschäftsbereich zu unterhalten.“

Alfonso Cano aus Ekuador protestiert. „Erique, sie haben uns mit dem Versprechen hergelockt, dass wir etwas ganz Wichtiges zu besprechen haben. Wann können wir endlich zum Eigentlichen kommen?“

„Ich fange doch gerade erst an, Alfonso. Das, was wir zu besprechen haben, ist eine ganz andere Ebene als unsere gewöhnlichen Vorstandssitzungen. Im Geschäftsleben sind wir als Einzelunternehmen Konkurrenten. Aber hier geht es jetzt um ein gemeinsames Anliegen, das Solidarität verlangt.“

Alfonso: „Im Verband es funktioniert doch auch, dass wir alles Mögliche besprechen, obwohl wir miteinander im Wettbewerb stehen.“ „Gut, das stimmt, aber Sie werden besser verstehen, wenn wir jetzt zur Sache kommen. Es geht um unsere Existenz und Ansehen, um unser Geschäftsmodell und unsere Mission, die Welt durch Nachhaltigkeit vor dem Untergang zu retten.“

Allgemeines Gemurmel setzt ein. Was hat er nur gemeint? Ist die Katze schon aus dem Sack. Heinrich fragt sich, worauf das hinauslaufen soll. „Erique, was soll das? Du spannst uns alle auf die Folter und wirst philosophisch. Worum geht es wirklich?“

„Also, gut. Einige von uns, genauer gesagt Frau Klinge aus Deutschland, Susan Ericson aus Schweden, John Garbut aus UK, wir sind alarmiert. Wir müssen erleben, dass das, wofür wir tätig sind, immer mehr hinterfragt wird. Unser Geschäftsmodell wird heruntergeputzt, verleumdet und missverstanden. Nicht nur das Konzept der Nachhaltigkeit an sich wird hinterfragt, sondern auch die Zertifizierung. Ihr werdet mir zustimmen, dass die beiden untrennbar zusammengehören, wie eineiige Zwillinge: die Nachhaltigkeitsstandards und die Zertifizierung. Wir bestätigen professionell und offiziell akkreditiert, also nach internationalen Regeln als vertrauenswürdig anerkannt, ob ein Produkt nachhaltig erzeugt wurde oder eine Unternehmung nachhaltig wirtschaftet.“

„Das musst Du uns nicht noch sagen. Wir wissen doch am besten, was wir tun und wer wir sind“, trägt Faruk Olobo aus Uganda bei. „Ja, natürlich, aber gesellschaftlich kommen wir ins Abseits. Da ist das nicht mehr selbstverständlich. Unsere Umsätze nach der Pandemie sind eingebrochen, den Konsumenten ist Nachhaltigkeit nicht mehr das Wichtigste. Viele können das Wort schon nicht mehr hören. Dabei war es bisher so gut gelaufen. Wir haben dazu beigetragen, dass die Globalen Nachhaltigkeitsziele der UNO , die sogenannten SDGs, verabschiedet wurden. Sie sind jetzt global breit akzeptiert. Und das Wichtigste: Uns wird darin eine prominente Rolle zuerkannt. Unser Business wird als der Königsweg beschrieben. Wir sind es, die Ökologie und Ökonomie, Wirtschaft und ethische Belange, Geld verdienen und das Retten der Welt zusammenbringen.“

„Nun überzieh mal nicht. Wir alle kennen gewisse Schwachpunkte des allgemeinen Nachhaltigkeitsgerede. Das Konzept ist inzwischen dermaßen missbraucht worden, dass es aussagelos geworden ist.“ Das war die Stimme der Fairtrade-Bewegung, Hans Bosse, Geschäftsführer von FLO, der Fair Trade Labelling Organisation.

„Das mag sein, dass das für die breite, schlagwortartige Verwendung des Begriffs gilt. Aber wir haben es doch geschafft, ein allgemeines Prinzip in klar definierte Kriterien zu gießen. Wir haben ein Kontrollsystem aufgebaut, das die Einhaltung überprüft. Das ist unser Geschäftsmodell. Darauf sind wir stolz. Daran glauben wir, dass wir auf diese Weise das Überleben der Menschheit sichern. Das gilt auch jetzt in Zeiten der Klimakrise, der Energieknappheit, der Ressourcenzerstörung und der sozialen Ausbeutung. Damit halten wir die globalen Wertschöpfungsketten zusammen.“

„Sie sagen es, Erique! Das ist es, worauf es uns ankommt. Wir sorgen weltweit für die Qualitätskontrolle in den Wertschöpfungsketten. Deswegen braucht uns auch die Nahrungsmittelindustrie und der Handel. Deswegen verdienen wir daran, nicht wegen der Weltenrettung.“ Das war wieder Dr. Faruk Olobo aus Uganda. Er ist Veterinär und vertritt die Fleischwirtschaft in der Internationalen Federation. Faruk Olobo gehört zum Stamm der Karamojong aus Norduganda, ursprünglich mal ein nomadisches Volk, ähnlich den Massai in Tansania. Er ist hochgewachsen, sehr schlank und tiefschwarz. Seinen vornehmen Anzug, den er auch bei diesem Treffen trägt, stammt von einem britischen Schneider, maßangefertigt. Man sagt, Olobo sei in Uganda ein mächtiger Mann, der dort die Geschicke der Agrarpolitik leitet, als Mitglied des Parlaments und Vorsitzende des Agrarausschusses.

Erique fährt fort: „Doch Kollegen und Kolleginnen, bedenkt: Es wird einem im Wirtschaftsleben Nichts geschenkt. Was man erreicht hat, muss man sich mühsam erarbeite, und man muss es auch verteidigen. Das schwindende Ansehen unseren Modells in der Öffentlichkeit ist für uns eine Bedrohung. Aber auch die zunehmende Übergriffigkeit des Staates in unseren Bereich. Dagegen müssen wir angehen. Was meint Ihr?“

Jetzt kommt eine echte Gruppedynamik auf. Ein aufgeregtes Durcheinander von Stimmen, Meinungen, Wortmeldungen versuchen sich ihren Weg zu bahnen. „Und was, bitte schön, gedenkst Du zu tun?“

„Genau, das zu diskutieren dafür sind wir hier. Wir können diese unqualifizierten Angriffe nicht mehr einfach tatenlos hinnehmen, Wir müssen eine Gegenoffensive ergreifen. Die uns Böses wollen, sind doch alle aus dem gleichen Holz geschnitzt: Herumnörgler, die von Wirtschaft nichts verstehen, die nichts selbst aufgebaut und zustande gebracht haben, aber kritisch auftrumpfen und unsere erfolgreichen Ansätze der Wirtschaft madig machen. Sie haben keine Alternativen, aber im Schlechtmachen sind sie ganz groß.“ Alfonsos und Faruks sprechen fast mit einer Stimme. Heinrich denkt für sich, es sei nicht verwunderlich, dass solche rigorosen Ansichten von Vertretern aus Entwicklungsländern stammen.

Auch der Rest der Gruppe ist in Bewegung geraten. Alle reden durcheinander. Vergessen die schöne Bergwelt, in der sie sich befinden, die Idylle des rauschenden Waldes um sie herum. Die harsche Realität hat die Gruppe voll im Griff.

Die guten Küchengeister rufen zum Essen. In der Diele des alten Bauernhauses ist ein großer Tisch gedeckt, mit Blumenschmuck, einer weißen Tischdecke und schönem Geschirr, geradezu perfekt angerichtet. Die Helferinnen tragen dampfende Schüsseln mit Gemüse und Kartoffeln herein, und in der Mitte zwei riesige Schalen mit Fleisch vom Reh und vom Wildschwein, direkt beim Förster eingekauft, betont Erique.

„Bevor wir hier eine Unterbrechung vornehmen, möchte ich doch noch gerne wissen, gegen wen sollen wir denn konkret angehen.“ Es ist Ruth Klinge, die Deutsche von der GOOD FOOD GLOBAL, die das geklärt haben wollte. John Garbut, einer der Initiatoren des Treffens, meldete sich zum ersten Mal zu Worte. „Frau Klinge, das liegt doch auf der Hand. Es sind die vielen NGOs. Denn die merken, dass ihnen die Wirtschaft das Heft des Handelns und der Deutungshoheit über Nachhaltigkeit aus der Hand genommen hat; die wollen die Kontrolle zurück. Sie werden sekundiert von einer Reihe kritischer Wissenschaftler, z.B. bei der DIE aus Bonn, einem britischen Forschungsprojekt `revolve` mit Studien in 17 Entwicklungsländern. Oder – allen vorweg – einem konvertierten Prof. Weak. Der hat mit seinem Standardwerk „The Audit Society – Rituals of Verification“ viel Staub aufgewirbelt. Alle zitieren inzwischen Prof. Weak. Er war mal einer von uns, bevor er ins andere Lager abrutschte. Das ist das Schlimme, er hat Insiderwissen, er kennt uns von der Pike auf. Auch jede Menge Journalisten sind uns auf der Spur, man kennt ja diese Schreiberlinge, immer geil auf der Suche nach Skandalen, vermuten Böses in unserem wohltätigen Wirken.“

Die appetitanregenden Düfte des gedeckten Dinners überdecken erst einmal allen fachlichen Ärger, der sich aufgestaut hat. Dazu kommt noch bester französischer Rotwein. Erique als Gastgeber hat keine Mühe gespart, es seinen Gästen gut gehen zu lassen. Die Damen aus dem Dorf, die sowohl gemeinsam gekocht haben als auch servieren, freuen sich, dass ihre Mühen bei diesen internationalen Gästen so gut ankommen.

Nach dem wunderbaren Menu versammelt man sich in schon angeheiterter Stimmung im großen Kreis um den Kamin. Jeder hatte sein Glas mit Wein, Bier oder einem Short Drink in reichbarer Entfernung abgestellt. Die einheimischen Frauen räumen die Küche auf, nachdem sie zuvor noch einmal die Gläser nachgefüllt haben. Später dann verlassen sie das Haus. Eriques Gefolgschaft ist wieder unter sich.

„Ich unternehme noch einmal den Versuch, den Faden unserer Beratungen wieder aufzunehmen. Schließlich müssen wir möglichst noch heute Abend zu veritablen Ergebnissen kommen, weil Einige von uns morgen schon gleich nach dem Frühstück wieder abreisen müssen“. Susan Ericson bemerkt, dass sie noch vor dem Frühstück ganz früh aufbrechen müsse, um ihren Flieger in Genf zu erreichen. Erique bat daraufhin John Garbut um einen Beitrag.

„Schauen wir uns die ganze Bandbreite unseres Geschäftsbereichs an, die Branche der Voluntary Sustainable Standards, die sogenannten VSS, und die der Zertifizierer, so können wir mit Stolz vermerken, dass wir schon heute so weit sind, wie wir es uns vor zehn Jahren nie hätten träumen lassen. Langsam aber stetig fortschreitend überziehen wir fast alle Wirtschaftsbereiche mit einem Netz von Nachhaltigkeitsstandards und der damit einhergehenden Inspektion. Mit dem Agrar- und Ernährungsbereich fing es an, aber heute sind wir schon fast überall tätig, selbst in solchen Dienstleistungsbereichen, wo es keine internationalen Wertschöpfungsketten und Güter gibt, wie Gesundheitswesen, Bildungseinrichtungen, Bauwirtschaft, Wohnen oder dem Handwerk.“

„Der Anteil der zertifizierten Dienstleistungen könnte aber sehr viel höher sein“, bemerkt Hans Bosse. „Am erfolgreichsten sind wir bei tropischen Produkten, den klassischen Kolonialwaren, aber auch bei Gewürzen, Schnittblumen und Gemüse. Selbst die Grabsteine aus Indien sind inzwischen fast vollständig zertifiziert.“

„Danke Hans, für die Klarstellung. Schwierigkeiten haben wir zunehmend mit den europäischen Regierungen. Die mischen sich ein, als ob es die Effizienzrevolution unserer privaten Nachhaltigkeit nie gegeben hätte. Ausgerechnet diese Bürokraten drohen nun damit, die Freiwilligkeit unserer Standards zu untergraben. Mit so albernen Konzepten wie gesetzlich geregelte Sorgfaltspflichten bei dem Lieferkettengesetz oder der jetzigen EU-Initiative ESPR, der Öko-Design Verordnung. Nach der sollen nur angeblich nachhaltige Produkte auf den Markt kommen. Dabei haben wir wirklich hinreichende Beweise geliefert, dass die Wirtschaft es allein sehr viel besser kann. Mit den Business-to-Business Standards B2B steuern wir das Qualitätsmanagement entlang internationaler Lieferketten. Wer sich nicht dran hält fliegt aus den lukrativen Weltmärkten raus. Mit den Business-to-Consumers Standards B2C geben wir den Konsumenten durch Labels die Wahlmöglichkeit, die Produkte zu kaufen, die auch wirklich nachhaltig produziert wurden. Das Ganze finanziert sich intern, sozusagen von selbst, inklusiv die Kontrolle. Da braucht es keine aufgeblasene Bürokratie von Staatsdienern, die Dienst nach Vorschrift machen.“

Die Zustimmung zu den Ausführungen könnte nicht größer sein. So viel Einigkeit erhitzt die Gemüter, die von dem Alkoholgenuss und dem Feuer im Kamin sowieso schon hochgekocht sind. „Wir waren die Pioniere, wir waren die ersten, die mit Hilfe von Fairtrade-Siegel und Öko-bzw. Biolabels ganz neue Produktschienen aufgemacht haben. Das kostet natürlich auch etwas, deswegen muss das durch Preisaufschläge bezahlt werden“, wand Susan Ericson aus Schweden ein, die ISEAL-Alliance vertritt, dem Zusammenschluss von 17 Standardorganisationen, die alle ihre Produkte auch auf den Packungen etikettieren.

„Ist ja gut, Susan, volle Anerkennung für eueren Einsatz. Aber nun sind wir weiter, viel weiter. Nachhaltigkeitszertifizierung hat die Welt erobert und dringt immer weiter vor in noch weiße Flecken auf unserer Landkarte. Jetzt hat die Wirtschaft das Sagen. Und wir allein bestimmen, was nachhaltig ist und was nicht. Die Alleinherrschaft der Gutmenschenlabels ist vorbei.“ Typisch, denkt Susan, John Garbut kommt von der britischen Supermarktkette Tesco. Er hält zu den B2B-Standards, die voll von den großen Konzernen des Einzelhandels kontrolliert werden.

„Ich verstehe das nicht ganz,“ meldet sich Alfonso Cano zu Wort. „Die Bedrohung unseres Geschäftsfeldes durch den übergriffigen Staat, das leuchtet mir ein. Aber was haben denn diese Intellektuellen aus der NGO-Welt, den Medien und der Wissenschaft an uns auszusetzen? Die sind doch alle auch für mehr Nachhaltigkeit, und genau das liefern wir doch.“

John Garbut fühlt sich bemüßigt etwas dazu zu sagen. „Das ist vielschichtig. Die sind neidisch auf uns, dass wir diese Systeme so flächendeckend und effizient eingeführt haben, ohne auf ihre vielen Einwände einzugehen. Dann sind sie Puristen und entdecken überall Schwachstellen. Drittens, und das zählt am meisten, werfen sie uns vor, dass wir an einer elitären Welt bauen. Unsere Standards erhöhen die Produktionskosten und verteuern die Nahrungsmittel. Nur reiche Verbraucher könnten sich die guten Lebensmittel noch leisten. Die Auflagen und Nachweiskontrollen sind so kompliziert, dass nur noch gebildete Bauern und Agrarunternehmer die Weltmärkte beliefern können.“

„Das ist doch alles Quatsch“, empört sich Alfonso, mit Unterstützung von Faruk. „Mit unseren Vorgaben für eine nachhaltige Landwirtschaft zeigen wir den einfachen Bauern doch erst, was eine gute landwirtschaftliche Praxis ist, die effizient ist und gleichzeitig die Umwelt und das Klima schonen. Wenn du so willst, sind wir es doch erst, die die Welt auch in Zukunft ernähren.“

„Du siehst es etwas unterkomplex, lieber Alfonso. Du hast die potenten Agrarunternehmen im Bananenbau Ekuadors im Blick. Aber die afrikanischen Kleinbauern haben schon große Schwierigkeiten auch nur den Nachweismethoden nachzukommen, die wir ihnen abverlangen. Wenn die Inspektion kommt, fallen immer wieder viele von ihnen durch. Da ist eine Menge Schriftkram zu erfüllen, da muss Tagebuch geschrieben werden, wann genau man gesät, gedüngt und Pflanzenbehandlungsmittel ausgebracht hat. Der Analphabet hat keine Chancen.“

„Das lässt sich doch alles lösen, mit Schulungsprogrammen, Hilfen von außen, Zusammenschlüssen der Kleinbauern, Betreuungsverträgen. Das ist eine Frage des allgemeinen Entwicklungsstands einer Gesellschaft. Außerdem sehe ich das immer noch so, dass unsere Inspektoren weniger Agrarpolizisten sind, die schnüffeln und bestrafen, sondern die zusammen mit den einfachen Bauern nach Wegen und Lösungen suchen. Das riesige Netz unserer Betriebsprüfer im Agrarbereich ist in Wirklichkeit ein Netz von Agrarberatern.“ Das hat Faruk zu der Frage beizutragen.

Hans Bosse ist der Meinung, dass die Zertifizierung ja auch nur ein kleines Marktsegment umfasst, nämlich das der lukrativen Exportmärkte. Da bleiben noch genügend Absatzmöglichkeiten für Produkte niedriger Qualitätsstufen, wie Straßenmärkte, informelle Wochenmärkte, Vermarktungsgenossenschaften. „Wir schließen keinen aus, es ist genug Absatz für alle da. Die Konsumenten müssen ja nicht nur in den teuren Supermärkten einkaufen. Diesen Angriff halte ich für überzogen.“

Susan Ericson gibt zu bedenken, dass ein bisschen was an dem Vorwurf schon dran sei. „Schau doch mal, Faruk, unser Gemüse, Obst und unsere Blumen, wo kommt das her? Das wächst auf den besten Böden der Welt. Wir nutzen nur das beste Wasser für unsere Bewässerung. Teilweise steht das dann den Menschen nicht mehr zur Verfügung. Die breite Masse der Weltbevölkerung muss sich von schlechten Flächen ernähren, wo der Niederschlag immer unsicherer wird. Da kann man schon auf solche Gedanken kommen, wir würden den Armen was wegnehmen.“

„Wir sind es doch, die sich auch für Armutsbekämpfung einsetzen. Das ist Teil unseres Auftrags, das gehört zu den UNO-Zielen dazu, zu denen wir uns bekennen. Bei den rückständigen Kleinbauern findest du keine Solidarität mit den Armen, da geht es nur um persönliches Überleben.“

Erique versucht den Gesprächsverlauf wieder einzufangen. „Ihr seht, wir sehen uns eingekesselt von Kritikern verschiedenen Coleurs. Unser Geschäftsmodell stagniert, so kurz vor der Erreichung vieler Ziele. Die ersten Zertifizierer sind schon in Konkurs gegangen. Wir können nicht tatenlos zusehen, wie unsere Branche untergeht und die Welt in nicht-Nachhaltigkeit versinkt.“

„Um die Looser, die aufgegeben haben, ist es nicht schade drum. Ihren Geschäftsanteil übernehmen wir doch gerne“, so Heinrich Schulz. „Heinrich, das will ich überhört haben. Wir sind der Verband, wir vertreten die Gesamtinteressen unserer Branche. Und die bestehen sicherlich nicht in irgendwelchen Schrumpfungsprozessen. Denk an die Welt, denkt an die UNO-SDGs, wir haben einen Auftrag für die Zukunftsfähigkeit der westlichen Volkswirtschaften.“

Es war Ruth Klinge, die sich jetzt zu Worte meldet. „Erique, alles schön und gut. Aber sicherlich hast Du uns nicht zusammengetrommelt, dass wir gemeinsam über unsere Stagnation jammern.“ „Sie sagen es, Ruth. Wir müssen handeln. Noch heute Abend, bevor wir auseinander gehen, wollen wir einen Plan schmieden. Wie können wir unseren Gegnern entgegentreten? Was fällt uns dazu sein?“

Die Frage war gut gemeint, aber jetzt am späten Abend fühlen sich viele mit einem Brain-Storming überfordert. Es wird allgemein bedauert, dass die Bevölkerung kaum etwas von der Arbeit der Zertifizierung nach Nachhaltigkeitskriterien weiß. „Wir müssen den Wert der Nachhaltigkeitskontrolle aus der Unsichtbarkeit herauszuholen. Wir sollten eine Kampagne zu unserer Ehrenrettung lancieren!“ „Wir sollten unsere Werbeetats erhöhen!“ „Wir sollten mehr politische Lobbyarbeit betreiben!“ „Wir sollten ein Bündnis schmieden mit allen Standardorganisationen und mit den Verbänden der Produzenten!“ „Wir müssten die großen Supermarktketten, die uns ja schließlich aus der Taufe gehoben haben, auf unsere Seite bringen!“ „Wir sollten…, wir müssten…, wir wollen…“. Langsam fangen die Vorschläge an zu sprudeln.

„Alles sehr gute Vorschläge. Doch mit so einer Liste darf es heute nicht enden. Um die verschiedenen Möglichkeiten einzufangen, zu prüfen, eine Strategie zu entwickeln, und um konkrete Dinge auch umzusetzen, braucht es zweierlei“, versuchte John Garbut die Diskussion in eine pragmatische Richtung zu lenken. „Erstens eine Arbeitsplattform, auf der Beschlüsse gefasst werden können, und zweitens Finanzen.“

„Einige von uns haben doch mit ihren Firmen gutes Geld verdient, wenn man sich die veröffentlichten Geschäftsberichte anschaut. Das müsste doch Spielraum geben, um eine Initiative zur Absicherung unseres Geschäftsmodells zu finanzieren.“

„Ja, gut so, lass die anderen bezahlen, aber komm mir nicht mit Forderungen. Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass. Leute, das ist keine Strategie.“

Noch an dem Abend geht man mit der Zusicherung auseinander, dass jede Firma des Verbands aufgefordert wird, ein Prozent des Umsatzes auf ein Treuhandkonto zu überweisen. Aus dem werden dann – wie sie so schön formulierten – ´offensive Gegenmaßnahmen` zum Ansehensverlust ihrer Branche finanziert.

Susan Ericson macht klar, dass sie aber irgendwelche Aktivitäten am Rande der Legalität nicht akzeptieren würde. Alle versichern sich gegenseitig, dass sie nur `pro aktive Schritte` unternehmen würden, und sich an die klassischen Methoden der Public Relation- und Lobbyarbeit halten. Auf Zuruf wird auch ein kleiner Kreis von 3-5 Mitglieder des Kreises `gewählt`, der für den Treuhandfond zuständig sein soll. Als Titel gab man dem Treuhandfond den Namen ´Safe Food for the Future`.

2. Szene: Der Auftrag

„Zu wem wollen Sie,“ wird Ulrich von der Frau im Empfang gefragt. „Zu Herrn Peter Möller, bitte“. „Ach ja, hier habe ich es, Möller, Peter. Im 6. Stock. Bitte nehmen Sie den Aufzug dort in der linken Ecke. Wenn sie aussteigen, warten Sie vor dem Fahrstuhl, sie werden abgeholt. Ich sage Herrn Möller Bescheid. Wen darf ich melden?“ „Mein Name ist Ulrich Dambrot, ich werde erwartet.“

Ulrich mag dieses neue Bürogebäude von FOOD FOR ALL gar nicht. Vor fünf Jahren ist die Organisation hier eingezogen. Das Gebäude ist zu groß, zu anonym, zu viel Beton. Es strahlt Geld und Einfluss aus. FOOD FOR ALL, die wohl größte deutsche private Entwicklungsorganisation, wird zu einem Drittel von Spendengeldern finanziert, zu einem weiteren Drittel durch die Evangelische Kirche und zu einem weiteren Drittel durch den Staat. Wie mögen sich die ausländischen Besucher vorkommen, aus Afrika, Asien oder Lateinamerika, die hier um Unterstützung für ihre Projekte anfragen? Aber wahrscheinlich sind solche Besuche gar nicht erwünscht. Lieber wickelt man die Entwicklungsprojekte schriftlich am Computer ab. Oder die Mitarbeiter aus der Zentrale besuchen ihre Projektpartner ein bis zweimal im Jahr. Das ist effizienter, da kann man selbst bestimmen, wieviel Zeit man ihnen widmen will. Ob das der Qualitätsarbeit dient, na, ich weiß nicht, denkt sich Ulrich.

Eine junge Mitarbeiterin begrüßt Ulrich am Fahrstuhl. „Folgen Sie mir bitte, Sie werden im Konferenzraum erwartet.“ Sie geht voran und schließt eine kompliziert aussehende Sicherungsanlage an der Etagentür auf. Entschuldigend fügt sie hinzu: „Sie müssen schon entschuldigen, aber uns sind schon am helllichten Tag Computer aus den Büros entwendet worden. Deshalb müssen wir uns jetzt einschließen.“ Warum entschuldigen, mir macht das doch nichts aus, sagt sich Ulrich. Dann betritt er die Etage der Policy-Abteilung.

Ulrich ist ein großer Mann im mittleren Alter. Er hat dunkles langes Haar, trägt eine lässige Kleidung, Blue Jeans und T-Shirt, aber adrett gebügelt und gut gepflegt. Da es sich um einen offiziellen Termin handelt, hat er das Zugeständnis gemacht und ein Sacco angezogen, das aus dünnem Stoff besteht und um ihn herumflattert. Sein Gesicht ist ohne Bart, eine runde Goldrandbrille gibt ihm einen leicht intellektuellen Eindruck, seine Haltung ist kerzengrade. Ein guter Beobachter bemerkt, dass die Haltung einstudiert ist, denn in entspannten Situationen neigt der Oberkörper zu einer etwas krummen Haltung. Im klassischen Sinn ist er kein schöner Mann, aber wegen seiner guten Figur und dem selbstbewussten Auftreten bestimmt attraktiv zu nennen.

Die Begleiterin führt Ulrich in einen Art Glaskasten, mit größerem Tisch in der Mitte und einem riesigen Bildschirm an der Wand. Ein spezieller Raum für Videokonferenzen. Das ist nach Corona eine Selbstverständlichkeit, alles wird über Zoom abgewickelt. Am Tisch erwarten Ulrich drei Personen, zwei Männer und eine Frau. Den einen Mann, Peter Möller, kennt Ulrich gut von Arbeitskreissitzungen des NGO-Bündnisses. Für ihn hatte Ulrich schon einmal eine Studie erstellt. Er war es wahrscheinlich, der seinen Namen für diesen Studienauftrag ins Gespräch gebracht hat.

Peter tritt vor und schüttelte Ulrich als erster die Hand. „Ulrich, schön dass Du gekommen bist!“ „Tag Peter, danke für die Einladung“, sagte Ulrich. Peter drehte sich zu den anderen um. „Gabriele, Hermann, darf ich Euch vorstellen: Dr. Ulrich Dambrot, mein Kandidat für die Autorenschaft der Studie.“ Zu Ulrich gewandt, halb flüsternd, aber mit der Absicht, dass die anderen im Raum sehr wohl hören können: „Wenn ich nicht wüsste, dass es Dich gibt, dem ich als Einzigen die Mammutaufgabe dieser Studie zutraue, hätte ich die Studienidee gar nicht weiterverfolgt.“ „Keine Vorschusslorbeeren, lieber Peter, ich weiß ja noch nicht einmal, worum es überhaupt geht.“

Affentheater, denkt sich Ulrich, dabei war er es doch, der die Idee an Peter Möller herangetragen hatte. Doch das darf man hier nicht sagen, das sieht sonst nach Kumpanei aus. In diesem Hause müssen alle Ideen für Studienprojekte von den Überseepartnern ausgehen. Bei bestimmten Abläufen muss Ulrich nun mal mitspielen.

„Dafür ist dieses Treffen ja da. Ulrich, das ist Frau Dr. Gabriele Beneke, unsere Leiterin des Afrikareferats, und Hermann Lemke, unser Abteilungsleiter der Politik- und Studienabteilung.“ Ulrich schüttelte allen die Hand. „Bitte setzen Sie sich doch.“

Ulrich mustert die zwei ihm unbekannte Personen. Die Beneke schätzt er auf Mitte Dreißig, eigentlich recht ansehend, wenn nicht dieser angestrengte Ausdruck um ihren Mund herum wäre. Vielleicht ein bisschen zu streng im Aussehen und in der Kleidung. Aber wahrscheinlich zielstrebig und bestimmt. Mehr kann Ulrich auf die Schnelle nicht scannen. Hermann Lemke macht einen abgehobenen Eindruck, Chefallüren, typisch. Tut so, als ob er über alles erhaben sei. Doch nicht ganz unsympathisch. Skeptisch wird Ulrich von ihm gemustert. Diese beiden muss er überzeugen, wenn er den Auftrag haben will, das ist Ulrich klar. Deren Einwilligung braucht Peter, um das Projekt im Hause durchzubekommen, das hatte Peter ihm schon im Vorherein angedeutet.

Nach einem einleitenden Smalltalk, der Verteilung von Kaffee, dem Austausch einiger spritziger Bemerkungen lockert sich allmählich die Stimmung in der Runde. Hermann Lemke leitete dann über. „Herr Dambrot, bevor wir erklären, worum es uns geht, wären wir Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich kurz vorstellen würden, denn von uns kennt Sie ja bisher nur Herr Möller.“ Es gehe um einen Studienauftrag mit Recherche auch in Ostafrika. Er fragt Ulrich, was er meinen würde, was Ihn für eine solche Aufgabe prädestiniert?

Darauf antwortet Ulrich: „Ob ich für Ihren Studienauftrag geeignet bin, müssen wir erst gemeinsam rausfinden. Es kommt natürlich auf die Fragestellung und das genaue Thema an. Natürlich auch auf die konkreten Bedingungen.“ Recherchen, wissenschaftliches Arbeiten, Literaturstudium oder das Erforschen von Themen seien sein Fach.

Ulrich äußert sich zu seiner Person. „Ich habe Agrarökonomie in Stuttgart-Hohenheim studiert. Dann arbeitete ich empirisch in Afrika für meine Promotion. Meine erste Anstellung fand ich als wissenschaftlicher Assistent am Südasieninstitut der Uni Heidelberg. Danach war ich angestellter Wissenschaftsjournalist bei einer renommierten Wochenzeitschrift. In den letzten Jahren war ich als freischaffender Autor und Mitarbeiter in verschiedenen Forschungsprojekten im entwicklungspolitischen Bereich tätig.

„Herzlichen Dank, ja, das gibt uns einen Eindruck. Wir werden ja noch einen schriftlichen Lebenslauf von ihnen bekommen. Aus formalen Gründen brauchen wir bitte auch ein offizielles Bewerbungsschreiben und ein Angebot auf unsere Ausschreibung hin.“ Hermann Lemke macht eine kurze Pause, als ob es ihm fast peinlich ist. „Die Ausschreibung gibt es allerdings noch nicht. Wir wollten erst noch das Gespräch mit Ihnen abwarten. Peter ist dafür zuständig, und vielleicht kann er auf ihre Beratung dabei zurückgreifen.“ Frau Beneke ergänzt. „Sie müssen schon den Formalismus entschuldigen, aber da wir auch Staatsmittel empfangen, werden wir vom Bundesrechnungshof geprüft. Alles muss danach seine nachvollziehbare Ordnung haben.“ Geschickt kontert Ulrich darauf. „Aber ich bitte Sie, wo FOOD FOR ALL für seine Antikorruptionskampagne bekannt ist, können Sie sich keine Unregelmäßigkeiten erlauben. Volles Verständnis!“

Wo Frau Beneke schon mal das Wort ergriffen hat, führt sie die Unterhaltung fort. „Ja, danke Herr Dambrot. Ihr Hintergrund ist ja sehr beeindruckend und qualifiziert Sie ausgesprochen für unser Vorhaben. Aber wir sind nun einmal keine Universität. Uns geht es weniger um eine Beweisführung, sondern um eine fundierte Einschätzung eines Sachverhalts. Dafür benötigt der Rechercheur ein hohes Einfühlungsvermögen in die kulturellen und soziologischen Verhältnisse von Entwicklungsländern, allen voran in Afrika. Trauen Sie sich auch diese Dimensionen zu?“

Die Frage kommt bei Ulrich quasi wie eine Steilvorlage an. Er bedankt sich für die Anerkennung. Gerade diese Aspekte lägen ihm besonders am Herzen. Er sei zwar ausgebildeter Agrarökonom, aber kein ökonomischer Fachidiot. So habe er für seine Promotion empirisch unter Kleinbauern in Tansania geforscht. Er wisse also, dass die Verhältnisse auf den Dörfern in Afrika mit der Betriebswirtschaft der Agrarwirtschaft Europas wenig bis nichts zu tun hätten. Auch nach seiner Promotion habe er in vielen afrikanischen Ländern und auch in Indien die Lage auf dem Lande gut kennengelernt. „Was den ersten Teil Ihrer Frage anbelangt: Ich bin nicht umsonst jahrelang Journalist. Ich habe viele Essays verfasst und politische Kommentare geschrieben.“ Er sei also beides: Wissenschaftler und Journalist. Akademische Erbsenzählerei lägen ihm fern. Er schreibe aber auch nicht einfach so drauflos. Es käme ihm auf eine gute Fundierung seiner Schriften an. Ulrich schließt seine Worte mit der Erwähnung, dass eine ausführliche Liste seiner Veröffentlichungen seiner Bewerbungsmappe beiliegen wird.

Der Damm scheint gebrochen zu sein. Die anfängliche Zurückhaltung, die im Raum herrschte, verflüchtigt sich. Die Unterhaltung hat nicht mehr den Charakter einer Befragung, sondern nimmt eher die Gestalt eines entwicklungspolitischen Gesprächs unter Leuten vom Fach. Meinungen zu den Verhältnissen in Ostafrika und zur afrikanischen Landwirtschaft werden ausgetauscht.

Peter Möller nimmt den Stimmungswechsel als Unterstützung für seinen Projektvorschlag wahr. Er kann es sich nicht verkneifen, es auch auszusprechen. „Ich habe euch doch gesagt, Ulrich Dambrot ist unser Mann!“ Dass Peter sich für das Projekt ausspricht, überrascht Ulrich nicht. Peter ist mehr als eine flüchtige Bekanntschaft von ihm. Oft hat er mit ihm zusammengesessen, nach Sitzungen irgendwo in Deutschland, gemeinsam ein Bier am Abend getrunken. Die beiden verstehen sich gut. Peter ist ein anständiger Kerl, dem man vertrauen kann. Außerdem ist er recht attraktiv für Frauen, wie man so hört. Im Haus von FOOD FOR ALL wurde er von den Frauen als bestgekleideter Mitarbeiter gewählt. Ein Spaß zur Faschingszeit, doch nicht ganz aussagelos.

Dann will Lemke wissen, ob Ulrich der Begriff ´freiwillige Nachhaltigkeitsstandard´ etwas sagt, VSS auf Englisch. Ulrich nimmt wahr, dass es jetzt zur Sache des angedachten Projekts geht. „Unbedingt, über die Hälfte der tropischen Exportprodukte müssen heutzutage von irgendwelchen Standards zertifiziert sein, sonst qualifizieren sie sich nicht für den Export.“ „Und ist das gut oder schlecht?“ Ulrich mag eine Schwarz-Weiß-Malerei nicht, dafür ist er viel zu sehr Wissenschaftler. Er meint, dass es weder noch sei, so einfach sei das nicht zu sagen. Es würde allerdings viel Schindluder mit der Zertifizierung und mit Labels getrieben, weil sie oft nicht halten, was sie versprechen. Das sei natürlich schlecht. Was ihm aber vor allem Sorgen mache sei, dass sich mit der Zertifizierung neue Machtstrukturen in den Welthandelsbeziehungen etablieren. Es gäbe keine staatliche Aufsicht über den Wildwuchs privater Standards. Besonders die Nachhaltigkeitsstandards agierten völlig unreguliert, weil kein Mensch wirklich wisse, was Nachhaltigkeit bedeute. Sie legten Machtmissbrauch geradezu nahe.

Lemke: „Sehen sie denn irgendwelche Gegenkräfte am Werk?“ Ulrich „Ja, gewiss, die sehe ich klar am Kommen. Vor allem auf internationaler Ebene bei multilateralen Organisationen, die Standards als Handelshemmnis verstehen. Vor allem die Entwicklungsländer sind skeptisch. Wir müssen sehen, die privaten Standards sind ein Kind des Neoliberalismus, und der hat in seiner dogmatischen Form den Zenit überschritten. Diejenigen, die die Freiheit der Konzerne so hochgehalten haben, sehen mehr und mehr, dass es für sie auch Regeln geben muss, sonst läuft das Ganze aus dem Ruder. Besonders jetzt, wo einige Krisen der Weltentwicklung so drängend werden. Doch sagen Sie, warum diskutieren wir gerade das jetzt?“

Hermann Lemke schneidet jetzt einen offizielleren Ton an. „Wir sind genau da gelandet, wo wir mit Ihnen zusammenarbeiten möchten: Eine Studie über die entwicklungspolitische Einschätzung und Machenschaften der freiwilligen Nachhaltigkeitsstandards.“ Peter Möller erläutert: „Ulrich, wir haben in Afrika sowohl auf den ökologischen Landbau gesetzt, als auch in einigen Fällen auf konventionell zertifizierte Gemüse- und Früchteproduktion. Das vor allem in Kenia. Ein Projekt dieser Art, in das wir viel investiert haben, ist gerade leider mit Ach und Krach gescheitert. Eine Erzeugergemeinschaft von 400 Bauern hat plötzlich unter fadenscheinigen Gründen ihre Zertifizierung verloren. Der bisherige Agrarexporteur nimmt keine Ware mehr von denen an. Die Leute stehen vor dem Aus. Viele Tonnen Okra, Zuckererbsen und Pfeffer verrotten auf dem Feld und unter freiem Himmel, denn einen einheimischen Markt gibt es nicht. Es sind reine Exportprodukte. Wir sind ratlos.“

Frau Beneke hakt nach. „Was wir brauchen ist keine Projektevaluierung. Was wir wollen ist verstehen; verstehen Sie. Wir wollen wissen, was hat es mit all diesen Standards und der Zertifizierung wirklich auf sich? Nutzen sie den armen Kleinbauern im Süden, oder wenden sie sich gegen jede Art der Kleinerzeuger, in der Landwirtschaft, im Lebensmittelgewerbe, bei den Händlern?“

Frau Dr. Beneke führt des Weiteren aus, dass FOOD FOR ALL sich über 20 Jahre für die Bio- und Fairtrade-Zertifizierung stark gemacht habe. Sie haben bisher an Labels und ihre Verifizierung geglaubt. Doch jetzt sähen sie, dass sich das auch gegen ihre Ziele der Armutsbekämpfung wenden könnte. „Wir möchten Sie bitten uns bei der Einschätzung zu helfen: Ist nur Ökofair ein guter Nachhaltigkeitslabel? Ist das Bekenntnis des Agrobusiness zu Nachhaltigkeit nur ein Verkaufsschlager, oder läutet es eine andere Entwicklung ein?“

Peter führt den Faden fort. Ihre skeptische Haltung zu den Nachhaltigkeitslabels kämme auch bei vielen ihrer befreundeten NGOs nicht gut an. Viele Entwicklungs- und Umweltorganisationen arbeiteten eng mit Standardorganisationen eng zusammen. Sie profitierten von dem Geschäft, müssten dafür aber auch viele Kompromisse eingehen. Sie selbst als FOOD FOR ALL hätten auch mitgemacht. Wie sehr sie die Fairtrade-Bewegung unterstützt hätten! Können wir so weitermachen, das fragten sie sich jetzt.“

Ulrich wird es jetzt doch ein wenig schummrig, denn die Anforderung an so eine Studie gingen weit über eine konkrete Situationsbeobachtung hinaus. Das sei eine theoretische Fragestellung, an der viele Wissenschaftler und viele namhafte Organisationen herumknapsen. Sie könnten dann nicht erwarten, dass er als Einzelperson mit einer einzigen kleinen Studie Aufschluss bringen kann.

Lemke meinte, das sei es doch. Sie wollten, dass Ulrich sie auf den Stand der internationalen Diskussion hieve. Sie wollten wissen was sich in diesem Bereich tut. Wo liegen die Knackpunkte? Wer sind die zentralen Akteure? Wo laufen die Dinge aus dem Ruder? Wo bündeln sich Aktivitäten?

Ulrich lässt nicht locker. Die Erwartungen seien weitaus größer als erwartet. Damit er ihnen auch nur etwas einigermaßen Fundiertes liefern könne, müssten Sie eine Ausschreibung vorlegen, die nicht von Pappe sei. Er denke mindestens an einen Vertrag von einem halben Jahr mit erheblichen Spesengeldern für Auslandsaufenthalte, Honorare für Informanten und eine großzügige Übernahme weiterer Sachkosten.

Jetzt bringt Lemke seine Rolle als Abteilungsleiter ins Spiel. Er verweist auf Möller. Peter solle mit Herrn Dambrot diese Formsachen bilateral klären, dafür könnten die beiden das Gespräch allein fortführen. Sie müssten eine Ausschreibung, einen Vertrag und die konkreten praktischen Bedingungen entwerfen. Das sagt er nicht ohne die Mahnung, nicht über das Ziel hinaus zu schießen. Es gäbe eine Obergrenze für die Finanzierung, Peter wisse das.

Frau Dr. Beneke muss zu den formalen Dingen auch noch etwas beitragen. Sie ermahnt Möller und Lemke, dass zwei Gegenangebote nötig seien. „Denkt Euch was aus, dass wir mit guter Begründung dem Angebot von Herrn Dr. Dambrot den Zuschlag geben können. Kollegen, Herr Dambrot, auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit!“

Frau Dr. Beneke und Herr Lemke verlassen den Raum. Peter: „Komm, Ulrich, Du bist zum Mittagessen in unsere Kantine eingeladen. Ist zwar nicht das dollste Essen, aber man wird satt. Hast Du anschließend noch Zeit, dass wir an der Sache weiterstricken und sie in trockene Tücher wickeln können?“

Nach dem Essen fragt Peter Ulrich, als sie von der Kantine des Hauses zu seinem Büro marschierten, ob es ihm geschmeckt habe. „An Kaiserschmarren kann man nicht viel verkehrt machen.“ „Meine Kohlroulade war recht gut gelungen. Das kann man nicht immer von dem Essen unserer Kantine sagen.“ Am Ziel angekommen, öffnet Peter eine Tür. „So, hier ist mein Büro. Herein marschiert. Ich hoffe, Du bringst gut Zeit mit, Ulrich. Wir haben eine Menge zu besprechen.“ „Kein Problem, ich bin darauf eingestellt. Schließlich ist es auch in meinem Interesse, dass wir noch heute Nägel mit Köpfen machen.“

Einen Vertragsentwurf mit einer Aufgabenbeschreibung hatte Peter schon vorbereitet. Ulrich nimmt mit Freude zur Kenntnis, dass genügend Zeit für die Recherche und zum Schreiben der Studie vorgesehen ist. Das Honorar wurde pro Tag festgelegt, und die Spesen für die Afrikareise und weitere dienstliche Reisen sollten ausreichen. An Kosten für Impfung, Aufwandsentschädigung, Materialkosten, Versicherung, an alles war gedacht, richtig professionell gemacht, fand Ulrich. Selbst für „Informationsbeschaffung“ war ein Posten vorgesehen. „Was ist damit gemeint?“ fragt Ulrich, „Kann ich damit auch potentielle Informanten schmieren?“ „So was Ähnliches. Du musst es nur vornehmer ausdrücken. Und einen Empfänger mit Namen und Unterschrift brauchen wir auch, um es abzurechnen.“ Ulrich war zufrieden.

Eine längere Diskussion gibt es über die Frage nach den Verwertungsrechten. Ulrich will sich die Chance offenhalten, zu dem Thema unter Verwertung der Rechercheergebnisse eine eigenständige Veröffentlichung herauszubringen. Man einigt sich darauf, dass die Erstverwertungsrechte bei FOOD FOR ALL liegen, dann aber Ulrich sein eigenes Buch schreiben kann, vorausgesetzt er verwendet keine internen Informationen mit einem Bezug zu FOOD FOR ALL und seinen lokalen Partnern. Die Vereinbarung sollte vertraglich geregelt werden.

Ulrich fragt nach einem Empfehlungsschreiben, um sich Gesprächspartnern gegenüber auszuweisen. „Das kannst Du gerne haben. Aber es hat keinen großen Wert, um damit Türen zu öffnen. Höchstens gegenüber NGOs mag es helfen, die keine guten Erfahrungen mit Journalisten gemacht haben. Du kommst von uns und nicht von den Medien. Ansonsten würde ich Dir raten, dich als Autor eines Buches auszugeben, der auf eigene Faust recherchiert. Das wäre das Neutralste.“ Als Buchautor? Da ist was dran, denn schließlich wäre es nicht das erste Buch, das ich schreibe, denkt sich Ulrich.

Die Aufgabenbeschreibung ist recht allgemein gehalten. Was genau FOOD FOR ALL untersucht haben will, welche Leitfragen der Studienarbeit zugrunde liegen, geht daraus nicht wirklich hervor. Doch Peter beschwichtigt Ulrich. „Schau her, das kann nur in Deinem eigenen Interesse sein. Damit hast Du eine größere Freiheit. Du kannst noch jederzeit Deine eigenen Schwerpunkte setzen und flexibel auf neue Aspekte und Herausforderungen eingehen, die Du während der Arbeit entdeckst. Ich habe hier im Hause die alleinige Zuständigkeit für das Projekt. Wichtig ist, dass wir beide uns abstimmen. Du legst mir einen monatlichen Arbeitsplan vor, den ich gegenzeichne. Wenn Du davon gravierend abweichen willst, informierst Du mich. Ist das für Dich so okay.“ „Total okay, wir kennen uns ja und vertrauen uns.“

Schwierig erweist sich der Punkt, den schon Hermann Lemke angesprochen hatte: Wie kommen wir zu den geforderten zwei konkurrierenden Gegenangeboten und gehen sicher, dass die Konkurrenten nicht zum Zuge kommen? Peter erklärt, dass die Entscheidung, wer den Zuschlag bekommt, das Team der drei Leute von heute Morgen fällt. Aber unser Verwaltungsleiter hat ein wichtiges Wörtchen mitzureden, besonders hinsichtlich der Aufgabenbeschreibung. „Wir müssen Freunde finden, die mitbieten können, es aber nicht nötig haben“, so gehen die beiden auf die Suche nach möglichen Mitanbietern, denen sie vertrauen können. Ulrich will Uwe Meier ansprechen, der bestimmt bereit ist mitzuspielen, aber sich dann durch überhöhte Honorarforderungen disqualifiziert. Peter kommt auf einen Bekannten aus dem deutschen Agrarbündnis, der ihm noch einen Gefallen schuldig ist. Den wollen sie am Fehlen der nötigen Qualifikation scheitern lassen.

Ulrich will wissen, wie er konkret in Uganda und Kenia vorgehen soll. „Gut, dass Du danach fragst, denn das ist ganz wichtig. Wir haben uns gedacht, dass Du eine einflussreiche lokale Partnerorganisation brauchst. Die soll Dir ein Programm vorschlagen. Sie soll für Dich die Interviewpartner raussuchen. Da braucht es schon Ortskenntnisse und Kontakte. Es geht darum, konkrete Ansprechpersonen in den Institutionen zu finden. Es braucht auch inhaltliche Kenntnisse, um darüber zu entscheiden, mit welchen Organisationen Du Kontakt aufnehmen solltest und welche Projekte Du besuchen könntest, oder was Du besichtigen solltest. Wir dachten für Uganda wäre es am besten, wenn wir eine Verbraucherorganisation darum bitten würden. Schließlich soll doch der ganze Zertifizierungskram vor allem den Verbrauchern nützen. Die wollen doch schließlich wissen, wie die Lebensmittel, die sie kaufen, produziert wurden.“

„Was für eine Verbraucherorganisation? Gibt es die in Afrika überhaupt?“ „Ja klar, auch dort haben Verbraucher Interessen und setzen sich für sie ein. Ich habe da schon was in die Wege geleitet. Wir fördern CI, Consumers´ International. Deren Mitgliedsorganisation in Uganda ist CC, Consumers´ Choice. Auf einer internationalen Konferenz habe ich vor kurzem Todd Benson kennengelernt. Er leitet CC. Wir haben Erkundigungen über CC und Todd eingeholt. Das hat uns überzeugt. Todd Benson ist die richtige Person für die Programmgestaltung. Er hat eingewilligt zu helfen und stellt Dir einen jungen Mitarbeiter zur Seite, der gut informiert ist und Dich überall hinbegleitet. Was sagst Du dazu?“

„Das klingt doch phantastisch. Aber sein Programm sollte nur als Vorschlag verstanden wissen. Unter Umständen komme ich auf ganz andere Ideen und will noch mit Leuten Kontakt aufnehmen, die er nicht bedacht hat. Zum Beispiel möchte ich nicht nur mit Leuten in der Wirtschaft, Regierung und von den NGOs sprechen, sondern auch in Kontakt kommen mit Betroffenen, den einfachen Bauern. Sowohl die, die erfolgreich sind mit der Zertifizierung, als auch die, die daran gescheitert sind. Ich weiß nicht, ob dieser Todd auch einen solchen Schwerpunkt setzen würde.“ „Ich glaube schon. Aber das kann man doch als Wunsch an ihn herantragen. Möglichst früh übrigens, dass er sich Gedanken machen kann, wie man das umsetzt. Übrigens, Todd Benson bekommt für seine Koordinationsaufgabe eine ansehnliche Stange Geld. Da kann man ihn schon fordern.“ Ulrich denkt sich, hoffentlich ist dieser Benson sein Geld auch wert.

Nachdem auch das geklärt ist, denkt Ulrich schon, jetzt seien sie durch. Doch dann wurde Peter auf einmal sehr ernsthaft. „Da ist noch etwas, das ich ansprechen muss, was Du wissen solltest, obwohl es Dich wahrscheinlich nicht direkt betrifft. Ein sehr guter, sogenannter „Langzeitpartner“ von FOOD FOR ALL ist die Biolandbaubewegung Ugandas, Nogamu. Wir haben ihre Gründung mit gefördert, finanzieren ihre Beratungs- und Bildungsarbeit und unterstützen sie wo es nur geht. Zum Beispiel haben wir es geschafft zu vermittelt, dass Fiona Nampijja, die Leiterin von Nogamu, im letzten Jahr von dem UNFSS nach Rom eingeladen wurde. Nogamu hat als einzige NGO vor diesem UN-Gremium eine Rede halten dürfen. Doch das scheint ihr nicht gut bekommen zu sein. Einige Zeit nach ihrer Rückkehr war sie plötzlich spurlos verschwunden. Verrückter Weise auch noch in Kenia, wo sie gerade einen Fortbildungskurs mitgemacht hat. Man hat ihre Leiche mit 5 Messerstichen im Leib in einem Slum von Nairobi gefunden. Die Polizei hat den Fall eindeutig als Mord eingestuft. Einen Beschuldigten gibt es bisher nicht.“

Ulrich bleibt die Spucke weg. Mit einer solchen Komplikation hatte er nicht gerechnet. Recht zurückhaltend will Ulrich wissen, wieso Peter denn glaubt, dass der Mordfall Einfluss auf seine Studienarbeit haben könnte.

---ENDE DER LESEPROBE---