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Nacht ohne Wiederkehr ist eine Grusel sowie Horror Serie, die mit jeweils 13 Kurzgeschichten zeigt, in welch mannigfaltiger Art sich das Böse auf die Lauer legt um das Gute in seinen Bann zu ziehen. So werden immer neue Geschichten erzählt, die an Vielfalt nichts offen lassen. So werden mal die Menschen dank eines Buches ins Chaos gestürzt. Vergessen alles um sich herum und leben in einer Fantasiewelt. Ein anderes Mal wird einem Blogger der Garaus gemacht und das nur, weil er zu viel in seinem Element, dem Internet verbringt. Bei einer weiteren Geschichte wird einem Architekt über die Zeit bewusst, dass die Welt vor ihm an der Wand, in Form eines Bildes, so viel mehr bietet, als das, was das bloße Auge zu sehen vermag. Diese sowie zehn weitere Geschichten warten darauf, gelesen zu werden. Durch seine unbändige Art der Fantasie schreibt Stephen Red immer wieder neue Geschichten auf und erzählt diese nach und nach in seinen Büchern.
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Seitenzahl: 312
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Stephen Red
Nacht ohne Wiederkehr - Band 1
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Über den Autor und Danksagung
Buch 17
Zu vermieten
Wie Hunde
Von dunkler Macht
Julie
Manhattan
Der Blogger
Herbstmond
Nicks Mutprobe
Paige in der großen Stadt
The Cry
Vater und Sohn
Haus am Meer
Vorschau auf Band 2
Impressum neobooks
Die neue Horror Serie »Nacht ohne Wiederkehr« möchte den Leser mitnehmen und ihm zeigen, in welchen Formen, Gestalten wie auch Situationen es Horror zu erleben gibt. Mit diesem ersten Band beginnt nun die Serie. Lest über die Abgründe menschlichen Denkens, genauso wie über die Ziele einzelner Objekte. So verführt ein Buch die Menschen dazu, alles um sich herum auszublenden und in die Geschichte vor sich komplett einzutauchen. Ein anderes Mal zeigt sich ein Bürokomplex von seiner bösen Seite. Aber ist es wirklich nur ein Haus oder doch viel mehr? Und ein paar Geschichten später findet eine Familie endlich den gewünschten Rückzugsort vor der Gesellschaft, aber ist sie wirklich so allein, wie sie glaubt? Diese und viele weitere Geschichten finden sich in diesem ersten Band der Serie. Lasst euch.
Stephen Red, geboren 1973, ist ein Autor, der in den Genres Horror, Fantasy, Thriller sowie Mystery zuhause ist. Durch seine unbändige Fantasie wird er mit immer neuen Geschichten zeigen, was in diesem Bereich alles möglich ist. Seit vielen Jahren verfasst er Kurzgeschichten und Romane, welche nun nach und nach veröffentlicht werden. Mit diesem ersten Band seiner Horror Serie »Nacht ohne Wiederkehr« zeigt er auf, wie vielfältig doch Grusel, sowie Horror Geschichten sein können. Es wird von klassischen Themen Bereichen Geschichten geben, genauso wie von Bereichen, die mal so ganz anders sind.
Es war ihr Hochzeitstag. Hank und Erika waren bereits seit über zwanzig Jahren ein glückliches Paar. Immer noch sorgten sie sich liebevoll umeinander. Die gemeinsamen Kinder hießen Paula und Philipp. Ihre Tochter war neun Jahre, ihr Sohn elf. Sie galten als die klassische Vorzeigefamilie. Ein schönes Haus, zwei gute Jobs, verheiratet, zwei Kinder, einen Familienhund namens Rusty und auch sonst schien das Leben, was sie führten, perfekt zu sein. Aber so war es nicht immer.
Sie erinnerten sich gemeinsam an jenen Tag in ihrer Vergangenheit, der alles verändern sollte, was sie sich bis dato im Leben aufgebaut hatten. Es war der 17.09.2013. Dieser Tag begann, wie jeder Tag zuvor in der Woche. Es war morgens um halb sieben und der Wecke klingelte. Hank griff nach ihm und er verstummte. Kurz darauf stieg er aus dem Bett, streckte sich und machte ein paar Lockerungsübungen. Guten-Morgen-Yoga nannte er es selbst. Dann ging er ins Bad, machte sich frisch und verließ dieses nach gut zehn Minuten wieder. Anschließend taperte er in die Küche, setzte Kaffee auf und toastete sich zwei Scheiben von dem leckeren Vollkorntoast, den sie immer vorrätig hatten. Er stellte Wurst und Käse raus, nahm sich einen Teller, dazu ein Messer und erwartete jeden Moment das Klicken des Toasters, was besagte, dass jener fertig wäre. Klick, da war‘s. Hank schmierte sich die beiden Scheiben mit Käse und aß sie sogleich auf. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch eine viertel Stunde Zeit hatte, bis er los musste ins Büro.
Hank war Bankangestellter in der Kreditbank am Ort. Er war der richtige Mann, wenn es darum ging, Grundstücksspekulationen abzuwickeln. Der Job ernährte die Familie und beschäftigte ihn montags bis freitags, täglich für acht Stunden. Auf einer Skala von eins für fantastisch bis zehn für absolut mies, erfüllte ihn dieser Job mit einer guten Zwei. Was bedeutete, es gab noch ein wenig Luft nach oben. Sein Leben war gut durchgeplant.
Seine Frau Erika war damals Sachbearbeiterin bei einem Discounter. Diesen Job führte sie halbtags aus, da sie sich in der restlichen Zeit des Tages um ihre Kinder kümmerte. Für sie hieß es, jeden Morgen das gleiche Ritual abzuarbeiten. Aufstehen, sich mit den Kindern um die Nutzung des Bades streiten, anziehen, den Kindern Brote für die Schule schmieren und in ihre Ranzen packen, schon ein erstes Telefonat mit der Arbeitsstelle führen, was für heute so anlag, dann die Kinder zur Schule fahren und anschließend ging es ins Büro. Viel Zeit für Privatsphäre gab es da nicht. Alles lief seinen gewohnten Gang, tagein, tagaus, tagein und tagaus. Es fühlte sich an wie das Atmen als solches. Es gab keinerlei Spannung mehr im Alltagsgeschehen. Das Leben verkam zum routinierten Abarbeiten von Subroutinen im globalen Triebwerk der Maschinerie namens Arbeitskreislauf.
Eines Tages kam Hank eine Stunde früher von der Arbeit nach Hause. Wie immer parkte er seinen Wagen neben dem seiner Frau exakt in der aufgemalten Parkbucht vor dem Carport. Wie immer legte er zwanzig Schritte zurück auf dem Weg vom Auto zur Eingangstür und wie immer klingelte er nicht, sondern schloss die Tür auf, zog sich die Schuhe aus, die Pantoffeln an und hängte seinen Schlüssel in den Schlüsselkasten, legte die Jacke ab, hängte sie am dafür vorgesehenen Kleiderhaken auf, räusperte sich einmal, damit Erika wusste, dass ihr Mann, zu Hause war, und trat ein in den Wohnraum. Aber heute war es anders. Erika stand nicht da, um ihn zu bejubeln, dass er wieder einmal den Tag in der Bank geschafft hatte. Erika stand auch nicht da zum Rapport, um zu berichten, was sie in der Küche wieder für Köstlichkeiten für das Allgemeinwohl gezaubert hatte, damit sie die Laune der Kinder und die ihres Mannes erhöhen konnte, und Erika stand ebenfalls nicht da, um ihn daran zu erinnern, was er für morgen noch alles vorbereiten müsse, denn morgen war der Geburtstag seines Vaters, welcher jedoch vor drei Monaten das Zeitliche gesegnet hatte. Hank wirkte verstört. Etwas durchbrach sein routiniertes Muster. Plötzlich wusste er mit sich nichts mehr anzufangen. Sollte er jetzt in die Küche gehen und sich schon mal hinsetzen und warten, bis Erika auftischte? Sollte er ins Wohnzimmer gehen und dort den Fernseher anschalten, um aus Protest Sport zu schauen, was er ja eigentlich nicht tat, denn er ordnete sich seiner Frau völlig unter und diese verabscheute den Sport, weswegen er, seit sie sich kannten, zur Gänze darauf verzichtete. Oder sollte er einfach nach oben gehen, sich aufs Bett legen und die weiß gestrichene Decke anstarren, in der Hoffnung, dass seine Frau irgendwann käme, um für ihn die Entscheidung zu treffen, was er als Nächstes tun würde. Er wusste es nicht. Diese Situation gab es so noch nicht, niemals.
Geschlagene fünf Minuten später stand Hank immer noch ratlos im Flur. Er verzog den Mund zu einem Flunsch, wägte die Möglichkeiten für die drei zuvor genannten Varianten ab und entschloss sich für die Dritte. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er, Hank Miller, eigenständig eine Entscheidung getroffen. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, fühlte er sich gut, fühlte sich als Mann, fühlte sich stark. Er war ein Entscheidungsträger, ein Businessman, ein Mann, der wusste, was er wollte! Aber dieser Moment hielt gerade einmal nur zwei Minuten an. Durch die getroffene Entscheidung, nach oben zu gehen und sich auf das gemachte Bett zu legen, setzte er sich nun in Bewegung und stapfte die zedernholzfarbene Treppe empor in den ersten Stock. Das Schlafzimmer lag zu seiner Rechten. Hank vernahm schnaufende Geräusche, ja fast schon stöhnende, könnte man sagen. Was das zu bedeuten hatte, war ihm nicht klar, also setzte er seinen Weg fort und erreichte kurz darauf die Schlafzimmertür. Da er hier zu Hause war, klopfte er natürlich nicht an, sondern öffnete die Tür kurzerhand. Kaum, dass sich die Tür aufschwang, bot sich ihm ein Bild, welches er so nicht erwartet hätte. Da lag seine Frau nackt und breitbeinig auf ihrem gemeinsamen Ehebett und wurde von einem ihm schlichtweg unbekannten Mann gefickt. Er sah, wie die Nippel ihrer Brüste steif waren, erlebte, wie sie einer Katze gleich miaute und es genoss, wie dieser Fremde sie mit seinem Schwanz immer wieder stieß. Hank war völlig überrascht. Um sich ein besseres Bild von der Situation zu machen, setzte er sich auf den Stuhl vor dem Schminkspiegel seiner Frau und schaute dem Treiben weiter zu. Er wollte verstehen, was seine Frau an diesem Mann und an solch einer Situation schätzte. Die beiden fickten weiter, als gäbe es kein Morgen mehr. Zwei Minuten später zog er seinen harten Schwanz aus ihrer Scheide, sie drehte sich um, hockte jetzt auf allen Vieren und er stieß erneut in ihr enges Loch. Nun rammelten sie wie die Kaninchen, fand Hank. Er staunte nicht schlecht, als er sah, wie schnell man den Geschlechtsakt als solchen umsetzen konnte. Seine Frau stöhnte und stöhnte und schließlich rief sie laut: „Ich komme, ich komme, ja, weiter, schneller, ja, gib’s mir, jaaa!!!“ Der Mann folgte ihrem Beispiel und gab ähnliche Worte und Laute von sich. Schließlich brachen beide völlig erschöpft zusammen.
Ein paar Sekunden später erblickte Erika ihren Mann, wie er dort auf dem Flechtstuhl saß und ihnen anscheinend zugeschaut hatte, beim Sex. Ihr schossen tausend Gedanken durch den Kopf, von „Wie gefühlskalt ist er eigentlich, dass er mir dabei zusieht, wie ich mich von einem fremden Mann vögeln lasse?“ über „Wie lange sitzt er da wohl schon? Ich hab gar nicht gemerkt, dass er hereingekommen ist“, bis hin zu „Warum hat er sich nicht aufgeregt? Immerhin hat er mich in flagranti erwischt.“ Aber diese Gedankengänge waren rein hypothetischer Natur, denn Hank war zu solchen Gefühlsregungen gar nicht in der Lage. Walter der Lover seiner Frau zog sich wieder an, grüßte Hank und wünschte ihm noch einen schönen Tag. Dann bedankte er sich bei ihm für seine Frau und entschwand die Treppe hinunter. Kurz darauf hörte man von unten, wie die Tür ins Schloss fiel. Hank sprang auf, schrie seine Frau an und sagte nur: „Du widerst mich an, du Stück Fleisch. Wie kannst du dich in unserem Ehebett von diesem Arsch ficken lassen?“ –„Aber, aber, ich, du, du hast mich so lange ignoriert, du, ich, ich dachte, du liebst mich gar nicht mehr“, stammelte Erika. Da drohte Hank seine Frau mit der geballten Faust und sagte: „Du bist es gar nicht wert, dass ich meine Kraft an deinem Körper vergeude. Du bist Abschaum in meinen Augen.“ Für sie brach eine Welt zusammen. Er hatte sie mit seinen eigenen Augen dabei erwischt, wie sie sich gehen ließ. Was Hank allerdings nicht wusste: Walter kam jeden zweiten Tag zu seiner Frau und vögelte ihr das Hirn aus dem Kopf. Das ging schon gute sechs Monate so. Nie hatte Hank auch nur den Hauch eines Verdachts geschöpft. Stets pünktlich kam er nach Hause. Er war berechenbar wie ein Uhrwerk und genau diesen Umstand nutzte sie für ihr schmutziges Geheimnis. Aber der Zufall hatte sie letztendlich gerichtet.
Tage später noch herrschte Totenstille, wann immer sie aufeinandertrafen. Ob nun beim Frühstück, Mittagessen oder Abendbrot, ja, sogar beim gemeinsamen Fernsehabend sprachen sie kein Wort miteinander. Alles wäre so geblieben, hätte Erika nicht eines Tages dieses Buch mit nach Hause geschleppt. Der Titel wirkte gänzlich langweilig:
„BUCH 17“
stand darauf. Der Umschlag war schwarz und so war der Titel nur schwer zu erkennen, da er ebenfalls in Schwarz mittig auf dem Buchumschlag stand. Schon von Anfang an war sie über dieses Buch verwundert. So schlug sie es auf, um etwas über den Inhalt zu erfahren, denn einen Klappentext mit einer Kurzfassung zur eigentlichen Geschichte gab es nicht. Aber auch innen wurde sie enttäuscht. Es stand dort weder, wer der Autor war, noch der Herausgeber, es gab keine Inhaltsangabe, kein Verlagshaus, keinen Namen eines Illustrators. Schlimmer noch: Seitenzahlen fehlten auch. Erika dachte: „Wie soll ich das Buch denn lesen? Soll ich mir da mit einem Stift ›nen Haken dran machen, wo ich am Abend zuvor mit dem Lesen stehen geblieben bin? Ich verschandel doch nicht mein eigenes Buch!“ So merkwürdig das auch war, es zog sie in ihren Bann. Schon kurze Zeit später las sie in dem Buch. Es war eine tolle Geschichte. Sie handelte von Rittern auf wunderschönen Rössern, von Helden, Schlössern, wilden Kreaturen. Von Frauen, die von ihren Männern einfach genommen wurden, wann immer ihnen der Sinn danach stand. Ja, das wollte sie auch. Dieses Leben gefiel ihr und nicht die Tristesse in ihrem Alltag. So las sie weiter und verlor jegliches Gefühl für die Zeit.
Nach geschätzten dreißig Seiten, die sie gelesen hatte, überkam sie das Bedürfnis, auf‹s Klo zu gehen. Sie legte das Buch umgekehrt auf die Seiten, sodass sie ja sah, wo sie war, wenn sie wiederkehrte. Schnell rannte sie los, wollte sie doch wissen, wie es mit dem Prinzen Caspia weiter ging und ob er ruhmreich aus dem Ritterturnier hervorging. In der Zwischenzeit allerdings kam Hank an dem Buch vorbei. Er nahm es, schlug es zu, suchte nach einem Buchtitel, fand jedoch keinen. Bei genauerer Betrachtung sah er dann, dass sich etwas fein abzeichnete auf der Front.
„BUCH 17“
stand dort schwarz auf Schwarz. „Wer, bitte schön, schreibt denn den Buchtitel so schlecht leserlich vorne drauf?“ Dafür musste es einen Grund geben und Hank wollte ihn wissen. Also schlug er das Buch auf und auch er fand darin keine Angabe eines Autors, eines Herausgebers, kein Inhaltsverzeichnis, geschweige denn Seitenzahlen. Er staunte nicht schlecht, denn so etwas hatte er noch nie gesehen. „Wo konnte man das kaufen? Und was kostete es?“ fragte sich Hank, denn ein Preis stand ebenfalls nicht darauf. „Woher hatte Erika nur wieder dieses merkwürdige Ding?“ Nichtsdestotrotz fing auch er an, in dem Buch zu lesen.
Fantastisch, da stand was von wilden Amazonen, die ihre Männer auf Händen trugen. Ja, genau so ein Leben wünschte er sich. Er wollte der König eines kleinen Harems sein. Und diese Amazonen wurden beschrieben wie die Traumfrauen aus den Katalogen, die er immer auf dem Klo las. Eben Erikas Zeitschriften. Auch er vergaß die Zeit und las bestimmt vier, wenn nicht gar fünf Stunden in dem Buch. Kein Blick zur Uhr, denn dann wäre ihm aufgefallen, dass irgendwas nicht stimmen konnte.
Erika war derweil auf dem Klo. Es schoss nur so zwischen ihren Schenkeln hervor, das Nass. In Sekundenschnelle wischte sie sich sauber, zog ihren Slip wieder hoch, passte ihn den Beinen an und stürzte zum Waschbecken. Hier reinigte sie sich die Hände und sauste zurück ins Wohnzimmer, wo sie das Buch zurückgelassen hatte. Alles war gut, es lag noch genauso, wie sie es zurückgelassen hatte. „Wo ist nur Hank?“, fragte sie sich kurz. „Ach, egal, wo der sich rumtreibt. Hauptsache ist, ich kann lesen“, dachte sie. Und schon war das Buch wieder in ihren Händen und sie setzte die Lesereise fort. Prinz Caspia ritt heran. Er war ein stolzer Ritter mit einem imposanten Herrscherwappen auf dem Schild. Sein Knappe Gisbald schritt hoch erhobenen Hauptes hinterdrein. Er war mit Stolz erfüllt, dass er einem so mutigen wie auch charismatischen und erfahrenen Turnierritter dienen durfte. Erika schmolz dahin. Sie las und las und verlor jegliches Gefühl für ihr Leben.
Nach über zwanzig Stunden Lesen am Stück machte sie kleine Dehnübungen, streckte sich ein wenig, aber schaute weiterhin ins Buch. Dann blätterte sie die Seiten um und merkte, dass nur noch eine Handvoll Seiten bis zum Ende fehlte. Da dachte sie sich: „Das lese ich noch kurz zu Ende und dann schau ich mal, wo Hank geblieben ist. Denn irgendwie ist es viel zu still zu Hause.“ Und so las sie weiter. Seite um Seite kam sie dem Ende näher. Als sie auf der letzten Seite und schon beim Umschlagen angelangt war, riskierte sie einen Blick auf den Deckel des Buches. Da stand auch etwas, wieder in schwarz auf Schwarz. Es war fast so, als wollte jemand nicht, dass man dies dort fand. Aber Erika war eine kluge Frau und so ertastete sie die Buchstaben, als wäre es eine Art Blindenschrift, und tatsächlich, da standen Worte. Da Stand Folgendes:
„BUCH 17 ist zu Ende und dein Leben ist verwirkt“
„Dabei konnte es sich nur um einen Scherz handeln“, dachte Erika. Es gibt keine Bücher, die töten. Sowas gibt es nur in Hollywood. Dennoch war ihr mulmig zumute. Mit der letzten Seite klappte sie das Buch zu und stellte es ins Regal, wo alle ihre gelesen Werke standen. Es reihte sich neben der Bibel zur Rechten und der Grabrede zum Tod von Hanks Vater zur Linken ein. „Ein komischer Platz für so ein Buch“, dachte Erika. „Warum steht denn genau da die Bibel? Ich lese die doch gar nicht. Da hat bestimmt Hank wieder an meiner Ordnung im Regal herumsortiert.“ Sie hakte es damit ab und ging in die Küche. Hier kümmerte sie sich um das Essen, deckte den Tisch und summte freudig ein Lied. Irgendetwas von den Beatles war es wohl. „You say goodbye and I say hello. … Hello hello …” und immer so weiter. Sie liebte die Beatles.
Eine Stunde später wunderte sie sich sehr. Ihr Mann Hank war immer noch nicht da. Dabei war seine Arbeit schon längst beendet. Er musste da sein. Aber auch die Kinder waren nicht da. „Wo stecken die nur wieder? Irgendwann bringen die mich noch ins Grab. Können die nicht wenigstens mal anrufen und sagen, wo sie sind?“ Aber nein, das ging nicht. Jetzt machte sie sich Sorgen. „Vielleicht ist etwas geschehen, in der Zeit, in der ich das Buch gelesen habe“, dachte sie. „Aber was soll da schon groß gewesen sein. Sonderlich dick war das Buch ja nun nicht und ich hab es in einem Rutsch gelesen. Da fehlten höchstens fünf, vielleicht auch sechs Stunden.“
Es waren acht Tage, vier Stunden, sieben Minuten und 23 Sekunden. In dieser Zeit änderte sich alles. Kaum, dass Erika in ihre Welt der Ritter, Drachen und Burgfräulein abtauchte, brach in der Straße das Chaos aus. Überall lasen die Menschen, sitzend, gehend, stehend sowie liegend dieses Buch. Es war wie eine Epidemie, die sich rasch ausbreitete. Zuerst fiel es gar nicht so auf. Man sah vereinzelt Menschen hier und da mit diesem Buch. Mal sitzend auf der Parkbank, mal stehend am Postschalter. Aber schon am nächsten Tag nahm das Phänomen stetig zu. Die Gruppe der Lesenden hatte sich über Nacht vervielfältigt. Mittlerweile fuhr der Schulbus nicht mehr, weil auch der Fahrer vom Lesefieber durch dieses Buch besessen war. Er vergaß schlichtweg seinen Job. Hinten am Ende der Straße brach ein Feuer aus. Aber die Feuerwehr kam nicht. Der Löschzug stand an der Ampel, und während sie dort so warteten, lasen sie das Buch und verharrten. Das Feuer entzog sich völlig ihrer Realität. Das Buch breitete sich aus. Einem Virus gleich steckte einer den anderen an. Kaum, dass einer lesend an einem nicht Lesenden vorbei kam, verdoppelte sich das Buch und schon hielt auch er eines in Händen.
Am dritten Tag brannten am Ende der Straße bereits drei Häuser. Denn auch die Nachbarn lasen lieber das Buch, als sich um den Brand zu kümmern. Es gab die ersten Opfer zu beklagen. Im örtlichen Krankenhaus legte der Chirurg während der Operation am offenen Herzen das Skalpell beiseite und las dieses Buch. Keine fünf Minuten später saß das ganze OP-Team auf der Bank in der Ecke und vertiefte sich ins Buch. Der Patient verstarb innerhalb weniger Minuten. Der Arzt lachte, weil er etwas Lustiges las, die Oberschwester weinte, denn ihre Geschichte war traurig, und die anderen knufften sich ob der Tatsache, dass ihr Buch so toll war. Vor dem Haus von Hank und Erika lag ein Toter auf der Straße. Niemand kümmerte sich um ihn. Keiner würdigte ihn auch nur eines Blickes. Wie konnten sie auch, denn sie steckten bis über beide Ohren in ihren Büchern. Das Buch zog sie in seinen Bann. Da kam ein Polizeiwagen die Straße herauf. Er bremste hart und stoppte, weil sich eine Leiche um die Vorderachse des Wagens gewickelt hatte. Die Polizisten stiegen aus und sprachen Hank an. „Sie haben einen Einbrecher gemeldet?“ „Ja“, antwortete Hank. „Er hat versucht, uns das Buch zu stehlen.“ Hank musste gar nicht sagen, um welches Buch es sich handelte. Die Polizei wusste sofort Bescheid. Sie schnappten sich den Einbrecher und erschossen ihn auf der Stelle. Einer der beiden Polizisten las von Billy the Kid und fühlte sich wie eben dieser. Und so erschoss er alles, was ihm einen Grund lieferte.
Am vierten Tag war die Straße bereits von zwei Dutzend Leichen gesäumt. Hunde liefen herrenlos durch die Gegend. Autos standen willkürlich geparkt auf den Bordsteinen oder blieben gleich gänzlich auf der Straße stehen. Es war das pure Chaos ausgebrochen. Plötzlich überflog die Siedlung ein Jumbo im Tiefflug. Kurz darauf sah man am Horizont einen Feuerball aufsteigen. Der Pilot hatte eine kurze Pause gemacht und sich das Buch von seinem Copiloten genommen. Darin stand, dass er auf einer Südseeinsel sei, in bis zum Boden durchscheinendem blauem Meereswasser schwamm und sich anschließend die Sonne auf den Bauch scheinen ließ. Und so rührte er den Schaltknüppel im Flugzeug nicht mehr an. Aber auch hinten im Passagierbereich saßen alle Passagiere und lasen dieses Buch. Egal, ob Oma, Opa, Mutter, Vater, Kind, Frau, Mann, Jugendliche, Kleinkind: Jeder hatte dieses Buch in Händen und las.
Am fünften Tag war die Zahl der Opfer auf weit über 50.000 geklettert. Morde standen auf der Tagesordnung. Jeder war bereit zu töten, nur um das Buch weiterzulesen. Auch Hanks Nachbar musste dran glauben. Sein Buch wurde von dem Einbrecher geklaut und von der Polizei als Beweisstück beschlagnahmt. Und so ging Hank kurzerhand zum Nachbarn, brach dort ins Haus ein, überraschte die Familie beim Essen, erschoss sie allesamt und klaute ihnen das Buch aus dem Schrank. Die ganze Familie hatte sich vehement dagegen gewehrt, dieses Buch zu lesen. Schließlich hat es sie dennoch getötet, wenn auch nur indirekt. Im ganzen Land war der Notstand ausgebrochen. Der Gouverneur hatte das Kriegsrecht verhängt, was allerdings nicht viel half, denn auch die Soldaten wurden von dem B-17 Virus, wie das Buch mittlerweile genannt wurde, befallen. Und so erschossen sie sich gegenseitig, nur um an das Buch zu kommen. Es gab Plünderungen, Jugendliche, die mordend durch die Straßen zogen, Polizisten, die einfach grundlos Leute niederschossen, weil sie gesehen hatten, wie einer dem anderen das Buch stehlen wollte. Weit und breit lagen zerfetzte Leichen herum, weil jeder über sie rüber lief oder sie gar noch nach Informationen auf das Buch durchsuchte. Dabei war keiner zimperlich. Schnell wurde mal ein Arm abgetrennt, weil sich etwas in der Armbeuge verdächtig anfühlte. Es wurde mehr und mehr geschlachtet. Jedes Gefühl von Reue wich einem entsetzlichen Durst nach dem B-17 Virus.
Am sechsten Tag wurde die ganze Stadt hermetisch abgeriegelt und zum Seuchenherd erklärt. Hier soll laut Wissenschaftlern der B-17 Virus ausgebrochen sein. Wer allerdings das Buch zum ersten Mal in Händen hielt, war unklar. Militärpatrouillen fuhren alle halbe Stunde die Straßen ab und beobachteten, wo sich der fiese Mob sammelte. Fanden sie eine solche Anhäufung, wurde gnadenlos in die Menge geschossen. Es durfte nicht riskiert werden, dass der B-17 Virus sich neue Wirte suchen konnte. Zu Anfang erschossen sie nur Gruppen, die mehr als dreißig Mitglieder zählten. Mittlerweile waren sie bei Gruppen von unter zehn angelangt. Um die Seuche einzudämmen, reichte ihnen jedes Mittel. Mal wurden die Infizierten niedergebrannt, mal enthauptet, oder ihnen wurden die Arme abgeschlagen. Aber auch ohne Arme waren sie noch in der Lage zu lesen. Und so kam die Wissenschaft zu Hilfe. Es wurde ein Anti-Impfstoff entwickelt. Das sogenannte Anti Buch 17. Kurz gesagt, das
„AB 17“, wurde geschrieben. Darin stand die durchlebte Geschichte der letzten Tage, rückwärts erzählt. Von der Hölle der Selbstjustiz, über das Töten mittels Panzergranaten, die auf Menschentrauben abgefeuert wurden, bis hin zu plündernden und mordenden Jugendgangs, die die Nachbarschaft dezimierten. Es wurde alles haarklein erzählt. Quasi wurde die Geschichte auf den Anfang zurückgeschrieben. Erste Versuche unter Beobachtung zeigten schon Erfolge. Die Menschen entwickelten wieder normale Gewohnheiten. Ja, es gab sogar welche, die dem B-17 Virus entsagten und wieder ein normales Leben aufnahmen. Aber die Masse war immer noch infiziert. Und der B-17 Virus ergriff nicht nur ganz Amerika. Durch Geschäftsreisende verbreitete sich die Seuche auch nach Europa, Asien, wie auch in der ganzen Welt. Sie erreichte jeden Zipfel. Sogar auf der ISS wurde das Buch gelesen. Weshalb die ersten zwei Astronauten der Endlosigkeit des Raumes entgegenschwebten. Sie entstiegen der Raumstation und entsicherten die Verbindung zur ihr.
Am siebten Tag stellten sich endlich erste Erfolge ein. Es wurden öffentliche Bücherverbrennungen angeordnet. Mehr und mehr dieser Bücher fanden den Weg in das Feuer. Um die Infizierten von ihrer Nahrung, dem B-17 Virus, zu trennen, mussten sie interniert werden. Die Stadt, in der Hank und Erika lebten, zeigte sich mittlerweile von oben wie ein Militärlager mit einem großen Internierungslager. Dort standen zahlreiche Baracken, ein Teich war angelegt worden zum Baden, und jegliche Gegenstände, welche ein Verletzungsrisiko bargen, wurden ihnen abgenommen, teilweise auch die Uhren, Brillen, Hörgeräte und Zahnprothesen.
Die Versuche glückten, der Virus wurde zum ersten Mal besiegt. Als feststand, dass dies möglich war, starteten die Flugzeuge. Mittels B-52-Bombern wurde das AB-17 über den Menschen abgeworfen. Mehr und mehr stellte sich die Normalität wieder ein. Das Militär entsorgte die Leichen und verbrannte sie in den Lagern, die ja nun nicht mehr nötig waren. Die Straßen wurden gereinigt von all dem Blut, den herumliegen Augen, Zähnen und Extremitäten. Es kehrte wieder Ordnung ein.
Am achten Tag war alles wie zuvor. Hank und die Kinder spielten im Garten, als Erika völlig entkräftet vom Lesen des Buches in den Garten kam und sagte: „Ach Hank, du musst mal das Buch lesen, es wird dich in seinen Bann ziehen, glaub‘s mir!“ Und so warf Hank einen Blick in das Buch – und es begann von vorne.
Wie an jedem 1. eines Monats fuhr Timothy auch heute wieder hinaus zu dem alten Anwesen. Von Beruf war er Makler, doch das Geschäft lief schlecht. Nicht nur, dass ihm sein Boss den Verkauf des alten Loraine-Herrenhauses aufs Auge gedrückt hatte, nein, auch seine Frau Rosetta machte ihm das Leben schwer. Schon oft dachte er an Scheidung. Aber nur kurze Zeit später fiel ihm wieder ein, dass er bei einer Scheidung leer ausgehen würde. Also riss er sich zusammen, holte einmal tief Luft und machte einfach so weiter wie bisher. Das war kein schönes Leben, das wusste er. Aber auf die eine oder andere Annehmlichkeit konnte und wollte er trotzdem nicht verzichten. Immer wenn dieses Datum auf dem Kalender näher rückte, wurde seine Frau fast unerträglich zickig. Der Grund war recht einfach, denn mit nur mal kurz hinfahren war es an so einem Tag nicht getan. Schon am Vorabend dieses Besuchstermins packte er seine Sachen. Während er es als wiederkehrendes Ritual akzeptiert hatte, störte es seine Frau immer noch. Auch bemerkte sie jedes Mal eine kleine Veränderung an seinem Verhalten, wenn er von jenem Anwesen heimkehrte.
Am nächsten Morgen parkte er sein Auto aus der Garage aus, lud seinen Reisekoffer in den Kofferraum, küsste seine Frau auf die Stirn und verabschiedete sich mit einer hohlen Phrase à la: „Machs gut Liebes, wir sehen uns ja morgen Abend wieder.“ Und so fuhr er erneut zu diesem mittlerweile auch von ihm verhassten Herrenhaus. Der Weg dahin führte ihn vorbei an zahlreichen Ortschaften. Gute fünf Stunden später stand er erneut in der Toreinfahrt. Zu seiner Linken befand sich eine Tafel des Maklerbüros, für das er tätig war. Darauf stand in Großbuchstaben:
ZU VERKAUFEN – DAS LORAINE-HERRENHAUS
Seit zwei Jahren stand das Schild an jenem Ort. Mittlerweile überwuchert von Moos und Gras. Timothy rechnete nicht mehr damit, dass er das Anwesen jemals verkaufen würde. Auch war ihm die Abgeschiedenheit, in der das Anwesen lag, irgendwie unheimlich. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch drei Stunden Zeit hatte, ehe die Dämmerung einsetzte. Sogleich schloss er das Tor auf und fuhr unter dem Torbogen hindurch. Er überlegte kurz und sagte sich dann: „Ach was, warum soll ich aussteigen und das Tor schließen, kommt doch eh keiner.“ Und so fuhr er weiter die lange Auffahrt zum Anwesen hoch. Das Haus lag gut eine Meile entfernt von der Straße. Die Auffahrt schlängelte sich um die Ausläufer eines kleinen Sees und durchquerte ein Waldstück. Wie immer fuhr er mit dem Wagen drei Viertel des Rondells herum, bevor er stehen blieb. So hatte er das Haus in seinem Rücken.
Er stieg aus, holte einen Kugelschreiber aus seiner Weste und notierte die genaue Zeit, wann er beim Anwesen eingetroffen war. Sein Chef Jack Walter war in diesen Dingen immer sehr penibel. Und einen Grund zur Ermahnung wollte Timothy ihm nicht liefern. Nach dem Protokoll ging er die Stufen zur Eingangstür empor. Links wie rechts war die mächtige Tür von schwarzen Marmorsäulen flankiert. Timothy holte seinen großen Eisenschlüssel heraus und schloss auf. Er schob beide Flügel der Tür nach innen und betrat die Eingangshalle. Es war ein imposanter Bau. Der Kronleuchter an der Decke mochte gute 15 Fuß über ihm hängen. Immer wieder schaute er ihn an und stellte sich wie in einem billigen Horrorfilm vor, wie dieser auf ihn niederrauschte und er dabei zu Tode kam.
Fünf – vielleicht auch zehn – Minuten verstrichen, während er im Eingangsbereich seine Kontrolle durchführte. Im Haus selbst war er immer sehr wachsam. Es wirkte so sauber, nicht ein Krümelchen Staub lag am Boden, was schon recht ungewöhnlich war. Immerhin stand das Haus seit gut zwei Jahren zum Verkauf. Der Grund für diese penible Sauberkeit war Kimmens, der Butler der ehemaligen Familie, die dort einst lebte. Er achtete noch immer auf das Anwesen, ganz so, als wären sie nie verschwunden, seine Herrschaften.
Wie Timothy so dastand und sein Protokoll ausfüllte, hörte er von draußen ein Geräusch. Schnell packte er seine Sachen zusammen und lief zur Tür. Hier blickte er die große Treppe hinunter und sah ein fremdes Auto vor dem Haus. Da gingen auch schon die Türen auf. Ein Paar mit zwei Jugendlichen entstieg dem Auto. Timothy ging die Stufen hinunter und stellte sich vor. Gestatten Sie, mein Name ist Timothy Wooldridge. Ich bin der aktuelle Verwalter dieses Hauses. Womit kann ich Ihnen denn weiterhelfen? Die Vier schauten ihn musternd an. Da drückte die Frau ihrem Mann den Ellbogen in den Bauch und gab ihm zu verstehen, dass er was sagen sollte. „Hallo, wir sind Familie Maskowkin. Wenn ich uns kurz vorstellen darf: Das sind meine bezaubernde Frau Debora, unsere Tochter Elise, unser Sohn Roger und ich heißen, Sergej.“ Alle verneigten sich ganz höflich und gaben ihm die Hand. Timothy war gleich von Debora angetan. Er dachte sich: „Was für eine schöne Frau. Was macht so eine Frau nur mit einem derartigen Mann?“ Schön war Sergej nicht, dafür wirkte er aber sehr clever, war groß, kräftig und sprach Englisch mit erkennbarem Akzent. Timothy fragte dann: „Interessieren Sie sich für das Haus?“ Sergej trat auf ihn zu und sagte: „Wir wollen mieten Haus. Was willst du haben an Geld?“ Timothy war regelrecht sprachlos. Eigentlich stand es ja zum Verkauf, aber für den Fall der Mietanfrage, gab es ebenfalls ein Angebot. Seit über zwei Jahren fuhr er nun zu diesem Anwesen und nie traf er jemanden. Nun fährt diese nette Familie vor und möchte es mieten. Innerlich begann er zu frohlocken, aber nach außen ließ er sich von seiner Freude nichts anmerken. „Das Haus kostet im Monat 2.800 Dollar. Die Kaution beträgt 5.000 Dollar und ist bei Unterschrift des Mietvertrages sofort zu entrichten.“ Roger spuckte auf den Boden und sagte laut: „Du zockst uns ab, alter Mann, wer bist du?“ Sergej stellte sich vor ihn und entschuldigte sich bei Timothy für das Verhalten seines Sohnes. Dann sagte er streng: „Roger, steig wieder ins Auto und sei still!“ Dieser fuchtelte nur wild mit den Händen, schimpfte etwas Unverständliches auf Russisch und gehorchte schließlich. Sergej griff in seine Jackentasche und holte eine Rolle Geld hervor. Er trug immer 5.000 Dollar mit einem Gummiband darum in der Hosentasche. Timothy schaute ihn nur mit offenem Mund an. Dann sagte er: „Äh, Sie haben es bar dabei?“ Darauf entgegnete ihm Sergej: „Ja, macht Zahlen schnell und besser.“ – „Stimmt genau“, bestätigte Timothy. Er nahm das Geld, stellte Sergej eine Quittung aus, holte einen Mietvertrag-Vordruck aus seinem Auto und füllte diesen ebenfalls aus. Zum Schluss wandte er sich an das Paar: „Sind Sie beide Mieter oder nur einer von Ihnen?“ Beide nickten zwar, doch dann sagte Sergej: „Ich Mann, ich Mieter. Frauen können das nix machen.“ Danach unterschrieb er. Timothy riss das zweite Dokument dahinter ab, auf welches die Daten, sowie die Unterschrift durchgepaust wurden, und gab beiden die Hand. Dann kramte er die Schlüssel aus seinem Auto hervor und übergab sie. Schließlich sagte er: „Ich wünsche Ihnen viel Freude mit Ihrem neuen Haus.
„Wie sieht es aus: Haben Sie noch Fragen bezüglich des Hauses?“ Debora schaute Timothy schräg von der Seite an und sagte ganz lapidar: „Wir finden uns schon zurecht. Wenn wir noch Fragen an Sie haben, rufen wir an. Sie haben doch bestimmt eine Visitenkarte dabei, stimmt‘s?“ Timothy war innerlich immer noch am Feiern, ob der Vermittlung des Herrenhauses und antwortete etwas abwesend: „Ja, hole ich und bekommen Sie.“ Nach der Übergabe seiner Karte sagte er: „Hiermit sind die Formalitäten erledigt. Das Haus ist nun an Sie vermietet und meine Arbeit ist getan.“ Timothy fiel spürbar ein Stein vom Herzen. Er verabschiedete sich, wünschte ihnen noch alles Gute und stieg in sein Auto. Kurz darauf fuhr er auch schon die Auffahrt wieder hinauf – wie er hoffte, zum letzten Mal. Oben am Tor angekommen, hielt er kurz an, stieg aus und zog das Maklerschild aus dem Boden. Er legte es in den Kofferraum und stieg wieder ein.
Unterwegs zum Dorf schrie er lauthals im Auto herum: »JAJAJAJAJAJA, ich bin es los, jipeeeeeehhhh!!!!!« Die Kinder im Auto, das ihm gerade entgegen kam, drehten verwundert die Hälse und dachten sicherlich: „So sieht es also aus, wenn man verrückt ist und gleichzeitig Auto fährt.“ Timothy war es allerdings egal, was andere über ihn dachten. Heute wollte er nur noch feiern. Vor dem Motel angekommen, stellte er sein Auto ab und ging sogleich in das angeschlossene Restaurant. Hier bestellte er sich ein großes kühles Bier und ein schönes saftiges Steak. Kurz darauf fragte er die Bedienung, ob sie wohl ein Telefon hätten. Sie sagte nur: „Ja, draußen auf dem Gang, mein Herr.“ Er stand auf, rannte los und sprang schon fast in die Kabine. Zog die Tür zu, wählte die Nummer seiner Frau und prustete ins Telefon. Diese sagte nur: „Timothy hol Luft, was ist denn los mit dir?“ Er atmete zwei-, dreimal tief ein und aus und teilte ihr mit: „Ich bin es los, ich bin es los, ich hab das Loraine-Anwesen vermietet und die Kaution hab ich direkt bar auf die Hand bekommen!“ Seine Frau wollte eigentlich gerade zickig werden, schaltete dann aber einen Gang zurück und fragte fast schon flüsternd: „Du hast was?“ – „DU HAST WAS?“, fragte sie lauter erneut. „Es ist wirklich weg, wir sind dieses Gruselschloss für immer los, ja?!“ – „Ja, mein Engel, wir sind es los. Jetzt kann uns mein Chef gar nichts mehr. Juuuhuuu!“ Mit diesen Worten schloss Timothy das Gespräch und legte auf. Wieder zurück am Tisch, genoss er voller Wonne sein Steak, wie auch sein Bier. Danach ging er aufs Zimmer, schloss ab und legte sich aufs Bett. Der Fernseher zeigte den Wetterbericht für den kommenden Tag. Es sollte regnen, was aber für die Jahreszeit nicht ungewöhnlich war. Timothy war es egal.
Zur selben Zeit zog die Familie Maskowkin in ihr neues Domizil ein. Was Timothy nicht wusste und wohl auch sonst keiner: Die Familie war auf der Flucht. Sie waren gesuchte Mörder. Die ganze Familie war darauf spezialisiert, Auftragsmorde auszuführen. Sergej war der Kopf der Bande. Er war sehr geübt darin, mit nur einem Schuss in den Kopf sofort zu töten. Seine Frau Debora hingegen zog die Metallschlinge von hinten vor und erwürgte ihre Opfer. Ihre Tochter lernte diese Fertigkeit gerade von ihr. Und Roger tötete mit bloßen Händen. Er war körperlich sehr durchtrainiert und liebte es mit anzusehen, wie das Leben allmählich aus seinen Opfern wich. Der Grund, warum ihnen bis heute noch niemand auf die Schliche gekommen war, war, dass sie immer, wenn es brenzlig wurde, alle Beteiligten umlegten. Egal, ob es sich nur um Randfiguren handelte. Sicher ist sicher und das auch nur, wenn es niemals Zeugen gibt. Alles in allem gingen inzwischen gut dreiundzwanzig Morde auf ihr Konto. Und genau dieser Umstand war es auch, der sie immer wieder dazu zwang, aus einem Bundesstaat zu entfliehen. So zogen sie durchs Land mit einer Reisetasche voll von Bargeld. Denn wer direkt bezahlt, hinterlässt keine zurückverfolgbare Spur. Dieses Herrenhaus lag dafür ideal. Schon seit zwei Wochen spähten sie es aus, um sicherzugehen, dass es möglichst selten besucht wird. Die Bestätigung dafür bekamen sie schließlich vom Makler Timothy höchstselbst. Denn dieser erzählte ihnen, dass die Post oben am Tor abgegeben wird. Um dort hinzugelangen, gab es ein Golfcaddy. Alles in allem also das ideale Versteck, jedenfalls für eine Weile.