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Wie willst du ein mörderisches Spiel gewinnen, ohne die Regeln zu kennen?
Die Nachricht vom Unfalltod ihres Vaters ist ein Schock für Katharina Holten. Nicht nur muss sie nach Hause zurückkehren und sich um die Fahrschule des Vaters kümmern, sie sieht sich auch mit dem Ereignis konfrontiert, das ihr Leben Jahre zuvor vollkommen auf den Kopf gestellt hat. Da verschwindet ihre Nichte Ronja. Wenn es Katharina nicht gelingt, herauszufinden, was das mit der Geschichte ihrer Familie zu tun hat, droht das junge Mädchen getötet zu werden. Eine atemlose Jagd gegen die Zeit beginnt …
Ein packender Psychothriller über ein tödliches Familiengeheimnis.
»Ich konnte nicht aufhören zu lesen – spannende Charaktere, ungewöhnliches Setting und fiese Cliffhanger!« Ivar Leon Menger.
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Seitenzahl: 376
Der Vater der 26-jährigen Katharina Holten kommt plötzlich bei einem tragischen Unfalls ums Leben. Vor ein paar Jahren musste Katharina – traumatisiert durch ein Ereignis während einer Nachtfahrt – nicht nur ihren Beruf als Fahrlehrerin, sondern auch ihre Beziehung aufgeben. Nun kehrt sie zurück, an den Ort dieses furchtbaren Traumas. Denn die Fahrschule ihres Vaters braucht eine Erbin und ihre Nichte Ronja, die als Waise bei ihrem Großvater gelebt hat, jemanden, der sich um sie kümmert. Doch dann wird Ronja entführt, und wenn Katharina nicht innerhalb von 48 Stunden herausfindet, warum, wird das junge Mädchen sterben. Katharina muss alles daran setzen, ein Spiel zu gewinnen, dessen Regeln sie nicht kennt …
Annika Strauss, geboren 1984, war an einer Schauspielschule in Stuttgart und studierte Allgemeine Rhetorik und Germanistik. Sie spielte in mehr als dreißig Filmproduktionen mit und verfasste auch eigene Drehbücher. Neben dem Schreiben arbeitet sie als Redakteurin beim SWR. »Nachtfahrt« ist ihr Debüt.
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Annika Strauss
Nachtfahrt
Thriller
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
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Widmung
Zitat
Prolog
Kapitel 1 — 14 Jahre später. 2017.
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67 — Mai 2014
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74 — 7. August 2003
Kapitel 75
Kapitel 76 — 10. August 2003
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80 — 11. August 2003
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83 — 13. August 2003
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Kapitel 93
Kapitel 94
Kapitel 95
Kapitel 96
Kapitel 97
Kapitel 98
Kapitel 99
Kapitel 100
Kapitel 101
Kapitel 102
Kapitel 103
Kapitel 104
Kapitel 105
Kapitel 106 — Zwei Wochen später.
Kapitel 107
Kapitel 108
Kapitel 109
Dank
Anmerkung der Autorin
Impressum
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Für meinen Fahrlehrer
»Denn ich hatte einen Tag der Rache mir vorgenommen; das Jahr, die Meinen zu erlösen, war gekommen.«
Jesaja 63,4
Die Linderung setzte langsam ein. So viele Tabletten auf einmal hatte sie noch nie genommen. Und sie war einiges gewohnt.
Der Wasserdampf legte sich auf den Badezimmerspiegel, während das Rauschen dumpfer wurde. Sanft fuhr sie mit dem Finger über die glatte Oberfläche, hoch und wieder runter und von rechts nach links. Schon als Kind hatte sie geheime Botschaften an den beschlagenen Spiegel geschrieben. Immer in der Hoffnung, jemand würde sie entdecken. Doch niemand hatte sie je entdeckt. Niemand hatte sich darum oder überhaupt um sie geschert. Am allerwenigsten ihre Eltern.
Ihre Kleine aber, die hatte es geliebt. Es war ein Geheimnis, ein unsichtbares Band, das nur sie beide miteinander verknüpfte. Es war ihr Spiel gewesen. Doch nun war sie fort. Und auch wenn ihr jeder einreden wollte, dass sie nur weggelaufen sei, sie wusste, dass ihr Kind für immer fort war. Eine Mutter spürte das. Eine letzte Botschaft wollte sie ihr dennoch hinterlassen.
Meine kleine Große. Ich habe dich im Stich gelassen. Ich habe versagt.
Eines Tages hatte sie es einfach nicht mehr aus der Schattenwelt hinausgeschafft, jener Welt, die der einzige Ort war, an den er ihr nicht folgen konnte. Ein Ort, an dem alles gedämpft war: Geräusche, Gerüche, Gefühle. Der sie nichts spüren ließ. Wie angenehm es dort war. Als stünde sie nur als ein Beobachter daneben, wenn es wieder passierte. Irgendwann hatte sie sich darin verloren und nicht wieder herausgefunden. Nun wollte sie für immer bleiben.
Keine Schmerzen mehr. Keine Angst. Nie mehr.
Sie ließ den Bademantel auf den Boden fallen, griff das Messer vom Waschbecken und stieg in die vollgelaufene Badewanne.
Ihr Blick fiel zuerst auf ihre Brüste, dann auf den Bauch und die Beine. Überall waren die Narben ihres Lebens zu sehen. Die aufgeplatzte Haut, die nach den Schlägen schlecht verheilt war. Die kreisrunden Abdrücke der Zigarettenglut. Die mutwilligen Schnitte mit der Rasierklinge.
Während sie begann, mit dem Messer die alten Wunden von Neuem zu öffnen, blickte sie zum Spiegel. Noch konnte sie die Botschaft darauf lesen: In der Dunkelheit warst du mein Mond.
»Vielleicht sehen wir uns gleich wieder«, murmelte sie und setzte das Messer an. Das Wasser war angenehm warm und mittlerweile hellrot. Sie schloss ihre Augen und umfasste den Messergriff fester. Sie atmete tief ein und dachte ein letztes Mal an jene glücklichen Momente, die sie hatte erleben dürfen. Wie ihre Kleine zum ersten Mal »Mama« gesagt hatte. Wie sie mit ihren kleinen Fingern ihr Gesicht ertastet hatte. Wie sie voller Zuneigung und Vertrauen auf ihrem Schoß eingeschlafen war. Und auch später, als sie immer dagewesen war, selbst in den dunkelsten Stunden.
Keine Angst. Gleich bist du frei.
Ein letzter tiefer Atemzug.
Benommen hörte sie sich selbst röcheln, während das Blut im Takt ihres Herzschlags dem Körper entwich. Da war kein Schmerz. Im Gegenteil, alles war warm und wohlig, und sie fühlte nichts als Erleichterung. Endlich hatte sie selbst wieder eine Entscheidung getroffen. Nach all den Jahren.
Die Müdigkeit wurde stärker, ihr Atem ging flacher. Nur eines nahm sie noch wahr: die entsetzten Augen des Jungen, der in der Tür stand.
14 Jahre später. 2017.
»Denk dran, die Schnürsenkel in den Schuh zu stecken«, erklärte Matthias mit einem Zwinkern. Sein Fahrschüler Silas nickte und befolgte die Anweisung, während er die Montur anzog. Als er komplett in Motorradbekleidung vor ihm stand, kontrollierte Matthias, ob Silas auch die Fahrschulweste richtig angelegt hatte.
»Überlandfahrt. Wetter passt. Wie sieht es mit deinen theoretischen Kenntnissen aus?« Matthias klopfte einmal gegen Silas’ Rückenprotektor, bevor er, ohne eine Antwort abzuwarten, weitersprach. »Heute üben wir das Einfahren auf Landstraßen und das Abstandhalten zu vorausfahrenden Fahrzeugen. Wie viel Abstand musst du außerhalb geschlossener Ortschaften halten?«
Matthias blickte in Silas’ dunkle Augen und sah, wie der Junge überlegte.
»Halber Tacho?«
Matthias grinste.
»Ja, genau. Die halbe gefahrene Geschwindigkeit in Metern. Also wenn du hundert Kilometer in der Stunde fährst, muss dein Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug wie viele Meter betragen?«
»Fünfzig«, sagte Silas.
»Genau. Und wie kannst du das einschätzen? Woher weißt du, wie viel fünfzig Meter sind?«
»Weiß nicht … hat man vielleicht im Gefühl?«
»Im Moment hast du vielleicht im Gefühl, ob du auf die Toilette musst oder nicht. Aber Spaß beiseite. Später hast du das sicherlich im Gefühl, bis dahin orientierst du dich am besten an den weißen Leitpfosten am Fahrbahnrand. Die stehen nämlich auf geraden Strecken etwa fünfzig Meter auseinander. Wenn dein Vordermann an dem Pfosten vorbeifährt, darfst du bei hundert Kilometer in der Stunde höchstens bis zum Pfosten dahinter auffahren.«
Silas nickte.
»Außerdem werden wir einige kurvenreiche Strecken fahren und auch ein paar schöne Kehren üben. Das ist genau das, was Motorradfahrer lieben – und das haben wir in unserer Gegend zur Genüge. Deswegen bin ich auch lieber Fahrlehrer auf der Schwäbischen Alb als in Norddeutschland.«
Matthias klopfte Silas auf die Schulter und bewegte sich Richtung Ausgang. Delf, ein junger Fahrlehrerkollege, kam herein und begrüßte beide.
»Ach, du machst Motorrad heute? Da habt ihr euch perfektes Wetter ausgesucht. Wo geht’s denn hin?«, fragte er interessiert.
»Die übliche Strecke. Metzinger Weinberg, Dettingen, Hülben. Bisschen Steigen rauf und runter. Und du? Heute ist Samstag, hast du nichts Besseres vor?«, fragte Matthias.
»Ich will nur schnell ein paar Fahrstunden ausmachen. Euch viel Spaß«, wünschte Delf, ehe er im Büro der Fahrschule verschwand.
Die Motorräder befanden sich im Garagenanbau nebenan. Hier checkte Matthias abschließend den Funk.
»Hörst du mich?«
»Ja.«
»Ist es laut genug, oder ist es zu leise, wenn ich rede?«
»Passt so.«
Wenig später waren sie unterwegs, Silas auf einer Kawasaki Z650 und Matthias auf seiner 1200er BMW Adventure. Es war ein schöner Tag zum Motorradfahren, nicht zu heiß und nicht zu kalt, die Straßen waren trocken, und der Frühling lag in der Luft. Oft wenn Matthias mit seinen Fahrschülern unterwegs war, nahm er sich vor, abends oder am Wochenende allein oder mit Kollegen eine Ausfahrt zu machen, aber wenn es dann so weit war, hatte er entweder zu viel zu tun oder ihm fehlte die Energie. Und dann war da auch noch Ronja. Seit seine älteste Tochter Lisa vor einem Jahr zusammen mit ihrem Mann verunglückt war, kümmerte er sich um seine pubertierende Enkelin. Und das war für einen verbitterten Workaholic, wie ihn seine jüngere Tochter Katha mitunter nannte, gar nicht so leicht, zumal Katha seit Jahren in Berlin lebte. Bei dem Gedanken an seine beiden Töchter wurde ihm das Herz schwer. Er vermisste sie. Jeden Tag.
Er würde heute noch einen wichtigen Anruf machen, sobald die Fahrstunde vorüber war.
Seine Enkelin Ronja hatte er als ein fröhliches, lebhaftes Mädchen kennengelernt, doch seit dem Tod ihrer Eltern verschloss sie sich, vor allem vor ihm. Matthias wusste oft nicht, wie er mit ihr ins Gespräch kommen sollte.
»Wie schnell darf man außerhalb von Ortschaften fahren?«, kontrollierte Matthias über Funk das Wissen seines Fahrschülers.
»Achtzig?«, antwortete Silas knapp.
»Nein. Ortsende heißt automatisch beschleunigen auf maximal hundert in der Stunde. Außer es steht ein Schild mit einer anderen Geschwindigkeit da. Also, gib mal Gas.«
Vielleicht würde er heute Abend eine Pizza holen und Ronja überraschen. Netflix-Abende mit Pizza und Spezi schienen für sie akzeptabel zu sein, und auch Matthias hatte nichts gegen diese Kombination.
»Also pass auf, ich überhole dich jetzt, und dann werde ich einige Kehren vorausfahren und dir die richtige Kurvenlinie zeigen. Anschließend tauschen wir wieder, und dann fährst du sie«, erklärte Matthias, als sie sich kurz vor dem Metzinger Weinberg befanden.
Er passte einen günstigen Moment ab und zog an Silas vorbei. Als er dabei in den Rückspiegel sah, fiel ihm ein schwarzer SUV auf, der so verdreckt war, dass man nicht einmal mehr das Nummernschild lesen konnte.
Nach der Steige und den geplanten Kehren fuhren sie in Richtung Kohlberg weiter und dann durch Kappishäusern. Von dort führte eine Straße mit starkem Gefälle in den nächsten Ort.
»Nutz die Motorbremse«, erinnerte Matthias seinen Schüler über Funk. »Danach geht’s wieder Richtung Metzingen und dann noch einmal die Steige hoch.«
Matthias hatte sich wieder hinter seinen Fahrschüler fallen lassen. Irritiert bemerkte er, dass sich der schwarze SUV immer noch hinter ihren beiden Motorrädern befand, obwohl sie aus Sicherheitsgründen recht langsam fuhren.
Wieso überholt der denn nicht?
Normalerweise waren andere Verkehrsteilnehmer froh, wenn sie die Möglichkeit hatten, Fahrschüler hinter sich zu lassen. Als sie die Steige erreichten, fuhr Silas wie verabredet voraus und versuchte, Matthias’ Kurvenlinie nachzuahmen.
»Du musst ein bisschen lockerer in den Hüften sein, du kannst noch viel weiter in die Schräglage. Das ist Physik, das funktioniert«, scherzte Matthias über Funk. Wieder und wieder blickte er in den Rückspiegel, da sich der schwarze, verdreckte SUV immer noch hinter ihnen befand.
Verfolgst du uns?
»Jetzt nehmen wir in Dettingen die Straße hoch nach Hülben. Das ist eine echt schmale Steige, die macht nicht ganz so viel Spaß. Wir fahren da direkt an einer Felswand hoch, das heißt, du musst auch mit Steinschlag rechnen, vor allem, wenn es kurz vorher geregnet hat. Die Brocken können einfach auf der Straße liegen oder plötzlich hinter einer Kurve auftauchen. Kurven daher etwas langsamer anfahren und immer nur maximal so schnell, dass du in der einsehbaren Strecke auch mühelos ausweichen kannst.«
Sie erreichten die schmale Straße der Steige. Auf der linken Seite ragte die steile Felswand rund zwanzig Meter in die Höhe, am rechten Fahrbahnrand ging es hingegen steil bergab, an manchen Stellen über hundert Meter. Teilweise war die Strecke ungesichert. Es gab keine Leitplanken, die einen Absturz verhinderten.
Der SUV schloss auf und fuhr jetzt dicht hinter Matthias.
Du hättest die ganze Zeit überholen können, du Idiot! Anzuschieben brauchst du mich jetzt auch nicht. Matthias schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, dass der Fahrer des Wagens es sah und den Abstand wieder vergrößerte. Silas verschwand vor ihm hinter der nächsten Kurve.
»Und denk dran, wenn ich von Steinschlag spreche, meine ich große Steine. Kleinen Steinen, maximal faustgroß, muss man nicht ausweichen«, erwähnte Matthias noch, als der SUV plötzlich Gas gab und den Abstand verringerte.
Zu nah.
»Geht’s noch?«, entfuhr es Matthias.
»Was denn?«, fragte Silas über Funk zurück.
Doch Matthias kam nicht dazu, ihm zu antworten. Denn der schwarze SUV, eine Mercedes M‑Klasse, befand sich plötzlich unmittelbar hinter ihm, tauchte dann an seiner linken Seite auf. Um eine Kollision zu verhindern, wich Matthias scharf nach rechts aus. Vom Abgrund trennten ihn nur noch wenige Zentimeter. Von Angst gepackt, drehte Matthias den Kopf. Blut rauschte in seinen Ohren. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte er dem jungen Mann, der den Wagen fuhr, ins Gesicht. Es waren dessen Augen, die ihm Gewissheit gaben: Hier hatte es jemand auf ihn abgesehen.
Genau in dem Moment, als Matthias den Bremshebel ziehen wollte, um sich zurückfallen zu lassen, rammte ihn der SUV und drückte ihn mit voller Wucht Richtung Abgrund. Matthias fühlte plötzlich nichts mehr, sah nur die Tiefe unter sich. Dumpf hörte er noch, wie das Motorrad die Baumkrone neben ihm zerschlug, während ihn etwas streifte. Er hörte seine Knochen brechen, erst in der Schulter, dann in der Wirbelsäule. Als er gegen einen Ast prallte, wurde er herumgewirbelt. Die Welt um ihn drehte sich schneller und schneller. Dann blickte er nur noch in den blauen Frühlingshimmel. Helle Wolkenbänder wirkten wie eine Zugabe zu dem Film, der vor seinem inneren Auge ablief, während sein Körper einen Ast nach dem anderen zerschmetterte und er eine Schneise in den dicht bewachsenen Hang schlug.
Wie in Zeitlupe sah er sich selbst fliegen, blickte ein letztes Mal in Gedanken in die Gesichter seiner beiden Töchter und seiner Frau. Beim Aufprall spürte er nichts. Eher fühlte es sich an, als würde ihm mit einem sanften Schub der Lebensatem aus der Lunge gepresst. Dann verschluckte ihn schließlich die alles umschließende Finsternis.
Wie selbstverständlich steckte sie den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und trat ein. Kein Wunder, schließlich hatte Katha bis zu ihrem 21. Lebensjahr in diesem Bauernhaus gelebt. Obwohl sie ihren Schlüssel nie abgegeben hatte, hatte sie ihn seit ihrem Auszug nicht mehr benutzt, sondern stattdessen immer geklingelt. Freudig war ihr Vater jedes Mal zur Tür gestürmt und ihr um den Hals gefallen. Sie bereute, dass sie seit der Beerdigung ihrer Schwester und ihres Schwagers im vergangenen Jahr nicht mehr nach Süddeutschland gekommen war. Doch jeder einzelne Besuch in Reutlingen war für sie eine Qual gewesen. Alles erinnerte sie an jene Zeit, die sie nur noch hatte hinter sich lassen wollen. Wie gern hätte sie noch einmal erlebt, wie ihr Vater sie auf diese Weise in die Arme schloss. Sie konnte einfach nicht fassen, dass er tot war.
Mit Wucht hievte sie ihren Koffer den Absatz hoch und trat in den Flur.
Es riecht nach dir, Papa. Katha wurde das Herz schwer.
Sie musste sich zusammenreißen. Stark sein. Sie wurde gebraucht. Jetzt war es an ihr, sich um alles zu kümmern. Um die Beerdigung, die Fahrschule – und um Ronja. Das Telefonat am Vorabend war kurz und kühl gewesen. Katha hatte gespürt, dass Ronja enttäuscht von ihr war. Vermutlich zu Recht. Sie hätte mehr für ihre Nichte da sein sollen, stattdessen hatte sie sich nur auf sich selbst konzentriert. Und Ronja konnte schließlich nicht wissen, dass Katha es kaum ertrug, hier zu sein. Alles erinnerte sie an das, was damals passiert war.
Sie ließ den Koffer im Flur stehen und ging in die Küche. Ronja hatte entweder aufgeräumt oder aber heute noch nichts gegessen. Zumindest stand kein Geschirr herum. Ihr Vater hatte das Haus kaum verändert. In der Mitte des Raumes war noch immer der große Holztisch, der die Spuren ihres gemeinsamen Lebens trug. Tiefe Furchen im weichen Holz und ausgeblichene Stellen dort, wo die Sonne regelmäßig die Tischplatte traf. Sanft strich Katha darüber und dachte an die Zeiten, als die ganze Familie noch hier gesessen hatte. Wenn es sonntagnachmittags statt Torte oder Gebäck Pfannkuchen mit Apfelmus gab und sie alle nicht genug davon kriegen konnten. Der Letzte wurde immer durch vier geteilt.
Erschöpft ging Katha zur Kaffeemaschine und befüllte sie. Um so schnell wie möglich hier zu sein, war sie bereits in der Nacht losgefahren. Nach der erschütternden Nachricht über den tödlichen Unfall ihres Vaters hatte sie zunächst stundenlang in Schockstarre verharrt. Es hatte einen ganzen Tag gedauert, bis sie es zumindest geschafft hatte, ihrem Arbeitgeber Bescheid zu geben. Aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie ihr Leben jetzt weitergehen sollte. Nur eines war klar: Sie musste die Verantwortung für Ronja übernehmen.
Katha blickte auf die Fotos, die neben der Küchentür hingen. Eines zeigte sie mit etwa sieben Jahren, auf dem Schoß ihrer Mutter. Ganze vierzehn Jahre war es mittlerweile her, dass ihre Mutter gestorben war. Der Schock war groß, als ihre Schwester und sie damals nach den Herbstferien, die sie bei ihren Großeltern an der Nordsee verbracht hatten, zurückkehrten und ihr Vater ihnen mitteilte, dass ihre Mutter bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Genickbruch lautete die simple Diagnose.
Wärst du doch nie auf dieses Pferd gestiegen.
Ihr Vater hatte sich alle Mühe gegeben, sie und ihre Schwester Lisa so behütet wie möglich großzuziehen. Doch ersetzen konnte er ihnen die Mutter nicht. Katha hatte nicht mal ein Grab gehabt, an das sie hätte gehen können. Es war der Wunsch ihrer Mutter gewesen, im Mittelmeer beigesetzt zu werden. Als auch ihre Oma zwei Jahre später verstarb – ihr an Demenz erkrankter Opa lebte zu diesem Zeitpunkt bereits im Altersheim –, war ihr einzig die Nachbarin Ursel als weibliche Bezugsperson geblieben. Die langjährige Freundin der Familie hatte sich nach dem Tod der Mutter häufig um sie und Lisa gekümmert und ihren Vater unterstützt, wo sie nur konnte. Die mittlerweile dreiundachtzigjährige Frau hatte Katha auch jetzt aus der Not geholfen und Ronja bis zu ihrer Ankunft betreut.
Surrend lief der Kaffee durch die Maschine. Nie würde Katha die »Mensch-ärgere-dich-nicht«-Nachmittage bei Ursel mit Butterbrezel und Limo vergessen. Doch die alte Frau konnte nicht schon wieder in die Bresche springen. Es war Kathas Aufgabe, sich um Ronja zu kümmern. Und sie hatte sich fest vorgenommen, nicht noch einmal davonzulaufen.
Keine Panik, eins nach dem anderen, dachte Katha, während sie an dem zu heißen Kaffee nippte und einen Stapel Post durchsah. Das meiste war an die Fahrschule adressiert, vermutlich Rechnungen. Neben ihrer Nichte und der Beerdigung ihres Vaters wäre das die nächste Aufgabe, der sie sich würde stellen müssen. Sie war die Alleinerbin, und es lag an ihr, wie es mit dem Lebenswerk ihres Vaters weitergehen sollte.
Die Türklingel riss sie aus ihren Gedanken, vor Schreck schüttete sie etwas von dem heißen Kaffee über ihre Hand. Als sie die Tür öffnete, blickte sie in ein vertrautes, aber besorgtes Gesicht.
»Ursel.« Spontan schlang Katha die Arme um die alte Frau. Die Nachbarin, die deutlich jünger aussah, als sie war, drückte sie fest an sich.
»Es tut mir so leid, mein Mädchen. Was dir und deiner Familie alles widerfahren muss, ist nicht gerecht.«
Die Worte und die Nähe lösten in ihr etwas aus, was sie bisher noch nicht zugelassen hatte: Trauer. Kathas Augen füllten sich mit Tränen, und ja, Ursel hatte recht. Es war nicht fair. Erst hatte sie ihre Mutter verloren. Da war sie gerade zwölf Jahre alt gewesen. Und dann innerhalb kürzester Zeit ihre Schwester, ihren Schwager und jetzt auch noch ihren Vater, den sie abgöttisch geliebt hatte.
»Du musst dich um die Kleine kümmern. Sie ist so zerbrechlich. Auch wenn sie es nicht zeigt und so tut, als wäre sie furchtbar stark, leidet Ronja immer noch sehr unter dem Verlust ihrer Eltern.«
Ursel schien keine Zeit damit zu verlieren, das, was ihr wichtig war, loszuwerden.
»Komm erst mal rein«, bat Katha und wischte sich mit dem Handrücken ihre Tränen von der Wange. Sie wies in Richtung Küche, und Ursel folgte ihr.
Nach einem Moment der Stille stellte Ursel die Frage, auf die Katha selbst noch keine befriedigenden Antworten erhalten hatte.
»Wie ist der Unfall genau passiert?«
»Laut der Polizei ist mein Vater von der Fahrbahn abgekommen und in die Tiefe gestürzt. Bei einer Überlandfahrt.«
Ursel schüttelte entsetzt den Kopf. »Das kann nicht sein. Matthias war doch so ein guter, besonnener Motorradfahrer.«
Katha nickte. Auch für sie war der Gedanke absurd, und dennoch war genau das geschehen. Es war undenkbar.
»Die Polizei meint, dass er vielleicht von einem Auto überholt und geschnitten oder sogar gestreift wurde.«
»Was ist denn mit dem Fahrschüler? Hat der nichts gesehen?«
»Der ist vorausgefahren und hat nur mitbekommen, dass Papa wohl noch geflucht hat. Gesehen hat er aber nichts, weil er schon eine Kurve voraus war und auch vorher nicht so oft in den Rückspiegel geschaut hat. Fahrschüler eben.«
Tiefe Furchen gruben sich in Ursels Stirn. »Was für ein furchtbarer Tod!« Sie hielt sich die Hand vors Gesicht und wiegte den Kopf hin und her. »Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte sie schließlich.
»Keine Ahnung. Sie fahnden nach Unbekannt. Hoffen auf Zeugenhinweise und untersuchen die Reste des Motorrads auf Spuren.«
Plötzlich hörte Katha einen Schlüssel im Schloss. Das flaue Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich.
»Hey«, sagte Ronja und trat in die Küche. Es war kein nettes oder gar freundliches Hey, sondern klang eher gelangweilt oder genervt. Fast hätte Katha ihre dreizehnjährige Nichte nicht wiedererkannt. Ihre dunkelblonden Haare hatte sie schwarz gefärbt, und auch ihre Kleidung wies, abgesehen von den weißen Sneakern, keine andere Farbe als Schwarz auf. Ihr Gesicht war blass, und unter ihren schwarz umrandeten Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Katha wusste nicht recht, wie sie sich verhalten sollte, hielt eine Umarmung aber für angemessen. Als sie auf ihre Nichte zuging, versuchte sie es mit einem »Schön, dich zu sehen«, doch bevor sie Ronja in die Arme schließen konnte, hob das Mädchen abwehrend die Hände.
»Ich steh nicht so auf Gekuschel, sorry.«
»Okay. Kein Problem.« Katha setzte sich wieder an den Tisch.
Ursel presste die Lippen aufeinander und zog die Augenbrauen hoch, was Ronja nicht sehen konnte, weil sie sich bereits abgewandt hatte.
»Ich geh dann mal in mein Zimmer.«
»Wollen wir uns nicht … etwas unterhalten?«, fragte Katha, bevor ihre Nichte die Küche verließ.
»Worüber denn?«, fragte Ronja lauter. »Oder willst du etwa darüber sprechen, warum du hier nur auftauchst, wenn es eine Beerdigung gibt?«
Katha schluckte. Das hatte gesessen.
»Ronja, sei nicht so hart zu deiner Tante«, mischte sich Ursel ein. »Es ist für euch beide nicht einfach. Setz dich doch bitte zu uns.«
Katha kannte diesen Tonfall. Ursel hatte ihn in der Vergangenheit schon bei Streitigkeiten zwischen Katha und ihrer sechs Jahre älteren Schwester Lisa – Ronjas Mutter – eingesetzt, und meist hatte sie Erfolg damit gehabt.
»Nein, danke«, sagte Ronja, ehe sie aus der Küche stampfte, lautstark die Treppe hochstieg und die Tür zu ihrem Zimmer zuknallte.
»Das war deutlich!« Katha stützte ihren Kopf, der sich mit einem Mal zentnerschwer anfühlte, in die Hände.
»Gib ihr Zeit. Und dir auch«, riet Ursel. »Ich werde euch jetzt allein lassen. Wenn du etwas brauchst, zögere nicht, dich bei mir zu melden.«
»Danke. Ich muss wahrscheinlich tatsächlich darauf zurückkommen«, sagte Katha, während sie zur Haustür gingen.
Ursel drückte sie noch einmal fest, und Katha spürte, wie ihre Zweifel größer wurden. Wie sollte sie das alles nur überstehen? Am liebsten hätte sie sich ihren Koffer genommen und wäre wieder nach Berlin gefahren. Zurück in ihr altes Leben.
Doch dieses Leben gab es nun nicht mehr.
Nachdem Katha in ihrem ehemaligen Kinderzimmer den Koffer ausgepackt und für einige Minuten im Bett gelegen und an die Decke gestarrt hatte, wagte sie einen weiteren Versuch. Sie klopfte an die Tür, die früher zum Zimmer ihrer Schwester geführt hatte. Jetzt klebte ein Plakat mit der Aufschrift »Betreten der Baustelle verboten« daran. Vorsichtig legte Katha ihre Hand auf die Türklinke.
»Können wir bitte reden?«
Keine Antwort. Sie hatte befürchtet, dass es nicht einfach werden würde. Dass Ronja es ihr allerdings so schwermachte, verwunderte sie. Ihre Nichte schien ihr nicht einmal den Hauch einer Chance geben zu wollen. Seit ihrer letzten Begegnung hatte sie sich sehr verändert.
Kein Wunder, du blöde Kuh, sagte Katha zu sich selbst und dachte daran, wie sehr sie sich selbst verändert hatte, nachdem ihre Mutter gestorben war. Als ihre Schwester dann drei Jahre später zu ihrem Freund nach Augsburg zog, zerbrach Kathas Welt gänzlich. Aber sie hatte wenigstens noch ihren Vater gehabt. Ronja musste es im Moment so vorkommen, als hätte sie absolut niemanden mehr. Katha atmete tief ein und versuchte sich zu erinnern, von welchen Gefühlen sie mit dreizehn beherrscht worden war.
Ein Jahr fühlte sich für einen Teenager deutlich länger an als für einen Erwachsenen. Ronja kam die Zeit, die seit ihrer letzten Begegnung vergangen war, vermutlich wie eine Ewigkeit vor. Klar war sie wütend.
Ich bin doch selbst erst 26 Jahre alt. Wie soll ich deine Erwartungen erfüllen? Und auch ich bin wütend. Warum passiert mir das alles?
Katha versuchte es noch einmal. »Bitte, Ronja, ich kann verstehen, wenn du wütend auf mich bist …«
Weiter kam sie nicht. Plötzlich erklang hinter der Tür der Sänger einer Heavy Metal Band, der ihr die Worte »No one wants to hear you, no one wants to see you« entgegenschrie.
Resigniert gab Katha auf. Während sie aus dem Zimmer nebenan ihre Handtasche holte, hörte sie die Band grölen: »Go to hell, for heaven’s sake«.
Katha ging wieder hinunter und hinterließ einen Zettel auf dem Küchentisch, um Ronja wissen zu lassen, dass sie gegen 20 Uhr mit Pizza zurückkommen würde. Ursel hatte ihr verraten, dass Pizza so ziemlich das Einzige war, was Ronja gerne aß. Und Katha kannte noch jemanden, der immer und zu jeder Tageszeit mit Pizza zu begeistern war: Frieder.
Der Neuanfang in Berlin vor drei Jahren war ihr nur gelungen, weil sie einen radikalen Schlussstrich gezogen hatte. Katha hatte nicht einfach ihren Job als Fahrlehrerin an den Nagel gehängt und ihre Heimat verlassen, sie hatte auch ihren damaligen Verlobten Frieder zurückgelassen. Dabei hatte er ihr erst einige Monate zuvor einen Heiratsantrag gemacht, wild romantisch auf ihrer Lieblingsburg, der Burg Hohenzollern. Sie waren beide große Harry-Potter-Fans und fanden, dass die hohen Türme und Zinnen der Hohenzollern etwas von der Zauberschule Hogwarts hatten. Als dort dann tatsächlich ein Symphonie-Orchester ein Konzert mit Melodien aus den Harry-Potter-Filmen spielte, hatte Frieder die Gelegenheit ergriffen, um die Frage aller Fragen zu stellen. Wie hätte Katha ihn zurückweisen können, wo er so mutig auf eine Bühne gesprungen war und Hunderte Augen auf sie gerichtet waren? Sie hatte Ja gesagt, obwohl ihr schon damals klar gewesen war, dass sie sich eigentlich zu jung zum Heiraten fühlte.
Als sie Frieder dann sechs Monate später verließ, hatte er sie nicht verstanden.
Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Gedanken. Einen Moment hielt sie inne, horchte, aus welcher Richtung das Läuten kam, dann lief sie in den Flur und nahm das Telefon von der Station.
»Katharina Holten?«
»Hallo. Delf Wagner hier. Wir kennen uns nicht, aber ich bin einer von Matthias’ Angestellten. Aus der Fahrschule. Sie sind die Tochter von Matthias?«
»Ja, die bin ich. Wie kann ich helfen?«
»Na ja, jetzt, wo Matthias … also … na ja, du oder Sie …«
»Du passt schon«, antwortete Katha schnell.
»Also du bist ja jetzt unsere neue Chefin sozusagen, und es gibt hier ein Problem.«
»Ich wollte sowieso gleich vorbeikommen. Was ist los?«
»Komm bitte so schnell wie möglich. Die Polizei wird auch gleich hier sein.«
»Die Polizei? Wegen des Unfalls meines Vaters?«
»Ja, vielleicht. Aber … es gab einen weiteren Unfall.«
Vom Fenster aus konnte Ronja sehen, wie ihre Tante in ihr Auto stieg und davonfuhr.
Hau bloß wieder ab nach Berlin. Ich brauch dich hier echt nicht.
Sie drehte die Musik wieder leiser und öffnete das Fenster. Aus ihrem Rucksack zog sie vorsichtig die eingewickelte Zigarette, die sie von ihrem Kumpel Safi geschnorrt hatte, und zündete sie am offenen Fenster an.
Ronja war sich sicher: Heute würde sie es tun. Was hatte sie noch zu verlieren? Ihre Eltern waren seit über einem Jahr tot, und jetzt war auch noch ihr Opa gestorben. Sie hatte nur noch ihre Freunde, und die würden sie für die Aktion feiern. Das war das Einzige, was für sie zählte.
Sie nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch in die warme Frühlingsluft. Die Sonne strahlte erbärmlich, und überall zwitscherten gut gelaunte Vögel. Wie sehr wünschte sie sich einen grauen Tag, der zu ihrer Stimmung passte. Ihren Entschluss tippte sie in die WhatsApp-Gruppe namens »Final Squat«.
Tom antwortete als Erster. Kein Wunder. Es war schließlich seine Idee gewesen.
Geil! Kann’s kaum erwarten! Respekt Ronja!
Nur wenige Sekunden später folgte Safis Nachricht:
Ich sag nur: Brudi – Ein Leben wie im Movie. Bin um 20 Uhr am Start!
Von Chrissy kam ein Herz-Emoji, wie üblich. Die Sache stand also fest. Heute Abend würden sie es endlich durchziehen.
In der Fahrschule hing dieser ganz eigene Geruch. Das kam zum einen durch die Holzdecke und die Garderobe mit den verschiedenen Ausführungen der Motorradbekleidung. Zum anderen schien immer noch Ulli die Fahrschule zu putzen, oder die Person, die es jetzt machte, benutzte den gleichen Reiniger. Katha hatte dieses Putzmittel immer gerne gerochen. Eine Mischung aus Zitrone und Sandelholz. Der Geruch katapultierte sie augenblicklich zurück in die letzte Reihe des Unterrichtsraumes, in der sie als Teenager oft die Theoriestunden ihres Vaters verfolgt hatte.
Wie damals standen die Stühle mit dem dunkelblauen Polster in mehreren Reihen nebeneinander. Es hatte sich kaum etwas in der Fahrschule verändert. In den Regalen lagen immer noch die Geschenkpakete, die neben einer Warnweste auch Parkscheibe und Eiskratzer beinhalteten. Die Motorradhelme in den Ausführungen XS bis XXL waren der Größe nach im Regal aufgereiht, ebenso die Schuhe. Viele Jahre lang war dieser Raum so etwas wie ihr zweites Wohnzimmer gewesen. Nicht selten hatte sie hier sogar ihre Schularbeiten gemacht.
Am meisten hatte sie aber den Theorieunterricht ihres Vaters geliebt, den er immer mit persönlichen und witzigen Anekdoten unterlegt hatte. Während er erzählte, hatte sie die Gesichter der anderen Fahrschülerinnen und Fahrschüler beobachtet und war fasziniert, wie gebannt sie den Worten ihres Vaters lauschten. Er war beliebt, und sie war stolz darauf.
Die anderen Erinnerungen, die mit der Fahrschule zu tun hatten, lösten hingegen Beklemmungen, Angst und Panik in ihr aus. Bei der Vorstellung, wieder in ein Fahrschulauto steigen zu müssen, spürte sie Übelkeit in sich aufsteigen.
»Du musst Katharina sein. Schön, dass du so schnell kommen konntest. Ich bin Delf, wir haben vorhin telefoniert.«
Der junge Fahrlehrer streckte ihr seine Hand entgegen. Er lächelte und wirkte auf Anhieb sympathisch auf sie, auch wenn ihr die Sorge in seinem Gesicht nicht entging. Delf war einen Kopf größer als sie und sportlich schlank. Lange ist er sicher noch kein Fahrlehrer, dachte Katha. Die meisten verloren ihre sportliche Figur nach ein paar Jahren im Auto sitzend.
»Kannst du mir bitte verraten, was los ist?« Katha merkte selbst, wie ungeduldig sie war. Kein Wunder. Am liebsten wäre sie sofort wieder aus dem Schulungsraum herausgerannt. Die Vorstellung, die gesamte Verantwortung tragen zu müssen, fühlte sich für sie wie eine Bürde an, die sie niemals auf sich nehmen könnte. Hinter Delf erkannte sie uniformierte Polizisten, die im Büro saßen. Das Büro hatte eine Scheibe zum Schulungsraum, so dass nicht nur Katha die Beamten sehen konnte, sondern diese auch sie.
»Einer unserer Kollegen, Hakan Demir, hatte einen schweren Unfall mit seiner Fahrschülerin«, erklärte Delf.
»Sind die beiden verletzt?«
»Ja, sie befinden sich beide im Krankenhaus. Aber sie sind außer Lebensgefahr.«
»Zum Glück. Und die Polizei? Ich meine, warum sind sie hier? Und was kann ich schon dazu sagen? Ich kenne nicht mal das aktuelle Team hier …«
»Ich weiß. Seit Matthias … also … im Moment kümmere ich mich um alles. Gerade wird unsere Bürokraft Tanja befragt.«
»Wie viele Fahrlehrer sind denn zurzeit überhaupt beschäftigt?«
»Jetzt gibt es nur noch Hakan und mich.«
»Und wie ist der Unfall passiert?«, wollte Katha wissen.
»So ganz genau kann ich dir das nicht sagen. Nur, was mir die Polizei erzählt hat. Und laut denen ist die Fahrschülerin wohl ungebremst in eine Kreuzung gefahren.«
»Wie kann das sein? Warum hat der Fahrlehrer nicht gebremst?«
Delf blickte zu Boden. Dann deutete er in Richtung Büro. »Das hat er. Zumindest wollte er bremsen. Allerdings …« Delf zögerte.
»Allerdings was?«
»Hakan hat das Fahrschulauto deines Vaters genommen. Und sagen wir so: Es war vermutlich kein menschliches Versagen.«
»Willst du damit sagen, dass …« Katha spürte, wie sich ein Entsetzen in ihr ausbreitete, das ihr schier den Atem raubte.
»… dass das Fahrzeug manipuliert worden ist? Ja, ich fürchte, so sieht es aus.« Delf sah sie mit düsterem Blick an.
»Aber mein Vater hatte doch keine Feinde. Wer zur Hölle sollte zu so etwas fähig sein?«
Nachdem die Polizisten gegangen waren, hatte Delf einen extra starken Kaffee gemacht, den Katha nun dringend brauchte, um sich zu beruhigen. Besonders viel hatte sie der Polizei nicht erzählen können. Die Beamten hatten sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, dass jemand ihrem Vater nach dem Leben trachtete und ob er je irgendwelche Schulden erwähnt habe. Katha hatte all diese Fragen verneint. Ihr Vater war das komplette Gegenteil von dem Mann, den die Polizisten mit ihren Fragen heraufbeschworen: Er war beliebt und erfolgreich. Die Fahrschule war immer gut gelaufen, sie hatten nie Geldprobleme gehabt. Katha fragte sich, wie die Polizisten darauf kamen. Aber vermutlich suchten sie händeringend nach Gründen, warum jemand ein Fahrzeug manipuliert haben könnte.
»Am besten wäre es, wenn wir die Fahrschule für eine Weile schließen«, sagte Katha und starrte auf die Ordner, Schütten und Unterlagen, die sie sich demnächst alle würde ansehen müssen.
Ihr Vater war noch nicht einmal beerdigt, geschweige denn hatte sie bisher die Zeit gefunden, ein Bestattungsunternehmen anzurufen.
»Ich kann mich um die Fahrschule kümmern, wenn du möchtest«, sagte Delf, als hätte er ihre Gedanken erraten.
»Können wir in dieser Situation denn überhaupt den Betrieb aufrechterhalten? Ich meine, es wird sich doch herumsprechen …«
»Es waren zwei Unfälle. Mehr gibt es dazu zunächst nicht zu sagen. Ich versuche einfach, so viele Fahrschüler zu betreuen, wie ich kann. Bis Hakan wieder fit ist. Klar, ein paar müssen jetzt geduldig sein, aber wenn wir schließen, dann verlieren wir diese Schüler ganz.«
Katha sah, dass Delf sie freundlich anlächelte. »Vielen Dank, das ist wirklich sehr nett von dir. Wahrscheinlich hast du recht.«
Delf legte seine Hand auf ihre. Die plötzliche Nähe fühlte sich merkwürdig an, aber nicht falsch.
»Ich weiß, wir kennen uns kaum. Aber wir beide haben … eine besondere Beziehung zu Matthias gehabt. Du bist seine Tochter, und ich will dir gerne helfen. Wenn ich dich auch abseits der Fahrschule irgendwie unterstützen kann, sag bitte Bescheid. Meine Nummer hast du ja.«
»Kannst du mir vielleicht sagen, wo man eine gute Pizza bekommt? Gibt es Da Alfredo noch?«
Delf grinste und nickte. »Ja, die Pizzeria gibt es noch.«
Als Katha eine halbe Stunde später beim Italiener um die Ecke stand und auf ihre Bestellung wartete, spielten ihre Gedanken verrückt. Warum sollte das Auto ihres Vaters manipuliert worden sein? Wer könnte seinen Tod wollen? Diese Fragen ließen ihr keine Ruhe. Immer wieder sah sie ihn den Abhang hinunterstürzen. Sie spürte, wie Tränen über ihre Wange liefen, die sie hastig wegwischte.
Wenn sie wieder in ihrem Elternhaus war, würde sie sich als Erstes eine To‑do-Liste schreiben. Sie musste klar strukturiert vorgehen, um nichts zu vergessen.
Ob ich tatsächlich irgendwann wieder Fahrschüler ausbilden kann?
Sie war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie ihn nicht bemerkt hatte. Doch als er sich von einem Tisch erhob und langsam auf sie zukam, beschleunigte sich ihr Herzschlag derart, dass sie sich an der Theke stützen musste.
»Katha? Bist du es wirklich?«
Er war hier. Ausgerechnet jetzt. Der Klang seiner Stimme. Ihr wurde schwindelig.
»Du bist wieder da? Du bist tatsächlich hier.«
Als sie in sein Gesicht blickte, war er immer noch zu sehen. Dieser tiefe Schmerz in seinen Augen. Der Schmerz, den sie ihm zugefügt hatte.
»Frieder, schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?«
O Gott, einen Small Talk mit ihm ertrage ich nicht.
»Ich habe das mit deinem Vater gehört. Mein Beileid. Das ist furchtbar.«
Katha nickte und spürte seinen forschenden Blick.
»Darf ich dich umarmen?«
»Frieder, bitte. Ich schaff das nicht … Es ist schwer genug, wieder hier zu sein.«
»Verstehe. Dann …« Er hielt inne, während ein Kellner die Pappkartons mit Kathas Bestellung auf den Tresen stellte.
»Oh, hast du Besuch, oder isst du das allein?«
»Ich muss jetzt gehen.«
»Wie lange bleibst du?«
»Das weiß ich noch nicht. Mach’s gut, Frieder.«
Katha nahm hastig die Kartons und verließ schnellen Schrittes die Pizzeria. Frieders Blick spürte sie im Rücken, bis sie aus der Tür trat.
Eine Stunde später saß sie auf dem Sofa und hielt ein Glas Rotwein in der Hand. Zwei Stück ihrer Pizza mit Blattspinat und Schafskäse hatte sie gegessen, mehr schaffte sie nicht.
Ronja war nicht da. Sie hatte weder eine Nachricht hinterlassen, noch ging sie an ihr Handy.
Meine 13‑jährige Nichte ist nicht zu Hause, und ich habe keinen blassen Schimmer, wo oder mit wem sie unterwegs ist oder ob sie sich vielleicht gerade irgendwo etwas antut.
»Scheiße! Was machen wir jetzt?«
Es war schiefgegangen, und sie alle wussten es. Tom schien den Tränen nahe zu sein. So hatte Ronja ihn noch nie gesehen.
»Ich war gleich dagegen!«, rief Chrissy durchs offene Fenster von der Rückbank.
»Jetzt bleibt mal cool! Wir stellen ihn einfach wieder in die Garage. Vielleicht merkt er gar nichts.«
Ronja starrte auf den dicken Kratzer im Lack. Sie hatte zu zittern begonnen. Trotzdem wollte sie sich nichts anmerken lassen.
»Dein Onkel kommt nie drauf, dass wir das waren. Woher auch? Wir sind Teenager, wir können kein Auto fahren.«
»Ja, offensichtlich können wir es nicht. Also vor allem du! Ich dachte, dein Opa ist Fahrlehrer«, sagte Tom und starrte Ronja vorwurfsvoll an. »Du hast gesagt, du kannst fahren!«
»Kann ich ja auch. Ich habe nicht gesagt, dass ich perfekt Auto fahren kann. Aber von euch hat sich ja auch keiner getraut. Und übrigens war er Fahrlehrer. Er ist tot, falls du es vergessen hast!«
»Fuck! Hört auf jetzt!« Safi rollte sich nervös eine Kippe. Dann wendete er sich zu Ronja. »Bruder, das gibt echt Stress. Ich will damit nichts zu tun haben. Ich habe eh schon richtig Ärger mit meinen Alten. Wegen Edeka.«
»Nenn mich nicht immer Bruder, Alter! Wenn schon, dann wenigstens Schwester oder Sis. Und lass mich ziehen, wenn du fertig gedreht hast.«
»Du willst jetzt echt kiffen? Und wer fährt zurück? Willst du noch einen richtigen Crash bauen? Du bist ja nicht ganz dicht, Ronja.«
»Wir fahren zurück und stellen den Wagen wieder in die Garage von Toms Onkel. Er wird es gar nicht merken. Vielleicht denkt er, er war es selbst … oder jemand anders hat ihn angefahren. Auf dem Parkplatz oder so.«
»Laber keinen Scheiß, Ronja. Mein Onkel killt uns. Du hast ja keine Ahnung«, sagte Tom, der mittlerweile wieder vor dem Auto stand.
Ronja starrte auf den Dodge. Und auf den Stein, den sie beim Abbiegen nicht gesehen hatte. Und auf die Beule und die tiefen Furchen im mattgrauen Lack. Sie blickte die Straße hinunter. Es war dunkel, und weit und breit war niemand zu sehen.
»Lasst uns jetzt zurückfahren, bevor jemand kommt. Noch hat keiner was gemerkt.«
Zumindest hoffe ich das, dachte Ronja und blickte sich nochmals um. Vielleicht stand irgendwo jemand hinter einer Gardine und hatte bereits die Bullen gerufen. Vier Dreizehnjährige mit einem Dodge Challenger waren nicht gerade unauffällig.
»Okay, lass abhauen! Und mach den Scheiß aus. Das gibt Krebs«, brüllte Tom Safi an, der sich gerade den Joint angezündet hatte.
»Krebs ist aktuell meine kleinste Sorge, Bruder«, sagte Safi, drückte den Joint trotzdem auf der Straße aus und steckte ihn dann vorsichtig in seine Hosentasche.
Ronja setzte sich währenddessen wieder hinters Steuer und startete den Wagen. Ihr zitterten die Knie.
»Schaffst du es heute noch? Oder brauchst du erst noch eine Fahrstunde?«, blaffte Tom.
»Jetzt lass sie schon in Ruhe«, sagte Chrissy von der schmalen Rückbank. Ronja konnte über den Rückspiegel sehen, wie Chrissy und Safi tuschelten.
Konzentrier dich! Schalthebel auf R stellen und langsam zurückfahren. Mit Gefühl.
Augenblicklich hatte sie die Stimme ihres Großvaters im Kopf. Vor einem halben Jahr hatte er mit ihr das Anfahren auf dem Verkehrsübungsplatz geübt. Natürlich erst, nachdem sie wochenlang gebettelt hatte. Wahrscheinlich hatte er es aus Mitleid getan. Schließlich war sie ja eine Vollwaise.
Ich hasse dieses Wort.
Dass sie fahren konnte, war natürlich übertrieben, aber ihre Freunde hatten die Idee, mit dem Dodge eine Spritztour zu machen, geil gefunden. Eigentlich war es Toms Vorschlag gewesen. Es ärgerte ihn, dass sein Onkel ihn nie im Dodge mitnahm, obwohl er wusste, wie cool Tom den Wagen fand. Als Ronja erzählte, dass sie mit ihrem Opa Autofahren übte, war die Idee geboren worden. Dass sie das Ende der Motorhaube nicht sehen konnte, hatte sie verschwiegen. Auch, dass sie lediglich gegoogelt hatte, wie die Schaltung in einem Automatik-Fahrzeug funktioniert.
Der Wagen rollte langsam zurück, und Ronja schaffte es, den Dodge ohne weitere Vorfälle zurück in die Garage zu stellen.
»Ich geh jetzt heim«, sagte Chrissy und klemmte sich ihre Glitzer-Handtasche unter den Arm.
»Wir gehen am besten alle heim. Und ey, die Sache ist nie passiert. Wenn irgendwer fragt – wir wissen von nichts. Check?«
Tom blickte in die Runde. Chrissy und Safi nickten, Ronja schließlich auch.
»Check!«
Sie ließen ihre Fäuste gegeneinanderkrachen, schlossen das Garagentor und entfernten sich in verschiedene Richtungen. Ronja schnappte sich ihr Fahrrad und fuhr die schwach beleuchtete Straße entlang. Die Strecke führte über einen dunklen Feldweg, vorbei am Schützenhaus, in dem gerade die Vereinsmitglieder übten. In ihrer Hosentasche vibrierte es – nicht zum ersten Mal. Sie konnte sich denken, wer es war. Vor über zwei Stunden hätte sie schließlich zu Hause sein sollen – zumindest nach der Vorstellung ihrer Tante Katha.
Bin um 20 Uhr mit Pizza zurück. Ich würde gerne mit dir in Ruhe über alles sprechen, hatte auf dem Zettel gestanden, den sie ihr hinterlassen hatte.
Wen interessiert, was du willst?
Es gab niemanden mehr, der ihr etwas zu sagen hatte. Vielleicht war das am Ende auch was Gutes. Immerhin war sie schon dreizehn Jahre alt und um einiges weiter als viele ihrer Klassenkameraden. Und auf keinen Fall würde sie sich von ihrer Tante Katha herumkommandieren lassen.
»Wo könnte Ronja sein?« Katha hatte sich voller Sorge zu Ursel aufgemacht.
Ursel stand in einer dünnen Jacke in ihrer Haustür.
»Das kann ich dir nicht sagen, Katharina. Ich weiß, dass sie eine gute Freundin hat, die in Bempflingen wohnt. Wie hieß die noch gleich?« Ursel überlegte. »Also ich weiß, dass es ein Mädchen ist, mit der sie zur Schule geht. Vielleicht ist sie bei ihr.«
»Aber du weißt nicht, wie sie heißt?«
Ursel schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Ich habe es wohl vergessen.«
Katha stützte die Hände in die Hüften, warf den Kopf zurück und holte tief Luft. Ihre Unterlippe begann zu beben.
Reiß dich zusammen!
»Willst du vielleicht reinkommen? Ich mache uns einen Tee«, schlug Ursel vor. »Vielleicht finde ich den Namen des Mädchens irgendwo. Ich habe mir das sicher mal notiert.«
»Nein, schon in Ordnung. Du kannst ja rüberkommen, wenn dir doch noch was einfällt.« Ein Handyklingeln ließ Katha innehalten.
»Das wird sie wohl sein«, sagte Ursel und nickte Katha aufmunternd zu.
Doch als Katha auf das Handy-Display schaute, stand dort eine unbekannte Nummer mit Reutlinger Vorwahl.
»Katharina Holten?«