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Die Gesamtausgabe der NAchtmahr Trilogie von Ulrike Schweikert Band 1: Das Erwachen der Königin Sie ist schön, sie ist verführerisch – sie ist das gefährlichste Wesen der Nacht Tagsüber ist Lorena eine unscheinbare, junge Frau – aber jede Nacht verwandelt sie sich in ein wunderschönes Wesen, getrieben von unbändiger Lust: Sie ist ein Nachtmahr. Kein Mann kann ihr widerstehen, und wer einmal ihren Reizen erlegen ist, verfällt ihr auf ewig. Aber dann trifft sie auf David, ihre große Liebe. Ihm zuliebe versucht Lorena verzweifelt, den zerstörerischen Nachtmahr in ihr zu bändigen. Lorena ahnt jedoch nicht, dass sie ihr wahres Wesen nicht verleugnen kann. Denn sie ist die Auserwählte, die über das Schicksal der Nachtmahre entscheiden wird ... Band 2: Die Schwester der Königin Sie ist das gefährlichste Wesen der Nacht - wird sie jemals lieben dürfen? Lorena ist ein Nachtmahr – und damit eine Gefahr für alle, die sie lieben. Um ihre Mitmenschen vor ihrer dunklen Seite zu schützen, begibt sie sich in das Haus der mächtigen Mylady, um ihre Ausbildung zu beginnen. Zudem gibt Lorena ihre große Liebe Jason zu seinem eigenen Schutz auf. Dann erreicht sie die Nachricht, dass die Nachtmahre ihre Schwester aufgespürt haben. Lucy wurde als Kind entführt, weil sie für die in der Prophezeiung erwähnte Eclipse gehalten wurde. Nun begibt sich Lorena nach San Francisco, um Lucy aus Alcatraz zu befreien. Doch sie ahnt nicht, dass eine finstere Verschwörung im Gange ist, in der niemand seine wahren Motive offenbart … Band 3: Das Vermächtnis der Königin Das Finale der fantastischen Nachtmahr-Saga. Lorena ist ein Nachtmahr, ein wunderschönes, aber gefährliches Wesen der Nacht. Und sie ist auf der Flucht. Um sich zu retten, muss Lorena ein uraltes Buch finden, in dem die Prophezeiung der Nachtmahre offenbart sein soll. Doch William, der Sohn ihres größten Widersachers, kommt ihr zuvor. Lorena muss ihrem schlimmsten Feind gegenübertreten, um die Prophezeiung zu retten. In Williams Anwesen erwartet sie aber nicht der Tod – sondern eine leidenschaftliche Begegnung. Alles, was Lorena je für wahr gehalten hat, wird in Frage gestellt ...
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Seitenzahl: 1517
Kurzbeschreibung
Das Erwachen der Königin:
Sie ist schön, sie ist verführerisch – sie ist das gefährlichste Wesen der Nacht
Tagsüber ist Lorena eine unscheinbare, junge Frau – aber jede Nacht verwandelt sie sich in ein wunderschönes Wesen, getrieben von unbändiger Lust: Sie ist ein Nachtmahr. Kein Mann kann ihr widerstehen, und wer einmal ihren Reizen erlegen ist, verfällt ihr auf ewig. Aber dann trifft sie auf David, ihre große Liebe. Ihm zuliebe versucht Lorena verzweifelt, den zerstörerischen Nachtmahr in ihr zu bändigen. Lorena ahnt jedoch nicht, dass sie ihr wahres Wesen nicht verleugnen kann. Denn sie ist die Auserwählte, die über das Schicksal der Nachtmahre entscheiden wird ...
Die Schwester der Königin:
Sie ist das gefährlichste Wesen der Nacht - wird sie jemals lieben dürfen?
Lorena ist ein Nachtmahr – und damit eine Gefahr für alle, die sie lieben. Um ihre Mitmenschen vor ihrer dunklen Seite zu schützen, begibt sie sich in das Haus der mächtigen Mylady, um ihre Ausbildung zu beginnen. Zudem gibt Lorena ihre große Liebe Jason zu seinem eigenen Schutz auf. Dann erreicht sie die Nachricht, dass die Nachtmahre ihre Schwester aufgespürt haben. Lucy wurde als Kind entführt, weil sie für die in der Prophezeiung erwähnte Eclipse gehalten wurde. Nun begibt sich Lorena nach San Francisco, um Lucy aus Alcatraz zu befreien. Doch sie ahnt nicht, dass eine finstere Verschwörung im Gange ist, in der niemand seine wahren Motive offenbart …
Das Vermächtnis der Königin:
Das Finale der fantastischen Nachtmahr-Saga.
Lorena ist ein Nachtmahr, ein wunderschönes, aber gefährliches Wesen der Nacht. Und sie ist auf der Flucht. Um sich zu retten, muss Lorena ein uraltes Buch finden, in dem die Prophezeiung der Nachtmahre offenbart sein soll. Doch William, der Sohn ihres größten Widersachers, kommt ihr zuvor. Lorena muss ihrem schlimmsten Feind gegenübertreten, um die Prophezeiung zu retten. In Williams Anwesen erwartet sie aber nicht der Tod – sondern eine leidenschaftliche Begegnung. Alles, was Lorena je für wahr gehalten hat, wird in Frage gestellt ...
Ulrike Schweikert
Nachtmahr - Gesamtausgabe
Edel Elements
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- ein Verlag der Edel Verlagsgruppe GmbH
© 2022 Edel Verlagsgruppe GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg
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Copyright © 2022 by Ulrike Schweikert
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Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-96215-494-3
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Kurzbeschreibung:
Sie ist schön, sie ist verführerisch – sie ist das gefährlichste Wesen der Nacht
Tagsüber ist Lorena eine unscheinbare, junge Frau – aber jede Nacht verwandelt sie sich in ein wunderschönes Wesen, getrieben von unbändiger Lust: Sie ist ein Nachtmahr. Kein Mann kann ihr widerstehen, und wer einmal ihren Reizen erlegen ist, verfällt ihr auf ewig. Aber dann trifft sie auf David, ihre große Liebe. Ihm zuliebe versucht Lorena verzweifelt, den zerstörerischen Nachtmahr in ihr zu bändigen. Lorena ahnt jedoch nicht, dass sie ihr wahres Wesen nicht verleugnen kann. Denn sie ist die Auserwählte, die über das Schicksal der Nachtmahre entscheiden wird ...
Ulrike Schweikert
Nachtmahr
Das Erwachen der Königin
Teil 1
Edel Elements
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Ein Verlag der Edel Germany GmbH
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Sie sind die gefährlichsten Wesen der Nacht: Nachtmahre. Atemberaubend schön und selbstbewusst, sodass kein Mann widerstehen kann.
Die junge Lorena, die am Tage eher unauffällig und unsicher ist, verabscheut das dunkle Wesen in ihr, das nach und nach die Kontrolle über sie und ihr Leben übernimmt. Eines Tages trifft sie auf Jason, ihre große Liebe aus Jugendtagen – und sie verliebt sich erneut in den zärtlichen Musiker. Wie schafft es die junge Frau nur, ihr zweites Ich vor ihm zu verbergen?
Jede Nacht fiebert die attraktive Raika Mitternacht entgegen, um als Nachtmahr mit den Männern zu spielen, die ihr scharenweise zu Füßen liegen. Sie liebt die Macht und die Kontrolle, die ihr der Nachtmahr verleiht, und gibt sich ihrer Leidenschaft hin.
Beide Frauen wissen nicht, dass die Herrin der Nachtmahre, die geheimnisvolle Lady, sie schon lange beobachtet. Und dass sowohl Lorena als auch Raika ein Schicksal bestimmt ist, dem sie nicht entkommen können ...
Raika sah auf die Uhr. Es war kurz nach acht. Höchste Zeit, den Arbeitstag zu beenden! Sie erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl und streckte sich genüsslich. Ihr Blick wanderte zu den großen Fenstern, hinter deren Sicherheitsscheiben sich das Panorama der Londoner City darbot. Noch heute war das alte Zentrum der Stadt Inbegriff für das große Geld, für Banken und Versicherungen, auch wenn die meisten wichtigen Geldhäuser längst in die Docklands hinausgezogen waren, wo sie in der Schleife der Themse rund um die Canary Wharf neue gläserne Türme erbaut hatten, die sich gegenseitig an Höhe und Prunk zu übertreffen suchten.
Draußen wurde es bereits dunkel, und in den unzähligen Fensterreihen flammten nacheinander immer mehr Lichter auf. Für Raika war das die schönste Zeit des Tages. Die Nacht erwartete sie! Eine neue, aufregende Nacht voller Leben und Abenteuer. Sie atmete tief ein, doch die Luft schmeckte nur nach Arbeit und Schweiß und nach den Ausdünstungen der Klimaanlage, die sie unermüdlich durch ihr Labyrinth von Rohren presste und durch die Lüftungsschlitze in die Büroräume schleuderte.
Raika war es plötzlich, als könne sie nicht mehr atmen. Ihre Lungen verlangten nach frischer, unverdorbener Luft! Mit einem Ruck zog sie die Schreibtischschublade auf und griff nach ihrer Handtasche. Sie stopfte ihr Handy und ihre Wagenschlüssel hinein und wollte gerade hinausstürmen, als eine Stimme ertönte und sie zurückhielt.
»Raika, ist das etwa ein Fluchtversuch?«
Betont langsam drehte sie sich um. »Nein, Brent, das nennt man Feierabend«, sagte sie gedehnt zu ihrem Kollegen.
Er strahlte sie schon wieder auf eine Weise an, die ihr Brechreiz verursachte.
»Das geht leider nicht ...«, sagte er.
Brent trat näher, ohne Raika aus den Augen zu lassen. Ja, er verschlang sie geradezu mit seinem Blick. Raika hatte das Gefühl, als könne sie sich selbst durch seine Augen sehen: ihre große, schlanke Gestalt mit der schmalen Taille und den festen Brüsten, das schmale Gesicht mit den dunklen Augen, umrahmt von dichtem schwarzem Haar, das ihr bis auf den Rücken fiel. Sie wusste, dass ihre Lippen sinnlich wirkten und mit dem knallroten Lippenstift, auf den sie nie verzichtete, Männer magisch anzog. Doch warum mussten es so oft Typen wie Brent sein?
Alles an ihm war höchstens durchschnittlich zu nennen! Er war mittelgroß und sein Körper nicht gerade durchtrainiert, zumindest ließ das die Rundung unter seinem Hemd vermuten. So genau wollte es Raika gar nicht wissen. Seine Augen waren von blassem Grau, das Haar sandfarben und dünn, und seine Gesichtsfarbe wechselte zwischen einem kränklichen Gelbton und einem ebenso wenig attraktiven Rot, das ihm nun wieder einmal in die Wangen stieg.
»Was geht nicht?«, hakte sie ungeduldig nach.
Zaghaft hielt er ihrem Blick stand. »Feierabend«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Der Chef sagt, die Pläne müssen noch einmal geändert werden. Er muss sie gleich morgen früh mitnehmen. Die Klienten haben es sich noch mal anders überlegt.«
Er trat zu einem der großen Tische und entrollte den Bauplan der neuen Appartementanlage, die in wenigen Monaten auf dem großen Baugelände südlich der Stadt entstehen sollte.
Widerstrebend trat Raika näher und betrachtete ein wenig ungläubig die zahlreichen, hastig mit roter Farbe eingefügten Änderungen.
»Das ist nicht sein Ernst!«
Brent zog eine Grimasse, nickte aber. »Doch, das ist es sehr wohl. Lucy und Gernot werden auch gleich da sein, um uns zu helfen. Der Chef sagt, er will die neuen Pläne morgen um acht mitnehmen.«
Raika machte ein finsteres Gesicht. »Da sitzen wir ja die halbe Nacht dran, wenn das reicht – selbst wenn wir zu viert sind.«
»Ja, das fürchte ich auch, aber was will man machen?« Brent nickte mit tragischer Miene.
Raika kam jedoch der Verdacht, dass er sich insgeheim über die Überstunden freute. Klar, wenn man kein Privatleben hatte und es einen glücklich machte, seine Kollegin aus der Ferne anzuschmachten, grollte sie im Stillen, pfefferte aber ihre Handtasche zurück in ihre Schreibtischschublade und fuhr den Rechner wieder hoch. Brent nahm schräg gegenüber von ihr Platz. Auch die anderen beiden Kollegen kehrten wenige Augenblicke später zu ihren Arbeitsplätzen zurück. Sie teilten sich die verschiedenen Bereiche der Pläne auf, um sie im CAD-System zu bearbeiten und die Änderungen einzufügen.
Die nächsten drei Stunden arbeiteten sie schweigend. Nur das Klacken der Tastatur und das leise Schaben der Maus waren zu hören, in regelmäßigen Abständen unterbrochen von einem klagenden Geräusch aus den Schächten der Klimaanlage. Sie kamen zügig voran, dennoch war ihnen klar, dass sie bislang kaum mehr als die Hälfte geschafft hatten.
Raika schimpfte immer häufiger leise vor sich hin, während Lucy hin und wieder einen Seufzer hören ließ.
»So kann man eine vielversprechende Nacht vergeuden«, brummelte sie ungehalten. Die beiden Männer lachten und stellten Vermutungen an, wen oder was Lucy in dieser Nacht alles verpassen könnte.
Raika sagte nichts, obgleich ihr der Gedanke aus der Seele sprach. Sie würden auf keinen Fall bis Mitternacht fertig werden, das war klar. Es war bereits halb zwölf, und sie spürte, wie die wohlbekannte Nervosität nach ihr griff. Das Kribbeln begann in den Füßen und stieg ihr die Beine hoch. Dann zitterten ihre Finger. Raika ließ die Maus los und verbarg ihre bebenden Hände unter dem Schreibtisch. Auch ohne auf die große Bahnhofsuhr über der Tür zu sehen, wusste sie, dass es kaum mehr als fünf Minuten vor Mitternacht war. Sie musste hier raus. Sofort!
Es nötigte ihr all ihre Selbstbeherrschung ab, sich langsam von ihrem Stuhl zu erheben und ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen. »Ich brauch mal eine Pause«, sagte sie und schlenderte betont lässig zur Tür. Erst als sie diese hinter sich geschlossen hatte, begann sie zu laufen.
»Gute Idee!«
Sie hörte noch Brents Worte, der ebenfalls aufsprang und ihr nachrief, sie solle auf ihn warten, doch darauf konnte und wollte sie nicht eingehen. Sie rannte den Flur entlang, am verwaisten Empfang vorbei. Es stand natürlich wieder keiner der Aufzüge parat. Einer war unten im Erdgeschoss, der andere bummelte zwischen dem vierten und dem fünften Stock herum. Bis der endlich hier oben war, würde eine Ewigkeit vergehen. Raika riss die Tür zum Treppenhaus auf und blickte den Treppenschacht hinab. Sechsundzwanzig Stockwerke, das war selbst für sie in den wenigen Minuten, die ihr noch blieben, nicht zu schaffen. Dann also hinauf. Bis zum Dach waren es nur vier Etagen.
Raika stürmte los, nahm immer zwei Stufen auf einmal. Ihr Atem ging stoßweise, das Herz hämmerte ihr in der Brust.
Unten wurde die Tür zum Treppenhaus noch einmal geöffnet.
»Raika? Warte doch. Ich komme mit«, hörte sie Brents Stimme.
Verfluchter Narr! Sie hatte jetzt keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Verdammt, warum hatte sie auch bis zur letzten Minute gewartet?
Noch zwei Windungen. Sie konnte bereits die Stahltür sehen, die die letzte Schranke zwischen ihr und der frischen Nachtluft bildete. Ein letzter großer Satz. Sie umklammerte die Klinke und stieß die Tür auf, als von einem Kirchturm der erste Glockenschlag ertönte.
Mitternacht!
Sie sog die kühle Nachtluft ein und hatte das Gefühl, nie etwas Köstlicheres gerochen zu haben. Ihre Beine trugen sie über das kiesbedeckte Flachdach, doch sie spürte sie kaum mehr. Während die zwölf Schläge durch ihren Schädel dröhnten, riss sie sich ihren Blazer und ihre Bluse vom Leib. Dann blieb sie stehen und streifte die Pumps ab. Ihr Rock fiel zu Boden. Sie warf die Arme in die Luft, als der letzte Glockenschlag ihren Körper erzittern ließ. Ein Schrei, der seltsam unmenschlich klang, stieg aus ihrer Kehle. Die Wandlung ließ sie erbeben.
»Raika?«
Ein wenig zögerlich öffnete Brent die Metalltür, die auf das Dach hinausführte. »Bist du da?« Seine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen.
Raika stieß einen Fluch aus. Mit ein paar riesigen Sätzen erreichte sie die Kante. Noch einmal warf sie einen Blick zurück, zu dem Mann, der ihr gefolgt war.
»Narr«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor, und ihre Augen blitzten zornig. Dann breitete sie die Arme aus und hechtete nach vorn.
Sie fiel. Als der Wind über ihre nackte Haut strich, jauchzte sie vor Lust. Die dunkle Erde raste auf sie zu, doch noch immer zögerte sie den Moment hinaus. Sie liebte es, sich einfach fallen zu lassen. Es berauschte sie mehr als die Lust der Vereinigung. Blinde Scheiben flogen an ihr vorbei. Hinter kaum einer brannte mehr Licht. Die Straßenlaternen kamen rasch näher. Sie konnte ein paar Autos sehen, deren Scheinwerfer die Nacht durchschnitten.
Genug!
Sie spannte ihren Körper an und fühlte, wie sich die beiden Schlitze auf ihrem Rücken öffneten. Mit einem Wimpernschlag entfalteten sich die hauchdünnen Flügel und fingen den Wind ein. Sie spürte den Ruck durch ihren ganzen Körper, als sich die Haut spannte und den Fall bremste. Kaum vier Meter über dem Boden verharrte sie für einen Moment, ehe sie mit einigen Flügelschlägen kehrtmachte und in einem weiten Bogen wieder auf den Sternenhimmel zuschoss. Ein Jauchzen drang ihre Kehle hoch, und sie ließ ihm freien Lauf. Das war das wahre Leben! Die Nacht gehörte ihr allein.
Brent stieß die Tür weiter auf und trat auf das Dach hinaus. Die Stahltür schlug hinter ihm mit einem dumpfen Dröhnen zu und schickte den Kirchturmglocken einen dreizehnten Schlag hinterher.
»Raika?«, rief er noch einmal und fühlte sich plötzlich sonderbar verzagt. Noch mehr als sonst, wenn er ihr gegenübertrat. Was für eine dumme Idee, ihr so nachzulaufen. Hatte sie ihn jemals auch nur andeutungsweise spüren lassen, sie könnte für seine Verehrung empfänglich sein? Und nun lief er ihr wie ein Junge auf dem Schulhof hinterher und bettelte um ihre Gesellschaft!
Er spürte die geschlossene Tür in seinem Rücken. Ach was, jetzt war er schon einmal hier. Mehr als eine Abfuhr konnte sie ihm nicht erteilen.
Brent entfernte sich ein paar Schritte vom Treppenschacht und lauschte dem Knirschen unter seinen Schuhen. Langsam schweifte sein Blick von einer Seite zur anderen. Wo war sie nur abgeblieben? Sie war doch nicht etwa bis zur Dachkante vorgelaufen, um hinunterzusehen? Allein die Vorstellung ließ ihn erschaudern, und er setzte seine Schritte noch zögerlicher.
Plötzlich blieb er stehen. Er bückte sich und griff nach dem, was da vor seinen Füßen lag.
Ein Blazer. Raikas Blazer. Er erkannte ihn sofort. Den Duft, der aus dem Stoff aufstieg, hätte er jederzeit erkannt.
Warum hatte sie ihn ausgezogen? Warm war es hier oben nicht gerade. Ja, der Wind war geradezu kalt und blies in stürmischen Böen. Brent fröstelte. Er legte den Blazer sorgfältig zusammen und hängte ihn über seinen Arm. Dann ging er noch einen Schritt weiter und bückte sich erneut.
Ihre Bluse.
Nein, das konnte nicht sein. Das war irgendein Streich seiner verdorbenen Fantasie. Und noch weniger konnten das dort ihr Rock und ihre Schuhe sein.
O Gott!
Ihre Kleidungsstücke in den Armen, blieb er wie erstarrt stehen. Sein Blick tastete sich fast widerwillig voran, bis er an der Dachkante kleben blieb.
Nein, das konnte auf keinen Fall sein!
Und doch. Er drehte sich einmal um seine Achse. Nichts. Er konnte keine Menschengestalt auf dem Dach sehen. Sie war nicht hier – wenn sie sich nicht gerade hinter der Mauer des Treppenschachts verbarg.
Nackt! Im kalten Nachtwind.
Es war absurd. Doch noch unglaublicher war die einzige andere Erklärung, die sein Verstand ihm anbot.
Doch das durfte nicht sein!
Brent machte einen weiteren kleinen Schritt vorwärts. Die Dachkante war nun noch etwa zwei Meter entfernt. Er würde auch diese Strecke überwinden müssen, um hinuntersehen zu können.
Noch ein kleiner Schritt.
Dabei wollte er gar nicht nach unten sehen. Tiefe Abgründe machten ihm Angst. Sie lockten und zogen. Es gab Dämonen dort unten, die einen ins Verderben stürzten. Wenn Raika nicht gewesen wäre, hätte er im Leben nie dieses Dach erklommen, einunddreißig Stockwerke über dem Grund.
Noch konnte er zurück. Das alles war nicht geschehen. Sein Blick fiel auf die Kleider in seinem Arm.
Er konnte sie einfach hier liegen lassen, ins Büro zurückgehen und dann warten, was passierte. Dieser Albtraum konnte enden, oder ein anderer würde beginnen. Einer, in dem es Raika nicht mehr geben würde. Er beugte sich herab und legte das Kleiderbündel auf den Kies.
So ist es recht, ertönte eine Stimme in seinem Geist.
Brent schreckte hoch. War das sie?
»Raika, wo bist du?«, hauchte er kläglich, ohne wirklich auf eine Antwort zu hoffen, und dennoch war da wieder diese körperlose Stimme, die nach der ihren klang und doch auch wieder nicht. Sie war ein wenig tiefer, rauer, erotischer. Sie lockte ihn und spielte mit ihm. Das war nicht Raikas Art. Sie klang meist eher abweisend oder genervt.
Komm hierher, dann zeige ich dir etwas.
Er wollte nicht, und dennoch machten seine Füße wie von allein zwei weitere Schritte auf den Abgrund zu.
»Was willst du mir zeigen?«, fragte er den Wind. Sein Blick irrte ziellos umher. Er konnte sie nicht sehen, und doch musste sie hier irgendwo sein. Oder wurde er verrückt?
Er stöhnte. In seinem Geist vernahm er ein Kichern. Komm! Nur noch zwei, drei Schritte, dann wirst du all die Antworten finden, die du begehrst.
Brent spürte, wie seine Hände schweißnass vor Furcht wurden, als er sich gehorsam weiter dem Abgrund näherte. Aber es war nicht nur Angst, die ihn in Aufruhr versetzte. Er konnte fühlen, wie Erregung seinen Körper ergriff und sich nicht nur die Härchen überall auf seiner Haut aufrichteten. Etwas Ungeheures ging hier vor sich, während er wie erstarrt an der Dachkante stand und den Blick in die Tiefe sinken ließ.
»Suchst du etwas?«
Wieder ihre Stimme, dieses Mal nicht nur in seinem Kopf. Sie klang ganz nah. Brent wandte sich um. Er musste blinzeln, zu sehr fürchtete er, seine Sinne könnten ihn narren. Da stand sie, nur ein paar Meter neben ihm, ebenfalls direkt an der Kante. Es war Raika, kein Zweifel, und doch war sie es auch nicht. Er erkannte ihren schlanken Körper, obwohl sie jetzt nackt war und er sie höchstens in seiner Fantasie jemals so gesehen hatte. Er sah ihr langes schwarzes Haar, das er stets bewundert hatte, und die dunklen Augen, in denen nun ein seltsamer katzenhafter Schimmer lag. Auch ihr Gesicht schien ein wenig schmäler, doch so ebenmäßig schön, wie er es noch nie bei einer Frau gesehen hatte. Mit einer lasziven Bewegung, die ihn ebenfalls an eine Katze erinnerte, legte sie den Kopf in den Nacken und strich sich über das Haar. Er schluckte trocken. Wenn dies ein Traum war, dann sollte er niemals enden!
»Raika, du bist so wunderschön«, presste er hervor.
Sie gluckste leise und trieb ihm erneut einen Schauder durch den Körper.
»Ich liebe dich!«, stieß er flehend aus und streckte seine Arme nach ihr aus.
Nun klang ihr Lachen eher verächtlich.
»Du liebst mich? Sag mir, wie sehr.«
»Unendlich! Mehr als alles auf der Welt«, beteuerte er.
»Mehr als dein Leben?«, fragte sie weiter. Ihre Augen verengten sich. Noch einmal schenkte sie ihm ein raubtierartiges Lächeln, das irgendwie hungrig wirkte. Dann sprang sie ...
Brent blieb sein Schrei des Entsetzens im Hals stecken. Das konnte nicht wahr sein. Nein, nein, nein! Der Traum entwickelte sich nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Er starrte ihr nach, wie sie in die Tiefe stürzte. Doch dann geschah etwas Unglaubliches. Etwas entfaltete sich hinter ihrem Rücken. War das eine Art Fallschirm? Es wirkte so zart, und doch konnte er sehen, wie der Wind die dünnen Häute spannte, die ihn an die Flügel einer Fledermaus erinnerten. So schwebte sie davon, während ihr leises Lachen in seinem Kopf widerhallte.
Liebst du mich mehr als dein Leben?, hallte es in seinem Kopf. Es lockte und zog, und obgleich ein Teil seines Geistes noch Widerstand leistete und sich alle Mühe gab, die Todesangst in ihm wachzurütteln, konnte er sich nicht wehren. Er ließ sich vom Locken ihrer Stimme leiten und schritt wie ein Traumwandler an der Dachkante entlang, bis er die Ecke erreichte.
Noch einmal sah er sie, wie ihre schlanke Gestalt mit einem eleganten Schwung vor dem fast vollen Mond vorbeizog.
Komm, lockte sie, komm! Die Nacht ist für uns gemacht. Es ist nur ein winziger Schritt bis zur Erlösung.
Brent glaubte ihr. Die Versuchung war einfach zu groß. Was, wenn ihr Versprechen wahr werden würde? Was, wenn er wirklich dazu auserkoren war, der glücklichste Mann auf Erden zu werden? Was war schon ein winziger Schritt?
Er machte einen großen. Ja, er stieß sich geradezu von der Kante ab, um mit ausgestreckten Armen ihrem Ruf zu folgen.
Es sollte nicht funktionieren. Sie hatte ihn betrogen. Der Gedanke schoss ihm erschreckend klar durch den Kopf, während er auf die Erde zuraste, bis der Asphalt seinen Fall bremste und den Schmerz der Enttäuschung mit all den anderen Gedanken für immer jäh zum Schweigen brachte.
Es war kurz nach ein Uhr, als Raika durch die Drehtür ins Freie trat. Sie warf einen prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild, das die Glastür ihr zeigte. Ihr Kostüm war ein wenig zerknittert, die Haare zerzaust, nichts, was den anderen in dieser Nacht auffallen würde. Das Blaulicht des Rettungswagens zuckte hektisch mit dem der Polizei um die Wette, obwohl es hier nichts mehr zu retten gab, das wusste Raika bereits, ehe sie unauffällig hinter ihre beiden Kollegen trat, die mit einer Handvoll später Passanten beisammenstanden. Sie drückten sich wie eine Herde verängstigter Beutetiere eng zusammen, als könnten sie sich vor dem Unfassbaren schützen, das den Tod so unerwartet in ihre Mitte gebracht hatte. Raika konnte ihre Angst und ihre Verunsicherung riechen, aber auch die Abscheu, angesichts des zerschlagenen Körpers auf dem Asphalt, um den sich eine große Lache Blut ausbreitete.
Lucy schluchzte und barg das Gesicht in den Händen, um den Anblick nicht länger in sich aufnehmen zu müssen, während Gernot wie fröstelnd die Schultern hochzog und etwas von »Burn-out« murmelte. Eine Erklärung, die heutzutage für so vieles herhalten musste. Warum nicht für einen spontanen und so unerklärlichen Selbstmord?
Raika schnaubte leise, doch zum Glück klang es nur in ihren eigenen Ohren amüsiert. Sie wartete, bis die beiden Rettungssanitäter Brents Reste auf eine Tragbahre gepackt und mit einem Tuch abgedeckt hatten, dann wandte sie sich ab. Die Nacht war noch jung und konnte noch so viel Überraschendes bereithalten. Unter diesen Umständen würde ihr Chef vielleicht verstehen, dass sie die Arbeit nicht zu Ende bringen würden. Nein, weder Lucy noch Gernot sahen so aus, als würden sie sich heute Nacht wieder an ihren Computer setzen, um die Pläne fertig zu zeichnen.
Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte sich Raika ab und schlenderte fröhlich vor sich hin summend die Straße entlang, bis die Dunkelheit sie verschlang.
»Mr. Clayton, wir haben zu danken«, sagte Lorena und versuchte, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen. »Ja, ich melde mich wieder. Nein, wir haben alle Daten. Wir schicken Ihre Abrechnung wie üblich sofort raus. Ich wünsche Ihnen auch ein schönes Wochenende.«
Sie berührte die Markierung auf ihrem Touchscreen, beendete das Telefonat und atmete tief durch. Dann wandte sie sich ihrem Chef zu, der gerade bei ihrem Kollegen zwei Arbeitsplätze weiter stand. »Sir, fünf Millionen der Mobil-optionen gehen an die Westland Corporation.«
Er wandte sich ihr mit aufmerksamer Miene zu. »Kurs?«
»Dreizehn fünfundneunzig.«
Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Gut gemacht!«
Lorena spürte, wie sie errötete. Es kam nicht oft vor, dass sie von ihrem Chef vor den anderen gelobt wurde.
»Ich rufe gleich noch bei Liberten durch und biete ihnen auch welche an«, sagte sie eifrig und scrollte auf ihrem Bildschirm bereits die Seiten der Kontaktdaten durch.
»Die sind bestimmt schon ins Wochenende verschwunden«, prophezeite David, der links neben ihr saß. »Und das werde ich jetzt auch tun.« Er erhob sich und begann, seinen Aktenkoffer zu packen.
»Was hast du vor?«, erkundigte sich Mercedes von schräg gegenüber und warf mit einer neckischen Bewegung ihr langes dunkles Haar zurück. Ihre Mutter stammte aus Argentinien, und sie hatte von ihr die rassige Schönheit geerbt.
David machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Mal sehen. Ich habe da so meine Vorstellungen.«
»Ah, eine neue Flamme?«, bohrte Mercedes nach, doch er gab sich zugeknöpft.
»Der Gentleman genießt und schweigt.«
»Pah«, gab Mercedes zurück. »Ich verrate dir auch etwas über mein Date, wenn du mir ihren Namen sagst.«
»Oh, jetzt hast du ihn aber in Zugzwang gebracht«, mischte sich Peter ein und lachte. »Schnell Alter, denk dir was aus, sonst stehst du mit deiner Aufschneiderei ganz dumm da.«
»Aufschneiderei? Was denkst du! Sie ist ganz wunderbar, aber das geht euch nichts an. Vielleicht werde ich sie euch irgendwann mal vorstellen, aber nur wenn ihr euch gut benehmt.«
So scherzten sie und neckten sich gegenseitig, während sie ihre Jacken anzogen und ihre Aktenmappen schlossen. Nur Lorena saß noch still an ihrem Platz und notierte sorgfältig die Abwicklungsdaten des letzten Verkaufs. Ein Hauch von Parfüm wehte ihr in die Nase und ließ sie aufsehen.
»Hi Lorena, du hast doch sicher heute Abend nichts vor?« Alice sah mit diesem treuherzigen Blick auf sie herab, der so falsch war wie ihr süßlicher Tonfall.
Lorena erwiderte nichts, obgleich sie genau wusste, was ihre Kollegin ihr damit sagen wollte.
»Weißt du, ich habe es wahnsinnig eilig. Ryan und ich wollen heute ins Peppermint gehen. Ein total angesagter Laden«, säuselte sie und legte unauffällig einen Stapel rosaroter Blätter auf Lorenas Schreibtisch. »Man kann von Glück sagen, wenn man einen Tisch bekommt.«
Lorena erwiderte noch immer nichts. Sie hielt ihren Blick auf ihre Kollegin gerichtet, bis diese ein wenig nervös anfing, sich eine ihrer langen roten Haarsträhnen um den Finger zu wickeln.
»Ich meine, wenn du es nicht eilig hast, dann könntest du noch die Durchschläge hier ablegen und die Abschlüsse eintragen. Das wäre sehr nett von dir«, fügte sie hinzu, da sich noch immer kein Lächeln auf Lorenas Gesicht zeigte, das ihr signalisierte, dass das unscheinbare Blondchen, nach dem sich auf der Straße ohnehin kein Mann umdrehen würde, doch gern am Freitag noch eine Weile im Büro blieb, um ihrer umwerfend attraktiven Kollegin ihren frühen Feierabend zu sichern.
Lorena sah sich in dem ein wenig verächtlichen Blick ihrer Kollegin gespiegelt: eine Frau Ende zwanzig von unauffälliger Größe. Überhaupt passte »unauffällig« zu fast allem, was man über sie sagen konnte: Ihre Figur war weder schlank noch üppig, ihr Haar nicht richtig blond, ihre Augen zwar blau, aber nicht von dieser Strahlkraft, die einen Blick unvergesslich machten. Sie sprach meist leise und neigte im Gegensatz zu Alice weder zu Wutausbrüchen noch zu lautem Lachen. Selbst ihre Gewohnheiten, ja, ihr ganzes Leben schienen in den Augen ihrer Kollegin mit dem Wort »unauffällig« ausreichend beschrieben.
Lorena biss die Zähne zusammen. Sie spürte, wie ein unbekannter Zorn in ihr aufstieg. Wie oft hatte sie dieses Spiel schon mitgemacht? Wie oft war sie am Abend hier in der Bank gesessen und hatte die Arbeit ihrer lieben Kollegen übernommen, damit diese zu irgendwelchen echten oder vorgetäuschten Dates gehen konnten?
Heute nicht. Sie hatte genug!
Lorena schob die rosa Zettel zurück und erhob sich. »Sorry, ich kann dir nicht helfen. Ich habe auch schon etwas vor«, log sie und unterdrückte beim Anblick von Alices ungläubiger Miene einen Seufzer. War es denn so unglaubwürdig, dass sie an einem Freitagabend eine Verabredung hatte?
Darauf gab sie sich lieber keine Antwort. Mit energischen Bewegungen zog sie ihre dunkelblaue Kostümjacke an und klappte ihren Aktenkoffer zu.
»Na, dann muss ich dir wohl viel Spaß wünschen«, schnappte Alice und rauschte mit ihrem Zettelstapel beleidigt davon.
»Gut gemacht!«, kommentierte David, der ihr ebenfalls schon das ein oder andere Mal seine Arbeit aufgeladen hatte. »Mir kam schon öfter der Gedanke, dass du dich zu sehr ausnützen lässt.«
Lorena lächelte schwach. Sie ging mit ihm zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte und den anderen ein schönes Wochenende wünschte. Die meisten grüßten zurück. Außer natürlich Alice, die noch eine Weile schmollen würde. Tja, das war der Preis für den Widerstand.
»Und? Hast du es eilig?«, erkundigte sich David, als sie im Aufzug zusammen hinunterfuhren.
Lorena hob die Schultern. »Warum?«
»Ich dachte, du möchtest mit uns vielleicht noch etwas trinken gehen.« Es sah sie freundlich an.
Lorena versuchte, nicht zu sehr zu strahlen. Es kam nicht oft vor, dass die Kollegen sie fragten, ob sie mitkommen wollte, obwohl sie häufig nach Feierabend einen ihrer Lieblingspubs aufsuchten, vor allem an Tagen wie diesem, da es in London einmal nicht regnete.
Nun zeigte sie ihre Freude doch und lächelte ihren Kollegen an, der sie um einen Kopf überragte. »Gern! So eilig habe ich es nicht, ich meine, ich habe noch etwas Zeit.« Sie brach ab. Sie wollte ihren Kollegen nicht mit der Lüge einer Verabredung beleidigen.
»Gut!«, sagte er und erwiderte ihr Lächeln.
Der Aufzug entließ sie und ein halbes Dutzend andere Mitarbeiter in die prächtige Eingangshalle, von wo sie sich mit dem Strom der Menschen durch die Drehtür nach draußen treiben ließen. Die Sonne stand tief am fast wolkenlosen Himmel und schnitt blendend grelle Streifen zwischen den Schatten der Häuser aus dem Straßenpflaster.
Lorena warf noch einen Blick zurück auf den bereits ein wenig in die Jahre gekommenen Glaskasten, in dem die HSBC einige Stockwerke belegte. Die strahlend neue Zentrale funkelte draußen in der Canary Wharf mit dem Hochhaus der Citibank um die Wette, mit Barclays und Natwest, Morgen Stanley und Credit Suisse und all den anderen, die den großen Weltfinanzkuchen untereinander aufteilten. Die HSBC gehörte immerhin zu den fünfzig größten Unternehmen der Erde und zählte sich zu den wichtigsten Großbanken, dabei hatte das Unternehmen 1865 als Hongkong and Shanghai Banking Corporation ursprünglich zur Finanzierung des britischen Handels mit Fernost begonnen. Auf dem Höhepunkt des Welthandels mit den fernen Kolonien stieg das Unternehmen rasch zu einer der wichtigsten Banken auf.
Lorena und David schlenderten die Straße entlang zum Leadenhall Market und schoben sich dann zwischen der Traube der Anzugträger, die sich bereits vor dem Pub versammelt hatten, bis zum Tresen der Swan Tavern vor. Lorena bestellte ein Pint Guinness, obwohl sie nicht so gern Bier trank. David orderte das hausgebraute Bier, das dunkler und kräftiger war. Gemeinsam schlängelten sie sich zurück auf die Straße und gesellten sich zu ein paar anderen, die bei verschiedenen Banken hier im Viertel arbeiteten. Man kannte sich vom Sehen, prostete einander zu und verlor ein paar Worte über den prächtigen Spätsommertag, der gute Hoffnung für das Wochenende versprach. Kurz darauf schlossen sich ihnen noch Mason und William an, die ebenfalls bei der HSBC im Handel mit Optionen und anderen Wertpapierderivaten arbeiteten. Sie fachsimpelten ein wenig mit David und wechselten dann zu den Cricketergebnissen und zum Football. Lorena nippte an dem bitteren, fast schwarzen Gebräu und ließ den Blick über die Menschentraube um den Pub schweifen, die noch immer größer wurde. Die Swan Tavern lag ein wenig zurückversetzt von der lauten Hauptstraße in einem überdachten Durchgang, der hinüber zum Leadenhall Market führte, was den Vorteil hatte, dass man hier auch bei Regen mit seinem Bier draußen stehen konnte. In London ein nicht zu verachtender Punkt! Wenn das Wetter im Winter zu unwirtlich wurde, zogen die meisten allerdings in den geschützten Bereich des historischen Leadenhall Market um, der auch von Touristen geschätzt wurde – und von Anhängern der Harry-Potter-Filme.
Lorena betrachtete die Besucher des Pubs. Beinahe ausnahmslos Männer in dunklen Anzügen und Frauen in strengen Kostümen, die hier in der City ihre Arbeitswoche mit einem Bier beendeten, um dann nach Hause in die Vororte zu ihren Familien zu fahren. In ein oder zwei Stunden würde die City of London wie ausgestorben sein, bis auf die kleineren und größeren Gruppen von Touristen, die den ungewöhnlich schönen Spätsommerabend dazu nutzen würden, noch ein wenig durch das alte Stadtzentrum zu schweifen, das heute fest in der Hand der Börse, Banken und Versicherungen lag.
»Ich muss jetzt gehen«, hörte sie sich plötzlich sagen, obwohl sie ihr Bier noch nicht einmal zur Hälfte ausgetrunken hatte.
David unterbrach sein Gespräch mit den anderen, das inzwischen bei Pferderennen angekommen war, und wandte sich ihr zu. »Was, schon? Ach ja, du sagtest ja, du hättest noch was vor.«
Sie ignorierte seinen forschenden Blick und sagte stattdessen: »Ich wünsche euch ein schönes Wochenende.« Sie winkte zum Abschied und nickte Mason und William zu, die ihre Biergläser anhoben.
»Gleichfalls. Treib’s nicht zu bunt«, scherzte William, der so etwas wie der Spaßvogel der Abteilung war.
Lorena erwiderte seine Grimasse mit einem Lächeln und wandte sich ab. Mit langen Schritten, soweit der schmal geschnittene Rock und ihre Absätze es zuließen, ging sie die Straße entlang auf die hoch aufragende Säule zu, die an den großen Brand von 1666 erinnerte, der von hier aus innerhalb von vier Tagen fast die ganze Stadt vernichtet hatte. Ein paar asiatisch aussehende junge Mädchen machten sich daran, die mehr als dreihundert Stufen bis zur Aussichtsplattform zu erklimmen, während Lorena zur U-Bahn hinabstieg, um mit der Circle Line nach Hause zu fahren. Die heute veralteten Wagen der einst im neunzehnten Jahrhundert revolutionär modernen Londoner U-Bahn klapperten an der Themse entlang bis Westminster und dann in einem weiten Bogen über South Kensington nach Notting Hill. Lorena stieg am Notting Hill Gate an der nordwestlichen Ecke des Hydeparks aus und machte sich auf den Heimweg.
Früher war Notting Hill ein kaum beachtetes Viertel am Rande der Stadt gewesen, doch seit Julia Roberts und Hugh Grant hier im Film ihre Liebe gefunden hatten, kannte jeder Besucher Londons diesen Stadtteil zumindest dem Namen nach. Der Strom der Besucher, den der Film nach sich gezogen hatte, war dagegen schon wieder abgeflaut.
So zielstrebig Lorena in der City auch ausgeschritten war, nun verlangsamte sich ihr Schritt, und als sie die Portobello Road erreichte, ging sie an ihrer Tür vorbei. Was sollte sie jetzt schon in ihrer Wohnung? Vermutlich wartete nicht einmal ihr Kater auf sie. So schlenderte sie ziellos an der Reihe schmaler, bunt gestrichener Häuser entlang, die sich eins ans andere lehnten, blieb an den Auslagen der kleinen Schaufenster stehen, betrat den Teeladen, um sich ein wenig grünen Tee zu kaufen, und wechselte ein paar Worte mit der alten Dame, die den Laden seit über fünfzig Jahren betrieb.
Was nun?, dachte Lorena, als sie wieder auf der Straße stand. Es herrschte noch buntes Treiben. Ganz anders als in der City lebte hier ein Gemisch aus Menschen, deren Vorfahren aus der Karibik stammten, von alten Leuten mit ihren kleinen Kramläden im Erdgeschoss, von Künstlern und Studenten, aber auch von reichen Familien, die den säulengeschmückten Villen entlang der Hauptstraßen zu neuem Glanz verhalfen.
Lorena sog die Luft tief ein. So viele Gerüche mischten sich hier. Von irgendwoher erklang das Klagen eines Saxofons. Sie folgte dem Klang, hörte dem Alten, der auf einer Bank saß, eine Weile zu, und warf ihm dann ein paar Pence in seinen Hut. Er neigte den Kopf und lächelte ihr zu. Lorena erwiderte das Lächeln. Als sie den Blick hob, fiel er auf das Aushängeschild des Friseurladens, den es vielleicht schon fast so lange hier gab wie Madam Rutherfords Teashop. Allerdings hatte hier der Besitzer erst gewechselt und warb nun mit modernem Chic zu kleinen Preisen. Lorena strich an ihren dunkelblonden, glanzlosen Strähnen entlang. Sollte sie es versuchen? Eine neue Frisur? Ein wenig Farbe?
Wozu?, fragte eine resignierende Stimme in ihrem Kopf, die an diesem Tag jedoch von einer neuen, energischen übertönt wurde.
Ja, klar! Komm, trau dich. Du hast dich gegen Alice durchgesetzt, das ist ein Grund zu feiern!
Mit forscher Miene betrat sie den Friseurladen und begab sich in die Hände eines jungen Mannes, dessen Frisur sie von Schnitt und Farbe nur als abenteuerlich bezeichnen würde. Sie konnte nur hoffen, dass sie ihren Mut nachher nicht bereuen musste.
»Lorena? Bist du es wirklich?«
Sie schreckte hoch und starrte in ein Gesicht, das ihr fremd und doch auch vertraut vorkam.
»Erkennst du mich nicht mehr?« Er klang fast ein wenig gekränkt.
Bilder schossen ihr durch den Kopf. Der Unfalltod ihres Vaters, der nie ganz geklärt worden war. Die Verzweiflung und die Leere, die sie erfasst hatten, und dann ihre Flucht nach England auf die Highschool. Die vielen unbekannten Gesichter voller Neugier, aber auch abweisend der Deutschen gegenüber, die für die letzten drei Schuljahre von Hamburg her zu ihnen über den Kanal gekommen war. Doch dann war da dieser Junge zwei Klassen über ihr gewesen, der ihr in der Mensa einen Platz an seinem Tisch angeboten hatte.
»Jason? Nein, das glaube ich jetzt nicht!«, rief Lorena und umarmte ihn spontan. Errötend ließ sie ihn wieder los und trat einen Schritt zurück, doch er schien nichts dabei zu finden. Er musterte sie eingehend, als wolle er jede noch so kleine Veränderung aufspüren, die der Fluss der Zeit in fast zehn Jahren bei ihr hinterlassen hatte. Auch Lorena suchte in dem Mann den Schuljungen, den sie vom ersten Tag an heimlich bewundert hatte.
Jason war groß. Sie hatte schon immer zu ihm aufsehen müssen, und noch immer hatte er die Figur eines Sportlers. Sein Haar war ein wenig dunkler als früher, und er trug es kürzer, was ihm gut stand. Seine Züge waren männlicher, die Konturen schärfer geworden. Seine Haut war leicht gebräunt, und er hatte sich schon ein paar Tage nicht mehr rasiert, was ihm einen verwegenen Touch verlieh. Ja, er sah einfach umwerfend aus!
Überraschenderweise schien auch er mit seiner Musterung zufrieden, denn er nickte und lächelte Lorena an, dass sie glaubte, weiche Knie zu bekommen. »Du siehst gut aus«, sagte er. »Schöne Haarfarbe, und auch der Schnitt steht dir.«
»Danke, ich war gerade beim Friseur«, verriet sie ihm und strich über ihr duftendes Haar, das ihr durch den vorn gestuften Schnitt und ein paar Tricks des Figaros locker und weich über die Schultern fiel. Ein paar blonde und rötliche Strähnchen verliehen ihm neuen Glanz.
»Und was machst du hier?«, bohrte er weiter.
Lorena lachte. »Ich wohne hier. Nicht weit, die Portobello Road runter, wo es samstags den berühmten Straßenmarkt für Secondhandkleider und Antiquitäten gibt.«
Jason grinste. »Ah, dann hat es dich also doch in die Künstlerszene verschlagen. Ich wusste es! Du warst beim Schultheater brillant. Komm, lass uns einen Kaffee trinken gehen. Hast du Zeit? Du musst mir alles erzählen!«
Lorena fühlte sich ein wenig überrumpelt, doch was konnte der Abend Schöneres bringen als ein Wiedersehen mit einem geliebten Schulfreund? Es gibt keinen Grund, so nervös zu sein, versuchte sie sich einzureden, während sie sich um ihre Achse drehte und dann auf ein kleines Café an der Ecke deutete, das mit seinen durchgesessenen Polstersitzen sicher ein wenig antiquiert daherkam. Doch der Kaffee war gut, und auch gegen die hausgemachten Kuchen war nichts einzuwenden.
»Der Apple Crumble ist lecker«, empfahl sie Jason, der sich gleich eine große Portion mit viel Sahne bestellte.
Lorena entschied sich für die Lemon-Curd-Baiser-Pie und aß erst einige Bissen, ehe sie ihm die Antwort gab, die sie bis dahin bewusst hinausgezögert hatte, doch Jason war keiner, der lockerließ.
Er wartete, bis sie die Gabel niederlegte, dann drängte er noch einmal: »Nun erzähl schon. Was hast du alles gemacht, nachdem wir uns bei deiner Abschlussfeier das letzte Mal gesehen haben.«
»Nichts Aufregendes«, gab sie zurück und seufzte. »Ich habe mich auf der London Metropolitan University für International Banking and Finance eingeschrieben und dort meinen Master gemacht. Und seit drei Jahren arbeite ich bei der HSBC im Handel – Optionen und verschiedene Derivate. Nichts Aufregendes«, fügte sie noch einmal hinzu, und es tat ihr fast weh, erst sein Erstaunen und dann die Enttäuschung in seinem Blick zu sehen. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Immerhin lag ein Lächeln auf seiner Miene, als er von seinem Apple Crumble aufsah.
»Wow, das hätte ich nicht erwartet. Aber es stimmt schon, du warst in Mathe immer unser kleines Genie. Dann gehörst du jetzt also zu den bösen Bankern, die den kleinen Leuten wertlose Zertifikate andrehen, um sie um ihre Ersparnisse zu bringen!«
Er zwinkerte bei seinen Worten, dennoch brauste Lorena auf. »Nein! Ich habe nicht mit Privatkunden zu tun. Meine Kunden sind große Unternehmen, die genau wissen, worauf sie sich einlassen.«
»Sodass du jede Nacht mit ruhigem Gewissen schlafen kannst«, fügte er mit übertriebenem Ernst hinzu, doch seine Augen funkelten.
»Genau«, log Lorena.
Wenn sie eines nicht konnte, dann ruhig schlafen, aber das hatte nichts mit der Bank oder den Wertpapieren zu tun.
»Und du? Was machst du? Was führt dich nach Notting Hill?«, gab sie die Frage zurück, um von sich abzulenken.
»Ich bin nach Schottland gegangen, nach Edinburgh, um Musik zu studieren.«
Lorena vergaß ihre Pie. »Du hast es wirklich wahr gemacht? Schon damals in der Schule hast du herrlich Klavier gespielt, aber du hast immer behauptet, Musik sei eine brotlose Kunst.«
Jason lachte und hob dabei die Schultern. »Das wird sich zeigen. Im Moment geht es ganz gut. Ich habe mich auf das Cello konzentriert und seit ein paar Wochen ein Engagement bei einem Orchester. Klavier spiele ich nur noch nebenher, meist wenn ich Schüler unterrichte. Und wenn ich von der klassischen Musik genug habe, hole ich das Saxofon hervor.« Er schmunzelte ein wenig spitzbübisch. »Meine Erholung heißt Jazz.«
»Eine anspruchsvolle Erholung«, meinte Lorena.
Jason bestellte eine zweite Runde Kaffee und schob den letzten Löffel Apple Crumble in den Mund. Mit einem Seufzer lehnte er sich in seinem schon ein wenig abgeschabten Sessel zurück. »Mich erfüllt es, und ein wenig Geld bekomme ich meistens auch für diese zusätzlichen Auftritte, es sei denn, ich treffe mich nur mit ein paar Freunden in einer Jazzkneipe, um ein wenig zu improvisieren. Aber dann sind zumindest die Getränke umsonst.« Er grinste so entwaffnend, dass auch Lorena ihn warm anlächelte.
»Du wirkst jedenfalls glücklich mit deiner Entscheidung«, stellte sie fest.
Jason nickte. »Ja, das bin ich, und seit ich das Engagement beim Orchester habe, sind auch meine Eltern wieder ein wenig versöhnt. Jetzt kann ich mir endlich ohne Unterstützung meine Wohnung und ein Auto leisten und muss keinem mehr auf der Tasche liegen. Ein Problem, das du sicher schon lange nicht mehr kennst. Ich vermute, bei deinem Job verdienst du richtig gut.«
Lorena zuckte mit den Schultern. »Ja, das stimmt, aber irgendwie ist es mir nicht wichtig. Ich habe hier meine Wohnung und meine Katze, und das genügt mir.«
Jason sah auf die Uhr. »Ich muss weiter. Ich bin mit ein paar Kumpels verabredet. Wir wollen die Stücke durchgehen, die wir morgen spielen. Ach ja, wenn du noch nichts vorhast und gerne kommen möchtest: Wir spielen morgen ab neun in der Mau Mau Bar.«
Lorena hob die Augenbrauen. »Das ist ja nur die Straße runter. Ja, natürlich komme ich!«
Er hauchte ihr zum Abschied zwei Küsse auf die Wangen und ging davon.
Lorena sah ihm hinterher und fühlte, wie ihr Herz aufgeregt pochte. »Sei still«, befahl sie und zwang ihre Schritte in die entgegengesetzte Richtung. »Es gibt überhaupt keinen Grund für diesen Aufruhr. Nur ein ehemaliger Schulfreund, der ein wenig von alten Zeiten plaudern will.«
Doch ihr Herz wollte sich nicht beruhigen und fand Unterstützung in wilden Fantasien, die in ihr aufstiegen und sie bis zu ihrer Haustür mit warmen Gedanken erfüllten.
»Jetzt ist aber Schluss!«, mahnte sie sich zur Ordnung, als eine Bewegung in den Augenwinkeln sie von ihrem freudig pochenden Herzen ablenkte. Es war schon dunkel, aber nicht so spät, als dass nicht noch einige Passanten unterwegs gewesen wären. Lorena hielt inne und sah sich um, doch keiner der Leute schien ihre Aufmerksamkeit erregt und sie aus ihren Gedanken gerissen zu haben. Sie kamen von der Arbeit oder hatten die letzten Einkäufe erledigt und strebten nun ihren Wohnungen zu, in Gedanken vielleicht noch bei ihrem Arbeitstag oder schon beim Abendessen.
Lorena schüttelte den Kopf und ging weiter, doch sie war kaum ein Dutzend Schritte gegangen, als sie wieder diesen Schatten bemerkte. Etwas wie ein intensiver Blick brannte in ihrem Rücken. Wieder blieb sie stehen und wandte sich um. Sie sah die Straße entlang. Einer dieser Passanten hier musste sie so fixiert haben, dass sie den Blick körperlich hatte spüren können. Doch keiner schaute in ihre Richtung oder schenkte ihr sonst irgendwie Beachtung. Sie sah nur einen Mann, der wie versteinert mitten in der Bewegung innegehalten hatte und verträumt ins Leere starrte. Eine Frau trat aus einem kleinen Laden und sprach ihn an, doch er reagierte nicht. Es sah immer noch so aus, als habe er gerade einen Geist gesehen. Lorena lächelte ein wenig mitleidig, als die Frau ihn am Arm packte und schüttelte. Langsam kehrte sein Blick aus der Ferne zurück, und es schien ihm schwerzufallen, auch seine Gedanken auf die Frau vor sich zu lenken. Lorena konnte an ihrer Miene sehen, dass sie ihn gehörig auszankte, dann ergriff sie seinen Arm und zog ihn mit sich auf die andere Straßenseite. Wie ein Schlafwandler tappte er hinter ihr her.
Lorena setzte ihren Heimweg fort und hatte den Schatten und den Mann bereits vergessen, als sie hinter dem kleinen Antiquitätenladen die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufstieg. Maunzend kam ihr Finley entgegen und forderte eine Portion Katzenfutter und seine Schüssel Milch ein.
»Du sollst nicht so viel Milch trinken. Du weißt, das bekommt dir nicht«, mahnte Lorena, als sich der schwarz-weiß gefleckte Kater wie üblich durstig auf die Schüssel stürzte.
Sie streichelte ihm über den Rücken, was er mit einem Schnurren quittierte, und schalt sich selbst, dass sie so nachgiebig war. Es war ihre Aufgabe, auf seine Gesundheit zu achten. Der Kater forderte nur ein, was ihm schmeckte.
Lorena seufzte und ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken. Warum war es nur so schwer, konsequent zu sein?
Lorena schlug die Abendzeitung auf, die ihr Vermieter Mr. Gordon wie üblich auf die Treppe gelegt hatte, und las den Aufmacher der lokalen Nachrichten, um nicht schon wieder an Jason zu denken.
Mysteriöser Selbstmord in der City, lautete die Überschrift. Solche Geschichten interessierten sie nicht sonderlich, dennoch las sie weiter. Das war nicht weit entfernt von dem Gebäude passiert, in dem sie arbeitete.
Ein Mann, Angestellter bei einem großen Architekturbüro, war gestern um Mitternacht vom Dach eines Hochhauses gesprungen. Seine Kollegen sagten aus, ihr Chef hätte kurzfristig Überstunden anberaumt. Das Opfer und seine drei Kollegen hätten Pläne überarbeiten sollen. Kurz vor Mitternacht sei eine der Kolleginnen hinausgegangen, um eine Pause zu machen. Das Opfer habe ebenfalls das Büro verlassen und sich nur wenige Minuten später vom Dach einunddreißig Stockwerke in die Tiefe gestürzt. Lorena wollte sich nicht vorstellen, was nach diesem Aufprall von seinem Körper übrig geblieben war. Die Rettungskräfte beneidete sie nicht um ihren Einsatz.
Anders als der Schreiber des Artikels fragte sie sich, was geschehen sein konnte, das den Mann so unvermittelt in den Tod getrieben hatte. War es ein Unfall gewesen? Oder vielleicht gar Mord? War er vielleicht in seine Kollegin verliebt gewesen und ihr gefolgt? Hatte er sich mit ihr auf dem Dach getroffen und sich mit ihr gestritten? Hatte sie seine Annäherungen abgelehnt und er sich daraufhin in Verzweiflung vom Dach gestürzt? Oder hatte sie ihn gestoßen?
Seltsam, dass die Zeitung nur von Selbstmord sprach. Einen Abschiedsbrief konnten sie ja kaum gefunden haben, wenn sie von einer spontanen Tat im Affekt ausgingen.
Irgendetwas stieß Lorena sauer auf. Das passte nicht zusammen. Es kam ihr gar so vor, als solle von vornherein jeder Zweifel ausgeschlossen werden. Es war Selbstmord und Ende. Keine weiteren Fragen, keine Untersuchungen. Selbst wenn jemand Interesse daran hatte, den Fall damit abzuschließen und in Vergessenheit geraten zu lassen, seit wann ließen sich die Zeitungen auf so etwas ein? War es nicht ihre Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen?
Ein Polizeisprecher wurde zitiert, der sagte, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass sich eine weitere Person auf dem Dach befunden habe, und da man im Blut des Opfers weder Alkohol noch Drogen gefunden habe, gehe man von einer Selbsttötung im Affekt aus.
Lorena schob die Zeitung beiseite und lauschte dem Gefühl der Unzufriedenheit, das sich in ihr ausbreitete. Sie kannte das bereits. Wenn ihr »Bauch« mit ihr sprach, nützte es nichts, ihn zu ignorieren. Diese Unruhe würde sie so lange quälen, bis sie der Sache auf den Grund gegangen war. Schon zog sie ihren Laptop heraus, schaltete ihn an und begab sich auf die Suche, was im Internet über den Fall zu finden war.
In den meisten Artikeln stand nichts Neues, doch dann fand sie die Zeugenaussage eines Mitarbeiters, der berichtete, das Opfer sei seiner Kollegin, die vor ihm in die Pause gegangen war, fast vor die Füße gefallen, sodass sie einen Schock erlitten habe. Das bedeutete natürlich, dass sie nicht mit ihm auf dem Dach gewesen sein und noch weniger ihn gestoßen haben konnte. Das unterstützte zwar die Selbstmordtheorie, dennoch war Lorena mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Sie konnte nicht sagen, was ihr dabei noch immer übel aufstieß. Sie suchte nach einer Aussage der Kollegin, doch sie selbst hatte sich gegenüber den Reportern offensichtlich nicht zu Wort gemeldet. Ihre Aussage wurde lediglich von anderen zitiert.
Weil sie einen Schock erlitten hatte? Lorena fragte sich, ob die Polizei sie dennoch vernommen hatte. Vermutlich.
Lorena durchforstete das Internet nach Fotos und betrachtete die mehr oder weniger unscharfen Amateuraufnahmen mit einem wachsenden Gefühl der Unruhe. Was war es, das sie dabei übersah?
Mit einem Maunzen sprang Finley ihr auf den Schoß. Der Kater drehte sich einmal um die eigene Achse und ließ sich dann mit einem Seufzer der Zufriedenheit nieder. Er schloss die Augen und begann, sich genießerisch die Pfoten zu lecken.
Lorena hielt inne und klappte dann den Laptop mit einer energischen Bewegung zu.
»Was tue ich hier eigentlich?«, fragte sie sich laut.
Der Kater maunzte, so als habe sie von ihm eine Antwort verlangt.
Lorena schmunzelte. »Du meinst, ich solle meine Finger lieber in dein Fell versenken und dich ordentlich kraulen, nachdem ich dich den ganzen Tag allein gelassen habe?«
Wieder maunzte er, als wolle er ihr zustimmen.
»Na dann, aber nur wenn du mir erzählst, was du den ganzen Tag getrieben hast«, sagte sie, während sie dem Kater zärtlich das Fell zauste.
Finley schnurrte leise und drückte sich noch enger an sie.
»Sicher war dein Tag spannender als meiner«, fuhr sie mit ihren Selbstgesprächen fort. »Du bist durch die Hinterhöfe geschlichen, hast den Spatzen aufgelauert und vielleicht gar die eine oder andere Maus erbeutet?«
Sein Schnurren wurde lauter.
Lorena seufzte. »Weißt du, Finley, manches Mal wünschte ich mir, mein Leben wäre so einfach wie deines. Du musst dir keine Gedanken über deine Zukunft machen, und noch weniger quält dich deine Vergangenheit. Vermutlich weißt du nicht einmal, was Albträume sind. Du lebst einfach so in den Tag hinein und weißt, dass ich jeden Abend nach Hause komme und deine Schüsseln fülle.«
Der Kater sah sie mit seinen grünen Augen aufmerksam an, dann rekelte er sich und gähnte herzhaft. Das Thema war für ihn offensichtlich erledigt.
Es war kurz nach Mitternacht, als sie am Tor des Herrenhauses ankam. Sie landete außerhalb des weitläufigen Grundstücks, denn sie wusste, dass die Lady es gar nicht schätzte, wenn man irgendwo unvermittelt in ihrem Garten auftauchte. Nein, das würde ihre Guardians aufscheuchen, und das konnte sicher sehr unangenehm werden, dachte Raika, obgleich sie noch keinem begegnet war und nur eine vage Vorstellung von den Kämpferinnen hatte, die die Lady zu ihrem Schutz und so manch anderem Zweck rekrutierte. Denn die Lady verstand es, ihre Macht einzusetzen und sich genügend dienstbare Geister oder besser gesagt Männer zu halten, deren einziges Glück darin bestand, ihr zu gefallen und ihre Befehle auszuführen.
Gryphon Manor, vor den Toren der altehrwürdigen Stadt Oxford gelegen, war eine jener eher wuchtigen als eleganten grauen Stilmischungen mit unzähligen Erkern, Giebeln und Kaminen, deren Ursprünge bis ins Mittelalter zurückreichten. Jede Generation schien sich bemüßigt gefühlt zu haben, dem Gebäude einen weiteren Anbau hinzuzufügen oder zumindest einem Teil des Ensembles seinen Stempel aufzudrücken. Der weitläufige englische Garten dagegen, der das Herrenhaus umgab, fügte sich harmonisch in die saftig grüne Landschaft ein.
Raika schob das hohe, schmiedeeiserne Gitter auf und folgte der geschwungenen Auffahrt zwischen Beeten mit englischen Teerosen. Der geharkte Kies knirschte unter ihren Schuhen.
Ein Mann, der wie ein Butler gekleidet war, empfing sie an der Tür und schloss dann die schweren, hölzernen Flügel hinter ihr.
»Warten Sie bitte hier«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
Raika hätte sich am liebsten an ihm vorbeigedrängt, doch sie zwang sich, gehorsam in der Halle stehen zu bleiben. Sie war, wie das ganze Haus – soweit Raika es bisher zu Gesicht bekommen hatte –, mit allerlei viktorianischen Möbeln und Nippes vollgestellt. Vieles mochte auch noch älter sein. So genau kannte sie sich damit nicht aus. Alles sah gepflegt und abgestaubt aus. Es roch nach Möbelpolitur. Verächtlich hob Raika die Oberlippe. Was waren das für armselige Geschöpfe! Leere Hüllen. Dienstbare Geister, ihres Willens beraubt. Und doch konnte selbst Raika nicht leugnen, dass sie ihre Vorteile hatten. Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, sich auch einen Dienstboten anzuschaffen, der dann ihre Wohnung sauber hielt und sie mit allem verwöhnte, was er zu bieten hatte, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kam? Die Vorstellung amüsierte sie und hatte einen gewissen Reiz.
Raika hörte, wie der Butler ihren Namen verkündete und dann die leise Stimme der Lady, die wie das Rascheln von Seidenpapier klang.
»Carter, sag ihr, sie mag hereinkommen.«
Raika hörte bereits am Klang der Worte, dass die Unterredung eher unangenehm werden würde. Sie spürte, wie Ärger in ihr aufstieg, und ballte die manikürten Hände zu Fäusten.
»Sie dürfen eintreten«, sagte der Butler, ohne den Blick zu heben.
Raika rauschte an ihm vorbei und näherte sich dem Sessel, in dem die Lady saß, so weit, bis sie der Mut verließ und sie abrupt stehen blieb. »Mylady, Sie haben nach mir geschickt«, murmelte sie, ohne die Frau im Sessel anzusehen, doch sie wusste auch so, wie sie aussah. Wer auch nur einmal einen Blick auf sie erhascht hatte, der vergaß ihn sein Leben lang nicht mehr.
Uralt war die Lady und doch alterslos. Das Gesicht schmal und mit glatter Haut. Ihr Blick so mächtig, dass er jeden in die Knie zwingen konnte. Eine altmodische Robe verbarg ihren Körper, der bestimmt so makellos war wie ihr Gesicht, und die langen, schlanken Finger, die nur von einem großen Rubin geschmückt wurden. Ihr Haar war fast farblos, und doch schimmerte es im Schein der trüben Lampen wie flüssiges Silber. Die Augen schienen schwarz, doch es wagte ohnehin niemand, ihren Blick zu erwidern. Auch Raika sah nur ihre Fußspitzen an, als sie darauf wartete, dass die Lady ihre Stimme erhob. Wie üblich sprach sie leise, doch es lag keine Wärme in ihren Worten.
»Weißt du, was ich hier habe?«
Zaghaft ließ Raika den Blick bis zu ihrem Schoß wandern, in dem sie eine aufgeschlagene Zeitung erkannte. Sie sagte nichts.
»Soll ich dir vorlesen, was hier geschrieben steht?«
Raika schüttelte den Kopf. »Ich habe den Artikel gesehen.« »Und? Was hast du mir dazu zu sagen?«
Raika spürte, wie Trotz in ihr aufwallte. Deswegen zitierte die Lady sie nach Oxford? Was sollte das? Es war nichts Schlimmes passiert. Nur ein Mann, der sich zu Tode stürzte. So etwas passierte in London ständig.
»Er ist freiwillig vom Dach gesprungen«, antwortete sie knapp.
»Aha, und du hast nicht ein wenig nachgeholfen?«
»Ich habe ihn nicht gestoßen!«
Die Lady seufzte. »Das habe ich auch nicht behauptet.« Sie schwieg, bis Raika die Stille nicht mehr aushielt. Sie war noch nicht entlassen.
»Wir mussten Überstunden machen. Es wurde spät, nun ja, es war an Neumond, und so bin ich um Mitternacht aufs Dach, um mich zu wandeln. Er ist mir gefolgt. Er hat mich gesehen! Was hätte ich denn tun sollen?« Und außerdem war er nur ein ganz gewöhnlicher Mann. Was soll das Geschrei deswegen?, dachte sie, sprach es aber nicht aus. Bei der Lady wusste man nie so recht. Sie konnte skrupellos und grausam sein, wenn es um ihre eigenen Belange ging, und auch bei anderen urteilte sie manches Mal seltsam streng.
»Gut«, sagte die Lady nach einer Weile. »Dennoch solltest du dir merken, dass ich es nicht wünsche, so etwas in der Zeitung lesen zu müssen. Sei in Zukunft achtsamer und sorge dafür, dass du kein Aufsehen erregst! Du wirst dir eine andere Stelle suchen und dich etwas unauffälliger geben. Und nun sage nicht, du könntest nichts für dein Aussehen und deine Wirkung auf Männer. Für wie einfältig hältst du mich? Ich weiß über deine Bemühungen Bescheid. Also beleidige mich nicht!«
Raika öffnete den Mund, doch die Lady schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Ich will keine Erklärungen oder Entschuldigungen hören. Du weißt, was ich erwarte, also halte dich daran. Du kannst jetzt gehen.«
Der Butler öffnete auf das Stichwort die Tür, und Raika blieb nichts anderes übrig, als sich mit einer Verbeugung zurückzuziehen. Innerlich schäumte sie vor Wut, doch es war nicht ratsam, das zu zeigen. Sie fühlte sich gedemütigt, was die Lady vermutlich auch beabsichtigt hatte, dennoch wussten sie beide um ihre Macht, was Raika noch mehr erzürnte. Das Beste war es, nach London zurückzukehren und die Alte zu vergessen. Solange sie dies zuließ. Ihren Ruf zu ignorieren, wenn er einen erreichte, kam nicht infrage. So konnte sie nur hoffen, dass der Name Raika lange nicht mehr im Geist der Lady herumschwirrte. Sollte sie ihn vergessen. Das würde allerdings nur geschehen, wenn sich Raika eine neue Stelle suchte und sich in Zukunft mehr zurückhielt, also genau das tat, was die Lady von ihr verlangte. Sie kickte einen Stein in die Rosenbüsche.
Verflucht!
Wenn sie eines nicht mochte, dann sich unauffällig verhalten. Und sie hatte auch nicht vor, etwas an ihrer Erscheinung zu ändern. Es hatte sie viel Kraft und Energie gekostet, bis sie das erreicht hatte, was der Spiegel ihr Tag und Nacht zeigte. Das würde sie sich von Mylady nicht nehmen lassen.
Es schmeckte zumindest wie ein kleines Stückchen Sieg, und so vergaß sie den bitteren Geschmack, den die Zurechtweisung hervorgerufen hatte. Nun gut, vielleicht war es gar nicht so schlecht, neu anzufangen. Eine neue Aufgabe, neue Kollegen, eine neue Wohnung mit netten Nachbarn? Sie lächelte in sich hinein, während sie sich auf den Rückweg in die Stadt machte.
Die Kirchturmuhr schlug. Lorena blinzelte und zählte mit. Beim elften Glockenschlag riss sie die Augen auf.
Mist, schon wieder so spät. Doch sie konnte sich nicht überwinden, die Decke zurückzuschieben und aus dem Bett zu steigen. Finley hatte sie längst verlassen. Vermutlich war er draußen, um sich selbst ein Frühstück zu fangen, wenn seine Freundin hier so pflichtvergessen den halben Samstag verschlief. Von der Straße schallten Stimmen zu ihr herauf. Ja, der Lärm der vielen Rufe und Gespräche war so laut, dass sie sich wieder einmal fragte, wie sie dabei hatte schlafen können. Lorena musste nicht aus dem Fenster sehen, um zu wissen, dass der berühmte Straßenmarkt der Portobello Road bereits in vollem Gange war. Die Händler hatten ihre Stände mit Ramsch und Antiquitäten aufgebaut, und bis zum Abend würden sich die Menschenmassen durch die Straße schieben, um zu handeln und zu kaufen oder einfach nur die Angebote zu betrachten und in der Menge zu baden.
Die nächste Viertelstunde verstrich, ohne dass Lorena Anstalten machte aufzustehen. Dann trieb der Hunger sie aus dem Bett. Wie an jedem Morgen seit vielen Jahren fühlte sie sich wie gerädert, und ihr Körper schmerzte, als habe sie überall Muskelkater. Sie reckte sich, stöhnte, schlich ins Bad und duschte ausgiebig. Ihr Vermieter beschwerte sich zu Recht über ihren Wasserverbrauch, der – wie er meinte – den einer Großfamilie übertraf, doch im Moment war ihr das egal. Hauptsache, sie wurde endlich wach.
Lorena schlurfte in die Küche, um sich Porridge zu kochen. Seltsam, als sie damals nach England gekommen war, hatte die unansehnliche Pampe, die es jeden Morgen gab, ihr Brechreiz verursacht. Heute war er morgens ihr Lebensretter, und sie konnte sich ein Frühstück ohne den warmen Haferbrei nicht mehr vorstellen.
Sie brachte Wasser im Topf zum Kochen und rührte Haferflocken darunter. Dann, als sie zu quellen begannen, goss sie heiße Milch darunter, gab ein wenig Salz und Zucker hinzu und rührte den Inhalt gleichmäßig durch, bis er die richtige Konsistenz hatte. Heute verfeinerte sie ihn mit Mandein, Zimt und einigen Bananenstücken, was ein waschechter Engländer vermutlich nicht getan hätte, aber das war ihr egal.