Nachts im Chalet Nevada - Martin Suter - E-Book

Nachts im Chalet Nevada E-Book

Martin Suter

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Beschreibung

»Martin Suter hebt hervor, was die zahllosen Ratgeber für den Weg in die Chefetagen meist unterschlagen: dass nämlich just dann alles schiefgehen kann, wenn sich jemand peinlich genau den gängigen Regeln und Codes unterwirft. Suters Spott klingt milde und ist frei von der giftigen Satirikerverachtung für den Durchschnittsmenschen. Doch umso schärfer fallen seine Einsichten aus.« Erhard Falcke / NDR, Hamburg

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Seitenzahl: 39

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Martin Suter

Nachts im Chalet Nevada

Geschichten aus der Business Class

Diogenes

Die Frau hinter Willimann

Falls Zuber Willimann vorgezogen wird, dann bestimmt nicht wegen ihr. Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht: zwei Weinseminare, eines für Einsteiger, eines für Fortgeschrittene; fünf Kochkurse, darunter Thai und Sushi; »Tafel-Freude«, Einführung in die Tischdekoration in drei Lektionen (jeweils donnerstags), Konversationskurse in Französisch und Englisch; Farbberatung (sie ist »Winter«, mit »Herbst« im Aszendenten); Schminkseminar nach Kate Miller, der Visagistin von Liz Taylor; Tai Chi, Ginseng, Gingko, Nachtkerzenöl.

Der Ball liegt jetzt bei Willimann. Der spielt seine Stärken aus: strategisches Planen, strukturelles Denken, analytisches Vorgehen, Flexible response und Marianne. Vor allem der letzte Trumpf lässt Zuber schlecht aussehen: Er ist geschieden! Schuldig. Eine Frauengeschichte. Das wirft ihn natürlich weit zurück im Rennen um die Regionaldirektion. Hoffnungslos weit, wenn Sie Willimann fragen. Denn wie will einer die privaten Repräsentationspflichten eines Regionaldirektors erfüllen ohne das partnerschaftliche Backup einer gastgeberisch geschulten Partnerin?

Willimann erhöht ganz unmerklich die Kadenz der abrechenbaren Privatbewirtungen. Marianne schmeißt eine Spaghettata mit sechs Sorten Sugo (tutti fatti in casa) für einen Türrahmenfabrikanten und seine welsche Frau (Tischsprache: le français!), und Willimann lädt dazu als interne Zeugen Gerschwiler und Frau ein, auf dessen Mitteilungsbedürfnis er sich blind verlassen kann.

Marianne verblüfft den Entscheidungsträger eines potentiellen Großkunden (EDV) und dessen japanische (!) Frau mit einem Sushi-Abend (English spoken). Interne Zeugin: Frau Piccand (mit Gatte), Wiesners Assistentin, mit der sie sich längere Zeit und sachkundig über tibetanische Klangschalen unterhält. Ein triumphaler Abend.

Dann hält Willimann die Zeit reif für den Fangschuss. Er lässt Marianne eine Weindegustation arrangieren für eine gemischte Gruppe ex- und interner Kader, darunter Wiesner himself (mit Frau) und – Zuber (bedauerlicherweise ohne).

Marianne übertrifft selbst Willimanns kühnste Erwartungen. Sie kreiert olfaktorische Umschreibungen für die degustierten Weine (»sonnenbeschienenes Kastanienlaub«, »Schweinslederabrieb«, »Apfelwähe vom Vortag«), lässt Wiesner wie den großen Weinkenner aussehen (Wiesner, der mit Mühe Wein von Bier unterscheiden kann!), erlöst Frau Wiesner durch eine beiläufige Reiki-Behandlung von einer schmerzhaften Verspannung im Schulterbereich und führt Zuber vor wie einen dressierten Pudel: flirtet mit ihm, wickelt ihn nach Belieben um jeden Finger und demaskiert ihn vor Wiesner als den labilen, hormonbestimmten, repräsentationsuntauglichen Schürzenjäger, der er ist.

Es kommt so, wie Willimann es vorausgesehen hat: Die Frau hinter Willimann entscheidet das Rennen um die Regionaldirektion.

Sie wird die Frau hinter Zuber.

Bohnenblust, der Job und die Liebe

Bohnenblust ist ein liebender Gatte und guter Liebhaber. Wenn auch seit längerer Zeit kein praktizierender. Aber das hat mit seinem Job zu tun.

Man kommt heim, völlig ausgelaugt von vierzehn Stunden decision making oder übervoll von Siegen und Niederlagen, die man ja mit jemandem teilen muss, jemandem, dem man blind vertrauen kann, in seinem Fall Vreni, und da hat man einfach nicht mehr die Kraft oder die Stimmung für das Körperliche. Das gilt übrigens für beide, das räumt Vreni ein. Vreni, die ja, auch das räumt sie ein, ihrerseits ebenfalls ihre Phasen durchlief, da sie andere Prioritäten setzte. Sie ist ja nicht gerade das, was man als sinnliche Frau bezeichnen würde, wer weiß, sonst hätte Bohnenblust sich auch nicht so weit entwöhnt, es braucht immer zwei, aber es geht hier nicht um Schuldzuweisungen.

Jedenfalls ist man jetzt an einem Punkt, wo etwas unternommen werden muss, das sieht er ein, es geht um den Fortbestand der Ehe. Man ist erst etwas über vierzig, da muss es noch knistern in einer Beziehung, sonst wirkt es sich auf die Gesamtperformance aus, das sagt auch der Seminarleiter.

Bei Bohnenblust geht es, wie übrigens bei allen Seminarteilnehmern – tut gut zu sehen, dass man nicht der Einzige ist –, ums Loslassenkönnen. Beziehungsweise ums Nichtloslassenkönnen. Dieses ständige Gefühl, alles unter Kontrolle haben zu müssen, was ja im Management eine wünschenswerte Attitüde ist, ist im Sexuellen auf die Dauer kontraproduktiv. Die Kunst ist nun, das eine mit dem anderen zu vereinbaren, nicht, was die meisten tun, sich zwischen dem einen oder dem anderen zu entscheiden.

Darum geht es im Wesentlichen in diesem Seminar. Deswegen machen sie hier vor allem Übungen, bei denen es sich ums Loslassen, ums Sichgehenlassen dreht.

Zum Beispiel abseilen, natürlich einwandfrei gesichert. Die ganze Gruppe versammelt sich am Rand eines etwa dreißig Meter tiefen, überhängenden Felsabbruchs, und einer nach dem andern wird – unter kundiger Führung – abgeseilt. Der Moment, wo Bohnenblust sich – mit Helm und allem – am Felsabsprung in Rücklage begibt und spürt, wie die Seile Klettergürtel und Sitzgurt spannen, die Sekunde, wo seine Füße ihren Halt verlieren und er über dem Abgrund baumelt, sich auf Gedeih und Verderb der Kraft und der Erfahrung des durchtrainierten Bergführers Alois übereignend, der Moment, wo er dem sicheren Boden entgegenschwebt, dieses Ausgeliefertsein einem einzigen Mann, darum geht es dem Seminarleiter, darum geht es Bohnenblust und letztlich auch Vreni zu Hause.