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Ein geheimes, latentes, trauriges Grundrauschen schlummert heutzutage im Untergrund auch vieler scheinbar oft ganz fröhlicher Menschen. Darunter liegt eine zumeist uneingestandene namenlose, oft schon jahrelang bestehende Enttäuschung, und in deren Gefolge dann eine gewisse Bitterkeit ... Das gehört allerdings zu den Dingen, über die man nicht sehr gerne spricht, zumal man es oft gar nicht so klar zu fassen kriegt. Man ist halt einfach oft ein bisschen down ... hat seine Träume verloren ... ist wohl doch noch irgendwie erwachsen geworden ... und nennt sich jetzt eben dann Realist. Eine wirklich große Enttäuschung kann sich auf unser gesamtes weiteres Leben auswirken. Und es kommt sogar noch schlimmer, denn sie kann in eine sogenannte Verbitterungsstörung führen. Was es damit auf sich hat, auf welchen Wegen Menschen in diesen trostlosen Zustand geraten konnten und auch wie sie sich wieder daraus befreien können, behandelt dieses Buch.
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Seitenzahl: 163
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Schön an der Enttäuschung ist ja immer, dass die Täuschung dann endlich weg ist ...
Nicht so schön an der Enttäuschung ist ja immer, dass die Täuschung dann eben weg ist!
Ich habe den traurigen Zustand, in den unsere Seele möglicherweise schon einigermaßen unerkannt vor Jahren geraten ist, Nachtschatten genannt. Pate standen hier die botanischen Nachtschattengewächse (siehe: Solanaceae), die eine weltweite Verbreitung besitzen. Die meisten Menschen kennen diese Gewächse als mystische, etwas unheimliche Giftpflanzen des Altertums, als freundliche Helferlein der Hexen, wenn diese irgendwo einen kleinen Konflikt „auf die englische Art“ zu lösen hatten ... Otto Brunfels schrieb 1532 jedoch dazu in seinem Kreüterbuch: „Diß kraut würt auch sonst gebraucht, wider die schäden die die hexen den leuten zufügen, und das uff mancherley weiße ...“ Hier also geriet der Nachtschatten schon auf die Seiten der Guten. Aufgrund des hohen Gehalts an Alkaloiden wird die Pflanze hierzulande als Giftpflanze kategorisiert und nicht einmal von der Kosmetikverordnung zugelassen. In vielen anderen Teilen der Welt jedoch werden die reifen Beeren und Blätter als Obst, Gemüse und Medizin genutzt, es wird in Nordamerika sogar die bekannte „Wonderberry-Konfitüre“ daraus zubereitet. Diese krassen Unterschiede liegen darin begründet, dass die Konzentration der Alkaloide sehr stark schwankt, was allein schon mit dem Alter der Pflanze zusammenhängt, und sehr stark abhängig von Klima und Bodentyp ist. Die Nachtschatten sind janusköpfig: Trotz einer Vielzahl von Berichten über Vergiftungen, insbesondere bei Kindern und Hühnern, gibt es mindestens ebenso so viele über ihre folgenlose Verwendung als Nahrung und Gesundmacher. Die medizinischen Anwendungen des „Schwarzen Nachtschatten“ sind uns aus vielen Kulturen bekannt: Magen- und Blasenkrämpfe, Keuchhusten, Ekzeme, Flechten, Juckreiz, Hämorrhoiden, Schrunden, Prellungen und Abszesse, ...
Alleine seine bunte Namensvielfalt ist verwirrend und lässt außer dem klingenden „Tag- und Nachtkraut“ jedoch eher auf ungute Wirkungen schließen: Giftblome, Giftkraut, Giftbeer, Teufelskraut,Teufelsdreck, Teufelskrall, Düvelskiesche, Deiwelskersche, Krällekesdreck, Sautod, Hühnertod, Schitbeeren, Scheißkraut und noch viele andere ... Vergiftungssymptome sind: Schwindel, Erbrechen, Durchfall, Atembeschwerden, Tachykardie, Nierenreizung, Angstzustände, Krämpfe, Lähmungen, Schwankungen der Körpertemperatur. Bei sehr starken Vergiftungen tritt schließlich der Tod durch Atemlähmung ein.
Und das ist auch schon der Kern meines Anliegens. Die Dinge haben nämlich stets immer mehr als nur eine einzige Dimension, was man oft im Getümmel ganz gerne mal vergisst. Gift oder Medizin?! Segen oder Fluch?! Rückstoß oder Auftrieb?! Man kann das alles immer so sehen – oder so. Wir Verbitterten sehen das alles leider gerade – so. Und das ist schlecht. Das wissen wir eigentlich auch, weil wir uns eben fühlen, wie wir uns gerade so fühlen: nicht so toll irgendwie. Es ist keine neue Weisheit, aber auch wieder so eine, die man ganz gerne mal unterwegs vergisst, während man anderen die Schuld für den eigenen Schlamassel zuweist: Am Anfang steht immer der Gedanke! Natürlich steht außer Frage, dass wir der Empfänger von fremder Gemeinheit waren und somit ein Stückweit das Opfer eines Anderen! Dennoch haben wir auch über diese Reaktion auf diesen ungerechten und hässlichen Schlag gegen unsere Seele nachgedacht. Wo wir uns auch gerade befinden mögen, es waren immer unsere Gedanken, die uns dahin gebracht haben! Ob wir da jetzt immer so direkt dabei waren, bliebe im Einzelfall natürlich zu klären, aber zuerst einmal haben wir zwingend irgendetwas gedacht. Und dann sind wir losgelaufen, mehr oder weniger bewusst, und haben den Gedanken in die Tat umgesetzt. Das mag so spontan jetzt keine gute Nachricht sein, aber es kann eine werden, wenn wir nämlich noch einmal neu über alles nachdenken. Dafür brauchen wir zuerst einmal etwas Mut und dann neue Impulse und Inspirationen. Diese versuche ich Euch hier zu geben, damit Ihr den Sprung aus der melancholischen Dämmerung schnell wieder auf die Sonnenseite des Lebens schafft!
Dieses Büchlein hat den Anspruch aus dem Nachtschatten eine kräftigende und heilsame Medizin zu bereiten. Dass er nämlich auch das glatte Gegenteil davon sein kann, zeigt seine wilde Kraft – und die wollen wir uns hier einmal zu Nutze machen! Folgt mir ...
Fiat lux.
Es werde Licht!
Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich ...
Aber dann kehrt man zurück, mit gebrochenen Flügeln, und das Leben geht weiter als wäre man nie dabei gewesen.
- Ödon von Horvath -
Ein geheimes, latentes, trauriges Grundrauschen schlummert heutzutage im Untergrund auch vieler scheinbar oft ganz fröhlicher Menschen. Darunter liegt eine zumeist uneingestandene namenlose, oft schon jahrelang bestehende Enttäuschung, und in deren Gefolge dann eine gewisse Bitterkeit ... Das gehört allerdings zu den Dingen, über die man nicht sehr gerne spricht, zumal man es oft gar nicht so klar zu fassen kriegt. Man ist halt einfach oft ein bisschen down ... hat seine Träume verloren ... ist wohl doch noch irgendwie erwachsen geworden ... und nennt sich jetzt Realist. „Enttäuschen“ hieß grad neulich noch „detrompieren“ oder „desabusieren“ und hatte zunächst eine absolut positive Bedeutung, nämlich jemanden aus einer Täuschung herauszureißen, ihn von seinem Irrtum zu befreien und ihn eines Besseren zu belehren. Also ihn sozusagen zu erleuchten und dadurch besser zu machen. An irgendeiner Stelle hängte sich der Begriff dann am Passus „Täuschen“ auf, und entwickelte so den negativen Sinngehalt von „getäuscht worden zu sein“ oder dass zumindest die Erwartungen sich nicht erfüllten. Damit hat heutzutage die Enttäuschung, obwohl ja auch sie die Wahrheit nun endlich wieder herstellt, immer mit Erwartung, Bedürfnis, Wunsch, Begeisterung, Projektion, Traum, Vorstellung, Begierde, Vorfreude und Hoffnung zu tun. Und all das wurde nun enttäuscht. Die Täuschung war weg und es blieb die schnöde Realität: Satz mit X, war wohl mal wieder mal nix! Am Ende steht in der Buchung: Unsere Bedürfnisse wurden nicht erfüllt, sondern frustriert. Wir haben etwas gegeben, aber keine Einzahlung dafür erhalten. Wir haben mit Emotionen in unsere Zukunft investiert und es hat sich nicht ausgezahlt, wir kehren mit leeren Händen zurück. Das Leben hat uns eine Nase gezeigt, eine Buchhalternase ...
Enttäuscht zu sein heißt prinzipiell:
Ich habe mir selber etwas vorgemacht und dann wurde ich über die Wahrheit illuminiert, obwohl ich sie lieber gar nicht gekannt hätte! Oder ein Anderer hat mir etwas vorgemacht, ich habe ihm vertraut und daraufhin Lebenszeit und Gefühle in ihn, seine Worte und scheinbaren Absichten investiert. Und „er“ hat jetzt offenbar die Investition mitgenommen, möglicherweise sogar ausgebeutet, und ist dann getürmt - ohne mir seinen fälligen Teil zu geben. Sein Verhalten zeigt die Täuschung, er hat sich selbst nicht standgehalten, er ist ein Betrüger, und ich wurde über ihn und seine Motive ent-täuscht. Jetzt weiß ich dann endlich auch Bescheid über ihn. Dieser Betrug und Missbrauch an unserem Vertrauen ist wohl der Kern des Dramas! Die Enttäuschung wiegt umso schwerer, je höher die Erwartungen, umso eminenter das Ereignis und umso wichtiger der beteiligte Mensch für uns war.
Grundannahmen (Einstellungen und Wertorientierungen, auf die Menschen bis ca. fünfzehn Lebensjahren geprägt wurden) als enttäuscht zu erleben ist für jeden Menschen immer in irgendeiner Form destabilisierend. Zu Enttäuschung kommt es immer dann, wenn durch andere Personen wichtige Grundannahmen grob und dann möglicherweise, aus egoistischen Motiven heraus, auch noch absichtlich verletzt werden. Grundannahmen sind immer gesellschaftlich verankert, bestehen im Kern oft schon seit Jahrhunderten, spiegeln sich in der Volksseele und im Gesetzeskodex wider (z. B. die Zehn Gebote). Sie dienen dazu sich lebenslang gesellschaftlich kohärent und übersichtlich verhalten zu können. Grundannahmen bilden das Urvertrauen einer Gemeinschaft, wir alle verlassen uns darauf, dass auch uns damit begegnet wird. Wenn sich aber nun ein Mitglied offen oder verdeckt, zumeist aus niedrigen Motiven, gegen diese Vereinbarungen verhält, wird eine der wichtigsten Grundannahmen erschüttert: Der Glaube an eine gerechte Welt! Eine bösartige Kränkung allein verletzt ja bereits den ersten Paragrafen unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ Das ist sie klugerweise deshalb, weil Würde einfach kränkbar und zerbrechlich ist. Darauf jetzt mit Spikes Flamenco zu tanzen ist kein feiner Zug und auch ganz bestimmt keinem dummen Zufall geschuldet. Noch schwieriger wird der Fall, wenn die Motive für diesen Betrug entweder überhaupt nicht ersichtlich oder extrem minderwertig sind. Den Höhepunkt findet dieses ungute Szenario, wenn für einen Betrug die emotionale Bindung eines Menschen ausgeplündert, also missbraucht wird. Hier gerät das Opfer dann zusätzlich nicht selten in eine zehrende selbstbestrafende Schleife der Vorwürfe und Selbstanklagen: „Wie konnte mir das nur passieren!“ „Das hätte ich doch merken müssen!“ „Wie konnte ich nur so blöd sein!“ Schon ohne Selbstanklagen ist Enttäuschung ist ein sehr komplexer Prozess und kann vielerlei Emotionen auslösen: Traurigkeit, Kränkung, Zurückweisung, Ausgrenzung, Verärgerung, Kummer, Resignation, Aggression, Wut, Deprimiertheit, Verbitterung, Rachegelüste - und irgendwann setzt dann eine so komische, taube Leere ein. Nichts ergibt mehr einen Sinn, irgendwie ... Schön ist das alles wirklich nicht, aber daran ändern auch die besten rational verordneten „Bewältigungsstrategien“ nichts! Keinesfalls dürfen wir unsere Gefühle darüber ignorieren oder gar verteufeln, auch wenn sie uns manchmal sogar ziemlich extrem vorkommen können. Wir haben diese starken Gefühle nämlich nicht ohne Grund: Sie sind zu unserem Schutz aufgetaucht! Sie sind ein ganz klares Warnsignal, dass etwas grundlegend und unumkehrbar zu unseren Lasten schiefgelaufen ist!
Erwartungen betreffen fast immer das Wirken, Reagieren und Verhalten von Menschen! Und wenn man nur mal erwartet hat, dass einer sich übersichtlich, ehrlich, nachvollziehbar, fair oder einfach seinen Worten gemäß verhält. Wenn man nur erwartet, dass sich ein Freund für uns wirklich interessiert, dass er uns unversehrt lässt und uns nicht in seine Aggressionen oder üblen Launen mit hineinzieht ... Schon diese ganz basalen und untergründig unbewusst wirkenden Grund-Erwartungen an unsere Mitmenschen sind oft in Gefahr immer wieder grob enttäuscht zu werden! Der Grund ist banal, aber eminent: Andere Menschen verhalten sich äußerst selten so, wie man es selbst jetzt tun würde!
Deswegen sollte man so etwas wie „Normalität“ besser gar nicht erwarten. Man darf nicht aus den Augen verlieren: Was wir so für gerne für „die Normalität“ halten, ist in Wahrheit ein gedankliches Kunstprodukt, dass nur in unserer Fantasie existiert. Jeder Mensch sieht die Welt auf eine völlig andere Art und niemand sieht die Welt so, wie sie wirklich ist. Wir übrigens auch nicht! Genau so entsteht nämlich immer die übliche Enttäuschung. Sie naht schon, wenn ich nur mal schwach annehme, wie wohl jetzt jemand reagieren wird. Die Chance ist sehr hoch, dass er diese Erwartung nicht erfüllen kann. Einfach weil er ganz woanders steht, als wir annehmen. Weil er etwas ganz anderes sieht, als wir vermuten. Weil er ganz anders denkt, als wir ihm unterstellen. Weil er ganz anders oder möglicherweise gar nichts fühlt, und weil er garantiert etwas ganz anderes will, als wir das jetzt erkennen können. Und dann passiert eben unter dem Strich auch etwas ganz anderes, als wir erwartet haben! Aus der Reihe: „Mensch Hans, Du tot im Flur - so kenn ich Dich ja gar nicht ...?!“ Auch wenn wir selber uns sklavisch an die gesellschaftlichen Regeln halten, vielleicht weil wir so geprägt wurden oder weil wir das einfach so logisch finden, können und sollen wir dennoch nicht erwarten, dass andere das genauso handhaben. Diese leitenden und scheinbar so konsistenten Grundwerte sind nur Vorschläge, keine Handschellen. Es wäre tatsächlich sinnvoll und wünschenswert nichts mehr als gegeben zu betrachten.
Wenn Menschen uns enttäuschen, ist es also eigentlich gar nicht ihre Schuld. Sie sind eben, wer sie geworden sind und handeln nach ihren inneren Gesetzen. Unsere Enttäuschung richtet sich zwar scheinbar auf ein fremdes Individuum, hat aber eigentlich gar nichts mit dem Verhalten eines Anderen zu tun, sondern allein mit unseren eigenen Vorstellungen von ihm! Vorstellungen, die er sich dann eben erdreistet hat nicht erfüllen zu wollen. Enttäuschung heißt, mal ganz unemotional gesprochen, nichts anderes als: „Du hast meine Bedürfnisse nicht erfüllt, obwohl ich das von dir erwartet habe!“ So gesehen ist Enttäuschung eigentlich das, was man so flapsig „Pech gehabt“ nennt. Wirklich kein Drama. Aber genau diese ganzen Erwartungen immer machen es uns schwer, Menschen und Situationen unvoreingenommen und wertfrei zu sehen. Gerade für Menschen mit hohen, möglicherweise perfektionistischen Ansprüchen an sich selber, ist es fast unmöglich zu akzeptieren, wenn andere glückliche kleine Schlampen sind - und sich dann auch noch wohl damit fühlen ...
Es ist trotz aller Gefahren schön etwas zu erwarten. Eine positiv vorausschauende Vermutung, eine nette Annahme, zarte Vorfreude, die vorsichtige Hoffnung auf Geschehnisse, die uns genehm sind: All das sind ja auch Erwartungen. Diese steigern unsere Genussfähigkeit, unseren Optimismus, unsere Laune und motivieren uns wie ein kleiner Motor. Die Gefahr daran ist jedoch: Jede Erwartung kommt immer mit einer (zumeist unbewussten) Bewertung daher: gut oder schlecht?! Hohe Erwartungen beherbergen immer die Gefahr in Enttäuschung zu enden und sich dann, vielleicht sogar trotz gewisser Teilerfolge, anzufühlen wie ein Versagen. Wenn mir die Illusion für ein überhaupt nicht eingetretenes Geschehnis (= Lustgewinn) geraubt wurde, wird diese getäuschte Erwartung psychisch als negatives Erlebnis, als Verlust, verbucht und abgespeichert.
Gar keine Erwartungen hingegen sind oft eine Bremse und wirken wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wir isolieren uns so nämlich vor der Angst des Versagens und der Enttäuschung, bringen uns dann gar nicht wirklich ein und versuchen es oft genug ja nicht mal ernsthaft. Warum auch, wir erwarten eben doch etwas: heimlich sowieso wieder das Schlimmste ... Anscheinend wollen wir uns schonen, die Frage ist wovor, vor dem Leben?!
Das Problem mit einer Enttäuschung umzugehen, ist oft in einer negativen Weise lange schon angelernt, und verschärft wird das dann noch durch einen bestehenden „Enttäuschungs-Burn-out“. Wenn jemand mit einer schlechten Nachricht, einem Problem, einem bösen Menschen, einer Enttäuschung, einer Widrigkeit und dergleichen konfrontiert wird, verfällt er nämlich oft automatisch in ein bestimmtes Verhaltensmuster. Das ist zumeist eine standardisierte, vollkommen unreflektierte und unkreative Reaktion auf diesen Auslöser. „Och, nööööö!“ Diese Reaktion ist nicht dazu angetan ihm zu helfen, hat aber die Potenz die schon in sich schon jetzt etwas unangenehme Situation noch zu verschärfen. Viele Menschen geraten bei unangenehmen Ereignissen sofort in einen automatisierten negativ-emotionalen Sog, bauschen alles auf, verkrampfen sich und sehen alles nur noch düster. Sie sind dann wie gelähmt von Kleinigkeiten, welche durch die Gereiztheit, den Ärger, die ganze Aufregung und Frustration ungesehen zu einer wahren Lawine werden können: Eskalation! Manche verhalten sich dann, eigentlich aus einer sozialen Unreife heraus, als wäre ihr Leben soeben zum Weltkrisengebiet ausgerufen worden. Sie erkennen nicht, dass es eben genau diese Art ist, die sehr viel damit zu tun hat, dass sie sich schon wieder selber blockieren.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.
- Rainer Maria Rilke -
Ein Trauma/ Psychotrauma ist eine starke seelische Erschütterung. Medizinisch bezeichnet sie nach dem IC-D10 „ein belastendes Ereignis/ eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.“ Ein durch ein kurzes und einmaliges Ereignis verursachtes Trauma nennt sich „Typ I“, ein durch längere und wiederholte Einwirkung erzeugtes Trauma wird als „Typ II“ bezeichnet. Doch die Medizin räumt ein, dass auch vordergründig weniger dramatisch erscheinende Ereignisse dazu führen können, dass der Mensch in einen Zustand intensiver Hilflosigkeit geraten kann, in der seine eigene Bewältigungsmöglichkeiten nicht mehr zugänglich sind oder einfach auch überschritten wurden. Hierzu gehören: schwere persönliche Angriffe, psychische und körperliche Gewalterfahrungen, Mobbing, Inquisitionserfahrungen, Situationen extremen Kontrollverlustes, intensive und langfristige Manipulation, emotionaler und psychischer Missbrauch, Verlust und Trennung, Vergewaltigung, . . . Man weiß, dass ein absichtlich von Menschen verursachtes Trauma weitaus schlimmere Folgen hat, als ein durch ein Unglück ausgelöstes Trauma.
Traumatische Ereignisse lösen extremen Stress, Entsetzen und intensive Gefühle der Hilflosigkeit aus. Die durch die Situation hervorgerufene negative Spannung klingt bei zwei Dritteln der Betroffenen folgenlos innerhalb von vier Wochen bis sechs Monaten ab (siehe: Remission). Das mit der Überwindung des Traumas verbundene Wachstum heißt „posttraumatisches Wachstum“ und bedeutet, dass das traumatische Erlebnis positiv und folgenlos in den Lebenslauf integriert werden konnte, und möglicherweise sogar neue Ressourcen geschaffen werden konnten. Hier bildet das Trauma einen Anlass, über das bisherige Leben zu reflektieren und Zukunftsplanungen möglicherweise neu zu gewichten und zu überdenken. Wenn es für den Betroffenen jedoch keine Möglichkeit gab das Erlebte adäquat zu verarbeiten, kommt es zu (auch intensiv beeinträchtigenden) psychischen Folgeschäden. Einer davon ist die sogenannte „posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS). Das hier vorherrschende Gefühl ist Angst und Kontrollverlust, weil das auslösende Ereignis zumeist lebensbedrohlich und nicht lebensüblich war. Eine PTBS erlebt man, wenn die aufgetretenen Symptome nach einem traumatisierenden Ereignis über vier Wochen anhalten und somit „chronisch“ zu nennen sind. Je länger die Symptome sich fortschreiben, um so unwahrscheinlicher wird eine spontane Remission.
Wer seelisch schwer geschockt wurde, und das möglicherweise auch noch früh in der Vita, dazu womöglich noch mehrfach oder gar anhaltend, der ist in seiner Psyche langfristig, manchmal dauerhaft, schwer verwundet und versehrt. Diese Verwundung persistiert umso mehr, wenn der Täter ich von ihr distanziert (wie es bei Missbrauch z. B. immer der Fall ist). Doch das unbearbeitete Trauma kämpft um seine Realität, indem es heimlich auf das Verhalten seines Inhabers abstrahlt und auf sich aufmerksam zu machen versucht … Da die Seele durch Gewalteinwirkung, wie perforiert wird, reagiert sie dadurch allgemein dünnhäutiger, sensibler, anfälliger und angreifbarer auf viele Reize. Mit dem Schock wurde die Seele nämlich voll aus ihrer Mitte gerissen, von ihrer Kraft getrennt und aus der Balance genommen. Der Mensch hat sich nun tragischerweise nicht mehr seiner Art gemäß, sondern nur noch seinem Trauma gemäß entwickelt: Die Seele wird niemals älter als ein unaufgearbeitetes Trauma! Wie eine hängengebliebene Schallplatte, kehrt sie immer wieder zu der alten Verletzung, zu dem alten Schock zurück und kann sich nicht davon lösen. Hier tauchen dann unvermittelt manchmal sonderbar anmutende, auch infantile Verhaltensweisen auf, die den Betroffenen in einer unhandhabbaren Stresssituation in ein scheinbar „sicheres Verhaltensgefüge“ zurückbringen sollen. Wann immer etwas stressiges, unangenehmes, überforderndes passiert, kommt es bei einem unaufgearbeiteten Traumata einfach gerne mal zu unerklärlichen und impulsiven Überreaktionen, die sozial sehr inkompetent wirken können. Ein unerlöstes Trauma wirkt wie eine Quelle dauernden, unsichtbaren Stresses auf seinen Inhaber. Eine generell erhöhte Verletzlichkeit ist allen Traumatisierten zu eigen, weil die Resonanz systemisch sowieso schon auf Schmerzen, Verletzung und Kontrollverlust steht. Nicht selten stehen dem dann auch noch generelles Misstrauen und eine gewisse Vermeidungshaltung und Überreagilibität Pate.
Ob eine Situation traumatisch auf ein Individuum wirkt, hängt von den äußeren Umständen, der Einwirkungsdauer, dem Alter des Betroffenen, aber auch sehr stark vom inneren Erleben und der subjektiven Wahrnehmung ab. Einige Situationen führen nicht zwingend in traumatische Folgen, andere wie z. B. Folter, Krieg, Verfolgung und Vergewaltigung aber immer. Die unmittelbare und nachgelagerte Reaktion eines Betroffenen lässt fast keine oder eine in nur sehr bedingtem Maße gültige Vorhersage von Traumafolgestörungen zu. Diese können sich nämlich leider auch erst Monate oder sogar Jahre nach dem traumatisierenden Ereignis bemerkbar machen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass ein noch so geringes Gefühl von Autonomie in der beängstigenden Situation davor bewahrt, von den Traumafolgen vollkommen verschlungen zu werden, wie es jenen passieren kann, die sich während der Gewalt-Einwirkung bereits aufgegeben hatten. Noch schlimmer sind die Traumafolgen, wenn es währenddessen zur Dissoziations-, Derealisations-, Depersonalisations-Phänomenen ( siehe: psychischer Ausstieg, Betäubung) gekommen ist. Leitend ist hier der Prozess der persönlichen Kontrolle - ist er sogar nur noch marginal vorhanden, wirkt er auf die Psyche dennoch messbar stabilisierend.
Bei einer Traumatisierung kommt es zu massiver Ausschüttung von Neurohormonen im Gehirn. Dies führt zu einer Fehlfunktion der beidseitig angelegten Hippocampus, auch bekannt als „Krokodilhirn“ (siehe: erstmals bei Reptilien auftretender Archicortex). Sie sind eine strukturierte Schaltstation des sogenannten „limbischen Systems“. Die Hippocampus koordinieren Gedächtnisinhalte, indem sie neu eintreffende Sinneseindrücke sammeln und diese in einen autobiografischen Gesamtzusammenhang einzubetten versuchen. Außerdem stehen sie im Zusammenhang mit der Orientierung, der Verarbeitung verschiedener Emotionen und dem Erleben von Stress. In Versuchen wurde hippocampale Atrophie als Effekt von chronischem emotionalen Stress nachgewiesen (siehe: Absterben von Neuronen und Reduktion neuronaler Genese). Aufgrund einer traumatisch induzierten Fehlfunktion wird die räumliche und zeitliche Erfassung neuer Gedächtnisinhalte in den Hippocampus massiv gestört. Sinneseindrücke werden nun, anstatt wie zuvor abgeglichen und geordnet, nur noch zusammenhangslos, als alleinig sinnbezogene Informationsfragmente gespeichert. Traumatisches Wiedererinnern und Wiedererleben (= Intrusion) umfasst somit Bilder, Flashbacks, Gedankenblitze, Emotionen, Sinneswahrnehmungen und Albträume als zusammenhangslose, aber stark emotional auslösende Erinnerungsfetzen. Intrusionen werden zumeist durch einen Schlüsselreiz (siehe: Trigger) ausgelöst und sind willentlich nicht beeinflussbar. Neben den Vorgängen in den Hippocampus kommt es auch zu hormonellen Entgleisungen. Traumatisierte zeigen eine auch deutlich erhöhte Aktivität des nor-adrenergen Systems. Dies führt zu Unruhe-Zuständen bis hin zu Hyperaktivität, Konzentrationsproblemen, Schlaflosigkeit, nicht-Abschalten-können, Schreckhaftigkeit und Nervosität.
Psychisch gesunde Menschen gehen z. B. von einem eher zumeist unverletzlichen Lebensgefühl aus. Sie erleben die Welt als für sie bedeutungsvoll, fast immer verständlich, im Großteil kontrollierbar und sich selber als meistens positiv und wertvoll. Traumatisierte Menschen hingegen nehmen sich selber als verletzt und auch zukünftig verletzbar wahr. Sie erleben die Welt als eher feindlich, oft unverständlich und unkontrollierbar und sich selber als beschädigt und wertlos. Hier zeigt sich, dass eine schwere traumatische Erfahrung die Sicht auf das Leben, die Welt, das Selbst und das Handeln dramatisch negativ verändern kann!
Psychische Belastungsreaktionen, welche nicht der medizinischen Definition eines Traumas entsprechen, werden „Anpassungsstörung“ genannt. Eine Anpassungsstörung liegt im Grenzbereich zwischen einer nachvollziehbaren Verstörung aufgrund eines schwierigen Lebensereignisses und einer im Patienten bereits latent vorhandenen Neigung zu Depressionen und Ängsten. Bei der sogenannten „Akuten Belastungsreaktion“ folgen die Symptome unmittelbar auf das belastende Ereignis.
In der Alltagssprache, aber auch in der Psychotherapie, hat sich die inflationäre Verwendung des Trauma-Begriffes eingeschlichen und meint hier „eine besonders negative oder leidvolle Erfahrung“, deren subjektive Folgen aber nicht enger umschrieben werden. Richtigerweise bezieht sich der Ausdruck „Trauma“ jedoch alleinig auf Ereignisse, die klinisch messbare psychische Folgestörungen auslösen. Zu diesen gehören Intrusion (siehe: fetzenhaftes, angstvolles Nacherleben), Selbstverletzendes Verhalten, Avoidance (siehe: Vermeidenwollen von Gedanken und Gefühlen), Panik, Zwänge, Impulse, Hyperarousal (siehe: vermehrte Wut, gestiegene Wachsamkeit, Erschreckbarkeit), Suchtverhalten, Kontrollverhalten, emotionale Taubheit, Pessimismus, Hyperreaktion auf Trigger, Albträume, Ängste und dissoziative Zustände.