Nadja Kirchner und das Kabinett der Überführung - Johan Nerholz - E-Book

Nadja Kirchner und das Kabinett der Überführung E-Book

Johan Nerholz

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Beschreibung

Nadja Kirchner hat es wieder einmal geschafft. Nur noch ein paar Tage und dann ist die Klasse 9 vorbei. Endlich Ferien! Aber es kommt wieder einmal anders. An einem der letzten Schultage wird die Bannherrin der Senke in der Nähe der Schule von mehreren Kapuzengestalten angegriffen. Das Mädchen kann sich zwar verteidigen, aber allein kommt sie nicht weiter. Nur der Einsatz der Raben, Kuriergeier, ehemaligen und aktiven Dämonenhunde sowie von Korfylos verhindern Schlimmeres. Ihre tierischen und geisterhaften Freunde bringen Nadja zu den Großeltern, wo das elternlose Mädchen lebt, und auch hier wird sie sofort in der Scheune angegriffen. Nadja darf ab sofort das Gehöft nicht mehr verlassen, bis alle Palekopten wieder eingefangen sind. Sie kann ihre Ferien jetzt nur noch zum Training in der Scheune nutzen. Es geschehen nun merkwürdige Dinge. Was haben der alte Mann und sein Enkel mit den Palekopten zu tun? Warum haben die Zyklopen versagt, die eigentlich diese gefährlichen Wesen auf ihren Inseln bewachen sollten und warum wollen die ausgebrochenen Palekopten mit dem Mädchen ausgerechnet in die Halbwelt? Irgendwann kann und will Nadja nicht mehr auf dem Gehöft bleiben. Sie entschließt sich, durch ein gewagtes Unternehmen die Angelegenheit zu beenden. Aber es geht nicht alles gut und sie muss das Unmögliche wagen, um das Leben vieler Raben zu retten und die Sicherheit der Senke wieder zu gewährleisten!

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Liste der Beteiligten

Prolog

Das Haus im Wald

Am Bahnhof

Der Schock im Haus der alten Margot

Der geworfene Ring

Angriff in der Scheune

Im Reich der Raskara

Der Auftrag des Geiers

Auf dem Friedhof

Raskaras Machtlosigkeit

Merlas Hinweis

Ein Gespräch in der Halbwelt

Auf einem Autobahnparkplatz

Ein weiterer Schock

Das Verhör

Raskara und Korfylos

Takesch in der Lupe

Das Los der Zariaten

Am Hauptbahnhof

Fensterflug

Die Nebelpferde

Der Rat der Griseldis

Im Reich des Donk

Zwischenfall an der Grenze

Das Grenzgefecht

Das Wasser des Lebens

Abreise

Die aussätzigen Raben

Die alte Fischerin

Auf der Insel

Wieder an der Grenze

Der Kampf auf dem Hinterhof

Der letzte Palekopt

Der Sohn des Gilades

Der Bannbruchstein

Ein neuer Kampf

Bahnhofsgespräch

Die Insel im Meer

Kräuternamen

Johan Nerholz

Nadja Kirchner und die Raben aus der geheimnisvollen Senke

Nadja Kirchner und die gefährlichen Wesen der Halbwelt

Impressum

Johan Nerholz

Nadja Kirchner und das Kabinett der Überführung

Teil 3 der Nadja-Kirchner-Fantasy-Reihe

ISBN 978-3-95655-961-7 (E-Book)

ISBN 978-3-95655-960-0 (Buch)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung eines Bildes von Gcomics

2. und 3. Umschlagseite: Gcomics

© 2019 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Liste der Beteiligten

Nadja Kirchner

Die Heldin der Geschichte.

Der Geist der Griseldis

Eine kindliche Gestalt und zum Teil durchscheinende Geistergestalt, die ein Stück über den Boden schwebt.

Familie von Dudenheim

Eltern, Geschwister und weitere Verwandtschaft der Griseldis.

Korfylos

Ein Geist, der nicht schwebt, dunkelhaarig ist und einen Pferdeschwanz trägt. Er ist ein gutaussehender Mann.

Raskara

Eine sehr große Geistergestalt. Sie ist die Anführerin der Geister, sehr groß mit einem langen Umhang. Ihr langes Haar ist weiß.

Bento

Raskaras Sekretär.

Der Donk

Raskaras Vorgänger, der nun zurückgezogen lebt.

Prutorius

Prutorius ist ein riesiger, kurzhaariger, schwarzer ehemaliger Dämonenhund.

Bunra

Bunra ist eine riesige, kurzhaarige, braune ehemalige Dämonenhündin, einem Jagdhund ähnlich und die Gefährtin von Prutorius.

Dinara

Dinara ist eine riesige, kurzhaarige, rotbraune ehemalige Dämonenhündin mit Stehohren.

Takesch

Takesch ist ein riesiger, kurzhaariger, schwarz-grauer ehemaliger Dämonenhund und Dinaras Gefährte.

Aro

Chef der Dämonenhunde, die unter Korfylos‘ Kommando stehen.

Reikosch

Riesiger blaugrauer Geier, der für Kurierdienste verwendet wird.

Kajik

Junger Mann. Ein Däumling, der Nadja begleitet.

Iri

Rothaarige Wasserhexe im mittleren Alter und mit grünen Augen.

Bernadette

Alte Wasserhexe, die mit Iri entfernt verwandt ist.

Ganduren

Gelbliche, kugelförmige Wesen von der Größe eines Golfballes mit schnell sirrenden Flügeln. Wesen der Halbwelt.

Zyklopen

Riesige, einäugige, pelzige Wesen in verschiedenen Farbtönen. Helfer von Korfylos.

Palekopten

Große menschenähnliche Wesen mit Mönchskutten, die auf einer Zyklopeninsel gefangen sind.

Gilades, der Zeitreisende

Mittelgroßer Mann mit unbestimmbarem Alter und versonnenem Blick.

Mirko

Sohn des Gilades, der im Laufe dieser Geschichte selber ein Zeitreisender wird.

Jonathan

Mirkos Großvater.

Nebelpferde

Pferde, die zu Nebel werden können und um sich herum Nebel bilden können.

Waldschratte

Wesen, die aussehen, als ob sie nur aus Baumrinde bestehen und einem Menschen gerade einmal bis zum Bauch reichen. Diese Wesen haben Gesichter, als wären sie aus Holz geschnitzt worden. Zwei übernatürlich große und runde Augen glotzen andere an. Wesen der Halbwelt.

Schweigsame Tauben

Normale Tauben von weißer Farbe, die häufig auf der Erde umhertippeln. Wesen der Halbwelt.

Kaduro

Kleiner und sehr dicker Mann mit spiegelblanker Glatze und langem schwarzem Bart. Kaduro hat eine Art schwarzen Mantel an, der ihm bis zu den Knöcheln reicht. Unten ragen helle Stiefel hervor. Um seine Taille hat er eine sehr breite, violette Schärpe. Man muss unwillkürlich an einen viel zu dick geratenen Chinesen denken. Herrscher der Halbwelt.

Der narbige Genderich

Muskelbepackter, kahlköpfiger Haudegen mit vielen Narben an den Unterarmen, die man erkennen kann, weil er kurzärmlig ist. Zweiter Mann der Halbwelt.

Cantegulas

Wesen mit gigantischem Kopf (dunkelbraun) und oberhalb des Kopfes sind links und rechts zwei milchige Augen erkennbar. Am überdimensioniert breiten Maul bewegen sich unablässig riesige lange Barteln in alle Richtungen. Der Rumpf ist dem eines Elefanten sehr ähnlich. Wesen der Halbwelt.

Bärenhorde

Sie sehen etwas anders aus als ganz normale Braunbären. Ihre Augen sind viel größer und die oberen Eckzähne sind lang und sichtbar, ähnlich wie bei den ausgestorbenen Säbelzahntigern. Außerdem hat ihr Fell eine silbergraue Farbe und sie sind um einiges größer als Braunbären. Sie werden von Genderich befehligt. Wesen der Halbwelt.

Kendaten

Reittiere, die wie hochbeinige Echsen von dunkelgrüner Farbe aussehen. Sie haben fledermausähnliche Flügel, die sie anlegen, wenn sie nicht fliegen. Ihre Mäuler zeigen lange und spitze Zahnreihen, denen man besser nicht zu nahe kommt. Die langen Schwänze, mit denen sie beim Laufen hin und her schlagen, erwecken den Eindruck, dass die Reittiere äußerst wehrhaft sind. Wesen der Halbwelt.

Schneeaffen

Die Reiter der Kendaten sehen aus wie Kreuzungen zwischen Menschen und Affen und sind mindestens zwei Meter hoch. Sie sind Söldner des Kaduro und tragen Waffen (Speere) mit sich. Wesen der Halbwelt.

Dunkelelfen

Kleine grünliche Gestalten. Die Gesichter sind weiß und ausdruckslos. Das lange Haar auf ihren Köpfen hat eine weißblonde Farbe. Sie leben in der Dunkelheit bei schwachem grünlichen Licht. Sie können normales Licht nicht vertragen. Wesen der Halbwelt.

Zariaten

Wesen von Kindsgröße mit dem Gesicht eines Waschbären. Sie sind Diener der Dunkelelfen. Wesen der Halbwelt.

Merla

Oberste Dunkelelfe. Wesen der Halbwelt.

Koniketen

Wesen auf einer einsamen Insel. Haben Hauskatzengröße, Fledermausflügel und sehen ansonsten wie Ratten aus.

Rontur

Anführer der Raben aus der Senke.

Antarpha

Rabe aus der Senke. Ronturs Frau.

Minra

Rabe aus der Senke. Ronturs Tochter.

Godok

Rabe aus der Senke. Minras Mann.

Taukius

Rabe aus der Senke. Ausbilder der Raben aus der Senke.

Jara

Rabe aus der Senke. Heilerin der Raben.

Beila

Rabe aus der Senke. Heilerin der Raben.

Nukrena

Anführerin der aussätzigen Raben. Godoks Mutter.

Der alte Weise

Weißer Rabe. Berater der Raben der Senke, der einsam lebt.

Barry

Hofhund der Kirchners.

Odysseus

Kater der Kirchners.

Graf

Gefangener der Zyklopen

Roberto

Sohn des Grafen

Benedict und Hannes

Einbrecher. Handlanger von Roberto

Oma Margot

Nadjas Großmutter väterlicherseits.

Prolog

Ein kleiner Geist schwebte über einen trocken gelegten See. Der Geist sah aus wie ein kleines Mädchen und hieß Griseldis von Dudenheim. Der See, über den der Geist schwebte, hieß auch Griseldis. Das nahe gelegene Dorf hatte der Geist an diesem Tag, wie schon oft, überflogen. Lebende konnten ihn nicht sehen. Griseldis von Dudenheim war einst im See ertrunken. Darum hieß der See, der nun trockengelegt war, so. Eigentlich wurde die Tochter der von Dudenheims vor vielen Jahren ermordet. Ihr Mörder war der sogenannte Graf, der alle Ländereien besitzen wollte. Er hatte sich die Unsterblichkeit verschafft und war nun ein Gefangener von Korfylos. Er wurde von Zyklopen bewacht und sein Sohn Roberto lebte jetzt bei Verwandten.

Korfylos war auch ein Geist und beugte sich Raskara, der Anführerin der menschlichen Geister, nicht. Lange verfolgte er eigene Interessen. Aber dann begann er, den Raben und ihren Verbündeten zu helfen. Aber das hatte seine Vorgeschichte. Der Geist der Griseldis wurde einst von ihm verflucht, als sie Prutorius, den Anführer der Dämonenhunde, die Korfylos dienten, entdämonisierte. Dieser Anführer war dadurch für immer entehrt worden. Man verstieß ihn und danach wurde Aro der neue Anführer der Dämonenhunde.

Der kleine Geist Griseldis war schließlich nicht mehr verflucht und durfte nun in der Welt der Geister leben. Dafür hatte Nadja Kirchner, die Bannherrin der Senke, gesorgt. Trotzdem besuchte Griseldis von Dudenheim täglich die Senke, wo sie früher zu Hause war. Die Raben um den Anführer Rontur, die von einem alten, einsamen und weißen Raben beraten wurden, lebten schließlich hier und sie waren auch ihre Freunde. Der einsame Rabe wurde von allen nur der alte Weise genannt. Der riesige Kuriergeier Reikosch hielt zwischen dem Weisen und den Raben die Verbindung. Der verstoßene, ehemalige Dämonenhund fand einige Zeit bei dem alten Weisen eine neue Aufgabe als Wächter. Aber seit fast zwei Jahren bewachten er und seine Gefährtin Oma Margot, eine ehemalige Bannherrin der Senke und Nadja Kirchners Großmutter väterlicherseits.

Griseldis von Dudenheim machte auch, wie jeden Tag, einen Zwischenstopp in der Scheune der Kirchners. Hier trainierte die Enkelin Nadja eisern und verbesserte weiterhin ihre Verteidigungsstrategien, die kein Mensch beherrschte. Manchmal unterhielt sich der kleine Geist mit ihr, aber nicht immer gab sich Griseldis zu erkennen. Nadja war nun die Bannherrin der Senke und viel mutiger, als manche glaubten. Spätestens, seitdem sie es geschafft hatte, Takesch wieder aus der Halbwelt herauszuholen, war sie in den Kreisen der nichtmenschlichen Welten nicht nur bekannt, sondern auch berühmt.

Takesch, der mit seiner Gefährtin die Grenze zur Halbwelt bewachte, wurde bei einem Überfall durch die Armee des Kaduro entführt. Ausgerechnet dieses kleine Stück, wo Takesch und Dinara lebten, verleibte sich der Herrscher der Halbwelt ein. Jeder glaubte, dass man Takesch aus der Halbwelt nicht mehr herausholen konnte. Aber Nadja schenkte dem keinen Glauben und handelte auf eigene Faust. Sie verärgerte damit sogar den Chef der Raben.

Bei ihrer Mission halfen ihr die ehemaligen Dämonenhunde Prutorius und Dinara. Minra, die Tochter des Anführers der Raben, war auch dabei. Korfylos hatte eine Dämonenhündin, die unter seinem Befehl stand, geschickt, die später auch ihren Dämon abschütteln konnte. Aber irgendwann stießen auch der Däumling Kajik und Iri, die in der Senke lebende Wasserhexe, dazu. Selbst der Kuriergeier Reikosch hatte geholfen, indem er Nadja zur Grenze der Halbwelt brachte. In der Halbwelt lernte Nadja dann einen Zeitreisenden kennen, den ihr Korfylos ebenfalls vorbeigeschickt hatte, damit er sie beraten konnte.

Allen Zweifeln zum Trotz schafften sie es, gemeinsam in die Wanderburg einzudringen und fanden sogar den Raum, in dem man Takesch gefangen hielt. Aber Takesch unterlag schon der Bindung des Kaduro. Diese Bindung konnte durch ein Pulver aufgehoben werden, dessen Basis ein seltenes Kraut war.

Als Takesch dann in der Burg des Kaduro zu sich kam und alle Helfer mit ihm fliehen konnten, war es fast zu spät für alle. Gerade so hatten sie es geschafft, die Halbwelt zu verlassen, bevor sie versiegelt wurde. Kaduro war zwar nach wie vor der Herrscher der Halbwelt, aber gleichzeitig ein Gefangener seiner eigenen Welt. Das aber wurde nur möglich, weil sich alle einig waren und dafür sorgten, dass die Halbwelt abgedichtet wurde. Nicht nur die Raben der Senke, sondern auch viele verbündete Rabenvölker halfen mit. Alle Kuriergeier waren dabei gewesen, wobei dem Geier des alten Weisen das Meisterstück glückte. Er schickte Kaduros kleine Plagegeister, die Ganduren, in die Halbwelt zurück. Aber auch Korfylos bekannte Kaduro gegenüber Farbe. Er und alle seine Zyklopen und Dämonenhunde waren an der Grenze, um mit dafür zu sorgen, dass Kaduro nicht mit seiner gigantischen Armee alles überrollte. Raskara half ebenfalls mit.

Der kleine Geist schwebte nun tiefer. Nur noch wenige Momente und Griseldis erreichte ihre Welten. Niemand würde sie fragen, wo sie war. Das hatte man anfänglich getan, aber inzwischen hatte man es aufgegeben, sie zu bevormunden.

Das Haus im Wald

Ein Bus fuhr aus der Kreisstadt heraus, um den Weg über eine abgelegene Landstraße zu nehmen. Diese führte irgendwann durch einen Laubwald. Warum es ausgerechnet an dieser Strecke fast im Nirgendwo eine Bushaltestelle gab, wusste keiner in dieser Gegend und nur wenige von außerhalb wussten, dass es diese Haltestelle überhaupt gab und dass sie sogar einen Namen hatte. Alte Försterei hieß der Haltepunkt. Nur selten stieg hier jemand ein oder aus. Der heutige Tag bildete da eine Ausnahme. Als ein junger Mann an der hinteren Bustür stand und klingelte, war der Busfahrer irritiert. Er und seine Kollegen fragten sich immer wieder, warum diese Haltestelle noch existierte. Er persönlich hatte es noch nie erlebt, dass hier jemand ein- oder ausstieg. Dennoch schien der Jugendliche zu wissen, was er tat. Also stoppte der Fahrer kurz und ließ den jungen Mann aussteigen. Die anderen Fahrgäste sahen neugierig aus dem Fenster des anfahrenden Busses, um noch etwas von ihm zu sehen. Aber es war vergeblich!

Der junge Mann wechselte die Straßenseite und ging ein Stück die Straße entlang. Dann betrat er den Wald. Niemand hätte aus einem fahrenden Auto heraus den schmalen Pfad bemerkt, den er nun benutzte. Es begann jetzt dunkel zu werden, obwohl es erst früher Nachmittag war. Aber die Baumkronen der Laubbäume waren oben so dicht, dass sie kaum noch Tageslicht durchließen. Der junge Mann schien sich hier auszukennen und ging zielstrebig weiter. Er hatte sich eine Tasche aus grünem Tarnstoff umgehängt. Außerdem trug er neben einer rustikalen Jeanslatzhose ein blaues T-Shirt und dunkelblaue Stoffschuhe, die für einen Waldmarsch eigentlich nicht geeignet waren. Dennoch schritt er mit besonderer Leichtigkeit voran. Sein Gesicht war mit unzähligen Sommersprossen übersät und das rote Haar militärisch kurz geschnitten.

Der Waldläufer wohnte in der Kreisstadt allein in einer Plattenbauwohnung am Stadtrand. Offiziell lebte dort zwar noch sein Großvater, aber den hatte dort schon lange keiner mehr gesehen. Der alte Mann kam nur zu Zeiten dort an, an denen ihn niemand bemerkte. Ansonsten hatte der alte Mann seinen zweiten Wohnsitz in einem Haus im Wald und zu dem war der Enkel jetzt unterwegs. Der Enkelsohn war alt genug, um schon selbstständig in der Wohnung zu leben. Eltern hatte er keine mehr. Seine Mutter starb vor einigen Jahren an einer schweren Krankheit und der Vater war unauffindbar. Er hatte vor vielen Jahren alle Kontakte zu seiner Familie abgebrochen und der junge Mann hatte ihn nie persönlich kennengelernt.

Der Waldweg begann nun, etwas breiter zu werden und von oben kam auch wieder mehr Sonnenlicht durch. Es war wie in einem Märchen. Der junge Mann, der kurz vor dem Abitur stand, hielt kurz inne und genoss die frische Waldluft in tiefen Zügen. Dann ging er langsam weiter. Plötzlich vernahm er neben sich ein Rascheln. Er hielt erneut an und sah sich um, konnte aber nichts erkennen. Also ging er weiter. Dann vernahm er abermals dieses Rascheln, aber jetzt dichter. Wieder blickte er sich um und sah ein undefinierbares Etwas nicht weit vom Waldweg entfernt, das ihn erschreckte.

Er rannte los und wurde verfolgt. Das spürte er, obwohl er sich nicht umdrehte. Etwas kam immer näher. Dann war es still hinter ihm. Er drehte sich nicht um und lief noch schneller. Irgendetwas war anders als sonst, aber er konnte es sich nicht erklären. Dann kam er auf eine Waldlichtung. Auf ihr stand ein zweistöckiges Haus aus gelben Backsteinen, das von einer ebensolchen hohen Mauer umgeben war. Einst war es ein Forsthaus gewesen. Heute lebte hier sein Großvater. Ein großes Holztor versperrte Neugierigen die Sicht in den Hof. Der junge Mann öffnete das Tor und betrat das Grundstück. Er sah sich prüfend um und erblickte die offene Werkstatt, die in einem Stallgebäude untergebracht war. Von dort her hörte er Arbeitsgeräusche. Nun hatte er das Gefühl, dass wieder alles normal war. Das ungute Gefühl, das ihn eben noch beschlichen hatte, war verschwunden. Er betrat die Werkstatt.

„Hallo!“ Der alte Mann, der angesprochen wurde und einen Hammer reparierte, sprang erschrocken von seinem Stuhl hoch. Er war sehr groß und kräftig.

„Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst hier nicht unangemeldet herkommen!“ Die Stimme des Alten war grantig eingefärbt. Er keuchte einen Augenblick. Es sah so aus, als wollte er noch mehr sagen. Aber er ließ es sein, setzte sich wieder und kümmerte sich um den defekten Hammer.

„Ich muss mit dir reden!“ Der Enkelsohn kannte seinen Großvater und dessen Launen. Darum ignorierte er dessen Gehabe und reagierte gelassen.

„Es gibt Telefone! Schon vergessen?“ Der Alte hatte seine Arbeit noch nicht wieder aufgenommen und sah seinen Enkel von der Seite her an. Der schnaubte vernehmlich.

„Dann hättest du mich abgewimmelt oder wärst gar nicht erst an das Telefon gegangen“, antwortete der Enkel. „Das kenne ich schon zur Genüge!“

„Wahrscheinlich!“ Der Waldbewohner war stur.

„Es ist aber dringend!“ Der junge Mann gab nicht nach.

„Das hätte nicht Zeit bis morgen gehabt? Da wäre ich sowieso gekommen, wie immer an diesem Wochentag!“ Der Großvater war noch grantiger geworden, aber auch darauf erhielt er schnell eine Antwort.

„Ich muss heute mit dir reden!“

„Und ich möchte nicht, dass du allein durch den Wald gehst“, parierte der Großvater.

„Ich bin kein Kind mehr!“ Der Enkel sagte das mit Nachdruck.

„Das bist du doch!“ Der Alte stand jetzt wieder auf und sah den Jungen von oben herab an, was wegen seiner enormen Größe kein Problem war. Dabei war der Enkelsohn auch nicht gerade klein. Das breite und zerfurchte Gesicht des Alten war wettergegerbt und wurde von einem enormen weißen Vollbart umrahmt. Dadurch konnte man seine Gesichtszüge nur schwer erkennen. Unter dem alten Filzhut quoll eine ebenso weiße Haarpracht hervor.

„Mir wird schon nichts passieren!“ Der Enkel sagte das mit Gleichmut. Der Alte sah ihn an. Sein Gesicht war unergründlich.

„Im Wald ist schon so manches passiert.“ Die letzten Worte sagte er mehr zu sich, aber sie wurden von dem Enkel gehört.

„Ich weiß! Im Wald da sind die Räuber!“ Der junge Mann war jetzt etwas lauter geworden.

„Die nun nicht gerade!“ Der Alte werkelte wieder.

„Meinst du etwa, dieser riesige Mann mit der braunen Kutte und Kapuze, der eben im Wald hinter mir stand, hätte mir was getan?“ Der Enkelsohn lachte leise.

„Was für ein riesiger Mann?“ Der Großvater hatte sofort wieder seine Arbeit unterbrochen und musterte seinen Enkel. Etwas schien nun anders zu sein. Aber der junge Mann zuckte mit den Schultern.

„Weiß nicht. Plötzlich stand er da. Sah aus wie ein Mönch. Hatte eine Kapuze auf und trug eine Maske. Er war sogar noch größer als du.“ Der Enkel behielt für sich, dass er davongelaufen war. Er kam sich selber lächerlich vor und wollte nun nicht von dem Alten verhöhnt werden.

„Was war er?“

„Größer als du und das will was heißen!“ Der Großvater zuckte unmerklich zusammen. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt.

„Hier gibt es keine maskierten Mönche“, parierte der Waldbewohner jetzt.

„Was war es dann?“ Die Frage kam sofort zurück.

„Wahrscheinlich wieder ein neues, idiotisches Abenteuerspiel für Kinder und dumme Erwachsene. Wer weiß, wer damit dieses Mal Geld verdienen will. Genug Spinner gibt es ja.“ Der alte Mann schüttelte den Kopf, nachdem er das gesagt hatte und widmete sich wieder dem Hammer.

„Wenn es hilft!“ Der Enkel gab sich gleichgültig.

„Mir wäre es lieb, wenn es nicht hilft“, antwortete der Großvater. „Aber es gibt Menschen, die bescheuert genug sind und für so etwas bezahlen.“ Er sah nicht mehr von seiner Arbeit auf, fühlte sich aber dennoch genötigt, noch etwas dazu zu sagen. „Das hat wohl was mit dem sinkenden Bildungsniveau zu tun. Bestimmt gibt es bald wieder Hexenverbrennungen.“

„Möglich!“ Der Enkel hob die Arme, während er das sagte.

„Jedenfalls gibt es keine maskierten Mönche.“ Die Worte des Großvaters kamen nun absolut herüber.

„Nicht?“ Der Enkel runzelte die Stirn.

„Hier nicht und auch nicht anderswo. Das war irgendein Spinner, der sich verkleidet hat.“ Der alte Mann trat noch bestimmter auf.

„Ich weiß selber, dass es keine maskierten Mönche gibt.“ Der Enkelsohn hatte sich an eine Wand gelehnt.

„Na dann ist‘s ja gut!“ In der Stimme des Hünen hätte der Enkel Unruhe hören können, wenn er nur darauf geachtet hätte. Aber das tat er nicht.

„Trotzdem sah er wie ein Mönch aus“, setzte der junge Mann noch einmal nach.

„Von wo ist der denn gekommen?“ Der Alte hörte wieder mit der Arbeit auf und sah den Enkel erneut an.

„Weiß nicht. Plötzlich war er da. Muss aus dem Dickicht gekommen sein.“

„Warum das denn?“ Er sah seinen Enkel immer noch an. Seine hellblauen Augen schienen den jungen Mann zu durchbohren. Der zuckte mit den Schultern.

„Wahrscheinlich hat er was gesucht oder auf jemand gewartet! Ich habe nicht gefragt.“ Das Gesicht des Alten entspannte sich, blieb aber unergründlich.

„Was hast du gemacht, als du ihn gesehen hast?“

„Nichts! Ich wollte weiter!“ Die Antwort des jungen Mannes kam dieses Mal schnell. Aber der Großvater hatte das nicht registriert oder wollte es sich nicht anmerken lassen.

„Na dann“, sagte er nun. „Geh ins Haus. Ich komme in zehn Minuten nach. Dann werden wir etwas essen und wir können reden. Darum bist du doch gekommen!“ Die Worte des Großvaters waren wieder grantig.

„Ich warte auf dich.“ Der Enkel nickte ihm zu.

„Aber anschließend bringe ich dich wieder zurück.“ Diese Worte, die der Großvater ihm an den Kopf warf, schienen dem Enkel nicht zu gefallen. Er verzog das Gesicht, aber der Alte sah geflissentlich darüber hinweg. Dennoch reagierte der junge Mann.

„Warum kann ich nicht hier übernachten?“

„Morgen früh musst du zur Schule.“ Der Großvater war unerbittlich.

„Das geht aber von hier aus auch!“

„Der Weg von der Wohnung aus ist nicht so weit und du kannst länger schlafen. Du musst für die Prüfungen lernen.“ Der Alte duldete keinen Widerspruch und der Enkel wusste das nur zu gut.

„Damit ist bald Schluss!“ Der junge Mann gab sich jetzt betont gelassen.

„Noch hast du dein Abitur nicht.“ Der Großvater war nach wie vor ruppig. „Und wenn du es hast, ist es noch nicht vorbei!“

„Du hast Pläne mit mir?“ Der Enkelsohn hatte nun an der Wand lehnend die Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete neugierig den werkelnden Alten.

„Ich dachte immer, du weißt selber, wofür du das Abitur machst“, sagte der alte Mann.

„Was soll ich denn tun?“

„Studieren!“

„Das wird geschehen. Dann kann ich aber die Wohnung kündigen. Ich hasse den Plattenbau. In den Semesterferien kann ich ja hier wohnen!“ Der Alte schaute seinen Enkel einen Moment lang seltsam an.

„In Ordnung und nun mach, dass du in das Haus kommst. Ich komme gleich. Muss hier noch aufräumen!“ Der Großvater schien wieder unruhig zu sein.

„Ich bin schon weg!“ Damit entfernte sich der Enkel. Der Alte sah ihm hinterher. Kaum war der im Haus verschwunden, bekam er einen wachsamen Ausdruck. Dann stand er auf und sah aus der Schuppentür. Im nächsten Augenblick saß auf dem Tisch in der Werkstatt ein kleiner, struppiger Rabe.

„Was hat der Junge gesehen?“ Der Rabe hatte den Alten angesprochen und der schien darüber nicht erstaunt zu sein.

„Das weißt du ganz genau!“ Der Hüne stand noch immer in der Tür, sah sich weiterhin suchend um. Dann drehte er sich um und kam zu dem Raben, der auf der Lehne des Stuhles hockte, auf dem der Alte bis eben gesessen hatte.

„Ich habe nichts gespürt!“ Der Vogel war verunsichert.

„Ich bitte dich, Taukius. Du weißt, was das zu bedeuten hat!“

„Was denn?“ Der Rabe gab sich ahnungslos.

„Dass sie wieder da sind. Man spürt sie nur, wenn man sich darauf einstellt! Manche sind dazu jedoch nicht in der Lage, aber wem erkläre ich das!“ Der Bewohner des Anwesens lauschte wieder nach draußen.

„Woher willst du das wissen? Schließlich hast du das nicht erlebt.“ Taukius schien sich über den Mann lustig zu machen, aber der schien keinen Spaß zu verstehen.

„Trotzdem weiß ich, was das zu bedeuten hat.“ Die Antwort kam vehement.

„Man hat sie damals alle gefangen!“ Taukius versuchte, den Mann zu beruhigen, was ihm aber nicht gelang, denn der lächelte jetzt ironisch.

„Sie sind wieder da!“

„Sicher?“ Die Stimme des Vogels klang ungläubig.

„Absolut!“

„Dann müssen wir euch jetzt schützen! Ich werde mich sofort darum kümmern“, sagte Taukius entschlossen.

„Ich kann gut auf mich selber aufpassen!“ Der Alte hatte plötzlich einen wilden Gesichtsausdruck angenommen.

„Täusch dich nicht!“ Die Worte des Raben waren ernst.

„Was wollen sie machen? Mich töten?“ Nun lachte der alte Mann.

„Hör auf, Witze zu machen“, sagte der Vogel erschrocken.

„Ich mache keine Witze“, erwiderte der Alte.

„Aber deinen Enkel muss man schützen! Er kann noch nicht auf sich aufpassen.“ Taukius sah aus der Stalltür über den Hof in Richtung Wohnhaus, in das der Enkel verschwunden war.

„Zuerst müsst ihr herausbekommen, was da los ist!“

„Ist in Arbeit“, sagte der Rabe. „Jetzt müssen wir uns um euch kümmern!“

„Kümmert euch lieber darum, dass sie von hier verschwinden.“ Der Alte war wieder grantig geworden. „Das ist viel wichtiger.“

„Und was passiert hier?“

„Das schaffe ich schon!“ Der alte Mann war nun etwas gelassener.

„Bist du dir sicher?“

„Bin ich! Wenn mein Enkel wieder in der Stadt ist, ist auch der geschützt. Dorthin trauen die sich nicht!“ Eine Weile sagte keiner etwas. Dann reagierte Taukius.

„Also gut!“ Der Vogel flog aus der Werkstatt hinaus. Im nächsten Augenblick war er nicht mehr zu sehen.

Am Bahnhof

Das Dorf Delzerow war in seiner Größe überschaubar. Viele Menschen lebten hier nicht mehr, weil es kaum noch Arbeit in der Gegend gab. In der Dorfmitte gab es eine Bushaltestelle, in der sich abends immer ein paar Jugendliche aufhielten. Vor den Häusern, die noch bewohnt waren, saßen alte Leute und beobachteten die Umgebung. Ansonsten war es hier ruhig. Eine Kirche hatte das Dorf einst besessen, aber der Krieg hatte sie zerstört und das Gotteshaus wurde nicht wieder aufgebaut. Die Ruine stand noch und das Gelände um sie herum wurde von den Bewohnern des Ortes gepflegt. Verließ man das Dorf, kam man nach einigen hundert Metern zu einem einstmals beschrankten Bahnübergang. Die Schranken hatte man abmontiert, denn das Gleis war inzwischen tot. Der Zugverkehr rentierte sich nicht mehr und so wurde der Ort auch diesbezüglich abgehängt.

Gleich hinter dem Bahnübergang ging es zum ehemaligen Bahnhof. Das alte Gebäude war fast unversehrt. Fenster und Türen hatte man mit starken Metallplatten gesichert und vor dem Gebäude war das Kopfsteinpflaster von Unkraut überwuchert. Dieser Bereich war einst der Parkplatz, als von hier noch Menschen in die Züge einstiegen. Ging man an dem Gebäude vorbei, waren Nebengebäude erkennbar. Sie dienten einst als Schuppen. Gebüsch überwucherte inzwischen alles, denn als der Zugverkehr eingestellt wurde, verödete der Bahnhof. Die früheren Bahnarbeiter, die im Bahnhofsgebäude die oberen Etagen bewohnten, waren längst weggezogen. Mehrmals hatte man nach der Stilllegung der Strecke versucht, das Anwesen zu verkaufen, aber aus unerfindlichen Gründen sprangen die Interessenten immer ab. So war es seit Jahren. Merkwürdig war, dass sich keiner am Bahnhof herumtrieb. Irgendetwas hatte der Bereich an sich und das sorgte dafür, dass jeder, der randalieren wollte, nicht hierherkam.

Der Tag versprach, heiß zu werden. Kein einziges Lüftchen regte sich und die Sonne schien schon am Morgen kräftig. Ein Mann stand reglos vor dem Bahnhofsgebäude und betrachtete es. Wer ihn hier gesehen hätte, hätte sich sofort die Frage gestellt, wie er überhaupt hierherkam. Nirgends sah man ein Auto und durch den Ort war er nicht gegangen. Das hätte man dort bemerkt und ihn nicht mehr aus den Augen gelassen. Niemand konnte ihn jetzt noch sehen, weil der Bahnhof zu abseits und verdeckt lag. Fernes und vielstimmiges Hundegebell, das von der noch weiter entfernt gelegenen Schäferei kam, war zu hören. In der Nähe der Schäferei befanden sich noch weitere Gehöfte, aber alle waren außer Sichtweite des Bahnhofes.

Der Mann war mittelgroß und von sehr kräftiger Statur. Der graue Sommeranzug war aufgrund seiner enormen Schulterbreite eine Maßanfertigung. Er schien auf etwas zu warten. Intensiv lauschte der Mann und dann grinste er. Hinter sich vernahm er ein Geräusch. Man hatte ihn gefunden. Als er sich umdrehte, sah er genau den Mann vor sich, den er gehofft hatte, hier zu treffen.

„Du hättest nicht kommen dürfen.“ Die Stimme des Neuankömmlings klang nicht einladend.

„Jetzt bin ich aber da!“ Der andere Mann klang gleichmütig.

„Sehr unklug“, hallte es ihm kalt entgegen.

„Das ist mir klar“, sagte der zuerst Erschienene. Der andere Mann war um einiges größer und schlanker, hatte langes, dunkles Haar, das zu einem Zopf zusammengebunden war. Der sprach nun wieder.

„Warum bist du hier?“

„Um dich zu warnen!“ Der große Mann lachte auf.

„Mich muss man nicht warnen und du schon gar nicht!“ Der kleinere Mann runzelte die Stirn. Er kannte das in seinen Augen selbstherrliche Gebaren.

„Ich denke doch“, sagte er. Der mittelgroße und kräftige Mann sah den ihn abweisend anblickenden Mann ruhig an. Der zuckte unbekümmert die Achseln.

„Du musst wissen, was du tust“, war seine Antwort, die der Mann, der die ganze Zeit hier gewartet hatte, mit einem leichten Stirnrunzeln quittierte.

„Das wusste ich schon immer, Korfylos!“

„Wie du meinst, Genderich! Hier zu erscheinen ist gefährlich für dich, nicht für mich.“ Der kleinere Mann lachte nun auch und vermittelte dabei keineswegs einen ängstlichen Eindruck.

„Gefährlich? Für mich?“ Er lachte erneut. Korfylos‘ Erwiderung erfolgte prompt.

„Wenn dich die Raben entdecken, sieht es nicht gut für dich aus.“ Der Neuankömmling stand lässig da. „Aber mach, was du willst! Mir doch egal!“

„Ach ja?“

„Soll ich sie mal rufen“, fragte Korfylos hintergründig. „Sie mögen dich nicht besonders, glaube ich!“

„Das kann ich ihnen nicht verdenken!“ Genderich sah trotz seiner Worte immer noch nicht so aus, als ob er sich Sorgen machte.

„Ich frage mich, wie du es geschafft hast, aus der Halbwelt herauszukommen.“ Der Mann, der Genderich hieß, griff sich an das Kinn. Dabei rutschte ihm sein Ärmel hoch und ließ eine große Narbe sichtbar werden. Es war nicht die einzige Narbe, die er am Körper trug.

„Es war nicht schwer, aber du solltest wissen, dass wir bald alle dazu in der Lage sein werden!“ Korfylos sagte nichts dazu und Genderich fuhr fort. „Deine Spinnen waren bei der Versiegelung der Halbwelt nicht gründlich.“

„Ich denke doch“, stellte Korfylos nun fest.

„Wie du siehst, bin ich hier“, antwortete der Narbige. „Wenn Kaduro Wind davon bekommt, schickt er sofort seine Schlangen. Wie gut die als Bannbrecher sind, dürftest du noch wissen.“ Der Blick des alten Haudegens war vielsagend.

„Dann werden wir tatsächlich etwas machen müssen! Ich werde sofort meine Spinnen losschicken.“ Korfylos sagte das mit großer Lässigkeit.

„Das wird nicht reichen!“ Genderich lächelte fein.

„Ich glaube doch.“

„Ich nicht! Vielleicht ist es ein Segen für euch, dass ich es geschafft habe, hierher zu kommen!“ Der untersetzte und kräftige Mann betrachtete den anderen Mann interessiert. Der nickte nun bedächtig.

„Also schön! Was willst du?“ Korfylos wirkte gelangweilt.

„Du solltest deine Zyklopen einmal fragen, ob noch alle Palekopten auf der Insel sind.“ Es herrschte jetzt eine ganze Weile Totenstille.

„Das denke ich schon!“ Die Stimme von Korfylos hatte jetzt, nachdem er diese Stille wieder unterbrochen hatte, einen arroganten Einschlag. Genderich ließ das kalt. Überlegen starrte er ihn an.

„Dann denkst du falsch“, schleuderte der Narbige ihn entgegen.

„Tue ich das?“, fragte der überheblich.

„Du scheinst nicht mehr alles im Griff zu haben!“ Genderich sagte das ohne Emotionen. „Das hat Kaduro schon lange vermutet.“

„Tatsächlich“, erwiderte Korfylos.

„Denkst du, ich bin zum Spaß hier?“ Der untersetzte Mann schien sich jetzt zu amüsieren. „Ganz so schlecht geht es mir nicht!“ Nun wurde der andere hellhörig.

„Das soll ich glauben?“

„Solltest du“, antwortete Genderich.

„Was soll das also?“

„Ich denke, dass die Palekopten, von deren Ausbruch du noch nichts weißt, gute Bannbrecher sind und uns schnell befreien könnten.“ Der Mann aus der Halbwelt wurde erregt, aber Korfylos ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Das ist mir bekannt!“

„Dann ist es ja gut. Dir dürfte doch wohl klar sein, dass Kaduro auf gar keinen Fall einen von denen in die Finger kriegen darf.“ Der untersetzte Mann sagte das mit Nachdruck.

„Das wird nicht passieren.“ Korfylos sah gelangweilt an dem Bahnhofsgebäude hoch.

„Sei dir nicht so sicher. Besser ihr fangt sie schnell ein, bevor er etwas erfährt!“ Der später dazu gekommene Mann drehte sich wieder um und sah den anderen Mann fest an.

„Woher willst du das alles wissen?“ Genderich blickte bei diesen Worten ungläubig und schüttelte mitleidig den Kopf.

„Ich weiß es eben und du nicht, weil die Zyklopen das vor dir geheim halten und die Sache lieber selber regeln wollen.“ Genderichs Stimme war nun scharf.

„Sie regeln alles auf ihre Art!“ Korfylos spielte den Unbeteiligten.

„Das darf nicht passieren, weil dann die Menschen etwas merken.“ Der Narbige hatte sich an das Bahnhofsgebäude gelehnt. „Besser, du machst das“, sagte er dann.

„Warum erzählst du mir das?“ Der andere Mann ging nun ein paar Schritte von dem Narbigen weg und kehrte ihm den Rücken.

„Denk nach!“ Genderich hob beschwörend die Hände.

„Ich dachte, das habe ich!“

„Na, wenn das alles war, habe ich keine Fragen mehr!“ Der Besucher aus der Halbwelt schüttelte erneut den Kopf.

„Also was?“ Korfylos wurde bei seiner Frage wieder ungläubig angesehen. Erst sah es so aus, als ob der narbige Genderich nichts mehr dazu sagen wollte, aber dann rang er sich durch.

„Ich bin der zweite Mann in der Halbwelt und möchte das bleiben. Wenn die Palekopten bei uns landen, braucht Kaduro keine weiteren Helfer.“ Nun konnte der größere Mann einen angewiderten Ausdruck in dem Gesicht des Narbigen erkennen. „Ich möchte mich nicht herumkommandieren lassen.“

„Du kommandierst lieber selber“, sagte der Mann mit dem Zopf.

„Du nicht“, entgegnete der Narbige.

„Vielleicht gewähren dir die Dunkelelfen Asyl!“ In Korfylos‘ Gesicht machte sich ein gehässiges Grinsen breit.

„Wohl kaum“, parierte der narbige Mann.

„Das wäre also das Letzte für dich!“ Korfylos wollte den narbigen Genderich nun mit aller Gewalt aufziehen, aber der ließ sich nicht provozieren.

„Genau! Aber die Palekopten könnten für Kaduro eine brauchbare Waffe werden. Ich hoffte eigentlich, dass du das weißt!“ Der narbige Mann zeigte sich nun auch von seiner arroganten Seite.

„Hat Kaduro nicht genug wirksame Waffen? Ich dachte, er hat es endlich geschafft, die Ganduren für sich zu nutzen, die wir euch geschickt haben. Was braucht er da noch Palekopten?“ Korfylos grinste jetzt schadenfroh.

„Dafür sind wir euch ewig dankbar.“ In dem Gesicht des Narbigen zuckte ein Muskel am Unterkiefer. „Der Geier ist gut. Das muss man ihm lassen. Die Ganduren sind dem tüchtig auf den Leim gegangen.“ Genderich schnaufte, nachdem er das gesagt hatte.

„Und das aus deinem Mund? Die Kleine war aber auch nicht schlecht!“ Der Narbige nickte neidlos zu den Worten des anderen.

„Man sagt, dass auch du schon deine Erfahrungen mit ihr gemacht hast.“ Korfylos überhörte die Ironie des Narbigen, der auch einiges zu wissen schien.

„Sagt man das?“

„Allerdings. Aber das tut jetzt nichts zur Sache!“ Der Narbige wollte das Thema wechseln, aber es gelang noch nicht.

„Eben! Wir sprachen gerade über Ganduren!“ Korfylos grinste abermals.

„Ich denke, das Problem ist inzwischen gelöst!“

„Dann habt ihr etwas geschafft, was wir nicht ansatzweise in den Griff bekamen.“ Der größere Mann sagte diese Worte, aber er glaubte dem Narbigen nicht. „Wie habt ihr das geschafft“, fragte er hintergründig.

„Unsere Cantegulas haben inzwischen garantiert alle Ganduren vertilgt“, stellte der narbige Genderich fest. „Kaduro hat sie auf die scharf gemacht.“

„Schön für euch!“ Korfylos klang angewidert.

„Nicht wahr? Und nun könnten die Palekopten die neue Waffe sein. Ein paar von denen sind ja schon draußen. Es könnten noch mehr werden, wenn du das weiterhin ignorierst. Eigentlich müsstest du dich noch daran erinnern, wie stark sie sind.“ Der mittelgroße und kräftige Mann rieb sich jetzt die Hände.

„Sie werden euch wohl kaum suchen!“ Korfylos gab seine überlegende Haltung nicht auf.

„Werden sie doch!“ Der Besucher aus der Halbwelt schien davon überzeugt zu sein.

„Das nimmst du an!“

„Ich weiß es! Es ist möglich, dass der Rest von denen auch noch ausbricht. Das wäre dann nicht nur eine Katastrophe für mich.“ Der Narbige hielt sich die Hände und sah über das Gelände.

„Sondern?“

„Die Palekopten wissen, dass Ronturs Bann durch eine Bannherrin abgesichert ist und sie sind in der Lage, diese aufzuspüren.“ Korfylos zuckte zusammen. Aber er fasste sich schnell wieder.

„Woher wollen die das wissen?“

„Glaube mir, sie wissen es“, sagte der Besucher.

„Mach dir keine Sorgen. Sie kann allein auf sich aufpassen! Das müsste dir nicht entgangen sein!“ Korfylos sah den anderen Mann wieder überlegen an.

„Ist es nicht. Respekt!“ Die Anerkennung war echt. Das spürte auch Korfylos.

„Das Lob gebührt Rontur.“

„Dann solltest du mal Kaduro hören“, entgegnete der Narbige.

„Kaduro?“

„Kaduro“, antwortete Genderich. „Er erwähnt die Kleine noch immer und das will bei ihm was heißen.“

„Ja, ja! Ihr ist schwer beizukommen!“ Korfylos machte nun einen gelangweilten Eindruck.

„Die Palekopten sind ein anderes Kaliber. Mit denen wird sie nicht fertig und das müsstest wissen“, entgegnete der zweite Mann der Halbwelt.

„So ähnlich dachten wir auch, als sie loszog, um Takesch bei euch herauszuholen!“ Auch diese Anspielung wurde von Genderich ignoriert.

„Dabei hast du natürlich nicht geholfen.“

„Ich doch nicht!“ Korfylos grinste.

„Klar! Deine Hunde waren zufällig da. Auch den Zeitreisenden haben wir uns nur eingebildet. Leider haben wir uns erst einen Reim darauf gemacht, als wir mit dem Bann umschlossen waren“, setzte Genderich nach.

„Zeitreisende kommen und gehen!“ Korfylos nickte vielsagend. „Darauf hat niemand einen Einfluss.“

„Besonders, wenn du dich darum kümmerst. Ganz zu schweigen von dem Däumling, den Raben und dem kleinen Geist. Wir haben uns das alles nur eingebildet!“

„Wahrscheinlich!“

„Lassen wir das. Dieses Mal wissen diejenigen, die es betrifft, von ihrer Existenz. Du wirst schnell handeln müssen. Besser, du informierst auch die Raben. Sonst bringen die Palekopten die Kleine Kaduro als Trophäe mit.“ In das wettergegerbte Gesicht des Mannes der Halbwelt schlich sich nun ein bitterer Zug. Korfylos wechselte das Thema.

„Wie kommst du zurück?“

„Geht schon. Sieh zu, dass du diese Kuttenträger fängst und bewach bis dahin die Kleine.“ Korfylos nickte dankend.

„Ich werde etwas in die Wege leiten!“ Korfylos blickte teilnahmslos über das Bahnhofsgelände.

„Das wäre wünschenswert!“

„Wir haben alle ein Interesse daran, dass die Palekopten auf der Insel bleiben.“

„Kaduro nicht. Er hat auch Interesse an diesem sogenannten Grafen signalisiert, der in der Nähe der Palekopten auf einer weiteren Insel gefangen gehalten wird. Du weißt, dass die Palekopten in der Lage sind, auch ihn zu befreien.“ Genderich war erregt.

„Warum sollten sie das tun?“

„Sie verehren ihn.“

„Sie machen was?“ Korfylos hatte wieder seine Arme verschränkt.

„Du hast es nicht bemerkt, aber der Graf hatte schon früher Kontakt zu ihnen. Er muss geahnt haben, dass du allein nicht sicher genug für ihn bist!“

„Wenn er das getan hat, war diese Mühe vergeblich!“ Korfylos schien sich seiner Sache sicher zu sein.

„Euer Glück, dass ihr ihn rechtzeitig festgesetzt habt, sonst hätte der es womöglich geschafft, diese Plage viel früher loszulassen.“ Der größere Mann hörte die Worte und ging nun langsam auf und ab.

„Das soll stimmen?“ Langsam beschlichen ihn doch Zweifel. Woher wusste der zweitmächtigste Mann der Halbwelt das alles, wo er doch in ihr gefangen sein musste. Stattdessen stand er hier und gab ihm kluge Ratschläge. Der Narbige schien die aufkeimenden Zweifel zu spüren.

„Ich würde es glauben. Diesen Takesch und seine rote Furienbraut solltest du auch schnellstens informieren und ihnen Verstärkung schicken. Die Grenze muss von euch ab sofort noch besser gesichert werden. Wenn diese Gestalten den Bann der Halbwelt erst gebrochen haben, schickt Kaduro sofort alles los, um den Rest zu befreien und dann den Bann im Griseldis zu brechen. Dafür braucht er das Mädchen.“

„Das habe ich verstanden!“ Korfylos war nun nicht mehr so überheblich.

„Gut“, sagte der narbige Mann nur.

„Dann ist es besser, wenn du jetzt gehst!“ Korfylos war beinahe freundlich.

„Raskara solltest du auch informieren. Sorge vor allem dafür, dass die Zyklopen nicht eingreifen. Sie sollen lieber die Palekopten bewachen und die Gefangenen genau untersuchen, bevor sie sie wieder alle zusammen lassen.“ Der Mann mit dem Zopf nickte.

„Ich denke, ich werde die richtigen Maßnahmen einleiten.“

„Danke.“

„Keine Ursache!“ Korfylos runzelte die Stirn.

„Ist noch etwas?“ Genderich nickte unmerklich.

„Eine Kleinigkeit! Die Palekopten versuchen auch, einen der hier noch verkehrenden Zeitreisenden in ihre Hand zu bekommen. Das wäre der Supergau, wenn ihnen das gelänge!“

„Wie soll das gehen?“ Korfylos schien belustigt zu sein.

„Hör auf! Das Geheimnis von Gilades kennen alle. Er war nicht diskret genug. Wenn er aber erpressbar wird, ist er auch eine hervorragende Waffe für Kaduro!“ Der Narbige sah den anderen Mann wissend an.

„Du scheinst mehr zu wissen, als gut ist!“

„Nicht nur ich!“

„Also gut. Nun musst du aber zurück, sonst merkt noch einer was.“ Korfylos sprach erneut normal und sachlich.

„Wenn ihr die Palekopten habt, vergiss nicht, uns eine Nachricht zukommen zu lassen, damit Kaduro sich keine Hoffnungen macht.“

„Wenn er schon etwas weiß!“ Der größere Mann sah bei seinen Worten in Richtung Dorf.

„Er weiß es“, sagte der Narbige. Korfylos nickte und dann war Genderich verschwunden. Neben Korfylos stand nun Aro, der Chef aller Dämonenhunde. Der Mann wendete sich ihm zu.

„Du hast alles gehört?“

„Das war nicht zu vermeiden.“ Der Dämonenhund sagte das mit Grabesstimme.

„Gut.“ Korfylos ging hin und her, während er sprach.

„Dann hat Prutorius recht gehabt“, stellte Aro fest.

„Inwiefern?“

„Vor dem Haus der alten Margot waren Palekopten, hat er behauptet! Bei der alten Försterei hat man auch einen gesehen, wie ich gerade von einem der Raben erfuhr!“ Der Mann fuhr herum.

„Die Raben warnen uns?“

„Taukius war hier!“

„Dann ist wirklich etwas nicht in Ordnung.“ Korfylos ging nun wieder hin und her.

„Immerhin hat Prutorius sich an das gehalten, worum ich ihn gebeten hatte und nichts Rontur erzählt, sonst hätten die Raben uns nichts gemeldet.“ Der Chef der Dämonenhunde stand ganz im Gegensatz zu Korfylos wie angewurzelt am selben Fleck.

„Er hat dir sein Wort gegeben?“ Der Mann starrte ungläubig.

„Hat er!“

„Das soll etwas wert sein?“ Geringschätzig sah Korfylos vor sich hin.

„Darauf kann man sich verlassen“, antwortete der oberste Dämonenhund.

„Kann sein! Aber die Geschichte mit der alten Försterei macht mich stutzig!“

„Das könnte etwas mit Gilades zu tun haben.“ Korfylos drehte sich blitzschnell um.

„Du weißt es auch?“

„Das ist kein Geheimnis und die Palekopten wissen es garantiert auch. Fragt sich bloß, von wem.“ Aro behielt die Ruhe. Korfylos entspannte sich wieder.

„Darum kümmern wir uns später.“

„Was machen wir jetzt?“, wollte der Dämonenhund wissen.

„Alle informieren!“

„Das können wir übernehmen!“ Korfylos nickte dem Hund zustimmend zu.

„Ich werde jetzt den Zyklopen einen Besuch abstatten und alles überprüfen, was der Narbige mir da erzählt hat.“ Korfylos ging wieder ein paar Schritte auf und ab.

„Warum erst prüfen?“

„Ich möchte ungern nur die Hälfte wissen.“ Der Mann blickte auf den Chef der Dämonenhunde herunter.

„Verständlich!“ Aro knurrte diese Worte mehr, als das er sie sprach.

„Haltet euch bereit! Wenn es stimmt, was Genderich eben erzählt hat, müssen wir schnell sein, sonst kommen uns die Palekopten zuvor. Du weißt, was die können!“

„Ich werde die höchste Alarmstufe ausrufen“, sagte der Leithund.

„Mach das! Ich muss auch jemanden zur Försterei schicken.“

„Kann das nicht auch einer von uns machen?“, entfuhr es Aro.

„Kannst du das veranlassen?“

„Kann ich!“

„Also gut! Jetzt muss ich zur Insel!“ Damit war auch Korfylos verschwunden. Aro blieb zurück. Wenige Augenblicke später tauchten wie aus dem Nichts mehrere Dämonenhunde auf.

„Ihr habt alles mit angehört?“ Die angekommenen Dämonenhunde knurrten bejahend. Sie sahen den Chef an und schienen auf Anweisungen zu warten.

Der Schock im Haus der alten Margot

Zwei Männer schlichen durch die Dunkelheit des Dorfes und sahen sich immer wieder um, aber niemand bemerkte sie. Das mochte daran liegen, dass man nicht die Hand vor Augen sah. Die nächtlichen Läufer hatten Rucksäcke dabei. Irgendwann bogen sie von der Straße ab und gingen den Acker am Rand des Dorfes entlang. Schließlich standen sie vor einer Pforte, die der hintere Eingang des vor ihnen stehenden Hauses war. Dieses befand sich am Ende des Ortes und war schwer einsehbar.

„Und es ist sicher, dass die Alte nicht da ist?“ Der Mann, der das flüsterte, war Anfang dreißig und sah verwahrlost aus. Er war korpulent und der Alkohol hatte ihn bereits gezeichnet.

„Hast du Angst?“ Der andere Mann war jünger und machte sich lustig.

„Halt bloß die Schnauze.“ Der Tonfall des Älteren wurde aggressiv. „Mir ist bei so was nie wohl zumute. Aber du machst dir ja keine Platte!“

„Es ist doch nur eine alte Frau“, lenkte der andere ein.

„Mit der will ich nichts zu tun haben“, konterte der Ältere.

„Spinn nicht rum!“

„Dass du mal nicht spinnst!“ In der Stimme des Verwahrlosten machte sich erneut Aggression breit. „Die ist nicht geheuer und alle machen um sie einen großen Bogen.“

„Die ist harmlos“, grinste der andere Mann.

„Die Leute hier sehen das aber ganz anders. Vor der haben alle Schiss!“

„Heute gibt es keinen Grund, Schiss vor der zu haben!“ Der Jüngere sagte das mit Gleichmut. „Du wirst sie nicht zu sehen bekommen.“

„Das hoffe ich!“ Der andere Mann sah sich wieder um.