Narr am Baum - Monika Scherbarth - E-Book

Narr am Baum E-Book

Monika Scherbarth

0,0

Beschreibung

Mit dem 'Gumpigen' Donnerstag beginnt das letzte Wochenende der schwäbischen Fasnet. Kommissar Otto Eisele findet die tollen Tage gar nicht so toll. Seine Chefin Rose Gebhard ist auf Fortbildung, Kollege Bauer im Krankenhaus. Also muss er alleine die Stellung halten, unterstützt nur von einem Praktikanten aus Berlin mit einem unaussprechlichen polnischen Namen. Und dann bittet ihn auch noch Charly, die Tochter der Chefin, um Hilfe. Ein Freund von ihr wird vermisst. Doch nicht der ist es, der in der nächsten Nacht tot am Narrenbaum hängt ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 308

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



– für Juliane –

Monika Scherbarth (*1958) kommt aus Friedrichshafen am Bodensee. Sie verließ die Kleinstadt, kehrte Jahre später zurück – und blieb. Hier hat sie den Ort gefunden, wo ihre Erfahrungen zu Geschichten werden können.

„Narr am Baum” ist ein Krimi. Die Handlung, auch in Teilen, ist völlig frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen mit lebenden oder toten Personen sind unbeabsichtigt und rein zufällig.

Die Geschichte, kapitelweise

Gumpiger Dunschtig – Die Krawatt isch ab

Bromiger Freitag – Graffitis und Berliner Luft

Schmalziger Samstag – Großer Narrensprung mit kleinen Pannen

Rosensonntag – Gselchtes und eine Ladung Schrot

Rosenmontag – Eine Bombe zum Kaffee

Veilchendienstag – Blauer Rauch, saure Kutteln, frisches Blut

Kehraus

Aschermittwoch

Karneval in Rio, Karneval in Venedig, Karneval am Rhein – die Medien sind voll davon. Manchmal heißt es auch Fasching. Meistens geht es aber darum, sich eine Pappnase ins Gesicht zu stecken und die Sau raus zu lassen. Alkohol fließt in Strömen, Beziehungen gehen kaputt, folgenreiche Bekanntschaften werden geschlossen und neun Monate später heißt es dann: ‚Vater Clown‚ ähm, unbekannt‘.

Die 'fünfte' Jahreszeit fängt am 11.11. um 11:11 Uhr an und endet am Aschermittwoch 0:00 Uhr. Kehraus. Der Spuk ist vorbei.

Das letzte große Aufbäumen der Jecken und Narren vor der Fastenzeit, der langen Abstinenz bis Ostern, beginnt eine Woche zuvor am Donnerstag, auch Weiberfasching genannt. Krawattenträger, hütet euch vor den wild gewordenen Frauen mit ihren spitzen Scheren! In der schwäbisch-alemannischen Fasnet heißt dieser Donnerstag der ‚schmotzige‘ oder auch ‚gumpige Dunschtig‘. Somit sollte jeder Faschingsmuffel den anschließend geschilderten, dramatischen Ereignissen auch zeitlich folgen können.

Gumpiger Dunschtig – Die Krawatt isch ab

Kommissar Otto Eisele stellt die kleine Gießkanne zurück aufs Fensterbrett. „Sodele, des reicht. Die Frau Gebhard hat gsagt, s gibt immer bloß e klois Schlückle.“ Nach einem kurzen, gelangweilten Blick aus dem Fenster brummelt er:

„Och noi, s schneit scho wieder. Jeden Tag die blöd Schipperei. Mir langts für des Jahr.“

Eisele verzieht sich mit säuerlicher Miene hinter seinen Schreibtisch und schenkt heißen Tee aus der mitgebrachten Thermoskanne in den Becher mit dem Ottifanten, den er zu Weihnachten von den Kollegen bekommen hat, als es stürmisch klopft.

Sein „Herein” kaum abwartend, prescht eine dick vermummte Person ins Büro und schüttelt sich kräftig. Weiße Flocken wirbeln in hohem Bogen durch die Luft und unter den dicken Fellstiefeln bildet sich eine braune Pfütze.

„Ja so e Sauerei!“, schimpft der Kommissar und springt erschrocken auf. „Was soll jetzt des?“

„It aufrege, Otto.“ Schal, Mütze und Anorak werden hastig ausgezogen und der Eindringling entpuppt sich als junges Mädchen. „Ich bin ‘s.“

Als er die Tochter seiner Chefin erkennt, zucken seine Mundwinkel augenblicklich nach oben. „Charly! Ja so a Froid. Jegele, du hasch aber a knallrote Nas. Bisch krank?“

„Quatsch, das ist doch nur rote Schminke. Heute ist gumpiger Donnerstag und ich komme gerade vom Narrenbaumstellen.“ Sie kramt eine kleine Schere nebst Krawattenteil hervor, grinst frech, beginnt ausgelassen herum zu hüpfen, schüttelt dabei heftig ihren Kopf und grölt: „Narri, Narro!

Narri Narro!“ Ein kunterbunter Konfettiregen löst sich aus ihrem Haar, fliegt durch den Raum, landet zwischen den Aktenordnern im Regal, auf KHK Rose Gebhards Pflanzen, einfach überall. Zwei sogar in Eiseles Tee.

„Heidenei! Ah so, isch des heut“, murmelt er und fummelt umständlich die Papierschnipsel aus seinem Becher.

„Woisch, mit der Fasnet han i it so viel am Hut. Des oinzig Gute an der närrische Zeit sind die Berliner. Magsch oin?“

Eisele deutet auf eine große Papiertüte, die neben seiner Thermoskanne liegt.

„Logo.“ Charly greift gierig zu und lässt sich auf den Stuhl ihrer Mutter fallen. Massenhaft Zucker rieselt auf den Schreibtisch.

Schmatzend leeren sie gemeinsam den fettigen Inhalt der Tüte. Danach lehnen sich beide zufrieden zurück, bis der Kommissar vor sich hin träumend säuselt: „So könnts immer sei … Wie lang genau bleibt dei Mutter no weg?“

„Sie kommt nächsten Mittwoch wieder. Mann, bin ich froh, Oma mästet mich wie Opas Karnickel. Ich hoffe nur, Mama testet die Psychokacke, die sie ihr auf dem Seminar einbläuen, nicht an mir aus.“ Bei dem Wort ‚Psycho‘ spuckt Charly Marmelade auf die Tastatur vor ihr. „Upps.“

Sie wischt sich ihren Mund mit dem Ärmel ihrer bunten Strickjacke ab und fragt mit einem merkwürdigen Unterton, der ihm gar nicht auffällt: „Nicht viel los, was?“

„Pff, s lässt sich aushalte. Bsoffene Randalierer halt, sonscht gar nix. Zum Glück, der Paule kommt nämlich früheschtens am Montag aus der Klinik. Muss der Seggl1 au Schifahre und sich d Bänder verreiße. I sag ja immer scho, Schport isch Mord.“

Noch während er eher vor sich hin schwafelt, verliert sich Charlys jugendlich ungezwungener Gesichtsausdruck. Ernst, sehr ernst sagt sie: „Dann hast du ja jede Menge Zeit.“

Eiseles untrüglicher Scharfsinn meldet sich. „Aha, komme mer jetzt auf d Grund von deim Bsuch?“ Er lacht ironisch.

„Gell, de Oma wird des Schneeschippe au z viel. Hä, hab i Recht? Gibs zu.“

„Von wegen. Wir sind wieder altmodisch und haben jetzt einen Hausmeister für so was. Völlig blöder Typ übrigens, der mischt sich aber auch in alles ein!!“

Charlys trotzigen Ton ist er ja gewöhnt, aber ihre heftige Reaktion auf seine Worte macht ihn doch stutzig.

Aber das Mädchen gibt ihm keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie lässt kläglich den Kopf sinken und flüstert mit fast erstickter Stimme: „Otto, ich brauch deine Hilfe.“

Überrascht und besorgt zugleich springt er auf, geht zu ihr hin, wischt ein paar Tränen ab, die über Charlys Wangen kullern, legt den Arm fest auf ihre Schulter und sagt: „Hasch e Leich im Keller? Kannsch mit mir über alles schwätze. Du woisch doch, i bin dein Freund.“ Dann hebt er drohend den Zeigefinger hoch und gackert: „Und die Mordkommission!“

• • •

Hauptkommissarin Rosemarie Gebhard hat es schon am Dienstag bereut, sich für dieses Seminar angemeldet zu haben. Von „Wer ist der Täter? Verstehen, verhaften, verhindern. Therapeuten und Profiler berichten aus ihrem Alltag" hat sie sich wesentlich mehr versprochen. Auch das Thema von heute über Amokläufer und ihre mutmaßlichen Motive ist sowas von langweilig. Der Redner labert, stottert und wischt sich dabei dauernd den Schweiß von der Stirn.

'Warum muss ich auch ausgerechnet hier vorne sitzen? Der stinkt, als hätte er Angst, dass gleich einer aufsteht und rumballert. Wär eigentlich kein Wunder, bei so viel Desinteresse und negativer Stimmung hier im Raum.‘

Sie gähnt überdrüssig, schaut auf ihre Uhr.

„Frau Gebhard, Sie wollten etwas zu meinem Vortrag äußern?“ Der Mann mit dem beißenden Geruch steht jetzt direkt vor ihr.

„Ich?“, schrickt Rose hoch. „Ich, äh, das Waffengesetz … Meiner Meinung nach ist es immer noch zu einfach, an Waffen heran zu kommen, sowohl im kommerziellen als auch im privaten Bereich“, sagt sie dann mit bombensicherer Stimme.

Einige Teilnehmer klopfen mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatten, pflichten ihr bei, aber eigentlich eher dankbar für jede Unterbrechung der monotonen Ausführungen.

„Schön, schön. Das ist jedoch nicht Gegenstand meiner Analyse. Dafür sind unsere Politiker zuständig. Schade, ich dachte, sie alle hätten verstanden, worum es mir geht.“

Mit hängendem Kopf tappt der missgedeutete Herr Schönschön zurück zu seinem Pult und fährt fort, als wäre nichts gewesen.

Kommissarin Gebhard schaltet daraufhin völlig ab und gibt sich ihren Gedanke hin. 'Wo treibt sich Charly wohl jetzt rum? Sie hat mir gestern Abend am Telefon ja erklärt, dass heute der Fasching am Bodensee so richtig losgeht. So richtig?? Bestimmt nicht zu vergleichen mit Köln! Aber sie hat sicher viel Spaß. Na dann, helau! Und was kocht Thea heute?' Ihr Magen knurrt augenblicklich. 'Das Essen hier ist jedenfalls grauenhaft, eine einzige Mehlpampe.'

Neben ihr werden Stühle gerückt. 'Feierabend für heute!

Morgen ist der Typ aus den Staaten dran. Vielleicht bringt‘s der ja?' Rose packt hastig ihre Schreibutensilien zusammen und folgt den anderen aus dem stickigen, stinkenden, viel zu nüchternen Raum.

• • •

Der Häfler Rathausplatz liegt verlassen da, spärlich erhellt von einzelnen Laternen. Aus dem schwarzen Schatten der umliegenden Häuser heraus schleicht jemand zu dem frisch aufgestellten Narrenbaum, lässt ein schweres Bündel aufs Pflaster fallen und macht sich daran zu schaffen.

• • •

„Hat mi des Mädle doch echt zum Esse abgschleppt. I han gar it gwisst, dass die in Köln au Kässpätzle mache könnet.

Jetzt bin i so vollgfresse und der blöde Schnee liegt immer no aufm Gehwäg. Lass mern doch oifach liege“, brummelt Eisele, als er spät am Abend nach Hause kommt. Er seufzt.

„Schee wärs! Aber dann fliegt so en Depp aufd Schnauze und i bin schuld. Also, doch schippe.“

Als er endlich mit dem Räumen fertig ist und die Schaufel wieder im Schuppen hinter seinem kleinen Häuschen verstaut, erscheint laut miauend eine graugetigerte Katze hinter dem Birnbaum.

„Maul it, mir isch au kalt. Jetzt komm halt, geh mer nai, du hasch sicher Hunger.“

Nachdem er das Tier versorgt und seine Schuhe mit Zeitungspapier ausgestopft hat, schenkt Kommissar Eisele sich einen großen Weinbrand ein, natürlich nur aus rein medizinischen Zwecken. Das Feuer prasselt im Kamin.

Dann sitzt er zufrieden in seinem Schaukelstuhl und sinniert. 'Ach, war des en schöner Abend … Die Oma von der Charly isch scho a patente Frau. Resolut, aber au witzig.

Da lachsch di krank, wenn die loslegt. Und koche ka se wie koi andre.' Dann schüttelt er nachdrücklich den Kopf. 'Noi, die Kinder heut zu Tag, was hend die bloß für e Phantasie.

A bizzele weniger Internet, und die Welt säh besser aus.

Obwohl, die Bravo dazmal war ja au it so ohne. Aber glei hinter jedem abgängige Kumpel en Mord zu vermute, da hätten wir gut z tue.'

„Apropos abgängig", fährt er halblaut fort. „I hab heut no e mal im Tierheim agrufe, dich vermisst koiner. Isch au koi Wunder, so hässlich wie de bisch. Bloß oi Ohr und en halbe Schwanz. Gut, dass du it schwätze kannsch, sonscht müsst i in deim Fall au no ermittle.“

Liebevoll streichelt er über das Fell der Katze, die sich schnurrend auf seinem Schoß zusammengerollt hat. „Gnug jetzt, Schlafenszeit.“

Eisele schwankt ein bisschen, als er sorgfältig die restliche Glut löscht. Dann geht er ins Bett und träumt von rotgeschminkten Spätzle, Berlinern mit Papphüten und dass einer den Narrenbaum klaut.Sein klingelndes Handy reißt ihn aus dem Schlaf.

„I glaub, mein Schwein pfeift. Ersch fünfe! Wehe, der Baum isch nimme da und die wecket mi deswäge! … Ja, Eisele hier … Was??? … Wo? … Bin glei da.“

1 Idiot

Bromiger Freitag – Graffitis und Berliner Luft

„Hier her, Herr Kommissar!“, ruft ihm ein Mitarbeiter der Spurensicherung zu, als Eisele aus der Finsternis auftaucht.

Von einem Scheinwerfer geblendet eilt er über den Platz und flucht vor sich hin: „Ze fix, isch des kalt!“

„Morgen! Ganz schön früh, was? Brauchen Sie einen Kaffee? Ich muss allerdings warnen, der schmeckt echt Scheiße.“

Der redselige Mann deutet auf eine braune Ledertasche, die neben ein paar Alukoffern unter dem Gestell des Scheinwerfers steht und aus der eine Thermoskanne lugt.

Die klirrende Kälte hat Eisele fest im Griff. Unfähig, seine Hände aus den Manteltaschen zu nehmen, trippelt er auf der Stelle und motzt: „Ein Komiker, und des um die Uhrzeit. Noi, e Kopfschmerztablette wär mir lieber. Was hemmer?“

Der freundliche Ton seines Gegenübers ist futsch. „Die Müllabfuhr hat das hier entdeckt.“

„Habet die koi Gewerkschaft? Müsset die in aller Herrgottsfrüh scho d Leut aus m Bett schmeiße?“, faucht Eisele grätig.

Wortlos zeigt der Kollege von der Spurensicherung auf eine dunkle Gestalt am Boden. Der Kommissar wirft kurz einen Blick darauf.

„A Buchhornhex. It grad ugwöhnlich in der Fasnet. I nehm mal a, tot?”

„Exakt. Hing am Narrenbaum, da an dem Haken über Ihnen.“

Der Lichtkegel einer Taschenlampe schwingt nach oben.

Eisele muss sich tierisch strecken, um etwas erkennen zu können. „Aha. Und warum grad da?“

„Um das herauszufinden, haben wir Sie angerufen“, bekommt er säuerlich vor den Latz geknallt.

„Ausgrechnet mi?“, jammert der Kommissar jetzt verwirrt und völlig durchgefroren. „Warum hab i bloß Polizei glernt und nix Gscheits … Gibts scho Schpure? I moin, blutige Fußabdrück, die direkt zum Mörder führet. Wär doch Klasse.“

'Ist der noch ganz dicht?', denkt sich der Kollege und runzelt unter der Kapuze seines Overalls die Stirn. „Da muss ich Sie leider enttäuschen. Nichts in der Art.“

Eisele zittert gegen seine Starre an. „Nix? Okay, Pech ghabt.

Dann müsse mer jetzt halt die Maske lüfte. Vielleicht verrät uns des Gsicht drunter ebbes.“ Er geht ungelenk in die Hocke und wird barsch zurückgepfiffen.

„Halt! Ich mach das schon. Sie haben keine Handschuhe an.“

• • •

Kommissar Eisele betrachtet seit geraumer Zeit die Fotos der Spurensicherung. „So e junges Ding. Hat des sei müsse?

Des Mädle isch doch höchstens sechzehn.“

Der Schock vom frühen Morgen, als beim Abnehmen der Holzmaske ihre blonden Locken hervorquollen, sitzt ihm immer noch in den Knochen. Und dann der gebrochene Blick der blauen, bestimmt einst strahlenden Augen … Während er ungeduldig auf den Anruf der Kriminaltechnik wartet, die die Fingerabdrücke und DNA-Spuren auswertet, zeichnet Eisele mit einem Stift eine Art Narrenbaum auf die Magnettafel im Büro. Langer, astloser Stamm, an der Spitze eine verzweigte Krone. Sogar die flatternden Bänder daran vergisst er nicht, soll ja echt aussehen.

„Des Bunte muss me sich dann halt denke. Sodele. Ugfähr in der Höhe isch der Hake. Warum isch da en Hake? Ghört der da na, oder hat der Mörder den extra neigschlage?“

Er malt ein Fragezeichen an die Stelle und klebt die Polaroids der Maske und des Opfers daneben.

„En Name hasch no it.“ Seine Hand zittert dabei, aber auch das Foto bekommt ein Fragezeichen.

Mehr erschüttert als stolz, hilflos, von seiner Unerfahrenheit eingeholt, steht der Kommissar vor seinem Kunstwerk und hadert mit sich selbst: 'Schaff i des alloi?'

Da wird die Bürotür aufgerissen.

„Ik bin auf der Suche nach dem Kommissariat Jebhard, hoffentlich sind Sie det, wa? Mann, die haben mer von eenem Stockwerk ins andere jejagt. Würde mir gerne endlich …“ Der Störenfried kommt Kommissar Otto Eisele mehr recht als schlecht. Er sieht eine unerwartete Gelegenheit, sein angekratztes Ego wieder aufzumöbeln. Lässig trottet er zum Schreibtisch, lässt sich dahinter nieder und verschränkt die Arme.

„Ja, des verschteh i vollkomme. E schlechtes Gwisse tut it gut. Scho gar it so früh am Morge. Ganget Se ins Revier ganz unte, machet Ihr Aussag und dann in de erschte Stock, da isch der Erkennungsdienscht. Des weitere ergibt sich von selbscht.“

Der junge Mann mit den verstrubbelten, blonden Haaren scheint nicht beeindruckt davon. Fasziniert betrachtet er das Gekritzel auf der Magnettafel. „Dollet Graffiti, wenn ik ma anmerken dürfte. Sie sind sicher der Polizeikarikaturist, wa?

Det sieht man sofort.“

„So, sieht man det? Danke Bürschle“, erwidert Eisele resigniert. „Jetzt gang du mal dein Geschtändnis ablege und lass mi mei Arbeit due, i bin nämlich die Mordkommission.

E blödsinniger Bruch oder andere dubiose Gschäftle ganget mir am Arsch vorbei.“

Plötzlich strahlt das 'Bürschle' bis über beide Ohren.

„Dann bin ik ja doch richtig hier. Kai Polankowitzek aus Berlin-Kreuzberg. Praktikant, zugeteilt direkt von der Polizeiakademie, wegen eventueller Engpässe, wa. Herr Hauptkommissar Jebhard, wenn ik richtig kombiniere? Stets zu Diensten!“

Fast hätte es dem Kommissar die Sprache verschlagen. In seinem Kopf rattert es. 'Oiner von drübe, und des mir?'

Er brummt: „Jetzt hau bloß it die Hacke au no zamme.“

Feindselig mustert er den Glückspilz. Hat man ihm etwa nicht zugetraut, die paar Tage, in denen Hauptkommissarin Gebhard ihr Seminar besucht - Bauers Unfall war ja nicht eingeplant - die Stellung zu halten? Halb verstimmt und, dann doch, halb erleichtert lenkt er ein: „Also, dann isch es halt so. Aber nimm sofort den ranzige Rucksack von dem Stuhl, der ghört der Chefin. Der Schreibtisch da drübe isch momentan frei. Wer woiß, wann der Kollege Bauer zrückkommt. Fühl di oifach wie dahoim, nerv mi it, und … mein Name isch Kommissar Eisele.“

Dann fällt ihm ein, womit der junge Mann sich direkt schon mal nützlich machen könnte … Ein paar Minuten später, als Eisele sich etwas gefasst hat und der Praktikant unterwegs ist, platzt Charly gut gelaunt herein und legt eine Tüte vor ihn hin.

„Guten Morgen, Otto. Ich war grad mit Oma auf dem Markt und dachte, du hast vielleicht Hunger. Die sind noch ganz warm.“ Sie nimmt sich selbst eine der Butterbrezeln, beißt ab, da fällt ihr Blick auf Eiseles Zeichnung. „Ich wusste es!

Die beste Spürnase im Bodenseekreis – der Fall interessiert dich also doch! Aber nicht sie gehört an die Pinnwand, ihr Freund Xaver ist spurlos verschwunden. Das hab ich dir gestern lang und breit erklärt“, sagt das Mädchen und isst unbekümmert weiter.

Kommissar Eisele stutzt. Er versucht sich ins Gedächtnis zu rufen, was am Tisch gesprochen wurde, während er Oma Theas Kässpätzle in sich hineingestopft hat. Beim besten Willen fällt ihm nicht mehr alles ein.

„Kennsch du die?“, fragt Eisele, nun auch mit vollem Mund.

„Ja klar. Das ist Sabine.“ Charly geht näher ran und betrachtet neugierig die Zeichnung, das Foto. „Ganz gesund sieht die Bine aber nicht aus. Was sollen denn die karierten Klamotten? So was hätte sie nie angezogen.“

„Aha.“ Mit fettigen Fingern greift der Kommissar zu seinem Notizblock. „Sabine, und wie weiter?“

„Sabine Schäpperle. Die ist in meiner Klasse. Warum willst du das so genau wissen?“

Eisele verschluckt sich. Nicht nur das Stück Brezel, das quer in seinem Hals steckt, auch der Gedanke, wie er ihr das jetzt erklären soll, verursachen ihm einen fürchterlichen Hustenanfall.

Charly lacht. „Brezelmord, das gabs noch nie, oder?“ Sie haut ihm ein paar Mal kräftig auf den Rücken, bis er wieder Luft bekommt.

„Noi“, krächzt Eisele mit hochrotem Kopf, „blos der oine Präsident, der Dabbeljuh Busch, wär au fascht dra verschtickt. " Dann lächelt er krampfhaft und hustet nochmal ausgiebig, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen.

'Dass die Tote au ausgrechnet e Schulkameradin von der Charly isch, konnt i doch it ahne! Wie krieg i des Mädle jetzt bloß los, ohne ihre weh z tue?'

Dem Kommissar ist der Appetit gründlich vergangen, da hört er auch noch ihre kindliche Stimme fragen: „Otto, was ist denn mit dir?“

Ruppiger als gewollt antwortet er: „Danke, Kind. Du warsch mir e große Hilfe. Aber woisch, i hab grad gar koi Zeit für di.

Ich muss einen Mord aufklären, und du hasch hier nix zum suche!“

Augenblicklich vergeht ihr das Lachen. Entsetzt starrt Charly ihn an.

„Kind?! Ich bin doch kein Kind mehr. Und was für einen Mord?!? Die Bine …“ Sie verliert sämtliche Farbe aus dem Gesicht, flüstert: „Sag, dass das nicht wahr ist! Warum … wer tut denn sowas … sowas Gemeines???“

Eisele zuckt hilflos mit den Schultern. „I find‘s raus, verschproche. Und du gehsch jetzt besser.“

„Du schickst mich weg?“, fragt das Mädchen traurig, wickelt sich den Schal um den Hals, bleibt dann aber mit der Jacke im Arm stocksteif stehen und stammelt: „Vielleicht ist … ist sie … Sie war doch …“ „Isch sie, war sie! Bitte, lass mi jetzt mei Arbeit mache.“

„Ja aber …“ Charly drückt ihre Jacke fest an sich. „Die Bine war doch so unglücklich. Vielleicht hat sie sich selbst was angetan. Schrecklich! Nur wegen dem blöden Kerl.“

Eisele weiß mit Sicherheit, dass Fremdverschulden vorliegt.

„Selbschtmord moinsch? Ausgschlosse. Was isch des für en Kerle?“

Charly sieht ihn ungläubig an, stampft dann bockig mit einem Stiefel auf den Boden und schreit hysterisch: „Hört mir eigentlich jemals jemand auf dieser Welt zu??? Der Xaver natürlich! Der, den du suchen solltest!!“

Kommissar Eisele bekommt beim Anblick des Mädchens, das wie ein Baum im Sturm vor seinem Schreibtisch steht, einen stechenden Krampf im Magen. Er wischt ein paar Bösel von der Tischplatte und nickt schließlich. „In Gotts Name, dann hock die jetzt da na und verzähl mer alles no e Mal. Diese Sabine war also dei Freundin.“

Charly lässt Schal und Jacke einfach auf den Boden fallen, setzt sich ihm gegenüber und denkt erst mal nach. „Na ja. So richtig dicke waren wir nie. Die Bine ist … war im Volleyballteam, ich bin im Handball. Sie hat sich für Mathe, Bio, Physik und Chemie interessiert, wahrscheinlich wegen dem Hof. Ich bin mehr die Musische und finde Sprachen geil. Der Paule hat mal gesagt, damit kann man auf der ganzen Welt was anfangen.“

Eiseles wird ungeduldig. Er sieht auf seine Uhr und unterbricht sie. „Also koine beschte Freundinne?“

Charly schluckt und senkt den Kopf. „Wir sind zwei Schuljahre nebeneinander gesessen. Außerdem hab ich letztes Jahr in der Theater AG den Romeo gespielt und sie die Julia, so richtig mit küssen. Aber danach ist die Bine mit dem Xaver rumgezogen. Fußball und Knutschen, keine Zeit mehr für irgendwen anders. Seit der dann plötzlich verschwunden ist, hat sie rumgezickt ohne Ende. Ich wollte ihr doch nur helfen. Darum hab ich dich gefragt, ob du …“

Mitten in ihre Erzählung platzt ein strubbeliger, junger Mann. Das Mädchen pöbelt ihn sofort an. „Können Sie nicht ankopfen? Wir arbeiten gerade an einem wichtigen Fall!“

„Der ghört zu mir“, widerspricht Eisele und legt die Tüte mit den warmen Leberkäswecken ungeöffnet neben die mit den Brezeln. „Des isch der Neue, Wa von Kreuzberg, mein Praktikant. Kreuzberg, Charlotte Gebhard, äußerscht wichtige Zeugin.“

'Oha', denkt Charly überrascht. ‚Mama würde den sicher erst Mal striegeln. Bei der Frisur!?‘ Sie sieht skeptisch zuerst Otto, dann den Neuen an.

„Hi, Wa. Komischer Name …“ Polankowitzek grinst bis über beide Ohren. „Ik bin der Kai und freue mir, Sie kennen zu lernen, Frollein Charlotte.“

„Okay. Ich heiße Charly. Setz dich her, wir können jede Hilfe dringend gebrauchen.“

Bei ihrem tief ernsten Gesichtsausdruck kann sich Eisele das Grinsen nur sehr schwer verkneifen. Aber dann erinnert er sich an die Tote und bekommt ein mulmiges Gefühl. Es ist sein erster Fall, den er im Alleingang lösen muss.

„S isch längscht Zeit. I geh jetzt mal die Familie informiere.

Kreuzberg, Schtellung halten!“

• • •

Der Kommissar betätigt den Klopfer an der schweren Holztür des Bauernhofes. Eine Frau, bekleidet mit blauer Latzhose und Gummistiefeln, öffnet. Ihr fuchsrotes Haar ist mit einem grün gemusterten Tuch nach hinten gebunden.

„Frau Gisela Schäpperle?“

„Gisi, e Ma für di“, ruft die Frau durchs Haus und bittet den Besucher in den Flur. „Mei Schwägerin kommt glei.“ Darauf verschwindet sie wieder hinter einer der Türen.

Eisele drückt nervös den Autoschlüssel fest in seiner feuchten Hand, bis er Schmerz empfindet. Da öffnet sich eine andere Tür und es verschlägt ihm fast die Sprache.

Sabine, etwas reifer natürlich, wischt sich die Hände an der Schürze ab. „I bin grad beim Koche. S gibt Schupfnudle.

Die Schnapsthek isch glei da ums Eck. Obschtler oder Edelbrand?“

„Frau Schäpperle, i bin koin Kunde, i …“, stottert Eisele und reißt unvermittelt seinen Ausweis aus der Manteltasche.

„Mordkommission. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Tochter Sabine heute Nacht ums Läbe gekommen isch.“

Der Kommissar fängt die Frau gerade noch auf, bevor sie auf den Boden knallt.

„Hilfe, Hilfe“, stammelt er. Mit dem Ausweis in der Hand fächelt er hektisch zuerst sich, dann der immer schwerer werdenden Last in seinen Armen Luft zu.

„Hilfe! … Ze fix, warum immer i?!“, jammert Eisele. Da kommt ihm eine rettende Idee.

Behutsam legt er die Schäpperle auf den kalten Stein, zieht seinen Mantel aus, stützt damit ihren Kopf und schleicht durch den Flur. „Wo isch die Schnapsthek? … Ah, da.“

Er entstöpselt eine Flasche Williams Birne, zerrt sein Taschentuch aus der Hosentasche, tränkt es mit dem guten Tropfen, geht siegesbewusst zurück und drückt dann das Tuch der Ohnmächtigen direkt auf die Nase. Da stößt ihn jemand unsanft zur Seite. „Um Gottes Wille!!! Des Zeug isch für die Schluckschpechte da, it um Menschen zum erschticke. Gisi, was isch denn los? Und wer sind Sie überhaupt?“

Die Rothaarige von vorhin fühlt den Puls der leblosen Frau am Boden und schlägt ihr dann kräftig rechts und links auf die Wangen. Anschließend herrscht sie den Fremden an:

„Los, helfet Se mir mal! Mir traget se ins Wohnzimmer. Glei da drübe.“

Gemeinsam schleppen sie Gisela Schäpperle zum Sofa.

Die Schwägerin deckt sie liebevoll zu und Eisele stopft ihr unbeholfen ein Kissen in den Nacken.

Da spürt er auch schon das Unheil über sich hereinbrechen.

„I ruf jetzt unseren Hausarzt an, und dann will i was höre!!!“

• • •

Er stinkt nach Schnaps, als er wieder im Präsidium erscheint. Der Neue meldet keine weiteren Vorkommnisse.

„Au gut. Jetzt rufsch mal bei der KTU an und machsch dene Dampf. Danach würd i gern mit dem Gerichtsmediziner spreche.“

Mit dem Filzstift in der einen und seinem Notizblock in der anderen Hand steht der Kommissar vor der Tafel. Er schreibt neben das angeheftete Foto des toten Mädchens: Sabine Schäpperle, 16 J., keine aktive Buchhornhexe, malt einen Pfeil nach rechts und notiert dahinter: Xaver Nägele, 17 J., seit zwei Wochen abgängig, ebenfalls in keinem Narrenverein,„Halt, doch. Fußball“, erinnert sich Eisele, schreibt aber nur: und Freund des Opfers.

Eine ihm noch fremde Stimme reißt den Kommissar jäh aus seinen Gedanken.

„Chef, die KT‘ler haben Fingerabdrücke auf der Maske jefunden, wären aber in der Datenbank nicht fündig jeworden. Dann jibt et noch jede Menge Speichelspuren und Haare innerhalb der Maske. Det kann aber dauern, wa. Und der Doktor jeht nich ans Telefon.“

„Da müsst e Vermisstenazeig von em Xaver Nägele exischtiere.“ Eisele klopft mit dem Filzstift auf den Namen an der Tafel. „Forder die mal a. I sott jetzt dringend mit m Hexemeischter rede, und dann mit der Familie Nägele. Kreuzberg, mei Handynummer schteht da aufm Zettel da. Versuchs weiter in der Pathologie. Bis nachher.“

„Jut Chef, mach ik.“

'Hexenmeester?' Kai Polankowitzek fühlt sich in keinster Weise überfordert. Berlin ist schließlich auch voll von Hexen, Meistern und Spinnern aller Art.

„Ik verstehe“, ruft er Kommissar Otto Eisele sicherheitshalber hinterher.

• • •

Die 'Gockelwerkstatt', das Vereinsheim der Zunftmitglieder befindet sich in einer kleinen Parallelstraße unterhalb des städtischen Friedhofs.

„Ja, ja. Irgendwann triffts uns halt alle. Narre oder au it“, spricht Eisele ernst vor sich hin. Das Vereinschild im Blick schließt er seine Autotür sehr sorgfältig ab und fummelt vorsichtshalber den Dienstausweis schon mal heraus. „Mer woiß ja nie …" Alles, was sich austobt, laut ist, vermummt sogar, kommt ihm von je her suspekt vor.

Der Kommissar streckt sich, geht mutig auf die Tür zu und öffnet sie. Wider Erwarten ist es im Innenraum hell, sehr hell sogar. Er blinzelt, kann zuerst kaum etwas erkennen, dann legt sich plötzlich ein Schatten über ihn … „Setz di, und steck des Ding weg! Dass du von der Kripo bisch, sieht me dir an der Naseschpitz a“, hallt eine Stimme in seinen Ohren. Er wird von einer ihm körperlich wesentlich überlegenen Gestalt zu einem Ecktisch bugsiert. 'Des isch e Falle!', schießt es ihm durch den Kopf. Er schlottert.

Doch das befürchtete Verlies entpuppt sich als bequeme Sitzgelegenheit. Und nachdem sich seine Augen an das grelle Licht gewöhnt haben, muss der Kommissar erleichtert zugeben, dass der Mann, der ihm gegenüber Platz genommen hat, zwar sehr groß, aber weder maskiert noch sonstwie angsteinflößend ist. Auch sein Tonfall klingt eher besorgt.

„Ich hab scho ghört, was passiert isch. Schrecklich! Mit der Zunft hat der Mord ganz sicher nix zum due.“

Der Riese krempelt stumm die Hemdsärmel hoch. Eine Drohgebärde? ‚Lieber it provoziere!’ Eisele legt seinen Ausweis ganz ruhig auf den Tisch, atmet tief durch und wundert sich selbst, dass er nicht stottert. „Wie könnet Se sich da so sicher sei?“

„Mir Buchhornhexe wirket vielleicht auf einige Mensche angschteinflößend mit unsere Maske und Bese. Des isch ein uralter Brauch, aber es schteckt überhaupt nix Schreckliches dehinter. Unser Devise bei der Hexeerweckung am 6. Januar rund um de Lindebrunne lautet jeds Jahr gleich:

Ihr Hexen seid nun frei und ungebunden, doch seid euch stets bewusst in diesen Stunden, dass ihr euch nicht nur möcht dem Schabernack verdingen, sollet ihr doch den Menschen Freude bringen.

Hockt auf den Besen, reitet in die dunkle Nacht, verkündet allseits bis zum Tag der Aschen: Es ist Fasenacht!

Begriffe wie 'frei, ungebunde und Schabernack' sind it ganz gnau definiert. Aber den Menschen in der kurze Zeit zwische me lange Winter, bevor s Faschte losgeht, e ausglassene Freud bereite zu wolle, verzeiht doch einiges.“

Für einen kurzen Moment sehen sich die beiden Männer schweigend an.

„Aha!? Schee aufgsagt. I nehm dann mal a, dass ausglassene Freud it beinhaltet, e jungs Mädle umzubringe und se ausgrechnet mit eire Klamotte z maskiere. Fehlt irgendwem e Mask oder sonschtiges an Kleidung?“, fragt der Kommissar den Hexenmeister barsch. Der schüttelt energisch den Kopf.

„Noi, des ergibt doch alles koin Sinn. Wie gsagt, mir sind en friedliche Haufe. Außerdem hat jeder von uns sei eignes Häs2. Morgen isch in Friedrichshafen der große Narreschprung. Denket Sie im Ernscht, mir checket da vorher it alles durch? Und krankgmeldet hat sich au niemand. Im übrige besitzt jede dieser spezielle Holzmaske e Nummer, wenn se echt isch. Wär also oifach, herauszfinde, wem se ghört.“

Auf so eine durchdachte Antwort ist Eisele nicht vorbereitet. Er hat ein unsägliches Bedürfnis, darauf Kontra zu geben.

„Des wird überprüft. Außerdem werd i persönlich die Vereinsmitglieder dazu einzeln vernehme. Am beschte morge nach em Umzug, wenn se alle beienand sind. Ah, no was.

G'höret an eiren Narrebaum irgendwelche Hake na, so etwa in Mannshöhe?“

Der Kommissar erntet nur verständnisloses Kopfschütteln und verabschiedet sich. „Dass mir morge ja koiner fehlt!“

„Dafür leg i mei Hand ins Feuer“, schmettert der riesige Mann ihm mit Groll in der Stimme hinterher.

„Gut, i verlaß mi auf Sie. Aber seiet Se mit sowas it zu voreilig. Die Zeit der Hexeverbrennunge isch no gar it so lang vorbei. Also, mir sähet uns im Präsidium.“

Auf dem Weg zum Auto überfliegt er seinen Notizblock.

'Brot, Butter, Lyoner und so weiter'

• • •

„Pute in feinem Gelee, Rindfleischhäppchen mit jungem Gemüse, saftiges Hähnchen in Gänseleberpastete, Kater müsst me sei“, Eisele läuft das Wasser im Mund zusammen.

Zwischen den Regalen des Supermarktes zückt der Kommissar sein Handy. „Kreuzberg, bin aufm Wäg zu de Nägeles.

Gibts was bsonders?“

„Die Akte über den vermissten Jungen ist im Anmarsch, der Jerichtsmediziner kann noch keine konkreten Anjaben machen und die KTU pennt, wa.“

„Wieso wa? Ah so. Awa! Wenn oiner pennt, dann musch du dem Dampf mache“, bellt Eisele.

Die etwas in die Jahre gekommene Kassiererin trägt einen viel zu großen Hexenhut auf dem Kopf, der ihr immer wieder ins grell geschminkte Gesicht rutscht, sodass sie Mühe hat, die Preise zu erkennen. Sie fühlt sich angesprochen, zieht eine beleidigte Schnute und greift sich noch langsamer Katzenfutter um Katzenfutter.

„Na, was isch? Soll i hier übernachte??“, faucht der unfreundliche Kunde sie jetzt auch noch an.

„Wie? Wat?“, schallt es aus dem Handy.

„It du! I han hier e ähnlichs Problem …“ Er holt tief Luft, um nicht an Ort und Stelle aus der Haut zu fahren. „Egal. Frag doch mal, ob se in der Maske so ebbes wie e Nummer gfunde hend. Ich wiederhole: eine Regischdriernummer“, fügt Eisele mit Nachdruck hinzu, um sämtliche Missverständnisse auszuschließen und denkt sich gereizt: 'De Mörder wird ja wohl it grad sei Telefonnummer …' Kreuzbergs Antwort klingt etwas geknickt: „Mach ik, Chef. Und KTU, Maske und Nummer kann ik grad noch kombinieren, auch wenn mir det Schwäbisch nicht unbedingt jeläufig ist.“

Das Gespräch kommt ins Stocken, so wie die Schlange an der Kasse hinter Otto Eisele. Keiner sagt etwas, weder der Praktikant, noch die neugierig lauschenden Kunden hinter ihm. Die Kassiererin trommelt mit ihren überlangen Fingernägeln ungeduldig auf dem Kassenbon herum. Bis … „Im Übrijen war det Froilein von heute Morjen da und hat jefragt, ob Oma für uns mitkochen soll? Schupf irgendwat. Hab det mal jejoogelt, find ik aber nich auf Anhieb.“

„Schupfnudle. Noi, des vertrag i heut überhaupt it. Absage! Und wenn i it bis 18.00 Uhr zrück bin, mach Feierabend.“

„Jut, Chef. Könnten Sie mir aber vielleicht noch eine billige Pangsion empfehlen?“

„Des au no … Wart oifach, bis i wieder da bin. Ende.“

Er bezahlt und verlässt fluchtartig den Supermarkt.

• • •

Eisele kommt auf der Strecke nach Oberteuringen nur langsam vorwärts. Es wird bereits finster und die Straßen sind glatt. Beinahe übersieht er das Schild, das zum Nägelehof weist.

„Wenigschtens isch der Bode gfrore, sonscht würd i jetzt schee in der Scheiße schtecke“, flucht er.

Der ungeteerte Feldweg führt zu einem schönen Anwesen auf einen kleinen Hügel hinauf.

Er steigt aus, zieht tief die kalte Abendluft ein, die eindeutig nach Kuhmist riecht, und grinst.

„Des muss Bio sei!“

Im Stall brennt Licht, das Tor steht einen Spalt weit offen. Der Kommissar geht direkt darauf zu, da wird er Ohrenzeuge eines Streits zwischen einer Frau und einem Mann.

„Aufm Markt han alle davon gschwätzt.“

„Na und, was hat des jetzt mit uns z due?“

„Die Bine war d Freundin vom Xaver und du hasch gwisst, was mit ihr los war war!“

„Des blonde Flittchen isch genauso e Hur gwäe, wie die zwoi Hexe auf dem Schäpperle-Hof.“

„Wie kannsch du bloß so ebbes Gemeines sage, Bernd?! Seit der Papa von der Bine so tragisch ums Läbe komme isch, kämpfet die zwoi Fraue um ihre Exischtenz. Du bisch en unverbesserlicher, alter, schturer Esel, dem it z helfe isch. I gang jetzt in d Küch und machs Veschper, kümmer du di alloi weiter um d Viecher.“

Die Frau schiebt wutentbrannt das Tor auf und läuft an Eisele vorbei, der hinter einer knorrigen Eiche steht, ins Haus.

Der Kommissar betritt kraft seines Amtes und ohne sich bemerkbar zu machen den hellerleuchteten Kuhstall, stößt dann aber dummerweise gegen einen Milchkübel. Der Kübel kippt, weiße Flüssigkeit ergießt sich literweise über Eiseles Schuhe, läuft durch am Boden ausgelegtes Stroh und versickert in zertretenen Kuhfladen.

„Scheiß!“, entfährt es ihm.

Aufgeschreckt durch das scheppernde Geräusch fährt der Bauer herum und reißt beim Anblick des Fremden seine Forke hoch. Dem Kommissar rutscht das Herz in die Hose.

„Nägele, mach di it unglücklich!!“

„Was willsch? I kauf nix und des isch mei Grund und Bode.“

„Kriminalpolizei Friedrichshafe. Ich hät da nur ein paar Fragen.“

Eisele hält den Atem an, nicht nur wegen dem fiesen Geruch, der ihm fast das Bewusstsein raubt, und schiebt die Zinken der Mistgabel vorsichtig von seinem Gesicht weg.

„Was willsch du Trampel? Zersch ersetscht mir die verschütt Milch, dann kaasch frage“, wettert Bauer Nägele ihn an.

Flugs wechseln zwei Euroscheine den Besitzer. Dann kommt tatsächlich ein, wenn auch wortkarges Gespräch zwischen den beiden zu Stande. Die Gesalt ganz hinten im Stall, die gerade mit leerem Blick einer Kuh übers Maul streicht, beachtet niemand.

• • •

Müde, die Kleidung voller Flecken und ohne ein Wort zu sagen erscheint Kommissar Eisele wieder im Büro. Es ist spät geworden, er hat Hunger. Das macht ihn gereizt.

Außerdem verbreitet er einen merkwürdigen Geruch. Der Kollege Bauer hätte ihn dafür sicher jetzt veräppelt und die Chefin würde mit Karacho das Fenster aufreißen.

Nicht so Kai Polankowitzek aus Berlin-Kreuzberg. Der sitzt am Schreibtisch, die Beine hochgelegt wie ein Profi und lächelt ihm freundlich zu.

„Tach Chef. Is allet nach Plan jelofen? Irjendwie erinnern se mich an meine Oma in Brandenburch. Die hat da einen Bauernhof jehabt. Dolle Frau, det kannste glooben."

'War des jetzt e Kompliment?' Eisele ist sich nicht sicher.

Er brummelt: "Schwätz koine Opern, mach lieber mal s Fenschter auf, sonscht denkt d Putzfrau no, hier hauset nur Baure." In Gedanken fügt er hinzu: 'Oin Bauer im Team langt schließlich, aber wer woiß, wann der wieder einsatzfähig isch!' Seine Laune wird noch schlechter. Er geht zur Tafel und schreibt mit Filzstift in die untere Ecke: blauer Toyota „Kennzeichen?? Bin i en Seggel! Han i vergässe zum frage, bled!", auch verschwunden.

„Kreuzberg, guck e mal in der Akte vom Xaver Nägele, ob da was von dem Auto schteht, dann gange mer." Eisele verharrt nachdenklich vor seinem Gekritzel. Er hat den Mantel gar nicht erst ausgezogen.

„Ik habs. Der Wagen ist als jestohlen jemeldet."

Der Kommissar ergänzt sein Kunstwerk und nickt zufrieden mit dem Kopf. „Jetzt aber los. I hoff, du kannsch Kartoffle schäle."

• • •

"Kreuzberg, des langt. Du musch it au no de Schnee vom Nachbar wegräume. Komm rei, s Esse isch fertig." Eisele schließt das Küchenfenster und schmunzelt. "War doch e gute Idee, den Kerle mit z nehme, oder was moinsch, Kater?"

Später sitzen sie satt im warmen Wohnzimmer zusammen und stoßen mit Bier an.

"Bisch gar it so übel, Bue. Jetzt erzähl mir e bizzle von deim Berlin und dann hau mer uns in d Falle."

2 Kostüm

Schmalziger Samstag – Großer Narrensprung mit kleinen Pannen

In der Nacht hat es kräftig geschneit. Kreuzberg hat wieder geschippt und kommt halb erfroren mit roter Nase in die Küche. „Ah, Spiegeleier mit Schinken, jenau det richtige für Schwerarbeiter, super!“

„Des isch Lyoner, du Hammel“, erwidert Eisele in gespielt grimmigem Ton und legt seine Zeitung zur Seite. „Iss jetzt, bevor alles kalt wird!“

„Schwein, Rind oder Lamm, Hauptsache wat zwischen die Zähne, wa?“ Mit großem Appetit schiebt sich Kai Polankowitzek nach der Schufterei das deftige Frühstück rein und fügt mit vollem Mund hinzu: „Find ik cool von dir, Chef, det ik bei dir pennen kann. Deine Katze hat sich auf meiner Decke zusammen jerollt, war anjenehm warm. Wie heißt die eigentlich?“

„Kater.“

„Okay, det konnte ik nich erkennen. Wie heißt er?“

„Kater! So und jetzt trink dein Kaffee leer, mir hand z tue.“

• • •

Auf seinem Schreibtisch liegt eine Notiz, er solle sich unverzüglich in der Gerichtsmedizin einfinden.