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Die Autorin wirft einen Blick auf und hinter Naturerscheinungen im Blauen Land: Die Schwarzerle am Wasser, die durch ein Missverständnis in die berühmte Ballade Goethes Eingang fand; die vielgeschmähte Thuja der Hecken, aus der die nordamerikanischen Ureinwohner ihre Kanus bauten, ohne den Baum zu fällen; die Paarung in der Luft der Mauersegler und ihre Erforschung. Spannend ist die Kulturgeschichte der Murnau Werdenfelser-Rinder: Einst begehrt als Zugochsen, vom Traktor an den Rand des Aussterbens gedrängt, gerettet von engagierten Bauern und einem Wirt aus München.
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Seitenzahl: 86
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Molasse und Moräne.
Lob der Fichte
Ein Kind der Steppe
Knäuelgras - Wiesengras
Unter Geiern
Schönäugig und wild
Linden und Eichen
Die Kirchturmwächter
Die Dauersegler
Die Farben der Malven
Die Ungeliebten
Hass auf die Hecke
Die Reise des Drüsigen Springkrauts
Herbstfärbung
Bühnenstücke am Futterhäuschen
Mistel des Miraculix
Am düstern Ort
Der Unglücksvogel
Riag’sä
Eigentlich bin ich ein Stadtkind aus Sterzing in Südtirol. Doch der Hang nach draußen hat mich schon als Jugendliche auf den Ortler, den höchsten Berg im Land geführt, auch auf den höchsten Berg der Alpen, den Mont Blanc. Zum Studium der Forstwissenschaften ging ich in die Stadt der Renaissance, nach Florenz. Dort lernte ich auch Landschaft verstehen und schätzen. Es folgte mein Buch über die Landschaft der Toskana und die Kräfte, die sie schufen.1
Als ich vor 20 Jahren mit meinem Mann Wolf Schröder, einem Wildbiologen, in das Dorf Riegsee am gleichnamigen See zog, erkundeten wir das Blaue Land rundum, zu Fuß und mit dem Rad. Die Ideen für dieses Büchlein stammen daher. Es war Franz Marc, der diese Gegend hier im Bayerischen Alpernvorland das „Blaue Land“ nannte, wegen ihres besonderen Lichts.
An Anregungen mangelte es nicht: die Fichte, die uns das Klangholz für den Geigenbau schenkt und jetzt unter dem Klimawandel leidet. Die Wiese, erst in jüngerer Zeit aus den allgegenwärtigen Weiden hervorgegangen. Die Schwarzerle, die uns durch einen kuriosen Übersetzungsfehler eines der eindrucksvollsten Gedichte gestiftet hat, den Erlkönig Goethes. Die oft geschmähte Thuja in den Gärten, aus der im Land ihrer Herkunft an der Westküste Amerikas die Ureinwohner hochseetaugliche Kanus gebaut haben, ohne einen Baum zu fällen.
Oder der Prachttaucher, ein seltener Wintergast, der im zufrierenden Riegsee gefangen war. Und die Mauersegler, die um den Kirchturm sicheln, und – das haben Ornithologen letztlich entdeckt – sich im Flug paaren. Schließlich erzähle ich von der Rettung einer beinahe ausgestorbenen Lokalrasse, dem Murnau-Werdenfelser-Rind.
Mögen diese Geschichten, mit dem jeweiligen Hintergrund, Freude bereiten und helfen, das Blaue Land mit anderen Augen zu sehen.
Ich danke Wolf Schröder, der die Texte lektoriert und mit Tipps und Ideen geholfen hat. Vielen Dank auch an Jens Borchers, Rudolf Schmid und Jari Peltomäki für ihre Bilder und an Sepp Schmid, Kistlerbauer in Riegsee, der mir über seine Murnau-Werdenfelser-Rinder erzählt hat.
1Schneider, Angelika 2018: Toskana: Wein, Kastanien, Hirten, Herren - Vom Werden der Landschaft. Taschenbuch: 316 Seiten; ISBN-10 : 3752811234
Berge sind die unvergänglichen Denkmäler der Erde.
Nathaniel Hawthorne
Wohl dem, der ein E-Bike hat! Bei uns im Alpenvorland geht es nur selten eben dahin – von Riegsee hinauf nach Murnau, vom Murnauer Moos nach Kohlgrub oder von Habach zur Höhlmühle heißt es haxeln. Überall schwingt sich das Gelände plötzlich steil auf, sodass man froh ist, wenn die Batterie nicht schlappmacht. Es taucht die Frage auf, über welchem Untergrund man sich abstrampelt.
Es sind zwei geologische Formationen, die uns in den Oberschenkeln brennen: Molasse und Moräne.
Wenn man vom Hörnlegipfel über Kohlgrub nach Norden blickt, erkennt man die steilen Geländerippen, die sich von Ost nach West in mehreren Reihen dahinziehen. Staffelsee und Riegsee liegen in Vertiefungen zwischen solchen Rippen. Von Murnau nach Osten zieht sich das erste Band, der Königsberg, über Hagen, Perlach, Guglhör bis zur Höhlmühle, läuft nördlich davon als zweites Band im Bogen zurück nach Westen bis nach Aidling und weiter, immer weiter mit Unterbrechungen bis fast zum Bodensee. Diese Bänder sind die harten Geländerippen der alpinen Molasse, die sich nördlich der Alpen hinziehen. Die Inseln im Staffelsee sind Teil des Molassegesteins. Teil einer dritten Geländerippe in der näheren Ferne ist der Hohe Peissenberg.
Was für ein Gestein ist Molasse? Wie ist sie entstanden? Warum hat sie sich in steilen Rippen aufgestellt? Nur um einem beim Radeln in die Beine zu fahren? Für eine Antwort müssen wir weit in die Erdgeschichte zurückgehen, bis in die Zeit, in der die Auffaltung der Alpen begann.
Vor 150 Millionen Jahren waren Europa und Afrika durch einen warmen Ozean getrennt, die Tethys. Am Grund des Ozeans grenzten zwei Erdplatten aneinander, die europäische und die afrikanische. Solche Platten sind Teile der Erdkruste, die auf dem heißen Erdmantel „schwimmt“. Über Jahrmillionen sanken abgestorbene Meeresorganismen auf den Grund der Tethys – Muscheln, Kalkalgen, Korallen und die spiraligen Kalkgehäuse der Kopffüßer, der Ammoniten. Sie lagerten Tausende Meter dicke Schichten ab; aus ihnen sollten die Kalkgebirge der Alpen hervorgehen – die Nördlichen Kalkalpen mit dem Wettersteingebirge und, im Süden, die Dolomiten. Der Grund der Tethys begann unter ihrem Gewicht abzusinken.
Vor 70 Millionen Jahren begann die afrikanische Platte dann, sich auf die europäische zuzubewegen; unaufhaltsam und unaufhörlich. Bis auf den heutigen Tag drängt Afrika fünf Zentimeter im Jahr Richtung Europa. Die Erdplatten werden gegeneinandergedrückt, gestaucht, gefaltet und übereinandergeschoben. Die Kräfte im Spiel waren so gewaltig, dass sie schließlich die Tethys verschluckten, bis auf einen letzten Rest, das Mittelmeer. In einigen Millionen Jahren wird es auch verschwunden sein.
Vor 30 Millionen Jahren tauchte die europäische Platte dann so tief in den Erdmantel ein, dass sie zu schmelzen begann und schließlich abbrach. Die gestauchten Gesteinsschichten darüber begannen sich zu heben und aus dem Meer aufzutauchen – die Alpen waren geboren.
Jetzt kamen auch die versteinerten Meeresablagerungen aus dem Wasser und strebten gen Himmel: der Muschelkalk des Wettersteingebirges und die Riffe der Dolomiten.
Kaum aus dem Ozean aufgetaucht, begannen Schwerkraft, Wind und Wetter, Regen, Frost und Eis das junge Gebirge zu benagen. Eine gewaltige Erosion setzte ein. Die höchsten Berge der Alpen sind fast fünftausend Meter hoch; ohne Erosion würden sie zwölf Kilometer in den Himmel ragen.
Heute schieben sich die Alpen „netto“ einen Millimeter im Jahr nach oben – seit der Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 mehr als einen Meter!
Aus den jungen Alpen stürzten und flossen so im Laufe von Jahrmillionen gewaltige Gesteinsmassen zu Tal, Flüsse spülten Kies, Sand und Ton ins Vorland hinaus. Daraus entstand die Molasse.
Vor 25 Millionen Jahren hatte sich nördlich der Alpen ein Meer gebildet, das Molassemeer, worin die abgetragenen Gesteine der jungen Alpen versanken. Die Alpen waren noch nicht sehr hoch aufgestiegen, das Klima war feuchttropisch. Breite Ströme mündeten ins Molassemeer, bildeten Süßwasserseen und Sümpfe. Während der folgenden Jahrmillionen schwankte der Meeresspiegel stark, gleichzeitig füllten die Ablagerungen aus den Alpen das Molassemeer immer weiter auf. Tausende Meter dicke Schichten aus lockeren Kies-, Sand- und Mergelschichten (Mergel: Mischung aus Ton und Kalk) sanken kilometertief in den Erdmantel ein, zusammengepresst durch ihr eigenes Gewicht. Das ist die Molasse.
Die nach Norden drängenden Alpen pressten sich an die Molasse, schoben sie zusammen und stellten sie zu steilen Rippen auf. Auch die Gletscher der Eiszeit waren nicht imstande, die Molasserippen einzuebnen. Sie sind aber an vielen Stellen von Gletschermoränen der Eiszeiten überdeckt, die der Landschaft ein sanfteres Profil verleihen. Wenn man von Froschhausen nach Murnau radelt, strampelt man über solch eine Moräne bergauf. Darunter liegt die Molasse, die für die Steigung verantwortlich ist.
Die Murnauer Faltenmolasse und die Inseln im Staffelsee sind aus dem Gestein Nagelfluh aufgebaut, einer Form von Molasse. Nagelfluh wurde im Meerwasser abgelagert, als lockeres Gestein, das unter Druck verbacken wurde. An der Südseite des Murnauer Schlossbergs tritt dieser Nagelfluh an die Oberfläche: runde Kiesel verschiedener Größe, verbacken mit Sand und Ton. In ein subtropisches Meer gespült vor Jahrmillionen, nach oben gepresst von den Kräften aus dem Erdinneren, steht einem die Geschichte der Gesteine hier direkt vor Augen. Im Allgäu ist Nagelfluh in der Hochgratkette zu hohen Bergen aufgesteilt.
Die alpine Störung, der Druck der afrikanischen Erdplatte gegen die europäische, kommt nördlich der dritten Molassenrippe endlich zur Ruhe, in einer Linie, die sich jenseits von Irschenberg, Peissenberg und Auerberg hinzieht.
Die letzte große Vereisung, die Würmzeit, hatte vor ungefähr 100.000 Jahren begonnen. Es gab in ihr große Klimaschwankungen, mit Warmzeiten, in denen es wärmer war als heute. Vor 23.000 Jahren begann die kälteste Phase der Würmzeit. Die Gletscher stießen bis weit in das Vorland hinaus vor, durch das Ammer-, Isar- und Loisachtal. Die Zunge des Loisachgletschers reichte bis fast nach Weilheim, über den Murnauer Molasserippen lag das Eis 500 Meter dick.
Auch in der größten Kälte besteht ein Gletscher nicht nur aus Eis, es ist immer flüssiges Wasser darin. Im Inneren des Gletschers gibt es viel Reibungswärme, durch die Bewegung des Gerölls auf seinem Grund. Wasser sammelt sich in den Gletscherspalten, und selbst im kältesten Winter fließt Wasser ab.
Den Hunderte Meter dicken Eispanzern der Würmkaltzeit entflossen sehr große Wassermassen. Sie brachten riesige Mengen an Schotter und Sand mit. Die „Wannen“ zwischen den Molasserippen wurden Dutzende Meter dick mit Schottern des Loisachgletschers aufgefüllt. Der Isargletscher schüttete die Münchner Schotterebene auf.
Eine Zierde des Alpenvorlandes sind die sanft gerundeten Hügelkuppen, auf denen Dörfer liegen oder Kirchlein und Kapellen stehen. Diese Hügel sind ein Geschenk der Eiszeitgletscher. Als es in der späten Würmzeit, vor über 20.000 Jahren, extrem kalt wurde, stießen die Gletscher aus den Bergen noch einmal weit vor und überfuhren die bereits abgelagerten Schotter. Dabei stauchten sie diese und formten sie um zu Drumlins, den eiszeitlichen Geländekuppen. Drumlins haben eine steile Stirnseite, an welcher der Gletscher anschob. Sie laufen dann tropfenförmig in der Fließrichtung des Eises aus. Das Wort kommt aus dem gälischen “droimnin“, das bedeutet kleiner Rücken oder Trommel („drum“). Drumlins entstehen unter dem Eis. Nach dem Abtauen bleiben sie als längliche Geländetropfen in der Landschaft zurück, meist einige Dutzend Meter hoch und einige Hundert Meter lang. Das Eberfinger Drumlinfeld ist eines der größten mit Dutzenden von solchen Schottertropfen.
Es gab mindestens sechs große Kaltzeiten über die letzten zwei Millionen Jahre, die letzte, die Würmzeit, verwischte viele Spuren der vorhergehenden. Gletscher hatten die Mulde zwischen den Molasserippen von Murnau und Aidling ausgehobelt, die von den riesigen Schottermengen verfüllt wurden – nur die beiden Wannen in denen heute Staffelsee und Riegsee liegen, wurden nicht ganz eingeschottert.
Als die Würmkaltzeit zu Ende ging, vor mehr als 12.000 Jahren, kam die große Schmelze – die Gletscher zerfielen, zerflossen, schwanden dahin. Zurück blieben die umgeformten Schotter, die Drumlins, bedeckt von wenige Meter dicken Moränen, also dem Schutt, den die Gletscher mit sich führten – Moränen, die wie ein zarter Schleier über den Drumlins liegen, wie es ein Geologe in einer poetischen Anwandlung einmal beschrieb. Seitdem tauchen in der Literatur diese letzten Ablagerungen von Gletscherschutt immer wieder als „zarte Schleier“ auf.