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Die Landschaft der Toskana ist längst zum Mythos geworden. Im 19. Jahrhundert begeisterten sich die Engländer als erste für die Weinberge und Olivenhaine, die Bauernhäuser auf den Hügeln, die Zypressen und Kastelle. Bei der Entsumpfung der malariaverseuchten Ebenen war auch Leonardo da Vinci am Werk; in den Bergen gründeten Benediktiner Klöster, pflanzten schon vor 1000 Jahren Tannenwälder, verbreiteten die Edelkastanie als Brotbaum. Hier wird ein spannendes Panorama der toskanischen Landschaftsentwicklung gezeichnet - ein Lesevergnügen für Toskanafreunde.
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Seitenzahl: 310
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Einleitung
Erster Teil. Hügel
Toskanisches Hügelland. Ein Mythos
Die Mezzadria. Eine toskanische Besonderheit
Toskanischer Dreiklang: Weizen, Wein und Öl
Kosmos des Mezzadro: Das toskanische Bauerngut
Brot und Bohnen. Lebensbedingungen der Bauern
Kleine Kastelle. Die Bauernhäuser der Toskana
Heiliger Baum der Etrusker. Die Zypresse
Erster Wein der Moderne. Der Chianti
Haustiere des Podere. Cinta, Chianina, Romagnola
Kaltgepresst. Ölbaum und Olivenöl
Harz, Holz und Kerne. Die Pinien der Toskana
Holz für die Stadt, Eicheln für die Schweine. Der Wald im Hügelland
Stacheln, Nesseln, Dornen. Im Dickicht der Macchia
Chiantifeeling
Fango. Die Tonböden der Crete
Zweiter Teil. Ebene
Land des Fiebers. Sümpfe an Meer und Flüssen
Maremma in der Antike. Etrusker und Römer
Maremma im Mittelalter. Franken und Langobarden
Die Medici in der Maremma
Pietro Leopoldo (1765-1790). Der aufgeklärte Souverän
Leopoldo II (1824-1859). Der großherzogliche Hausvater
Flussumkehr. In der Valdichiana
Aal im Kanal. Entsumpfung des Valdarno
Von der Kornschlacht zum Naturschutzgefecht. Die Maremma heute
Dritter Teil. Berge
Wald, Wolle, Wildschwein. Casentino und Pratomagno
Tausend Jahre Forstwirtschaft. Die Tannenwälder der Benediktiner
Holz für die Dombauhütte
Carlo Siemoni. Ein Böhme im Casentino
Brotbaum der Berge. Die Edelkastanie
Aus den Bergen zum Meer. Herdenwanderung in die Maremma
Wir führen das Leben von Streunern. Vom Leben der Hirten
Ein Hauch von Wildnis. Wölfe in den Bergen der Toskana
Danksagung
Bildnachweise
Glossar
Index
Anmerkungen
Himmelsbläue, Wolkengestaltung,…, Glanz des Laubes, Umriss der Berge sind die Elemente, welche den Totaleindruck einer Gegend bestimmen. Alexander von Humboldt, 1847
Kastelle und Villen, Klöster und Gehöfte, Weinberge, Zypressenalleen, stetiger Wechsel von Wald und Acker, das kühle Grau der Olivenhaine – sie hätten wohl für Alexander von Humboldt den „Totaleindruck“ der toskanischen Landschaft bestimmt.
Die Landschaft der Toskana ist, wie die Kunst, längst zum Mythos geworden. Die Engländer begeisterten sich als erste für sie, im 19. Jahrhundert gingen sie auf die Grand Tour, die große Bildungsreise des europäischen Bürger tums. Neben Michelangelo und Botticelli suchten die Reisenden die mittelalterlichen Städte, die ländlichen Renaissance-Villen, Zypressen und Pinien, Reben und Ölbäume.
Die Landschaft als Kunstwerk, der mediterrane Garten als Paradies-Metapher war jedoch nicht das Ergebnis ästhetischer, sondern ökonomischer Ziele, einer langen Geschichte bäuerlicher Arbeit. Doch Grund und Boden gehörte nicht den Bauern, sondern städtischen Großgrundbesitzern. Bauern und Grundherren waren im agrarischen System der Mezzadria oder Halbpacht verbunden. Sie formte über Jahrhunderte die Landschaft, brachte die kleinteilige Abwechslung von Wald und Acker hervor, die getaktete Anordnung der Bauernhäuser auf den Hügeln. Schon ab 1300 hatten Adel und Bürger begonnen, ihr Kapital auf dem Land zu investieren. Nach den rationalen Regeln der städtischen Renaissance schufen sie eine architektonisch geplante, funktionale Landschaft.
Dieses Buch schildert die Bühne, den natürlichen Hintergrund, vor dem das toskanische Landschaftsstück aufgeführt wird: Den mythischen Chianti mit seinen Weinbergen und Olivenhainen; die baumfreien Lehmgegenden der Crete im Süden, mit der soziologisch einmaligen Migration von Schäfer aus Sardinien in die Toskana; Tannenwälder und Edelkastanienhaine; die Maremma mit den Pinienwäldern aus Habsburgischer Zeit, Lieferanten von Pinienkernen und Schutz gegen die Stürme des Tyrrhenischen Meeres.
Und es handelt von den Menschen, die in der Toskana wirkten, sie regierten, formten oder plünderten: Mathilde von Canossa, nicht nur Dompteuse von Kaiser und Papst, sondern auch landwirtschaftliche Reformerin; Franz von Assisi, Klostergründer in den Bergen; Dante Alighieri, der die Schrecken der malariaverseuchten Maremmen als Metapher des Höllenschreckens in seine Göttliche Komödie einfließen ließ; Leonardo da Vinci, der eine Landkarte der Valdichiana für Cesare Borgia zeichnen sollte und dabei ein stupendes Kunstwerk schuf; den Medici, die nicht nur Kunstmäzene waren, sondern Dutzende von Landgütern über die Toskana verteilten; Großherzog Pietro Leopoldo aus dem Hause Habsburg-Lothringen, der die Toskana im 18. Jahrhundert zum modernsten Staat Europas machte; vom Bildungsreisenden Goethe, der „so schnell hinaus als herein“ eilte, weiter nach Rom.
Die Kulturgeschichte der toskanischen Landschaft wird hier erzählt, die Geschichte des waldreichen Casentino, in dem Benediktiner schon vor 1000 Jahren Tannenwälder begründeten, die zu Schiffsmasten für die Mittelmeerflotten heranwuchsen; von den durch die Malaria jahrhundertelang entvölkerten Küsten und Flusstäler, deren Geschichte der Entsumpfung, vor über 2.000 Jahren von den Etruskern begonnen, erst im 20. Jahrhundert zu Ende ging.
Heute gibt es die Mezzadria nicht mehr. In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurde sie immer unrentabler, Rationalisierung und Mechanisierung waren nicht möglich. Die Mezzadri flohen von den Poderi, die Grundherrschaft war zu unflexibel, um die Lage der Bauern zu verbessern. Die Kommunistische Partei Italiens (PCI) organisierte den Gang in die Fabriken, eine heftige Landflucht setzte ein. Die Bauernhäuser begannen zu verfallen, die Bewirtschaftung vieler Weinberge und Olivenhaine hörte auf.
Die Ebenen an der Küste und im Inneren – Maremma, Valdichiana, Valdarno – sind fast vollständig entsumpft. Intensive Landwirtschaft mit Sonnenblumen-, Tabak- und Gemüseanbau und Industrieansiedlung vor allem im Valdarno prägen die einstigen Malariagebiete. Doch gibt es Relikte der alten Landschaft mit Feuchtgebieten von internationaler Bedeutung: Der Lago di Fucecchio im Valdarno ist das größte Feuchtgebiet Italiens; die Laguna di Orbetello in der Maremma, der erste vom WWF Italien unter Schutz gestellte Küstenstreifen, ein Überwinterungsgebiet für Zehntausende Wasservögel.
Die Landschaft in den Bergen hat sich am wenigsten verändert. Die historischen Tannenwälder, heute in Nationalpark Casentino gelegen, sind auf großen Flächen erhalten oder in „naturnähere“ Mischwälder umgebaut worden. Alte Kastanienhaine werden wieder gepflegt. Die Transhumanz, die saisonale Herdenwanderung von den Bergen an die Küste, ist verschwunden, nur als Liebhaberei betreiben ein paar Wanderschäfer ihr Handwerk noch. Ihre großen weißen Hütehunde, die maremmani, sind immer auf der Hut: In den Bergen ziehen Wölfe wieder ihre Fährte.
Heute gibt es eine neue ökonomisch getriebene Landwirtschaft mit großen Feldern, planierten Weinbergen, Monokulturen. Doch die Topographie der Hügel setzt Grenzen – die campi a pigola – die Winkelfelder, sind erhalten, auch die Verteilung von Wald und Kulturen blieb fast unverändert. Der Höhepunkt der Biodiversität ist überschritten, doch gibt es immer noch eine Vielfalt von Strukturen, Kultur- und Wildpflanzen, Haus- und Wildtieren. Die Ästhetik der Landschaft ist vielerorts intakt, zum Entzücken und zur Erbauung der Reisenden.
Die Geschichte hinter der Kulisse des mediterranen Gartens der Toskana – davon handelt dieses Buch.
…che dal quel lato il poggio tutto gira
…das dort den Hügel ganz umrundetDante Alighieri, Divina Commedia, Purgatorio IV, 1321
Siena, die alte Römerstadt, liegt im Hügelland, wie auch Florenz, Arezzo oder Cortona. Mehr als die Hälfte der Toskana ist bedeckt von Hügeln, die sich aus den Tälern des Arno, des größten Flusses der Toskana, und des Ombrone, auf 600 bis 800 Meter über dem Meer aufschwingen. Hier findet die Toskana ihre archetypische Ausprägung: Weinberge und Olivenhaine umschließen Dörfer und Städte, Bauerngehöfte krönen die Hügel; zu Villen und Kastellen winden sich Wege, gesäumt von Zypressen. Dunkler erscheinen Waldparzellen, wie Mosaiksteine im Landschaftsbild verteilt. In den Crete Senesi, südlich von Siena, auf fruchtbaren Lehmböden, rollen Weizenfelder über die niedrigen Hügel; hier tritt der Wald zurück. Die Crete waren schon Kornkammer der Toskana zu etruskischer Zeit.
Die typische toskanische Landschaft ist hervorgegangen aus einem besonderen politisch-agrarischen System, der mezzadria oder Halbpacht, in dem sich der padrone, der Grundherr, und der mezzadro, der Bauer, die Erträge je zur Hälfte teilten. Der Grundherr stellte Grund und Boden zur Verfügung, sowie Geräte, Vieh und das Bauernhaus; der Bauer mit seiner Familie die Arbeitskraft.
Die Ursprünge der Mezzadria liegen im Hochmittelalter; Schwerpunkt ihrer Verbreitung waren die Regionen Mittelitaliens, vor allem die Toskana und Umbrien. Doch erst nach der großen Pest von 1348 löste die Mezzadria die bis dahin vorherrschende Leibeigenschaft der Bauern ganz ab. Nach der Pest waren Bauern rar, die städtischen Grundherren konkurrierten um ihre Arbeitskraft zur Bewirtschaftung ihrer Ländereien. Die große Nachfrage mündete in eine Besserstellung der Bauern, aus Leibeigenen wurden Vertragspartner. Für die nun rechtlich besser gestellten Mezzadri, bot das Halbpachtsystem dennoch nicht mehr als eine kärgliche Selbstversorgung.
Die Wirtschaftseinheit der Mezzadria war der podere: die Hofstelle mit Garten, Feldern und Wald. Ein Grundeigentümer verfügte meist über mehrere Poderi. Auf einem Podere fand sich eine große Vielfalt an Feldfrüchten: Zwischen Olivenbäumen wuchs Weizen; Weinreben rankten sich um Futterbäume; die Kulturen umfassten aber auch Obstbäume, Bohnen, Artischocken, Seidenraupen, Lein und Flachs für Textilien; Eichenwälder zur Schweinemast und zur Gewinnung von Holzkohle.
Über ein halbes Jahrtausend war die Mezzadria das vorherrschende System der Agrarwirtschaft. Mit der Industrialisierung Mitte des 20. Jahrhunderts ging diese Ära zu Ende. Bauern wanderten in die Städte, Gehöfte verfielen. Die Landschaft heute zeigt nur mehr Relikte der einstigen Vielfalt. Es gibt nur noch wenige der alten Feldfrüchte, Wein und Oliven gedeihen auf großen Schlägen in Reinkultur. Die einstigen bäuerlichen Gehöfte standen über lange Zeit als Ruinen in der Landschaft.
Dann kam eine Trendwende gerade noch zur rechten Zeit, sie verhinderte den gänzlichen Verfall: Ein aufkommender agriturismo, eine Variante der Ferien auf dem Bauernhof, und das neu erwachte Interesse am Leben auf dem Lande führten zu einer Renaissance des ländlichen Lebens. Viele der alten Landsitze sind heute Zentren der Weinerzeugung.
Doch nicht überall in der Toskana prägte die Mezzadria die Landschaft. In den Bergen des Apennins bewirtschafteten zwei Klöster – Camaldoli und Vallombrosa – seit dem Mittelalter große Tannenwälder. Anstatt der Mezzadria gab es bäuerlichen Kleinbesitz. Im rauen Klima der Berge reifte der Weizen nicht, Grundnahrungsmittel war Kastanienmehl. Die Männer führten ihre Schafherden auf die Transhumanz – von den Sommerweiden in den Bergen zu den Winterweiden an die Küste.
Dort, in der Maremma und in den großen Flüsstälern im Inneren der Toskana, dem Arnotal und der Valdichiana, machte die Malaria eine ständige Besiedelung unmöglich. Nur im Winter konnte der Mensch sich hier aufhalten. Über Jahrhunderte gab es Versuche der Bonifizierung; von den Etruskern über die Medici bis zu deren Nachfolgern, den Großherzögen von Habsburg-Lothringen, die im 19. Jahrhundert große Gebiete trockenlegten. Die endgültige bonifica gelang dem Faschistischen Regime in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Malaria trat zuletzt 1957 auf, die Sümpfe sind bis auf wenige Reste verschwunden. Sie stehen als Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung unter Schutz.
Ove in alto pendente il campo stia Meni a traverso pur l’aratro e Ii buoi Perché se l’onda poi ché scorre in basso Scendere trovasse alle sue voglie il rigo … La sementa e il terren trarrebbe al fiume.
Wo in der Höhe das Feld sich neigt Sollen auch Pflug und Ochs gerade gehen Damit, wenn Regen dann nach unten fließt, Furchen die stürzenden Wasser bremsen …. Die Saat und Boden in den Fluss sonst spülten. Luigi Alamanni, Annotazioni sopra la coltivazione, 1745
Die charakteristische Landschaft der toskanischen Hügel geht auf das besondere agrarische System der Mezzadria zurück, in dem stadtsässige Grundherren ihr Land in Halbpacht bestellen ließen. Keiner hat dies besser dargestellt als Ambrogio Lorenzetti im Rathaus zu Siena.
Der Rat der Neun, die Regierung der mächtigen Stadt Siena, hatte Mitte des 14. Jahrhunderts kein leichtes Regieren: Kämpfe zwischen den Adelsfamilien, Unruhe unter den Armen, Rivalitäten der reichen Bürger schwächten Legitimation und Ansehen. Der Rat hatte ein Imageproblem; er beschloss, seine Reputation durch einen Freskenzyklus im Rathaus zu verbessern, der die Segnungen der Guten Regierung dem Verderben der Schlechten gegenüberstellte. Der Auftrag ging an Ambrogio Lorenzetti (1290-1348), den berühmtesten Maler in Siena.
Ambrogio enttäuschte seine Auftraggeber nicht. Das grandiose Propagandawerk „Allegorie der Guten und Schlechten Regierung“ bedeckt drei Wände in der Sala dei Nove, dem Saal der Neun. Das Fresko ist die älteste Darstellung der toskanischen Landschaft; Ambrogio der erste, der die Landschaft zum Hauptthema eines Gemäldes machte. „Nach Lorenzetti gab es keine Darstellung einer solchen Verknüpfung zwischen Stadt und Land mehr“, so Maria Luisa Meoni1, die das Fresko aus anthropologischer Sicht analysierte. Ambrogios Landschaft ist geprägt von der Arbeit des Menschen; es ist die Kulturlandschaft der toskanischen Hügel, eine Landschaft, die zum Mythos wurde und Toskanareisende heute noch fasziniert.
Das Werk entstand um 1339. Ambrogio starb 1348 an der Pest.
Siena, nach Florenz die zweitgrößte Stadt der Toskana, gehörte zu den mächtigen mittelalterlichen Stadtstaaten Mittel- und Norditaliens. Ab dem 11. Jahrhundert erblühten diese Comuni im Machtvakuum des römischdeutschen Kaisertums, das nur noch nominale Macht über Italien besaß. Die Städte nahmen sich mehr und mehr Freiheiten heraus, regiert und repräsentiert vom Consiglio, dem städtischen Rat. Im Consiglio dei Nove in Siena, dem Rat der Neun, saßen vermögende Bürger und sienesische Patrizier. In den Comuni blühten Handel und Handwerk; Kaufleute und die mächtigen arti, die Zünfte, hatten die Macht; Adel und Klerus verloren an Bedeutung. An der Westwand des Saales schuf Ambrogio ein Schreckenspanorama: Krieg, Hunger, Missernten und Plünderung überziehen Stadt und Land, als Folge schlechter Regierung. Allegorisch triumphiert Tyrannis über die Justiz und verbreitet Furcht und Schrecken. An der Wand daneben weist die Gute Regierung den Weg aus solchem Elend. „Gute“ allegorische Figuren wachen über die Stadt, über allen die weiß gewandete Figur des Friedens, einen Ölzweig in der Hand, sowie jene des Gemeinwohls, des bene comune, in den schwarz-weißen Farben Sienas. Die Ostwand schließlich zeigt die blühende gotische Stadt Siena und ihren contado, ihr Herrschaftsgebiet, unter der Guten Regierung des Rates der Neun. Hier fanden die ethisch-politischen Botschaften des Auftraggebers ihren Ausdruck, vielleicht auch die Idealvorstellungen Ambrogios von einem funktionierenden Gemeinwesen.
Die Stadt und das Land sind nicht naturgetreu dargestellt, aber durch Inschriften und der Wiedergabe bestimmter Gebäude wie dem Dom als Siena und seine Umgebung zu erkennen. Siena ist sicher und geordnet, geschäftig und wohlhabend, weil gut regiert. Ambrogio zeigt eine weltliche, zivile Stadt ohne Priester und Ordensleute, der Dom erscheint im Hintergrund, weltliche Gebäude und palazzi dominieren. Auch im Contado finden sich zwischen all den Bauernhäusern, Landsitzen, Mühlen und Brücken keine Kirchen oder Kapellen. Ambrogio wollte die Vorherrschaft der aufstrebenden Klasse der Bürger, der Zünfte und Kaufleute, betonen. Die Adeligen kehren der Stadt den Rücken – zur Jagd aufbrechende Müßiggänger, deren Reichtum aus ihren Landgütern stammt. Sie reiten durch das weit geöffnete Stadttor, das für den Austausch von Menschen und Produkten zwischen Stadt und Land steht. Ein paesano, ein Landmann, treibt sein Schwein, eine schwarz-weiße cinta senese, auf das Stadttor zu, Bäuerinnen mit Körben auf dem Kopf und Hirten mit ihren Schafen streben zum Marktplatz. Die belebte Straße ist die Nabelschnur, die Stadt und Land verbindet.
Vor den Toren Sienas erstreckt sich bäuerliches Hügelland. Lorenzetti schuf eine Landschaft, wie sie uns in den Grundzügen heute noch begegnet: Rolling hills mit Weizenfeldern, Olivenhainen und Weinbergen; über die Hügel verstreute Bauernhäuser, kleinteilige Kulturen, Wald und Berge im Hintergrund, Villen und Kastelle, gewundene Wege, Fluss, Mühle und Brücke. Die Gehöfte sind über das Land verstreut; mit zunehmender Entfernung von der Stadt weitmaschiger verteilt, mit geometrisch geformten Feldern. Olivenbäume wachsen in oder neben den Weinbergen oder im Weizenfeld. Die Architektur der steinernen Bauernhäuser verweist mit ihren Torbögen, den Außentreppen, dem Taubenturm auf Vorbilder in der Stadt, die Palazzi der Grundeigentümer, denen Land und Gebäude gehören. Auf einem Hügel liegt der Landsitz eines Adeligen. Ganz im Hintergrund lugt auf dem Fresko die Hafenstadt Talamone am Tyrrhenischen Meer hervor, die sich im 14. Jahrhundert unter der Kontrolle Sienas befand.
Schriftsteller beschrieben ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Landschaft der Toskana als Kunstwerk, als mediterranen Garten, der den bildungsreisenden Adeligen und Großbürger auf seiner Grand Tour erwartete. Doch die mittelalterlichen Grundherren der Toskana suchten nicht Schönheit, sondern Profit. Die Landschaft vor den Toren Sienas war das Ergebnis ökonomischer Interessen und nicht ästhetischer Bestrebungen.
Das Fresko Ambrogios zeigt eine Landschaft, die schon von der Mezzadria geprägt ist. In diesem agrarischökonomischen System stellte der Grundherr Gehöft, Gerätschaften, Zugochsen und Saatgut zur Verfügung, der Pächter mit seiner Familie stellte die Arbeitskraft. Die Ernte ging je zur Hälfte an die beiden Vertragspartner.
Nahezu 700 Jahre sollte die Mezzadria andauern. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ging sie dann zu Ende.
Charakteristische Elemente der Mezzadria waren die regelmäßig getakteten Bauernhäuser auf den Hügeln, die Äcker, Weinberge, Olivenhaine rundum, der Wald in der nahen Ferne. Die wichtigsten Produkte Wein, Öl und Korn wuchsen in Mischkultur: Korn zwischen Reben oder unter Ölbäumen, Rebzeilen am Rand der Olivenhaine.
In Lorenzettis Darstellung ist die Landschaft durch menschliche Arbeit überformt, ja domestiziert. Weinberge und Olivenhaine liegen, geometrisch geordnet, direkt vor der Stadt, oder in der Nähe der Kastelle, Villen und Bauernhäuser. Die Rebzeilen sind horizontal angeordnet – a girapoggio – wörtlich: den Hügel umrundend. Diese Technik mindert, zum Unterschied von der vertikalen Pflanzung a rittochino (auf- und abgehend) die Erosion des Bodens. Im Mittelalter war die vertikale Pflanzung, weil weniger arbeitsintensiv, weit verbreitet. Die Darstellung des Girapoggio auf dem Fresko ist idealisiert, als Mahnung zu verstehen, die Abschwemmung des Bodens zu verhindern. Auf dem Fresko finden sich sowohl reale als auch utopische Elemente. Die jahreszeitlich über das Jahr verteilten Arbeitsgänge des Weizenanbaus sind synchron dargestellt: Die Bauern säen, pflügen, sicheln und dreschen zur gleichen Zeit.
Ambrogio malte in allen Details die ökonomische und symbolische Bedeutung der „geordneten“ Landschaft des Buon Governo, der Guten Regierung. Emilio Sereni, der Doyen der italienischen Landschaftshistoriker, schreibt folgerichtig auch vom „Wunder der quadratischen Felder, der schön angeordneten Rebzeilen, des weise angelegten Anbaus in der Ebene und auf den Hügeln“.2 Er lobt den „präzisen Realismus“, mit dem Lorenzetti ein vollständiges landwirtschaftliches Panorama der Kommunen schuf.
Rechteckige Felder, lineare Rebzeilen, gerade Linien: Menschen im Mittelalter suchten in wohlgeordnetem Anbau und unablässiger Arbeit Schutz vor der unberechenbaren Natur. Dürre, Überschwemmung, Seuchen waren eine stete Bedrohung. Die Natur zu zähmen, war nur unter der Guten Regierung möglich, die einzig Sicherheit vor allen Unbilden bot.
Nach dem Ende der Großen Pest von 1348, mit der demographischen und wirtschaftlichen Erholung, floss wieder Kapital von der Stadt auf das Land. Es gab wenige Bauern, aber viele Felder: Das Spiel von Angebot und Nachfrage um Arbeitskräfte in der Landwirtschaft stärkte jetzt die Stellung des Landmanns gegenüber dem Grundherrn. Leibeigene stiegen zu Halbpächtern auf. Der rechtlose, abhängige Bauer war nun Vertragspartner des Padrone. Die Mezzadria war eine fortschrittliche und auch gerechtere Art, das Land zu bewirtschaften – mit dem Kapital des Grundherren und der Arbeitskraft des Bauern erblühten Serenis „weiser Anbau in der Ebene und auf den Hügeln“.
Rechte und Pflichten der Vertragspartner waren im Vertrag zur Mezzadria detailliert ausgeklügelt. Der Grundeigentümer streckte das Kapital vor; außer dem Bauernhaus und den Wirtschaftsgebäuden – Stall, Stadel, Remisen – stellte er auch das Vieh und legte die Baumpflanzungen an – Wein, Oliven, Obst- und Maulbeerbäume – und übergab die mit Feldrainen und Abzugsgräben ausgestatteten Felder. In steilen und schwierigen Lagen bezahlte er die Hälfte des Saatguts, auf guten Böden musste der Mezzadro es selbst bereitstellen.
Außer der Aufzählung der täglichen bäuerlichen Arbeiten in Feld, Wald und Garten gab es für die Bauern genaue Anweisungen zu Anlage und Pflege der Kulturen, zur Verbesserung der Böden, zum Ankauf des Viehs, zu Bau und Erhaltung der Gebäude, zu Tagschichten für Holzfällen und Holztransport. Auch ein Teil des Stallgewinns mit Kleinvieh (utile stalla) aus Kaninchen, Hühnern, Tauben gehörte dem Padrone, dazu Schinken, Käse und Eier. Für die besten Böden mussten die Bauern auch die Hälfte der Grundsteuer entrichten. Die Gleichberechtigung von Bauern und Grundherrn existierte also nur in der Theorie; – die Mezzadri konnten die Pflichten, die ihnen vom Vertrag auferlegt wurden, nur mit äußerster Anstrengung zu erfüllen.
Ab dem 15. Jahrhundert, in der Renaissance, der Zeit der Wiedergeburt der Ideen der Antike, begann man, die Gesetze der Natur nicht mehr wie im Mittelalter durch metaphysische Spekulation, sondern durch Experiment, Kalkulation und kühle Rationalität zu ergründen. Gelehrte wie Leon Battista Alberti, Leonardo da Vinci oder Galileo Galilei trugen mit ihren Werken die neuen Gedanken in die toskanischen Städte. Die städtischen rationalen Kriterien galten jetzt auch auf dem Land - die Pachtverträge schrieben nun die intensive Nutzung der letzten Quadratmeter des Landbesitzes fest. Die Landschaft der Renaissance war noch mehr als jene des Mittelalters architektonisch angelegt, durch und durch funktional, die Mezzadria übernahm die kapillare Kontrolle über das Land.
Im 17. und 18. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung, die Getreidepreise stiegen, die Grundbesitzer fuhren gute Gewinne ein. Es kam zu einer Ausweitung und Intensivierung des Ackerbaus. Die Mezzadri gerieten unter Druck; in die Verträge wurden zusätzliche Klauseln aufgenommen, wie die regalie – Schenkungen –, in Wirklichkeit unentlohnte Leistungen. Die Bauern wurden verpflichtet, neue Weinberge anzulegen, neue Felder umzustechen, Rodungen und Entsumpfungen vorzunehmen. Besonders verhasst war der patto di fossa, der Vertrag zur Anlage von Abzugsgräben – eine endlose Schinderei, zu erbringen ohne Gegenleistung des Padrone.
Die Toskana ist durchzogen mit den von den Mezzadri angelegten Feldterrassen, Trockenmauern, Wegen und Feldrainen, Zeugen ihrer Kunstfertigkeit und der Mühsal jahrhundertelanger Arbeit.
Vor 100 Jahren waren 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche der Toskana im Agrarsystem der Mezzadria. Für die Bauern und ihre Familien reichte es für ein karges Überleben. Sie buken Brot, produzierten Öl, Wein, Kleinvieh, Obst, Gemüse, Käse, Hanf und Wolle. Kaum etwas davon brachten sie auf den Markt. Sie hatten auch kein Bargeld. Oft waren sie dem Padrone gegenüber verschuldet, befanden sich in einer die Generationen überspannenden Zinsknechtschaft.
Nach dem ersten Weltkrieg, mit dem Einsetzen der Industrialisierung und dem Erstarken sozialistischer Reformideen, geriet die Mezzadria in eine erste Krise. Die stark ländlich geprägte Ideologie des Faschismus hielt den Niedergang der Landwirtschaft ab den zwanziger Jahren zunächst auf – so sollte mit der sogenannten Kornschlacht, der battaglia del grano, die Autarkie Italiens in der Getreideproduktion erlangt werden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs änderte ein neues Landwirtschaftsgesetz, der sogenannte lodo de Gasperi die Bedingungen geringfügig zu Gunsten der Mezzadri, die nun 53 Prozent des Ertrages erhielten; die ungeliebten Regalien wurden abgeschafft. Ab 1964 gingen dann 58 Prozent des Ertrages an die Bauern, doch der Verfall der Mezzadria war nicht mehr aufzuhalten: Seit 1954 hatte eine massive Landflucht eingesetzt. Die Mezzadri liefen den Padroni in Scharen davon, in die Fabriken. Sie entflohen der Unterdrückung, der Isolation auf den Poderi, der Bedrohung durch willkürliche Kündigungen als Strafe für Aufmüpfigkeit. Die Jungen gingen zuerst. Mauro Innocenti, der letzte Mezzadro in Carmignano erzählte: „Die Padroni waren nicht imstande, ihre ideologischen Scheuklappen abzuwerfen, halfen den Bauern nicht, Eigentum aufzubauen. Sie waren nur auf die Quote zur Verteilung fixiert.“ Im Jahre 1964 wurde die Mezzadria gesetzlich abgeschafft.
Viele der über Nacht verlassenen Poderi waren nun dem Verfall preisgegeben. In den Achtziger Jahren kam dann unerwartete Rettung: Der agriturismo, eine Art Ferien auf dem Bauernhof, brachte wieder Leben auf viele Bauernhäuser. Ehemalige Mezzadri betreiben jetzt als Eigentümer oder gutgestellte Pächter die Landwirtschaft, vermieten restaurierte Gebäude, verkaufen ihre Produkte an die Gäste. Ein Gesetz regelt, dass die Hälfte der Einkünfte aus der eigenen Landwirtschaft kommen muss, eine Bedingung, die nicht alle Vermieter erfüllen. „Das sind keine Bauern, die wollen Hoteliers sein“, kritisiert eine Wirtin aus Sovicille bei Siena.
Viele der alten Güter gingen auch in neuem oder altem Großgrundbesitz auf. Große Weinerzeuger wie Antinori, Ricasoli und Frescobaldi vergrößerten ihre Anbauflächen, bauten Weine an, die heute einen sehr guten Ruf genießen. Manche ihrer Villen und Landsitze sind jetzt luxuriöse Hotels und Wellnessoasen.
Von der Mezzadria zeugen noch viele Elemente in der Kulturlandschaft der Toskana. Die Verteilung der Wald- und Feldflächen blieb fast unverändert, auch die campi a pigola, die unregelmäßig geformten „Winkelfelder“ gibt es noch. Reste der alten Mischkultur finden sich in den Gärten der Hausfrauen und Rentner, die ihre paar Ölbäume zuschneiden und Reben auf Feldahorne binden. Sie pflanzen eine Hecke, lassen den Eingang zu ihrem Grundstück von zwei Zypressen bewachen. Im Dickicht des Waldes trifft der Wanderer unvermutet auf morsche Ölbäume, verkümmerte Rebzeilen oder verfallende Trockenmauern als Spuren eines früheren Podere.
„Um Florenz an den Bergen ist alles mit Ölbäumen und Weinstöcke bepflanzt, dazwischen wird das Erdreich zu Körnern benutzt“. …das zweite Jahr bauen sie Bohnen…Es werden auch Lupinen gesäet, die jetzt schon vortrefflich grün stehen und im März Früchte bringen Goethe, Italienische Reise, 1786
In der Mischkultur – coltura mista oder promiscua –wuchsen auf ein- und demselben Feld verschiedene Früchte. Rebzeilen und Ölbäume wechselten einander ab, dazwischen wuchs Korn. Am Wegrand, auf dem Hof oder auf der Tenne standen große Eichen für die Schweinemast, Pinien lieferten Harz, Holz und Pinienkerne, Maulbeerbäume Futter für Seidenraupen. An Kopfweiden sprossen Ruten zum Flechten von Körben. Obstbäume wuchsen auf Feldrainen – Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen, auch Granatäpfel und Mispeln, Quitten, Mandeln und Kaki, oft abwechselnd mit Reihen von Ölbäumen und Reben, versetzt gepflanzt, damit sie sich nicht gegenseitig beschatteten.
„Das zweite Jahr bauen sie Bohnen…“: So beschrieb Goethe die bodenschonende Fruchtfolge, da Weizen nicht an zwei aufeinander folgenden Jahren gesät werden durfte. In Mitteleuropa war die Dreifelderwirtschaft üblich: Getreide, Hackfrucht, Brache. In der Mezzadria säten die Bauern im Fruchtwechsel mit Weizen Bohnen und andere Hülsenfrüchte (Leguminosen) ein, da diese mit ihren Knöllchenbakterien an den Wurzeln Stickstoff in den Boden brachten. Die Brache zur Erholung des Bodens entfiel. Der abwechselnde Anbau von Leguminosen und Weizen war als sistema toscano bekannt. Mit den Hülsenfrüchten linderten die Bauern den Düngermangel. In der toskanischen Küche spielen Hülsenfrüchte seit jeher eine große Rolle: weiße Bohnen – fagioli all’uccelletto, Kichererbsen – ceci, Linsen – lenticchie und Saubohnen – fave. Hülsenfrüchte waren der companatico der Bauern, die Beilage zum Brot.
„Kein anderes Getreide kann dem Bauern so viel geben“, so der Agronom Carlo Pazzagli über den Mais.3 Im 18. Jahrhundert begann in der Toskana der Anbau von Mais, entweder in der Mischkultur oder, wie im Apennin, wo es die Mezzadria nicht gab, auf kleinen Feldern. Mais, der ursprünglich aus Mittelamerika kam, brachte höhere Erträge als Weizen. Die Blätter konnten an das Vieh verfüttert werden, das linderte eine weitere ewige Sorge der Mezzadri, nämlich den Mangel an Viehfutter. Kein Wunder, dass die Bauern den Maisanbau ausweiteten, wo sie konnten, ohne sich um die Janusköpfigkeit dieser Pflanze groß zu kümmern: höherer Ertrag einerseits, Ermüdung des Bodens und Erosion andererseits. Die Gefahr, durch einseitigen Maisgenuss an der Eiweißmangelkrankheit Pellagra zu erkranken, bestand bei den Mezzadri nicht: Hülsenfrüchte enthalten viel Eiweiß. Auch dort, wo er herkommt, in Mittelamerika, wird Mais zusammen mit Hülsenfrüchten gegessen – man denke an die mexikanischen Tortillas mit Bohnen.
Die Aussaat von Mais erfolgte im Sommer nach der Weizenernte, im Wechsel mit Bohnen. Die Mezzadri mischten noch weitere Pflanzen auf den Äckern. Sie säten Klee oder Linsen zwischen den Weizen, Hafer in den Klee, pflanzten Kohl oder Rüben dazwischen. Die Vielfalt der Feldfrüchte in der Mezzadria würde man heute als ökologisch vorteilhaft bewundern. Im 19. Jahrhundert schalten die Kommentatoren diese mescoli als ineffektiv und unökonomisch. Die Mischkultur hatte ihren Grund im System der Mezzadria, in der Selbstversorgung der Bauern, dem Verbrauch der Produkte auf dem Podere. Die Mezzadri hatten bis fast zum Ende der Mezzadria kaum Zugang zum Markt. Diesen hatte allein der Padrone.
I toscani tengono i prati sugli alberi.
Die Toskaner haben ihre Wiesen auf den Bäumen.
Toskanisches Sprichwort
Wiesen sah Goethe auf seiner italienischen Reise „fast gar nicht“. Der Anbau von Futterpflanzen für das Vieh – Gras oder Klee – war praktisch unbekannt. Die Halbpächter forcierten den Weizenanbau, wo sie konnten. Nur das Korn bewahrte den Mezzadro vor dem Hunger. Hafer hätte zwar höheren Ertrag gebracht, doch kann er nicht zu Brot verbacken werden. Der fehlende Marktzugang, der Zwang zur Selbstversorgung, gestattete es den Mezzadri nicht, auf den bis zur Erschöpfung des Bodens betriebenen Weizenanbau zu verzichten. Die Grundherren hingegen favorisierten Wein und Öl wegen der besseren Preise.
Ein weiteres Element im Fruchtwechsel der Mischkultur waren Textilpflanzen wie Hanf oder Leinen, der „im März…. schon gekeimt“ hatte, wie Goethe bemerkte. Wolle kam von den Schafen auf dem Podere. Auch in der Herstellung ihrer Textilien waren die Mezzadri Selbstversorger.
Neben dem Ölbaum, dessen Anbau erst im 19. Jahrhundert auf große Flächen ausgedehnt wurde, war die Weinrebe die bedeutendste Baumkultur. Die alte, von den Etruskern stammende Technik, die Ranken auf lebende Bäume – Feldahorn, Feldulme – zu binden, ist heute bis auf Relikte verschwunden. Diese vite maritata, diese „vermählte Rebe“, war die übliche Anbautechnik in der Mischkultur. Wie alles in der Mezzadria hatten Ahorn und Ulme einen praktisch-ökonomischen Zweck: Ihre Blätter dienten auch als Viehfutter – die Toskaner hatten ihre Wiesen auf den Bäumen.
Das größte Problem für die Bodenfruchtbarkeit, ja für das ganze System der Mezzadria, war der chronische Mangel an Dünger. Auf einem Podere gab es nur wenige Tiere, ein bis zwei Chianina-Ochsen für die Feldarbeit, ein oder zwei Milchkühe, einen Esel oder ein Maultier, ein Mastschwein, eine Handvoll Schafe. Größere Poderi zogen zusätzlich ein bis zwei Kälber groß, für den Markt, um an ein wenig Bargeld zu kommen. Im Winter im Stall gehalten, weidete das abgemagerte Vieh im Frühjahr am Strick geführt an Feldrainen, Wegrändern oder am Waldrand. Ein freier Weidegang war auf dem Podere nicht möglich. Überhaupt war die Ernährung des Viehs prekär; auch der Mist, den die Tiere gaben, reichte nicht aus, um die Fruchtbarkeit der Felder zu erhalten. Die toskanischen Misthäufen waren nicht sehr gepflegt, die Bauern vermengten den wenigen Mist mit Pflanzenresten aller Art: Eichen-und Kastanienblättern, Farnkraut, Schilfrohr – minderwertiger Pflanzendünger, den die Bauern auch von weit her holten. Noch schlechter waren Wollfetzen, Lederreste, Häute oder Weintrester, mit dem Inhalt der Sickergruben und Stroh vermischt.
Der Padrone sorgte sich nicht um den Dünger, die Anstrengungen zu seiner Beschaffung lagen allein bei den Bauern. Rings um Florenz war ein Familienmitglied das ganze Jahr über damit beschäftigt, Sickergruben zu leeren und den Aushub zum Podere zu schaffen. Diese Person erledigte für den Grundherrn unentlohnt die niedrigste aller Arbeiten. Nicht entlohnte Mehrarbeit kam im Arbeitslauf des Podere oft vor. Ein solcher sopralavoro tauchte im Pachtvertrag nicht auf, es handelte sich um stillschweigende, nicht honorierte Arbeitsleistungen der Bauern.
Agronomen unterscheiden in der Landwirtschaft die zwei großen Kategorien der offenen und geschlossenen Felder. Letztere sind von Hecken umsäumt. In Weidelandschaften finden wir geschlossene Felder, in die Weidetiere nicht eindringen können. Typisch dafür ist die englische countryside. In der Mezzadria weideten nur die Schweine frei, im Eichen- oder Kastanienwald. Dennoch waren Hecken häufig. Sie begrenzten den Gemüsegarten und die Felder am Waldrand. Hecken waren vielfältig aufgebaut – sie bestanden aus Weißdorn, Schlehdorn, Brombeere, Wacholder, Pfaffenhütchen oder Mäusedorn. Auch Kopfweiden waren darin, gelegentlich Obstbäume oder Eichen. Das Interesse der Mezzadri an den Hecken war weder ästhetisch noch ökologisch, es war praktischer Natur: Für sie waren Hecken ein wichtiger Brennholzlieferant. Das Brennholz aus dem Wald war für den Markt bestimmt, es war aus dem Pachtvertrag ausgeschlossen und gehörte allein dem Padrone.
Di là dal podere non ci si va. Über den Podere geht man nicht hinaus. Toskanisches Sprichwort
Die Wirtschaftseinheit der Mezzadria war der podere, das toskanische Bauerngut. Er bestand aus dem Bauernhaus und seinen Nebengebäuden, den Äckern und Wäldern rundum. Mehrere Poderi waren an eine fattoria gebunden, das zentrale Landhaus, oft eine prächtige Villa, mit Mühle, Ölpresse und Weinkeller. Podere und Fattoria waren die wesentlichen Elemente der Mezzadria. Viele Hände waren nötig, um die Arbeit auf einem Podere zu bewältigen. Der capoccia, das Familienoberhaupt der bäuerlichen Großfamilie und Gebieter über den Betrieb, teilte sich die Herrschaft mit der massaia, der Hausfrau. Kinder, ledige Onkel und Tanten und die Großeltern arbeiteten mit. Von außerhalb kamen manchmal ein bifolco dazu, ein Knecht, und ein garzone, ein Hilfsarbeiter. Manchmal lebten auch zwei Familien auf einem Hof. 15 bis 20 Personen konnten so zusammenkommen.
Im toskanischen Hügelland war praktisch die gesamte landwirtschaftliche Fläche in Poderi aufgeteilt. Der Jurist, Politiker und Agronom Vincenzo Salvagnoli (1802-1861) berichtet für das 19. Jahrhundert von über 50.000 Poderi in der Toskana. Im Staatsarchiv von Florenz waren 60.000 Poderi verzeichnet, auf denen 80.000 Familien lebten. Außer in der Toskana war die Mezzadria noch im benachbarten Umbrien verbreitet. In der Küstenebene, der Maremma, und in den großen Flussebenen, dem Arnotal und der Valdichiana, sowie in den Bergen der Toskana gab es die Halbpacht nicht. Diese Gegenden wurden auch die „Toskana ohne Mezzadria“ genannt.
„Die klassischen Gefilde der raffiniertesten und fortschrittlichsten Landwirtschaft“ – so bezeichneten die Agrarreformer Matteo Biffi Tolomei (1730-1808) und Lapo de‘ Ricci (1782-1843) die Umgebung von Florenz. Hier, wie auch in der Nähe Sienas und einiger anderer Städte oder Märkte lagen die Poderi dicht an dicht auf den Hügeln. Sie waren oft klein; die luoghi – die Orte – um die Stadt Volterra konnten mit zwei bis drei Hektar Größe ohne Zugtiere bewirschaftet werden. Der Grund dafür ist einleuchtend, wenn auch anrüchig - hier stand der Dünger aus den Sickergruben der Städte zur Verfügung. Je weiter von Siedlungen sie entfernt lagen, desto größer waren die Poderi. Die Fläche variierte zwischen sechs und 14 Hektar. Die größten Poderi lagen in den Weizengegenden der Crete, den Tonböden südlich von Siena. Sie waren bis zu 50 Hektar groß.
Giuseppe Giuli (1764-1842), Botaniker und Mineraloge, zeichnet in seinem Bericht Stathistica agraria della Val di Chiana (1828-30) folgendes Bild: „Wenn außer den Flächen (aufgeteilt in Felder, gerodet, umgebrochen und mit den nötigen Baumkulturen bepflanzt) auch ein Wohnhaus da ist, eine Tenne, um das Korn zu dreschen und das Stroh aufzubewahren, ein Ofen, um das Brot zu backen, ein Stall, um das Vieh unterzubringen, ein Hühnerstall, manchmal ein Taubenturm – einer solchen Ansammlung von landwirtschaftlichen Werkstätten gibt man den Namen podere und der Union von vielen Poderi den Namen fattoria.“
Ferdinando Morozzi (1723-1785), Ingenieur und Architekt, geht in seinem Delle case dei contadini (Von den Häusern der Bauern) von 1870 ins Detail:
„Ein Podere, welcher dem Padrone Frucht bringt in Form von Korn, Wein, Öl, Kastanien, Rindern, Schafen und Schweinen. Das Haus: Erdgeschoss mit guten, bequemen, hellen Treppen. Ringsum ein gepflasterter Hof. Ein Brunnen mit gutem, frischem Wasser. Ein Ofen, der drei staja (1 stajo – 25 Liter) Brot aufnimmt. Ein Raum für den Webstuhl der Frauen, für die Geräte der Arbeiter, für die Körbe, Matten, Spaten, Flechtkörbe und andere Geräte der Bauern. So viele Ställe, wie es den verschiedenen Arten von Vieh entspricht, Weinkeller, Keller. Käse- und Buttermöglichkeit. Eine Dörrkammer für die Kastanien, ein Aufbewahrungsort für die Eicheln. Ein Heustadel, ein Unterstand für Karren und Flechtwagen. Eine Jauchegrube. Ein Hühnerstall, eine Tenne zum Dreschen. Im ersten und letzten Stock ein großer Küchen- und Essraum für die Familie. So viele Räume mit zwei Betten als es Personen für die Bewirtschaftung des Podere braucht. Ein Kornspeicher für die Ernte des Bauern. Ein Raum, um die Oliven auszubreiten, den man über der Küche mit ein paar eingezogenen Balken abtrennen kann. Eine überdachte Loggia für die Arbeit bei Regenwetter. Ein Taubenturm.“
Die Grenzen des Podere waren auch die Grenzen der Welt des Mezzadro. Grenzen waren genau festgelegt, mit den campi a pigola, den polygonalen „Winkelfeldern“, passgenau an die Topographie der Hügel, die Grenzgräben und die Reihen der Zypressen. Der Historiker Alessandro Falassi sagt über den Podere: „Die Welt des Ungefähren, das heißt die Welt der ungezähmten Natur, wird geleugnet, die Natur domestiziert.“4 Nur zwischen Wald und Feld gab es mit dem sodo einen schmalen Übergang von der Kultur zur Wildnis. Die sodi waren harte, nicht umgestochene, aber gerodete Flächen, die, je nach dem augenblicklichen Bedarf, als Wiese, Weide oder Anbaufläche für Futterpflanzen dienten.
Doch wenn der Bauer nachlässt mit seiner Arbeit, verschwimmen die Grenzen des Podere bald; der Wald breitet sich aus, er beginnt, Felder, Weinberge und Sodo zu überwuchern. Alessandro Falassi spricht vom Wald, der die ungeordnete, nicht domestizierte Natur darstellt, als einem symbolischen, „anderen“ Raum. Er unterscheidet dabei den bosco pertinente, den zum Podere gehörenden konkreten, sichtbaren Wald und den bosco incombente, den hereindrängenden, bedrohlichen Wald, der im Augenblick der nachlassenden Wachsamkeit die Felder überwuchert. Der Bosco incombente ist ein symbolischer Wald, ein Sinnbild für die nie aufhörende Bedrohung der Kultur durch die Wildnis. 5
Mit dem Ende der Mezzadria lösten sich die Grenzen der Poderi auf, die Welt des Ungefähren weitete sich wieder aus. Doch ist die alte Aufteilung zwischen Wald und Feld weitgehend erhalten. Im Chianti zum Beispiel liegen die Weinberge, in den alten Formen der Winkelfelder, inmitten der Eichenwälder. In den waldfreien Crete haben die Weizenfelder Gestalt und Ausdehnung seit den Zeiten der Mezzadria beibehalten.
Der technische Fortschritt des 19. Jahrhunderts rieb sich mit dem archaischen System der Mezzadria: Cosimo Ridolfi, Herr über das Mustergut Meleto im Chianti, scheiterte mit seinen Bemühungen, Neuerungen und Erleichterungen für die Bauern einzuführen; eine Rationalisierung ihrer Arbeit und eine Steigerung der Erträge zu erreichen. Ridolfi konnte die Einführung eines einfachen Metallpfluges – des coltro Ridolfi – nicht durchsetzen. Die Mezzadri widersetzten sich jeglicher Neuerung mit zähem Widerstand, sie fürchteten eine Verschlechterung ihrer Lage und klammerten sich an die alten Praktiken. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es im ganzen Großherzogtum nur zwei Dreschmaschinen, beide von Ridolfi eingeführt. Eine stand in Meleto, die andere in dem von Ridolfi gegründeten Istituto Agrario von Pisa. In der Valdichiana kam es 1902 zu einem Aufstand der Mezzadri gegen den Versuch, sie für die Kosten einer solchen „Maschine“ aufkommen zu lassen.
Viele Bauernhöfe kleinerer Grundherren waren sogenannte „freie“ Poderi. Salvagnoli schreibt von 1.000 Fattorien im toskanischen Hügelland, denen 12.000 der 50.000 Poderi angehörten, also nur rund ein Viertel. Aus napoleonischer Zeit berichtet die Statistik von 80 Prozent ungebundenen Poderi in der Nähe der Städte, dort, wo die Flächen am kleinsten waren.
Weiter weg, im florentinischen Hügelland oder im Chianti, wurden die freien Poderi weniger. Dort war fast die Hälfte der Höfe an eine Fattoria gebunden, im Contado von Siena, im Chianti Senese und in der südlichen Valdichiana 50 bis 70 Prozent, auch in der Montagnola Senese westlich von Siena und in der Val d’Orcia. Dort findet man jene Orte, in denen auch heute noch das klassische Toskanabild vorherrscht: Montepulciano, Rapolano, San Giovanni d’Asso, Castiglion d’Orcia, Pienza, San Casciano dei Bagni,