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Ein Planet von Ausgestoßenen kämpft gegen ein korruptes Imperium!
Die Nebelwelt ist ein Rebellenplanet, der vom Reichtum des Imperiums abgeschnitten ist. Es landen kaum Schiffe und jedes Hightech-Gerät ist weit mehr wert als sein Gewicht in Gold. Ein feudaler Orden hat diese einst reiche Welt unterworfen: Die Starken herrschen, die Schwachen sterben, und niemand ist sich zu fein zum Stehlen.
Die Ermittlerin Topaz ist einer der wenigen ehrlichen Menschen, die noch auf der Nebelwelt leben. Sie tut, was sie kann, um die regierenden Gauner in Schach zu halten. Dann gelingt es dem korrupten Imperium, den Schild der psychisch begabten Esper anzugreifen, der die Nebelwelt bewacht. Eine massive Flotte lauert im All - und Topaz ist die Einzige, die den Planeten vor dem Feind retten kann. Doch es sind die Feinde in den eigenen Reihen, vor denen sie am meisten Angst haben sollte ...
Dieser Roman ist ein Prequel zu Simon R. Greens Deathstalker-Zyklus, der die Geschichte der Nebelwelt und einiger Nebenfiguren des Zyklus erzählt. Eigenständig lesbar und in sich abgeschlossen!
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Seitenzahl: 417
Cover
Weitere Titel des Autors:
Über dieses Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
KAPITEL I
EIN SCHATTEN IN DER NACHT
KAPITEL 2
EIN TREFFEN VON VERRÄTERN
KAPITEL 3
ENTSCHEIDUNGEN IM RAT
KAPITEL 4
EIN MORD IM NEBEL
KAPITEL 5
HÖLLENFEUER
KAPITEL 6
KOMPLIZEN
KAPITEL 7
BITTERE RACHE
KAPITEL 8
STERNLICHT
KAPITEL 9
DUNKELSTROM UND DER BLUTFALK
KAPITEL 10
MARIE
KAPITEL 11
ZWEI KRIEGER
KAPITEL 12
DER FRIEDHOF AM GALGENBAUMTOR
KAPITEL 13
BLUT UND TERROR
KAPITEL 14
JAMIE ROYAL – IN MEMORIAM
KAPITEL 15
DIE FALLE SCHLIESST SICH
KAPITEL 16
DER WOLF AM TOR
KAPITEL 17
HELDEN UND SCHURKEN
KAPITEL 18
LIEDER IN DER NACHT
KAPITEL 19
EIN LETZTES OPFER
KAPITEL 20
EIN NEUER ANFANG
Leseprobe - Sternkreuzer - Folge 1: Flucht ins Ungewisse
Die Legende von Owen Todtsteltzer:
1 – Der Eiserne Thron
2 – Die Rebellion
3 – Todtsteltzers Krieg
4 – Todtsteltzers Ehre
5 – Todtsteltzers Schicksal
6 – Todtsteltzers Erbe
7 – Todtsteltzers Rückkehr
8 – Todtsteltzers Ende
In den Schatten des Imperiums:
1 – Nebelwelt
2 – Geisterwelt
3 – Höllenwelt
Die Nebelwelt ist ein Rebellenplanet, der vom Reichtum des Imperiums abgeschnitten ist. Es landen kaum Schiffe und jedes Hightech-Gerät ist weit mehr wert als sein Gewicht in Gold. Ein feudaler Orden hat diese einst reiche Welt unterworfen: Die Starken herrschen, die Schwachen sterben, und niemand ist sich zu fein zum Stehlen.
Die Ermittlerin Topaz ist einer der wenigen ehrlichen Menschen, die noch auf der Nebelwelt leben. Sie tut, was sie kann, um die regierenden Gauner in Schach zu halten. Dann gelingt es dem korrupten Imperium, den Schild der psychisch begabten Esper anzugreifen, der die Nebelwelt bewacht. Eine massive Flotte lauert im All – und Topaz ist die Einzige, die den Planeten vor dem Feind retten kann. Doch es sind die Feinde in den eigenen Reihen, vor denen sie am meisten Angst haben sollte …
Dieser Roman ist ein Prequel zu Simon R. Greens Deathstalker-Zyklus, der die Geschichte der Nebelwelt und einiger Nebenfiguren des Zyklus erzählt. Eigenständig lesbar und in sich abgeschlossen!
Simon R. Green (*1955) kommt aus Bradford-on-Avon, England. Während seines Literatur- und Geschichtsstudiums an der Leicester University begann er mit dem Schreiben und veröffentlichte einige Kurzgeschichten. Doch erst 1988, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit, verkaufte er seine ersten Romane. Seinen Durchbruch erlangte er Mitte der Neunziger mit der SF-Weltraumoper-Saga um Owen Todtstelzer: Eine Serie, die – wie er selbst sagt – irgendwie außer Kontrolle geraten ist, da er eigentlich nur drei Bücher schreiben wollte … Mittlerweile umfasst Simon R. Greens Werk weit über 40 Romane, das neben Science Fiction auch verschiedene Subgenres der Fantasy von Dark bis Funny, von High bis Urban abdeckt.
Simon R. Green
Nebelwelt
In den Schatten des ImperiumsBand 1
Aus dem Englischen von Axel Merz
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 1992 by Simon R. Green
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Mistworld«
Originalverlag: Ace Books, New York
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Nebelwelt / Geisterwelt / Höllenwelt«
Textredaktion: Rainer Schumacher / Stefan Bauer
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: Massimo Peter unter Verwendung von Motiven © Arndt Drechsler
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7325-9139-8
Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Sternkreuzer Proxima – Folge 1: Flucht ins Ungewisse« von Dirk van den Boom.
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Nennen wir sie Marie.
Ihr Gesang konnte Herzen brechen und gebrochene Herzen heilen. Aber das war, bevor das Imperium sie fand und missbrauchte.
Heute ist sie nichts als ein weiterer Flüchtling, der um sein Leben rennt. Tief in ihrer Seele regt sich Wahnsinn. Ihr Name ist Marie. Typhus-Marie. Niemand auf Nebelwelt wird diesen Namen je vergessen.
Ein kühler, böiger Wind kam stöhnend von Norden herab, und er wirbelte die in den engen Gassen von Nebelhafen hängenden Dunstfetzen und den leise fallenden Schnee durcheinander. An jeder Tür hingen Laternen oder Lampions und erzeugten kleine gelbe, rote oder orange Inseln aus Licht vor einem wahren Ozean aus Grau. So früh am Morgen, kurz bevor die schwache gelbe Sonne über Nebelhafen aufging, war der Dunst immer am dichtesten.
Ein grauer Schatten kletterte selbstsicher über ein schlüpfriges, geneigtes Dach. Die schlanke Gestalt war vor dem Hintergrund des wirbelnden Schnees kaum zu erkennen, denn das Weiß ihres Thermoanzugs löste sich harmonisch im umgebenden Schnee und Nebel auf. Die Thermoelemente des Anzugs hielten seinen Träger behaglich warm und isolierten gegen die schneidende Kälte des Windes. Der Mann – sein Name war Katze – kauerte sich neben einem vorspringenden Dachfenster nieder und schob die Kapuze des Anzugs in den Nacken. Zum Vorschein kam ein junges, blasses Gesicht, das von wachsamen schwarzen Augen und deutlich sichtbaren Pockennarben auf den Wangen beherrscht wurde. Katze zuckte zusammen, als der scharfe Wind über sein ungeschütztes Gesicht fuhr, dann ließ er sich vorsichtig über die schlüpfrige, schneebedeckte Schräge der Dachziegel gegen einen rauchenden Schornstein rutschen. Er suchte am unregelmäßigen Mauerwerk des Rauchfangs nach Halt und beugte sich über die Dachkante, um einen Blick nach unten zu werfen.
Von seinem hohen Aussichtspunkt übersah Katze die schiefen und verwinkelten Dächer Nebelhafens – Dächer, die sein Jagdrevier und sein ganz privates Königreich waren. Er hatte den größten Teil seiner erst zwanzig Lenze damit verbracht, sein Handwerk zu lernen und seine Kunst stetig zu vervollkommnen, und mit der Zeit war er zu einem der besten Einbrecher geworden, die das Diebesviertel je hervorgebracht hatte. Das kunstvoll verzierte Eisen und Holz der Gebäude Nebelhafens diente ihm als Straßen und Wege, auf denen er sich mit Händen und Füßen fortbewegte, und die Gesimse und Giebel der Dächer als Wegweiser und Rastplätze.
Katze war ein Dachläufer.
Das Licht des großen Halbmondes brach klar und strahlend durch die wirbelnden Nebel und wurde hell von den schneebedeckten Flächen der Dächer und der Straßen reflektiert, eine Szenerie von spröder Schönheit. Zu seiner Linken erblickte Katze die vereinzelten Lampen des Diebesviertels, eines schäbigen Quartiers mit schmutzigen Straßen, dessen vorstehende Häuser sich zusammendrängten, als suchten sie Schutz und Wärme in der kalten Nacht. Die wenigen Lichter funkelten in der umgebenden Dunkelheit purpurn wie Rubine auf Samt. Zu seiner Rechten lagen das Technikerviertel und der Raumhafen.
Suchscheinwerfer zuckten durch die Nacht, blaues Sturmfeuer, das schlanken kristallenen Lanzen gleich zitternd auf und ab tanzte. In regelmäßigen Abständen brannten Öllampen und Fackeln auf dem Raumhafen und markierten weite Landeflächen, jede einzelne mehr als einen Kilometer im Durchmesser. Der Kontrollturm aus Stahlglas, das letzte Überbleibsel der einstigen Imperialen Basis, war das einzige Gebäude des gesamten Raumhafens, das noch immer von hellen elektrischen Lichtern beleuchtet wurde. Auf den Landeplätzen standen weniger als ein Dutzend Schiffe, die meisten von ihnen nur noch Wracks, verlassen und ausgeschlachtet, aller Hochtechnologie beraubt. Eine Handvoll Schmugglerschiffe teilte sich einen Landeplatz, fünf silberne Nadeln, die im Licht der Fackeln rötlich schimmerten.
Plötzlich flammten im Umkreis des größten Landefelds Signallichter auf, wie Leichenfeuer rings um ein neu errichtetes Monument, und Katze erkannte mit wachsender Erregung, dass ein Schiff hereinkommen würde. Schiffe bedeuteten in jenen Tagen ein immer seltener werdendes Ereignis, und jeder Neuankömmling war demzufolge eine gute Nachricht. Nur zögernd wandte Katze sich vom Anblick des erleuchteten Landefelds ab und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straßen unter sich.
Nichts bewegte sich in den leeren, dunstigen Gassen. Das blasse Tuch aus frisch gefallenem Schnee lag jungfräulich und unberührt. Nur Diebe und Spione wagten sich in der bitterkalten Nacht Nebelhafens vor die Tür, und sie hinterließen niemals Spuren.
Katze zog die Kapuze wieder über, um das Gesicht vor der Kälte zu schützen. Er lockerte seinen Griff um den gemauerten Schornstein und ließ sich vorsichtig über die Dachkante gleiten. Nachdem er sicheren Halt an der schmalen Regenrinne gefunden hatte, rutschte er kopfüber über die Kante, bis er nur noch mit den Füßen in der Rinne hing. Das rostige Eisen knarrte stöhnend unter dem ungewohnten Gewicht, aber es hielt, während Katze nachdenklich das kleine, vergitterte Fenster vor sich musterte. Der Durchlass war kaum mehr als einen halben Meter breit, und das Gitter bestand aus rostfreiem Stahl. Wie äußerst geschmacklos, dachte Katze. Jeder muss denken, dass hier jemand Angst hat, beraubt zu werden. Er schenkte dem Fensterrahmen einen eingehenderen Blick und grinste selbstgefällig, als er die beiden schlanken Drähte entdeckte, die in der oberen rechten Ecke des Gitters befestigt waren und von dort im Mauerwerk verschwanden. Ohne Zweifel irgendeine Alarmanlage. Katze zog einen kleinen Drahtschneider aus dem Schaft seines linken Stiefels und setzte das Werkzeug an einem der Drähte an, doch dann zögerte er. Die Drähte erschienen ihm viel zu offensichtlich. Erneut untersuchte Katze das Gitter und grinste schief, als er einen kleinen elektronischen Sensor bemerkte, der nahtlos in den Rahmen des Gitterwerks eingepasst war. Berühre das Gitter oder den Rahmen, und der Sensor löst einen Alarm aus. Katze schob den Drahtschneider wieder in den Stiefelschaft zurück und zog aus dem anderen eine schlanke elektronische Sonde. Mit der lässigen Geschicklichkeit langjähriger Übung schloss er den Sensor kurz, schob die Sonde wieder zurück, nahm erneut den Drahtschneider zur Hand und zerschnitt die beiden Drähte, nur für den Fall. Er steckte das Werkzeug weg und zog einen kleinen Schraubenzieher hervor. Dann machte er sich in aller Gemütsruhe daran, die vier einfachen Schrauben herauszudrehen, die das Gitter hielten.
Allmählich begann das Blut in seinen Kopf zu steigen, aber Katze ignorierte die stärker werdenden Schmerzen, so gut er konnte, um sich nicht zu übereilter Hast hinreißen zu lassen. Nacheinander wanderten drei der Gitterschrauben in einen weißen Lederbeutel an Katzes Gürtel. Schließlich steckte er den Schraubenzieher weg und zog vorsichtig am Rahmen des Gitters. Unter seinen geschickten Händen löste sich das Eisen, bis es nur noch an der letzten verbliebenen Schraube hing. Katze grinste. Bis jetzt lief alles genau nach Plan. Er schob das Gitter zur Seite und einen Arm durch das Fenster. Dann folgte sein Kopf, und er atmete heftig durch, als Brust und Rücken gegen den unnachgiebigen Eisenrahmen schrammten. Katze suchte festen Halt am inneren Rahmen und atmete erneut tief durch, bevor er seine Füße aus der Dachrinne löste. Ein heftiger Ruck ging durch seinen Körper, als die Beine hinunterfielen, doch der Stoß war nicht stark genug, um Katze aus dem Fenster und in die Tiefe zu reißen.
Er wartete einen Augenblick, bis sein Atem sich wieder beruhigt hatte, dann lockerte er den Griff um den inneren Rahmen. Zentimeter um Zentimeter schob er seinen Oberkörper durch die enge Öffnung. Unterleib und Hüften stellten kein Problem dar. Nur ein Mann, der so drahtig und gelenkig war wie Katze, konnte durch so ein Fenster einsteigen. Was zumindest einer der Gründe war, aus dem seine Konkurrenten ihn neidisch als den besten Dachläufer von ganz Nebelhafen anerkannten.
Geschickt ließ Katze sich vom Fenster auf den Boden gleiten und kauerte sich bewegungslos in die Schatten, während seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Vor ihm erstreckte sich ein enger Korridor, der zur Linken in ein Treppenhaus mündete. Zur Rechten befanden sich zwei geschlossene Türen. Mondlicht fiel durch das Fenster, aber selbst Katzes erfahrene Augen hatten Schwierigkeiten, in der Dunkelheit hinter dem schimmernden Licht Einzelheiten zu erkennen. Er zog die Handschuhe aus und schob sie hinter den Gürtel. Dann spannte und entspannte er seine langen, schlanken Finger in einer raschen Serie von Lockerungsübungen. Für einen guten Einbrecher waren die Hände genauso wichtig wie die Werkzeuge, die sie benutzten. Katze achtete stets auf seine Hände. Behutsam legte er die Finger auf den Boden, schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf das polierte Holz. Feine Vibrationen kitzelten die Spitzen seiner Finger. Nachdenklich runzelte Katze die Stirn. Im Fußboden waren Sensorpaneele eingelassen, und sie würden ganz ohne Zweifel alle möglichen Sicherheitssysteme aktivieren, sollten sie das Gewicht eines Mannes spüren. Mit geschlossenen Augen beugte Katze sich vor, und seine Hände tasteten in einem immer weiter werdenden Bogen über den vor ihm liegenden Holzboden. Aufgrund der schwankenden Stärke der Vibrationen fand er heraus, wo er hintreten durfte und wo nicht. Langsam arbeitete sich der Dachläufer voran, Zentimeter um Zentimeter, bis er sicher war, das Muster erkannt zu haben, nach dem die Sensoren im Boden verteilt waren. Dann erst öffnete er die Augen, stand auf und tappte zuversichtlich über den Korridor, wobei er die gefährlichen Bereiche mit Leichtigkeit vermied.
Immer wieder das gleiche alte Spiel, dachte Katze. Geh stets schön auf dem Bürgersteig, damit dir nichts geschieht, mein Junge … Dann fiel ihm ein, wie lange es schon her war, dass die Stadt Nebelhafen sich so etwas wie einen gepflasterten Bürgersteig hatte leisten können. Die Zeiten waren nicht mehr wie früher. Katze zuckte die Schultern und ging rasch zur ersten der beiden Türen. Je schneller dieser Teil seines Auftrags beendet war, desto besser. Der gleiche weiße Thermoanzug, der Katze draußen im Schnee und Nebel so perfekt tarnte, war in einem dunklen, leeren Korridor mehr als auffällig.
Katze blieb vor der geschlossenen Tür stehen und betrachtete sie misstrauisch. Seine Hehlerin hatte ihn so gründlich über die Außenanlagen des Hauses informiert, wie es ihr nur möglich gewesen war; über das Innere hatte sie ihm allerdings kaum etwas erzählen können. Die Tür musste irgendwie mit einer Falle versehen sein, jedenfalls hätte Katze das so gemacht. Er ließ die Finger sanft über das raue Holz gleiten, ohne etwas Außergewöhnliches zu bemerken. Dann zog er eine Stiftlampe aus seinem rechten Stiefelschaft und knipste sie an. Katze beugte sich weit vor und ließ den dünnen Lichtstrahl Zentimeter um Zentimeter über den Türrahmen gleiten. Und siehe da, er fand einen kleinen, kaum erkennbaren Knopf hoch oben am Sturz; eine einfache Vorrichtung, die einen Alarm auslösen würde, sobald jemand die Tür öffnete. Traurig ob dieser mageren Herausforderung an sein Talent schüttelte Katze den Kopf. Er zog die stählerne Sonde aus dem Stiefel und schob sie von hinten unter den Knopf, um ihn zu arretieren – und schüttelte erneut den Kopf. Katze zog die Sonde zurück. Der Alarmknopf befand sich bereits in der AUS-Stellung! Anscheinend hatten die Bewohner vergessen, ihn einzuschalten, bevor sie sich schlafen gelegt hatten. Katze verdrehte die Augen. Der Auftrag schien lächerlich einfach zu werden! Er schaltete die Stiftlampe aus, steckte Sonde und Lampe weg und legte entschlossen die Hand auf den Türgriff. Der Dachläufer drückte die Klinke herab und schob die Tür vorsichtig einen Spaltbreit auf. Um sicherzugehen, dass er nicht doch noch irgendeinen Alarm ausgelöst hatte, wartete er noch einen Augenblick, dann spähte er vorsichtig in das dahinterliegende Schlafzimmer.
Spärliches Licht fiel durch die verriegelten Läden vor dem Fenster und enthüllte undeutlich eine Gestalt, die sich unter dicken Laken auf einem Himmelbett zusammengerollt hatte, welches den größten Teil des Raums einnahm. In einer Feuerstelle auf der rechten Seite des Zimmers brannten mit schwachroter Glut ein paar Kohlen und hielten die schlimmste Kälte draußen. Katze schlüpfte in das Zimmer, schloss die Tür hinter sich und schlich zum Bett, leise wie ein Geist. Er hielt den Atem an und erstarrte, als die schlafende Gestalt sich unruhig rührte, bevor sie wieder still lag. Katze trug keine Waffen bei sich. Er vertraute nicht auf Waffen. Er war ein Dachläufer, ein wahrer Künstler in seinem Fach, und keinesfalls einer dieser groben Vandalen und einfallslosen Diebe, die die Nacht unsicher machten. Katze hatte seine Prinzipien.
Reglos verharrte er neben dem Bett, bis er ganz sicher war, sich wieder bewegen zu können, dann beugte er sich über die schlafende Gestalt und streckte die Hand aus. Er wartete bis zu einem geeigneten Augenblick, dann schob er die Hand unter das Kopfkissen und zog eine kleine, mit Messing beschlagene Schatulle hervor. Der Schläfer rührte sich nicht. Katze trat vom Bett zurück und nahm einen kleinen Schlüssel aus dem Beutel aus seinem Gürtel. Vorsichtig probierte er ihn am Schloss der Schatulle aus und grinste breit, als der Deckel aufsprang. Katze öffnete den Behälter ganz, und das fahle Licht des darin ruhenden Kristalls erleuchtete den Raum.
Nebelwelt war ein Planet der Gesetzlosen und deswegen vom Imperialen Handel ausgeschlossen. Hochtechnologie war auf die wenigen Stücke beschränkt, die Schmuggler bei ihren unregelmäßigen Besuchen mitbrachten. Aus diesem Grund stellte der Speicherkristall eines Lektrons eine weitaus lohnendere Beute dar als selbst Diamanten oder Rubine. Katze hatte nicht die geringste Ahnung, welche Informationen in dem Kristall gespeichert waren, aber das war ihm egal. Seine Hehlerin hatte gesagt, es gäbe einen Käufer für das Ding, und das war alles, was Katze interessierte. Er griff in den Beutel an seiner Tasche und zog einen zweiten Kristall hervor, der wie ein Zwilling des ersten in der Dunkelheit leuchtete. Vorsichtig vertauschte er ihn mit dem Kristall in der Schatulle, klappte den Deckel zu und verriegelte das kleine Kästchen wieder. Anschließend steckte er den Schlüssel zurück in den Gürtel, beugte sich erneut vor und schob die Schatulle an den Platz zurück, wo er sie gefunden hatte. Kaum hatte er seine Hand vom Kopfkissen zurückgezogen, als plötzlich die Tür zum Schlafzimmer aufflog. Licht fiel herein, und ein großer Mann mit einer Lampe in der Hand füllte den Türrahmen aus.
Mit einer raschen Bewegung zog Katze das Laken vom Bett und warf es mit verzweifelter Anstrengung über den Kopf des Neuankömmlings. Die schlafende Gestalt, die sich als wunderschöne Frau entpuppte, setzte sich ruckhaft auf und zog hastig ein seidenes Nachthemd zurecht. Katze hielt kurz inne, um ihr ein anerkennendes Zwinkern zuzuwerfen. Der Neuankömmling war zu Boden gegangen und kämpfte wütend mit dem Bettlaken, in das er sich heillos verwickelt hatte. Die Laterne war in den Durchgang gefallen und erfüllte das Zimmer mit ihrem flackernden Licht. Katze entschied, dass es an der Zeit war zu verschwinden. Vorsichtig wich er dem Haufen wütender Bettlaken aus und hielt auf die offene Tür zu, als die Frau im Himmelbett den Mund öffnete und zu singen begann.
Katze sank auf die Knie, als ihre Stimme über ihn hereinbrach und sein Nervensystem lähmte. Eine Sirene! dachte er entsetzt. Sie haben tatsächlich eine Sirene angestellt, um den verdammten Kristall zu bewachen! Das Lied der Sirene ging ihm durch Mark und Bein und ließ seine Muskeln erbeben. Mühsam kämpfte sich Katze auf die Beine und überlegte einen Augenblick, ob er die Frau niederschlagen sollte. Aber jetzt war nicht die Zeit, den Helden zu spielen. Katze stürzte durch die Tür nach draußen, während das Lied der Sirene Wellen von Taubheit durch seine Hände und Füße schickte und seine Sicht verwischte. Ohne weiter auf die druckempfindlichen Paneele im Korridor zu achten, stolperte er durch den Flur in Richtung der Treppe am anderen Ende. Er benötigte seine ganze Konzentration, um nicht dem Gesang der Sirene zu erliegen, der ihm das Bewusstsein zu rauben drohte. Schließlich erreichte Katze das Fenster, durch das er in das Gebäude eingedrungen war, und zog sich zu der engen Öffnung hinauf. Mit der Kraft der Verzweiflung kämpfte er sich nach draußen. Sein Herz drohte vor Schreck auszusetzen, als eine Hand ihn am Knöchel packte und eisern festhielt. Katze strampelte wild, und es gelang ihm, die Hand abzuschütteln. Dann zog er sich ganz durch das Fenster hindurch, packte die Dachrinne und schwang sich auf das Dach hinauf. Er stolperte ein paar Meter von der Kante weg und brach vollkommen erschöpft auf den schneebedeckten Ziegeln zusammen. Eine Zeit lang lag er einfach nur da und zitterte am ganzen Leib, bis ihm nach und nach bewusst wurde, dass er dem Gesang der Sirene entkommen war. Eine Frau, die ihr ESP und ihren Gesang kombinieren und damit die Gedanken jedes Menschen vollkommen durcheinanderbringen konnte, war eine verdammt eindrucksvolle Wache. Außer natürlich, der Einbrecher war taubstumm …
Katze grinste breit, erhob sich und trottete rasch über die schneebedeckten Dächer in den Nebel davon. Zum ersten Mal in seinem Leben war er froh, dass er nichts hören konnte.
Der Empfangsraum von Leon Vertues Büro war warm, gemütlich und viel zu zivilisiert. Jamie Royal hasste den Raum auf den ersten Blick. Sosehr Jamie gutes Leben und Luxus genoss, so sehr verabscheute er, mit der Nase hineingestoßen zu werden. Die Atmosphäre von Reichtum und Überfluss war für seinen Geschmack ganz entschieden zu selbstgefällig. Auf dem Schild über der Eingangstür hatte nur ›SCHMIED‹ gestanden, aber Jamie bezweifelte stark, dass einer der in dieser luxuriösen Umgebung arbeitenden Angestellten einen Amboss erkennen würde, wenn er darüber stolperte. Er seufzte, machte es sich in seinem Lehnsessel bequem und versuchte dabei, den Eindruck zu erwecken, als wäre derartiger Komfort für ihn alltäglich. Verstohlen glitten Jamies Finger über die glatte, glänzende Fläche des Lehnstuhls. Plastik! Das war allerdings wirklicher Luxus. Jamie konnte an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft er in seinem Leben Plastik zu Gesicht bekommen hatte. Mehr und mehr regte sich in ihm das Gefühl, sich zu weit aus seinen bekannten Gewässern vorgewagt zu haben.
Er schlug die Beine übereinander und versuchte, sich zumindest einen entspannten Anschein zu geben. Lässig wanderte sein Blick durch das Büro in der Hoffnung, einen Stilfehler zu finden, über den er die Nase rümpfen könnte. Die Wandvertäfelung aus Holz glänzte stumpf im Licht des kunstvoll aufgeschichteten Feuers, und das einzige, große Fenster des Raums war geschlossen, die Läden zum Schutz gegen die Kälte der Nacht verriegelt. Der größte Teil der Raumbeleuchtung entsprang einer Lichtsphäre, die zur Hälfte in die Decke eingelassen war. Jamie hielt nicht sonderlich viel von elektrischem Licht. Es war heller als gewohnt, und das gleichmäßige, intensive Leuchten behagte ihm erst recht nicht. Elektrisches Licht hatte so etwas Kaltes an sich, etwas … Unnatürliches. Jamie verdrängte den Gedanken aus dem Kopf und richtete seine Aufmerksamkeit auf die üppige rothaarige Sekretärin, die hinter ihrem Schalter saß. Ihre makellose Haut leuchtete selbst im harten, erbarmungslosen elektrischen Licht wie Pfirsich mit Sahne, und ihre Gesichtszüge waren scharf geschnitten und von klassischer Perfektion. Die Figur war einfach spektakulär. Jamie räusperte sich laut und schenkte der Rothaarigen sein charmantestes Lächeln, aber sie schien nicht sonderlich beeindruckt. Enttäuscht ließ Jamie seinen Blick erneut durch das Büro schweifen.
Auf dem Couchtisch vor ihm lagen einige Magazine und Zeitungen, aber nichts, das nicht schon mindestens eine Woche alt und ein gutes Stück über das Datum hinaus war, zu dem es eigentlich der Wiederverwertung hätte zugeführt werden müssen. Die Schlagzeilen der Nachrichtenblätter befassten sich in der Hauptsache mit der Entdeckung des Wracks des abgestürzten Sternenkreuzers Donnersturm sowie verschiedenen Korruptionsvorwürfen gegen die örtliche Kommunikationsgilde. Überholte Meldungen, und doch noch nicht alt genug, um im Nachhinein wieder interessant zu werden. Jamie Royal lehnte sich erneut in dem luxuriösen Sessel zurück und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Seit er sich von seiner letzten Partnerin getrennt hatte, gingen die Geschäfte noch schlechter als zuvor. Jamie war sozusagen vom Regen in die Traufe gekommen. Madeleine Skye hatte eine hervorragende Partnerin abgegeben, doch unglücklicherweise war sie von zu vielen Skrupeln geplagt worden. Teilweise trug ihre Schwester daran Schuld, die liebe Jessica. Ein nettes Mädchen, ganz wie Madeleine, aber ungefähr so nützlich wie ein Wasserkessel aus Schokolade. Es blieb Jamie unverständlich, wie um alles in der Welt eine Kämpferin wie Madeleine an so ein nasses Handtuch von Schwester hatte geraten können. Bei der Erinnerung an Jessica stahl sich ein schwaches Grinsen auf Jamies Gesicht. Jessica war von ihm auch nicht besonders angetan gewesen.
Nachträglich betrachtet schien es beinahe wie ein kleines Wunder, dass Madeleine und Jamie so lange zusammengeblieben waren. Jamie gestand es sich nur ungern ein, aber er vermisste Madeleine. Wenn schon nichts anderes, so hätte sie sicher genügend Gespür besessen, um ihn von Leuten wie denen hier fernzuhalten. Jamie lächelte liebevoll. Die süße Madeleine. Eine gute Kämpferin und eine noch bessere Partnerin. Wenn die Dinge nur anders gelaufen wären … Jamie schüttelte entschlossen den Kopf. Was vorbei war, war vorbei. Ende. Punkt.
Gelangweilt blickte er sich weiter um. Die Empfangsdame polierte mit großer Sorgfalt und immenser Konzentration ihre Fingernägel, aber Jamie fiel nicht darauf herein. Er hatte das Wurfmesser gesehen, das an ihren hübschen Oberschenkel geschnallt war. Er seufzte aufrichtig bedauernd und rutschte unbehaglich in seinem Plastiksessel hin und her. Es gab ganz eindeutig so etwas wie zu viel Komfort. Gewöhne dich an ein Leben in Luxus, und ehe du dich versiehst, wirst du weich. In Jamies Geschäft war Weichheit tödlich. Jamie Royal hatte Feinde – und zwar eine ganze Menge. Und er hatte Schulden, sogar eine ganze Menge mehr als Feinde. Das war schließlich auch der Grund, weshalb er zu Leon Vertues Körperbank gekommen war.
»Jamie Royal? Doktor Vertue wird Euch jetzt empfangen.«
»Wie nett von ihm«, murmelte Jamie. Die Empfangsdame gestikulierte träge in Richtung der Tür zu ihrer Linken und wandte sich wieder der Pflege ihrer langen Fingernägel zu. Sie blickte nicht einmal auf, als Jamie an ihrem Schreibtisch vorbeikam. Er seufzte resignierend. Man konnte eben nicht alle gewinnen.
Die Tür führte zu einem langen, schmalen, von einem ganzen Dutzend in regelmäßigen Abständen in die Decke eingelassenen Lichtsphären strahlend hell erleuchteten Korridor. Jamie riss sich gewaltsam vom Anblick der Sphären los und schluckte mühsam. Er hatte gewusst, dass Vertue ein reicher Mann war, aber eine so unübersehbare Verschwendung elektrischer Energie beeindruckte ihn höllisch. Jamie hätte länger als ein Jahr in Saus und Braus leben können von dem Geld, das Vertue allein für die Installation der Lichtsphären ausgegeben haben musste. Er riss sich zusammen und eilte den Korridor hinab. Man durfte Vertue nicht warten lassen. Die Leute erzählten sich, dass er in solchen Dingen empfindlich reagierte.
Auf der Hälfte des Weges beschrieb der Korridor eine scharfe Biegung und endete schließlich vor einer einzelnen großen Tür aus poliertem Stahl. Jamie suchte nach einem Griff, aber es gab nichts Derartiges. Geduldig wartete er vor der Stahltür und musterte sein Spiegelbild in der polierten Fläche. Es wirkte zuversichtlicher, als er sich in Wirklichkeit fühlte, aber das bedeutete nicht viel. Jamie zog seine Jacke glatt und korrigierte den Sitz seines Umhangs, sodass er einen vorteilhafteren Anblick bot. Dem grauen Kleidungsstück sah man sein Alter deutlich an, doch es hielt noch immer die größte Kälte und den Schnee von seinem Träger ab, und mehr hatte Jamie noch nie von einem Umhang erwartet. Jamie schnitt seinem Spiegelbild eine Grimasse und versuchte, rau und einschüchternd dreinzublicken, aber das Spiegelbild blieb starrköpfig unbeeindruckend. Jamie Royal war groß gewachsen und hager, und obwohl erst Mitte zwanzig, bereits auf dem besten Weg, eine vorzeitige Glatze zu entwickeln. Sein Kinn war nur schwach ausgeprägt, seine Haltung schlaff, und wenn er überhaupt Muskeln besaß, dann hatte er sie jedenfalls gut versteckt. Man hätte ihn leicht als harmlos einstufen können, wären da nicht seine Augen gewesen. Jamies Augen waren dunkel und intensiv und äußerst lebendig. Sie konnten alles ausdrücken, von Kameradschaft über treue Unterstützung bis hin zu Sympathie, die mitten aus dem Herzen zu kommen schien, ohne dass Jamie auch nur eine Spur davon meinte. Es waren die Augen eines Bauernfängers, und Jamie war sehr stolz auf sie.
Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen, während er darauf wartete, dass die große stählerne Tür sich öffnete, und seine Hände bewegten sich rastlos an seinen Seiten. Jamie vermisste Schwert und Dolch, die er im Empfangsraum hatte zurücklassen müssen. Vertue war höchstwahrscheinlich der am meisten geächtete Mann von ganz Nebelhafen, und er ging kein Risiko ein. In manchen Vierteln stieg die Belohnung auf seinen Kopf noch immer, vorzugsweise abgetrennt vom Rest des Körpers. Jamie blickte zu der Sicherheitskamera über seinem Kopf und lächelte schmeichlerisch. Das leicht bedrohliche Zischen dekomprimierender Luft ertönte, und die Tür schwang langsam nach innen. Jamie richtete sich zu seiner vollen Größe auf und stapfte in Doktor Vertues Büro, als wäre er hier daheim.
Die Wände des großen Zimmers waren mit glänzendem Kristall bedeckt, in dem der Schein einer einzelnen Sphäre reflektierte, die so den gesamten Raum mit kaltem, silbernem Licht erfüllte. Jamie blieb unvermittelt stehen, als die Tür hinter ihm krachend zufiel. Dutzende sperriger Stahlbehälter nahmen den größten Teil des freien Raums ein, und obwohl Jamie solche Behälter noch nie zuvor gesehen hatte, wusste er genau, um was es sich dabei handelte: Wiedergewinnungstanks. Apparate, in denen ein menschlicher Körper in seine Bestandteile zerlegt werden konnte …
Jeder der Behälter war von einer dicken Reifschicht bedeckt, und Jamie erschauerte unwillkürlich, als sein Blick darüber hinwegglitt. So kalt die Straßen von Nebelhafen auch sein mochten: dieser Ort hier war kälter. Tod hing in der gefrorenen Luft wie das verklingende Echo eines verzweifelten Schreis. Jamie zog seinen Umhang um die Schultern und trat schließlich zögernd vor, um die beiden Männer zu treffen, die ungeduldig neben dem am nächsten stehenden Wiedergewinnungstank auf ihn warteten.
Der zu groß geratene, gebeugt dastehende Mann zur Linken war Doktor Vertue. In seinen dicken, schmuddelig weißen Fellen wirkte er auf Jamie wie ein hungriger Wolf. Das lange weiße Haar des Doktors hing in fettigen Strähnen über die Schultern und betonte seine hageren Züge noch. Die Hände wirkten groß und kräftig. Sie waren makellos gepflegt. Die Hände eines Chirurgen. Jamie erkannte Vertue augenblicklich, obwohl er ihm noch nie zuvor begegnet war. Die meisten Einwohner Nebelhafens hatten bereits von Doktor Vertue gehört, aber niemand gab sich freiwillig mit ihm ab. Vertue war Besitzer und Geschäftsführer von Nebelhafens größter Körperbank. Selbstverständlich waren solche Banken illegal, doch jemand, der zum Überleben dringend eine Organtransplantation benötigt, hält sich nicht lange mit der Frage nach der Herkunft des Spenderorgans auf. Und es gab immer reichlich Männer und Frauen in den dunklen Seitengassen und Alleen, deren Verschwinden niemandem auffiel …
Der Mann neben Doktor Vertue war Jamie fremd, aber er erkannte den Typ. Der Unbekannte wirkte hart, bösartig und kompetent, und er trug das lange pechschwarze Haar nach Art der Söldner im Nacken zusammengebunden. Die scharfen Linien in seinem Gesicht verrieten, dass er mindestens Anfang vierzig war, doch als der Söldner sein Gewicht ungeduldig von einem Bein auf das andere verlagerte, war an den dicken Muskelsträngen keine Spur von Weichheit oder Altersmüdigkeit zu entdecken. Der Fremde trug einen schmucklosen schwarzen Thermoanzug und einen Halbumhang aus dunklem Pelz. An der linken Hüfte erblickte Jamie ein Schwert, an der rechten einen Disruptor. Auf dem Gesicht und der Stirn des Mannes waren die rituellen Narben zu sehen, die ihren Träger als Angehörigen des Falkenclans auswiesen, und das bedeutete, dass er zu den besten professionellen Kämpfern des Imperiums gehörte. Es bedeutete außerdem, dass seine Dienste extrem kostspielig waren. Jamie überlegte, wie viele Menschen der Söldner während seiner langen Laufbahn bereits umgebracht haben mochte, aber dann entschied er hastig, lieber nicht darüber nachzudenken. Selbst jetzt, da der Fremde vollkommen still und entspannt dastand, war etwas … Gefährliches an dem Mann. Jamie wandte den Blick ab und wünschte sich sehnlichst, woanders zu sein. Egal wo.
Jamies Augen wanderten unruhig über den transparenten Deckel des Wiedergewinnungstanks vor ihm. Wirbelnde blaue Nebel verhüllten den Blick auf das Innere der Apparatur und erweckten in Jamie beinahe den Eindruck, als würden sie ununterbrochen zu entkommen versuchen. Jamie überlegte kurz, ob wohl ein Körper im Tank lag, und wenn, ob es jemand war, den er gekannt hatte. Er sagte sich, dass die Sache ihn nichts anging, und blickte wieder zu Doktor Vertue und seinem Söldner. Höflich hüstelte Jamie, um anzudeuten, dass er auf den Beginn der Unterredung wartete. Doktor Vertue grinste träge. Die blassen Augen und das lange weiße Haar verliehen Vertue ein anämisches, ausgewaschenes Aussehen, aber Jamie ließ sich dadurch nicht täuschen. Vertues Lächeln verriet das Raubtier, das in dem Arzt steckte.
»Mein lieber Jamie«, begann Vertue mit samtener Stimme. »Sehr freundlich von Euch, dass Ihr meiner kurzfristigen Aufforderung zu einem Besuch nachgekommen seid. Nicht, dass Euch in dieser Angelegenheit eine Wahl geblieben wäre. Natürlich nicht.«
»Natürlich nicht«, stimmte Jamie zu. »Und was zur Hölle wollt Ihr von mir?«
Der Söldner versteifte sich, doch Jamie hielt den Blick unverwandt auf Doktor Vertue gerichtet. Er durfte sich nicht erlauben, eingeschüchtert zu wirken, oder sie würden ihn überrollen. Er wusste, genau wie Vertue und sein Söldner auch, dass er alles machen würde, was sie von ihm verlangten, aber wenn er sich wie ein Diener verhielt, dann würden sie ihn auch so behandeln. Jamie hatte nur eine einzige Chance, mit heiler Haut davonzukommen, und die bestand darin, so zu tun, als hätte er noch ein oder zwei Asse im Ärmel … obwohl ihm in seiner gegenwärtigen Situation auch schon ein Bube oder eine Zehn willkommen gewesen wäre.
»Ich möchte, dass Ihr mir einen Gefallen erweist, Jamie«, sagte Vertue. Er grinste noch immer. »Und als Gegenleistung werde ich Euch einen Gefallen erweisen. Nichts einfacher als das, oder?«
»Ja, nichts einfacher als das«, bestätigte Jamie. »Werdet einfach ein wenig deutlicher, damit ich entscheiden kann, ob ich interessiert bin oder nicht.«
»Soll ich ihm vielleicht einen oder beide Arme brechen?«, fragte der Söldner. Seine Stimme klang tief und angenehm, als hätte er lediglich nach der Zeit gefragt.
»Vielleicht später«, erwiderte Doktor Vertue. »Ihr müsst Jamie sein Benehmen nachsehen, mein lieber Schwarzpeter. Er besitzt verborgene Qualitäten.«
»Ich muss niemandem etwas nachsehen, Doktor«, widersprach Schwarzpeter. »Aber Ihr seid der Boss.«
Jamie spürte, wie sich trotz der Kälte Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Er bezweifelte nicht eine Sekunde, dass der Söldner auch meinte, was er gesagt hatte.
»Bitte verzeiht mir, dass ich Euch in diesem unterkühlten Klima empfange«, wandte sich Doktor Vertue wieder an Jamie. »Aber ich habe hier eine Arbeit zu erledigen, die nicht lange warten kann. Ihr versteht das sicher; ich möchte nicht, dass die Ware verdirbt …«
»Jemand, den ich kenne?«, fragte Jamie leichthin.
»Ich denke schon«, antwortete Doktor Vertue. »Ihr Name lautete Skye. Madeleine Skye.«
Jamie kämpfte darum, nicht die Fassung zu verlieren. Nein! Nicht Madeleine! O nein … Sie waren beinahe drei Jahre lang Partner gewesen. Zwar waren sie nie ein Liebespaar geworden, aber es hätte sein können. Madeleine Skye. Eine gute Frau, die einem im Kampf den Rücken freihielt oder in einer Taverne mit einem trank. Jamie und Madeleine hatten zusammen Hunderte verschiedener Aufträge auf beiden Seiten des Gesetzes durchgeführt. Er hatte ihren Mut bewundert, genau wie ihre Professionalität. Die verdammt beste Partnerin, die er je gehabt hatte. Jamie Royal besaß einen ziemlich großen Bekanntenkreis, aber nur wenige Freunde. Und jetzt war es noch einer weniger.
Ihr verdammten Bastarde …
Jamies Hände ballten sich zu Fäusten. Er warf einen Blick zu Schwarzpeter und erkannte instinktiv, dass der Söldner nur darauf wartete, dass Jamie etwas Unüberlegtes tun würde. Jamie kämpfte seinen Ärger nieder und fühlte, wie die Wut kalt und zornig in seinen Eingeweiden brannte. Später würde sich noch immer ausreichend Gelegenheit zur Rache finden.
»Wer hat sie … umgebracht?«, fragte er leise.
»Was meint Ihr wohl, wer es gewesen sein könnte?«, erwiderte Doktor Vertue spöttisch.
Jamie achtete sorgsam darauf, den grinsenden Söldner nicht anzusehen.
»Also ist Madeleine tot«, sagte er leise. »Soll ich deswegen beeindruckt sein?«
»Ich würde eher sagen eingeschüchtert«, entgegnete Doktor Vertue. »Seid Ihr jetzt bereit, über das Geschäftliche zu reden?«
Jamie Royal holte tief Luft. Die Kälte schmerzte in seinen Lungen, und der Schmerz half, ihn zu beruhigen. Nicht zum ersten Mal schwor er sich, endlich mit dem Würfelspiel aufzuhören. Jamies Gewinne hielten nie lange vor, und wenn er verlor, fand er sich jedes Mal in Situationen wie dieser hier wieder. Jamie hatte schon für alle möglichen Leute gearbeitet, aber Doktor Vertue bildete mit großem Abstand sein historisches Tief. Manche Leute behaupteten, Vertue sei ein Klonpascher gewesen, bevor er sich auf Nebelwelt niedergelassen hatte, und Jamie schenkte den Gerüchten gerne Glauben.
»Ich bin immer bereit, über Geschäfte zu reden«, erklärte er fest. »An was genau dachtet Ihr?«
»Nichts allzu Schwieriges«, schnurrte Vertue sanft wie eine Katze. »Ihr kennt die Schwarzdorn-Taverne?«
»Sicher«, entgegnete Jamie. »Cyders Taverne. Die hartherzigste Hehlerin von ganz Nebelhafen. Wenigstens sind ihre Preise fair … mehr oder weniger jedenfalls.«
Vertue zog ein dünnes Päckchen unter seinen Fellen hervor und reichte es Jamie, der es entgegennahm und ob des Gewichts überrascht die Augenbrauen hob.
»Cyder hat eine Lieferung für mich«, sagte Vertue. »Ich möchte, dass Ihr morgen Abend in den Schwarzdorn geht, das Paket für mich in Empfang nehmt und Cyder im Gegenzug das da gebt. Ich vertraue Euch eine große Summe an, mein lieber Jamie. Gebt acht, dass Ihr das Päckchen nicht auf dem Weg zum Schwarzdorn verliert.«
Jamie nickte und schob das Päckchen in eine Innentasche. »Dieses Paket, das ich für Euch in Empfang nehme – was beinhaltet es?«
»Einen Speicherkristall. Behandelt es vorsichtig, Jamie; soweit es mich und meine Kompagnons betrifft, ist die Sicherheit des Kristalls weitaus wichtiger als die Eure. Sollte der Kristall sich auf irgendeine Weise als beschädigt oder unbrauchbar erweisen, würde mich das sehr zornig machen. Bringt mir den Kristall, übergebt ihn mir persönlich, und Ihr habt Euren Auftrag erfüllt. Als Gegenleistung werde ich Eure Schulden begleichen. Restlos alle.«
»Das ist alles?« Jamie runzelte die Stirn. »Ihr müsst verrückt sein, Vertue. Es gibt beliebig viele Kuriere, die diesen Auftrag für ein Zehntel des Geldes erledigen würden, das es Euch kostet, all meine Schulden zu bezahlen. Warum bemüht Ihr ausgerechnet mich?«
»Ich benötige jemanden, der sowohl verlässlich als auch diskret ist«, erwiderte Vertue liebenswürdig. »Ganz zu schweigen von verzweifelt. Ich bin sicher, Ihr seid Euch der Tatsache bewusst, dass der Diebstahl von Speicherkristallen in Nebelhafen mit dem Tod bestraft wird. Ihr werdet diesen kleinen Auftrag dennoch für mich erledigen, nicht wahr, mein lieber Jamie?«
»Was macht Euch eigentlich so sicher, dass Ihr mir trauen könnt?«
»Man sagt, Euer Wort wäre gut«, antwortete Vertue lächelnd. Der Gedanke schien ihn zu amüsieren. »Und außerdem seid Ihr und Cyder gute Bekannte. Gut genug jedenfalls, dass keiner von Euch auch nur auf den Gedanken kommt, ein doppeltes Spiel zu spielen.«
»Einfach mal angenommen, ich würde es trotzdem versuchen«, sagte Jamie. »Was könntet Ihr schon …«
Schwarzpeter beugte sich unvermittelt vor, und eine Narbenhand schoss hoch und legte sich um Jamies Kehle. Der Söldner warf Jamie hintenüber auf den kalten Wiedergewinnungstank, packte ihn auch noch am Gürtel und hob ihn ganz hoch. Schwarzpeter hielt sein Opfer über die Öffnung der Maschine, und Doktor Vertue schob den Deckel zur Seite. Dann ließ der Söldner Jamie in die leuchtenden blauen Nebel hinab. Jamie wehrte sich verzweifelt, hustete und schnappte nach Luft, aber er schaffte es nicht, dem eisernen Griff des Söldners zu entkommen. Jamie riss den Kopf herum und starrte mit hervorquellenden Augen in den Nebel unter sich. Die blauen Wolken wirbelten hungrig, beinahe gierig, und darunter reflektierte das Licht auf den vielen Sägen und Skalpellen, die bereitstanden, Jamie in seine Bestandteile zu zerlegen: soundsoviel Haut, soundsoviele Knochen und Knorpel, die Organe und natürlich die Augen.
Es herrschte immer rege Nachfrage nach Augen. Schwarzpeter ließ sein Opfer weiter hinab in den Nebel, und nur die würgende Hand des Söldners verhinderte, dass Jamie laut zu kreischen begann.
»Genug«, befahl Doktor Vertue. Zögernd hob Schwarzpeter Jamie wieder aus dem Tank, stellte ihn unsanft auf die eigenen Beine und ließ ihn los. Jamie sackte an der Seite des Tanks zusammen. Er schnappte nach Luft und versuchte erst gar nicht, das Zittern in seinen Beinen zu verbergen. Lebendig in einen Wiedergewinnungstank geworfen zu werden, Zentimeter um Zentimeter zu sterben, während blutige Sägen und Skalpelle in das Fleisch schnitten …
Es tut mir leid, Madeleine …Ich bin nicht einmal stark genug, deinen Tod zu rächen. Ich habe zu viel Angst.
Jamie bemerkte, dass er sich haltsuchend gegen den Wiedergewinnungstank gelehnt hatte. Sofort richtete er sich wieder auf. Vertue kicherte leise vor sich hin. Schwarzpeter verzog keine Miene.
»Ihr würdet mich nicht verraten, mein lieber Jamie, nicht wahr?«, sagte Doktor Vertue. »Wer sonst könnte sich schon leisten, alle Eure Schulden zu begleichen? Und außerdem, wenn Ihr auch nur daran denken solltet, dann schicke ich Schwarzpeter hinter Euch her. Ihr habt eine sehr schöne Haut, mein lieber Jamie. Ich könnte fünftausend Kredits pro Quadratzentimeter davon kriegen … Geht morgen Abend zur Schwarzdorn-Taverne und nehmt Cyders Paket in Empfang. Bezahlt es und macht, dass Ihr wieder herkommt. Das ist alles. Verstanden?«
»Verstanden«, antwortete Jamie. »Kann ich jetzt gehen?«
»Aber sicher«, erwiderte Doktor Vertue.