Necrophobios - Marius Sebastian - E-Book

Necrophobios E-Book

Marius Sebastian

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Beschreibung

Die Aufgabe des Totengräbers is es, Gräber auszuheben und zu schließen. Obendrein übernimmt er Grabpflege und ist maßgeblich an Bestattungen beteiligt. Im Mittelalter galt dies als ein verachteter "unehrlicher Beruf"... 

Dies ist die Geschichte von Morten, dem Totengräber, der beim Ausheben eines neuen Grabes das wahre Grauen erlebt... 

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Marius Sebastian

Necrophobios

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Necrophobios

NECROPHOBIOS

 

Grauenhafte Nächte, die einem jeden stets unvergessen in Erinnerung bleiben, werfen immer ihre Schatten voraus. Unheimliche Dunkelheit verbreitet sich und legt sich wie ein schwarzer, bleierner Schleier auf die Dächer dieser Welt. Geheimnisvolle Schatten strömen durch die Finsternis auf ihrer blutigen Suche nach frischem Fleisch. Am liebsten ist ihnen das rohe, noch junge Kinderfleisch in noch voller, unverbrauchter Pracht. Die Angst verbreitet sich in den Köpfen der Menschen wie eine grauenhafte Erkrankung, die Beulen der Pest mit sich bringt und jegliche zarte, anmutige Existenz in die finsteren Tiefen toter Unterwelt zieht. Tränen schießen in solchen Momenten in die feinfühligen Augen der Lebenden. Ihre Hände erzittern vor Furcht. Die Neugeborenen schreien, angesichts solch unbarmherziger Gewalt, die den Lauf der Dinge auf der Welt bestimmt. Ihre Gedanken rennen in alle Richtungen. Von Panik erfüllt versuchen sie ihrem Schicksal zu entfliehen, doch rennen sie nur in die kalten, knorrigen Finger des lauernden Sensenmannes, der ihnen hoffnungsverheißend die Hand entgegenstreckt und sie mit sich nimmt, über den See des Vergessens in das ewige Leben jenseits der Grenzen der Existenz. Schnell! Nur noch schnell die Tür zusperren! Rettet euch! Schon bald beginnt der nie enden wollende Albtraum der Verfinsterung und reißt euch und alles andere mit sich in den tiefen Strudel abgrundtiefer Pein.

 

Ebenso begab es sich auch in dieser Nacht. Die geheimnisvolle, unheilbringende Dunkelheit brach über das Dorf herein und legte sich, einem schaudererregenden Leichentuche gleich, auf die kalten Dächer des Ortes. Sie riss sämtliche Häuser mit sich in die geheimnisvolle, unnachgiebige Finsternis. Unheimliche Schatten schlenderten durch die alten, grauen, vermodernden Straßen auf ihrer gruseligen Suche nach Nahrung. Angst und Verzweiflung suchten die Menschen heim. Zarte Melancholie ließ ihre Herzen zerspringen. Eine öde, herzergreifende Schwere lag auf ihren Seelen. Die Schwermut nagte an ihnen, wie eine Ratte an altem Fraß. In ihrer Naivität verschlossen sie sämtliche Türen und Fenster vor der mysteriösen Schwärze. So hofften sie, dass die seltsamen Gestalten ihre Anwesenheit nicht bemerkten und still weiterzogen, doch die Furcht zerrte weiter unnachgiebig an ihnen. Es war eine alte Zeit. Durchwachsen von Aberglauben und Angst. Das finstere Mittelalter war gerade erst vorbei. Wölfe heulten im Mondlicht. Kirchliche Glockenklänge bereiten sich darauf vor, das neue Jahrhundert einzuläuten. Hohle Geräusche in abgrundtiefer Dunkelheit.

 

Morten machte sich auf den Weg zur Arbeit. Mit einer, trotz seines hohen Alters, schnellen Bewegung warf er sich den schwarzen Samtmantel über die Schultern und setzte sich den dunklen Zylinder auf den Kopf. Seine silbergrauen Haare lagen würmergleich auf seinen knorrigen Schultern. Nachdem er sich die schwarzen Stiefel zugebunden hatte, trat er aus der Tür auf die Straße. Kurz drehte er sich in alter Gewohnheit um, verschloss die Tür mit seinem bronzefarbenen Schlüssel und ging. Erfreut blickte er gen Himmel und sah den silberweißen Mond am Himmel stehen. Nicht ein Stern war am großen Firmament zu erkennen. Ein neuer Arbeitstag für ihn begann. Er arbeitete stetig nur in der Nacht. Die Nacht war sein Mantel. Sie schenkte ihm Kraft und Schutz, aber auch ein leichtes, nur scheinbares Gefühl von Sicherheit. Und so trat er schnellen Schrittes voran.

 

Zum Friedhof war es nur ein kleines Stück. Mortens Blick fiel auf die alte Kapelle, die den Weg zum Totenacker säumte. In der Finsternis wirkte sie kalt und Unheil bringend. Sie war aus dunklem Backstein gefertigt. Kleine Risse zogen sich durch den Bau. Das Dach thronte verfallen über der dunklen Erde. Im schwachen Dämmerlicht des Mondes wirkten die Ziegel wie grinsende Fratzen aus der Hölle. Das marode, steinerne Christenkreuz, welches die Kapelle in einen scheinbar heiligen Ort verwandeln sollte und auf der turmähnlichen Dachspitze seinen Platz fand, wirkte mystisch und alt. Hinter den bunten Fenstern, die Bilder von Heiligen als bunte Mosaike darstellten, tanzten unheimliche Schatten von eintausend brennenden Kerzen. Hier gedachten die Hinterbliebenen ihren Angehörigen, die dem Tode in die kalten, verwesenden Hände gelaufen waren. Morten ließ sich nicht von dem gruseligen Anblick fesseln und trat weiter voran. Er erreichte die verfallenden Steintürme, auf denen die riesigen Raben thronten. Wie immer, wenn er die schwarzen Skulpturen erblickte, erfasste ihn ein leichtes Gefühl von Schauder. Nur einmal hatte er sie bei schwachem Dämmerlicht gesehen. An diesem Tage war es ihm so, als würden die Augen der Tiere direkt in seine Seele sehen. Es war der Tag, an dem er sich hier um die ausgeschriebene Stelle als Totengräber im Dorf bewarb. Morten erinnerte sich zaghaft lächelnd an den Abend zurück, während er still durch die Straßen trat. Es schien eine Ewigkeit her gewesen zu sein.

 

*

 

Morten war damals noch ein junger Mann. Mitte Zwanzig, aufgeschlossen, hilfsbereit. Er hatte alle schlechten Eigenschaften abgelegt, die er in der Kindheit aufwies, als er von zuhause verschwand. Er hatte es bei seinem alkoholabhängigen Vater keinen Tag mehr länger ausgehalten. Stetige Schläge, das Geschrei, jeden Abend nur Ärger und Quälereien. Den ganzen Tag lang musste er auf dem alten, heruntergekommenen Bauernhof seines Vaters arbeiten. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Mitunter auch länger, bis spät in die Nacht. Jeden Tag. Freie Tage, an denen er sich von seinen Strapazen hätte erholen können, gab es für ihn nicht. Auch Pausen waren ein Tabu. Immer, wenn er sich kurz hinsetzen wollte, um sich von der anstrengenden Arbeit während der Viehzucht zu erholen, regnete es Schläge seines stetig betrunkenen Vaters. Morten konnte sich nicht mehr daran erinnern, seinen Vater jemals nüchtern gesehen zu haben, seit dieser, kurz nach Mortens Geburt und dem geheimnisvollen Tod seiner Frau, dem Wein verfallen war.

 

Eines Tages, als er des Abends schwer geschafft aus der Scheune ins Haus trat und in dem Wohnraum stand, abgestandene Luft durchsetzte wie giftiger Nebel den Raum, hörte Morten wie zufällig ein unbekanntes Geräusch aus dem alten Elternhaus widerhallen. Es klang wie das erregte Stöhnen einer unbekannten weiblichen Frau. Irgendwie verlockend. Morten kam nicht umhin, sich zu fragen, woher dieser geheimnisvolle Klang wohl kam. So trat er nach oben über die alte Wendeltreppe, die der Vater vor Jahren selbst erbaute. Sie war aus edlem Kiefernholz gefertigt. An der Wand war, als eine Art Geländer, eine knorrige hölzerne Stange angebracht. Auch sie wurde einst aus teurem Kiefernholz gefertigt. Morten fragte sich plötzlich, während er die schweren, knarrenden Stufen nach oben trat, wie sich der Vater dieses teure Holz wohl hatte leisten können. Die beiden waren doch sehr arm und hatten oft nur Wasser und Brot zu essen. Nur einmal in der Woche, wenn der Vater auf dem Markt nicht alles Vieh verkaufen konnte, gab es ein Stück altes Fleisch von einer Kuh oder einem Schwein mit Kartoffeln und Bohnen. Besser als immer nur Wasser und Brot, dachte sich Morten dann stets, während er das warme Essen gierig hinunterschlang.