Neubeginn - Sel Graymore - E-Book

Neubeginn E-Book

Sel Graymore

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Beschreibung

Wir alle brauchen von Zeit zu Zeit einen Neuanfang. Oft ist dieser jedoch mit Hindernissen gesäht. Aber welchen Herausforderungen sich Tom, Aiden, Jadon, Ray und die anderen auch stellen müssen, sie glauben an die Liebe Fünf heiße Lovestorys, die beweisen, dass man sein Glück niemals aufgeben darf. Destiny Meeting Call Boy Fashion Love 50 shades of Ray Neuanfang

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Widmung

Dieses Buch widme ich einem ganz besonderen Menschen. Einem der mich immer so geliebt hat wie ich bin. Der mich nie verurteilt oder kritisiert hat. Leider ist er dieses Jahr für immer von mir gegangen und ich vermisse ihn jeden Tag. Er hat mein Leben sehr bereichert und ich liebe ihn wie keinen anderen.

R.I.P Wolfi

Ähnlichkeiten zu realen Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

Inhaltsverzeichnis

Destiny Meeting

Call Boy

Fashion Love

50 Shades of Ray

Neuanfang

Wie immer stand ich verbotenerweise hinter dem Hotel am Notausgang und inhalierte meine Zigarette. Von hier hinten hatte man einen schönen Blick in den Nadelwald, der direkt ans Hotel angrenzte. Ich genoss die wenigen „gestohlenen“ ruhigen Momente und hing meinen Gedanken nach, als ich aus dem Unterholz ein Knacken und Stöhnen vernahm. Sollte ein Wildschwein bis zum Hotel vorgedrungen sein? Ein- oder zweimal im Jahr hatten wir das Problem. Doch ich selbst habe noch nie eins zu Gesicht bekommen. Wie hypnotisiert starrte ich auf die Stelle, wo sich jetzt auch das Gestrüpp auseinanderbog und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Ein junger Mann, höchstens Anfang 20 stolperte aus dem Wald. Er strauchelte, hielt sich kaum aufrecht und zuerst dachte ich, er sei betrunken. Doch dann erkannte ich, dass er Verletzungen an Armen und Beinen hatte und warf meine Zigarette in den Gully, um ihm entgegenzueilen. Kaum war ich bei ihm angekommen und hatte meinen Arm stützend um seine Schulter gelegt, da verdrehte er schon die Augen und wurde ohnmächtig. Gott sei Dank, ging ich regelmäßig in die Muckibude und konnte ihn vor einem Sturz bewahren.

Auf meinen Armen trug ich den Jungen ins Hotel. Hier unten gab es nur die Zimmer für die Saisonarbeiter und es waren zum Glück gleich mehrere nicht belegt, wie ich wusste. Da ich den Generalschlüssel innehatte, schloss ich kurzerhand das erstbeste Zimmer auf und trug den Verletzten zum Bett. Als ich ihn abgelegt hatte, drang ein qualvolles Stöhnen an meine Ohren. Jetzt erst konnte ich erkennen, dass seine Hose und auch das T-Shirt voll mit Blut gesaugt war und ich jetzt auch besudelt war. Ich griff nach dem Telefon, um die Ambulanz zu rufen und stellte fest, dass die Anlage mal wieder nicht funktionierte. Ich musste also zur Rezeption. Doch so wie ich aussah, würde es sicher Ärger geben. Mein Handy und auch Wechselklamotten waren in meinem Spind. Wenn ich mich beeilte, würde niemand etwas mitbekommen. Ich drehte mich zur Tür, da hörte ich ein Flüstern:

„Nein, nicht gehen.“ Ich wand mich wieder dem Verletzten zu, dessen glasige Augen zu mir aufsahen. „Ich muss nur den Arzt rufen, ich habe kein Handy dabei. Du musst ins Krankenhaus“, erklärte ich mit sanfter Stimme. Der arme Junge zitterte jetzt und bekam einen Heulanfall. Ob von den Schmerzen oder von was auch immer, ich musste Hilfe holen.

„Ich bin in 5 Minuten wieder da, versprochen!“ Doch der Junge schluchzte und zitterte so sehr, dass er nicht mitbekam, wie ich zur Umkleide raste. Unterwegs traf ich einen Kollegen aus dem Restaurant.

„Hey Mike, ich bin in der Pause. Es gibt da eine Sache, die ich klären muss. Wenn was ist, ruf mich auf dem Handy an!“ Im Rekordtempo hatte ich mich umgezogen und die Ambulanz schon gerufen, als ich zurück in das Zimmer kam. Der Junge atmete flach.

„Hör zu, ich lass den Notarzt schnell rein. Es wird alles wieder gut, versprochen!“ Doch der Junge schien in Ohnmacht gefallen zu sein.

„Wissen Sie, was mit ihm passiert ist?“ wollte der Arzt wissen.

„Er kam verletzt aus dem Wald gestolpert. Ich habe keine Ahnung. Er hat kurz gesprochen, dann aber einen Heulanfall bekommen.“

„Nun, es scheint, als wären die Verletzungen auf einen Angriff zurückzuführen. Allerdings kein Tier, vielleicht ein Überfall. Die Polizei wird sich darum kümmern. Sie werden sicher noch aussagen müssen. Wissen Sie, ob er irgendwas dabeihatte? Ausweis oder Brieftasche, Handy?“

Ich konnte nur den Kopf schütteln. Als ob ich in dieser Situation den Jungen auch noch durchsucht hätte. Der Krankenwagen nahm den bewusstlosen Jungen mit und ich ging zurück an meinen Arbeitsplatz. Ich musste wohl oder übel meinen Chef in Kenntnis setzen, denn wenn die Polizei auftauchte, würde es sicher Fragen vom Chef geben. Nur wie sollte ich ihm erklären, was ich am Notausgang gesucht hatte? Ich müsste meine Zigarettenpause gestehen. Vielleicht könnte ich die Version etwas abwandeln für den Chef. Oder ich sagte die Wahrheit. Egal wie, entweder ich log die Polizei an oder meinen Chef.

Am Ende entschied ich mich für die Wahrheit. Mein Chef zog die Augenbrauen zusammen und ich wusste, dass es noch ein Nachspiel haben würde. Doch „Fuck off“, dann war das halt so. Man hatte den Wald durchsucht. Hatte die Blutspur verfolgt, und ein verlassenes Auto im Wald gefunden. Auch dort waren Blutspuren zu finden gewesen. Das Auto war auf einen Kai Holzer zugelassen. Ob es der Verletzte war, konnte man noch nicht sagen, da dieser im Koma lag, um den Heilungsprozess zu unterstützen. Ich war an meinem freien Tag in die Klinik gefahren und hatte mich nach dem Jungen erkundigt. Die Schwester hatte mich kurz zu ihm gelassen, doch da er nicht ansprechbar war, saß ich wie bestellt und nicht abgeholt an seinem Bett. Ich starrte in sein Gesicht. Jetzt da es gewaschen war, erkannte ich die langen Wimpern, die auf der milchweißen Haut ruhten. Eine Stupsnase und wirklich verführerische Lippen. Ich betrachtete ihn genau. Lange schlanke Finger, Musikerfinger. Ein schmaler Oberkörper mit dem Ansatz von Muskeln. Die Beine konnte ich nicht sehen, da eine Decke ab dem Bauch seinen Körper wärmte.

„Woher kennen sie ihn?“ Wollte die Schwester wissen.

„Ich bin der, der ihn gefunden hat.“ Die Schwester kannte die Geschichte und drückte mir die Schulter.

„Was ist eigentlich mit ihm passiert? Oder dürfen Sie mir das nicht sagen?“ Nachdem wir das Zimmer verlassen hatten, holte ich erstmal tief Luft. Das zarte Gesicht hatte mich mehr berührt als ich angenommen hatte.

„Eigentlich dürfen wir nur nahen Angehörigen solche Auskünfte geben, aber ich kann ihnen sagen, dass er tatsächlich überfallen wurde und dabei wohl auch vergewaltigt. Aber das wissen sie nicht von mir.“

Alle Farbe wich aus meinem Gesicht. Vergewaltigt. Das war etwas, was man niemanden wünscht. Ich konnte mir diese grausame Tat nicht mal vorstellen. Doch jetzt war auch klar, warum seine Hose voll Blut gewesen war.

„Das er überlebt hat, hat er nur ihnen zu verdanken. Wir wissen nicht, wie er es geschafft hat, mit diesen Verletzungen den Weg bis zum Hotel zu kommen. Aber wären sie nicht gewesen, er wäre gestorben.“ Nach diesen Infos musste ich mich erstmal setzen. Welches Monster tat einem Jungen von kaum 20 Jahren so etwas an? Die Schwestern, die bei Kai Dienst taten, schienen ihm alle verfallen zu sein. Sie bemutterten, den armen, hübschen Jungen, nach Strich und Faden. Auch ich war es. Die nächsten Tage und Wochen dachte ich immer an Kai, auch wenn ich nicht mehr ins Krankenhaus fuhr. Ich konnte es nicht. Ich konnte nicht neben dem leblosen Körper sitzen, ich hatte auch gar kein Recht dazu. Als ich mich zwei Wochen später telefonisch wieder nach ihm erkundigte, erfuhr ich, dass er die Klinik verlassen hatte. Auf eigenen Wunsch. Ein Freund habe ihn abgeholt und mitgenommen, so die Schwestern. Immerhin war er nicht allein.

Die Erinnerung an die langen Wimpern verblasste mit der Zeit. Es vergingen Monate, in denen ich zwar hin und wieder ein One-Night-Stand hatte, aber mich immer noch nicht verliebt hatte. Keiner meiner potenziellen Sexualpartner schaffte es mich, auch nur annähernd so zu berühren, wie diese milchweiße Haut und die langen Wimpern. Meine Mutter sagte immer, es würde dann passieren, wenn es passiert. Es wurde langsam Zeit, dachte ich. Doch immer wieder ertappte ich mich beim Gedanken an die milchweiße Haut. Wo Kai jetzt war? Ob er wieder gesund war? Nach einem einwöchigen Skiurlaub mit jeder Menge schweißtreibenden Sex, hatte ich meinen ersten Tag an der Rezeption und gähnte ausgiebig.

„Lange Nacht?“ fragte mein Kollege Mike.

„Eher zu kurz“, grinste ich.

„Na dann sei froh, dass du nur Check-in hast, sind heute nicht so viele Anreisen. Nur 20 Zimmer, ich mach dann mal Feierabend.“

Die Spätschicht war insoweit die bessere Schicht, da man keine Chefs um sich hatte. Die machten ja nur maximal bis 18 Uhr Dienst. Aber die Gäste hatten es in sich. Jeder wollte noch Informationen, Tischreservierungen, Oper-Karten oder sonstige Dienstleistungen. Ich kam erst halb neun zu meiner Zigarettenpause und musste mich dafür wieder zum Notausgang schleichen, bevor ein Gast mich noch aufhalten konnte. Ich zündete mir die Zigarette an, als ich ein milchweißes Gesicht mit langen schwarzen Wimpern im Halbdunkel stehen sah. Mitten in der Bewegung hielt ich inne.

„Kai?“ fragte ich und nahm die Zigarette wieder aus dem Mund.

„Du bist Sebastian, oder?“ seine Stimme klang sanft, rau und leise.

„Ja, wie geht es dir?“ Ich konnte nur erstaunt auf die Gestalt sehen, die sich nun langsam auf mich zu bewegte.

„Du hast mir das Leben gerettet“, wisperte er.

„Das hätte jeder getan. Okay vielleicht nicht jeder, aber jeder anständige Mensch hätte das getan!“ Nun stand er nur noch zwei Meter von mir entfernt. Er hatte nur ein T-Shirt an und ich konnte sehen, dass er fror.

„Wo ist deine Jacke?“

„Ich habe die ganze Woche auf dich gewartet“, überging er erneut meine Frage.

„Entschuldige, das wusste ich nicht. Ich hatte Urlaub und war Skifahren. Aber warum hast du gewartet? Und wo ist deine verdammte Jacke?“ Ich war drauf und dran mein Jackett auszuziehen und es ihm über die schmalen Schultern zu legen. Er wirkte so zerbrechlich und verloren, wie er mich im Halbdunkeln musterte. Seine braunen Haare fielen in wirren Strähnen in sein Gesicht.

„Danke.“ Das eine Wort machte mich irgendwie sauer. Was sollte das? Nur ein „Danke“, nicht das ich mehr oder überhaupt etwas erwartet hätte, aber DANKE?

„Ich brauche deinen Dank nicht, ich will wissen wo deine verdammte Jacke ist!“ rief ich, als er sich wegdrehte. Er zuckte zusammen. Ich konnte sehen wie er ängstlich über die Schulter sah und Tränen in seinen Augen schwammen. Mit nur drei Schritten war ich bei ihm, zog ihm mein Jackett über die Schultern und zündete mir dann endlich meine Zigarette an. „Du frierst“, stellte ich fest. Dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Kai warf sich mir an die Brust und schluchzte. Mit einer Hand, die ich vorsichtig um seine schmalen Schultern gelegt hatte, strich ich ihm über den Rücken. Mit der anderen versuchte ich die brennende Kippe von ihm wegzuhalten.

„Hey, ruhig. Alles wird gut.“ Ich versuchte so viel Zuversicht wie möglich in meine Stimme zu legen.

„Es tut mir leid, ich …“, er löste sich von mir und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

„Hey, jetzt mal ernsthaft, wo schläfst du heute Nacht?“, wollte ich wissen. Er zuckte mit den Schultern.

„Im Auto, wie die letzten zwei Wochen.“ Das ging ja mal gar nicht.

„Wo ist dein Auto?“ wollte ich wissen.

Er zeigt in eine ungefähre Richtung.

„Stell es vorne auf den Parkplatz, komm dann zum Haupteingang rein und ich besorg dir erstmal was Anständiges zu Essen.“ Ich merkte, dass er zögerte. Doch ein entschlossener Blick von mir und er ging.

Ich rauchte meine Zigarette noch zu Ende und kehrte dann, ohne meinen Blazer wieder an die Rezeption zurück.

„Wieder jemanden gerettet? Oder warum hast du keinen Blazer mehr an.“ grinste eine Kollegin.

„Ich rette jeden Tag jemanden. Das ist mein Job“, erklärte ich todernst. Ich hatte schon befürchtet, dass ich nach Schichtende im Dunkeln durch den Wald irren musste, um das Auto zu finden, in dem Kai nächtigte. Doch nach einer halben Ewigkeit stand er schüchtern an der Rezeption. Ich setzte ihn zu mir ins Backoffice und ging in die Küche. Dort hatte mein Koch mir schon einen Teller Rahmgeschnetzeltes gemacht und einen Salat dazu. Jetzt nur noch einen heißen Tee und meinem Findelkind würde es bald besser gehen. Ich stellte das Essen vor ihm ab und musste dann wieder zurück zum Thresen, da die nächsten Gäste angereist waren. Nachdem ich noch zwei Anrufer und einen Walk-In Gast abgefertigt hatte, ging ich zurück ins Backoffice. Der Teller war leer und der Tee auch.

„Hat es geschmeckt?“, fragte ich, nur um überhaupt was zu sagen. Kai nickte schüchtern und wusste wohl nicht so recht, wohin mit seinen Händen. Sie fuhren nervös über die schlanken Beine, dann durch seine Haare und hingen nur kurze Zeit später wie Fremdkörper an seiner Seite.

„Möchtest du noch einen Tee?“, ich hatte den Teller und die Tasse schon in der Hand und wandte mich zum Gehen.

„Warum machst du das?“, er hatte so leise geflüstert, dass ich mir die Frage auch eingebildet haben könnte.

„Ich bring dir schnell noch einen Tee und dann reden wir, okay?“ Gesagt getan, ich holte eine weitere Tasse Tee für Kai und einen schwarzen Kaffee für mich. Doch aus dem Gespräch wurde erstmal nichts. Die Arbeit rief mich zurück. Kai blieb im Backoffice. Bis ich um 22 Uhr endlich Feierabend machen durfte. Der Nachtwächter wunderte sich zwar kurz über seine Anwesenheit. Aber es ging ihn schlichtweg nichts an.

„Los, lass uns gehen“, forderte ich Kai auf, der etwas wackelig und hundemüde auf die Beine kam. Ohne lange zu fackeln hatte ich beschlossen, ihn mit nach Hause zu nehmen.

„Steig ein oder brauchst du noch was aus deinem Auto?“ Kai nickte kurz, ging zu seinem Auto und holte aus dem Kofferraum einen abgenutzten Schulrucksack hervor. Mein Gott, wie alt war der Kleine? Mit dem Rucksack in der Hand stand er etwas unbeholfen vor der Beifahrertür.

„Hör zu Kai, du kannst nicht in dem Auto schlafen. Und ein Hotelzimmer kannst du dir wahrscheinlich nicht leisten. Also quartiere ich dich vorübergehend in meinem „Büro“ auf der Couch ein. Besser als dein Auto ist es allemal.“ Kai starrte mich immer noch fragend und ängstlich an. Ja klar, er hatte Angst.

„Kai, ich tu dir nichts, versprochen. Ich will dir wirklich nicht schaden.“ Ich versuchte, meine Stimme so sanft wie möglich klingen zu lassen. Kai schien einen Moment zu überlegen. Dann nickte er und stieg endlich in mein kleines Auto.

Während der Fahrt sprachen wir kein Wort. Ich versuchte mich auf die dunkle Straße zu konzentrieren, war mir aber der Anwesenheit von Kai schmerzlich bewusst. Was hatte dieser Mann, was mich so durcheinanderbrachte? War es seine zierliche, sehnige Statur? Als er neben mir stand, war der Größenunterschied gar nicht so groß, vielleicht fünf Zentimeter. Dennoch fühlte ich mich wie der Berg gegenüber dem Baum. Ich hatte das Radio an und die Nachrichten aus der Region liefen gerade.

„Wurden die mutmaßlichen Täter des Überfalls im Rumers Wald festgenommen.“ Ich horchte auf und auch Kai zog zischend die Luft ein.

„Wir sind gleich da. Alles gut bei dir? Das klang nach guten Nachrichten, oder?“ Ich setzte den Blinker und bog in die Auffahrt zu dem Mehrfamilienhaus ein, in dem ich wohnte. Ich hatte mir eine zweieinhalb Zimmer Wohnung gemietet. Das halbe Zimmer nutzte ich hauptsächlich an meinen freien Tagen, um am PC einige Runden Black Ops zu zocken. Ich hatte zwar auch eine Konsole, doch am PC machte es mehr Spaß.

Ich stellte den Motor aus und sah im Licht der Hoflaterne zu meinem Begleiter. Dieser starrte mich irritiert an.

„Alles okay bei dir?“, etwas in seinem Blick machte mir Gänsehaut.

„Ja, alles gut.“

Ich brachte Kai in das kleine Büro, zog ihm die Couch zum Schlafen aus und legte ihm Bettzeug bereit.

„Du kannst zuerst ins Bad“, zeigte ich auf mein kleines mit einer Dusche ausgestattetes Badezimmer.

„Bedien‘ dich einfach am Duschgel. Ich such dir noch eine Zahnbürste raus, oder hast du eine dabei?“

„Danke“, schüttelte er den Kopf und sah mich dabei wieder mit seinen rehbraunen Augen wie hypnotisiert an.

Nachdem ich eine Zahnbürste gefunden hatte, klopfte ich an die Badezimmertür. Ich hörte das Wasser rauschen und rief: „Ich leg dir die Zahnbürste aufs Waschbecken“, doch es kam keine Antwort. Vielleicht hatte er mich nicht gehört? Vorsichtig betrat ich das Bad und legte die Zahnbürste ab, da vernahm ich neben dem Rauschen des Wassers noch einen anderen Laut. Schluchzen und krampfhaftes Atmen. Es klang, als würde Kai unter der Dusche ertrinken. Ich reagierte instinktiv und zog den Vorhang zur Seite. Der Junge saß in der Duschwanne, die Beine an den Körper gedrückt und weinte tatsächlich haltlos. Ohne mir Gedanken darüber zu machen, dass mein Hemd und die Hose nass werden könnten, trat ich vor und zog ihn an meine Brust. Er wirkte noch immer so verletzlich und ich hatte das Gefühl, ihn beschützen zu müssen.

„Es wird alles gut. Du bist in Sicherheit. Pscht“, redete ich auf ihn ein und drehte mit einer Hand die Dusche aus. Als er sich wieder beruhigt hatte, stellte ich das Wasser wieder an, nahm etwas von dem Duschgel und seifte vorsichtig seine milchweiße Haut ein. Sie fühlte sich wie Samt an. Ich merkte, dass mich diese Art der Berührung nicht kalt ließ und war froh noch meine Hose zu tragen. Denn ein Ständer, wie ich ihn in diesem Moment bekam, war weder passend, noch hilfreich. Doch auch ihn ließen meine Berührungen nicht ganz kalt. Nachdem der Schaum aus seinen Haaren und vom Körper gelaufen war, stieg ich tropfnass aus der Dusche und griff nach dem Handtuch. Vorsichtig wickelte ich Kai darin ein. Er wagte es nicht, den Blick zu heben. Ich hinterließ eine Wasserspur vom Bad zum Wohnzimmer. Dort setzte ich Kai auf mein bequemes Sofa und wickelte ihm zusätzlich eine Decke um den Körper.

„Ich muss mich erstmal umziehen und auch duschen. Ich bin gleich wieder da. Du kannst gerne den Fernseher anmachen oder die Xbox.“ Und drückte ihm die Fernbedienung und den Kontroller in die Hand. Ich watschelte breitbeinig zurück ins Bad. Der Harte in meiner nassen Hose, war jetzt wirklich unbequem. Doch ich ahnte schon, dass ich dieses Problem nur lösen konnte, indem ich mir Erleichterung verschaffte. Meine nassen Klamotten hängte ich über die Heizung und trat dann erneut in die Duschwanne. Während das Wasser meine eiskalte Haut erwärmte und meine Hände mit dem herben Duschgel meine Brust einseifte. Ich dachte nur an Kai, seine Augen, die schüchternen, irritierten Blicke und seinen schmalen Körper, der von Weinkrämpfen geschüttelt in meinen Armen lag. Wie von selbst umschlossen meine Finger meinen harten Schwanz, drückten ihn und massierten ihn langsam. Wie in Zeitlupe bewegte sich meine andere Hand über meine Brust und ich lehnte mich an die Fliesen. Keuchend und nach Atem ringend, wurden meine Bewegungen schneller, die Luft um mich herum heißer, das Wasser schärfer und die Bilder von Kai immer geiler. Ich wusste, es war nicht passend, mir vorzustellen, ihn zu verführen. Doch ich konnte in dem Moment nicht anders. Er war so verdammt sexy und ich so verdammt geil. Mein Orgasmus überraschte mich, denn er kam nicht wie gewohnt schnell und hart, sondern sanft und langsam. Während ich zusah, wie mein Samen im Ausguss verschwand, spürte ich eine zufriedene Mattigkeit. Wie lange war ich unter der Dusche gewesen? Schnell holte ich mich in die Realität zurück. Ich hatte einen völlig traumatisierten jungen Mann im Wohnzimmer sitzen. Einen jungen Mann, der verflucht nochmal so sexy war, dass ich lieber nicht an ihn dachte, wie ich es eben noch gedacht hatte. Es gehörte sich nicht, sich vorzustellen einen Mann zu ficken, der vergewaltigt worden war. Der einsam und anscheinend völlig zerstört war. Körperliche Anziehung hin oder her, es gehörte sich nicht und ich schämte mich fast für meinen Genuss unter der Dusche.

Nachdem ich ihm einen alten Flanellschlafanzug hingelegt hatte, ging ich kurz in mein Schlafzimmer, um auch mir etwas Bequemes überzuziehen. Ich war Rezeptionist. Doch all meine Bemühungen einen Weg zu Kai zu finden, mehr als einsilbige Antworten zu bekommen, schlugen fehl. Mittlerweile war es halb eins und ich wollte mich gerade verabschieden, da begann Kai zu reden.

„Es war meine Schuld.“ Das war alles.

„Was war deine Schuld?“

„Was mir passiert ist.“

Ich war entsetzt. Glaubte er das wirklich?

„So ein Quatsch. Egal was du gemacht hast. Niemand hat das Recht jemanden zu verletzen!“

„Aber hätte…“, wütend unterbrach ich ihn.

„Hätte, hätte Fahrradkette! Du warst mir gerade auch ausgeliefert in der Dusche und habe ich das ausgenutzt, habe ich dich in irgendeiner Weise bedrängt oder zu irgendwas gezwungen?“

Kai schüttelte nur den Kopf.

„Siehst du. Du vergisst jetzt ganz schnell, dass du an dem, was dir passiert ist, schuld bist. Der einzige der dran schuld ist, ist das Arschloch, welches dir Leid zugefügt hat. Und glaube mir, wenn ich den vor der Polizei in die Finger bekomme, sieht der danach schlimmer aus, als du ausgesehen hast.“ Ich hatte mich richtig in Rage geredet und war sogar aufgesprungen. Kai starrte mich verängstigt an. Doch ich sah auch etwas anderes in seinem Blick. War das etwa Belustigung?

„Du brauchst gar nicht zu lachen!“ schimpfte ich weiter, was genau den gegenteiligen Effekt hatte und Kai tatsächlich zu kichern begann. Es war ein so schönes Geräusch, dass es mir Gänsehaut bescherte. Wenig später saßen wir beide, uns den Bauch haltend und Tränen wegwischend lachend auf dem Sofa und wussten eigentlich gar nicht, warum wir lachten. Aber es tat unheimlich gut.

„Wir sollten“, schnappte ich nach Luft „schlafen gehen.“ Auch Kai atmete schwer.

„Das war das erste Mal, dass ich so gelacht habe und dabei weiß ich nicht mal genau warum ich gelacht habe“, kicherte er weiter und hickste. Der Lachflash hatte bei ihm einen Schluckauf ausgelöst, der so niedlich war, dass ich spontan meine Hand ausstreckte und ihm über die noch feuchten Haare strich. Das erschreckte Kai jedoch so sehr, dass sein Schluckauf sofort aufhörte und das Lachen verging.

„Entschuldige“, ich schämte mich. Ich hatte tatsächlich vergessen, was ihm geschehen war. Es war so schön gewesen, sein Lachen zu hören. Etwas Normales mit ihm zu erleben. Etwas Schönes.

„Nein, ich also, wir sollten wirklich schlafen gehen.“ Er stand auf und ging auf die Tür zu, die zu meinem Büro Schrägstrich Zockerzimmer führte.

„Du musst noch deine Zähne putzen.“

Kai sah mich an und nickte dann. Dann verschwand er erneut im Bad und kam fünf Minuten später zurück. Ich hörte, wie er ins Büro ging und legte mich auch in mein Bett. Doch ich konnte lange nicht schlafen. Mir ging Kai einfach nicht aus dem Kopf. Er war nicht nur zuckersüß und verletzlich, sondern auch ein wirklich attraktiver Mann. Was zum Teufel ließ ihn glauben, dass er an dem Erlebten schuld sei? Dieses Mysterium musste ich unbedingt klären. Ich würde Kai erlauben in meinem Zuhause zu leben, solange dieser mochte. Und ich würde ihm beistehen, bei allem was noch kommen würde. Ich hatte eine gewisse Verantwortung für ihn. Immerhin heißt es doch als Retter ist man verantwortlich für den Geretteten – ein Leben lang. Oder so ähnlich.

In meinen Träumen lag ich mit Kai am Strand und wir küssten uns, streichelten uns und seine Haare kitzelten meine nackte Haut. Ich erwachte, weil ich erregt war. Mehr noch, ich spürte, dass jemand meinen Schwanz zärtlich massierte. Was ich für einen Traum gehalten habe, schien sich in Wirklichkeit… äh Moment! Schlagartig war ich hellwach und setzte mich auf, als ich auch schon sah, wie Kai sich meinem besten Freund mit seinem verführerischen Mund näherte.

„Was machst du da?“ nicht dass ich mich beschweren wollte, aber das war doch nicht normal.

„Ich bedanke mich“, das hatte er nicht wirklich gesagt jetzt, oder doch?

„Hör auf. Auch wenn ich nicht glauben kann, dass ich das sage, aber hör sofort auf!“ Erschrocken wich Kai vor mir zurück. Noch ein Stück weiter und er wäre aus dem Bett gefallen.

„Du musst das nicht tun, hörst du? Du musst dich weder bei mir bedanken, noch etwas gutmachen oder dich sonst wie einschleimen oder erniedrigen. Gott ja, ich finde dich heiß, aber deswegen musst du mich ja noch lange nicht heiß finden und wenn du das Gefühl hast, mir etwas zu schulden, dann ist das nicht richtig!“ stöhnte ich. Meine Erektion stand noch immer wie eine eins. Und ich begann an mir zu zweifeln, ob ich das Richtige getan hatte.

„Aber ich kann dir nichts geben, weder für meine Rettung noch für das Bett heute Nacht.“ Wimmerte er leise.

Ich griff nach seinem Gesicht, legte meine Hände vorsichtig links und rechts auf seine Wangen und zwang ihn, mich anzusehen.

„Und das musst du auch nicht, klar! Du kannst solange bleiben wie du magst. Ohne sexuelle Gefälligkeiten oder Geld oder sonst was. Vielleicht ein bisschen Hilfe im Haushalt, aber sonst nichts. Verstehst du das?“

Kai nickte und sagte: „Nein.“ Ich stöhnte. Dann lies ich ihn los und warf die Decke zur Seite.

„Da hast du was angerichtet, ich muss erstmal zur Toilette. Du siehst aus, als hättest du nicht viel geschlafen. Du kannst dich gern im Bett breit machen. Schlaf dich aus. Wir reden heute Abend, wenn ich von der Arbeit komme, nochmal in Ruhe darüber. Aber bitte, auch wenn ich immer noch nicht glauben kann, dass ich das sage, solange du Blow Jobs aus Gefälligkeiten gibst, will ich keinen weiteren haben.“ Damit verließ ich das Schlafzimmer. Was sollte ich bloß mit dem Kleinen machen?

Ich hatte meinen Dienst gerade erst begonnen, da standen die zwei Polizisten vor mir, die damals meine Aussage aufgenommen hatten.

„Sie wissen nicht zufällig wo Herr Holzer ist? Wir benötigen ihn für eine Gegenüberstellung. Sonst kann der Staatsanwalt die Anklage vergessen.“

„Zufällig weiß ich, wo er ist, aber ich weiß nicht, ob er psychisch in der Verfassung ist, diesen Menschen erneut gegenüberzustehen. Ich kann ihn bitten, Sie anzurufen. Wenn Sie mir Ihre Karte hierlassen, schau ich was ich tun kann.“

Man sah den zweien an, dass Ihnen meine Antwort nicht gefiel. Aber es war alles, was ich ihnen anbieten konnte. Er gab mir seine Karte und ich steckte sie in die Hosentasche. Ich hatte nicht mal eine Telefonnummer von Kai, so dass ich ihn tagsüber nicht erreichen konnte. Was er wohl trieb? Ob er noch da war, wenn ich in vier Stunden nach Hause kam? Zum Glück hatte ich ab morgen meine zwei freien Tage, so dass ich mir Zeit für ihn nehmen konnte. Vielleicht konnte ich ihn zu der Gegenüberstellung bewegen, wenn ich mitging. Ich wollte die Arschlöcher sehen, die meinem Kleinen so weh getan hatten. Hatte ich gerade MEINEM gedacht. Verdammt. Ich würde mich doch nicht in ihn verlieben, oder doch? Hatte ich das schon? Er war zu jung, zu traumatisiert und zu süß. Ich wusste schon, dass es zu spät war, als ich daran dachte, dass ich nur noch an ihn dachte.

„Verdammt!“, fluchte ich laut.

„Was ist denn los?“ Mike stand neben mir und sah mich fragend an.

„Ach nichts“, murmelte ich vor mich hin.

„Es geht um deinen Findling, oder?“ Konnte man mir ansehen, dass ich bis über beide Ohren verliebt war?

„Er heißt Kai“, antwortete ich automatisch.

„Und du stehst auf ihn.“ Das war eine Feststellung, der ich nichts hinzufügen musste. Daher seufzte ich nur resigniert.

„Nun, ich wünsche es dir, dass du glücklich wirst. Ehrlich, aber ob er der Richtige dafür ist. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, du hast ja meine Nummer.“ Er klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter und ging zurück ins Restaurant. So kannte ich Mike gar nicht. Ich hatte ihn eigentlich für einen Macho gehalten. Dass er Mitgefühl zeigte, war mir neu und sehr überraschend.

Sobald das Haus, in dem ich wohnte, in Sicht kam, hielt ich Ausschau nach den Fenstern, die zur Straße zeigten. Brannte Licht? Erst als ich in die Auffahrt bog, sah ich den Lichtschein hinter den Gardinen und war etwas erleichtert, aber auch verdammt aufgeregt. Ich konnte gar nicht schnell genug aus dem Auto und nach Hause kommen. Ich wollte gerade den Schlüssel ins Türschloss stecken, da öffnete Kai mir die Tür. Er hatte eine der Jogginghosen an, die ihm viel zu groß waren und kaum auf der Hüfte hielten, die ich ihm gegeben hatte. Dazu ein blaues T-Shirt.

„Willkommen zu Hause“, grinste er. Er grinste tatsächlich und es duftete nach Essen.

„Wow, an die Begrüßung könnte ich mich gewöhnen.“

Er nahm mir den Rucksack ab, meine Jacke und stellte sogar meine Schuhe in den Schuhschrank. Die Wohnung war blitzblank. Der Boden glänzte und der Esstisch, den ich für meine Post als Ablage verwendete war feierlich gedeckt. Sogar eine Kerze hatte er aufgestellt.

„Setz dich“, forderte er mich auf und ich tat worum er mich gebeten hatte. Ich war sprachlos, als er mit einer Auflaufform kam. Es duftete herrlich nach Käse und Schinken.

„Schinkennudelauflauf. Ich hoffe du bist kein Vegetarier.“ Ich schüttelte den Kopf und leckte mir über die trockenen Lippen.

„Möchtest du Wein oder Bier?“

„Bier ist okay“, antwortete ich und nahm mir mit dem Pfannenwender eine große Portion von dem dampfenden Gericht.

Kai stellte zwei Flaschen Bier auf den Tisch und setzte sich dann auch hin.

„Ich hoffe, es schmeckt dir“, wisperte er und nahm sich auch eine Ladung.

Und wie es das tat, es war unheimlich lecker. Ich musste genüsslich die Augen schließen, bekam aber das Lächeln auf Kai’s Gesicht mit. Nachdem die große Auflaufform geleert war, wollte ich das Geschirr rausbringen, doch Kai hielt mich zurück.

„Lass, ich mach das. Du willst sicher duschen gehen und dir was Bequemes anziehen.“ Wieder war ich überwältigt von der Fürsorge. Daran könnte ich mich echt gewöhnen. Als ich mich aus meinen Kleidern schälte, fiel die Visitenkarte auf den Boden und meine Hochstimmung wandelte sich schlagartig in Besorgnis. Wie sollte ich das Thema am besten anschneiden? Seufzend stieg ich unter die Brause und wusch mir den Dreck des Tages von der Haut. Eigentlich hatte ich ein Zocker-Frei angestrebt, doch nun würde es wohl doch anders laufen. Immerhin hatte ich einen Gast. Einen Gast, der wunderbar kochen konnte.

Ich legte die Karte auf den Wohnzimmertisch und setzte mich mit einer neuen Flasche Bier in der Hand neben Kai.

Neugierig betrachtete er das quadratische Stück Papier und las den Namen.

„Was ist das?“ Ich seufzte.

„Die Bullen waren heute da. Sie haben mich gebeten, dir diese Karte zu geben. Du sollst zur Gegenüberstellung kommen.“ Ich wagte nicht, Kai anzusehen.

Er schwieg. Die Karte lag immer noch auf dem Tisch. Als die Stille unangenehm wurde, sagte ich mehr zu mir selbst: „Ich würde mitgehen, wenn du es willst. Aber die Typen müssen bestraft werden und das geht nur mit deiner Hilfe.“

„Dann mach ich es, wenn du mitkommst.“ Jetzt sah ich Kai an. In seinen braunen Augen glänzte das Vertrauen, das er in diese Worte gesteckt hatte.

„Dann machen wir das am besten gleich morgen. Wir fahren zu den Bullen, du zeigst auf die Täter und wir fahren wieder nach Hause. Oder Eis essen oder was auch immer du dann möchtest. Ich lass dich jedenfalls nicht allein, das verspreche ich dir.“

Kai’s zuversichtliches Lächeln konnte mich nicht täuschen. Er hatte eine Heidenangst vor diesem Termin.

Nach einem „Nuttenfrühstück“, bestehend aus Kaffee und Zigarette, machten wir uns am nächsten Tag auf den Weg zum Polizeipräsidium. Die Beamten waren freundlich zu Kai, doch er hielt sich fast schmerzhaft an meiner Hand fest. Als hätte er Angst, dass ich ihn in letzter Sekunde doch allein lassen würde. Wir standen in dem Zimmer mit der verglasten Seite, als die zwei Männer reingeführt wurden. Kai warf einen flüchtigen Blick durch die Scheibe und jetzt jaulte ich auf.

„Kai, alles gut. Auaaa…“ erschrocken ließ er meine Hand los.

„Herr Holzer, können Sie uns sagen, wer von den Männern Sie überfallen hat?“ wollte der Polizist wissen.

„Nummer 2 und fünf. Der fünfte hat mich vergewaltigt.“ Kai sagte es laut und deutlich, dann rannte er fast aus dem Raum. Ich folgte ihm und warf dem Beamten einen fragenden Blick zu. Der nickte. Wir durften gehen.

„Aber wir werden sie sicher nochmal kontaktieren.“

Wie sie wollten, ich musste Kai hinterher, der bereits im Treppenhaus verschwand. Dort fand ich ihn in der Ecke kauernd und schluchzend. Vorsichtig näherte ich mich ihm und zog ihn in meine Arme. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn beruhigt hatte. Ich zog aus meiner Hosentasche eine Packung Tempos, die ich in weiser Voraussicht eingesteckt hatte und gab ihm eins.

Nach diesem traumatischen Tag redete Kai zwei Tage lang nicht. Ich machte mir ernsthaft Sorgen um ihn. Außerdem wurde ich bald regelmäßig nachts wach, weil schluchzen und weinen aus dem Büro klangen. Am dritten Tag hielt ich es nicht mehr aus. Ich ging in das angrenzende Zimmer und sah, wie Kai sich im Schlaf wild hin- und herwarf. Vorsichtig kniete ich mich neben das Sofa und zog ihn in meine Arme. Noch immer machte mich sein Geruch verrückt und die zarte weiße Haut lud förmlich ein, sie zu liebkosen und zu schmecken. In meinen Armen beruhigte er sich etwas.

„Psch, psch…“, ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war zu müde, zu geil und zu erschrocken. Meine Gefühle spielten Achterbahn. Ich wollte den Jungen auf jeden Fall beschützen. Egal wie. Als er ruhig eingeschlafen war, ging ich zurück in mein Bett. Seine Anwesenheit hatte meinen Schwanz geweckt und ich wusste, ohne dass ich Hand anlegen würde, würde dieser mich nicht schlafen lassen. Ich schämte mich, dass ich in einer solchen Situation meine Hormone nicht im Griff hatte. Wahrscheinlich war es einfach zu lang her, dass ich Sex gehabt hatte. Ich sollte dem Gefühlscocktail in mir nicht so nachgeben. Gerade stellte ich mir vor, wie ich Kai mit dem Mund verführte, als genau dieser in der Tür stand. Ich bekam fast einen Herzinfarkt und kam gleichzeitig.

„Entschuldige“, flüsterte er.

Sein erstes Wort seit über zwei Tagen. Ich war so außer Atem, dass ich nichts sagen konnte. Kai drehte sich in der Tür um. Ich schloss die Augen, das war ja so peinlich! Wenig später kam Kai wieder und reichte mir einen feuchten Lappen. Nachdem ich mich gesäubert hatte, warf ich den Lappen einfach auf den Boden und sah Kai mit roten Ohren an.

„Darf ich, ich mein kann ich“, stammelte er und sein Blick wanderte zu der freien Bettseite. Einladend schlug ich die Decke zurück. Kai legte sich neben mich und war kurz darauf eingeschlafen. Nur ich konnte ums Verrecken nicht mehr einschlafen. Seine Nähe und die Situation waren so absurd, dass ich im Dunkeln an die Decke starrte, bis ich kurz bevor der Wecker klingeln sollte, seufzend aufstand und mir einen Espresso machte. Ich würde heute viel Espresso benötigen.

Seit dieser Nacht schlief Kai neben mir. Der Vorteil war, dass ich nicht aufstehen musste, wenn er einen Albtraum hatte. Ich legte einfach einen Arm um ihn und hielt ihn fest. Er blieb weiterhin wortkarg, aber immerhin sprach er wieder mit mir.

„Sebastian?“ wir saßen vor der X-Box und zockten Fifa.

„Mhh“, ich konzentrierte mich, da er gerade mein Tor bedrängte.

„Darf ich dir einen blasen?“ Schlagartig war meine Konzentration verflogen. Natürlich schoss er ein Tor.

„Wenn das jetzt Ablenkung war, um ein Tor zu schießen, ist das nicht fair und ein Foul“, brummte ich und starrte ihn an.

„Das war keine Ablenkung.“ Sein durchdringender Blick traf mich mitten ins Herz.

„Warum?“

„Weil ich es möchte und ich dich mag“, immer noch starrte er mich wie hypnotisiert an.

„Dann darfst du das natürlich.“ Hatte ich ihm grade erlaubt mir einen zu blasen? War ich denn total irre geworden? Kai drückte auf Pause und kniete sich vor mich hin. Allein dieser Anblick brachte meinen Schwanz dazu, freudig zu wachsen. Langsam öffnete Kai meine Hose, strich über den Stoff und sah mich abwartend an. Ich half ihm, zog meine Hose und gleich die Boxer mit aus und saß nun mit nacktem Unterleib vor ihm. Seine Augen blitzten auf, ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Haut und fühlte seine Hände, die meine Oberschenkel streichelten, bis sie sich daran festklammerten. Seine Hände waren weich und unheimlich geschickt. Doch sie waren gar nichts im Bezug zu seinem Mund. Seine Lippen strichen sanft die gesamte Länge meines Gliedes auf und ab, leicht und feucht, ehe er meine vom Vorsperma tropfende Kuppe in seinem Mund verschwinden ließ. Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und keuchte. Tausend Nadeln kribbelten unter meiner Haut, dieses Gefühl von kitzeln und Schmerz, welches sich bei einer Erregung einstellte, explodierte in meinem gesamten Körper.

„Gott, das ist so gut“, stöhnte ich und machte die Augen wieder auf. Gerade nahm er meine gesamte Länge in seinen Mund und schaffte es sogar dabei, etwas zu saugen.

„Das halte ich nicht lange durch“, warnte ich ihn und merkte wie sich der Orgasmus langsam aufbaute. Ich wollte in seinen Haaren wühlen, doch blitzschnell packte er meine Hand und drückte sie zurück auf das Sofa. Ich durfte ihn also nicht anfassen. Wie sollte ich denn dann den Gefallen erwidern?

„Kai, ich komme“, konnte ich noch stöhnen, als meine Eier sich zusammenzogen und ihre Ladung verspritzten. Kai schluckte mein Sperma hinunter und leckte sich die Lippen. Ich atmete schwer und sah ihn an.

„Jetzt du“, stammelte ich. Doch er schüttelte nur den Kopf.

„Es geht nicht, ich kann noch nicht, aber ich kann es für dich machen“, er stand auf, reichte mir meine Boxer und setzte sich wieder neben mich. Als wäre es das normalste von der Welt, seinem Mitbewohner einen zu blasen und wieder zur Tagesordnung zurückzukehren.

„Kai, wenn du denkst, dass ich das nur machen will, um mich zu revanchieren, das ist nicht wahr. Verdammt du bist so unheimlich sexy, schon als ich dich das erste Mal gesehen hab, wusste ich, dass du mir wichtig bist. Bitte, lass mich dir was Gutes tun.“ Hörte es sich verzweifelt an? Ich war verzweifelt. Ich wollte Kai Vergnügen bereiten.

„Ich glaube dir, aber ich kann noch nicht.“ Dann drückte er die Pause weg und ehe ich mich versah, gewann er das Match mit 7 zu 4. Während ich noch wie benommen auf die Boxer in meiner Hand sah.

Die nächsten Tage ging es so weiter. Ich bekam meinen Blow Job, durfte ihn aber weder anfassen, geschweige denn küssen.

„Kai, so sehr ich es genieße, aber ich möchte dich gern berühren, küssen, streicheln. Verdammt Kai, ich habe mich in dich verliebt“, raunte ich eines nachts. Kai lag neben mir. Ich dachte er schläft längst, doch er drehte den Kopf zu mir.

„Ich mich auch in dich“, lächelte er und wenig später spürte ich seine Lippen an meinen Eiern. Ich stöhnte, nicht nur aus Vergnügen, sondern auch aus Frustration. Leider tat ich in den nächsten Tagen etwas, was sich als der größte Fehler rausstellte, den ich tun konnte. Und ich konnte mir noch so sehr einreden, ich hätte es für Kai getan. In Wahrheit war ich derjenige, der sich einen Vorteil davon versprach.

Ich bat Kai: „Ich möchte dich so gern glücklich machen, aber das geht nicht, wenn ich dich nicht mal küssen darf. Vielleicht solltest du ernsthaft eine Therapie in Erwägung ziehen. Die Ermittlungen sind abgeschlossen. Die Typen sitzen im Knast und bis zur Verhandlung sind es noch 18 Wochen. Du solltest die Zeit nutzen und einen Weg für dich finden, wieder zurückzukommen. Zurück zu mir.“

„Ich möchte auch so gern von dir berührt werden. Ich werde gleich morgen nach einer Therapie suchen“, versprach er und blies mich in den Schlaf.

Die nächsten zwei Wochen bekam ich regelmäßig weiterhin meine Blow Jobs, doch dann änderte sich Kai’s Verhalten erneut. Er ging auf Distanz. Schlief nicht mehr neben mir, sondern auf der Couch im Büro.

„Mein Therapeut meint, ich soll lernen, allein zu schlafen.“ Ob dies so richtig war? Er ging immer mehr auf Distanz zu mir. Versteckte sich regelrecht in seinem Zimmer und sprach kaum noch ein Wort mit mir. Und dann geschah, was ich mir bis zum heutigen Tag niemals verzeihen werde. Ich dachte damals, der Therapeut wird wissen was er tut, doch dass ich so falsch liegen konnte, damit hatte ich nicht gerechnet.

Es war nach einer Frühschicht. Ich kam nach Hause, stellte mich schon auf die Eiseskälte ein, mit der Kai mich seit einigen Tagen begrüßte, doch er war nicht da.

Wahrscheinlich war er einkaufen gegangen, sagte ich mir, denn den Haushalt machte er immer noch für mich, ohne weitere Fragen zu stellen. Ich ging also duschen und stellte danach fest, dass seine Zahnbürste weg war. Irritiert und noch immer nass von der Dusche, tapste ich ins Büro und traute meinen Augen nicht. Auf dem gemachten Bett lag das Handy, welches ich ihm gegeben hatte, der Schlafanzug und das T-Shirt feinsäuberlich gefaltet. Dazu ein Zettel.

„Lieber Sebastian,

ich muss für eine erfolgreiche Therapie alles was mit dem Fall zu tun hat, hinter mir lassen. Bitte such nicht nach mir. Sobald ich kann, melde ich mich bei dir. Warte auf mich. In Liebe Kai.“

Er war weg. Einfach gegangen, ohne etwas zu sagen. Ich konnte ihn nicht mal erreichen, da das Handy ja hier lag. Ich rauchte eine Zigarette, saß wie betäubt und unfähig, einen Gedanken festzuhalten, auf dem Sofa. Nasse Flecken bildeten sich unter meinem Gesäß. Ich hatte mich immer noch nicht abgetrocknet. Ich spürte eine Leere in mir, die unheimlich war.

Die darauffolgenden Wochen auf Arbeit funktionierte ich wie ein Zombie. Es ging so weit, dass sogar mein Chef mich ansprach, ob alles in Ordnung war. Ich sähe krank aus. Und ich fühlte mich auch krank.

„Sebastian, du solltest dringend zum Arzt. Lass dich ein paar Tage krankschreiben. So erschreckst du unsere Gäste nur. Was ist bloß passiert?“ Mike stand mir im Umkleideraum gegenüber.

„Er ist weg, einfach gegangen. Ich weiß nicht, wo er ist und das bringt mich um.“

„Was soll das heißen, du weißt nicht wo er ist?“ Mike sah mich irritiert an.

„Er hat einen Zettel hinterlassen, dass ich ihn nicht suchen soll und er sich bei mir meldet, sobald er kann.“

„Und du machst das? Bist du denn irre? Ich weiß ja nicht, wieviel du ihm bedeutest, aber dass du ihn liebst ist ja wohl klar. Also, such ihn!“ Ich schlug die Tür meines Spindes zu und sah Mike an.

„Wo soll ich denn da anfangen?“

„Bei diesem Psychoarzt, zu dem du ihn geschickt hast, natürlich“, für Mike klang das alles so einfach. Ich beschloss tatsächlich zum Arzt zu gehen. Er schrieb mich zwei Wochen auf burn out krank und ich begann mit meiner Recherche. Ich wusste nicht mal wie der Arzt hieß, aber er hatte auf dem Handy angerufen, das Kai zurückgelassen hatte. Auch wenn er alle Nachrichten gelöscht hatte, die Anrufliste hatte er hoffentlich vergessen und tatsächlich. Ich rief also bei dem Arzt an, doch die Sprechstundenhilfe machte mir unmissverständlich klar, dass Sie keine Daten rausgeben würde. Arztgeheimnis und Datenschutz. Gut. Dann anders. Ich wusste noch, dass Kai’s Therapie immer dienstags und donnerstags war. Ich würde vor der Praxis auf ihn warten. Das tat ich dann auch. Stunde um Stunde verging. Normalerweise hatte er immer nachmittags seine Termine. Wurden sie verlegt? Wie konnte ich das herausfinden. Als ich auch am Donnerstag völlig umsonst von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends mir die Beine in den Bauch gestanden hatte, ging ich zur Polizei. Allein wegen dem Verfahren mussten die doch wissen, wo er ist. Ich hatte Glück, der Beamte von der Gegenüberstellung kam mir auf dem Parkplatz entgegen und erkannte mich sofort.

„Herr Lehmann, wollen Sie zu mir?“

„Nun, ja schon. Kai ist verschwunden und ich mache mir Sorgen.“

„Sie meinen Herrn Holzer?“ Der Beamte sah mich mitleidig an.

„Ich darf ihnen das eigentlich nicht sagen“, er zog mich zur Seite, damit ein Streifenwagen durchkam, „Herr Holzer ist zu Dr. Bernau gezogen. Laut dem Arzt sind sie jetzt ein Paar und er wird wohl auch vor Gericht eine Aussage zu Kai’s Zustand machen.“

„Zu seinem Psychodoc? Warum sagt mir Kai nicht, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will?“ Der Beamte drückte mir freundschaftlich die Schulter.

„Sie sehen ihn ja übermorgen vor Gericht. Da können Sie ihn selbst fragen.“

Stimmt, die Verhandlung ging ja in zwei Tagen los. Ich klammerte mich an den Gedanken, Kai im Gericht zu treffen. Mit ihm zu reden. Nur zu sehen wie es ihm ging. Ich machte mir unheimliche Sorgen und vor allem Vorwürfe, hätte ich ihn bloß nicht zu dieser Therapie überredet. Die nächsten zwei Tage verbrachte ich damit, meine Wohnung aufzuräumen. Ich musste mich beschäftigen und die Tatsache, dass ich zu Hause war und nicht arbeiten, störte mich. Dabei stellte ich allerdings fest, dass ich aus vielen meiner Klamotten rausgewachsen war und machte gleich noch eine Ausmistaktion. Für den Termin bei Gericht bügelte ich mir das einzige weiße Hemd, welches ich noch besaß nach der Aktion und polierte die Schuhe auf Hochglanz. Der Termin war für nachmittags um vier Uhr angesetzt. Ich beschloss jedoch schon eine Stunde früher zum Gericht zu fahren, in der Hoffnung kurz mit Kai reden zu können.

Meine Sohlen quietschten auf dem Linoleum und die Sonne spiegelte sich in der polierten Oberfläche. Nervös mit den Beinen zappelnd, saß ich vor dem Tagungsraum und sah immer wieder in Richtung Treppe. Der Beamte kam, zusammen mit seinen Kollegen. Sie grüßten mich freundlich. Der Richter und einige mir total unbekannte Personen kamen ebenfalls und die Verhandlung begann. Einer der unbekannten, muss wohl der Anwalt der Männer sein und der andere der Staatsanwalt. Ein dritter vertrat Kai.

„Mein Mandant ist psychisch nicht in der Verfassung an der Verhandlung teilzunehmen. Ich habe hier die Eidesstattliche Aussage meines Mandanten und das Gutachten seines Arztes. Dr. Bernau wird morgen vor Gericht aussagen.“ Das durfte doch alles nicht wahr sein. Was sollte ich jetzt tun? Die Enttäuschung stand mir ins Gesicht geschrieben, so dass sich der Polizist mit einem bedauernden Lächeln zu mir drehte. Ich machte meine Aussage und verließ das Gebäude. Ziellos umherwandernd, landete ich auf einer Parkbank und setzte mich.

„Herr Lehmann“, eine Frau war vor mir stehen geblieben.

„Frau Dr. Menzel, hallo“, begrüßte ich sie. Sie war seit Jahren Stammgast im Hotel und wir kannten uns daher schon eine ganze Weile.

„Sie sehen gar nicht gut aus, kann ich Ihnen helfen?“

Ich musste lachen. „Ich bin ehrlich gesagt schon am überlegen, ob ich mir professionelle Hilfe holen sollte. Aber Sie kann ich mir beim besten Willen nicht leisten.“ Frau Dr. lachte auch.

„Da drüben ist ein Café, Sie laden mich zu Kaffee und Kuchen ein und schütten mir dann ihr Herz aus.“

Frau Dr. Menzel war Psychologin und Therapeutin. Da sie aber nur Privatkunden annahm, die sich ihre Dienste leisten konnten, sah ich es als Chance und stand auf. Wir fanden auf der Terrasse einen schönen Platz und bestellten Kaffee und Kuchen. Bis die Bestellung kam, unterhielten wir uns über das Wetter und andere Nebensächlichkeiten.

„So, raus mit der Sprache, wo drückt der Schuh?“ Sie schob sich ein Stück Schokoladenkuchen in den Mund und sah mich abwartend an.

„Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll“, stöhnte ich.

„Am Anfang“, nickte sie mir aufmunternd zu. Und ich begann zu erzählen. Erst stockend, von dem Überfall, Kai im Krankenhaus und dann immer flüssiger. Als ich geendet hatte, sah sie mich lange an.

„Ich bin entsetzt. Da stimmt was nicht. Sie müssen dringend mit ihrem Freund reden.“

„Wie meinen Sie das, da stimmt was nicht.“

„Kein anständiger Psychologe verbietet seinen Patienten etwas, was ihm guttut. Außerdem nimmt kein Psychologe einen traumatisierten Patienten mit zu sich nach Hause. Das ist nicht nur unprofessionell, sondern höchst fahrlässig!“

„Was soll ich also Ihrer Meinung nach machen?“ Alle meine Sinne waren angespannt.

„Gehen Sie zur Polizei, melden Sie ihren Freund, als vermisst oder dass er in höchster Gefahr schwebt. Irgendwas, was die Polizei dazu bringt, nach dem Rechten zu sehen.“

Die Chancen, nachdem der Anwalt vorgelesen hatte, wo Kai war und dass er und Dr. Bernau ein Paar seien, schien aussichtslos.

„Finden Sie ihn, fahren sie zu diesem Bernau und schauen sie, ob ihr Freund wirklich dort ist.“

Ich bedankte mich für die Aussprache.

„Hören Sie, normalerweise mach ich sowas nicht. Aber ich mag Sie Sebastian und ich sehe, dass sie vor Sorge selbst schon ganz krank sind. Wenn Sie ihren Freund gefunden haben, bringen Sie ihn zu mir in die Klinik. Ich kümmere mich dann um ihn.“ Dieses Angebot war mehr als freundlich und ich nickte zuversichtlich. Doch erstmal musste ich Kai finden.

Vergebens versuchte ich, über das Internet und die Auskunft die Adresse von Dr. Bernau ausfindig zu machen. Meine Krankmeldung lief an diesem Wochenende aus und ich wollte zurück zur Arbeit. Das lenkte mich von meinen Sorgen ab und ich hatte immer noch die Hoffnung, dass Kai bei mir auftauchen würde. Hinten am Notausgang. Stattdessen erwartete mich Mike mit einer Nachricht, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Gut, dass du da bist, ich muss mit dir reden“, begrüßte er mich.

„Was ist los?“ wollte ich alarmiert wissen.

„Du kennst doch den roten Bahnhof, oder?“ Gehört hatte ich schon von der Sexmeile, die in der Nachbarstadt war. Ich selbst war dort noch nie gewesen.

„Was machst du denn dort?“ wollte ich wissen und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Mike hatte es nicht nötig zu einer Nutte zu gehen.

„Ich bin da nur vorbeigefahren“, stöhnte er entnervt.

„Ja klar. Also, was ist mit dem roten Bahnhof?“

„Ich habe Kai dort gesehen. Er ist zu einem alten Knacker in einen grünen Mercedes gestiegen.“ Jetzt sah ich ihn sprachlos an. Mein Kai? Auf dem Strich?

„Bist du dir sicher?“ Mike nickte.

„Hör zu, ich habe morgen frei und du Frühschicht. Ich hol dich von der Arbeit ab und wir fahren gemeinsam zum Bahnhof. Dort schauen wir uns mal um. Was hältst du von der Idee?“ Wie in Trance nickte ich.

„Hast du das Kennzeichen von dem Mercedes?“

„Leider waren noch einige andere Autos davor, konnte nur den Fahrer erkennten.“

„Wurde Kai gezwungen einzusteigen?“ Es musste ein Irrtum sein. Man konnte doch mit einer Vergangenheit wie die von Kai, nicht auf den Strich gehen.

„Sah nicht so aus. Eher, als würden die zwei sich kennen. Ich muss jetzt aber los. Wir fahren morgen gemeinsam hin. Ich lass dich bei der Sache nicht allein.“ Ich lächelte Mike an und nickte dankbar. Nie hätte ich meinem Kollegen so viel Einfühlungsvermögen zugetraut. Mike gab sich immer den Anschein des eiskalten Machos. An jeder Hand fünf Frauen oder so. So konnte man sich täuschen. Zum Glück war im Restaurant nicht viel los. Ich war für die Bar eingeteilt und konnte in Ruhe über die neuen Fakten, Vermutungen und alles andere nachdenken.

Mike holte mich pünktlich ab. Wir fuhren in die nächste Stadt und in Gegenden, in denen man sah, dass das Geld fehlte. Die Häuser waren grau und heruntergekommen.

„Was für eine miese Gegend“, murmelte ich.

„Da ist der Bahnhof. Ich würde sagen, wir stellen das Auto hier ab und legen uns auf die Lauer, oder was meinst du?“ Mike hatte schon am Straßenrand geparkt.

„Du bleibst hier im Auto, damit es nicht gestohlen wird. Ich geh rüber. Ich rede mit den Leuten, versuche etwas über Kai herauszufinden.“ Ich stieg aus, ohne eine Antwort abzuwarten und machte mich auf den Weg. Die Gestalten, die in dem Schatten des alten Bahnhofes gelehnt standen, musterten mich gelangweilt, interessiert oder auch feindselig. Hier gab es Frauen, die noch Kinder waren, Frauen, die Großmütter sein könnten und jede Art von Schwulen, Transen und anderen Queren Menschen. Alle hatten eins gemeinsam. Sie waren abgerissen oder aufgetakelt, aber dennoch kaputt. Ich lief an den weiblichen Prostituierten vorbei.

Anscheinend sah man mir an, dass ich schwul war, denn keine der Frauen sprach mich an.

„Na Süßer, soll ich dir einen blasen? Macht 20 Euro“, eine Transe im roten Mini, mit Netzstrumpfhosen und langen blonden Haaren näherte sich mir. Durch die dick aufgetragene Schminke konnte man den Bartwuchs deutlich erkennen.

„Du kannst die 20 Euro schneller verdienen und ohne auf deine Knie zu gehen“, versprach ich und zog mein Handy aus der Tasche. Ich scrollte durch die Bilder, bis ich eines von Kai gefunden hatte.

„Hast du den hier schon gesehen?“ Ich hielt ihr das Handy vor die Nase.

„Wenn ich dir was über ihn sage, bekomme ich einen zwanziger?“ der Transvestit schien zu überlegen, dann nickte er.

„Der Kleine ist immer abends hier, ab 19 Uhr. Aber der kann nichts, was ich nicht besser könnte.“ Ich bedankte mich bei ihr und gab ihr einen Fünfer extra.

„Ich sitze da drüben im Auto, wenn er kommt, gib mir ein Zeichen.“ Ich wartete ihre Zustimmung nicht ab und ging zurück zu Mike.

Schwer seufzend stieg ich wieder ein. Meine Hände vor das Gesicht haltend, atmete ich zischend ein und aus.

„Was? Sebastian, was?“

„Wir müssen leider warten. Anscheinend kommt er ab 19 Uhr. Ich glaub das nicht Mike, ich glaub es einfach nicht.“ All meine Gefühle brachen sich bahn und ein Schluchzen stahl sich aus meiner Kehle.

Mike verhielt sich wie ein echter Freund, er tröstete mich und ging dann los, um uns mit Nahrung zu versorgen. An einer schäbigen Pommesbude besorgte er zwei Coke und Curry Wurst. Es wurde schummrig, noch nicht dunkel, dafür war es zu früh. Aber das erste dunkle blau erschien in der Ferne am Himmel.

„Sebastian, wach auf!“

Ich muss eingedöst sein.

„Was ist los?“

„Da ist der Mercedes, ich bin ganz sicher!“ Mike wedelte aufgeregt zu einer Luxuskarosse hin, die eben am Straßenrand hielt. Die Beifahrertür ging auf. Ich schielte zu der blonden Lady und sie winkte mir zu. Anscheinend war mein Auftritt jetzt gekommen. Ich stieg aus. Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich sah, dass Kai aus dem Auto stieg, wurde mir schlecht. Er sah erbärmlich aus. Dürr und abgemagert, ein Schatten. Eingefallene Wangen, eine dicke Platzwunde an der Stirn und wacklige Beine. Ich eilte wankend in seine Richtung. Der Mercedes fuhr weg. Verdammt ich hatte vergessen mir das Kennzeichen aufzuschreiben. Kai ging auf eine Gruppe anderer Stricher zu. Er hatte mich noch nicht gesehen, stand mit dem Rücken zu mir.

„Kai“, flüsterte ich. Der junge Mann drehte sich langsam um.

„Was will der Typ von dir, Phil?“ wollte einer der anderen Stricher wissen.

„Weiß nicht, kenn den nicht.“ Kai starrte mich entsetzt an, für einen Augenblick allerdings sah ich den Hilfeschrei in seinen Augen.

„Ich will wissen, was du kostest“, brachte ich mühsam heraus.

„Blasen 20 Euro, was andres mach ich nicht.“ Erklärte „Phil“.

„Okay, aber nicht hier.“ Ich zog einen weiteren 20er raus und spielte damit.

Kai drehte sich zu der Gruppe um, „bin gleich zurück.“ Dann folgte er mir.

Ich ging an Mikes Auto vorbei, gab ihm aber ein Zeichen, wohin ich mit Kai ging. Mike nickte. Zwei Straßen weiter, drehte ich mich zu Kai um, der mir stumm gefolgt war.

„Kai, was um Himmels willen ist, passiert?“ wollte ich wissen.

„Du solltest nicht nach mir suchen, ich bin es nicht wert.“

„Geht der Scheiß schon wieder los? Kai ich liebe dich, ich suche dich seit Wochen!“ ich war verzweifelt und spürte auch Tränen die Wange runterlaufen.

„Du solltest mich vergessen Sebastian, du bist zu gut für mich. Sieh mich an, ich bin ein Loser, nichts wert und verkaufe mich. Ich kann dir nicht geben, was du verdienst.“

Ich starrte ihn ungläubig an. Dann kam Mike mit seinem Auto um die Ecke. Ohne zu überlegen was ich tat, öffnete ich die Tür, schob Kai in das Auto und gab Mike den Befehl:

„Polizei!“ Er verstand und gab Gas.

„Was soll das? Das ist Kidnapping.“ Ich hielt Kais Arme fest umklammert, damit er während der Fahrt nicht einfach aus dem Auto sprang. Er war so dürr und kraftlos, dass er seine Gegenwehr bald aufgab. Ich hatte wieder Glück, der Beamte, der mir damals schon geholfen hatte, hatte Dienst. Als ich Kai in sein Zimmer zerrte, starrte er ungläubig auf den jungen Mann.

„Was ist passiert?“

„Dieser Bernau schickt ihn auf den Strich, das ist passiert“, ich war so erregt, dass meine Stimme sich überschlug.

„Stimmt das Herr Holzer?“ Kai sah zu Boden. Sagte kein Wort.

„Ich hab ihn gerade auf dem Strich aufgesammelt, am roten Bahnhof. Hier das Kennzeichen. Ich wette der Schlitten, der ihn dort abgesetzt hat, gehört Bernau.“ Kai sah hoch, erschrocken im Gesicht.

„Das darfst du nicht, dass darfst du nicht. Ich muss bei ihm bleiben, ich gehöre ihm.“ Entsetzt starrte ich Kai an.

„Ich kümmere mich darum, aber Herr Holzer darf auf keinen Fall zu dem Kerl zurück. Bei Ihnen ist er aber auch nicht sicher.“ Der Beamte hatte die Situation erkannt. Erkannt, dass der Psychologe die psychische Labilität von Kai genutzt hatte, um ihn hörig zu machen.

„Ich weiß schon, wo ich ihn hinbringe. Es ist besser, wenn erstmal niemand weiß, wo das genau ist.“ Ich zerrte Kai wieder mit aus dem Büro und zurück zu Mikes Auto. Ihm nannte ich eine Adresse.

Kai jammerte vor sich hin. „Das darfst du nicht, dass darfst du nicht.“ Und ob ich das durfte. Es war jetzt bereits nach zwanzig Uhr, doch ich hoffte Dr. Menzel war noch in der Klinik. Die Klinik verfügte über ein hohes Maß an Sicherheit. Zu einem, um die Patienten an der Flucht zu hindern, zum anderen, um ungebetene Gäste draußen zu lassen.

Ich hatte Dr. Menzel eine kurze Nachricht geschrieben. Sie stand schon am Tor, um uns in Empfang zu nehmen. Kai hatte jede Gegenwehr aufgegeben. Apathisch saß er neben mir.

„Hallo Kai, ich bin Dr. Menzel. Ich zeige dir jetzt, wo du wohnen wirst. Kommst du mit mir?“ Ich schob Kai in ihre Richtung. Sie nahm seine Hand.

„Ich weiß, Sebastian, es ist schwer, in ein paar Tagen darfst du ihn besuchen. Für heute hatte er aber genug Aufregung. Wir müssen abwarten, bis die Psychopharmaka, die ihm verabreicht wurden, nicht mehr wirken. Ich halte dich auf dem Laufenden. Versprochen.“ Wieder musste ich zusehen, wie der Mann, den ich liebte, von mir weggeführt wurde. Doch diesmal wusste ich, dass es kein Fehler war. Mike und ich tranken die halbe Nacht und redeten über Gott und die Welt. Zum Glück hatten wir beide am nächsten Tag frei, denn außer einer Flasche Wodka, rannen noch unzählige Biere meine Kehle hinab. Bis ich nichts mehr spürte, nur noch schlief. Traumlos, den Schlaf der total Besoffenen.

Frau Dr. Menzel hielt Wort. Sie schrieb mir jeden Tag eine WhatsApp Nachricht über den gesundheitlichen Zustand von Kai. Als Sie nach vier Tagen grünes Licht gab, dass ich zu ihm kommen könnte, kaufte ich auf dem Heimweg einen Strauß roter Rosen. Total kitschig, aber verdammt, ich war so nervös Kai wiederzusehen. Ob er mir böse war? Immerhin hatte ich ihn entführt. Aufgeregt stand ich vor dem Tor, als mein Handy klingelte.

„Hallo?“

„Herr Lehmann?“

„Ja“, die Stimme kam mir vage bekannt vor.

„Mein Name ist Brunner, ich bin der Anwalt von Herrn Holzer und ich muss dringend mit ihnen reden.“

Genau der schmierige Anwalt, den Bernau ihm besorgt hatte.

„Worüber?“

„Das würde ich lieber direkt machen. Können Sie zu mir ins Büro kommen?“

„Ich würde mich lieber an einem öffentlichen Ort mit ihnen treffen, wenn es denn schon sein muss.“ Alle Alarmglocken schrillten.

„Okay, dann um 16 Uhr morgen Nachmittag im Café Blanco?“ schlug er vor.

„Ich werde da sein.“ Nach diesem eher unbequemen Telefonat drückte ich die Klingel des Klinikportals.

Eine freundliche Schwester brachte mich zu dem Zimmer, in dem Kai untergebracht war. Es war hell und freundlich eingerichtet. Gar nicht, wie ein Krankenhaus. Bunte Drucke an den Wänden.

„Sie haben Besuch Kai, ich hole eine Vase für die schönen Blumen.“ Damit lies sie mich im Eingang stehen. Kai saß am Fenster und drehte sich langsam zu mir um. Er war immer noch blass und zerbrechlicher den je. Er zitterte. Seine Augen waren gerötet. Schweigend sahen wir uns an, dann kam die Schwester mit der Vase zurück. Ich stellte die Rosen hinein und drapierte sie auf dem kleinen Tisch gegenüber dem Bett. Als die Schwester wieder gegangen war, machte ich einen vorsichtigen Schritt in Kai’s Richtung. Kai sah mich mit seinem üblichen hypnotischen Blick an. Er schien wie ein Raubtier auf meine Bewegungen zu lauern.

Ich atmete tief durch, dann sagte ich: „Es tut mir so unendlich leid“, die Tränen, die mir dabei über die Wange liefen, merkte ich nicht. Es dauerte eine Millisekunde, oder auch einen halben Tag, aber wir lagen uns in den Armen. Wer von uns auf wen zu gerannt war, wahrscheinlich beide gleichzeitig. Ich roch seinen Duft, fühlte seine zarte, milchweiße Haut.