Stone (Pittsburgh Titans Team Teil 2) - Sawyer Bennett - E-Book
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Stone (Pittsburgh Titans Team Teil 2) E-Book

Sawyer Bennett

4,0

Beschreibung

Minor-League-Spieler Stone Dumelin verlor seinen jüngeren Bruder, als das Mannschaftsflugzeug der Titans abstürzte. Mit dem darauffolgenden Anruf hatte er nicht gerechnet. Nachdem eine Schulterverletzung meine NHL-Karriere auf Eis gelegt hatte, habe ich mich damit abgefunden, dass ich mich nie wieder aus der unteren Liga nach oben spielen kann. Während meine Karriere den Bach runterging, wurde mein mir entfremdeter Bruder Brooks zum Superstar bei den Pittsburgh Titans. Als das Flugzeug der Titans abstürzte, erlosch Brooks' Licht - und ich bekam die Chance meines Lebens. Jetzt bin ich in Pittsburgh, spiele für die Titans und stehe dem Geist meines toten Bruders auf Schritt und Tritt gegenüber. Sein Schließfach, sein Vermächtnis, seine hartnäckige und hinreißende Anwältin, die nicht aufhört, mich wegen seines Nachlasses zu kontaktieren, obwohl ich sie gebeten habe, mich in Ruhe zu lassen. Harlow Alston wäre äußerst ansprechend, wenn sie nicht so nervtötend wäre. So sehr ich mir wünsche, dass sie aufhört, mich wegen Brooks' Nachlass zu belästigen, bin ich fasziniert von der feurigen Rothaarigen, die kein Nein als Antwort akzeptiert. Und je mehr ich über Harlow erfahre, desto mehr glaube ich, dass sie der Schlüssel sein könnte, um zu verstehen, wer Brooks wirklich war und wer ich sein möchte. Ich habe eine zweite Chance auf eine Karriere, von der ich dachte, ich hätte sie verloren, und die Möglichkeit, mit Harlow etwas Gemeinsames aufzubauen. Aber kann ich die Kraft finden, weiterzumachen, oder wird meine Vergangenheit meine Zukunft bestimmen? Teil 2 der Reihe rund um das Eishockey-Team der Pittsburgh Titans von New York Times-Bestsellerautorin Sawyer Bennett.

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Sawyer Bennett

Pittsburgh Titans Teil 2: Stone

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Joy Fraser

© 2022 by Sawyer Bennett unter dem Originaltitel „Stone: A Pittsburgh Titans Novel“

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-616-4

ISBN eBook: 978-3-86495-617-1

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig. 

Dieses Buch darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin weder in seiner Gesamtheit noch in Auszügen auf keinerlei Art mithilfe elektronischer oder mechanischer Mittel vervielfältigt oder weitergegeben werden. Ausgenommen hiervon sind kurze Zitate in Buchrezensionen.

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Autorin

Liebe Leserinnen und Leser,

falls ihr „Baden“ gelesen habt, werden euch Szenen bekannt vorkommen, da Stones Geschichte gleichzeitig geschieht.

Viel Spaß!

Prolog

Stone

„Stone.“ Etwas tätschelt meinen Arm. „Wach auf, Stone.“

„Was?“, knurre ich, ohne die Augen zu öffnen. Meine Zunge klebt an meinem Gaumen fest.

„Dein verdammtes Handy klingelt sich halb tot.“ Die weibliche Stimme kommt von neben mir im Bett. Nicht sehr überraschend nach dem ausgelassenen Abend.

Ich hebe den Kopf und sofort rast ein stechender Schmerz durch meinen Schädel. Es ist dunkel hier und ich verliere die Orientierung, aber ich höre das Handy auf dem Nachttisch. Ich rolle mich hinüber, schnappe es mir und lese blinzelnd, um welchen Anrufer es sich handelt.

Dad.

„Vergiss es“, murmele ich und lehne den Anruf ab.

Ich schiebe das Handy auf den Nachttisch, schließe die Augen und versuche, dem Kopfschmerz zu befehlen, mit dem Pochen aufzuhören. Ich habe viel zu viel gesoffen und deshalb keinen Schimmer, wer da in meinem Bett liegt.

Es ist mir auch egal.

Sofort klingelt das Handy erneut und ich reiße die Augen auf.

„Mach endlich das verdammte Handy aus“, jammert die Frau schlecht gelaunt.

Ich erkenne ihre dunklen Umrisse unter der Decke. Sie zieht sich ein Kissen über den Kopf.

Ich nehme das Handy und will tun, worum sie mich bittet. Es ist wieder mein Vater, doch jetzt wird mir bewusst, dass es erst zwei Uhr nachts ist und es etwas Wichtiges sein muss, wenn er um diese Zeit anruft.

Allerdings würde ich das wahrscheinlich auch denken, wenn er mich am helllichten Tag anrufen würde. Er meldet sich nämlich normalerweise nie.

Trotz Kopfschmerzen und leichter Trunkenheit nehme ich den Anruf entgegen.

„Hallo“, sage ich verschlafen und mit Bierstimme. Ich räuspere mich, um das zu mildern. „Was gibt’s?“

„O Gott …“, wimmert Dad ins Handy, so dermaßen gequält, dass es mir den Magen zusammenzieht.

Schwungvoll hebe ich die Beine aus dem Bett und suche nach dem Schalter der Nachttischlampe. Es wird hell und ich bin mir nur am Rande der fluchenden Frau in meinem Bett bewusst.

„Was ist los?“, verlange ich zu wissen, aber ich glaube, er hört mir gar nicht zu. Mein Vater heult hemmungslos und schluchzend.

Und sagt immer wieder nur einen Namen.

Brooks.

Mein Bruder.

„Dad!“, schreie ich ihn an, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen und um lauter zu sein als sein Schluchzen. „Was zum Teufel ist passiert?“

„Guter Gott“, schimpft die Frau und ich sehe sie an. „Kannst du nicht woanders telefonieren?“

Normalerweise bin ich ein geduldiger Mensch, aber es muss etwas Lebensveränderndes geschehen sein. Ich werde gerade erst wieder nüchtern, und mein Vater, mit dem ich selten telefoniere, weint wegen meines Bruders. Irgendeine Fremde befindet sich in meinem Bett. Ich habe sie offensichtlich zum Ficken mit nach Hause genommen, da wir beide nackt sind. Und jetzt will mir diese Fremde befehlen, mich woandershin zu verziehen.

„Verschwinde sofort aus meiner Wohnung!“, brülle ich sie daher an, egal, dass es zu laut ist, denn mein Vater am Telefon übertrifft mich immer noch.

Die Frau weitet die Augen, krabbelt aus dem Bett und wickelt sich die Bettdecke um. Während sie ihre Sachen zusammensucht, wende ich ihr den Rücken zu.

„Dad.“ Er antwortet nicht, sondern weint heftig weiter. „Dad … was ist denn los mit Brooks?“

Nichts. Er sagt nichts, wimmert nur.

Mein Herz klopft so stark, dass ich fürchte, gleich einen Infarkt zu erleiden. „Dad!“, schreie ich ihn an und schlage mit der Faust an die Wand. Der Rigips bekommt eine Delle. „Verdammt noch mal, was ist mit Brooks?“

„Von uns gegangen“, sagt er wehklagend. „Das Flugzeug … abgestürzt …“

„Nein!“

Das kann doch nicht wahr sein.

Auf gar keinen Fall.

Mein Herz zieht sich zusammen, bricht wahrscheinlich mittendurch.

Dad schluchzt wieder wie ein verdammtes Kleinkind. Er ist zu nichts mehr imstande, aber ich habe noch Verstand genug, um herauszufinden, was passiert ist. Mit der Fernbedienung schalte ich den Fernseher auf meiner Kommode ein. Da ich nur den Sportsender schaue, flackert dieser sofort auf. Entsetzt starre ich auf den Flug eines Hubschraubers, der über etwas kreist, was man nicht mehr identifizieren kann.

Es ist dunkel, aber viele Taschenlampen leuchten. Polizei, Krankenwagen und mehr Löschfahrzeuge, als ich zählen kann. Trümmerteile überall verteilt, vom Feuer geschwärzt.

Schließlich begreife ich. Das ist ein Flughafen. Man sieht die Landebahnbeleuchtung, und ich konzentriere mich nicht auf das, was der Reporter sagt, sondern lese das durchlaufende Textband.

„Flugzeug der Pittsburgh Titans bei Landung abgestürzt. Suche nach Überlebenden geht weiter.“

Ich taumele rückwärts und nehme am Rande wahr, dass die Frau gegangen sein muss, da sie nicht mehr im Schlafzimmer ist. Meine Waden stoßen ans Bett und ich lasse mich darauf nieder und starre ungläubig auf den Fernseher.

Dad weint immer noch. Sagt, dass Brooks gegangen ist.

Aber nicht tot. Die Reporter sagen, es wird nach Überlebenden gesucht.

„Dad“, sage ich harsch ins Handy. „Wurde Brooks gefunden?“

„Ich weiß nicht“, stammelt er.

„Im Fernsehen sagen sie, dass nach Überlebenden gesucht wird.“ Ich drehe den Ton weiter auf.

Daraufhin spricht er endlich. „Wir haben das auch an. Das Flugzeug ist völlig zerstört. Das kann niemand überlebt haben. Niemand.“ Dad schluchzt wieder.

Ich nehme das Handy vom Ohr. Ich kann nicht ertragen, um Brooks zu trauern, wenn wir noch keine Bestätigung für seinen Tod haben. Dort stehen Krankenwagen. Ersthelfer suchen nach den Opfern.

Er könnte überlebt haben.

***

Innere Leere.

Nur das spüre ich, als ich in der Kirche in der ersten Reihe neben meinen Eltern sitze und mit leerem Blick auf den Sarg meines Bruders starre.

Natürlich ist der Sarg geschlossen. Die meisten Opfer des Unfalls hatten einen geschlossenen Sarg oder sind sofort eingeäschert worden, weil sie bereits schwer verbrannt waren. Sie wurden mithilfe ihrer Zähne und DNA identifiziert. Grausige Details, die ich nur kenne, weil Dad diese Fragen an den FBI-Agenten gerichtet hat, der für die Identifizierung zuständig war und dann dachte, er müsste die Infos mit der ganzen Familie per E-Mail teilen.

Darauf hätte ich verzichten können. Aber Dad wollte es wissen, und zwar nicht, um leichter mit der Trauer umgehen zu können, sondern weil er dann Dramatischeres an die Medien weitergeben konnte. Er mag einen Sohn verloren haben und sicherlich trauert er aufrichtig, aber er ist auch in seinem Element, wenn er im Rampenlicht steht.

Deshalb hat er auch Reporter mit Kameras bei der Beerdigung zugelassen. Damit sie zeigen können, wie sehr er um seinen kostbaren Sohn trauert. Er sitzt neben Mom am Ende der Kirchenbank, damit auch jeder sieht, wie ihn das Leid erdrückt.

Zwischen mir und Dad sitzt Mom. Brooks war das Licht ihres Lebens, zumindest habe ich sie das oft sagen hören. Sie lässt die Schultern hängen und ihr Gesicht ist tränenüberströmt.

Ich will einen Arm um sie legen und sie ein bisschen trösten, aber sie nimmt es gar nicht wahr. Immer wieder murmelt sie: „Mein Sohn … fort. Mein lieber Junge.“

Der episkopale Trauergottesdienst ist nicht wirklich aufrichtig, da wir keine religiöse Familie sind. Er wird hier nur gehalten, weil mein Vater die stärkste Wirkung herausholen will. Mom weint die ganze Zeit. Der Priester spricht über meinen Bruder, als hätte er ihn gut gekannt. Aber natürlich stammt der Text von Dad, der im Wesentlichen aussagt, dass die Welt ohne den wundervollen Brooks trüber sein wird. Und dann muss ich zehn qualvolle Minuten lang dem Nachruf meines Vaters zuhören, der geradezu beleidigend ist.

Natürlich listet er sämtliche Erfolge seines zweiten und bevorzugten Sohnes auf. Wie gut er auf dem College war und dass er als professioneller Eishockeyspieler bei den Pittsburgh Titans ein leuchtender Stern war. Er spricht darüber, was für ein liebender und hingebungsvoller Sohn Brooks war und dass kein Verlust den von Brooks je übertreffen wird. Und dann sagt er dem aufmerksamen Publikum, während er direkt in die Kamera eines News-Senders schaut, dass er nicht weiß, wofür er jetzt noch weiterleben soll.

Natürlich reagiere ich gereizt darauf, wie sich meine Eltern mir gegenüber verhalten. Mein Bruder war zwar wirklich ein super Eishockeyspieler und ein guter Mensch, den ich sehr vermisse. Aber diese vollkommen übertriebene Darstellung ist nichts anderes als eine Ohrfeige für mich. Mein Vater lässt keine Gelegenheit verstreichen, um Brooks über mich zu stellen und mich zu erniedrigen.

Während der gesamten Trauerfeier bleiben meine Augen trocken, genau wie seit dem Moment, in dem mein Vater mich vor einer Woche angerufen hat, um mich über den Unfall zu informieren. Zu viele Emotionen zerren mich in verschiedene Richtungen, um das tatsächliche Geschehen zu verarbeiten.

Ich nehme meinem Bruder einiges übel, und dafür ist mein Vater verantwortlich. In den vergangenen zwei Jahren hat mein Vater es geschafft, meine Beziehung zu Brooks eigenhändig zu zerstören, was anscheinend meine Fähigkeit, zu trauern und Brooks’ Tod zu bedauern, ebenfalls zerstört hat. Mir ist klar, dass das irgendein psychologischer, abgedrehter Mist sein muss, aber so ist es nun mal.

Ich bin erleichtert, als die Trauerfeier zu Ende ist. Am liebsten würde ich jetzt gehen, wenn ich nicht einer der Sargträger wäre. Also erledige ich meine Pflicht und trage ihn zum Leichenwagen. Schweigend fahre ich mit meinen Eltern in einem schwarzen Auto zum Friedhof. Die ganze Fahrt über klammern sie sich aneinander fest und starren vor sich hin ins Leere, ohne mich auch nur ein Mal anzusehen.

Nicht ein Mal haben sie mir Trost gespendet. Ich bekam nicht einmal eine Umarmung, als ich nach Ithaca kam, um in dieser schweren Zeit bei der Familie zu sein. Nicht ein Mal haben sie zur Kenntnis genommen, dass auch ich jemanden verloren habe.

Auf dem Friedhof helfe ich wieder dabei, den Sarg zum Grab zu tragen. Der Priester und andere Trauernde versammeln sich um die Stühle vor dem Sarg für die Familie. Ich bleibe lieber am Rand der Trauergäste stehen und zähle die Minuten, bis alles vorbei ist.

Der Priester spricht ein kurzes Gebet, und mein Vater legt einen theatralischen Zusammenbruch während der Worte hin, die zum Trost gedacht waren.

Bevor der Sarg hinabgelassen wird, gehen die Trauernden daran vorbei und legen rote Rosen darauf. Ich mag mich von meinem Bruder entfremdet haben, doch ich weiß, dass er das gehasst hätte. Meine Mutter wirft sich auf den Sarg und wimmert, und mein Vater verstärkt das Drama noch, indem er sie in ihrem halb ohnmächtigen Zustand fortzerrt. Während der ganzen Zeit laufen die Kameras mit, denn mein Vater hat die Presse auch hierzu eingeladen. Mit Sicherheit wird er sich die Aufnahmen im Fernsehen anschauen und prüfen, ob sie sein trauerndes Gesicht auch aus einem guten Winkel erwischt haben.

Mit all dem kann ich momentan nicht umgehen, also drehe ich mich um, um zu gehen. Der Tag ist kalt und das braune, mit Raureif bedeckte Gras knirscht unter meinen Schuhen. Ich lasse den Wagen, mit dem ich hergekommen bin, links liegen und verlasse den Friedhof, um mir einen Uber zu bestellen, der mich zu meinem Auto an der Kirche bringt. Ich muss zurück nach Cleveland, denn morgen findet ein Spiel statt, und ich habe schon genug Trainingszeit auf dem Eis verloren.

Schon nach ein paar Metern bemerke ich jedoch jemanden neben mir. Tante Bethany hakt sich bei mir unter. Sie drückt meinen Arm und geht einfach nur schweigend neben mir her.

Als wir auf dem geteerten Weg ankommen, halte ich an, denn sie wird nicht mit mir den Friedhof verlassen wollen.

Sie hebt den Kopf und sieht mit ihren freundlichen blauen Augen zu mir hoch. „Willst du wirklich nicht noch für die Zusammenkunft mit nach Hause kommen?“

Ich sehe sie sanft tadelnd an. „Warum sollte ich mir das antun?“

Bethanys Lächeln wird traurig. Verständlich, denn sie versteht am besten, wie sehr ich unter der Vernachlässigung meiner Eltern in den letzten Jahren gelitten habe. „Weil du deine Eltern trotz allem liebst, und du hast deinen Bruder mehr als jeden anderen Menschen geliebt, egal, was deine Eltern euch beiden angetan haben.“

Da hat sie recht. Manchmal frage ich mich, wieso ich noch derartig an zwei Menschen hänge, denen ich völlig egal bin. Tief in mir weiß ich, dass mein Bruder es so nicht gewollt hat und keine Schuld daran trägt. Ja, ich habe ihn mehr als jeden anderen geliebt, genauso sehr, wie ich ihm aber auch Dinge übel nahm.

„Ich kann nicht.“ Ich werfe einen Blick zurück auf die Trauernden und sehe, dass mein Vater es geschafft hat, meine Mutter wieder auf ihren Stuhl zu setzen. „Wahrscheinlich war heute das letzte Mal, dass ich nach Hause gekommen bin.“

Sie nickt und seufzt. „Dann werde ich dich wohl in Cleveland besuchen müssen.“

„Für dich steht meine Tür immer offen.“ Ich küsse sie auf die Wange und nehme sie in die Arme.

Ich habe ihr verziehen, die Schwester meines Vaters zu sein, und verstehe, dass sie immer in der Mitte stand. Dennoch war sie eine Ersatzmutter für mich, und es gibt wenig, was ich nicht für sie tun würde. Außer hierbleiben.

„Ich liebe dich.“ Ich entlasse sie aus meiner Umarmung und wir sehen einander an. „Und ich habe Glück, dich zu haben.“

„Du wirst mich immer haben, Stone“, antwortet sie und tätschelt meine Wange.

Sie dreht sich um und geht wieder zum Grab.

Ich eile vom Friedhof, so schnell ich kann, um endlich alles hinter mir lassen zu können.

***

Gähnend reibe ich mir die Augen. Nur noch vierzig Meilen bis zu meinem Apartment in Cleveland. Aus verschiedenen Gründen habe ich mich entschlossen, die fünf Stunden mit dem Auto nach Ithaca zu fahren, anstatt zu fliegen.

Es gab keinen passenden Anschlussflug, sodass der Flug länger gedauert hätte als die Autofahrt. Außerdem wollte ich nicht auf meine Eltern angewiesen sein, was das Transportmittel betrifft, und ich wollte mein eigenes Auto dabeihaben, falls ich mich aus dem Staub machen wollte.

Außerdem ist mein Bruder gerade bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen. Ich gebe zu, dass Fliegen mir momentan etwas unheimlich ist.

Wegen der emotionalen Woche, der Beerdigung und der langen Heimfahrt bin ich erschöpft und außerdem gerade am Verhungern. Ich habe vergessen, was ich an Lebensmitteln zu Hause habe, bin aber zu müde, jetzt noch beim Supermarkt anzuhalten. Aber wenn zu Hause nichts Essbares mehr zu finden ist, muss ich noch mal raus. Also bleibt nur Fast Food oder das Risiko eingehen, dass zu Hause nur leere Schränke sind.

Ehe ich mich entscheiden kann, klingelt mein Handy. Eine unbekannte Nummer, aber aus Pittsburgh. Kurz denke ich darüber nach, nicht dranzugehen, weil es bestimmt jemand vom Team ist, der kondolieren will. Einige haben sich an meine Eltern gewandt und Hilfe angeboten. Dad akzeptierte gern, dass die Titans die Kosten für die Beerdigung übernehmen, auch wenn Brooks sicherlich eine gute Versicherung hatte, sodass die Organisation nicht dafür aufkommen müsste.

Wieder eine Möglichkeit für Dad, aus der Tragödie Kapital zu schlagen. Das hat er schon damit bewiesen, dass er in einem Interview die Großzügigkeit der Pittsburgh Titans betonte.

Ich nehme den Anruf mehr aus dem Grund an, auf dem letzten Rest der Strecke wach zu bleiben. „Hallo?“

„Ich möchte Stone Dumelin sprechen“, sagt ein Mann mit einer dunklen Stimme, die ich nicht kenne.

„Am Apparat“, antworte ich und unterdrücke ein Gähnen.

„Stone, ich bin Callum Derringer.“

Das macht mich hellhörig und ich setze mich aufrechter hin. Callum Derringer kennt jeder, denn er ist der frühere Manager der Ottawa Cougars, der gefeuert wurde, weil er kein Gewinnerteam hinbekam.

„Noch ist es nicht veröffentlicht worden, aber ich bin der neue Manager der Titans. Ich arbeite eng mit Brienne Norcross und ihrem neuen Trainerstab zusammen, um ein neues Team aufs Eis zu bringen.“

Kurz bin ich schockiert über diese Neuigkeiten. Das Flugzeug ist erst vor einer Woche verunglückt und die Angehörigen sind noch in Trauer. Eben erst wurde mein Bruder begraben. Aber ein Teil von mir wundert sich nicht über das Tempo der Organisation. Ich kenne den Eishockeysport gut. Auch wenn ich momentan in den Minors für die Cleveland Badgers spiele, also in einer unteren Liga, habe ich bereits in der höchsten Liga gespielt. Gleich vom College aus wurde ich von den Boston Eagles gedraftet, bei denen ich ein paar Jahre war, und habe sogar mit dreiundzwanzig mit diesem Team den Stanley Cup gewonnen.

Mir ist klar, dass Profi-Eishockey eine Profit-Branche ist. Ohne ein Team auf dem Eis verlieren alle Beteiligten Millionen. Und nicht nur die Norcross-Familie als Besitzer, sondern auch die Händler, Werbeträger, Fans und Ticketverkäufer. Die Stadt Pittsburgh verdient an der Marke und an den Touristen. Es ist eine verzwickte Vernetzung von Co-Abhängigkeiten, damit alle Erfolg haben, und bis die Titans wieder im Spiel sind, machen alle Verlust.

„Was kann ich für Sie tun, Mr. Derringer?“ Ich nehme an, es hat etwas mit Brooks zu tun, obwohl ich nicht verstehe, dass er mich anruft und nicht meinen Vater. Dieser hat sich selbst zum Sprecher unserer Familientragödie gemacht.

„Wir möchten Ihnen das Angebot machen, in unser Team einzutreten. Wir haben mit dem Manager der Badgers gesprochen und uns auf einen Deal geeinigt. Soweit ich weiß, werden Sie nicht von einem Agenten vertreten, also wende ich mich direkt an Sie.“

Fast fahre ich in den Graben.

Ich habe vor langer Zeit die Hoffnung verloren, wieder in die Profi-Liga zu kommen, weswegen ich auch keinen Agenten habe. Ich habe mich damit abgefunden, mich als Spieler in den Minors irgendwann zur Ruhe zu setzen, und hatte das demnächst auch vor.

„Sie hatten bei den Boston Eagles eine steile Karriere“, spricht Derringer weiter und geht meine Statistik durch. „Sie waren Left Winger in der First Line und haben einen Stanley-Cup-Sieg hinter sich.“

Fuck, das ist verdammt lange her. Nun, eigentlich nur vier Jahre, aber es kommt mir wie ein ganzes Leben vor. „Der Spieler bin ich nicht mehr, Mr. Derringer. Ich habe es mir in den Minors bequem gemacht.“

Es folgt eine lange Pause, als ob er seine Gedanken sortieren müsste. Dann redet er nicht um den heißen Brei herum. „Sie sind der Erste, dem ich das Angebot mache, der keine Luftsprünge vor Freude hinlegt. Anscheinend wollen Sie lieber bleiben, wo Sie sind.“

Ich kann mir vorstellen, dass mein Mangel an Begeisterung schockierend sein muss. Aber ich finde an dem Angebot wirklich nichts aufregend. Vielleicht zeigt das, wie weit ich bereits in der Mittelmäßigkeit versunken bin, dass ich mich nicht einmal über die Aussicht auf etwas Besseres freuen kann.

Ich gehe nicht auf ihn ein und stelle stattdessen eine Frage: „Warum ich? Und hat das Angebot irgendetwas damit zu tun, dass Brooks für das Team gespielt hat?“

Denn auf keinen Fall will ich für die nächste Überschrift in der Presse herhalten, wie großzügig diese Organisation doch ist.

„Das war ein Gedanke, ja“, gibt er unverhohlen zu. „Aber wir waren nicht sicher, ob der Verlust Ihres Bruders zu einer emotionalen Sperre geführt hat, in seinem Team zu spielen. Und unser Wunsch, Sie ins Team zu holen, hat absolut nichts mit Ihrer Beziehung zu Brooks zu tun, sondern mit Ihrem Talent und Potenzial.“

„Und wie genau lautet Ihr Angebot, Mr. Derringer?“

„Nenn mich Callum“, sagt er herzlich. „Folgendes bieten wir dir an.“

Ich höre mir alles an, was er zu sagen hat. Und ich glaube ihm, als er wiederholt, dass er mir das Angebot macht, weil er denkt, ich wäre ein großer Gewinn für das Team. Dennoch bin ich am Ende des Gesprächs nicht besonders begeistert.

„Ich werde darüber nachdenken“, sage ich. „Wann willst du eine Antwort?“

Kapitel 1

Stone

Es ist elf Tage her, seit das Flugzeug der Titans verunglückt ist und Brooks starb.

Vier Tage seit der Beerdigung.

Drei Tage, seit ich das Angebot der Titans angenommen habe, an Bord zu kommen und meine Karriere wieder anzufeuern.

Manche würden sicher sagen, dass sich ein Kreis schließt, aber für mich fühlt es sich einfach nur falsch an. Viele Jahre hat mein Stern am Himmel geleuchtet, schon als ich ein kleiner Junge war und Eishockey spielen lernte. Immer wieder wurde ich als Naturtalent bezeichnet, und da mein Vater auch Eishockey spielte, nahm er sich meines Talents an. Ich bekam das beste Training, die besten Trainer und jede Menge Druck von ihm, perfekt zu werden. In dieser Zeit war ich Vaters Ein und Alles, und Brooks, der zwei Jahre jünger war, hat sich glücklicherweise nicht so einschüchtern lassen wie ich.

Dad hielt es für seinen Verdienst, dass ich an eine Uni kam, die Eishockey unterstützte, und stellte sich ins Rampenlicht, als ich zu den Boston Eagles kam. Brooks wurde weitgehend ignoriert, obwohl er genauso viel Talent hatte wie ich. Wir waren uns in vieler Hinsicht ähnlich. Und eigentlich trat Brooks dann in meine Fußstapfen. Auch er spielte für die Uni und wurde dann von den Titans gedraftet. Mein Vater war zufriedener als ein Schwein im Schlamm und schrieb natürlich sich selbst den Erfolg meines Bruders zu. Brooks und ich machten uns oft bei einem Bier darüber lustig und imitierten seine unstillbare Gier, im Rampenlicht zu stehen.

Als ich dreiundzwanzig war, gewannen die Boston Eagles den Stanley Cup. Als ich dran war, den Pokal einen Tag mit nach Hause zu nehmen, feierte ich eine Party. Es war Brooks’ letztes Jahr auf dem College, und ich sagte ihm, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis auch er diesen Pokal hochhalten könne. So sehr glaubte ich an sein Talent und seine Entschlossenheit.

Und natürlich lachten wir darüber, wie Dad praktisch die ganze Party lang an dem Pokal klebte und Mom eine Million Fotos von ihm damit machen musste.

Das waren die letzten fröhlichen Tage, an die ich mich erinnere. Im nächsten Trainingscamp verletzte ich mich an der Schulter, und von da an ging es abwärts. Während Brooks’ Stern immer mehr strahlte, hatte ich es schwer, mich von der Verletzung zu erholen.

Monatelang fiel ich aus, dann kam ich zurück zu den Eagles und verletzte mich erneut an derselben Schulter. Nach der Reha spielte ich weiter, konnte aber nicht mehr stark genug spielen, um auch nur in die Third Line zu kommen.

Im Alter von sechsundzwanzig wurde mein Stern dunkler und man steckte mich in die Minors.

Mein Vater hat das aber wohl gar nicht richtig wahrgenommen. Nach meiner Verletzung stürzte er sich voll und ganz auf Brooks und blickte nie zurück zu dem anderen Sohn, der sich bemühte, seine Karriere zu retten.

In mir wuchs Wut. Hauptsächlich auf meinen Vater, der zu egoistisch war, um einfach nur ein Vater zu sein. Und dann auf meine Mutter, die ihn wie ein Papagei nachahmte. Letztendlich auch auf Brooks, weil er jahrelang die Nummer zwei war und jetzt die Aufmerksamkeit unseres Vaters liebte. Nun lachten wir nicht mehr bei einem Bier über das Verhalten unseres Vaters, und wenn ich mich über ihn beschwerte, verteidigte Brooks ihn. Ich nehme an, dass er jahrelang darunter gelitten hatte, von Vater übersehen zu werden, und sich jetzt seine Wertschätzung bei ihm abholte.

Leider entstand deswegen eine Kluft zwischen uns und mit der Zeit sprachen wir kaum noch miteinander. Brooks war ein Star bei den Titans. Left Winger und der Spieler mit den zweitmeisten Punkten nach Coen Highsmith.

Und ich?

Ich spielte für die Cleveland Badgers und verdiente sagenhafte 92.000 Dollar im Jahr. Ein ganz schön tiefer Fall von dem Drei-Millionen-Dollar-Vertrag mit den Eagles. Als ich die Eagles verließ, verschwand auch das damit verbundene Zusatzeinkommen. Ich zählte als ein Es-war-einmal, der sich an seine sterbende Karriere klammert. Obwohl meine Schulter vollständig ausgeheilt und ich stärker denn je war, erinnerte sich niemand mehr an Stone Dumelin, was zeigte, dass mein Stern endgültig erloschen war.

Jetzt bin ich wieder ganz oben und habe einen neuen lukrativen Vertrag unterzeichnet. Ich sollte mein Glück feiern, kann aber nur daran denken, wie falsch es sich anfühlt.

Gestern bin ich in Pittsburgh angekommen und direkt in ein billiges, möbliertes Apartment eingezogen. Tante Bethany hat mir geholfen, es zu finden, während ich damit beschäftigt war, mein Leben in Cleveland abzubrechen. Ich kann mir etwas Besseres leisten, aber ich habe kein Interesse daran. Wohlstand und Luxus hatte ich schon, und ich weiß jetzt, wie unwichtig das ist.

Außerdem weiß ich, wie flüchtig Erfolg sein kann, sodass ich mein Geld auf der Bank habe und nur darauf warte, dass die Zeiten wieder miserabel werden.

In dem Stadion der Titans habe ich schon immer am liebsten gespielt. Und da es jetzt mein offizieller Arbeitsplatz ist, bin ich heute früh hingefahren, um mich genauer umzusehen.

Callum Derringer hat die Mitarbeiter des Büros angewiesen, den ankommenden Spielern das Stadion zu zeigen, was eine Menge Leute auf einmal zu bewältigen war. Sämtliche Einrichtungen des Stadions sind hochmodern und luxuriös, und ich muss sagen, dass es nicht schlecht ist, solch gute Verhältnisse zu haben.

Momentan sitze ich in einem Raum, der „die Schüssel“ genannt wird. Es ist der Konferenzraum des Teams, der geformt ist … nun ja, wie eine Schüssel. Gemütliche Sitze sind im Halbkreis angeordnet und verlaufen nach oben wie in einem Hörsaal. Um uns herum sind oben riesige Bildschirmwände, um sich Spielaufzeichnungen anzusehen.

Zum ersten Mal sind wir zu einem Meeting als ein Team zusammengerufen worden und ich spüre einen Druck im Magen. Ich frage mich, ob ich einen Fehler gemacht habe, denn ich komme mir wie ein Betrüger vor.

Wenn ich mich umsehe, erkenne ich bekannte Gesichter. Gage Heyward ist ein Veteran unter den Spielern, und wir haben schon gegeneinander gespielt. Er wird respektiert, und ich vermute, dass er deswegen im Team ist.

Coen Highsmith ist ein weiterer bekannter Spieler der Titans und gehört zu den „glücklichen Drei“. Drei Spieler der Titans haben sich nicht in der Unglücksmaschine befunden: Coen, weil er die Grippe hatte. Camden Poe und Hendrix Bateman, weil sie leichte Verletzungen hatten.

Camden und Hendrix sitzen nebeneinander, aber Coen sitzt allein in der letzten Reihe, mir gegenüber. Er liegt fast auf dem Sitzplatz und scrollt durch sein Handy. Emotional nicht verfügbar. Ich nehme an, der Mann hat eine große Last auf den Schultern.

Die meisten Spieler kommen aus den Minors und ich kenne einige. Allerdings nicht sehr gut, denn persönliche Beziehungen scheinen in den Minors nicht so schnell zu entstehen wie bei den Profis.

Es schlendern immer noch Spieler in den Saal, sodass ich die Gelegenheit nutze und meine Textnachrichten checke. Gestern habe ich Bethany mitgeteilt, dass ich gut angekommen bin. Es fühlt sich schön an, dass sie sich um mich sorgt. Ich musste ihr versprechen, sie nach meinem ersten Tag anzurufen und ihr Details zu erzählen. Das werde ich heute Abend tun, wenn ich in meinem Apartment bin.

Ich kann nichts gegen die Wut tun, die mich beim Anblick von Dads Namen in meinen Chats überkommt. Seit drei Jahren hat der Mann mich kaum wahrgenommen und auch nicht versucht, mich nach Brooks’ Tod zu trösten. Aber plötzlich lässt er mich nicht mehr in Ruhe. Seit ich wieder in einem erstklassigen Team bin.

Seine letzte Nachricht war geradezu beleidigend.

Sag mir Bescheid, wenn du Tickets für die Familie bekommen hast. Mom und ich werden zu so vielen Spielen fliegen, wie wir können, wenn du uns die Tickets besorgst. Ansonsten werden wir mit dem Auto hinfahren.

Das war alles. Keine Nachfrage, wie es mir geht. Keine unterstützenden Worte oder positive Affirmationen. Er wollte nur wissen, wann er wieder ein Eishockey-Daddy sein kann, nachdem Brooks nicht mehr da ist.

Fick dich.

Ich schalte das Handy aus. In dem Moment geht die Tür auf und Brienne Norcross und Callum Derringer treten ein. Das ganze Trainerteam sitzt in der ersten Reihe und ich konnte vorhin schon mit den Coaches reden. Sogar der Coach der Goalies, Baden Oulett, hat sich mir vorgestellt, obwohl wir gar nicht miteinander arbeiten werden.

Bisher war es recht leise im Raum, es fanden keine lautstarken Unterhaltungen statt. Als die Besitzerin des Teams, Brienne Norcross hervortritt, wird es allerdings totenstill. Sie und ich haben etwas gemeinsam. Wir haben beide einen Bruder bei dem Unfall verloren. Bisher habe ich sie noch nicht persönlich getroffen, aber sie hat mir eine nette E-Mail zur Begrüßung geschickt und mir darin kondoliert.

Brianne räuspert sich. Sie wirkt nervös, aber entschlossen. „Meine Herren, als Erstes muss ich mich bei euch allen entschuldigen.“

Das erstaunt mich. Eine solche Aussage zur Begrüßung habe ich von der Besitzerin nicht erwartet. Ich schaue mich um und sehe, dass ich nicht der Einzige bin, der sich wundert.

Dann fährt sie fort und erklärt uns, dass sie fortan garantiert Fehler machen wird und uns bittet, Geduld mit ihr zu haben. Ihr eine Chance zu geben, will sie damit sagen.

So bescheiden, wie eine Multimilliardärin nur kann, verkündet sie, immer für das Team da zu sein. Sie steht mit uns auf Augenhöhe und verspricht uns, egal welche Probleme wir haben, sie gemeinsam mit uns zu lösen.

Ihre Rede ist erfrischend und, ehrlich gesagt, ein bisschen inspirierend. Zum ersten Mal, seit ich das Angebot angenommen habe, fühlt es sich so an, als ob ich gern in diesem Team wäre. Anscheinend denken die anderen genauso, denn sie reagieren mit einem tosenden Applaus auf die Rede.

Sie übergibt das Mikro an Callum, der eine ähnlich erfrischende Rede hält und Klasse beweist. Auch er bittet um eine Chance, ein besserer Manager zu werden, als er es je war. Mir gefällt, dass er seine Schwächen zugeben kann. Dafür respektiere ich ihn noch mehr. Auch er bekommt zustimmenden Applaus und ich klatsche laut für ihn.

„Noch eine hausinterne Sache, bevor ich an Coach Keller abgebe.“ Er steckt die Hände in seine Hosentaschen und lässt den Blick langsam über alle Spieler wandern. „Die Liga hat rückwirkend ab dem Flugzeugunglück eine Punktesperre verhängt, und wir haben vier Tage Zeit, um fit zu werden und wieder am Wettbewerb teilnehmen zu können. Die Liga hat soeben bekannt gegeben, dass sie den Titans eine Sondergenehmigung erteilt: Alle Trades, die in dieser Saison noch getätigt werden, werden nicht dadurch bestraft, dass die Spieler in den Play-offs aussetzen müssen.“

Daraufhin entsteht Unruhe im Saal. Auf den ersten Blick scheint das großzügig von der Liga zu sein, aber es hat seine Schattenseiten.

Es bedeutet, dass wir ganz einfach getradet werden können, kaum dass wir hier angekommen sind, denn es wird in den Play-offs nicht bestraft. Ich könnte mich schneller wieder in den Minors befinden, als ich das Bett in meinem billigen neuen Apartment machen kann.

Callum hebt die Hände und bittet um Ruhe. „Ich weiß, dass das Stress auslöst bei allen, die soeben erst aus den Minors befördert worden sind und die nicht auf die Chance verzichten wollen, es dauerhaft in der höchsten Spielklasse zu schaffen. Zwar ist die Gefahr gering, dass einer von euch getradet und dann wieder in die Minors gesteckt wird, aber Brienne Norcross hat sich sicherheitshalber verpflichtet, dieses Jahr keinen von euch aus dem Vertrag zu entlassen. Sie will, dass ihr alles gebt, und das funktioniert nicht, wenn diese Bedrohung über euch schwebt. Das gilt auch, falls sich uns eine tolle Gelegenheit bietet. Wir werden keinen einzigen Spieler in diesem Raum opfern.“

Guter Gott.

Bienne Norcross macht ein großes Zugeständnis, indem sie allen Spielern Sicherheit für diese Saison garantiert. Eine Entscheidung, die sie viel Geld kosten könnte. Besonders, falls wir abkacken.

Das wird sehr gut aufgenommen. Wieder jubeln und klatschen alle. Ich frage mich, warum Brienne uns das nicht persönlich gesagt hat. Offensichtlich war das ihre Idee und ihr gebührt unser Dank. Wahrscheinlich spricht das noch mehr dafür, dass sie eine Teamplayerin ist, wofür ich sie noch mehr respektiere.

Das ungute Gefühl im Magen von heute früh ist fort, und ich bin gespannt darauf, was Coach Keller uns zu sagen hat, als er das Podium betritt.

Matt Keller ist ein großartiger Coach, auf jeden Fall auf dem Papier. Er hat gerade einen Titel  mit einem Uni-Team gewonnen. Der Schritt in die höchste Profiliga ist sicherlich ein großer, aber ich nehme an, dass es dafür nicht sehr viele Kandidaten gab. Ich schenke ihm mein Vertrauen, denn ich nehme Brienne und Callum ihre moralischen Werte voll ab.

Aber sein Start ist nicht so gut. Als Erstes langweilt er uns mit seinem ausgedehnten beruflichen Lebenslauf. Ganz klar will er uns beeindrucken. Es ist aber zu viel des Guten, dass er über seinen Sieg an der Uni nicht endlich die Klappe halten will. Er schwärmt von Brüderlichkeit und Loyalität, was oberflächlich betrachtet gut klingt, aber solche Dinge muss man erst mal beweisen.

„Seid ihr mir gegenüber loyal, bin ich es euch gegenüber auch.“

Als er das sagt, gefällt es mir gar nicht. Ich sehe mich um und stelle anhand der Gesichter fest, dass es den meisten ebenfalls nicht gefällt.

Er scheint zum Ende seiner Rede zu kommen. „Und jetzt werden wir wie eine große Familie sein. Allerdings sind wir uns heute noch relativ fremd, und das möchte ich ändern. Also werden wir durch die Reihen gehen, jeder wird einzeln aufstehen und uns ein bisschen über sich erzählen. Vielleicht etwas über euren Background und was euch hergeführt hat. Ich habe eure Lebensläufe gelesen und habe das Gefühl, euch schon ganz gut zu kennen. Aber das muss allen so gehen. Wie wär’s mit dir da vorn … Andrei Komokov?“

Vorsichtig erhebt sich der junge blonde Mann, blickt sich um und stellt sich dann mit schwerem russischen Akzent vor. Sein Englisch ist gut, klingt jedoch abgehackt, was zeigt, wie unangenehm es ihm ist, derartig ins Rampenlicht gestellt zu werden.

Keller merkt anscheinend nicht, wie schrecklich das für die Spieler ist, und ruft weitere auf. Für die meisten Jungs ist es wirklich ein Schritt nach oben, aber sie sind nervös, und ihnen ist klar, dass sie nur wegen einer furchtbaren Tragödie hier sind. Keiner von ihnen drückt seine Freude aus, diese Chance zu bekommen, aber Keller scheint genau diese Dankbarkeit hören zu wollen.

Keller lässt den Blick schweifen. „Stone Dumelin.“

Leise fluchend erhebe ich mich und Keller nimmt die Bewegung wahr.

Er lächelt mich an, als wären wir alte Freunde. „Erzähl uns von dir, Stone.“

„Stone Dumelin, Left Winger. Habe nach dem College bei den Eagles gespielt, mich an der Schulter verletzt und bin dann zwischen ihnen und den Minors hin und her gewechselt. Letztes Jahr war ich bei den Cleveland Badgers.“

Ich will mich wieder setzen, aber Keller hält mich auf. „Und was war die treibende Kraft, die dich hierhergebracht hat?“

Wut rast durch mich hindurch, und ich muss mich schwer zusammenreißen, um nicht über die Sitzreihen zu stürmen und dem Kerl da unten eine reinzuschlagen. Ich halte mich zurück, atme durch die Nase ein und knurrend wieder aus. „Ich würde sagen, die treibende Kraft ist die Tatsache, dass mein Bruder in dem Flugzeug saß. Sein Tod hat es mir ermöglicht, wieder in der ersten Liga zu spielen. Manche würden sagen, eine glückliche Fügung. Du nicht auch?“

Die Anspannung im Saal ist spürbar und ein paar Spieler reden leise miteinander. Keller wird blass. Man merkt ihm an, dass er mich nicht mit Brooks in Verbindung gebracht hat, obwohl er weiß, dass dieser bei dem Unfall umgekommen ist. Er hatte wohl einen enormen Hirnaussetzer, als er auf die Idee kam, über Privates zu sprechen.

„Scheiße, verdammt“, murmelt Keller und zieht dümmlich den Kopf ein. „Es tut mir leid. Ich habe dich mit jemandem verwechselt, Stone.“

Das ist ja noch schlimmer. Gott … kennt er denn nicht alle Namen der Spieler, die ums Leben gekommen sind? Hat man ihm nicht gesagt, wer ich bin?

Fragen, die ich jetzt vermutlich durchaus stellen könnte, aber für einige Männer hier ist dies die einzige Chance auf die große Liga, und ich möchte ihnen nichts verderben. Sie sollen an diesen Mann glauben können. Ich hingegen kann den Arsch ab jetzt nicht leiden.

Ohne seine Entschuldigung zu akzeptieren, setze ich mich wieder.

Keller stammelt herum und sucht sich ein neues Opfer. „Highsmith.“ Er sieht Coen erwartungsvoll an. „Steh auf und erzähl dem Team etwas über dich.“

Viel weiß ich nicht über ihn, außer dass er sehr talentiert und unglaublich großmäulig ist, aber das beschreibt eine Menge Spieler in der Liga.

Coen ist der Erste, der aktiv rebelliert und nicht aufsteht. Er rutscht sogar noch tiefer in den Sitz, als ob er am liebsten woanders wäre. Er starrt Keller an, der heftig schluckt. Gelassen und leicht verlegen antwortet er: „Ich glaube, alle wissen, wer ich bin. Einer der glücklichen drei.“

Eine Erinnerung daran, dass nicht alle aus dem ursprünglichen Team bei dem Flugzeugunglück gestorben sind. Ich höre seinem Tonfall an, dass er wahrscheinlich deswegen gegen innere Dämonen ankämpfen muss.

Keller starrt Coen an, wartet darauf, dass er mehr sagt. Vielleicht Keller als Coach anerkennt. Aber selbst ein Affe würde merken, dass Coen nichts mehr sagen wird, und hätte ich einen Funken Sympathie für Keller, würde ich mich jetzt für ihn schämen.

Tue ich aber nicht.

Möge er in Scham ersaufen, dafür, dass er die gute Stimmung zerstört hat, die Brienne und Callum erzeugt hatten.

„Coach.“ Alle schauen auf Gage Heyward, der sich erhebt. „Vielleicht geht es nur mir so, aber ich persönlich würde die anderen Spieler lieber selbst und einzeln kennenlernen. Aber darüber hinaus kann ich mit Sicherheit sagen, dass alle hier wild darauf sind, zu zeigen, was sie können. Stimmt’s?“

Bestimmt denken alle hier dasselbe wie ich. Ich möchte den Kerl küssen, weil er uns gerettet hat.

Alle Männer stimmen zu und jubeln in dem Wunsch, endlich hier rauszukommen. Jemand hinter mir äußert laut: „Auf jeden Fall habe ich keinen Bock auf diesen Kindergartenscheiß!“

Keller ist angepisst. Er presst die Lippen zusammen und Zorn zeichnet seine Züge. Irgendwann wird er seine Wut an Gage auslassen, der ihn wie einen Idioten dastehen ließ. Allerdings finde ich, Gage hat sich ziemlich diplomatisch ausgedrückt. Die Botschaft ist jedoch angekommen. Der Einzige, der das für eine gute Idee gehalten hat, ist Keller. Er hat jetzt die Gelegenheit, uns aus unserem Leid zu entlassen.

„Okay, Männer. Es ist klar, dass ihr Action wollt, und die könnt ihr haben. Ab in die Umkleide und für das Training umziehen. In fünfzehn Minuten will ich alle auf dem Eis sehen.“

Relativ leise gehen wir alle aus der Tür. Von hier aus ist es nicht weit zur Spielerkabine.

Keller steht im Flur neben der Tür des Konferenzraumes und klopft den vorbeikommenden Spielern auf die Schultern, als hätte gerade eine großartige Verbundenheit stattgefunden. Mit einigen versucht er sogar, ins Gespräch zu kommen. Ich will dem Kerl lieber aus dem Weg gehen, denn ich bin immer noch wütend auf ihn, weil er meine Tragödie ausgenutzt hat, um sich selbst gut darzustellen.

Bevor ich jedoch an Keller vorbeikomme, erscheint Gage neben mir und spricht mich so laut an, dass alle es hören können.

„Hey, Mann. Ich weiß nicht, ob du dich noch daran erinnerst, aber vor vier Jahren haben wir gegeneinander gespielt. Nach dem Spiel hast du mir etwas über ein Nahrungsergänzungsmittel erzählt. Ich habe es eine Weile genommen und irgendwann damit aufgehört. Und jetzt fällt mir ums Verrecken nicht mehr der Name von dem Zeug ein. Weißt du ihn noch?“

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und bin verwirrt. „Ich weiß nicht …“

„Doch“, sagt Gage etwas lauter, und meine Aufmerksamkeit liegt ganz auf ihm, während wir an Keller vorbeigehen. „Das waren diese riesigen Pillen, und du hast behauptet, dass sie den Metabolismus beschleunigen oder so ähnlich.“

Ich denke schon, der Typ muss total bekloppt ein, da grinst er und zwinkert mir zu.

„Ich wollte dich nur ablenken, um an Keller vorbeizukommen“, erklärt er leise.

Die Erkenntnis trifft mich und ich lächele ihn dankbar an. „Danke. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn er mich angequatscht hätte. Ich muss mich echt etwas abkühlen.“

„Gern geschehen“, antwortet Gage, klopft mir auf die Schulter, geht mir voraus zur Spielerkabine und überlässt mich meinen Gedanken.

Die Kabine ist cool, aber bis jetzt habe ich sie nur kurz bei der Stadiontour gesehen. Sie ist in Form eines Halbkreises gestaltet, was gut für die Teamatmosphäre ist, und so kann der Coach auch besser seine Ansprachen an alle Spieler richten. Die Organisation der Titans hat keine Kosten gescheut, es uns so angenehm wie möglich zu machen, da wir uns sehr oft hier aufhalten werden. Die Duschen sind gepflegt und mit Abtrennungen versehen. Alles ist mit edlem Holz verkleidet und die Fliesen auf den Böden zeigen das Teamlogo in Lila und Silber.

Der Boden der Umkleide ist mit einem dicken, grauen Teppichboden ausgelegt, mit lilafarbenen Fußleisten und dem großen Logo in der Mitte des Raumes. Der Teppich ist nagelneu und von hoher Qualität. Wahrscheinlich kümmert sich ein ganzes Reinigungsteam nur um die Pflege der Böden.

Die Spinde sind massiv, breit und tief und ebenfalls grau. Es gibt Haken und Fächer für die Ausrüstung sowie eine lange Sitzbank. Über jedem Spindbereich hängt eine Plakette mit dem Namen eines Spielers in Chrombuchstaben, der von hinten lila beleuchtet ist.

Noch leuchten dort die Namen der alten Mannschaft. Entweder soll das eine Ehrenbezeugung sein, oder das Management ist noch nicht dazu gekommen, die Namen auszutauschen.

Fast automatisch suche ich nach dem Spind meines Bruders und finde den Namen Dumelin darüber. Es ist leer, aber hier müssen seine Trikots gehangen haben. Er hatte die Nummer 62.

„Das muss schwer für dich sein, Mann.“ Jemand legt eine Hand auf meine Schulter. Bei Kellers Stimme verziehe ich innerlich das Gesicht. „Wenn du diesen Spind willst, kannst du ihn haben. Brauchst es nur zu sagen.“

Die anderen Jungs sehen erstarrt und ungläubig zu, wie Keller mich mit meinem Bruder konfrontiert. Ich entschließe mich dazu, ihm ein für alle Mal den Wind aus den Segeln zu nehmen, damit er meinen Bruder in seinem Grab lässt, wo er hingehört. „Wir standen uns nicht nah. Gib den Spind einem anderen.“

„Aber … aber …“

Ich warte nicht, bis er mit dem Stammeln fertig ist, sondern entferne mich von ihm, sodass seine Hand von meiner Schulter rutscht. Ich täusche Interesse an den Duschen vor und trete durch die Tür, wobei ich bete, dass Keller mir nicht folgt. Sollte er meinen Bruder noch ein Mal erwähnen, werde ich aus dem Team geschmissen, denn dann werde ich ihm die Zähne einschlagen.

Kapitel 2

Harlow

„Anwaltsbüro Harlow Alston“, sagt Bonita freundlich ins Telefon. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Ich gehe weiter die Post durch, die Bonita geöffnet und sortiert hat. Jeden Vormittag legt sie die Post auf die Ecke des Empfangstresens. Dort hole ich sie mir selbst ab, weil ich mich sonst überhaupt nicht aus dem Stuhl erheben würde. Ich gehöre zu den Workaholics, die stundenlang vor dem Bildschirm sitzen, bis meine Blase zu platzen droht, wenn ich nicht endlich zur Toilette gehe.

Bonita hat so ihre Methoden, mich aus dem Stuhl zu bekommen. Neulich kam sie in mein Büro und starrte auf etwas über meiner Schulter. „Das ist die größte Spinne, die ich je gesehen habe. Steh ganz langsam auf und …“

Ich eilte hektisch vom Stuhl, knallte ihn neben mir ans Fensterbrett und war schneller aus dem Büro, als ich zurückschauen konnte. Um zu sehen, wie sich Bonita vor Lachen krümmte.

Mit Tränen in den Augen schnappte sie nach Luft. „Wenn du schon mal aufgestanden bist, kannst du auch gleich eine Runde um den Block laufen.“