Tacker (Arizona Vengeance Team Teil 5) - Sawyer Bennett - E-Book

Tacker (Arizona Vengeance Team Teil 5) E-Book

Sawyer Bennett

5,0

Beschreibung

Es geht mir schlecht. Vor fünfzehn Monaten wurde mein Leben auf den Kopf gestellt, als das Flugzeug abstürzte, das ich selbst geflogen habe. Verletzt und im Wrack eingeklemmt, musste ich hilflos zusehen, wie meine Verlobte einen langsamen und qualvollen Tod starb. Seit diesem Tag lebe ich in der Hölle und habe keinerlei Antrieb mehr. Außer, Eishockey zu spielen. Nur auf dem Eis kann ich die schrecklichen Erinnerungen hinter mir lassen und dem Schmerz entkommen. Außerhalb des Eises gerate ich immer mehr außer Kontrolle. Ich verliere den Halt im Leben, bringe mich selbst in Gefahr und setze meine Karriere aufs Spiel. Nun wurde mir eine Therapie verordnet, um im Team bleiben zu dürfen. Das Problem dabei? Ist meine unkonventionelle Therapeutin Nora Wayne. Ich kann ihr den ganzen albernen Mist nicht abkaufen. Wie könnte sie auch verstehen, was ich durchmache? Woher will sie wissen, wie man wieder glücklich wird, nachdem man den Menschen, der einem am wichtigsten war, verloren hat? Doch ich habe eine Menge zu lernen, und Nora scheint genau die Person zu sein, die meine Mauern einreißen kann. Es geht mir schlecht. Doch zum ersten Mal spüre ich, dass sich das ändern könnte.

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Beliebtheit




Sawyer Bennett

Arizona Vengeance Teil 5: Tacker

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Joy Fraser

© 2019 by Sawyer Bennett unter dem Originaltitel „Tacker (Arizona Vengeance, Book #5)“

© 2022 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

© Coverfoto: Shutterstock.com

ISBN Print: 978-3-86495-546-4

ISBN eBook: 978-3-86495-547-1

Die Personen und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Dieser Roman darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Bonusszene

Autorin

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

Tackers Geschichte wird von den Fans der Serie Arizona Vengeance sehnsüchtig erwartet. Sollte dies für dich der erste Band sein, keine Sorge. Tacker kann auch unabhängig von der Serie einzeln gelesen werden; der Band ist in sich abgeschlossen und ganz allein eine gefühlvolle und sexy Geschichte.

Allen treuen Fans, die nach dem Band geschrien haben, möchte ich sagen, dass Tackers Story am Ende von Dax’ weitergeht und sich nur ein paar Tage überlappt. Freut euch! Euch steht eine emotionale Achterbahnfahrt bevor, wofür ich mich wie immer nicht entschuldigen möchte. #sorrynotsorry.

Kapitel 1

Tacker

„Drei drei Dezember“, spreche ich ins Headset. „Ich habe Probleme mit der Höhenanzeige und würde gern etwas steigen.“

Ich werfe einen Seitenblick auf MJ. Wie oft hat sie schon neben mir auf dem Co-Piloten-Sitz meiner Cessna 335 gesessen und voller Freude aus dem Fenster geblickt? Sie liebt das Fliegen genauso sehr wie ich und ist stets zufrieden damit, mir die Kontrolle zu überlassen. Trotz ihrer Liebe zum Fliegen hatte sie noch nie den Wunsch, Pilotin zu sein.

Noch nie zuvor habe ich gesehen, dass sie Angst hat, was meine Anspannung sprunghaft steigert. Sie sieht mich nicht einmal an, verengt die Augen und sieht starr nach vorn, in dem verzweifelten Versuch, den Horizont auszumachen.

Der Funk knackt und der Fluglotse antwortet: „In zwei Meilen können Sie steigen. Haben Sie das verstanden?“

„Roger“, sage ich und halte die Höhe. Wir befinden uns in knapp achthundert Metern Höhe und fliegen durch Nebel dick wie Suppe. Die Höhenanzeige ist das wichtigste Instrument und zeigt meine Position in Relation zum Horizont an, doch sie spinnt. Ohne klaren Himmel kann ich den verfickten Horizont nicht sehen und laufe Gefahr, die Orientierung zu verlieren. Daher habe ich darum gebeten, höher steigen zu dürfen, um aus der Scheiße rauszukommen.

Um in Sicherheit zu sein.

Ich gehe nicht das Risiko ein, das Steuer loszulassen, um tröstend MJs Hand zu drücken. „Hey, wirst du mich einen kurzen Blick auf das Hochzeitskleid werfen lassen?“

Der Grund dieses Fluges von Dallas nach Houston ist ihre letzte Anprobe des Hochzeitskleides. In nur zwei Wochen werden wir heiraten.

MJ ist die Abkürzung von Melody Jane. So nenne ich sie, seit ich sie in Dallas kennengelernt habe.

Sie nimmt den Blick von der Nebelwand und sieht mich kurz an. „Das kannst du komplett vergessen.“

Ich traue mich nicht, hinzusehen, erkenne nur aus dem Augenwinkel ihr Kopfschütteln und muss grinsen. Ich liebe ihren Widerspruchsgeist, selbst im Angesicht echter Gefahr.

„Cessna 121 Papa Papa“, sagt der Fluglotse. „Machen Sie eine langsame Linkskurve nach Südosten und steigen Sie dann auf zweitausend Meter. Dort sollten Sie eine Sichtweite von elf Kilometern haben, aber leichten Regen.“

„Roger.“ Ich schaue auf die Höhenanzeige. Die Linie des angezeigten Horizonts ist waagerecht, was bedeutet, dass ich wie ein Pfeil auf Kurs bin. Ich hoffe und bete, dass die Anzeige stimmt, denn momentan bin ich auf sie angewiesen.

Jetzt schaue ich kurz zu MJ, die meinen Blick zögerlich erwidert. Diese Linkskurve hängt voll davon ab, dass mich die Höhenanzeige durch den Nebel leitet.

„Ich liebe dich“, sage ich. Nicht, um mich zu verabschieden. Nur als Rückversicherung.

„Ich dich auch“, antwortet sie.

Ich beginne, eine Kurve zu fliegen.

Panik erdrückt mich und ich kann nicht mehr atmen. Nass geschwitzt wache ich aus dem Albtraum auf. Mein Mund ist weit offen, doch kein Schrei kommt heraus. Beim Absturz habe ich nicht geschrien, aber MJ. Er war ohrenbetäubend laut und von schierem Horror erfüllt. Selbst jetzt kann ich den Schrei noch hören, obwohl der Traum gar nicht so weit ging.

Manchmal durchlebe ich den gesamten Absturz erneut.

Und manchmal erlebe ich nur MJs letzte Lebensminuten in einer fortwährenden Schleife. Sie war nicht sofort tot. Beide waren wir in dem Wrack eingeklemmt, und ich musste zusehen, wie sie langsam und qualvoll starb. Das ist der schlimmste Albtraum, den ich immer wieder durchleiden muss.

Ich reibe mir übers Gesicht und frage mich, wie spät es ist. Ich habe keinen Wecker auf dem Nachttisch und trage meine Uhr beim Schlafen nicht. Das Handy lädt auf dem Schrank des Waschbeckens im Bad. In meinem Schlafzimmer befindet sich nur eine Luftmatratze mit einem Spannbetttuch, einer Decke aus Fleece und zwei Kissen. Gemessen an dem bläulichen Schein, der durch das Rollo scheint, ist es kurz vor Sonnenaufgang. Ich bin erschöpft. Wenn ich mich wieder hinlege, kann ich vielleicht wieder einschlafen. Allerdings behagt mir der Gedanke nicht, den Absturz noch einmal erleben zu müssen, und so stehe ich auf, wobei ich wegen dem Gips um mein linkes Handgelenk vorsichtig bin. Dank meiner Idiotie, vor zwei Wochen betrunken Auto gefahren zu sein, habe ich mir eine Fraktur zugezogen. Den Gips muss ich noch weitere zwei Wochen tragen, doch vielleicht kann ich den Arzt überreden, ihn mir vorher schon abzunehmen.

Ich gehe über den Flur in das kleine Bad. Dieser Apartmentkomplex ist der letzte Schrott. Nachdem ich in das Team der Vengeance gekommen war, habe ich im September das kleine Einzimmerapartment in Phoenix gemietet.

Ich war nicht gerade ein begehrter Spieler, da ich wegen des Flugzeugabsturzes fast die komplette zweite Hälfte der letzten Saison aussetzen musste. Jedoch nicht wegen meiner Verletzungen. Abgesehen von ein paar tiefen Schnittwunden war ich weitgehend unverletzt. Doch ich hatte keinen Kampfgeist mehr in mir und blieb bei den Dallas Mustangs auf der Verletztenliste.

Es war nicht überraschend, dass man mich beim Expansion Draft angeboten hat. Ich war ein zu großes Risiko, allerdings anscheinend nicht für die Vengeance. Sie wollten mich im Team haben, also dachte ich: Was soll’s. Warum nicht? Zumindest ist es eine Ablenkung von meinen inneren Dämonen. Ich stellte fest, dass ich MJ und ihren Tod aus dem Kopf verbannen kann, wenn ich auf dem Eis bin.

Sobald ich vom Eis komme, beherrscht sie sofort wieder meine Gedanken.

Ich mache mein Geschäft im Bad, wasche mir die Hände und nehme das Handy vom Ladegerät. Dann gehe ich in die Küche und mache Kaffee. Während er brüht, nehme ich die einzige Tasse aus dem Schrank, die ich besitze. Sie trägt das Logo der Arizona Vengeance. Ich habe sie im Fanartikelladen im Stadion erstanden, als ich hergezogen bin. Mehr Trinkgefäße habe ich nicht, abgesehen vom Leergut der Wasserflaschen.

Das Handy verrät mir, dass es sechs Uhr fünfundvierzig ist, und ich frage mich, ob ich wirklich zu meinem Termin gehen soll. Es ist noch genug Zeit. Zehn Minuten für Duschen und Anziehen. Fünfundzwanzig Minuten für die Fahrt mit einem Uber zum Stadion, da mir der Führerschein wegen Alkohol am Steuer entzogen wurde. Und fünf Minuten standardmäßiges Warten vor dem Büro, bis mir eine Audienz bei Christian Rutherford gewährt wird.

 Er ist der Manager der Arizona Vengeance und erwartet heute eine Antwort von mir.

Auf welche Frage? Ob ich weiterhin im Team bleiben will.

Sein Angebot, mich weiterhin als Spieler zu behalten, hat er nicht ohne eine Menge Überlegungen gemacht. Er traf sich mit Coach Perron und Dominik Carlson, dem Besitzer des Teams. Sie wägten meine Nützlichkeit gegen den dunklen Schatten ab, den ich mit meinen Mätzchen auf das gesamte Team geworfen habe.

Sie sind nicht ohne Mitgefühl, was wahrscheinlich bei einem Mann wie mir völlig unangebracht ist. Dennoch haben sie mir ein Angebot gemacht und ich habe darüber nachgedacht. Letzte Woche hatte ich ein Gespräch mit Christian. Seine Bedingungen sind einfach und nicht verhandelbar.

Erstens muss ich hunderttausend Dollar Strafe wegen Trunkenheit am Steuer zahlen. Damit möchte er die Botschaft aussenden, dass ein solches Verhalten weder toleriert noch verziehen wird.

Bei dieser Strafe werde ich es mir wirklich zweimal überlegen, noch einmal so etwas Bescheuertes zu tun.

Die zweite Bedingung ist keine große Sache. Ich darf keinen Alkohol mehr trinken. Keinen einzigen Tropfen. Sollte es einen Beweis geben, dass ich die Regel breche, werde ich sofort entlassen und mein Vertrag aufgelöst. Das macht mir nichts aus. Ich habe nicht vor, wieder zu trinken, denn das war noch nie mein Ding. MJ trank auch nicht, sodass ich es ebenfalls nicht tat. Es hatte nichts mit religiösen, spirituellen oder gesundheitlichen Gründen zu tun. Sondern wir mochten beide nicht, wie man sich danach fühlt. Und nach meinem harten Kontakt mit der Betonmauer, sowie mit fast einer ganzen Flasche Jack Daniel’s, habe ich mir sowieso geschworen, nie wieder einen Tropfen Alkohol zu trinken.

Die dritte Bedingung ist, eine Art psychologische Trauerbewältigungstherapie zu machen. Das ist spezifiziert worden. Für den Rest der Saison muss ich mindestens zweimal pro Woche eine Therapie machen, und dafür stellte man mir sogar eine Liste mit Therapeuten zur Verfügung. Ich musste eine Einverständniserklärung unterschreiben, dass der Psychologe meine Fortschritte ans Management weiterleiten darf. Falls ich nicht kooperiere, darf man mich sofort aus dem Team entlassen und den Vertrag kündigen. Sollte ich auch nur eine Sitzung unentschuldigt auslassen, werde ich rausgeschmissen. Sollte ich emotional keine Fortschritte machen, werde ich ebenfalls entlassen.

Das Ganze ist sehr streng und genau definiert; beinahe so, als ob man will, dass ich versage. Doch ich weiß, dass es nicht so gemeint ist.

Ein großer Teil von mir würde am liebsten Fickt euch zum Management sagen. Diese Bedingungen zu erfüllen, wird nicht leicht werden. Sie bedeuten, dass ich mich meinen Dämonen stellen muss. Was heißt, dass ich MJ loslassen muss. Egal, wie verflucht schmerzhaft es ist, mich daran zu erinnern, wie sie neben mir gestorben ist, sind es doch meine letzten Erinnerungen an sie. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.

Ich habe viel nachgedacht. Zu dem einzigen Gott gebetet, den ich kenne und bisher nicht oft bemüht habe. Ich habe in meiner Seele nach der richtigen Antwort gesucht, aber keine Klarheit gefunden.

Es scheint keine zu geben, außer …

Wenn ich das Team verlasse, ist meine Eishockeykarriere beendet. Aber diese ist das Einzige auf der Welt, das mich wenigstens noch ein bisschen glücklich macht. Vielleicht ist glücklich nicht das richtige Wort, aber zumindest gibt mir der Sport eine Auszeit vom Schmerz.

Und das bedeutet mir viel.

Ich schaue aufs Handy. Sechs Uhr einundfünfzig. Immer noch Zeit, es mir anders zu überlegen, doch mir ist klar, dass die Uhr tickt und mich der Entscheidung immer näher bringt. Einer, die einen großen Einfluss auf meine Zukunft haben wird.

Kapitel 2

Tacker

Das war bestimmt die schlimmste Stunde meines Lebens, und ich habe schon viele schlimme Momente erlebt.

Ich lasse die Tür des Therapeuten hinter mir zuschwingen und schaue noch einmal auf sein Namensschild.

Gordon Dumfries III. Doktor der Psychologie, zugelassener klinischer Sozialarbeiter – kurz: PsyD, MA, LCSW-C

Guter Gott, bei all diesen wichtig erscheinenden Abkürzungen sollte man meinen, dass der Mann etwas von Menschen versteht. Zwanzig Minuten lobte er sich selbst und erklärte mir die Buchstaben hinter seinem Namen. Dann erzählte er mir fünfzehn Minuten, wie wichtig es sei, mich zu öffnen und mich dem Schmerz zu stellen, und dass das am besten mit vielen Tränen ginge und dem Schreddern meiner Seele.

Oder so ähnlich.

Die letzten fünfundzwanzig Minuten starrten wir einander an, denn ich machte es ihm nicht leicht. Er war gezwungen, mir gezielte Fragen zu stellen, um etwas aus mir herauszubekommen. Am Ende schüttelte er enttäuscht den Kopf und sagte, dass er das nächste Mal mehr von mir erwarte.

Das glaubst aber auch nur du, Dr. Dummfick, dass es ein nächstes Mal geben wird.

Ja, mir ist bewusst, dass meine Karriere von meiner Therapie abhängt.

Vor zwei Tagen, und direkt nach einem weiteren Albtraum, saß ich vor dem Teammanager Christian Rutherford und dem Teambesitzer Dominik Carlson und sagte ihnen, dass ich im Team bleiben möchte. Ich akzeptierte alle Bedingungen.

Das mit dem Alkohol war leicht. Der Autounfall durch Alkohol am Steuer resultierte daraus, dass MJ an dem Tag Geburtstag hatte. Da hatte ich einen echten Tiefpunkt.

Doch das war nicht mein erster Ärger mit dem Team. Im November wurde ich gesperrt und bekam eine dicke Strafe aufgebrummt, weil ich gegenüber einem gegnerischen Spieler brutal geworden war.

Kurz gesagt, ich bin dem Management ein Dorn im Auge, und mein hervorragender Durchschnitt von 1,32 Punkten pro Spiel, der mich an die Spitze der Liga bringt, kann mich auch nicht mehr retten.

Der andere Teil des Ultimatums ist also die Therapie. Etwas, das ich erfolgreich gemieden habe, seit dem für MJ tödlichen Absturz vor fünfzehn Monaten. Ich hasse die Vorstellung, zu einem Seelenklempner zu müssen, aber noch etwas anderes beeinflusste meine Entscheidung, im Team zu bleiben.

Gestern kamen meine Teamkameraden Bishop und Dax in mein schäbiges Apartment und baten mich, nicht aufzugeben. Nun ja, Dax bat mich. Bishop war nicht so freundlich, und mir wurde klar, dass er am Ende seiner Geduld mit mir ist. Er sagte, ich solle endlich meinen Kopf aus dem Arsch ziehen und wieder ein anständiger Profispieler sein sowie im Team ein echter Kamerad. Früher konnte ich das alles. Bei den Dallas Mustangs stand ich allen Jungs nah.

Obwohl Bishop kein Blatt vor den Mund genommen hat, drang er zu mir durch.

Also hatte ich die besten Absichten, als ich in Dumfries Praxis ging, und mich seine lange Berufsbezeichnung sogar beeindruckte. Bis ich merkte, was für ein Dummschwätzer er ist, und dass ich mir lieber mit einem Schraubenzieher ins Ohr stechen würde, als ihm noch länger zuzuhören. Als die Sitzung um war, wollte er einen neuen Termin vereinbaren, doch ich sagte, dass ich ihn anrufe, wenn ich meinen Spielplan habe.

Ich habe nicht vor, ihn anzurufen.

Ich gehe aus dem Gebäude und öffne die Uber-App, um mir einen Fahrer zu bestellen. Scheiße, dass ich keinen Führerschein mehr habe, aber das ist der Preis, den ich zahlen muss. Glücklicherweise empfahl mir Dominik Carlson einen guten Anwalt, der nun versucht, die Strafe zu mildern. Eventuell verdonnert man mich nur zu einem Fahrtest oder so etwas. Das würde ich liebend gern machen. Ich hasse es, ständig auf Fahrer angewiesen zu sein.

Dominik ist nicht wie andere Besitzer. Er interessiert sich für seine Spieler. Er hat sich bereits für einige von uns hilfreich eingesetzt, da bin ich wohl keine Ausnahme. Zusätzlich zu seiner Empfehlung eines Anwalts und mir eine zweite Chance im Team zu geben, nahm er mich nach dem Meeting am Montag zur Seite und drückte mir seine Visitenkarte in die Hand.

„Hier ist meine private Handynummer. Die gebe ich nicht jedem, aber ich befehle dir, sie zu benutzen, wenn du in irgendeiner Weise Hilfe brauchst. Ich will, dass du es schaffst, Tacker. Und ich will, dass das Team erfolgreich ist.“

Das war alles, und jetzt weiß ich ohne Zweifel, dass ich seine Hilfe brauche.

Während ich auf das Uber warte, hole ich die Visitenkarte aus meinem Geldbeutel und sehe sie an, überlege, ob es klug ist, ihn anzurufen.

Ich könnte mich zusammenreißen und einen neuen Termin mit Dr. Dummfick machen. Zweimal die Woche könnte ich es ertragen. Ich könnte ihn ausblenden, wenn er mir auf den Sack geht, und sogar ein paar Tränen faken, um ihn zu beschwichtigen.

Aber Mist, nein, das will ich nicht. Wenn ich schon meine Dämonen konfrontiere und versuche, die Schuldgefühle loszuwerden, dann soll es auch zu Resultaten führen. Und die bekomme ich auf keinen Fall durch diesen Idioten.

„Ach, scheiß drauf.“ Ich wähle Carlsons Nummer.

Ich erwarte, auf seiner Voicemail zu landen, und werde ihm eine kurze, nette Nachricht hinterlassen. Dann kann er mich, wann immer es ihm passt, zurückrufen.

Ich bin überrascht, als er nach dem zweiten Klingeln abnimmt, und noch erstaunter, dass er mich mit Namen anspricht. „Tacker, was kann ich für dich tun?“

Ich bin nicht sicher, ob ich beeindruckt sein soll, dass er meine Nummer in seinem Handy gespeichert hat, oder es unheimlich finden soll. Er muss sich meine Nummer extra besorgt haben. Wahrscheinlich hat er seine Sekretärin damit beauftragt, sie sich von der Personalabteilung geben zu lassen. Was wohl bedeutet, dass er davon ausgegangen ist, dass ich ihn anrufen würde. Was auch bedeutet, dass er einfühlsamer ist, als ich dachte, und das ist definitiv irgendwie unheimlich. Aber egal.

„Ich kann mit dem empfohlenen Therapeuten nicht weitermachen“, sage ich direkt. „Ich hatte gerade die erste Sitzung und es war eine Katastrophe.“

„Wieso?“

Er akzeptiert nicht so einfach meine Aussage. Mal sehen … Wie drücke ich mich am besten aus, um nicht wie ein unterbelichteter Idiot zu klingen? „Er ist ein Arsch. Er will mit mir Händchen halten, während ich mich ausheule.“

Dominik schnaubt, ist jedoch nicht so leicht zu beeinflussen. „Nun ja, ich glaube, so funktionieren Therapien nun mal.“

„Aber nicht bei mir“, murmele ich.

„Okay, dann such dir einen anderen von der Liste aus. Da müssten mehrere Namen stehen.“

„Nichts für ungut“, sage ich und reibe mir den Nacken. „Aber ich glaube, wer auch immer die Liste zusammengestellt hat, hat bestimmt noch mehr dieser Affen ausgesucht.“

„Aber ich kann dich von dieser Bedingung nicht befreien“, antwortet er steif.

„Das will ich auch gar nicht.“ Ich seufze und lasse den Blick über den Parkplatz schweifen. „Ich brauche einen, der …“ Ich habe keine Ahnung, wen ich brauche, jedenfalls nicht so einen wie den, den ich gerade verlassen habe.

„Ich glaube, ich weiß, was du brauchst“, sagt Dominik.

Ich zucke zusammen. Woher will er das wissen, wenn ich es nicht mal selbst weiß?

„Ich schicke dir die Infos. Es heißt Shërim Ranch und liegt außerhalb von Phoenix.“

„Eine Ranch?“, frage ich verwirrt.

Er geht nicht darauf ein. „Frage nach Nora Wayne. Sie wird alles arrangieren.“

„Was ist das denn genau?“

„Viel Glück“, sagt er und legt auf.

Mein Handy brummt. Dominik hat mir die Infos geschickt. Es ist ein Link. Ich öffne ihn, und die Webseite der Shërim Ranch geht auf. Die Titelzeile zeigt Pferde, die durch die Wüste von Arizona galoppieren. Ich lese den obersten Text.

Auf der Shërim Ranch bieten wir Pferdetherapie für Menschen mit physischen, psychischen und emotionalen Bedürfnissen an.

Pferdetherapie? Was zum Geier ist das denn?

Ein Hupen lenkt mich ab. Das Uber ist da und der Fahrer sieht mich ungeduldig an. Ich schaue ihn grimmig an, gehe hinüber und öffne die hintere Tür. Als ich Platz genommen habe, sage ich: „Ich muss woanders hin, als das Ziel, das ich ursprünglich eingetragen habe.“

„Dann müssen Sie das in der App ändern“, antwortet der Halbstarke, ohne mich anzusehen.

„Soll das ein Witz sein?“

Er dreht sich halb um, sieht mich an und weitet die Augen. Er erkennt mich. „Heilige Scheiße! Sie sind Tacker Hall.“

„Kannst du mich jetzt woanders hinbringen, ohne dass ich vorher durch Reifen springen muss?“

„Na klar, Mr. Hall.“ Er wendet sich wieder der Straße zu. „Wohin wollen Sie?“

„Zur Shërim Ranch“, murmele ich. Ich rufe die Wegbeschreibung auf der Webseite auf. „Ich sage dir, wo es langgeht.“

Ich mache es mir bequem. Die Ranch ist angeblich vierzig Minuten entfernt, und ich frage mich, wo mich Dominik Carlson da reingeritten hat.

***

Okay, ich gebe zu, ich bin fasziniert.

Das habe ich mir jedenfalls nicht vorgestellt, als mir eine Therapie verordnet wurde. Irgendwie ist es beruhigend, denn der Gedanke, auf einer Couch zu liegen und einem völlig Fremden mein Herz auszuschütten, erschreckt mich.

Auf der Fahrt habe ich die Ranch gegoogelt. Sie gehört einer Nora Wayne, an die ich mich laut Dominik wenden soll. Sie ist eine geprüfte Therapeutin und hat an der Universität von Colorado studiert. Sie hat die Ranch vor drei Jahren gekauft und diese dient mehreren Zwecken. Um die Historie der Ranch zu erhalten, werden dort immer noch Pferde gezüchtet und verkauft und es werden Reitkurse angeboten. Der Hauptzweck ist jedoch das Heilen. Was auch immer das für den Einzelnen bedeuten mag. Der Name Shërim bedeutet Heilung oder Erholung auf Albanisch. Der Kurzbiografie von Nora Wayne entnehme ich, dass sie dort geboren wurde und als junges Mädchen in die Vereinigten Staaten kam.

Es wird ein Camp angeboten, in dem Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen reiten lernen und sich um die Pferde kümmern können. Nora Wayne arbeitet mit der Jugendstrafbehörde zusammen und bietet an, dass die Kinder in manchen Fällen ihre Strafe auf der Ranch abarbeiten können, anstatt eingesperrt zu werden.

Außerdem bietet sie Therapiesitzungen an, mit oder ohne die Hilfe von Pferden. Oh, und sie bietet noch anderen Hippie-Scheiß an, wie Yoga und Meditationen, was mich definitiv nicht interessiert.

Der Uber-Fahrer fährt einen langen Feldweg auf das Ranchhaus zu. Es ist um die zweihundertfünfzig Quadratmeter groß, ebenerdig, mit Stuck verziert und hat rote Schindeln auf dem Dach. Links steht eine graue verwitterte Scheune oder ein Stall und es gibt drei eingezäunte Bereiche. Hinter dem Haus erstreckt sich eine Weide mit hauptsächlich braunem Gras, doch in der Ferne wird es grün, wo Bäume beginnen. Drei Pferde grasen auf der Weide.

Außerdem steht hier ein weißer Metallcontainer, wie man ihn auf Baustellen sieht. Er ruht auf Holzblöcken und hölzerne Stufen führen zur Tür.

Eine Frau und ein Teenager befinden sich auf der Koppel links von der Scheune. Sie hält ein braun-weißes Pferd am Zaumzeug. Der Junge betrachtet das Pferd mit zweifelndem Ausdruck. Ein älterer Mann hat die Arme auf den Holzzaun gelegt und schaut zu.

Ich reiche dem Uber-Fahrer hundert Dollar, steige aus und winke kurz ab, als er sich überschwänglich bedankt. Unsicher, an wen ich mich wenden soll, gehe ich zu den Leuten, die ich sehe.

Ich nehme an, die Frau auf der Koppel ist Nora Wayne, könnte aber auch falschliegen. Sie ist groß und kurvig und wie in die staubige, verblasste Jeans gegossen, die sie mit abgetragenen Cowboystiefeln trägt. Es ist schön draußen, die Temperatur liegt etwas über zwanzig Grad, was im Februar in Arizona normal ist. Die Frau trägt ein blaues T-Shirt mit V-Ausschnitt und hat ein kariertes Flanellhemd um die Hüften gebunden. Außerdem trägt sie einen beigen Cowboyhut, der nicht viel von ihrem Gesicht sehen lässt, außer von der Nase abwärts. Auf dem Rücken hängt ein dunkler geflochtener Zopf.

Das Pferd zuckt leicht zusammen und macht einen halben Schritt zur Seite. Schnell hat sie es wieder unter Kontrolle, doch der Junge weitet die Augen und springt zurück.

Kapitel 3

Nora

Das Pferd weicht erneut nach links aus, aber ich halte die Stute fest. Ein paar sanfte Worte und sie beruhigt sich.

„Er mag mich nicht“, knurrt Terrance und tritt zurück.

„Sie“, korrigiere ich ihn.

„Sie mag mich nicht“, wiederholt der Sechzehnjährige. Ängstlich weicht er weiter zurück.

„Also, das wissen wir nicht mit Sicherheit, oder? Es ist nicht fair, zu beurteilen, was jemand denkt, nur anhand einer kleinen Bewegung. Eines Ausdrucks. Eines Geräuschs.“

Terrance starrt mich an. Es ist seine erste Therapiestunde mit mir, und er vertraut mir genauso wenig wie Starlight, meiner schönen, gutmütigen Stute. Mit der freien Hand kraule ich sie unter dem Kinn.

„Was, wenn eben eine Pferdebremse Starlight in den Hintern gestochen hat?“, frage ich und lächele ermutigend. „Und sie sich deshalb bewegt hat?“

Ich lasse den Blick über die kleine Koppel schweifen. Raul hat einen Fuß auf das untere Brett des Zauns gestellt und stützt sich mit einem Arm auf das oberste. Sein alter Strohhut beschattet sein wettergegerbtes faltiges Gesicht, während er mir bei der Arbeit zusieht.

Ich sehe Terrance an und warte, bis er meinen Blick erwidert. „Die Wahrheit ist, dass Starlight dich genauso wenig kennt wie du sie. Aber das werden wir ändern. Komm etwas näher.“

Terrance ist ein Stadtkind aus einem armen, instabilen Umfeld. Er kam heute an und markiert den Starken mit mieser Laune. Er wurde in der Highschool erwischt, als er Graffiti an die Turnhalle sprühte. Sein zweiter krimineller Akt. Anstatt in die Jugendhaft schickte man ihn zu mir.

Und das ist wunderbar. Ich arbeite gern mit Kindern, die Potenzial haben, und Richterin Beasley schickt mir diejenigen, von denen sie glaubt, dass ihnen die Pferdetherapie helfen könnte, anstatt sie einsitzen zu lassen. Kinder, die eingesperrt werden, gehen im System öfter verloren, als dass es ihnen weiterhilft, und die Rückfallquote ist sehr hoch.

„Wenn du nervös bist“, sage ich sanft, „merkt sie das und wird auch nervös. Am besten trittst du ihr also selbstsicher entgegen. Hebe den Kopf. Nimm die Schultern zurück. Zeige ihr, dass du ein Freund bist und sie kennenlernen möchtest, indem du lächelst. Sie spürt das und wird entsprechend reagieren.“

Terrance weiß nicht, dass das der reinste Horse-Shit ist – ohne doppeldeutig sein zu wollen. Starlight ist ein freundliches, sanftes Pferd, das jeden liebt. Doch ich möchte Terrance ein paar Lebensweisheiten unterjubeln, und Selbstvertrauen ist etwas Wichtiges. Menschen anzulächeln, ebenfalls.

Terrance gehorcht und tritt näher. Er schluckt schwer und findet das große Pferd neben mir offensichtlich bedrohlich. Doch er besitzt auch eine gesunde Portion Ego mit seinen sechzehn Jahren, also hebt er das Kinn und nimmt die Schultern zurück.

„So kannst du sie streicheln. Über die Nase.“ Ich demonstriere es ihm.

Der Junge zögert. Seine Adidas-Sneakers wirbeln Staub auf, als er nervös tänzelt.

„Schon gut“, beruhige ich ihn. „Sie ist freundlich zu dir, versprochen.“

Terrance sieht mich misstrauisch an, was mir im Herzen wehtut. Was er durchgemacht hat, sorgt dafür, dass er niemandem vertraut. Dass er seinen Selbstwert anzweifelt. Ich hoffe, dass es am Ende der Therapie nicht mehr so sein wird. Es ist immer wieder erstaunlich, was etwas Selbstvertrauen in einem Kind verändern kann. Wie aufbauend das wirkt. Wie es ihm die Kraft geben kann, Nein zu schlechten Entscheidungen zu sagen.

„Ich weiß, dass du mir noch nicht vertrauen kannst, Terrance. Ich verspreche dir zwar, dass dir hier nichts passiert, aber du kennst mich noch nicht. Also verstehe ich das. Die einzige Möglichkeit, diese erste Aufgabe zu meistern und das Tier anzufassen, ist, tief in dir den Mut zu finden, es zu tun. Ich glaube, dass du das kannst.“

Man sieht ihm den Konflikt an. Seine Teenagerarroganz hilft ihm jetzt, denn er streckt die Hand aus. Obwohl er nicht näher getreten ist, kann er Starlights weiche Nase berühren. Ich kann ein Lächeln nicht verbergen, als er langsam auf und ab streichelt.

Terrance seufzt leise, als ob das zarte Fell der Stute eine angenehme Überraschung darstellt. Seine Lippen zeigen ein kleines Lächeln.

„Wunderbar“, lobe ich.

Abrupt zieht er die Hand zurück. Das schmerzt mich noch mehr. Er ist nicht an freundliche Worte gewöhnt und richtet sofort seinen Schutzwall wieder auf.

Ich nicke Raul zu, was ihm signalisiert, dass ich für ihn bereit bin. Er geht zum Tor im Zaun und betritt die Koppel.

„Das ist Raul“, sage ich zu Terrance. „Mein Manager.“

Raul Vargas ist der wichtigste Mensch auf der Ranch. Er ist gerade siebenundsechzig geworden und sieht auch so aus durch die vielen Jahre in der Sonne. Doch Raul ist fit wie ein Turnschuh und agiler als viele Leute, die nur halb so alt sind wie er. Und er ist ein unglaublich talentierter Pferdeflüsterer. Außerdem ist er mein bester Freund. Sicherlich eine Vaterfigur, aber mit ihm kann ich auch über Dinge reden, die ich niemals mit meinem eigenen Vater besprochen hätte, als er noch lebte.

„Raul wird dir jetzt zeigen, wie man Starlight richtig pflegt“, erkläre ich Terrance. „Dabei gewöhnst du dich daran, sie anzufassen, genau wie sie sich an dich gewöhnen wird. Es ist eine gegenseitige Beziehung. Vergiss das nicht.“

Überraschenderweise murmelt Terrance: „Jawohl, Ma’am.“

„Sag nicht Ma’am zu mir.“ Liebevoll drücke ich kurz seine Schulter. „Einfach nur Nora.“

„Du hast Besuch“, sagt Raul und deutet hinter mich.

Beim Umdrehen schütze ich meine Augen mit der Hand vor der Sonne, die mein Hut nicht abhält. Ein groß gewachsener Mann steht an der Koppel. Ich kann sein Gesicht nicht genau erkennen, aber ich weiß, wer er ist.

Tacker Hall.

Ich habe ihn erwartet, weshalb ich Terrance an Raul übergebe.

Ich sehe Terrance an. „Das hast du super gemacht. Wir sehen uns nächste Woche wieder, okay?“

„Okay, Nora“, sagt er lächelnd.

Ich gehe durch die Koppel auf meinen neuen Klienten zu. Eigentlich habe ich viel zu viel zu tun, um neue Klienten anzunehmen. Hätte der Mann mich angerufen, hätte ich ihn an einen meiner Mitarbeiter übergeben. Aber er hat nicht angerufen, sondern Dominik Carlson.

Noch vor einer Stunde kannte ich Dominik Carlson nicht. Zugegeben, ich lebe in meiner eigenen kleinen Welt und bekomme nicht viel mit von dem, was außerhalb der Ranch passiert. Kurz stellte er sich als der Besitzer der Arizona Vengeance vor und sagte, dass einer der Spieler Hilfe braucht. Ich weiß, dass es sich um unser Eishockeyteam handelt, denn ich sehe mir die Nachrichten an.

Es ist beeindruckend, dass er von mir gehört hat. Er sagte, er hätte einen Artikel in der Zeitung über mich gelesen und gedacht, dass ich seinem Spieler Tacker Hall vielleicht helfen könnte. Leider musste ich ihm absagen, denn ich habe keine Zeit, aber schnell wurde klar, dass Dominik Carlson kein Nein akzeptiert, wenn er etwas haben will. Als er mir eine Spende von fünfzigtausend Dollar für die Ranch anbot, fand ich ohne Scham plötzlich Platz im Terminkalender. So viel Geld kann man einfach nicht ablehnen. Zwar erwirtschaften wir genug, um die Pferde gut zu versorgen und das Darlehen abzuzahlen, aber es bleibt nicht viel davon übrig. Gern würde ich ein paar Gebäude und Koppeln erneuern, einen Aufsitzmäher für die Wiesen kaufen und Raul besser bezahlen. Er verdient immer noch dasselbe wie vor drei Jahren, als ich ihn einstellte, und hat sich noch nie beklagt.

Also sagte ich Mr. Carlson, dass ich gern aushelfe, und jetzt ist Mr. Hall hier. Ich habe nicht die geringste Ahnung von seinem Problem, aber hier helfen wir allen verlorenen Seelen. Sei es bei Drogensucht, Depressionen, posttraumatischem Stress oder um ein Kind vor dem Gefängnis zu bewahren. Ich benutze die heilende Wirkung der Pferdetherapie, mein therapeutisches Wissen und meine Erfahrungen, um Menschen zu erreichen, bei denen traditionelle Therapien nicht anschlagen.

Während ich mich meinem neuen Klienten nähere, versuche ich, mich nicht von seinem guten Aussehen ablenken zu lassen. Er hat kurzes, hellbraunes Haar und braune Augen. Seine Gesichtszüge sind klassisch schön, gleichmäßig geschnitten, und ich habe den Eindruck, dass er sogar zum Umfallen toll aussehen könnte, würde er nicht so grimmig dreinschauen. Seine Lippen sind zusammengepresst und seine Augen blicken eiskalt.

„Mr. Hall“, sage ich und lächele ihn willkommen heißend an. Ich strecke die Hand über den Zaun aus, und er schüttelt sie, ohne zu zögern. „Ich bin Nora Wayne. Mr. Carlson hat Sie angekündigt.“

„Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen“, antwortet er, ohne dankbar zu klingen.

Mr. Carlson hat mir zwar nicht erzählt, warum Tacker kommt, aber er sagte, dass er keine Wahl hätte. Dass die Teamleitung darauf bestand und er mindestens zweimal die Woche kommen müsste, um im Team bleiben zu können. Normalerweise hätte ich Tacker längst gegoogelt, aber wegen des Termins mit Terrance habe ich noch keine Zeit dafür gefunden.

„Gehen wir in mein Büro“, sage ich und deute auf den Metallcontainer. „Darf ich Sie Tacker nennen?“

„Nennen Sie mich, wie Sie wollen“, murmelt er und geht neben mir her am Zaun entlang.

Ich gehe durch das Gatter, schließe es hinter mir und nehme dann die Stufen hoch ins Büro. Es ist nur ein kleiner Container, aber mehr konnte ich mir nicht leisten, als ich ein echtes Büro auf der Ranch brauchte, um Klienten zu empfangen, wenn nicht mit den Pferden gearbeitet wird.

Drinnen befindet sich ein alter Schreibtisch mit einem Bürostuhl und ein bequemer Sessel für die Klienten. Keine Couch. Die ist mir zu klischeebehaftet.

Meine Urkunden sind zwar gerahmt, hängen aber nicht an den Wänden. In den vergangenen drei Jahren hatte ich noch keine Zeit, mich darum zu kümmern. Falls es jemanden interessiert, sage ich ihm, dass ich meinen Master an der Universität von Colorado gemacht habe, aber das kann man auch auf meiner Webseite nachlesen.

Die einzig andere Bequemlichkeit hier ist die im Fensterrahmen eingebaute Klimaanlage. Eine Notwendigkeit, wenn die Wüstensonne einen Ofen aus dem Container macht. Das geschieht ab April, der nicht mehr weit ist. Heute ist es nur um die zwanzig Grad warm, sodass ich die anderen Fenster offen lasse, um frische Luft hereinzulassen.

Ich deute auf den Klientensessel. „Nehmen Sie Platz, Tacker.“

Das tut er und er sieht sich mit unlesbarem Ausdruck im Büro um.

„Ich weiß, es sieht nicht aus wie ein typisches Therapeutenzimmer“, sage ich lächelnd und setze mich auf meinen Drehstuhl.

Kapitel 4

Tacker

Ohne Scheiß … die Frau, die mir gerade eben auf der Koppel entgegenkam, sieht wesentlich besser aus als Gordon Dumfries.

Verdammt viel besser.

Im Sinne von absolut ablenkend besser.

Das wird noch deutlicher, als sie im Büro den Hut abnimmt und ihn auf den Schreibtisch legt, der mit Ordnern und Papieren zugemüllt ist, inklusive fünf gebrauchten Kaffeetassen. Draußen hat der Cowboyhut die Hälfte ihres Gesichts verdeckt, aber ich konnte volle Lippen sehen, ein zartes Kinn und einen langen Zopf auf ihrem Rücken.

Fasziniert betrachte ich jetzt ihr Gesicht. Sie ist mehr als schön. Die Hautfarbe ist die von Menschen aus einem sonnigen Land, sie hat hohe Wangenknochen und elegant geschwungene Augenbrauen über zimtfarbenen Augen, die auf exotische Weise leicht schräg stehen. Eine Schönheit, die ich keinesfalls auf einer Pferderanch erwartet hätte, sondern eher auf einem Haute-Couture-Laufsteg in Mailand.

„Möchten Sie etwas trinken?“, fragt sie, und ich brauche einen Moment, um mich auf ihre Frage zu konzentrieren, denn ich muss erst mit ihrer Schönheit fertig werden.

Nicht, dass mir nach MJs Tod keine schönen Frauen mehr aufgefallen wären. Mir ist nicht entgangen, dass sich Bishop, Erik, Legend und Dax einer nach dem anderen in wunderschöne Frauen verliebt haben. Ich bewundere eine schöne Frau genauso wie jeder andere Mann, aber da endet dann auch schon mein Interesse. Wenn ich nachts die Augen schließe, ist es nur MJ, an die ich denke.

„Sie haben immer noch einen Akzent“, sage ich rundheraus. Auf der Webseite steht, dass sie in Albanien geboren ist. „Aber nur einen ganz leichten.“

Bei den wenigen Worten, die ich sie habe sprechen hören, wurde offensichtlich, dass sie eine leicht andere Intonation hat und das R ein bisschen rollt. Es ist kaum hörbar, doch irgendwie durchschaue ich diese Frau sehr viel besser als alle anderen Menschen, die ich in letzter Zeit getroffen habe.

Sehr seltsam.

Sie lächelt. „Ich bin in Albanien geboren und lebe in den USA, seit ich elf war. Der Akzent kommt manchmal hervor, wenn ich nervös bin.“

„Nervös?“ Überrascht blinzele ich. „Warum sollten Sie nervös sein?“

Lachfältchen bilden sich an ihren Augenwinkeln. „Ein neuer Klient ist immer eine große Verantwortung. Ich bin zum Helfen geboren und nehme das sehr ernst. Aber ich bin immer leicht nervös, wenn ich einen neuen Klienten treffe.“

Ich weiß nicht, ob sie mich verarscht. Sie erscheint aufrichtig, aber das klingt ein wenig abgedroschen und riecht nach Pferdescheiße.

„Ich merke, dass Sie das irritiert“, sagt sie und sieht mir direkt in die Augen. Aber sie wirkt nicht beleidigt. „Ich hoffe, Sie werden bald merken, dass ich meine, was ich sage.“

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Vertrauen baut sich nicht so leicht auf. Ich bin eher ein verschlossener Mensch. Auch wenn ich bereit bin, zu tun, was man von mir verlangt, bin ich doch nicht freiwillig hier. Ich freue mich nicht darüber und lasse mich nicht von einer Hippie-Pferdefrau einwickeln, die glaubt, sich mit einem Lächeln bei mir einschleimen zu können.

Also antworte ich nichts.

Sie hebt eine Augenbraue und ermöglicht mir, zu entscheiden, ob ich mich weiter über ihr kleines Geständnis austauschen will, mit dem sie sich menschlich zeigen wollte, damit ich mich bei ihr wohler fühle.

Als ich nichts sage, faltet sie die Hände auf ihrem Schreibtisch. „Ich weiß nicht, warum Mr. Carlson mich Ihnen empfohlen hat.“

„Ich muss eine Therapie machen, um in meinem Team bleiben zu dürfen.“ Mir ist klar, wie wenig das aussagt.

„Und warum?“

„Ich bin betrunken gegen eine Betonmauer gefahren.“

Das überrascht sie. „Absichtlich?“

„Ja.“

„Und warum haben Sie das getan?“ Jetzt ist sie voll im Therapeuten-Modus.

Noch bin ich nicht so weit, darüber zu reden. „Woher kennen Sie Dominik?“

„Ich kenne ihn nicht.“ Jetzt bin ich der Überraschte. „Anscheinend hat er über meine Arbeit gelesen und entschieden, dass es etwas für Sie wäre.“

„Aber Sie wissen nicht, ob ich hierher passe.“ Und nur weil die Umgebung hier anders ist als bei dem anderen Therapeuten, heißt das nicht, dass sie nicht dieselben Methoden anwendet. „Warum haben Sie mich angenommen?“

Ihr Ausdruck bleibt offen und freundlich. „Geld.“

„Geld?“

„Eigentlich ist mein Terminkalender voll und ich nehme keine Klienten mehr an. Aber Mr. Carlson sagte, dass Sie besonders wichtig sind, und machte eine großzügige Spende für die Ranch. Danach konnte ich nicht mehr ablehnen.“

Ich bin dankbar für ihre Ehrlichkeit. Gut, zu wissen, dass sie käuflich ist; das speichere ich mir für alle Fälle einmal ab.

„Warum lief es bei dem anderen Therapeuten nicht gut für Sie?“

Meine Gedanken rasen auf der Suche nach noch einer Frage, um hinauszuzögern, über das eigentlich Wichtige zu sprechen. Aber ich verliere mich in dem Anblick ihres Ausdrucks. Streng und entschlossen. Zwar nimmt sie meinen leichten Widerstand hin, aber ich merke, dass sie mich so lange grillen wird, bis sie erfährt, was sie wissen will.

Seufzend lege ich die Karten auf den Tisch. „Hören Sie zu … es fällt mir nicht leicht, über meine Probleme zu reden. Über ein Jahr habe ich alles verdrängt, und ich freue mich nicht gerade darüber, mich den Gefühlen zu stellen.“

„Warum nicht?“

„Weil ich Schmerz nicht mag. Ich meine, wer tut das schon?“

„Sie haben den Therapeuten recht schnell gewechselt. Aber Ihnen ist schon klar, dass meine Methode nicht weniger schmerzvoll sein wird, oder?“

„Wie funktioniert das mit den Pferden?“, frage ich. Nicht, weil es mich interessiert, sondern weil sie von Schmerz spricht, was ein Gefühl ist. Und obwohl wir MJ noch nicht einmal erwähnt haben, werde ich schon unruhig.

„Sie werden auf verschiedene Arten eingesetzt. Zur Ablenkung, Vertrauensbildung, um Liebe und Freundlichkeit zu zeigen, das Selbstbewusstsein zu stärken. Es kommt auf Ihre Bedürfnisse an.“

Meine Bedürfnisse?

Ich muss aufhören, von dem Absturz zu träumen.

Ich muss wissen, dass mich MJ, wo auch immer sie jetzt ist, nicht dafür hasst, sie umgebracht zu haben.

Ich muss wissen, ob ich eines Tages aufhören kann, mich selbst zu hassen.

Aber ich weiß nicht, wie ich all das dieser Frau sagen soll.

Erwartungsvoll sieht mich Nora an. Sie wartet darauf, dass ich ihr sage, warum ich hier bin und was meine Bedürfnisse sind. Aber meine Zunge fühlt sich an, als wäre sie an meinem Gaumen festgeleimt.