Neue Technologien in der Pflege -  - E-Book

Neue Technologien in der Pflege E-Book

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Beschreibung

The digitalization of professional nursing is part of the rapid technological developments that are taking place worldwide. Digitalization has long since entered the world of work and private life. We=re currently in the second wave of digitalization and are about to enter the third. In the field of nursing and health care, research is already taking place on virtual reality, smart home technology, robotics and deep learning, and in some cases these are even already being used. Technological development is being strongly supported by the German government in view of demographic changes & through national innovation centres, among other things & and many different projects are also underway at the European level to find solutions and exploit synergies. There is considerable hope that nursing technologies will be able to solve future problems in nursing care. At the same time, there is a lack of basic knowledge in the sector, both for understanding the technology and for making it understandable for those involved. This volume covers the foundations of the topic of nursing and technology, introduces fields of application for new technologies in nursing, offers a critical examination of the advantages and limitations of these technologies, and indicates the new, changed tasks that are arising in the nursing field.

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Die Herausgeber

Prof. Dr. Anne Meißner, Professorin für Pflege und Versorgungsorganisation am Institut für Sozial und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim, Leiterin des Lehr- und Forschungsclusters Pflege und Versorgungsorganisation, Sprecherin der Sektion Entwicklung und Folgen von Technik in der Pflege der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft und Mitglied des Scientific Advisory Boards der Joint Programming Initiative »More Years, Better Lives«.

Prof. Dr. Christophe Kunze, Professor für Assistive Gesundheitstechnologien in der Fakultät Gesundheit, Sicherheit, Gesellschaft an der Hochschule Furtwangen, Vorstand des Forschungsinstituts Mensch, Technik und Teilhabe (IMTT) an der Hochschule Furtwangen, Mitglied in der Fachgruppe »Mensch-Technik-Interaktion« im BW Centre for Applied Research (BW-CAR) und Mitgründer der nubedian Software GmbH.

Anne Meißner/Christophe Kunze (Hrsg.)

Neue Technologien in der Pflege

Wissen, Verstehen, Handeln

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036779-1

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-036780-7

epub:     ISBN 978-3-17-036781-4

mobi:     ISBN 978-3-17-036782-1

Geleitwort

Anja Karliczek

 

 

 

Wer krank oder aufgrund seines Alters pflegebedürftig ist, wünscht sich eine professionelle und einfühlsame Versorgung. Über 3,4 Millionen Menschen in Deutschland sind auf Pflege angewiesen. Aufgrund der stetig steigenden Lebensdauer wird diese Zahl in Zukunft wachsen. Für unsere Gesellschaft ist das eine besondere Herausforderung. Schon jetzt fordern die schwere körperliche Arbeit und der Zeitdruck den Pflegefachkräften und pflegenden Angehörigen viel ab. Die Frage, wie technologische Innovationen sie unterstützen könnten, rückt daher zunehmend in den Fokus – insbesondere im Hinblick auf die Förderung nachhaltiger und sozialer Versorgungsstrukturen in der Pflege.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt die Entwicklung und Erforschung neuer Pflegetechnologien: Im Mittelpunkt der Initiative Pflegeinnovationen 2030 stehen vielfältige technische Unterstützungsmöglichkeiten für Pflegefachkräfte und pflegebedürftige Menschen, aber auch für die vielen pflegenden Angehörigen, deren Zahl in Deutschland auch wächst. Es geht uns darum, Menschen durch Technik zu entlasten.

Die Forschungsprojekte haben eine Menge vielversprechender neuer technischer Ideen entwickelt und ausgebaut. Was noch fehlt, ist der Sprung in die Praxis. Dafür gibt es vielfältige Gründe: Die Strukturen der pflegerischen Versorgung sind komplex. Vielerorts sind die Technologien gar nicht bekannt oder die Erfahrungen im Umgang mit innovativer Technik in der Praxis reichen noch nicht aus. Der Einsatz neuer Technologien gelingt nur dann, wenn neben fundiertem Wissen auch die Bedürfnisse der Betroffenen, der Pflegebedürftigen und der Pflegenden verstanden und berücksichtigt werden. Der Mensch muss bei der Entwicklung, Erprobung und Bewertung von Innovationen im Mittelpunkt stehen.

Die Pflege ist eine Aufgabe, die wir als Gesellschaft nur gemeinsam bewältigen werden. Wir benötigen zugleich eine kritische Reflexion vorhandener Strukturen und Offenheit für Veränderung. Unter dem Motto »Der Mensch im Mittelpunkt« rufen wir Pflegende und Pflegebedürftige auf, sich selbstbestimmt einzubringen. Dieses Buch bietet dafür eine wichtige Grundlage. Es veranschaulicht aktuelle Entwicklungen und zeigt Handlungsmöglichkeiten auf.

Pflege ist ein besonderer Ausdruck von Mitmenschlichkeit. Ich wünsche allen, die sich in und für die Pflege engagieren Erfolg und Erfüllung bei ihrer wertvollen Arbeit.

 

 

Anja Karliczek

Mitglied des Deutschen Bundestages

Bundesministerin für Bildung und Forschung

Inhalt

 

 

 

Geleitwort

Anja Karliczek

Teil I     Struktur schaffen und das Feld erschließen: Einführung

1   Vorwort

Anne Meißner & Christophe Kunze

2   Besonderheiten rund um COVID-19

Anne Meißner & Christophe Kunze

3   Hinweise und Aufbau

Anne Meißner & Christophe Kunze

4   Pflege(n) mit Technik – Wie passt das zusammen?

Anne Meißner & Christophe Kunze

Teil II    Den Pflegealltag mit Technik gestalten: Einsatzfelder heute

1   Digitale Medien und soziale Betreuung von Menschen mit Demenz

Beate Radzey

2   Chancen und Herausforderungen neuer Pflegetechnologien in der Akutpflege – Beispiele aus dem Pflegepraxiszentrum Freiburg

Sven Ziegler & Johanna Feuchtinger

3   Videokommunikation in der Pflege – Chancen und Hindernisse

Ulrike Lindwedel, Jennifer Kuhlberg & David Czudnochowski

4   Neue Technik in der ambulanten Versorgung

Verena Münch, Katja Michael & Christophe Kunze

5   Digitale Vermittlungsplattformen in Pflege und Betreuung

Anna Hegedüs, Lara Nonnenmacher, Christophe Kunze & Ulrich Otto

6   Pflegeüberleitung als digitaler Prozess

Björn Sellemann

7   Deus ex machina? Klinische Entscheidungsfindung in Zeiten digitaler Dokumentation und KI

Dirk Hunstein

Teil III  Potenziale erkennen und Herausforderungen verstehen: Zukünftige Technologien in der Pflege

1   Künstliche Intelligenz in Pflege und Versorgung

Christophe Kunze & Anne Meißner

2   Robby, hilf mir mal!

Anne Meißner

3   Zwischen Hype und disruptiver Innovation: Neue Technologien als Treiber für Veränderungen in der Pflege

Christophe Kunze

Teil IV   Reflektiert handeln: Neue Aufgaben und Handlungsfelder

1   Soziale Akzeptanz und ethische Angemessenheit

Julia Petersen & Arne Manzeschke

2   Ethische und soziale Implikationen des Technikeinsatzes in der Pflege: Trackingsysteme für den Umgang mit Wandering

Christine Moeller-Bruker, Johanna Pfeil & Thomas Klie

3   Hürde Datenschutz? Neue Technologien rechtskonform & sicher einsetzen

Thomas Althammer

4   Der Digitale Nachlass – Hinterm Horizont geht’s weiter

Anne Meißner und Stephanie Herzog

5   Technikberatung für Pflegebedürftige und An- und Zugehörige

Peter König & Christophe Kunze

Teil V    Couragiert nach vorne blicken: Vision und Ausblick

1   Gestern, heute, morgen: Neue Technologien in der Pflege

Anne Meißner & Christophe Kunze

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Teil I   Struktur schaffen und das Feld erschließen: Einführung

1         Vorwort

Anne Meißner & Christophe Kunze

 

 

Die Digitalisierung und Technisierung des Privaten wie Beruflichen ist in aller Munde. Die verwendeten Begrifflichkeiten sind je nach Blickwinkel unterschiedlich. Die einen sprechen von Technik, Technologie, Technisierung oder Digitalisierung. Wieder andere verwenden Begriffe wie disruptive Innovation oder Zukunftstechnologien. Die einen zeichnen ein warmes und freundliches Bild der Zukunft, die anderen werfen ein bedrohliches Szenario in düsteren Farben auf. Aber wie auch immer man es benennt oder betrachtet, die Entwicklung schreitet unaufhörlich voran und findet sich auf allen Ebenen: Digitalisierung verändert die Lebenswelt und das Verhalten von Individuen. Wir kommunizieren mit Freunden und Kollegen über Messengerdienste, machen »Selfies« mit dem Handy, kaufen online ein, viele Menschen lernen sogar ihre Partner online kennen. Auf der Mesoebene verändert Digitalisierung die Organisation von Prozessen in den Institutionen und krempelt ganze Wirtschaftszweige um, wie etwa den Buchhandel, die Reisevermittlung oder das Bankwesen. Und auch der Blick auf die Gesellschaft (Makroebene) zeigt Veränderungen. Diese werden z. B. bei der Diskussion um die Gefahren von »fake news« in sozialen Medien für die Demokratie oder bei der Suche nach ethischen Leitplanken für selbstfahrende Autos deutlich.

Gleichzeitig schreitet sie unterschiedlich eilig voran. Einzelne Branchen nutzen die Digitalisierung schneller und besser als andere. Das Gesundheitswesen zeigt sich eher gemächlich. Und nicht alle Menschen profitieren von Digitalisierung in gleichem Maße. Eine »digitale Kluft« tut sich auf. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einigen widmen sich die Beiträge dieses Buches.

Insgesamt fordern die bekannten demografischen, epidemiologischen und gesellschaftlichen Veränderungen dazu auf, Lösungen zu finden. Allerdings geht es nicht darum, irgendeine Lösung für die derzeitigen oder zukünftig zu erwartenden Probleme zu finden. So sind z. B. technische »Waschstraßen« für Menschen in Krankenhäusern analog zu Autowaschstraßen zwar faktisch eine Lösung für das Fehlverhältnis von Angebot und Nachfrage in der beruflichen Pflege. Es wäre technisch möglich. Gleichzeitig stimmt dieses Bild nicht mit dem Verständnis einer würdevollen Pflege überein. Es gilt also vielmehr, einen Weg zu finden, den Herausforderungen auf wohlgesonnene Weise zu begegnen und lebensdienliche Vorgehensweisen mit oder ohne Technik zu gestalten, die sowohl gesellschaftlich akzeptiert, bezahlbar und auch umsetzbar sind. Die Digitalisierung mit ihren innovativen technischen Systemen eröffnet grundsätzlich solch einen Lösungsweg. Schließlich können neue Technologien ein Weg sein, um zukünftige Herausforderungen in der pflegerischen Versorgung und Betreuung zu bewältigen. Gleichzeitig ist Technik nicht immer die beste Lösung. Daneben ist das Konzept von Würde und die Vorstellung, was eine würdevolle pflegerische Versorgung ausmacht, in den kulturellen Kontext zu betten und damit wandelbar.

Sicher ist, dass der Einsatz neuer Technologien den pflegerischen Versorgungsalltag verändern wird. Das ist auf der einen Seite erklärtes Ziel. Wir wollen Problemlösung und damit Veränderung. Wie Albert Einstein eindrücklich und unmissverständlich formulierte, ist die reinste Form des Wahnsinns, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, das sich etwas ändert. Es gilt also, etwas zu ändern und nicht zu erwarten, dass alles bleibt wie es ist.

Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass die Digitalisierung und damit zusammenhängende Veränderungsprozesse komplex sind und weit mehr als nur die Entwicklung neuer Technologien bedingen. Auch von der Funktionalität her einfach erscheinende digitale Technologien können eine enorme Komplexität aufweisen, die sich z. B. aus Gründen der IT-Sicherheit, der Skalierbarkeit, der langfristigen Wartbarkeit oder aus Abhängigkeiten von anderen Systemen ergeben können. Aber die Entwicklung funktionierender technischer Lösungen ist nur der eine (und oft leichtere) Teil der Arbeit. Die Möglichkeiten technischer Systeme ausgehend von Bedürfnissen und Bedarfen neu zu denken, diese interdisziplinär zu gestalten, umfänglich auszuschöpfen und so lebensdienliche Technik für Menschen zu entwickeln, die sich in menschliche Prozesse einfügt (und nicht umgekehrt) – das ist die hohe Kunst!

Wenn technische Systeme wirksam und nachhaltig Einzug in die pflegerische Versorgungswelt halten sollen, dann muss der Ausgangspunkt für Entwicklung, Erprobung, Implementierung und Bewertung der Versorgungsauftrag und die Bedürfnis- und Bedarfslage betroffener Zielgruppen sein. Diesen Fokus wirkungsvoll zu setzen, kann nur gelingen, wenn Pflegende sich entschlossen mit den neuen Möglichkeiten beschäftigen.

Gleichzeitig ist zu betonen, dass alles rund um die Entwicklung, Erprobung, Implementierung und Bewertung neuer Technologien interdisziplinär und partizipativ zu betrachten ist. Schließlich gilt, sich aus verschiedenen Perspektiven anzunähern, die effektive und effiziente Erfüllung des Versorgungsauftrags im Blick zu haben und umfassend den eigenen Gegenstandsbereich zu vertreten, um dadurch umfassende und wünschenswerte Lösungen zu finden. Damit dies gelingen kann, ist eine vertiefende Auseinandersetzung für alle im Gesundheitswesen Beteiligten nicht nur erforderlich, sondern geboten.

Derzeit sprießen Publikationen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen, so scheint es, wie Pilze aus dem Boden. Der vorliegende Band fokussiert auf den pflegerischen Versorgungsalltag. Gleichwohl gibt es weit mehr Themen, die es zu behandeln gälte. Allerdings ist solch ein Projekt immer einzugrenzen und es gilt, den Ausgangspunkt zu definieren. Für den einen mag das zu viel, für den anderen zu wenig sein. Die Frage bleibt: Wovon gehen wir aus, wo fangen wir an? Wir haben uns bemüht, einen Ausgangspunkt zu legen, der vorwiegend in wichtige Aspekte einer neuen Thematik einführt. Gleichzeitig fehlen bereits jetzt relevante Themen, z. B. Mixed Reality oder Gesundheits- und Medizin-Apps (siehe dazu auch Besonderheiten rund um COVID-19). Die Kernmessage ist: Es gibt noch weit mehr zu sagen. Dieses Buch ist ein guter Anfang für eine erste Auseinandersetzung.

Mit dieser Edition rufen wir dazu auf, sich aktiv mit der Thematik auseinanderzusetzen, in die neue Themenwelt einzutauchen, zugleich offen und kritisch für Veränderungen zu sein und dabei den pflegerischen Gegenstandsbereich und »pflegerischen Blick« als Perspektivschirm zu spannen.

Das Herausgeberteam selbst ist interdisziplinär aufgestellt. So ist einerseits praktische Pflegeerfahrung in Verbindung mit Pflegewissenschaft und andererseits eine technikwissenschaftliche Perspektive vertreten. Die Autorinnen und Autoren vervollständigen die Interdisziplinarität, und machen »ein Ganzes« draus. So sind Pflegende aus Wissenschaft und Praxis vertreten, genauso wie juristische oder gerontologische Kolleginnen und Kollegen oder Kolleginnen und Kollegen mit Schwerpunkt Informatik.

Die Realisierung eines solch umfangreichen Projekts bedarf der vertrauensvollen und verbindlichen Zusammenarbeit. Für dieses erfolgreiche – und in Corona-Zeiten besonders wichtig –, auch freudvolle Zusammenwirken möchten wir uns bei allen Autorinnen und Autoren herzlichst bedanken. Bleiben Sie gesund!

 

Hildesheim, im Mai 2020

Anne Meißner

Furtwangen, im Mai 2020

Christophe Kunze

2         Besonderheiten rund um COVID-19

Anne Meißner & Christophe Kunze

 

 

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie stellt uns alle vor neue Herausforderungen. Und sowohl wir als Herausgeberteam wie auch die Autorinnen und Autoren wurden nicht davor verschont.

Im Versorgungsalltag waren nie dagewesene Herausforderungen zu bewältigen: Kliniken oder Klinikstationen wurden für COVID-19-Patienten umgerüstet, Pandemie- und Hygienepläne umgesetzt und die Beschaffung von Schutzausrüstung organisiert oder neue Wege für den Umgang mit Kontaktbeschränkungen erarbeitet. Daneben galt es, zusätzlich zum Berufsalltag plötzlich Kinder zuhause zu betreuen und Homeschooling zu gestalten. Oder es waren neue, kontaktlose Wege zu finden, um sich in dieser besonderen Situation um Eltern und Großeltern zu kümmern. Oder Nachbarn waren in das persönliche soziale Netz fester als zuvor zu umschließen oder mit befreundeten Künstlern gemeinsam zu überlegen, wie diese vor dem wirtschaftlichen Ruin gerettet werden können und mehr. Wir als Hochschulprofessorin und Hochschulprofessor waren vor die Aufgabe gestellt, innerhalb kürzester Zeit eine umfangreiche Anzahl an Vorlesungen und Seminaren auf Online-Lehre und eine sinnvolle und freudvolle Lernumgebung umzustellen. Insgesamt hat diese neue und ungewöhnliche Situation dazu geführt, dass privater wie beruflicher Alltag vollständig umzustellen waren. Diese Umstellung wurde von einigen »Ecken und Kanten« begleitet. Dies wiederum hat dazu geführt, dass wir einige Beiträge herausgelassen oder gekürzt haben. Denn wir haben uns entschieden, den Band dennoch wie geplant Ende 2020 herauszugeben. Zwar spricht derzeit niemand von etwas anderem als »Corona«, d. h. dem SARS-CoV-2-Virus und der COVID-19 Erkrankung, gleichzeitig macht die Implementierung von Technik in Zeiten von Corona nicht halt, sondern wird vielmehr in besonderem Maße durch diese herausfordernden Umstände vorangetrieben. Zum Beispiel erleben Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen erstmals die Möglichkeit, mit Angehörigen per Videotelefonie zu kommunizieren. Oder Telepräsenz-Systeme ermöglichen in Kliniken kontaktlose Interaktionen. (Technische) Innovationen mit Blick auf die Auswirkungen einer Pandemie werden zurzeit in besonderem Maße gefördert. Viele neue Innovationen werden entstehen. Daneben erkennen wir als Gesellschaft gerade die Nützlichkeit der Digitalisierung in Zeiten von Kontaktbeschränkungen oder auch mit Blick auf die weitere Eindämmung der Pandemie, z. B. durch eine sog. Corona-Tracing-App, auch wenn die Meinungen zur App auseinander gehen. Die Implementierung von Technik ist durch Corona weiter fortgeschritten, neue technische Systeme werden entstehen. Technik hält unabwendbar in dieser Zeit Einzug in unser aller Lebensprozesse. Die Beiträge dieses Buches zeigen Möglichkeiten auf und regen zur Auseinandersetzung, und zwar auch in Zeiten von Corona, an.

3         Hinweise und Aufbau

Anne Meißner & Christophe Kunze

 

 

Sprache gestaltet Wirklichkeit. Wir haben deshalb davon abgesehen, auf ein Geschlecht in der Sprache zu fokussieren und auf andere zu verzichten oder diese allgemein mit einzubeziehen. Wir haben uns bemüht, Gendergerechtigkeit in der Sprache abzubilden (z. B. Pflegende, Betroffene, Beteiligte). In Sätzen, in denen dies schwer verständlich gewesen wäre, umfassen wir alle Geschlechter und schreiben z. B. von Kolleginnen und Kollegen. Verweise im Buch, z. B. auf Kapitel oder Abbildungen, werden in Klammern angezeigt und mit einem Verweisdreieck () auf das Kapitel versehen. Fallbeispiele werden mit einem grauen Balken am Rand kenntlich gemacht, wichtige Aussagen wie Definitionen mit einer grauen Fläche hinterlegt.

Die Edition ist thematisch in fünf Abschnitte unterteilt:

Teil I: Struktur schaffen und das Feld erschließen: Einführung

Das Herausgeberteam beginnt mit einem einführenden Beitrag rund um Entwicklung, Bewertung und Implementierung technischer Systeme. Der Beitrag fragt, wie Pflege(n) mit Technik zusammenpasst und welchen Beitrag technische Systeme zu »guter« Pflege und damit zum »guten« Leben leisten (können). Das Autorenteam legt Herausforderungen dar, die damit verbunden sind. Die Besonderheiten der pflegerischen Interaktionsarbeit und ihre Bedeutung für den Einsatz technischer Systeme in der pflegerischen Versorgungssituation werden herausgestellt. Die weitere Entwicklung und der regelhafte Einzug technischer Systeme in die versorgungsnahe Praxis hängt auch von deren Finanzierung und damit von der politischen Gestaltung ab. Deshalb zeigt der Aufsatz grundsätzliche Herausforderungen auf. Ausführungen zur Rolle der Pflegenden in diesem dynamischen Innovations- und Gestaltungsprozess schließen den Beitrag ab.

Teil II: Den Pflegealltag mit Technik gestalten: Einsatzfelder heute

Techniknutzung in der Pflege ist keine Zukunftsmusik. Digitale Technologien werden heute schon in der Praxis eingesetzt und können dort Mehrwerte in der Versorgung schaffen. In diesem Buchteil stellen die Autorinnen und Autoren praktische Erfahrungen und Befunde zu ausgewählten technischen Lösungsansätzen in pflegerischen Anwendungsfeldern vor. Die vorgestellten Beispiele bilden ein großes Spektrum des Technikeinsatzes in der Pflege ab: Es finden sich darintechnische Assistenzsysteme ebenso wie reine IT-Lösungen, Anwendungen in der Akutpflege ebenso wie in der Langzeitpflege und im stationären Bereich ebenso wie in der häuslichen Versorgung. Die Beispiele zeigen auf, was heute schon möglich ist und welche Mehrwerte sich daraus ergeben, ohne Herausforderungen und Probleme in der Umsetzung zu verschweigen.

Radzey (Teil II, Kap. 1) widmet sich zu Beginn des zweiten Teils der rasanten Entwicklung digitaler Medien in der sozialen Betreuung von Menschen mit Demenz. Sie legt dar, dass technische Lösungen und technikgestützte Betreuungskonzepte das Potenzial haben, einen wertvollen Beitrag für dementiell erkrankte Menschen zu leisten. Sie zeigt Gründe auf, warum dennoch eine regelhafte Verbreitung bisher kaum zu verzeichnen ist. Daneben identifiziert die Autorin gegensätzliche Bedürfnislagen von Menschen mit Demenz, den Zugehörigen wie beruflich Pflegenden und fokussiert im Folgenden auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz. Sie stellt technische Systeme vor, die diese Bedürfnisse erfüllen und dadurch Wohlbefinden generieren können. Sie differenziert drei Richtungen technischer Systeme aufgrund der Zielsetzung: Zeitvertreib, Training zur Gesundheitsförderung und Erinnerungspflege. Abschließend nennt die Autorin relevante Aspekte, die notwendig sind, damit Menschen mit Demenz zukünftig besser durch technische Systeme unterstützt werden können.

Ziegler und Feuchtinger (Teil II, Kap. 2) zeigen auf, dass Anforderungen an technische Systeme im klinischen Setting sich in vielen Punkten von denjenigen in anderen Settings unterscheiden (müssen), da es in diesem Setting primär um die Bewältigung eines oder mehrerer akuter (gesundheitlicher) Probleme geht und der Auftrag ein anderer ist. Das Autorenteam berichtet in diesem Zusammenhang aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Pflegepraxiszentrum Freiburg, das sich diesem Fokus widmet. Verschiedene Projekte werden erläutert. Dies sind z. B. Projekte, die sich mit der Unterstützung der Dekubitusprophylaxe durch integrierte Bettsensorik beschäftigen oder solche, die sich der Lärmreduktion auf Intensivstationen widmen. Auch Ziegler und Feuchtinger greifen das Thema Demenz auf und zeigen einmal mehr die unterschiedlichen Ausgangslagen verschiedener Settings auf. Abschließend berichten sie hilfreich von »Lessons Learned« und beziehen sich zur systematischen Bearbeitung übergreifender Aspekte für die Einbettung von Technik in die klinische Akutpflege auf das NASSS-Framework.

Lindwedel, Kuhlberg und Czudnochowski (Teil II, Kap. 3) berichten darüber, wie sich Videokommunikation im Setting der ambulanten Palliativversorgung einsetzen lässt. Sie zeigen auf, dass die Nutzung von Videokommunikation die Versorgungssituation über räumliche Distanz hinweg und insbesondere im ländlichen Raum unterstützen kann. Das Autorenteam führt grundlegend in die Thematik ein und differenziert Videokommunikationsstrategien der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen von denen der beruflichen Pflege auf Distanz. Anhand dreier Fallstudien in verschiedenen Settings identifiziert das Autorenteam förderliche wie hinderliche Faktoren beim Einsatz von Videokommunikation in der pflegerischen Versorgung (Arbeitsorganisation, technische Hürden, Änderungen in der Kommunikation, Akzeptanz der Beteiligten, Schulungsbedarfe). Das Autorenteam verweist ferner auf neue Handlungsfelder für beruflich Pflegende, die sich durch die technischen Möglichkeiten ergeben.

Münch, Michael und Kunze (Teil II, Kap. 4) berichten über eine ambulante Versorgung, die sich im Wandel befindet. Sie beschreiben einerseits Herausforderungen einer zunehmend ambulanten Versorgung und identifizieren andererseits Möglichkeiten technischer Unterstützung. Zwar kommen technische Systeme in der ambulanten Versorgung bisher nur vereinzelt zum Einsatz. Gleichwohl wird deutlich, dass technische Systeme in diesem Setting zu einer Stabilisierung der Situation beitragen können. Aber auch im ambulanten Setting sind Notwendigkeiten und Herausforderungen mit der Zielerreichung verbunden. Zur Vertiefung greifen sie verschiedene Aspekte auf und ergänzen diese durchgehend am Beispiel häuslicher Monitoringsysteme. Abschließend zeigt auch dieser Beitrag, dass jedes neue technische System lebensdienlich in Versorgungsprozesse einzupassen ist, damit es akzeptiert und genutzt wird und mit dem System die gesetzten Ziele erreicht werden können.

Hegedüs, Nonnenmacher, Kunze und Otto (Teil II, Kap. 5) widmen sich digitalen Vermittlungsplattformen in Pflege und Betreuung. Im ersten Blick scheint diese Art technischer Systeme fern von Pflege und Betreuung im näheren Sinn zu liegen. Ein zweiter Blick lohnt jedoch. Denn es werden unverkennbar die Bedeutung digitaler Plattformen für die pflegerische Versorgung aufgezeigt. Eingangs erläutert das Autorenteam verschiedene Formen, Geschäfts- und Marktmodelle, die für das weitere Verständnis hilfreich sind. Sie beschreiben nachvollziehbar zwei Anwendungsfelder. Das sind einmal digitale Plattformen zur Vermittlung ambulanter Pflege- und Betreuungsleistungen (in Anlehnung an das bekannte Unternehmen zur Vermittlung von Fahrdienstleistungen manchmal auch »Pflege-Uber« genannt). Daneben werden digitale Plattformen im Anwendungsfeld Entlassungsmanagement vorgestellt. Den veränderten Anforderungen, z. B. durch reduzierte Verweildauer, wird auch hier durch ein steigendes Angebot digitaler Plattformen begegnet. Ähnlich dem Uber-Phänomen sind mit dem veränderten Struktursystem Vorteile wie Nachteile verbunden. Diese arbeitet das Autorenteam praxisnah heraus. Das Autorenteam zeigt insgesamt die Potenziale solcher Plattformen für eine effektive und effiziente Versorgung auf und lässt gleichzeitig die andere Seite der Medaille nicht außen vor.

Dem Entlassungsmanagement und der Pflegeüberleitung widmet Sellemann (Teil II, Kap. 6) sich aus einer anderen Perspektive als das vorige Autorenteam. Der Autor fokussiert auf Nutzen und Herausforderungen von Informations- und Kommunikationstechnologie für das Überleitungsmanagement. Er führt übergreifend in das Feld ein. Im Folgenden macht der Autor deutlich, dass eine multiprofessionelle, intersektorale Informationskontinuität erforderlich ist, um den Versorgungsauftrag erfüllen und Versorgungskontinuität innerhalb eines Behandlungsverlaufes gewährleisten zu können. Er zeigt in diesem Zusammenhang rechtliche Rahmenbedingungen genauso wie aktuelle Entwicklungen auf. Ferner erläutert er den ePflegebericht als digitales Überleitungsinstrument. Auch geht er auf den ePflegebericht als Abschlussdokument einer pflegerischen Versorgungsepisode und Kommunikationsbasis für nachgelagerte Leistungsanbieter ein. Er resümiert, das politische und gesetzliche Entwicklungen Hoffnung geben, dass die Instrumente bald Einzug in den pflegerischen Versorgungsalltag halten werden.

Hunstein (Teil II, Kap. 7) wiederum widmet sich ebenfalls der digitalen Pflegedokumentation und gleichzeitig einem eher unsichtbaren Aspekt der Digitalisierung in diesem Zusammenhang, der klinischen Entscheidungsfindung. Er zeigt auf, dass mit einer digitalen Pflegedokumentation mehr möglich ist als nur die reine Informationsübermittlung. Der Autor erläutert in diesem Zusammenhang Möglichkeiten und Grenzen einer KI-gestützten klinischen Entscheidungsfindung und verweist auf die Bedeutung von Big Data als ein Glied in der KI-Kette. Anhand von Beispielen stellt er ein wichtiges Forschungsgebiet von KI im Gesundheitswesen vor, die prädiktive (vorhersagende) Analyse. Ebenfalls mithilfe praxisnaher Beispiele erläutert der Autor daneben die Herausforderung, die mit dem Einsatz von Algorithmen zur Entscheidungsfindung verbunden sind. Er verdeutlicht die Notwendigkeit der Operationalisierung und diskutiert die Fragen der Verantwortung, die damit verbunden sind. Er macht deutlich, dass die Entwicklung von KI im Gesundheitswesen neue Regeln nötig machen wird, die von einer offenen gesellschaftlichen Diskussion zu flankieren sind.

Teil III: Potenziale erkennen und Herausforderungen verstehen: Zukünftige Technologien in der Pflege

Digitale Technologien entwickeln sich mit einer großen Dynamik weiter. Viele neue Technologien werden voraussichtlich auch die Pflege in Zukunft stark verändern. Aber in welche Richtung? Und welche Rahmenbedingungen sind dabei zu beachten? In diesem Teil werden mit Künstlicher Intelligenz und Robotik zunächst zwei ausgewählte Technologiefelder ausführlich analysiert, denen ein besonders starkes Veränderungspotenzial zugeschrieben wird. Im abschließenden Beitrag werden Ansätze vorgestellt, wie die Bedeutung neuer Technologien für die Pflege allgemein betrachtet werden kann.

Kunze und Meißner (Teil III, Kap. 1) eröffnen den dritten Teil der Edition mit Potenzialen und Herausforderungen rund um die sog. Künstliche Intelligenz. Das Autorenteam zeigt zunächst KI auf, die mitunter unbemerkt bereits Einzug in unseren Alltag gehalten hat. Sie differenzieren Künstliche Intelligenz nachvollziehbar und erläutern verschiedene Formen des maschinellen Lernens. Im Folgenden zeigen sie das Potenzial von KI beispielhaft für Einsatzfelder in Pflege und Medizin auf und machen so Nutzen wie Grenzen deutlich. Im Anschluss stellen sie anhand von Beispielen dar, welche Chancen und Herausforderungen mit dem Einsatz von KI verbunden sind, welche ethischen Fragen der Einsatz von KI aufwirft und welche Verantwortung Pflegenden in diesem Kontext zukommt. Sie schließen ab mit der Bedeutung von KI für den pflegerischen Versorgungsalltag.

Meißner (Teil III, Kap. 2) führt im folgenden Kapitel des dritten Teils praxisnah in das Feld der Robotik und damit verbundene Überlegungen im Kontext Pflege und Versorgung ein. Sie beginnt mit einem Fallbeispiel, erläutert, welche Parameter robotische Systeme ausmachen, welche unterschiedlichen Formen existieren, wie Roboter agieren und welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind. Sie wirft ferner sowohl einen Blick auf den wachsenden Robotermarkt als auch einen ernüchternden Blick Richtung Japan. Die Autorin widmet sich der Frage, ob robotische Systeme pflegerisches Handeln unterstützen. Sie differenziert Handlungsoptionen und unterscheidet in Systeme, die im Alltag ergänzen, entlasten, unterstützen und solche Systeme, die proaktiv auf Menschen reagieren und die Interaktion in den Mittelpunkt stellen. Sie zeigt aus dieser Perspektive beispielhaft drei robotische Systeme auf und erläutert jeweilige Handlungsweisen, Herausforderungen und Implementierungsgrade im pflegerischen Versorgungsalltag. Die abschließende Übersicht zum Forschungsstand macht deutlich, dass im Zusammenhang mit robotischen Systemen im realen Umfeld noch viele Fragen offen sind.

Kunze (Teil III, Kap. 3) stellt im abschließenden Kapitel dieses Teils die Frage, welche Rolle neue Technologien für Innovationen im Gesundheitswesen spielen und welche Faktoren die Nachhaltigkeit technikbasierter Innovationen im Gesundheitswesen beeinflussen. Der Autor zeigt praxisnah Beispiele unterschiedlicher Innovationen auf und erläutert, wie sich diese aus dem Zusammenspiel neuer technischer Möglichkeiten und konkreter Anwendungsbedarfe und Rahmenbedingungen ergeben. Er legt dar, dass »Hypes« zu unrealistischen Vorstellungen davon führen können, was eine Technologie tatsächlich in der Lage zu leisten ist. Dies kann zu problematischen Entscheidungen im Innovationsmanagement führen. Um »gehypte« Technologien realistischer einschätzen zu können, verweist er auf das praktikable Instrument des »Technology Hype Cycle«. Anschließend geht er auf die Bedeutung von Komplexität für die Implementierung und Nachhaltigkeit technischer Innovationen im Gesundheitswesen ein und stellt mit dem NASSS-Framework einen bewährten theoretischen Ansatz zur Analyse vor. Er hebt abschließend hervor wie wichtig es ist, das Pflegende sich aktiv in die Gestaltung technikbezogener Veränderungen einbringen.

Teil IV: Reflektiert handeln: Neue Aufgaben und Handlungsfelder

Die digitale Transformation führt schon heute zu starken Veränderungen in der Pflege und damit auch zu neuen Anforderungen an Pflegende. Dabei geht es bei weitem nicht nur um die Bedienung und Nutzung von technischen Systemen. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach einem reflektierten Umgang mit technischen Systemen bei der Gestaltung von Pflege. Mit der Digitalisierung werden sich Aufgabenbereiche verändern, neue kommen hinzu. Perspektivisch werden neue berufliche Rollen von Pflegenden entstehen. Dieser Buchteil beleuchtet daher ausgewählte Aufgabenbereiche, die im Kontext neuer Technologien auf Pflegende zukommen.

Zwar haben alle Beiträge dieser Edition ethische Überlegungen nicht gänzlich außen vorgelassen. Petersen und Manzeschke (Teil IV, Kap. 1) widmen sich im ersten Beitrag des vierten Abschnitts exklusiv den wichtigen Aspekten der sozialen Akzeptanz und ethischen Angemessenheit. Übergreifend stellen sie die Frage, welchen Beitrag Technik zum guten Leben und insbesondere zur guten Pflege leisten kann. Sie differenzieren dazu einerseits den in vielen Beiträgen dieser Edition gebräuchlichen Begriff der Akzeptanz und zeigen nachvollziehbar auf, dass soziale Akzeptanz technischer Systeme nicht allgemein betrachtet werden kann, sondern kontextspezifisch einzubetten ist. Anderseits verweisen sie auf den Begriff der ethischen Angemessenheit und Probleme, die mit der ethischen Urteilsbildung verbunden sind. Sie reflektieren konfligierende Werte, stellen ethische Aspekte in den Kontext der politischen Dimension und erläutern das MEESTAR Modell zur ethischen Evaluation von sozio-technischen Arrangements. In diesen ethischen Diskurs betten sie abschließend Überlegungen zum Beitrag von Technik zur guten Pflege ein.

Moeller-Bruker, Pfeil und Klie (Teil IV, Kap. 2) stellen ebenfalls ethische Implikationen im Kontext der Technikgestaltung und der Techniknutzung in der Pflege in den Mittelpunkt ihres Beitrags. Am Beispiel von Trackingtechnologien für den Umgang mit sog. Wandering von Menschen mit Demenz zeigen Sie auf, wie Techniknutzung pflegerische Tätigkeiten definiert und welche Rolle dabei bereits in der Entwicklungsphase in die Technik eingeschriebene Wertvorstellungen und Rollenbilder spielen. Damit lenken sie den Blick auf die Bedeutung ethischer Reflexion und Evaluation im Alltag der beruflichen Pflege. Am Beispiel des Einsatzes von Trackingsystemen bei Wandering stellen Sie dar, wie eine Analyse ethischer und sozialer Implikationen beim reflektierten Technikeinsatz in der Pflege durchgeführt werden kann.

Althammer (Teil IV, Kap. 3) macht das oftmals als trocken erlebte Thema Datenschutz schmackhaft und setzt dieses in einen konkreten Bezug zum pflegerischen Versorgungsalltag. Einleitend zeigt er mit dem Einzug neuer Technologien zusammenhängende wichtige Fragen im Datenschutz auf. Der neue Wert von Daten wird durch den Autor nachdrücklich dargestellt. Im Folgenden hebt der Autor praxisnah wichtige Aspekte hervor, die Datenschutz verstehbar und für den Versorgungsalltag gestaltbar machen. Er zeigt anhand nachvollziehbarer Beispiele auf, wie die wachsende Komplexität und zunehmende Heterogenität unserer Netzwerke zu einem deutlichen Anstieg möglicher Angriffsmuster auf die IT-Sicherheit in Pflege und Gesundheitswesen führen. Gleichzeitig hebt er unmissverständlich das vielfach angebrachte Argument, man habe nichts zu verstecken, aus den Angeln und zeigt damit verbundene Gefahren auf. Er erörtert übersichtlich und für den Laien nachvollziehbar datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen genauso wie Anforderungen, die sich in Hinblick auf die Sicherheit und Verfügbarkeit der Systeme ergeben. Eine Management-Checkliste komplettiert den Beitrag und macht ihn direkt nutzbar.

Meißner und Herzog (Teil IV, Kap. 4) eröffnen das recht neue Thema des Digitalen Nachlasses. Sie zeigen auf, dass die Regelungen rechtlicher, finanzieller und sozialer Fragen mit zu den wichtigsten Bedürfnissen sterbender Menschen zählen und durch die Digitalisierung zu unserem leiblichen Leben das digitale Leben nun noch dazu kommt. Der Beitrag widmet sich den Fragen und Herausforderungen, die mit diesem neuen Feld einhergehen. Praxisnahe Fallbeispiele verdeutlichen die Relevanz. Gleichzeitig zeigt das Zusammenspiel pflegerischer und rechtlicher Perspektiven und Fragen die Herausforderungen im Versorgungsalltag auf. Ein Blick auf die gesundheitliche Vorsorgeplanung im Allgemeinen und § 132g SGB V im Besonderen fügt den Digitalen Nachlass in bestehende Regelungen und Vorgehensweisen ein. Der Beitrag macht insgesamt deutlich, was dies für die berufliche Pflege bedeutet und warum das Thema für beruflich Pflegende relevant ist. Das Autorinnenteam zeigt eindrücklich, dass der Zusammenhang von leiblichem und digitalem Wohl (am Lebensende) nicht trivial ist. Es wird deutlich, dass das Thema zunehmend an Relevanz gewinnen wird.

Der Beitrag von König und Kunze (Teil IV, Kap. 5) widmet sich der Technikberatung von Pflegebedürftigen sowie deren An- und Zugehörigen. Fehlende Informations- und Beratungsangebote sowie mangelnde Unterstützung bei der Technikaneignung stehen einer erfolgreichen Nutzung hilfreicher Technik in der häuslichen Versorgung oftmals im Weg. Ausgehend von Erfahrungen aus der Begleitung kommunaler Beratungsangebote stellen die Autoren typische Aufgaben und Instrumente im Beratungsprozess vor. Dabei geben sie Hinweise zum Aufbau von lokalen Beratungsangeboten und stellen dazu verschiedene Praxisbeispiele zu möglichen Beratungsstrukturen vor.

Teil V: Couragiert nach vorne blicken: Vision und Ausblick

Das einzig Konstante ist der Wandel. Das gilt auch für neue Technologien in der Pflege. Das sollte uns nicht beunruhigen und schon gar keine Angst machen. Niemand kann vorhersagen, wie die Welt in 5 oder 10 Jahren aussehen wird. Gleichzeitig haben wir alle die Möglichkeit, diese Zukunft mitzugestalten. In diesem abschließenden Beitrag fasst das Herausgeberteam Aspekte zusammen, die im Themenfeld herausragen und im Abschluss der vielen interessanten und anregenden Beiträge von besonderer Bedeutung sind.

4         Pflege(n) mit Technik – Wie passt das zusammen?

Anne Meißner & Christophe Kunze

 

 

4.1       Technik und Pflege

Historisch betrachtet ist es nicht neu, Technik in der Pflege zu nutzen. Schon Florence Nightingale hätte ihre nächtlichen Rundgänge nicht ohne Petroleumlampe vornehmen können oder zumindest wohl erschwerend mit Wachskerzen. Wer weiß, ob ihre Leistung ohne Petroleum dokumentiert und sie ebenso berühmt geworden wäre? Petroleumlampen wurden erst zu Zeiten des Krimkrieges populär, durch den auch Florence Nightingale Bekanntheit erlangt hat. Im 20. Jahrhundert wiederum wurden Petroleum- durch Stromlampen abgelöst. Die fortlaufende Entwicklung technischer Systeme gehört zu unserer modernen Welt.

Und auch, wenn es uns mitunter nicht bewusst ist, alltagsweltliche Gegenstände unterschiedlichster Art begleiten uns seit jeher im pflegerischen Versorgungsalltag, z. B. Näh-/Injektionsnadel oder »Nachttopf« (Toiletteneimer). Durch situative und kreative Verwendung wurden diese Alltagsgegenstände bis Anfang des 20. Jahrhunderts für individuelle pflegerische Zielsetzungen verwertet. Mit Ende des Zweiten Weltkriegs und der zunehmend spezialisierten Gesundheitsversorgung werden technische Systeme im späten 20. Jahrhundert stark ausdifferenziert, industriell gefertigt, ihre Funktion zertifizierend geprüft und z. B. als Medizingerät oder Hilfsmittel klassifiziert (Manfred Hülsken-Giesler 2015; vgl. Sandelowski 2005). Technische Systeme sind zunehmend und nicht nur auf der Intensivstation (z. B. Beatmungsgerät) im pflegerischen Alltag verortet, z. B. Thermometer, Rollator, Trinkhilfen, Haarwaschbecken, O2-Geräte und vieles mehr. Seit einiger Zeit ermöglichen neue Innovation erweiterte technische Systeme. Erweiterte technische Systeme im Sinne des 21. Jahrhundert sind anders. Viele Beiträge dieses Bandes greifen diese Andersartigkeit auf und verorten diese neuen Systeme in der Pflege.

4.2       Digitaler Wandel als Alltagsphänomen

Technik ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Unterschiedlichste technische Systeme haben Einzug gehalten. Einige fallen als solche gar nicht mehr auf, z. B. das Smartphone. Anderen blicken wir gespannt entgegen, z. B. Mixed Reality und den dazu gehörenden Brillen. Soziale Netzwerke kommen und gehen, einige bleiben. In unterschiedlichem Maß, wollen, brauchen und nutzen wir sie. Die mit dem Wandel einhergehende digitale Verfügbarkeit hat ganze Branchen auf den Kopf gestellt. Und wie es der Soziologe Hartmut Rosa auf den Punkt gebracht beschreibt: Sie verändern unser Beziehungs-, Zeit- und Raumgefüge fundamental (Rosa 2005). So buchen wir bargeldlos mit einer Regional-App ein S-Bahn-Ticket, eine Übernachtung im Wellnesshotel, bei Unbekannten auf dem Sofa oder den Flug auf die andere Erdhalbkugel. Wünschen wir uns die Zeit zu vertreiben, streamen wir die Musik, die gerade in unser Lebensgefühl passt. Dating-Apps umschmeicheln unser Beziehungsgefüge. Alexa, Cortana oder Siri dienen uns im derzeit möglichen Rahmen und in virtuellen Welten können wir sein, wer immer wir wollen. Seit COVID-19 lernen und lehren wir dazu digital und bestellen und bezahlen vermehrt online oder persönlich und bargeldlos, bisweilen sogar beim Bäcker um die Ecke. Und auch, wenn sich einiges mit der Bewältigung von COVID-19 vermutlich wieder ändern wird, nimmt die Nutzung technischer Systeme in unserem Alltag insgesamt und stetig zu. Die Welt und Deutschland sind digital in Bewegung. COVID-19 hat diesen Prozess dynamisch beschleunigt.

Die fundamentale Bedeutung des digitalen Wandels beruht jedoch weniger auf digitalen Geräten und Diensten, sondern vielmehr in den gesellschaftlichen Veränderungen, die mit Ihrer Nutzung einhergehen. Die Verfügbarkeit digitaler Anwendungen gibt uns neue Handlungsoptionen und verändert so indirekt unseren Alltag. Mit veränderten individuellen Gewohnheiten gehen auch Veränderungen in Unternehmen und Institutionen einher, die mitunter ganze Branchen umkrempeln. Beispiele dafür finden sich u. a. im Buchmarkt (Amazon), im Transportwesen (Uber), in der Reisevermittlung (Airbnb) oder auch im Finanzwesen (Fintech-Unternehmen). Im Gesundheitswesen sind solche sog. disruptiven Entwicklungen bisher ausgeblieben, was u. a. mit hohen Anforderungen an gesundheitsbezogene Dienstleistungen z. B. in Bezug auf den Datenschutz (vgl. Althammer; Teil IV, Kap. 3) und einer starken (i. d. R. nationalen) Regulierung zusammenhängt. Dennoch zeichnen sich auch hier tiefgreifende Änderungsprozesse ab, etwa durch Videokonsultationen (vgl. Lindwedel; Teil II, Kap. 3), durch sog. Gesundheits- und Medizin-Apps (Kramer et al. 2019) oder durch den im Rahmen des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) geplanten Anspruch auf eine elektronische Patientenakte.

Mit den genannten Veränderungen auf individueller und institutioneller Ebene ist daneben ein tiefgreifender Wandel auf gesellschaftlicher Ebene verbunden, der auch hier vielfältige Fragen aufwirft: Wie lässt sich etwa das Urheberrecht auf neue Mediendienste übertragen? Wie verändern digitale Dienste unsere Privatsphäre? Inwiefern bedrohen soziale Netzwerke, sog. Fake-News, die demokratische Meinungsbildung? Brauchen wir ethische Leitplanken für Algorithmen und wenn ja, wie lassen sich diese gestalten?

4.3       Technik hat Potenzial – und Grenzen

Wir alle kennen die vieldiskutierten Herausforderungen der Zukunft. Dazu gehört allen voran die demografische Veränderung, die dazu führt, dass der Anteil älterer Menschen stetig zu-, der Anteil Jüngerer abnimmt. Daneben zeigen sich epidemiologische Veränderungen, d. h. gesundheitliche Zustände in der Bevölkerung verändern sich. Zum Beispiel kommt es zu einer erhöhten Multimorbidität, chronische Erkrankungen und dementielle Erkrankungen nehmen in der älteren Generation zu. Und auch bei den Jüngeren zeigen sich Veränderungen. Chronische Erkrankungen greifen vermehrt um sich, wie z. B. Diabetes mellitus. Andererseits können Erkrankungen, die noch vor einigen Jahrzehnten zum frühzeitigen Tod führten, heute bis ins hohe Erwachsenenalter überlebt werden, z. B. Cystische Fibrose. Dazu kommen soziale Veränderungen, die unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben massiv beeinflussen. Beispielsweise zeigen sich veränderte Strukturen im Zusammenleben. Dyadische Konstellationen (1 Kind – 1 Elternteil), sog. Patchwork-Familien und Einzelhaushalte nehmen zu. Beruflich verändert sich unsere Mobilität. Wir werden insgesamt mobiler und pendeln mitunter täglich von Stadt zu Stadt. »Steigende Frauenerwerbstätigkeit«, der »mündige Patient« oder »zunehmende Ökonomisierung« sind weitere beispielhafte Schlagworte. Hinzu kommt das negative Image sorgender Berufe in Deutschland und der auch und nicht nur damit zusammenhängende Fachkräftemangel. Und auch neuartige Veränderungen, wie COVID-19 sind an dieser Stelle zu nennen. Viele dieser Veränderungen haben Auswirkungen auf die pflegerische Versorgung der Bevölkerung im Allgemeinen und auf sorgende Tätigkeiten im Besonderen. Die damit verbundenen Herausforderungen gilt es zu bedenken und gesellschaftlich zu lösen. Neue Technologien und ihr Beitrag zur Problemlösung werden in diesem Zusammenhang als Hoffnung und Erwartung gleichermaßen gesehen. Viele politische Initiativen sind auf Digitalisierung in diesem Zusammenhang ausgerichtet. Gleichzeitig hat Deutschland in Bezug auf die lückenhafte Breitbandversorgung noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Insgesamt sind in den letzten Jahren gleichwohl Millionen in die Forschungsförderung geflossen. Daraus resultierten die unterschiedlichsten technischen Systeme, die heute teilweise als Produkte erwerbbar sind. Gleichzeitig haben eher wenige technische Produkte Eingang in die reguläre Versorgung gefunden. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Sicher ist, dass technische Produkte ein Treiber für Veränderungen in Pflege und Versorgung sind. Zu den besonderen Herausforderungen der Technikentwicklung im Gesundheitswesen siehe Kunze (Teil I, Kap. 4).

Insgesamt kämpft das Gesundheits- und Pflegesystem in Deutschland mit vielen Herausforderungen. Gute Pflege ist gefährdet. Technik hat Potenzial. Gleichwohl ist nicht jedes technische System wirksam und sinnvoll für und in der Pflege. Es gilt, »die guten ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen« zu sortieren. Nicht jede digitale Innovation hat auch beim Hilfe- oder Pflegebedürftigen anzukommen. Schließlich kann am Ende des Tages die Erkenntnis auch lauten, dass das technische System eben nicht das richtige ist, entgegen vorheriger Annahmen und Hypothesen. Insgesamt sollten die Vorstellungen »guter« Pflege und Versorgung verstärkt in die Diskussion aufgenommen werden. Welche Vorstellungen haben wir von »guter« Pflege und Versorgung in Deutschland? Welche politischen Rahmenbedingungen unterstützen die Umsetzung dieser Vorstellung? Und, welcher Technik bedarf es, um diese »gute« Pflege und Versorgung unter bekannten Herausforderungen zukünftig leisten zu können?

4.4       Pflegerisches Handeln

Technik soll dazu beizutragen, dass »gute« Pflege geleistet werden kann und dies einem »guten« Leben zuträglich ist, Technik damit lebensdienlich ist. Welche Teile von Pflege können technische Systeme nun also (gut) übernehmen? Grundsätzliche Überlegungen sind notwendig.

Pflege ist eine personenbezogene Dienstleistung. Interaktionsarbeit ist Bestandteil jeder personenbezogenen Dienstleistung. In der Pflege wiederum ist die soziale Interaktion ein elementares »Arbeitsmittel«. Im pflegerischen Alltag ist dabei kontinuierlich mit Unwägbarkeiten und Grenzen der Planung umzugehen. Böhle et al. (2015) nennen das Resultat subjektivierendes Arbeitshandeln. Der Erfolg der Dienstleistung hängt maßgeblich von der Kooperation der Beteiligten untereinander ab, z. B. gehören dazu sowohl die pflegeabhängige Person als auch Zugehörige genauso wie Angehörige der Gesundheitsberufe und je nach Setting auch weitere, z. B. Verwaltungsmitarbeitende. Wechselseitiger Respekt ist dabei Voraussetzung, genauso wie die Arbeit an und mit Gefühlen (Böhle, Weihrich & Stöger 2015; Dunkel & Weihrich 2010; Hülsken-Giesler & Daxberger 2018). Als Pflegende gilt es bspw. eigene Emotionen mitunter situationsangemessen zu unterdrücken, z. B. Ekel oder Scham, oder auch diese zu explizieren und zu reflektieren. Ferner sind mitunter eigene Emotionen zu offenbaren, z. B. Freundlichkeit, Aufrichtigkeit, Sanftheit. Daneben gilt es, die Gefühle der Betroffenen zu erkennen und mit diesen umzugehen, wenn nötig auf sie einzuwirken, immer mit dem Ziel den Versorgungsauftrag zu erfüllen. Pflege ist dabei nicht allein auf dieser Ebene anzusiedeln und ein rein empfindungsbezogenes pflegerisches Handeln findet eher selten statt. Vielmehr sind die durchgeführten pflegerischen Maßnahmen auf der instrumentell-aufgabenbezogenen Ebene anzusiedeln. Und diese instrumentell-aufgabenbezogenen Tätigkeiten werden immer von einer empfindungsbezogenen Ebene begleitet (vgl. Hülsken-Giesler & Daxberger 2018). Um den Versorgungsauftrag zu erfüllen, ist Kooperation nötig. Belange von Betroffenen, Zugehörigen, Beschäftigten und beteiligten Wirtschaftsunternehmen können schließlich miteinander im Konflikt stehen.

Die instrumentell-aufgabenbezogenen pflegerischen Tätigkeiten lassen sich augenscheinlich operationalisieren. Die empfindungsbezogene Tätigkeit dagegen ist weder vertraglich zu regeln noch standardisierbar und zudem »endlos«. Denn letztlich kann immer noch mehr Zuwendung erwartet, verlangt oder gegeben werden. Grundsätzlich ist jede personenbezogene Dienstleistung Interaktionsarbeit. Dazu gehören folgerichtig auch die Tätigkeiten anderer Gesundheitsberufe wie z. B. die logopädischen oder ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Durch die gelebte Nähe in allen Lebensbereichen des Alltags ist die pflegerische Arbeit jedoch in besonderer Ausprägung durch diese Eigenheiten der Interaktionsarbeit beansprucht. Der Kontext, so Böhle (2015) ist maßgeblich. Die folgende Abbildung (Abb. I.4.1) zeigt die Merkmale pflegerischen Handelns als Interaktionsarbeit unter Zugrundelegung des Kontextes (hier: Pflegeberufegesetz und Pflegebedürftigkeitsbegriff) auf.

Abb. I.4.1: Pflege, eigene Darstellung Anne Meißner

Bei der Gestaltung technischer Systeme und deren Implementierung in Versorgungsprozesse ist es daher wichtig, pflegerisches Handeln ganzheitlich zu betrachten und nicht etwa auf instrumentell-aufgabenbezogene Aspekte zu reduzieren – nur dann kann Technik zu »guter« Pflege beitragen.

4.5       Technik nutzen und Techniknutzen

Die Diskussion um Ziele und Wirksamkeit, Kosten-Nutzen, mögliche Auswirkungen und moralische Fragen kann nicht allgemein für alle Technologien der Welt gemeinsam geführt werden. Schließlich stellen sich bspw. im Zusammenhang mit emotionaler Robotik (vgl. Meißner; Teil II, Kap. 2) völlig andere Fragen als im Zusammenhang mit digitalen Plattformen in der Pflege (vgl. Hegedüs et al.; Teil II, Kap. 5). Gleichwohl betreffen die folgenden Aspekte den erfolgreichen Einsatz eines jeden technischen Systems in Pflege und Versorgung.

4.6       Ethische Überlegungen

Technische Systeme entwickeln sich kontinuierlich weiter. Ethische Überlegungen begleiten sie dabei. Deshalb handelt es sich um einen fortlaufenden Prozess. Damit unerwünschte Folgen vermieden werden, sind vielfältige Fragen mit dem Einsatz technischer Systeme in Pflege und Versorgung verbunden. Gleichzeitig sind mögliche Folgen nicht immer absehbar und damit auch nur bedingt gestaltbar (Manzeschke 2013). Insgesamt betten ethische Überlegungen das technische System, Nutzen wie Folgen, in den Kontext gesellschaftlicher Normen. Die ausgeprägte Diskussion soll hier nicht aufgegriffen werden. Vielmehr finden sich ethische Überlegungen in jedem Beitrag in diesem Band. Zusammenführend wird an dieser Stelle auf Ausführungen des Deutschen Ethikrats (2020) verwiesen: Entscheidend dafür in welcher Weise und in welchem Umfang technische Produkte in Pflege und Versorgung zur Anwendung gelangen, muss das Wohl der auf Pflege oder Versorgung angewiesenen Menschen sein (Deutscher Ethikrat 2020).

Weiteren grundsätzlichen Überlegungen widmen sich Petersen und Manzeschke (Teil IV, Kap. 1).

4.7       Anwenderakzeptanz

Der Begriff Anwenderakzeptanz wird vielförmig verwendet. Im Wesentlichen geht es um die Annahme oder Ablehnung von Technik. Erwartungen, Überzeugungen und Gefühle sind dabei ein maßgeblicher Schlüsselfaktor (Kohnke 2015). Eine ausreichend hohe Akzeptanz neuer Technologien wird gemeinhin als Voraussetzung für deren erfolgreichen Einsatz im Kontext Pflege angesehen. Der erwartete oder wahrgenommene Nutzen spielt dabei eine große Rolle. Deshalb ist die Akzeptanz aus Perspektive der beteiligten Personengruppen zu differenzieren (Pflegeabhängige, Zugehörige, Pflegende etc.). Eine gelegentlich angenommene generelle Ablehnung technischer Unterstützungssysteme durch professionell Pflegende oder ältere Menschen ist inzwischen empirisch vielfach widerlegt.

Eine aktuelle Befragung zur Technikakzeptanz von professionell Pflegenden (Zöllick et al. 2019) spricht diesen eine hohe allgemeine Technikbereitschaft zu. Daneben wurden in der Studie spezifische Einstellungen zur Technikunterstützung in vier verschiedenen Funktionsbereichen erfragt. Dabei zeigt sich, dass Pflegende einer Techniknutzung im Bereich »soziale und emotionale Unterstützung« deutlich kritischer gegenüberstehen als technischen Systemen zur körperlichen Unterstützung, zum Monitoring oder zur Dokumentation. Die Autoren schlussfolgern, »dass eine Technisierung zwischenmenschlicher Interaktion dem professionellen Selbstverständnis der Pflegenden widerspricht« (ebd.).

Den vorgestellten Befragungen ist gemein, dass sie die Einstellung der Befragten zu technischen Systemen erheben, mit denen diese in der Regel keine eigenen Nutzungserfahrungen haben und die zum Teil noch gar nicht existieren – man spricht dabei von Einstellungsakzeptanz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die tatsächliche Nutzungsakzeptanz, also die Bereitschaft, zur Verfügung stehende technische Systeme auch zu nutzen, deutlich von der Einstellungsakzeptanz abweichen kann, und zwar in beide Richtungen. Derartige Befragungen sind deshalb mit Vorsicht zu betrachten. Deren Ergebnisse können stark von der Art der Darstellung der vorgestellten Lösungen und dem Befragungskontext abhängen. Erhebungen zur Nutzungsakzeptanz sind im Vergleich zur Einstellungsakzeptanz eher rar. Das liegt daran, dass digitale technische Systeme mit wenigen Ausnahmen bisher wenig Verbreitung gefunden haben und noch weniger wissenschaftlich evaluiert sind.

Überraschend wenig betrachtet wurde bisher der Umstand, dass Anwenderakzeptanz keine konstante Eigenschaft ist, sondern sich – eigentlich naheliegend – abhängig von vielen Kontextfaktoren mit der Zeit ändern kann. Die Nutzungsbereitschaft für technische Unterstützungssysteme durch ältere Menschen hängt beispielsweise u. a. von deren Passung auf konkrete Versorgungsbedarfe, den zur Verfügung stehenden Alternativen (z. B. Unterstützung durch Zugehörige), der Unterstützung durch das soziale Umfeld oder finanzieller Unterstützung ab (Peek 2017). Brüche im bestehenden Versorgungsarrangement, wie z. B. eine Verschlechterung der funktionalen Gesundheit oder wegfallende Unterstützung durch Zugehörige können nachvollziehbar zu einer veränderten Bewertung technischer Systeme führen (ebd.).

4.8       Wirksamkeit

Digitalen Technologien werden in vielen Anwendungskontexten der Pflege hohe Potenziale zur Verbesserung der Versorgung zugeschrieben – nicht zuletzt von deren Herstellern und Anbietern. Aber können technische Systeme diese Versprechen auch einhalten? Im Sinne einer evidenzbasierten Pflege wäre es wünschenswert, die Wirksamkeit technischer Systeme anhand wissenschaftlicher Studien zu bewerten. Tatsächlich liegen belastbare wissenschaftliche Ergebnisse zu Pflegeassistenzsystemen nur in sehr geringem Maße vor. Ein in Deutschland durchgeführtes aktuelles systematisches Review (Krick et al. 2019) stellt fest, dass Pflegetechnologien, wenn überhaupt nur in Nutzerstudien mit kleinen Fallzahlen und ohne Kontrollgruppe evaluiert wurden. Hochwertige randomisierte Studien sind selten, insgesamt konnten im Review nur 34 solcher RCTs für alle Formen der Techniknutzung in der Pflege in allen Kontexten identifiziert werden. Besonders schlecht ist die Evidenzlage für die Techniknutzung im häuslichen Setting und durch pflegende An- und Zugehörige (ebd.).

Zudem bilden Studien meist nur einen Ausschnitt der Versorgungssituation ab und sind häufig kaum vergleichbar. Pflegetechnologien betreffen praktisch immer mehrere Stakeholder (z. B. Pflegeempfänger, professionell und informell Pflegende, Angehörige anderer Gesundheitsberufe, Institutionen des Gesundheitswesens), für die jeweils mehrere mögliche Outcomes (wie z. B. funktionale Gesundheit, Gesundheitsverhalten, Lebensqualität, psychische Belastungen) betrachtet werden können. Diese wiederum können auf sehr verschiedene Arten gemessen werden. Für die Erfassung von Lebensqualität z. B. existieren unzählige Erhebungsinstrumente, die je nach Anwendungskontext mehr oder weniger geeignet sind. In der Vergangenheit orientierten sich Evaluationsansätze häufig auch eher an technischen oder medizinischen Forschungsfragen. Gleichwohl werden Untersuchungen aus pflegewissenschaftlicher Perspektive in jüngerer Zeit verstärkt betrachtet (vgl. Krick, Huter, Seibert, Domhoff & Wolf-Ostermann 2020).

Der spärliche Forschungsstand zur Wirksamkeit von Technologien in der Pflege steht in Kontrast zu den umfassenden Aktivitäten im Bereich der Technikentwicklung und zur Nutzung von Pflegetechnologien in der Praxis. Als Beispiel kann auf digitale häusliche Monitoringsysteme verwiesen werden, die einen Beitrag zur Entlastung von pflegenden Angehörigen und zur Stabilisierung von häuslichen Pflegearrangements leisten sollen – wissenschaftliche Nachweise für entsprechende Effekte liegen aber bisher kaum vor.

Viele Pflegetechnologien sind aber auch noch nicht sehr lange verfügbar, und qualitativ hochwertige Evaluationsstudien benötigen Zeit und sind sehr aufwändig. Für eine fundierte und belastbare Entscheidung zum Einsatz von technischen Lösungen in der Pflege sind dennoch für die Zukunft mehr und qualitativ bessere Studien wichtig.

4.9       Wissensmobilisierung

Um neue Technologien mit Pflege und Versorgung zusammenzubringen, braucht es digitale Kompetenzen und eine systematische Wissensmobilisierung. Auch das ist ein Ziel dieses Buches. Wissensmobilisierung ist ein Oberbegriff, der ein breites Spektrum von Bedürfnissen und Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Informationsbedarf potenzieller Nutzerinnen und Nutzer umfasst. Er ist in verschiedene Aspekte unterteilt: Auf der einen Seite besteht ein Bedarf an Informationsverarbeitung über Möglichkeiten, Auswirkungen und Alternativen (zwischen Pflegetechnologien einerseits und zu Pflegetechnologien andererseits). Potenzielle Nutzerinnen und Nutzer sind in die Lage zu versetzen zu entscheiden, ob, wann und welche Technologie für ihre Bedürfnisse am besten geeignet ist. Gleichzeitig ist die Wissensmobilisierung für Pflegende relevant. Denn es werden Kompetenzen benötigt, um mit Technik zu pflegen, Pflegeempfänger über Technik zu informieren, Pflegeempfänger und informell Pflegende im Kontext Technik anzuleiten und zu schulen und eine effektive Beratung zu gestalten, Diskussionen zu ermöglichen, und Betroffene zu befähigen, lebensdienliche Entscheidungen zu treffen (Meißner 2018). Daneben sind auch Kompetenzen nötig, um Technik betriebsfähig zu halten und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen (Pols 2017).

Die Förderung digitaler Kompetenzen hat aus unterschiedlichen Gründen bis heute nur vereinzelt Einzug in die Pflege gefunden. Gleichzeitig ändern sich Tätigkeitsfelder und damit Qualifikationsanforderungen (Teil IV, Kap. 4). In diesem Zusammenhang hat sich in den letzten Jahren das Konzept der digitalen Kompetenzen in der Diskussion um neue Qualifikationsanforderungen bezüglich neuer Technologien etabliert (Meißner 2018). Die umfangreiche Diskussion dazu wird hier nicht aufgegriffen. Betont werden soll aber, dass die Integration solch digitaler Kompetenzen zukünftig verstärkt an einschlägige nationale Gesetze anzupassen ist. Das neue Pflegeberufegesetz hat einen ersten kleinen Schritt in die richtige Richtung unternommen. So beschreibt § 37 (3) 3 in diesem Gesetz, dass die Ausbildung dazu befähigen soll, »[…] neue Technologien in das berufliche Handeln übertragen zu können sowie berufsbezogene Fort- und Weiterbildungsbedarfe zu erkennen«. Die Förderung digitaler Kompetenzen hat erfahrungsgemäß in die neuen Curricula, mal mehr mal weniger, Einzug gehalten.

4.10          Technikgestaltung und Rolle von Pflegenden

Eine Besonderheit digitaler Technologien (Internet, Smartphone, Cloud-Dienste etc.) ist ihre Flexibilität. Während die Nutzung und der Nutzen früherer technischer Geräte stark in ihnen eingeschrieben ist, d. h. durch den bei Entwicklung verfolgten Zweck definiert wird, ergibt sich die Bedeutung digitaler Technologien erst durch die Art ihrer Verwendung (vgl. Kerres 2020). Mit digitalen Technologien sind dementsprechend vielfältige Gestaltungsoptionen verbunden, deren Wahrnehmung oder Nicht-Wahrnehmung erst Veränderungsprozesse prägt.

Häufig gehen Gestaltungsprozesse von neuen technischen Möglichkeiten aus. Technikgetriebene Entwicklungsprojekte suchen nach neuen Anwendungsfeldern und werden ausgehend von den gesellschaftlichen Herausforderungen regelmäßig in Anwendungsfeldern der Pflege fündig. Viele der dabei vorgeschlagenen technischen Lösungsansätze werden von deren Zielgruppen aber als nicht zielführend empfunden, etwa weil sie als stigmatisierend wahrgenommen werden oder schlicht an den Bedarfen der Betroffenen vorbeigehen. Als Ursache hierfür wird im Diskurs zu Technik in der Pflege meist eine unzureichende Einbindung der Betroffenen in Forschungs- und Entwicklungsprojekte gesehen. In öffentlich geförderten Forschungsprojekten werden daher inzwischen interdisziplinäre Verbunde unter Einbindung pflegewissenschaftlicher Expertise sowie partizipative Entwicklungsprozesse grundsätzlich eingefordert. Pflegenden kommt dabei eine aktive Rolle als »Co-Designer« der technischen Systeme zu. Häufig sind sie zusätzlich für die Einbindung von Betroffenen verantwortlich. In der Forschung haben sich inzwischen vielfältige methodische Ansätze zur nutzerorientierten Gestaltung sowie zur Partizipation von Betroffenen in Entwicklungsprojekte etabliert (vgl. Kunze, in press). Dennoch müssen entsprechende Vorgehensweisen in der Entwicklungspraxis immer wieder eingefordert, ausgehandelt und reflektiert werden. Häufig müssen diese Methoden an die besonderen Rahmenbedingungen pflegerischer Arbeitskontexte angepasst werden. Auch für die Planung und Moderierung von Gestaltungsprozessen wird daher pflegerische Expertise benötigt.

Technologien entfalten ihre Wirkung in der Pflege nicht allein aufgrund ihrer Funktionen und ihres Designs, sondern erst durch Ihre Einbettung in Versorgungspraktiken und -strukturen (sog. sozio-technische Arrangements). Diese Einbettung erfolgt in der Regel durch eine wechselseitige Anpassung von Technik und Anwendungskontext in einem dynamischen Veränderungsprozess, der von Pflegenden (mit-)gestaltet wird. Für die dabei notwendigen Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse ist die Anpassbarkeit von Technologien von zentraler Bedeutung. Im Bereich der Mechanik gehören pragmatische Anpassungen (z. B. kürzen, verbiegen, verbinden) in vielen Fällen zur täglichen Praxis. Für derartige Konfigurationsarbeit sind Pflegende heute im Bereich digitaler Systeme aber auch für einfache Anpassungen (z. B. Veränderung von Formularen und Datenfeldern) in der Regel auf Techniker angewiesen. Für die Frage, was »möglich ist« und was nicht, spielen neben technischen Aspekten auch regulatorische Fragen (z. B. Datenschutz, Patientensicherheit) eine große Rolle. Mit der zunehmenden Digitalisierung des Gesundheitswesens werden daher entsprechende Kompetenzen zur Anpassung technischer Versorgungsarrangements für Pflegende zunehmend an Bedeutung gewinnen (Kunze 2017).

4.11          Fazit

Der Einsatz von Technik in Pflege und Versorgung ist nicht trivial. Passen sich die technischen Systeme in das Alltagsleben Betroffener ein, werden sie akzeptiert und genutzt, erreichen sie überhaupt das gesetzte Ziel, sind sie ethisch akzeptabel? Das sind nur einige Fragen, die es in diesem Diskurs zu stellen gilt. Sicher ist:

•  Technik hat Potenzial

und

•  Technik hat Grenzen.

Diese Grenzen lebensdienlich auszuloten ist unsere Aufgabe. Dabei bedarf es eines vorausschauenden Weitblicks einerseits und einer stabilen Bodenhaftung andererseits. Die folgenden Beiträge haben zum Ziel, Potenzial aufzuzeigen, Wissen zu ermitteln, um Verständnis zu ermöglichen, Grenzen auszuloten und so zum Diskurs anzuregen.

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Teil II  Den Pflegealltag mit Technik gestalten: Einsatzfelder heute

1         Digitale Medien und soziale Betreuung von Menschen mit Demenz

Beate Radzey

 

 

1.1       Der Kontext: Technische Hilfen für Menschen mit Demenz

Demenzen sind eine der häufigsten Erkrankungsformen, die im höheren Lebensalter auftreten können. Daneben verändern Demenzen das bisherige Leben am einschneidensten von allen Erkrankungen. Aktuelle Zahlen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft gehen davon aus, dass derzeit ca. 1,7 Millionen Menschen in Deutschland von einer demenziellen Erkrankung betroffen sind (Bickel 2018). Neben den primären kognitiven Symptomen treten im Krankheitsverlauf auch motorische und funktionale Einbußen auf. Diese haben großen Einfluss auf die Progredienz und damit auch auf die Fähigkeit zu einer selbständigen Lebensführung der Betroffenen. Um so gut wie möglich im Alltag zurechtzukommen, brauchen Menschen bei kognitiven Einschränkungen Beistand in vielerlei Form.

Auch in der Betreuung und Pflege von demenziell erkrankten Menschen haben bedarfsgerechte technische Lösungen und technikgestützte Betreuungskonzepte das Potenzial einen wertvollen Beitrag zu leisten (Ienca et al. 2017). Die Entwicklung neuer Technologien schreitet aktuell rasch voran. Es ist sogar die Sprache von einer technischen Revolution im Feld von Demenz. So hat sich die Zahl der entwickelten Technologien innerhalb der letzten fünf Jahre verdoppelt mit weiter steigender Tendenz (Ienca et al. 2017). Allerdings steht diesem technischen Innovationsschub die Tatsache entgegen, dass die tatsächliche Verbreitung dieser Produkte in Pflege und Versorgung noch vergleichsweise gering ist. Dies wird in der Regel mit einem fehlenden Wissenstransfer sowie unzureichenden Strategien für die Verbreitung dieser Produkte begründet (ebd.).

Ebenso fehlt es an Studien, die zuverlässig die Wirksamkeit der entwickelten technischen Lösungsansätze untersuchen. Die wenigen vorhandenen Studien weisen oft erhebliche methodische Mängel, wie z. B. geringe Fallzahlen auf. Bisher zeigt sich, dass der Weg der neuen Technologien aus den Forschungs- und Entwicklungslaboren in die realen Lebenssituationen von Menschen mit Demenz mühsam ist (Fleming & Sum 2014).

Ein weiteres, aber nicht zu unterschätzendes Problem mag auch der bisher fehlende Fokus auf die eigentlichen Bedürfnisse der Betroffenen sein. In einer seit längerer Zeit vorliegenden Studie haben Sixsmith et al. (2007) auf der Basis von Interviews mit Menschen mit Demenz eine »Technik-Wunschliste« erarbeitet. Dabei stehen Unterstützungsbereiche wie die Förderung der Erinnerung und des Erhalts der eigenen Identität, die Unterstützung bei der Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen, die Unterstützung bei Konversationen oder auch die Förderung der Nutzung von Musik im Vordergrund. Diese Zielsetzungen fanden bisher bei den meisten technischen Entwicklungen für Menschen mit Demenz nur wenig Berücksichtigung.

Tab. II.1.1: Die Top 5 Nennungen der Technologiewunschliste von Sixsmith et al. 2007, eigene Übersetzung

WunschthemaBeschreibung der UnterstützungsmöglichkeitErzielter Wert

Im Gegensatz zu diesen genannten Wünschen der eigentlichen Zielgruppe zeigen aktuelle Überblicksarbeiten, dass die größte Anzahl der eingesetzten Technologien immer noch darauf ausgerichtet ist, die Sicherheit von Menschen mit Demenz, die in der eigenen Häuslichkeit leben, zu erhöhen. Technische Lösungsansätze, die darauf ausgerichtet sind, Erinnerungen zu beflügeln oder schlicht Spaß und Freude zu bereiten, finden nur wenig Verbreitung (Lorenz et al. 2019). Auch Forschungsarbeiten zu Technologien, die vergnügliche Freizeitaktivitäten von Menschen mit Demenz unterstützen, liegen kaum vor (Evans et al. 2011; Smith & Mountain 2012). Obwohl diese die Chance bieten, die Lebensqualität der Betroffenen direkt zu verbessern, haben sie bis dato nur wenig Aufmerksamkeit erfahren. Das besondere Potenzial dieser technischen Lösungen wird somit bisher nur wenig genutzt (Smith & Mountain 2012).

1.2       Ausgangsüberlegungen: Wohlbefinden durch individuell bedeutsame Aktivitäten (meaningful activities)

Das Vorliegen einer Demenzdiagnose führt häufig dazu, dass sich die Betroffenen aus dem Leben zurückziehen. Dies hat wiederum zur Folge, dass Menschen mit Demenz egal, ob sie zu Hause oder in einer Einrichtung leben, oft unterstimuliert sind und nur in geringem Maß am Leben teilnehmen. Daher ist es im Hinblick auf das Wohlbefinden dieser Personengruppe sehr wichtig, dass Wege gefunden werden, wie sie aktiv und eingebunden bleiben können, mit dem Ziel, bestehende Fähigkeiten zu erhalten und soziale Beziehungen weiterzuführen. Im Verlauf der Erkrankung kann es dazu kommen, dass die betroffenen Personen die Fähigkeit verlieren selbst bzw. aus eigenem Antrieb, angenehme und unterhaltsame Aktivitäten auszuüben, was wiederum zu sozialer Isolation und Unsicherheit führen kann (Topo 2009). Als weitere Folge treten häufig depressive Verstimmungen auf. Das Fehlen von angenehmen Aktivitäten steht in einer engen Verbindung mit Depressionen (Teri 2003). Zusammenfassend liegen viele Belege dafür vor, dass Passivität, geringe Stimulation und fehlendes soziales Eingebundensein zu depressiven Verstimmungen führen und den Krankheitsfortschritt dadurch beschleunigen kann. Insbesondere Personen in frühen Krankheitsstadien verbringen sehr viel Zeit untätig zu Hause (Phinney & Moody 2011).

Aber auch in Pflegeeinrichtungen gehört das Erleben von Langeweile und Passivität zum Alltag der Bewohner (Müller-Hergl 2012; Wood et al. 2009). Für ein positives Lebensgefühl ist es jedoch wichtig, sich aktiv, kompetent und handlungsfähig zu erleben. Sinnvolle bzw. für die Person bedeutsame Aktivitäten, die die Aufmerksamkeit der Person binden, haben daher ein hohes Potenzial im Hinblick auf das Wohlbefinden und sind daher ein wichtiger Bestandteil einer guten Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz.

Das Leitthema im Hinblick auf sinnvolle Aktivitäten ist Verbundenheit (Han et al. 2016). Gemeint ist dabei sowohl eine Verbundenheit mit sich selbst. Diese macht sich fest an den Aktivitäten, die in Bezug zu einer Kontinuität des bisherigen Lebens stehen, Gesundheit und Wohlbefinden fördern und das Verfügen über persönliche Zeit ermöglichen. Darüber hinaus geht es aber auch um das Verbundensein mit anderen Menschen sowie das Eingebundensein in die Umgebung, in der man lebt. Dabei unbenommen ist, dass die Aktivitäten eine individuelle Bedeutsamkeit für die demenzbetroffene Person haben und ihren Bedürfnissen entsprechen.

Gelänge es entsprechende subjektiv bedeutsame Aktivitäten anzubieten, dann kann es gelingen, dass Menschen mit Demenz Vergnügen und Freude erleben, sie das Gefühl von Dazugehörigkeit und Eingebundensein erfahren sowie Autonomie und Selbst-Identität gestützt werden (Phinney et al. 2007).

Für Bewohner von Pflegeeinrichtungen scheinen dabei vier Felder an Aktivitäten besonders bedeutsam: Reminiszenz bzw. Erinnerungspflege, soziale Kontakte