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Neue Wege. Die Vorgeschichte zu Geistkrieger E-Book

Sonja Rüther

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Beschreibung

Eine Umweltwissenschaftlerin aus einem alternativen Amerika, ein Personenschützer mit einem dunklen Geheimnis und eine unmoralische Wette ... Amerika wurde nie erobert. Stattdessen konnten die indigenen Völker sich frei entwickeln. Heute ist Powtanka eine führende Weltmacht – auch im Bereich der Umwelttechnik. Die powtankanische Wissenschaftlerin Taima Inyanke kommt ins verregnete Schottland, um mit ihrem Besuch eine Kooperation für eine umweltschonendere Energiegewinnung anzubieten und eine diplomatische Annäherung beider Länder herbeizuführen. Der Schotte Finnley soll sie dabei als Personenschützer zu all ihren Terminen begleiten. Vor ihrer Anreise lässt Finnley sich im Pub auf eine verheißungsvolle, aber moralisch fragwürdige Wette ein. Doch als die überhebliche Powtankanerin ankommt, läuft alles anders als erwartet. Die erste Begegnung zwischen Taima und Finnley aus der Serie Geistkrieger! Sonja Rüther hat mit ihrer »Geistkrieger«-Reihe ein erfrischend anderes Fantasy-Setting geschaffen, das mit seiner alternativen Geschichte Amerikas und dem actionreichen Thriller-Plot einfach süchtig macht. »Geistkrieger: Neue Wege« kann als Zusatz oder auch als Einstieg in das Geistkrieger-Universum gelesen werden. Aus der Reihe ist ebenfalls erschienen: - »Geistkrieger: Neue Wege« (Prequel) - »Geistkrieger: Feuertaufe« (Band 1) - »Geistkrieger: Libellenfeuer« (Band 2)

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Sonja Rüther

Geistkrieger

Neue Wege

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Über dieses Buch

Eine Umweltwissenschaftlerin aus einem alternativen Amerika, ein Personenschützer mit einem dunklen Geheimnis und eine unmoralische Wette ...

 

Amerika wurde nie erobert. Stattdessen konnten die indigenen Völker sich frei entwickeln. Heute ist Powtanka eine führende Weltmacht – auch im Bereich der Umwelttechnik. Die powtankanische Wissenschaftlerin Taima Inyanke kommt ins verregnete Schottland, um mit ihrem Besuch eine Kooperation für eine umweltschonendere Energiegewinnung anzubieten und eine diplomatische Annäherung beider Länder herbeizuführen. Der Schotte Finnley soll sie dabei als Personenschützer zu all ihren Terminen begleiten. Vor ihrer Anreise lässt Finnley sich im Pub auf eine verheißungsvolle, aber moralisch fragwürdige Wette ein. Doch als die überhebliche Powtankanerin ankommt, läuft alles anders als erwartet.

2018, Paisley, Schottland

»Erklär’s mir noch mal, was macht die Indianerin hier?« Scott lehnte sich halb auf den Tresen und umfasste seine Brewdog-Flasche wie ein Bauarbeiter einen Vorschlaghammer. Finnley fühlte sich zu den Männern in dieser Bar zugehöriger als zu den Kollegen im Personenschutz.

»Sie ist eine Art Botschafterin, wenn ich das richtig verstanden habe. Ich fahre sie zu ihren Terminen und pass auf, dass ihr niemand zu nahe kommt.«

»Und wer passt auf, dass du ihr nicht zu nahe kommst?« Pete lachte dreckig und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Bar. »Unser kleiner Draufgänger hier lässt doch nix anbrennen.«

Finnleys Blick fiel auf sein Spiegelbild hinter den Regalen mit Spirituosen und Gläsern. Die Frauen mochten seine Tätowierungen, die ihn im Gesicht und auf seinem Oberkörper wie eine wandelnde Maschine aussehen ließen. Er war der Bad Boy, vor dem andere sie warnten, was es offenbar reizvoller machte, die Darstellungen von Kabeln und Platinen zu berühren. »Nee, Mann, die Indianer sind anders drauf. Eine wie die wird es sicher abstoßend finden, wie ich aussehe. Der Typ, der mich beauftragt hat, klang schon wie ein arrogantes Arschloch, und wenn ich es richtig mitbekommen habe, ist die Braut seine Tochter. Die wird also genauso ticken. Dafür stimmt die Kohle, alles andere ist mir egal.«

Niemand in dieser Bar wusste, was für ein Freak er in Wirklichkeit war. Mit etwas Glück schaffte er es diesmal, nur mit seinem Aussehen aufzufallen, nicht mit seinen Aussetzern. Der Neuanfang in Paisley war nach dem letzten Vorfall nötig gewesen. Seit Monaten hatte er keinen Blackout mehr gehabt, die letzten Jobs waren mit kleineren Handgreiflichkeiten einhergegangen, aber keine nennenswerten Gefahren für die Schutzbefohlenen, die den Berserker in ihm provoziert hätten.

»Du stehst auf Kohle, was?«, sagte Pete und rieb sich nachdenklich übers Kinn. »Wie wäre es mit einer Wette?« Der ältere, recht verlebte Mann rückte die runde Brille auf seiner Nase zurecht und grinste.

Finnley leerte seine Flasche und schob sie auf dem Tresen in Johns Richtung. »Was für ’ne Wette?«

John nickte und öffnete ihm ein neues Brewdog.

»Ich wette fünfzig Pfund, dass du die Kleine nicht in die Kiste kriegst.«

»Da steige ich mit ein, fünfzig Pfund, dass du’s nicht schaffst. Macht noch jemand mit?« Scott drehte sich zu den anderen Männern und Frauen in der Bar, zog Johns Hut, ohne hinzusehen, hinter dem Tresen hervor und hielt ihn in die Luft. »Wir alle gehen mit. Wenn er die Indianerin ins Bett kriegt, bekommt er die Kohle, wenn nicht, geht die nächste Lokalrunde auf unseren Roboter, und ihr dürft trinken, was ihr wollt.«

Die Leute in diesem Pub waren wie eine Familie. Jeder kannte jeden, sie kamen her, um den Alltagsstress runterzuspülen, und sprangen auf so ziemlich jede spontane Idee an, die durch den Schankraum posaunt wurde. Binnen weniger Minuten war der Hut randvoll mit Pfundnoten. Leicht verdientes Geld, das Finnley gut gebrauchen konnte. Er hörte, wie sich die anderen über die Wette lustig machten, weil niemand hier die Indianer leiden konnte. So oder so würden sie alle gewinnen. Wenn er es nicht schaffte, bekamen sie ihr Geld zurück und einen Drink. Wenn er es doch schaffte, hatte einer von ihnen eine von denen gevögelt. Das powtankanische Volk sah auf alle anderen Völker herab. Als wären sie mit ihrem technischen Fortschritt und den geschlossenen Landesgrenzen etwas Besseres. Sie teilten nur wenig von ihren Technologien und kooperierten nur selten mit anderen Nationen. »Na gut, wenn ich dieses Opfer für Schottland bringen muss, nehme ich das Schmerzensgeld gern«, sagte er so laut, dass er bis in den letzten Winkel zu hören war, und erhob sein Bier. »Dann zeigen wir den Indianern mal unsere schottische Lebensart!«

»Aber wir brauchen natürlich einen Beweis«, sagte Pete nachdenklich. »Ich meine, du kannst ja viel behaupten, um an die Kohle zu kommen.«

»Ein Foto«, schlug Scott vor. »Es muss eindeutig sein.«

Kopfschüttelnd führte Finnley das Bier an die Lippen und trank die Flasche halb leer. Die sechste an diesem Abend, was sich langsam bemerkbar machte. »Scheiß drauf, geht klar. Aber wenn sie hässlich ist, legt ihr noch eine Flasche Abalour drauf – den zwölfjährigen.«

Die Männer lachten und schlugen ein.

Finnley betrachtete den gefüllten Hut, den John entgegennahm und gut sichtbar nach ganz oben auf ein Regal stellte. Niemand käme auf die Idee, das Geld zu stehlen. Die Menschen hier mochten größtenteils arme Schlucker sein, aber Finnley fühlte sich zwischen ihnen wohl, weil sie ehrliche, hart arbeitende Leute waren. Solche Wetten mischten den Laden auf, sorgten für Geschichten, die ewig die Runde machen würden, wie Scotts Behauptung, fünfzehn daumendicke Gewürzgurken schlucken zu können, ohne sie zu zerkauen. Nicht nur, dass er nach neun Gurken aufgeben musste, auf seinem Hinterkopf befand sich nun eine Gurkentätowierung. Es hatte mehrere Wochen gedauert, bis die Haare so weit nachgewachsen waren, dass man es nicht mehr sehen konnte. Da er jedoch mit seinen dreißig Jahren bereits Geheimratsecken bekam, zog ihn jeder damit auf, wie lange es bis zur Glatze wohl noch dauern würde. Spätestens dann würde ihn jeder nur noch Pickles nennen.

Die Tür wurde geöffnet, was mit dem Klang einer kleinen Glocke verbunden war. John liebte diese Türglocke, die in einem Pub eigentlich nichts zu suchen hatte. Pete stieß Finnley in die Seite. »Deine Freundin ist da.«

Er sah kurz über die Schulter und begegnete Emmas Blick, die wie immer als Erstes nach ihm zu suchen schien. »Sie ist nicht meine Freundin«, sagte er und drehte sich wieder um, aber im Spiegel sah er sie auf sich zukommen.

»Das scheint sie anders zu sehen.« Mit einem Grinsen legte er ihm eine Hand auf die Schulter. »Wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, würde ich sie glatt vom Fleck weg heiraten. Überleg’s dir.« Dann machte er Emma Platz, was Finnley noch weniger gefiel.

»Hey, was geht ab?«, fragte sie und gab John ein Zeichen, damit er ihr ein Bier reichte.

»Du kannst noch bei der Wette einsteigen«, sagte Scott.

»Was für eine Wette?« Ihr Blick folgte seinem Fingerzeig und fiel auf den Hut im Regal.

»Wir gegen Finnley. Er behauptet, die Indianerin in die Kiste zu bekommen.«

Finnley musste nicht zu ihr hinsehen, um zu wissen, wie sie darauf reagierte. Wenn es um Frauen ging, fehlte Scott die Empathie, um etwas Feingefühl an den Tag zu legen. Ein gewisser Trotz wurde spürbar, als sie eine Zwanzigpfundnote aus der Tasche zog und in Johns Richtung hielt. »Fein, ich bin dabei. Ich hoffe, du verlierst, egal, was dein Einsatz ist.«

Finnley leerte die Flasche, legte Geld für die Biere auf den Tresen und stand vom Hocker auf. »Hast du mich je verlieren sehen?« Ohne sie anzuschauen, drehte er sich um und verließ die Bar. Wenn sie auf die freundliche Weise nicht verstand, wie unerwünscht ihre Annäherungsversuche waren, musste er auf andere Weise deutlicher werden. Allerdings fühlte er sich damit nicht sonderlich wohl. Ebenso wenig wie mit der Wette, die auf dem kurzen Nachhauseweg von seinem Verstand auseinandergenommen wurde. Nicht nur, dass er über die Indianerin absolut nichts wusste und aus dem Flugzeug die schlimmste Frau seines Lebens aussteigen konnte, es behagte ihm auch nicht, Sex zum Gegenstand eines dämlichen Spiels zu machen. Wäre er nur etwas nüchterner gewesen, hätte er diese Idee sofort im Keim erstickt. Gesagt ist gesagt.

* * *

Am nächsten Tag stand Finnley am Flughafen und hielt ein Schild mit dem Namen seiner Klientin in den Händen. Taima Inyanke. Unter dem Namen stellte er sich eine von diesen zugeknöpften Geschäftsfrauen vor, die ihn gern wie Luft behandelten. Solange sie ihn nicht feuerte, blieben ihm zwei Monate, um sie in Gespräche zu verwickeln und seinen Charme spielen zu lassen. Als Personenschützer musste er während der Einsatzzeiten in ihrer unmittelbaren Nähe bleiben. An den Tagen, an denen er freihatte, warteten andere Einsätze auf ihn. Alles war durchgeplant und eng getaktet, damit er sich genug Geld auf die hohe Kante legen konnte, um bei Verdienstausfällen über die Runden zu kommen. Ein anderes Sicherheitsnetz hatte er nicht. Der Anzug, den er trug, konnte von den Tätowierungen nicht ablenken, und er freute sich schon auf das Gesicht der Indianerin, wenn sie begriff, dass er ihr Bodyguard sein würde. Vor dem Terminalgebäude stand ein Leihwagen, der von ihrem Vater bezahlt wurde. Eine rollende Festung, als würde Töchterchen in ein Kriegsgebiet geschickt werden. Doch die Schwierigkeiten, mit denen Finnley rechnete, beliefen sich auf verbale Anfeindungen, weil niemand die Indianer leiden konnte. Es gab keinen Grund, sie anzugreifen. Ohne Personenschutz würde sie wahrscheinlich von einigen Leuten beschimpft und von Kerlen belästigt werden, die es diesem arroganten Volk heimzahlen wollten, als minderwertig betrachtet zu werden. Ihr Vater tat gut daran, ihr einen Schutz an die Seite zu stellen.

Während er mit dem Schild so dastand und die Leute betrachtete, die ihr Gepäck durch die sich immer wieder automatisch öffnende Tür zogen, ging er in Gedanken sein Liebesleben durch. Mit drei Klientinnen war er in seiner Laufbahn intim geworden. Jede von ihnen hatte Wert auf Diskretion gelegt, weswegen der Ärger ausgeblieben war. Eine Indianerin würde sicher nicht nach Hause zu Papi rennen und sich beschweren. Und wenn doch, war das weit genug weg, damit keine Konsequenzen folgen konnten. Was sollte der Alte schon tun? Einen Krieg anfangen? Finnley war selbstständig, es gab keinen Boss, dem er Rechenschaft ablegen musste. Und er gehörte zu den Besten, weswegen er sich um die nächsten Jobs keine Sorgen machen musste.

Im Internet hatte er gelesen, dass die Indianer es hassten, wenn man sie Indianer nannte. Das Land hieß Powtanka, und man solle die Einheimischen Powtankaner und Powtankaninnen nennen. Es sei der Dummheit von Kolumbus zu verdanken, dass sich Indianer in der Sprache festgesetzt habe. Ihm war das gleichgültig, die Frau kam nach Schottland, sie würde mit der falschen Bezeichnung leben müssen. Genervt sah er auf sein Smartphone, um die Uhrzeit zu prüfen. Die Abfertigung dauerte länger als gedacht.

Endlich kamen ein paar Menschen durch die Schleuse, die vornehmlich schottisch aussahen. Die Frau, auf die er wartete, fiel sofort zwischen den Ankömmlingen auf. Es wurde auf einen Schlag still, und tatsächlich sah jeder in ihre Richtung. Sie war anders als erwartet. Vielleicht Ende zwanzig, schlank und durchaus attraktiv. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm und ein weißes Shirt, was sie sehr elegant wirken ließ, aber der Schmuck und die kleinen, braun gemusterten Federn in ihren langen schwarzen Haaren verliehen ihr etwas Außergewöhnliches. Ihrem Blick, als sie ihn entdeckte, fehlte die herrische Arroganz, die er nach dem Gespräch mit ihrem Vater erwartet hatte. Sie kämpfte mit dem großen Koffer, der ihr bis zur Hüfte reichte und schwer zu sein schien. Bis zur Absperrung musste sie es alleine schaffen, dann würde er ihr die Last abnehmen.

»Finnley Whittle?« Sie blieb vor ihm stehen und musterte die Tätowierungen in seinem Gesicht. Es sah nicht so aus, als wollte sie ihm ihre Abneigung offen zeigen, aber Finnley fiel auf, wie sie die Nase leicht rümpfte und eine Art Entsetzen den Ausdruck in ihren Augen eroberte.

Er hielt ihr eine Hand entgegen. »Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug«, sagte er zur Begrüßung. »Gehen Sie dort zum Durchgang, dann kann ich Ihnen den Koffer abnehmen.«

Zögerlich ergriff sie seine Hand und drückte sie kurz, wobei sie auf die Finger hinabsah, als wäre diese Berührung etwas Unsittliches. »An das Händeschütteln werde ich mich wohl noch gewöhnen müssen«, sagte sie und lächelte schwach.

Finnley musste grinsen. »Wie begrüßen Sie sich denn in Ihrem Land?«

Mit angewinkeltem kleinen Finger und Ringfinger vollführte sie eine schwungvolle Geste vom Herzen zu ihm. »Mit Gesten«, erklärte sie freundlich.

Seine Haltung ihr gegenüber änderte sich mit jeder Sekunde. Er fing an, sich auf den Job zu freuen. Irgendetwas hatte sie an sich, das sein Interesse weckte.

»Na, dann wollen wir mal«, sagte er und deutete auf den Ausgang. Parallel zueinander gingen sie an der Absperrung vorbei, und dann nahm er ihr den Koffer ab.

Sie wirkte müde und abgekämpft. Da es keinen richtigen Tourismus zwischen den Ländern gab, musste sie wahrscheinlich mehrere Zwischenstopps mitgemacht haben, um letztendlich hier anzukommen.

»Der Wagen steht direkt vor dem Gebäude. Ich fahre Sie zum Apartment, das Ihr Vater für Sie angemietet hat. Die Schlüssel habe ich bereits in Empfang genommen, alles ist so weit vorbereitet, damit Sie sich von Ihrer Reise erholen können.«

»Danke.« Wieder sah sie ihm ins Gesicht und betrachtete die Tätowierungen. »Weiß mein Vater, dass Sie so aussehen?«, fragte sie unverblümt.

Finnley behielt auf dem Weg zum Ausgang die anderen Leute im Blick, sein Job hatte begonnen. »Soweit ich weiß, wurde ich ihm empfohlen. Im Internet gibt es keine Fotos von mir. Denken Sie, es wäre ein Problem für ihn, wenn er es wüsste?«

Sie neigte den Kopf und ging neben ihm her. »Da bin ich mir sicher. In meinem Land gibt es niemanden, der in irgendwelchen Belangen der Technik vor der Natur den Vorzug geben würde, schon gar nicht optisch. In Powtanka würde Sie jeder anstarren. Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein.«

Die direkte Art gefiel ihm, weil er unausgesprochene Wertungen nicht leiden konnte. »Schon gut, ich bin damit selbst hier ein Exot, wobei Sie sehen werden, dass wir Schotten auf sehr unterschiedliche Weise unsere Persönlichkeiten zum Ausdruck bringen.« Er musste nur an einige Punks im Pub denken, die mit ihren Piercings wahrscheinlich keinen Metalldetektor problemlos passieren konnten.

Vor der Tür blieb sie stehen und sah sich mit offenem Mund um. Glasgow war hier am Flughafen nicht gerade eine Augenweide, aber sie erweckte den Eindruck, rückwärts wieder ins Gebäude gehen zu wollen.

»Sind Sie das erste Mal in Schottland?«

Sie ließ die Schultern kreisen und nickte. »Genau genommen ist das meine erste Auslandsreise überhaupt. Es ist etwas anderes, Bilder davon zu sehen oder jetzt hier zu stehen.«

Unauffällig hielt sie sich eine Hand unter die Nase, was deutlich genug aussagte, dass sie den Geruch auch nicht mochte.

»Der Wagen steht gleich da drüben.« Mit dem Schild in der Hand deutete er auf die schwarze Limousine. »Mussten Sie sich lange auf diese Reise vorbereiten?«

Der Small Talk lenkte von ihrem Unbehagen ab. »Ich wurde recht spontan zur Botschafterin von Astaronik bestimmt. Es hat sich ausgezahlt, dass ich Englisch als Nebenfach studiert habe. Wenn es zu einer Kooperation kommt, wird die alternative Energiegewinnung hier einiges zum Besseren wenden.«

Seine Freunde im Pub sahen das anders. Als sie hörten, wer diese Frau sei und welche Absichten mit ihrem Besuch verbunden waren, malten sie sofort den Teufel an die Wand, weil sie um ihre Jobs im Kohlekraftwerk fürchteten.

Beim Überqueren der Straße achtete er darauf, dass sie mit dem Linksverkehr keine Schwierigkeiten hatte. Er hatte schon mehrfach Klienten abgeholt, die grundsätzlich in die falsche Richtung schauten, weil sie es anders gewohnt waren. Dann entriegelte er den Wagen über die Fernbedienung, öffnete ihr die hintere Tür und warf sie wieder zu, nachdem Taima Inyanke eingestiegen war. Erst dann verstaute er den sperrigen und schweren Koffer.

 

Während der kurzen Fahrt nach Paisley sah sie wie gebannt aus dem Fenster. Ihre Neugierde machte sie sympathischer als das Naserümpfen. Er lockerte mit kurzen, kreisenden Bewegungen die Nackenmuskeln und konzentrierte sich auf den Verkehr. Die angemietete Wohnung befand sich im edleren Bezirk der Stadt. Die Gegend war nicht mit dem Arbeiterviertel zu vergleichen, wo Finnley seine Bleibe hatte. Ein Parkplatz gehörte zu der Wohnung, was kurze Wege und eine gewisse Sicherheit garantierte – ihr Vater musste gut recherchiert haben. Wahrscheinlich wussten trotzdem alle Nachbarn bereits, dass eine Indianerin für zwei Monate einzog, wodurch sich ihre Anwesenheit schnell herumsprechen würde. Die Frage war nur, wie die Leute auf sie reagierten.

Er parkte den Wagen und drehte sich zu ihr um. »Bitte bleiben Sie immer im Wagen sitzen, bis ich Ihnen die Tür öffne. Mein Schutz ist zwar mehr eine Formalität als eine Notwendigkeit, aber ich nehme meinen Job sehr ernst.«

Mit einem Nicken bestätigte sie. Ihr Gesicht war wunderschön, mit den hohen Wangenknochen, den dunkelbraunen Augen und den makellosen Gesichtszügen.

Er wendete sich schnell ab, stieg aus, holte als Erstes den Koffer aus dem Wagen, sah sich nochmals um, und erst dann öffnete er ihr die Tür. »Dies ist eine ruhige Gegend. Es gibt keine Pubs in der Nähe, dafür ein paar gehobene Lokale, falls Sie mal etwas essen gehen möchten.«

Nachdem er den Wagen verriegelt hatte, ging er vor und schloss die Eingangstür auf. »Ich nehme mal an, dass Sie sich heute von der Anreise erholen wollen und morgen das ganze Programm nach Zeitplan startet?«

»Das ist richtig. Sollte es Änderungen geben, werde ich sie Ihnen rechtzeitig mitteilen.«

Taima ging dicht hinter ihm die Stufen in den zweiten Stock hinauf, wo Finnley ihr den Durchgang öffnete und den Vortritt ließ. Dies war nun ihr Refugium, in dem er nichts zu suchen hatte. Genau so hatte ihr Vater sich ausgedrückt.

»Hier, das ist meine Karte, bitte melden Sie sich, wenn Sie irgendwas brauchen.«

Sie nahm sie entgegen und überflog kurz die Kontaktdaten. »Würden Sie noch einen Moment hierbleiben, bitte?«

Als sie ihm in die Augen sah, hätte er zu allem Ja gesagt, was sie verlangte, wenn es ihr die Unsicherheit nahm. Sie sah aus, als würde er sie irgendwo aussetzen und im Elend zurücklassen. »Sicher. Gefällt es Ihnen hier nicht?«

Mit einem Blick über die Schulter zuckte sie mit den Achseln. »Es ist recht tot hier«, sagte sie. »Der Boden sieht nach einem PVC-Belag aus, überall ist Plastik oder Metall, und es riecht fürchterlich steril. Es wird wohl etwas dauern, bis ich mich hier wohlfühle.«

Finnley trat ein und schloss hinter sich die Tür. »Dem entnehme ich, dass es bei Ihnen zu Hause ganz anders ist?«