Nie im Leben - Lutz Spilker - E-Book

Nie im Leben E-Book

Lutz Spilker

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Beschreibung

Vom Schicksal beauftragt, eine leicht einprägsame Melodie zum Herbeiholen des Glücks zu komponieren, begibt sich Wolfgang Amadeus Mozart mit seinen beiden Begleitern William Shakespeare und Leonardo da Vinci auf eine abenteuerliche Reise. Die anfänglich so einfach wirkende Aufgabe entpuppt sich jedoch als abenteuerlich Unternehmung. Mozart will den Auftrag allerdings so perfekt wie möglich erledigen und fragt überall nach Rat. Die ersten Probleme beginnen allerdings schon während der Vorbereitung, denn Glück, was ist das überhaupt? Eine Empfindung, die jeder anders verspürt? Gibt es vielleicht gar kein Glück und alles entspricht bloß einer Einbildung oder einer Täuschung? Welche Eigenarten weist das Glück auf, die sich in einer einfachen Melodie vereinen lassen? Hat sich das Schicksal etwa einen Streich erlaubt und laufen Mozart und seine Mitstreiter bloß einem Gespenst hinterher?

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Seitenzahl: 208

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Ein Roman

von

Lutz Spilker

NIE IM LEBEN – AUF DER SUCHE NACH GLÜCK

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Softcover ISBN: 978-3-384-02292-9

Ebook ISBN: 978-3-384-02293-6

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Die im Buch verwendeten Grafiken entsprechen den

Nutzungsbestimmungen der Creative-Commons-Lizenzen (CC).

Sämtliche Orte, Namen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind daher rein zufällig, jedoch keinesfalls beabsichtigt.

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, sind ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Autors oder des Verlages untersagt.

Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

1 – Wein, Weib und Gesang

2 – Ist Glück ein Kinderlied?

3 – Tradition und Weisheit

4 – Alles im Lack

5 – Auf Schusters Rappen

6 – Im Alleingang

Währenddessen im Zelt

7 – Der Überfall

Zur selben Zeit an einem anderen Ort

8 – Zwischen den Welten

9 – Glück ist relativ

10 – Pläne, Ziele und Gedanken

Zur selben Zeit an einem anderen Ort

11 – Sklavenmarkt

12 – Zirkusluft

13 – Kommt Zeit, kommt Rat!

Zur selben Zeit, gleich in der Nähe

14 – Ohne Spesen, nichts gewesen

15 – Heimlich, still und leise

16 – Freudentränen

Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort.

17 – Der Glückspilz

18 – Wer die Wahl hat, hat die Qual

19 – Nichts wie weg, aber wohin?

Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort

20 – Auf Leben und Tod

Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort

21 – Die zweite Chance

22 – Die Spur des Kästchens

23 – Wem keine Stunde schlägt

24 – Zwei oder drei Hürden

Charaktere

Über den Autor

Nie im Leben

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

Über den Autor

Nie im Leben

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Das Glück ist keine leichte Sache: es ist sehr schwer, es in uns selbst, und unmöglich es anders wo zu finden.

Arthur Schopenhauer

(* 22. Februar 1788 in Danzig; † 21. September 1860 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Philosoph, Autor und Hochschullehrer.

Vorwort

Glück – was ist das? Ist es groß oder klein? Dick oder dünn? Nass oder trocken? Zahm oder wild? Selten oder häufig?

Wie entsteht es? Wo kann man es finden und wem gehört es? Muss man es einsperren, damit es nicht entwischt, oder stirbt es in Gefangenschaft?

Hat es Eltern oder Geschwister und wo kann man ihm begegnen?

Es existiert … aber lebt es? Kann es ein Alter erreichen oder ist Glück zeitlos?

Kann Glück reich oder arm machen oder wird es bloß so empfunden? Unterliegt das Gefühl, Glück zu haben eventuell nur der individuellen Empfindung? Sucht sich Glück womöglich sein Ziel selbst aus und kann es somit auch verfehlen? Unterwirft sich Glück vielleicht einer höheren Macht? Wäre es dann nicht nur Sender, sondern auch Empfänger? Ist Glück nicht bloß ein anderes Wort für den vermeintlichen Vorteil?

Sind die Summe aller Sehnsüchte, Hoffnungen und Erwartungen nicht auch Glück? Bedeutet Freiheit Glück?

Verfolgen wir nun ein fantastisches Abenteuer, das sich vorrangig mit der Suche nach Glück befasst und sich irgendwann ereignet hat.

1 – Wein, Weib und Gesang

Langsam wurde das Tageslicht schwächer. So gefiel es ihm am besten. Er genierte sich zwar schon lange nicht mehr vor den Nachbarn, wenn er um diese Zeit von Prostituierten besucht wurde, doch absichtlich wollte er kein Getratsche entzünden.

Das Knarren der Holzstufen war dann kaum noch zu hören. Die deutlich erkennbar weibliche Anhängerschaft der lockeren Moral, bewegte sich lautstark zu ihm in den zweiten Stock und schickte sich dort an, für eine ganz spezielle Art von Unterhaltung zu sorgen.

Den Weg dorthin kannten die Damen bereits.

Schließlich bestellte er sie nicht zum ersten Mal zu sich und im Zweifelsfall würden sie immer an den von ihm verursachten Geräuschen orientieren. Dann saß er an seinem Flügel und spielte.

Vor ihm standen die Gläser mit dem Wein, dem er schon reichlich zugesprochen hatte und sich, während er mit einer Hand spielte, mit der anderen immer wieder nachschenkte.

Das Klavier diente ihm sozusagen als Tablett. Es schien so, als wäre er in diesen Dingen geübt und es entstand unweigerlich der Eindruck, als würde er es immer so handhaben.

Wenn er dann die Türglocke läuten hörte, torkelte er drauflos, bat die albern kichernden Dirnen zu sich herein und begann sie umgehend zu begrabschen. Sie machten sich nichts daraus, wenn die Hand des Freiers in ihrem Dekolleté oder unter ihrem Rock verschwand. Es gehört zu ihrem Beruf und dafür wurden sie bezahlt.

Auch kam es häufig vor, dass seine Frau Reißaus nahm, weil sie sein Treiben nicht mehr ertragen konnte.

Jung war sie noch, genau wie er selbst. Oft blödelten sie stundenlang herum und tollten wie die Kinder in ihrer gemeinsamen Wohnung umher. Manchmal jagte er sie und manchmal jagte sie ihn. Sie johlten, lachten, warfen sich auf den Boden und küssten sich. Dann beschimpften sie sich wieder, bewarfen sich gegenseitig mit Gegenständen und lagen sich schon im nächsten Augenblick wieder in den Armen. Mal liebkosten sie sich und mal beleidigten sie sich. Mal waren sie vereint und mal waren sie entzweit.

Besonders eklig empfand sie es aber, wenn er schon früh am Morgen trank, anschließend und nur mit der Pyjamahose bekleidet auf dem Boden des Flurs umherkrabbelte, mit dem Gesicht in seinem eigenen Erbrochenen herumwühlte und dabei unverständliche und äußerst dämliche Laute von sich gab, weil er es für ihren üppigen Busen hielt.

Dann griff sie nach der großen Reisetasche, stopfte ihre Siebensachen hinein, fuhr ohne ›Auf Wiedersehen‹ zu sagen davon und verbrachte nicht zum ersten Mal einige Zeit bei ihrer Mutter.

Ihn ließ sie zurück. Er bemerkte ihre Abwesenheit erst am nächsten Morgen, wenn ein Teil seines Rausches verflogen war und ihn die Nüchternheit des Lebens wieder gefangen nahm – wie er es nannte.

Kontakt zu anderen Bewohnern des Hauses pflegte er kaum. Er grüßte freundlich und wurde ebenso nett wiedergegrüßt. Von seinen direkten Nachbarn kannte er bloß den Sohn.

Der Nachbarsjunge war mit der Zeit zu seinem Boten geworden und besorgte ihm alles, was er bestellte. Dazu klopfte er mit seiner Faust stets ein und denselben Rhythmus gegen die Wand und bereits nach wenigen Augenblicken trat der Bursche, wie von Geisterhand gesteuert, ins Zimmer.

Wie er jeweils dorthin kam, entzog sich gänzlich seiner Wahrnehmung. Vielleicht passierte all das aber auch lediglich in seiner Einbildung. Jedenfalls bekam er immer, wonach ihm gerade der Sinn stand, als wäre der Knabe der Nachbarschaft seine persönliche Wunschfee.

Mittlerweile saßen sie zu dritt in seinem Arbeitszimmer am Klavier. Flankiert von den beiden Liebesdienerinnen, hockte er in der Mitte. Die Gläser wurden gefüllt und die Wirkung des Rebensafts ließ die letzten Hemmungen fallen. Entweder wollte oder konnte er seine Hände nicht ausschließlich auf die Tasten des Instruments konzentrieren. Immer wieder grapschte er nach links oder rechts an eine der vermeintlich einladenden Oberweiten seiner beiden frivolen Unterhaltungsdamen.

Der Raum erweckte den Anschein, als sei dort noch nie aufgeräumt worden. Alles lag kreuz und quer im Zimmer herum und machte trotz des geschmackvollen Ambientes einen schäbigen Eindruck. Dutzende von fein säuberlich beschriebenen Notenblättern befanden sich wie weggeworfene Papierflieger an allen möglichen Plätzen.

Zwischen den Weinpokalen und etlichen leeren Flaschen, die auf dem Klavier standen, lugte eine Schreibfeder hervor, die in einem Tintenfass lehnte. An diesem Tag würde sie wohl nicht mehr benötigt werden, dennoch er in genau diesem Zustand die – seiner Meinung nach – besten Einfälle besaß und direkt notierte.

Aber seine Kompositionen seien nicht gut genug, behauptete er immer wieder. Was er dem Ohr des Zuhörers liefern würde, sei von allem zu viel, wurde gemunkelt. Der Mensch könne eine solche Fülle von Klängen nicht verarbeiten, tuschelte man. Er solle sich als Kompositeur zurückhalten und auf das Wesentliche beschränken, riet man ihm.

Dann wurde wieder geschäkert, gespielt und getrunken. Die Straßenmädchen kokettierten mit gekünstelter Wohlerzogenheit und entfachten seine Wollust damit immer wieder aufs Neue.

Doch dann ein Geräusch.

Alle spitzen die Ohren und saßen gespannt da. Von wo kam es? War es an dieser Tür oder eventuell in der Nachbarschaft?

Da war es wieder.

Irgendjemand pochte an die Wohnungstüre. Vielleicht war es der Nachbarsjunge. Doch warum sollte er erscheinen? Es wurde nicht nach ihm geschickt! Niemand klopfte um diese Zeit noch an die Türe fremder Leute und warum benutzte die Person nicht die Glocke, so wie es alle anderen auch taten?

Dauerhaft verstummte das Spiel. Auch der Gesang brach abrupt ab und jeder fuhr langsam mit der Zunge über seine Lippen, um den letzten Tropfen Wein nicht zu verschwenden.

Fragende Blicke wechselten zwischen den dreien, denn irgendjemand musste zur Türe gehen, um nachzusehen.

Doch wer?

Der Hausherr stand schließlich selbst auf, schlich leise in Richtung der Haustüre und vernahm abermals dieses eindringliche Hämmern.

Seine Schritte wurden zunehmend vorsichtiger, als wäre es ihm verboten worden, ein Geräusch zu verursachen.

Dann stand er da. Genau vor der Türe.

Ihm gegenüber befand sich etwas, was sich ihm gleich vorstellen würde, doch noch konnte er es nicht sehen. Dazwischen befand sich das Holz der Türe.

Vorsichtshalber schaute er durch den Spion, doch er sah nichts. Das Licht des Treppenhauses war bereits wieder erloschen, doch dem Verursacher des klopfenden Geräuschs machte es offensichtlich nichts aus im Dunklen zu stehen. Dann fasste er all seinen Mut zusammen und öffnete die Türe.

Es war keiner da. Hatte sich jemand einen Spaß erlaubt? War es vielleicht doch der Nachbarsjunge, der sich nun im Dunklen versteckt hielt und sich ins Fäustchen lachte?

Er konnte jedenfalls niemanden dort stehen sehen – aber er spürte etwas. Irgendjemand oder irgendetwas befand sich genau dort … genau vor ihm. Irgendetwas war es auf jeden Fall. Hatte sich doch jemand in der Dunkelheit versteckt?

Und dann hörte er eine Stimme.

Der Laut kam aus keiner der dunklen Ecken! Das Geräusch entstand direkt vor ihm.

»Ich bin das Schicksal aller Menschen!«, sagte eine Stimme. »Ich benötige eine Melodie, die immer, wenn sie ertönt, das Glück einfordert!«, hieß es weiter.

Dann verstummte die Stimme und das Schicksal verschwand. Deutlich hörte er noch das Knarren der Stufen.

Kreidebleich und sichtlich verstört betrat er anschließend sein Arbeitszimmer. Sein Erscheinen wurde bereits mit Sehnsucht erwartet, zumal er stimmungsvoll auf den Tasten zu spielen vermochte. Nun aber war seine Laune dahin.

Das Schicksal selbst gab ihm den Auftrag eine Melodie zu komponieren, welche das Glück herbeizurufen vermag, erzählte er und erzeugte bloß schallendes Gelächter. Doch Auslachen wollte er sich nicht lassen. Was er sagte, entsprach der Wahrheit und so wies er den beiden Hetären den Ausgang. Widerwillig standen sie auf, zupften sich ihre Gewänder zurecht, warfen trotzig den Kopf in den Nacken und empfahlen sich.

Da stand er nun und dachte mit Sorge an seinen soeben erhaltenen Auftrag. Melodien – so wusste er – waren schon seit Urzeiten in der Lage Dinge herbeizurufen, die allerdings nicht jeder sehen, hören oder anfassen konnte. Aber niemand machte sich jemals ungestraft über sie lustig, bezweifelte ihre Existenz oder stellte ihre Macht in Frage.

2 – Ist Glück ein Kinderlied?

Also begann er über das Glück nachzudenken, denn ohne es richtig zu verstehen, konnte er mit seinem Auftrag nicht beginnen und genau so startete er immer. Noch nie machte er sich jedoch über etwas Gedanken, was nicht zu fassen war.

Glück weist keine Konturen vor, welche ein Ausmaß bestimmen lässt. Glück besitzt ebenso keine Farbe, keinen Geschmack und auch keine Temperatur. Glück verfügt über keine verlässliche Eigenschaft, die von allgemeiner Gültigkeit ist. Seine Bedeutung ist individuell und somit willkürlich.

Niemand kann das Glück einer fremden Person bestimmen, beziehungsweise ermessen. Wie sollte er demnach eine Weise komponieren, die etwas hervorruft, was unbestimmter nicht sein kann.

Auch spielt die kulturelle Maßgeblichkeit eine entscheidende Rolle, zumal das Glück der einen Welt nicht gleichsam das Glück einer anderen Welt bedeutet. Manchmal kann gerade Pech zum Glück führen, doch genau das würde durch die Melodie nicht herbeigerufen werden wollen.

Seiner Ansicht nach, sollte die zu komponierende Melodie von einem Text begleitet werden, der in seinen Worten die Art von Erklärung zu liefern fähig ist, welche auch die Verständnismäßigkeit der Sache im Sinn führt.

Umgehend schlug er mit seiner Faust gegen die Wand und kurz darauf erschien der Nachbarsjunge.

»Ich benötige einen Meister der Worte«, holte er aus.

»Einen Dichter, der seinesgleichen sucht, der mit den Wassern der Philosophie beträufelt wurde und sich dem Unfassbaren widmen kann, ohne sich eines Aberglaubens ausgeliefert zu wähnen … kannst du mir eine solche Person besorgen?«

»Es wird eine Weile dauern, doch ich bin zuversichtlich!«, gab der Junge des Nachbarn zu verstehen.

»Mir scheint, als hättest du bereits jemanden gefunden – du hast nicht lange nachgedacht!«

»In der Tat. Mein Ansinnen trifft auf einen begnadeten Engländer namens Shakespeare. Er entspricht dem Profil deiner Vorgaben.«

»Dann spute dich und stell ihn mir bitte schleunigst vor!«

Während sich der junge Bursche auf den Weg machte, nutzt er selbst die Gelegenheit, um zumindest so zu tun, als würde er aufräumen. Die leeren Flaschen, die Gläser und den sonstigen Unrat verbannte er in die Küche und hoffte, seinen künftigen Besuch dort nie hineinführen zu müssen.

Stünden die Zahlungsmoral, die Auftragslage und die Beliebtheit seiner Kompositionen höher, könnte auch er sich eine Haushaltskraft leisten. Alle seine Konkurrenten konnten es. Er nicht. Ihm flogen die Erfolge nicht zu, er musste sich zunächst überall beliebt machen.

Am Können lag es nicht. Dahingehend war er das Beste und begann schon als 'Dreikäsehoch' sein Publikum zu begeistern. Doch je mehr seine Begabung zunahm, desto geringer schätzte man seine Arbeit. An manchen Tagen hätte er es ohne die vielen Gläser Wein gar nicht ausgehalten. Sie dienten ihm zur Betäubung. Er musste die Welt um sich herum ertragen und der Wein half ihm dabei.

Es läutete an der Haustüre. Seine Frau konnte es nicht sein. Sie besaß einen Schlüssel und schied daher aus. Also beschränkte sich die Auswahl auf den Nachbarsjungen und den Engländer.

Freudigen Schrittes eilte er zur Türe. Das Flattern seines Morgenmantels machte ihn darauf aufmerksam, dass er sich zumindest besuchsgemäß hätte umziehen zu können.

Jetzt reichte die Zeit nicht mehr.

So lange lässt man niemanden vor der Türe warten. Er musste eine andere Gelegenheit nutzen, um den Pflichten eines Gastgebers nachzukommen. Mit großem Schwung öffnete er die Türe und blickte zum ersten Mal in das Gesicht von William Shakespeare, dem er seine Hand zum Gruße entgegenstreckte.

»Zunächst darf ich mich für Ihr Kommen aufrichtig bedanken und heiße Sie aufs Herzlichste willkommen!«

»Als mich dieser Knabe hier aufsuchte«, begann der mit auffallend englischem Akzent sprechende Besucher seine Worte und deutete dabei auf den Nachbarsjungen, »mir seinen Auftrag vortrug und mir erzählte, dass ich zu Gast bei Wolfgang Amadeus Mozart sein werde, dachte ich im ersten Moment, er wolle mich an der Nase herumführen. Doch nun bin ich überzeugt und gleichzeitig überwältigt, aber auch sämtlicher Bedenken bar«, gab Shakespeare zu verstehen.

Einige Sekunden standen sie noch so da und schauten sich ein wenig ungläubig an. Mozart befand sich nach wie vor in seiner Wohnung und Shakespeare im Hausflur.

Doch dann führte Mozart seinen Gast hinein und bedankte sich beim Nachbarsjungen.

»Glück«, wiederholte Mozart, »das ist es, was mir augenblicklich eine Menge Kopfzerbrechen bereitet … das Glück!«, sagte Mozart mit der Stimme der Verzweiflung. »Eine Melodie soll ich komponieren, deren Klang das Glück herbeiruft und das erfordert Ihre Hilfe – Sie wissen, was Glück bedeutet.«

»Das Schicksal selbst wird Ihnen wohl kaum den Auftrag dazu erteilt haben«, wollte Shakespeare seinen Gastgeber trösten.

»Doch genau so war es – ich schwöre!«, reagierte Mozart prompt. »Als optimal empfände ich es jedenfalls, wenn die Melodie von einem eingehenden und selbstklärenden Text begleitet werden würde …«

»Lassen Sie mich raten«, übernahm Shakespeare das Wort, »diesen Part liefere ich?«

»Haargenau«, freute sich Mozart, »so stelle ich mir die Kooperation vor.«

Shakespeare blickte ins Leere und sinnierte vor sich hin. »Die Melodie soll demnach mit einer Art Slogan einhergehen … so wie bei einem Kinderlied …«

»Nein, nein, nein!«, platzte es aus Mozart heraus. »Keinesfalls bedarf es eines Slogans … das Glück benötigt kein Motto«, protestierte er und schob: »dennoch es sich dann besser einprägen lässt – das will ich wohl zugeben«, kleinlaut nach.

Die beiden Herren standen sich nur eine Armlänge voneinander entfernt gegenüber und jeder schien in seinen Gedanken vergraben zu sein. Shakespeare nuschelte irgendwelche Reimworte wie Stück, Blick, Trick oder Genick in seine vor den Mund gehaltene Hand und Mozart summte trotz seiner Skepsis Fetzen von Kinderliedern vor sich hin.

Der Dramatiker wandte sich ab, schaute sich um, drehte sich wieder zu Mozart zurück und feixte:

»Ist Glück nicht die rastlose Hand der drallen Gespielin am Gemächt eines Mannes? Auch würde mich interessieren, was die antiken Knabenliebhaber dazu sagten.«

»Die wer bitte?«, entfuhr es Mozart. Völlig irritiert verzog er dabei sein Gesicht.

»Die Philosophen des alten Griechenlands … noch vor der Zeitrechnung, die meine ich … deren Füllhorn ergoss sich doch ständig über viele derartige Metaphysiken«, parierte Shakespeare. »Glück ist eine Empfindung und jeder interpretiert diesen Eindruck auf seine Weise. Es zu verallgemeinern entspricht einer Vergewaltigung der Individualität … da verlangt das Schicksal etwas von Ihnen, was schnell in einer Sackgasse enden kann.«

Mozart schaute seinen Gast teilweise verständnisvoll und teils ebenso misstrauisch an. Ihn überkam das Gefühl, dass sich Shakespeare auf diese Weise und mit dieser Erklärung aus seiner Mitarbeit befreien mochte.

»Sie wollen demnach aussteigen?«, giftete Mozart. Seine Äußerungen klangen ebenso angriffslustig wie unsicher. »Mit diesen Worten wollen Sie mir also zu verstehen geben, dass die Sache für Sie erledigt ist? Sie machen den weiten Weg von der Insel hierher, um mich mit dieser Lossagung zu konfrontieren?«

Shakespeare wusste mit dieser Situation kaum umzugehen. Einerseits betrachtete er derlei Verhalten als Affront und hätte am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht, doch andererseits reizte ihn das nahezu Unmachbare. Dem Schicksal die Stirn zu bieten? Diese Gelegenheit bot sich ihm nicht alle Tage.

»Ich bleibe!«, reagierte er entschlossen, fast trotzig. »Sie können fest auf mich zählen!«

Dann machte der Dichter eine auffällige Pause, schaute demonstrativ zur Seite und fokussierte Mozart anschließend erneut.

»Eine Kleinigkeit hätte ich allerdings anzumerken«, gab er zu bedenken.

»Und die wäre?«, erfragte Mozart.

»Das alles kommt mir doch viel zu einfach vor«, begann der Meister der Worte. »Eine klangvolle Vertonung, ein einprägsamer Text und fertig ist das Glück? Wer soll das glauben? Wer soll das prüfen und wer soll das benutzen? Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, die Aussage meines Textes würde nicht stimmen? Es wäre eine Katastrophe und dieses Risiko bin ich keinesfalls gewillt einzugehen! Wir sollten uns zunächst absichern und ich habe auch schon eine Idee!«

Mozart neigte seinen Oberkörper nach vorne und drehte seinen Kopf so in Richtung Shakespeare, dass ein Ohr die erforderliche Aufmerksamkeit signalisiert.

»Nun spannen Sie mich aber wirklich auf die Folter«, sagte Mozart. »Na dann lassen Sie doch mal hören, was Ihnen so durch den Kopf geht«, setzte er fort.

»Sie erinnern sich noch an meine Worte von gerade eben, als ich vom Füllhorn der Philosophen sprach?«, brachte Shakespeare in Erfahrung und sah Mozart zustimmend nicken. »Nun drehen wir den Globus noch ein wenig weiter und folgen dem Aufgang der Sonne. Jetzt schließen wir die Augen und drehen ebenfalls am Rad der Zeit, und zwar so lange, bis das sechste Jahrhundert vor Beginn der Zeitrechnung erscheint. In dieser Epoche lebte einer der bedeutendsten Philosophen der Geschichte und ihn kennen fast alle Menschen: Konfuzius!«

»Ich kann ihn herholen lassen, falls es das ist, was Sie wünschen.« Fast wäre Mozart seinem Gast ins Wort gefallen, doch der winkte schon ab.

»Wir werden die Augen schließen und ihn allein durch die Kraft unserer Vorstellung herbeizaubern. Er wird uns das Glück zu erklären wissen und uns dadurch ein stabiles Fundament liefern! Wenn Sie dazu bereit sind, nicken Sie bitte mit dem Kopf, dann erst schließen wir die Augen und fliegen in unseren Gedanken zu ihm.«

Mozart nickte bedächtig und schloss seine Augen. Shakespeare sah ihn aufmerksam an und bewunderte sein Vertrauen, zumal sie sich kaum kannten.

»Bleiben Sie bitte immer dicht hinter mir, auf dass wir uns nicht verlieren und Sie ebenso wie ich, jedes von ihm gesprochene Wort hören können … und nun geht es los.«

Shakespeares Augen schlossen sich nun auch ganz langsam und seine Konzentration nahm zu. Sicherheitshalber setzte er sich bereits vorher auf den Boden. Sein Oberkörper schwankte und der seines Gegenübers ebenso.

Beide saßen in einer Art Schneidersitz auf den Holzdielen des Arbeitszimmers und erweckten den Eindruck zweier Menschen, die nach irgendetwas Ausschau hielten. Shakespeare breitete unwillkürlich seine Arme aus und gab sich derart intensiv seinen Fantasien hin, sodass der Anschein entstand, er würde tatsächlich fliegen.

3 – Tradition und Weisheit

Viele Jahre reiste Konfuzius mit einer Schar seiner Getreuen durch das Land und verkündete seine Lehren und Weisheiten. Das Land war groß und die Chance ihm zu begegnen schwindend klein.

»Die Person da vorne«, sagte Shakespeare auf einmal, »das scheint er zu sein … bleiben Sie unbedingt ganz dicht bei mir, damit wir uns nicht verlieren und Sie jedes einzelne Wort verstehen.«

»Genauso wollen wir es machen«, bestätigte Mozart.

Da war er. Die Umgebung verblasste plötzlich und er stand da, als würde er das Modell für einen Bildhauer abgeben. Leicht breitbeinig und die Füße etwas nach außen gestellt. Seine Hände befanden sich auf dem Rücken. So drückte er seine eigene Ordnung aus … dieser fast erdbebensichere Stand. Und dennoch ging so etwas wie eine Mischung aus Demut, Unterwürfigkeit und merklicher Erhabenheit von ihm aus, die sich umgehend auf seine Anhänger übertrug. Die Art und Weise der Erscheinung seiner Haartracht, wie auch der seiner übrigen Garderobe, entsprach der Tradition. Die eigentümlich wirkende Güte seines Gesichtsausdrucks symbolisierte diese spezielle Art der unendlichen Geduld und Weisheit.

Und dann lauschten sie den Worten des gereiften Konfuzius, der gerade zu seinen Schülern sprach und ihnen das Verständnis von Glück näher brachte.