Nightowls - Kathrin Tordasi - E-Book

Nightowls E-Book

Kathrin Tordasi

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Beschreibung

Magische Urban Fantasy in London über den Kampf gegen das Chaos – und die Suche nach dem eigenen Selbst Unter dem Deckmantel der Nacht bricht eine schleichende Welle der Zerstörung über London herein. Vögel fallen vom Himmel, Straßen zerbröckeln in bodenlose Abgründe und Menschen lösen sich in Sternenstaub auf. Nyx und James sind Nachtboten, die nicht nur die Anzeichen der drohenden Apokalypse zuerst erkennen, sondern auch entschlossen sind, sie aufzuhalten. Im Labyrinth der Stadt suchen sie nach einem Menschen, der die Saat des Chaos streut – doch sie sind nicht die einzigen. Konkurrenz machen ihnen die Agenten des Ordens des Ersten Tages, die ganz eigene Pläne zu verfolgen scheinen. Von allen Seiten bedrängt beginnen Nyx und James zu ahnen, dass die größte Gefahr von ihnen selbst ausgeht. Für Leser*innen von Leigh Bardugo, Liza Grimm oder V.E. Schwab.

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Seitenzahl: 543

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Kathrin Tordasi

Nightowls

Boten der Dämmerung

 

 

Über dieses Buch

 

 

Unter dem Deckmantel der Nacht bricht eine schleichende Welle der Zerstörung über London herein. Vögel fallen vom Himmel, Straßen zerbröckeln in bodenlose Abgründe und Menschen lösen sich in Sternenstaub auf.

Nyx und James sind Nachtboten, die nicht nur die Anzeichen der drohenden Apokalypse zuerst erkennen, sondern auch entschlossen sind, sie aufzuhalten. Im Labyrinth der Stadt suchen sie nach einem Menschen, der die Saat des Chaos streut – doch sie sind nicht die einzigen. Konkurrenz machen ihnen die Agenten des Ordens des Ersten Tages, die ganz eigene Pläne zu verfolgen scheinen. Von allen Seiten bedrängt, beginnen Nyx und James zu ahnen, dass die größte Gefahr von ihnen selbst ausgeht.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Kathrin Tordasi lebt als freischaffende Autorin und Übersetzerin in Berlin. Nach ihrem Literaturstudium in Wales wäre sie beinahe nach London gezogen, entschied sich jedoch für ein Zugvogel-Dasein zwischen Themse und Spree. Sie schreibt am liebsten in Cafés und erkundet Städte mit dem Notizbuch in der Tasche. Sie schreibt, was sie selbst gerne liest: Bücher über Außenseiter*innen, selbstgewählte Familien und phantastische (Unter-)welten.

Inhalt

[Widmung]

[Motto]

Annäherung

1 Birdie

2 Nyx

3 James

4 Nyx

5 James

6 James

7 James

8 Nyx

9 Nyx

10 James

11 James

12 James

13 Nyx

14 Nyx

15 Nyx

16 James

17 James

18 James

19 James

20 Nyx

Heimkehr

21 Nyx

22 Nyx

23 Nyx

24 Nyx

25 James

26 Nyx

27 Nyx

28 James

Chaos

29 Nyx

30 Nyx

31 Erin

32 Erin

33 Erin

34 Nyx

35 Nyx

36 James

37 Nyx

38 James

39 Erin

40 Erin

41 Nyx

Nacht

42 Nyx

43 Nyx

44 James

45 Nyx

46 James

47 James

48 Nyx

49 Nyx

50 Nyx

51 James

52 Erin

53 Nyx

54 Nyx

55 James

56 Nyx

[Motto]

Für Ellen

 

… die mich erdet und mit French Toast versorgt

… die Gärten blühen und die Welt heller leuchten lässt

Atlas sprach, »Muss meine Zukunft so schwer wiegen?«

 

Hera sprach, »Das ist deine Gegenwart, Atlas. Deine Zukunft festigt sich mit jedem Tag, aber sie ist nicht in Stein gemeißelt.«

 

Jeanette Winterson, Weight

Annäherung

1Birdie

Die Wolken trieben wie Zugvögel über das Meer. Birdie schaute aus dem offenen Autofenster und bewunderte die Farbschichten, die so typisch für die Küste von Dorset waren: hellgrüne Weiden, gelber Stechginster, ein Streifen blauer Himmel und darüber die Wolken.

Der Fahrtwind strich an ihrer Wange entlang und wehte ihr die losen Haare ums Gesicht. Sie schob sich eine Strähne hinters Ohr, legte die Hand wieder in den Schoß und blickte hinunter auf den Ring, den Nan so lange getragen hatte. Ganz kurz hatte Birdie vor Augen, wie sie mit hochgekrempelten Ärmeln in der Küche stand und Koriandersamen in einem Mörser zerdrückte.

Das Auto machte einen abrupten Schlenker nach links, und das Bild verpuffte.

»’tschuldige«, sagte Rhea. »Die Schlaglöcher werden mit jedem Winter tiefer.«

»In Neuseeland gibt’s einen Typen, der zotige Gerüchte über die Stadtverwaltung neben die Schlaglöcher sprüht«, sagte Birdie. »Soll die Verantwortlichen dazu motivieren, die Straßen auszubessern.«

Rhea schnaubte. »Einen Versuch wär’s wert!« Sie hatte die Sonnenblende heruntergeklappt, und ihre Augen lagen im Schatten. Die Falten an ihren Mundwinkeln waren jedoch deutlich zu sehen. Die beste Freundin von Birdies Großmutter war älter geworden. Natürlich war sie das. Die letzten fünf Jahre waren für Birdie wie im Flug vergangen, aber die Zeit hatte an den Menschen, die sie hier zurückließ, ihre Spuren hinterlassen. Rheas Gesicht zeigte neue Falten. Und Nan? Nan war drei Tage vor ihrem vierundachtzigsten Geburtstag eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.

Rhea kratzte sich am Nacken, direkt über dem Kragen ihrer Strickjacke. Die Jacke war schwarz. Auf der Beerdigung hatte nur Birdie Farbe getragen. Einen blauen Pullover mit gelben Streifen. Nans Lieblingsfarben.

Das Auto passierte einen Hagebuttenstrauch, und Birdies Herz machte einen Sprung. Sie erkannte den nächsten Streckenabschnitt. Die Straße stieg an, überwand eine Kuppe und gab den Blick auf das Meer frei.

Birdie beugte sich nach vorn. An einem Hang über der Bucht wucherten hohe Hecken, und dazwischen blitzten die weißen Wände eines Hauses auf.

Rhea warf ihr einen Seitenblick zu. »Du musst nicht hier schlafen«, sagte sie. »Ich habe noch ein freies Zimmer, und die nächsten Gäste kommen erst am Wochenende.«

»Danke«, erwiderte Birdie und lehnte sich im Sitz zurück, »aber das passt schon.«

»Sicher?«, fragte Rhea zweifelnd.

Birdie warf noch einen letzten Blick auf das Haus, dann lächelte sie Rhea zu. »Ganz sicher.«

Rhea setzte sie vor dem Gartentor ab. Birdie winkte, bis Rheas kleiner Renault wieder auf die Straße bog und hinter der Hecke verschwand. Nans Haus sah noch genauso aus wie an dem Tag, als Birdie bei ihr eingezogen war. Die geweißten Wände schienen von innen heraus zu leuchten, an der vorderen Ecke des Schieferdachs fehlten zwei Schindeln, und die Wolken spiegelten sich in den Fenstern.

Ein Holunderbaum wucherte neben dem Gartentor, und der herbsüße Duft der Blüten stieg ihr in die Nase. Plötzlich traten Tränen in ihre Augen. Sie legte eine Hand auf den oberen Rand des Gartentors und spürte das verwitterte Holz unter ihren Fingern. Es war noch warm.

Nan wird nie mehr ans Tor kommen, um mich zu begrüßen. Der Gedanke bohrte sich in Birdies Herz. Sie blickte auf, und ganz kurz sah sie ein kleines Mädchen, das an der Hand seiner Großmutter über den sandigen Pfad zum Haus ging.

Mit einem Seufzen atmete sie aus. »Ach, Nan«, sagte sie. »Ich war zu lange weg.«

Sie wusste, was Nan dazu gesagt hätte. Entscheidungen zu bereuen ist so sinnvoll, wie Zahnpasta zurück in die Tube zu stopfen. Lass gut sein, Mädchen. Birdie lächelte, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und öffnete das Tor.

Im Innern des Hauses war die Luft kühl und durchzogen von dem kalkigen Geruch der Wände. Birdie war kaum über die Schwelle getreten, als ein blauschwarzer Schatten den Flur entlanggelaufen kam.

»Nimby«, sagte sie überrascht. Sie sank auf ein Knie, und der kleine, schwarze Kater strich um sie herum.

»Hey, mein Schöner.« Birdie streichelte Nimbus’ glattes Fell, hob ihn hoch und stand auf. Der Kater drückte seinen Kopf unter Birdies Kinn. Er war schon immer anschmiegsam gewesen.

»Du hast dich jedenfalls kein Stück verändert«, sagte Birdie, und er schnurrte tief in seiner Kehle, als wollte er das bestätigen. Mit Nimbus im Arm sah Birdie sich das erste Mal richtig um. Die Türen, die rechts und links vom Flur abgingen, standen offen, und ein Streifen Licht fiel über das Fußende der Treppe, die nach oben führte. Die Sträußchen aus getrockneten Kräutern, die sich sonst unter der ersten Stufe befanden, hatten sich aufgelöst, und Rosmarinnadeln lagen überall auf dem Boden verstreut. Birdie schaute nach rechts durch die offene Tür ins Wohnzimmer. Bestimmt waren die Salzgrenzen auf den Fensterbrettern auch durchbrochen.

»Dann legen wir mal los«, sagte sie. Sie drückte Nimbus einen Kuss auf den Kopf, setzte ihn ab und machte sich daran, Nans Schutzzauber zu erneuern.

Am späten Nachmittag hatte sie das Haus gut durchgelüftet und die Überreste von Salz, Kräutern und den Staub, der sich in den Ecken gesammelt hatte, aufgesaugt. Sie hatte die Siegel an Nans Schränken überprüft und die Schutzzauber neu angebracht. Jetzt blieb nur noch eine Sache zu tun.

Birdie setzte sich auf die Kante von Nans Bett und stellte eine Vase mit Vergissmeinnicht auf den Nachttisch. Die zerkratzte Münze mit dem Affodill-Motiv, die Nan niemals weggeben wollte, lag immer noch neben der Nachttischlampe, und auch sonst sah das Zimmer aus, als hätte Nan es nur kurz verlassen.

Jemand hatte Kissen und Decke ordentlich hingelegt und Nans blauen Quilt über das Bett ausgebreitet. Birdie strich mit der Hand über den Stoff. Hier hatte Rhea Nan gefunden. Birdies Befürchtung, dass sich das Zimmer drückend anfühlen würde, war nicht eingetreten. Dieser Ort war friedlich. Hell und gemütlich, so wie zuvor. Dennoch wollte sie sichergehen, dass nichts zwischen den Wänden zurückblieb, was zur Weiterreise bestimmt war.

Birdie stand auf und ließ Nimbus zurück, der zusammengerollt auf dem Bett lag. Sie ging zum offenen Fenster und zog eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche. Draußen kratzten die Äste des Vogelbeerbaums an der Hauswand, und die Hecken knisterten in der Brise, die aufs Meer hinaus wehte.

Birdie stellte eine Honigkerze auf den Sims, nahm ein Streichholz und schloss die Augen. Der Wind trieb den salzigen Geruch des Meeres zu ihr hinauf und strich über ihre Wangen. Ein einziges Wort klang in ihrem Kopf. Frei.

»Nan«, sagte sie. »Du kannst gehen. Es ist alles gut, wir kommen hier klar. Ich komme klar. Du fehlst …« Sie schluckte und spürte die Tränen in ihrer Kehle brennen. »Du fehlst, aber du hast mir alles gegeben, was ich brauche. Ich liebe dich sehr, ich hoffe, das weißt du. Ich hoffe, ich habe es dir oft genug gezeigt.« Kummer schnürte ihr die Worte ab, aber gleichzeitig spürte sie die Berührung einer Hand auf ihrer Schulter. Birdie atmete zitternd aus, dann zündete sie das Streichholz an.

»Lass los, Nan«, flüsterte sie. »Geh mit dem Wind.« Sie setzte das Streichholz an den Docht, bis die Kerze brannte. Zufrieden zog sie die Hand zurück, als ein Lufthauch über ihren Nacken strich. Sie erstarrte. Wieder glitt etwas über ihren Rücken. Dieses Mal fühlte es sich an wie Sand, der über ihre Haut rieselte. Ruckartig richtete Birdie sich auf. Die tätowierten Rückseiten ihrer Finger kribbelten.

»Was zum …« Ein Blick über die Bucht, und sie verstummte. Der Horizont war verschwunden. Graue Wellen schwappten zu den Klippen, und in der Ferne versperrte eine schmutzig weiße Wand aus Regen die Sicht. Mit einem Schlag änderte sich die Windrichtung. Ein brüllendes Röhren hob an, und das Unwetter fegte mit rasender Geschwindigkeit auf die Küste zu. Die Kerze auf dem Sims flackerte.

Eisige Kälte kroch unter Birdies Haut, und ihre Brust zog sich schmerzhaft eng zusammen. Sie spürte, wie ihr Herz pochte. Und pochte. Es klang wie der dumpfe Schlag einer Trommel. Oder schlurfende Schritte.

»Jemand kommt«, murmelte sie. Ein Fauchen ließ sie herumfahren, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Nimbus unter dem Bett verschwand.

Der Wind heulte und blies Nans Kerze aus. Dann schlug etwas mit der Wucht eines Donnerschlags gegen die Haustür.

2Nyx

Das Café lag in Whitechapel, im Osten von London. Im Innern roch es nach Kaffee, Kuchen wartete in der verglasten Auslage, und aus den Lautsprechern drang eine Mischung aus Akustikgitarre und Popsongs. Es hätte ein stinknormales Café sein können. Wäre da nicht der nebelgraue Frosch gewesen, der am Riemen einer Laptoptasche hinaufkletterte. Er war so winzig, dass man genau hinsehen musste, um ihn zu bemerken.

Nyx sah sehr genau hin.

Die Person, der die Tasche gehörte, saß am Nachbartisch. Sie war zierlich, trug eine dunkelgraue Beanie und ein schwarzes T-Shirt. Ein Laptop stand aufgeklappt vor ihr. Nyx konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber sie hatte das Kinn auf die Hand gestützt und den Rücken gekrümmt. Sie sah müde aus.

Kein Wunder, dachte Nyx. Ihr Blick glitt zu dem Frosch am Riemen der Tasche, dann sah sie sich um. Obwohl es draußen bereits dämmerte, herrschte im Café Trubel wie zur Mittagszeit. Leute bestellten Getränke am Tresen, trugen Tabletts mit Sandwiches zu den wenigen leeren Plätzen. Die meisten Gäste waren vermutlich irgendwas zwischen achtzehn und dreißig. Sie saßen vor ihren Laptops, schmökerten in Taschenbüchern oder unterhielten sich lautstark. Niemand sah in Nyx’ Richtung. Niemand bemerkte den Frosch.

Nyx knetete das Papierförmchen, an dem noch ein paar Muffinkrümel klebten. Zu gerne hätte sie den Frosch ignoriert. Oder besser noch: Sie hätte ihn am liebsten gar nicht erst gesehen. Doch für solche Wünsche war es zu spät, denn jede Faser in ihrem Körper drängte sie dazu, den Frosch zu schnappen. Nur wie sollte sie das anstellen? Sie konnte sich ja schlecht zu der anderen Person lehnen und um Erlaubnis fragen.

Entschuldigung, du hast da einen Albtraum an der Tasche, kann ich mir den fix nehmen? Nyx verzog das Gesicht. Wenn es nur so einfach wäre.

Die Laptoptasche hing über der Stuhllehne. Wenn sie mit ihrem eigenen Stuhl ein kleines bisschen näher rückte, könnte sie ihn vielleicht erreichen. So unauffällig wie möglich rutschte sie an den Nachbartisch heran. Der Frosch war beinahe an der oberen Schnalle des Riemens angekommen.

Jetzt oder nie.

Blitzschnell beugte sie sich hinüber und pflückte den Frosch von der Laptoptasche. Dabei stieß sie mit dem Knie gegen ihren Tisch und brachte ihre Teetasse zum Klirren. Elegant war anders.

Überrascht zuckte die Person vor ihr zusammen. Ihr Kopf fuhr in Nyx’ Richtung, aber da war die bereits aufgesprungen und hatte sich abgewandt.

»Sorry.« Nyx’ Herz hämmerte, während sie den kühlen, weichen Körper des Frosches in ihrer hohlen Hand spürte. Kurz überlegte sie, wie sie ihr Tablett einhändig zur Geschirrsammelstelle bringen konnte, ließ es dann einfach stehen, schnappte sich ihren Rucksack und verließ fluchtartig das Café.

Sie wich zwei Passanten aus, lief noch ein paar Meter den Gehweg entlang und bog dann um eine Ecke. Erst dort hielt sie inne, warf einen Blick über ihre Schulter und sah schließlich hinunter auf den Frosch. Grau und beinahe durchsichtig saß er auf ihrer Handfläche.

Nun, da sie den Frosch hatte, regte sich ihr schlechtes Gewissen. Acht Wochen. Acht Wochen lang hatte sie keine Träume zu sich gelockt. Nyx strich sacht über den Rücken des Frosches und seufzte. Sie hatte gehofft, dass sie dieses Mal länger durchhalten würde.

Der letzte Streifen Sonnenlicht verschwand hinter den Hausdächern, als sie vor dem Buchladen ankam. Wicked Witch Books lag zwischen einem südindischen Imbiss und einem Secondhandgeschäft für DVDs, Blu-Rays & Schallplatten. Warmgoldenes Licht fiel vom Schaufenster des Buchladens auf die Straße und das Schild in der Tür war auf »geöffnet« gedreht. Nyx versteckte die Hand mit dem Frosch hinter dem Rücken und betrat den Laden.

Bücherregale standen zu beiden Seiten des Verkaufsraums, und dazwischen führte ein schmaler Korridor zu einer Sitzecke im hinteren Teil des Ladens. Dort hatte es sich eine bunt gemischte Gruppe auf den Sesseln und der Couch bequem gemacht. Der Duft von Kaffee hing in der Luft, und Nyx hörte Freya und die anderen schon vom Eingang aus diskutieren.

Freya Helgesen hatte Wicked Witch zusammen mit zwei Freundinnen in den Achtzigern als Frauenbuchladen gegründet. Mittlerweile hatte der Laden ein queer-feministisches Label angenommen, und Freya stand allein am Ruder.

Für Nyx war der Buchladen sowohl Arbeitsplatz als auch Zuhause.

Als sie das Wicked Witch zum ersten Mal betreten hatte, war ein Funke in ihr aufgeflackert. Vielleicht lag es an der Buchauswahl, den Regalen voller Fantasy- und Sci-Fi-Schmöker, die direkt neben feministischen Klassikern, Gedichtbänden und Biographien von Maya Angelou, Virginia Woolf und Tove Jansson standen. Vielleicht war es die Liebe zum Detail. Der Tulpenstrauß, der auf einem Tisch neben dem Eingang stand, das Poster von Audre Lorde oder die verstreuten Lichter in der Decke, die Nyx an einen Sternenhimmel erinnerten.

Oder es war einfach einer jener Momente gewesen, an dem ein Mensch unverhofft einen Seelenort betritt.

Immer noch mit der Hand hinter dem Rücken ging Nyx auf den hinteren Teil des Ladens zu. Wie immer stach Freya zwischen den anderen heraus. Sie war mindestens einen halben Kopf größer als der Rest, trug ihr langes Haar in dicken, stahlgrauen Locs und gestikulierte mit beiden Händen. Als sie Nyx bemerkte, hob sie das Kinn und rief über die Köpfe der anderen hinweg: »Hey, Schätzchen. Buchclub?«

Die anderen drehten sich nach ihr um, und Rob, einer der Stammkunden, hob grüßend die Hand.

»Heute nicht, sorry«, antwortete Nyx. »Aber euch viel Spaß!« Freya nickte und wandte sich wieder der Gruppe zu. Das war nur eines der vielen Dinge, die Nyx an ihr mochte. Sie musste Freya nie erklären, warum sie sich bei manchen Events ausklinkte. Kein Nachhaken, keine Überredungsversuche. Freya akzeptierte ein Nein. Nyx winkte Rob rasch zurück, dann trat sie in eine Lücke zwischen die Regale und öffnete die Tür zum Treppenhaus.

Freya hatte das Haus vor zehn Jahren gekauft und bewohnte das Apartment im ersten Stock. Nyx’ winzige Wohnung lag direkt unter dem Dach, mit Blick auf die gegenüberliegenden Häuser und das Graffito eines riesigen Kranichs.

Manchmal konnte Nyx ihr Glück immer noch nicht fassen. Fünf Jahre waren seit ihrem überstürzten Umzug nach London vergangen. Damals hatte sie sich wie gestrandet gefühlt, war in der Stadt umhergestreift und besuchte mehrmals in der Woche das Wicked Witch. Sie studierte die Regale und war irgendwann mutig genug gewesen, sich in einen der Sessel zu setzen und ein paar Bücher anzulesen. Geld, um sich diese Bücher zu kaufen, hatte sie nicht.

Als Freya sie nach zwei Wochen ansprach, wäre Nyx am liebsten im Boden versunken. Aber Freya war Freya. Unkompliziert, geradeheraus und so warmherzig, dass Nyx schnell Zutrauen zu ihr fasste. Erstaunlich schnell, für ihre Verhältnisse.

Vielleicht erkannte sie etwas in Freya, das ihr bisher gefehlt hatte. In jedem Fall war Nyx zur richtigen Zeit durch die richtige Tür gestolpert. Freya war eine lesbische, Schwarze Frau mit jamaikanischen und schwedischen Wurzeln, die sich Zeit ihres Lebens dafür eingesetzt hatte, sichere Häfen für Menschen zu schaffen, die in London nach einem Zuhause suchten. Nach einem Ort, an dem sie mit all ihren Facetten willkommen waren.

Freya hatte Nyx nicht ausgefragt. Sie hatte nicht wissen wollen, woher ihre Eltern kamen, wie Nyx in der Stadt gelandet war oder warum sie nie ein Buch kaufte. Stattdessen bot sie Nyx einen Job an. Kurz darauf überließ sie ihr die Wohnung unter dem Dach.

Nyx schob die Tür mit der Schulter auf und knipste das Licht an. Der Frosch wand sich in ihrer Hand, und sie schauderte. Mittlerweile spürte sie nicht nur den Frosch, sondern auch den Albtraum, den er verkörperte. Das hatte nichts mit Gedankenlesen oder dergleichen zu tun. Sie wusste nie genau, wovon andere Menschen träumten; was sie erlebten, fürchteten oder herbeisehnten, während sie schliefen. Was bei ihr ankam, waren Emotionen. Schwer zu fassende Stimmungen, die sich in ihrer Vorstellung in Farben und abstrakte Formen verwandelten.

Der Frosch versuchte, sich durch eine Lücke zwischen Nyx’ Fingern zu zwängen, und eine blaue Welle aus Angst und Verunsicherung kräuselte sich auf der Oberfläche ihres Bewusstseins. Noch war das Echo des Traums in ihren Gedanken schwach, aber das würde sich ändern, je länger sie den Frosch in der Hand behielt.

»Gleich da«, murmelte sie. »Nur noch ein paar Schritte.«

Während das Tier sich in ihrer hohlen Faust wand, schlüpfte sie aus ihren Schuhen und Socken. Sie stolperte in Richtung Couchtisch, richtete sich auf und ging zu der Tür, die gegenüber der Couch in der Wand wartete.

Gleich.

Nyx legte die Hand an den Türknauf. Du weißt, warum du den Frosch angelockt hast, mahnte eine innere Stimme. Weil du durch diese Tür gehen wolltest.

Wieder nagte das schlechte Gewissen an ihr, aber sie schob ihre Schuldgefühle beiseite. Sie hatte eine Aufgabe. Über ihren Mangel an Selbstkontrolle konnte sie sich später den Kopf zerbrechen.

Nyx schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Sie stellte sich vor, dass das Licht in den Zimmerlampen erlosch und sich die Dunkelheit wie ein weicher Schleier auf ihre Wohnung herabsenkte. Dann öffnete sie den Wandschrank.

Der Frosch in ihrer Hand hielt nun vollkommen still. Immer noch mit geschlossenen Augen tastete Nyx nach dem Türrahmen. Kühle Luft wehte ihr entgegen zusammen mit einem sauberen Duft wie von frischer Bettwäsche oder aufziehendem Regen. Ihr Herz wurde leicht wie eine Feder, und Sehnsucht zupfte an einer Stelle direkt unter ihrem Brustbein.

Ruhig, sagte sie sich. Bleib ganz ruhig.

Sie ließ den Türrahmen los und machte einen Schritt nach vorn. Ihre nackten Füße traten auf eine Oberfläche, die sich seidig wie Wasser anfühlte und dennoch ihr Gewicht trug. Mit einem Lächeln öffnete Nyx die Augen. Wände, Decke und alle anderen Begrenzungen waren verschwunden. Vor ihr breitete sich die Dunkelheit aus wie ein unbewegter Ozean, die Schwärze durchbrochen von Myriaden winziger Lichter, die unter der Oberfläche verstreut leuchteten.

Die Nacht begann in Nyx’ Wandschrank, und das Firmament lag unter ihren Füßen.

Nyx ging weiter, den Frosch sicher in ihrer Hand verwahrt. Sie hörte das leise Klatschen ihrer Schritte, spürte aber keine Feuchtigkeit unter ihren Fußsohlen.

Der Albtraum wisperte durch ihre Gedanken wie Wind durch ein Weizenfeld, aber hier blieb sie entspannt. Mit jedem Schritt fühlte sie sich sicherer, grenzenlos und ruhig wie die Nacht selbst. Nach ein paar Metern ging sie in die Hocke. Sie berührte den Boden, der kein Boden war, dann nahm sie den Frosch in beide Hände und hielt ihn nahe an ihr Gesicht.

»Da sind wir«, sagte sie. »Bereit?«

Der Frosch sah sie mit Augen an, in denen sich die Sterne spiegelten. Nyx blies ihren Atem auf das kleine Tier. Ein Schauer ging durch ihn hindurch, und seine Haut färbte sich perlweiß.

Sie lächelte, dann senkte sie die Hände zum Boden. Der Frosch rutschte von ihren Fingerspitzen und glitt unter die dunkle Oberfläche. In der Bewegung veränderte er seine Form und verwandelte sich in einen winzigen, leuchtenden Fisch, der wie ein Pfeil davonschoss.

»Bon voyage«, murmelte Nyx.

Als hätten die übrigen Lichter auf dieses Signal gewartet, gerieten auch sie in Bewegung, wirbelten umeinander und folgten dem Traum wie ein Schwarm Sternschnuppen.

3James

Wie hatte er die Stadt vermisst. Mit der Reisetasche über der Schulter und dem Griff seines Rollkoffers in der Hand trat James aus dem Ausgang der U-Bahnstation Covent Garden. Menschen drängten sich an ihm vorbei, rannten durcheinander wie Ameisen. Eine Wolke aus Aftershave glitt vorüber, und von irgendwo wehte der Bratenduft frisch gebackener Pasties her. Nichts hatte sich verändert.

James wich einer Gruppe Touristen aus und spähte die Fußgängerzone hinunter. Die Markthallen von Covent Garden waren immer noch hell erleuchtet, obwohl es bereits halb neun war. Lichtergirlanden hingen unter den Vordächern. Die kleine Terrasse des Nags-Head-Pubs war voll besetzt, und in der Nähe jonglierte ein Straßenkünstler mit bunt flackernden Bällen.

James ließ den Blick zum blauschwarzen Nachthimmel schweifen und dann hinunter auf die Stadt, die wie ein Herzschlag pulsierte.

»Willkommen zu Hause«, murmelte er. Das Handy in seiner Jackentasche vibrierte, aber er holte es nicht heraus. Stattdessen sog er die Nachtluft mit all ihren Gerüchen ein und reihte sich zwischen die Fußgänger, die die Neal Street hinunterströmten.

Eine Stunde später saß er an einem Tisch im Außenbereich einer Pizzeria mit einem Pint und einer Chorizo-Pizza. Die Salami war fast scharf genug, und die frische Petersilie erinnerte ihn an eine großartige Falafel-Pita, die er in Tel Aviv gegessen hatte. Das mochte er an großen Städten am meisten. Hier versammelten sich nicht nur Menschen aus aller Welt, sie brachten auch ihre Rezepte mit, importierten Gewürze und Kräuter, erfanden neue Twists für traditionelle Gerichte, weckten Nostalgie und Fernweh und dieses Gefühl, dass man sich an einem Esstisch einfach am besten begegnete.

James sah sich um. Dieser Hinterhof, Neal’s Yard, war das beste Beispiel dafür. Auf den Bänken in der Mitte des Hofs saßen die unterschiedlichsten Leute, lachten, schwatzten, tranken Limos oder Bier, aßen Pizza, Wraps oder den Avocado Key Lime Pie für den das Café mit der blauen Fassade berühmt war.

James nahm einen Schluck seines Pints und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Als er London vor zwei Jahren verlassen hatte, war Neal’s Yard noch ein Geheimtipp gewesen. Das hatte sich in der Zwischenzeit radikal geändert. Nicht, dass ihn das störte. Das Zimmer, das er ab heute mietete, lag direkt um die Ecke. Wenn er nachts das Fenster offen ließ, würde er die Musik und das Raunen der Stimmen aus dem Hof hören. Er mochte das. Solche Geräuschkulissen gaben ihm das Gefühl, zu Hause zu sein.

Seltsam eigentlich, dass er London immer noch so wahrnahm. Mittlerweile war er quer durch die Welt gereist, hatte sich in die Märkte von Marrakesch, die Dachterrassen von Istanbul und die Altstadt Athens verliebt. Trotz allem hatte das nächtliche London eine besondere Wirkung auf ihn. Ja, die Stadt war voll, laut, teuer, oft brutal und voller Abgase. Und dennoch brachte sie mit all ihren Makeln eine Saite in ihm zum Klingen. Dachte er an London, dann dachte er an die 24-Stunden-Läden, in denen sich Baklava neben Hobnob-Keksen neben Dosen mit Tomatensuppe stapelten. Open Mike Nights im Troy Club. Den Geruch von Bier und Gras auf privaten Partys in versteckten Hinterhöfen. Die Musikerin, die auf einer Bank an der Themse Gitarre spielte.

Er liebte es mitzuerleben, wie die Stadt nach ein Uhr stiller wurde. Wenn Menschen und Autos von den Straßen verschwanden und die Ruhe wie ein großes Tier durch die Häuserschluchten streifte.

Er machte sich keine Illusionen, kannte auch die hässlichen, kalten Seiten der Stadt. Aber das änderte nichts daran, dass London der erste Ort gewesen war, an dem er das Gefühl hatte, jede Seite von sich ausleben zu können. Er traf sich zum Brunchen im Park, ging zum Tanzen ins Fold, ging mit seiner Ziehschwester zu obskuren Sci-Fi-Filmfestivals, aß Jollof Reis auf dem Honest House Market und weinte, weil der Reis fast genauso schmeckte, wie sein Vater ihn früher zubereitet hatte. Dieser Moment gab ihm eine Verbindung zurück, die er seit dem Verlust seiner Eltern vermisst hatte.

Nicht zuletzt wurde London für seine Ziehschwester und ihn zu einer Zuflucht, nachdem sie von zu Hause abgehauen waren. Weit waren sie nicht gekommen – das Haus ihrer Adoptivmutter lag in Surrey, nur eine kurze Zugfahrt entfernt. Aber damals hatte es sich so angefühlt, als hätten sie einen Ozean überquert.

Sein Handy brummte schon wieder. James sah auf das Display und drückte den Anruf weg. Noch nicht. Er legte das Handy zur Seite, überlegte es sich dann anders und scrollte durch seine Kontakte. Nathan. Nesrin. Nyx.

James’ Daumen verharrte über dem Namen seiner Schwester. Sein Herz zog sich zusammen, und kurz dachte er an eine Wiese in Surrey und an drei Kinder, die wie ein Haufen Welpen zusammen im Gras lagen.

James klickte auf das grüne Chat-Symbol neben Nyx’ Namen und sah auf ihre letzte Nachricht.

Gestern beim Platzregen bis auf die Haut nass geworden. Hoffe, bei dir ist das Wetter besser. Miss U.

Er hatte ihr nicht erzählt, dass er auf dem Weg nach London war. Warum nicht?

Weil du feige bist, sagte er sich. Die ganze Zeit über hatte er sich eingeredet, dass er Nyx beschützte. Dass er ihr den wahren Grund für seine Reisen verschwieg, weil er sich für sie ein normales Leben wünschte.

In Wahrheit hatte er sie ein Jahr lang belogen. Und er befürchtete, dass alles aus ihm herausplatzen würde, wenn er sie wiedersah.

Es war einfacher, Geheimnisse zu bewahren, wenn er Nyx nicht ins Gesicht sehen musste. Also meldete er sich seltener, vermied Videoanrufe und fühlte sich mitunter so einsam, dass er am liebsten schreien würde.

Manchmal stellte er sich vor, wie seine Adoptivgeschwister ihn begleiteten. Er malte sich aus, wie Nyx durch einen der Märkte in Marrakesch ging und sich über die aufgetürmten Gewürze beugte. Er träumte davon, dass er an einem Tisch mit drei Teegläsern saß, Nyx an seiner linken Seite, Leon an seiner rechten – die Beine lang ausgestreckt und den Arm lässig über die Stuhllehne gehakt.

In James’ Vorstellung war Leon immer noch siebzehn. Mit verwuschelten blonden Haaren und einem Folienverband über seinem neuen Tattoo.

Natürlich blieb er siebzehn. Älter würde er nie werden.

James räusperte sich und wischte sich mit der Hand über die Augen. Würde es irgendwann weniger weh tun, an Leon zu denken? So langsam glaubte er das nicht mehr.

Wenigstens war er nicht alleine. Er hatte Nyx. Und es war höchste Zeit, dass er sich bei ihr meldete.

James tippte die ersten Buchstaben in den Chat, als sich seine Nackenhärchen plötzlich aufstellten. Er erstarrte. Ein Jucken tanzte über seine Haut, die Luft war wie statisch aufgeladen. Nyx nannte das seinen Spidey-Sense. Seine Muskeln spannten sich an, während er den Kopf hob und sich umsah. Sein Blick glitt über die Touristen und Nachtschwärmer und blieb schließlich an einer jungen Frau hängen. Mit gesenktem Kopf stand sie da und blickte auf ihr Handy. Sie trug eine hellblaue Jeansjacke über einem schwarzen T-Shirt, und ihr blaugrauer Pony lugte unter ihrer Mütze hervor. Nichts an ihr wirkte außergewöhnlich. Nur, dass das Jucken auf James’ Haut bei ihrem Anblick zu einem eiskalten Prickeln wurde.

Als sie das Handy einsteckte und wegging, stand James auf und folgte ihr.

Das Mädchen hatte einen zügigen Schritt drauf. James bemühte sich, ihr auf den Fersen zu bleiben, ohne dass sie ihn bemerkte. Das klappte genau zwei Straßenecken lang, dann sah sie über die Schulter, und ihre Blicke trafen sich. Sie runzelte die Stirn, und ihre Hand verkrampfte sich um den Riemen ihrer Laptoptasche. Sie lief schneller.

Verdammt. Er wollte ihr keine Angst einjagen. Wenn sie den Notruf auf ihrem Handy wählte, dann hätte er ein Problem, und er würde ihr nicht mehr helfen können. Unschlüssig blieb er stehen. Sollte er sich zurückfallen lassen? Er sah zu, wie sie in eine Seitengasse abbog. Vielleicht hatte er sich getäuscht. Vielleicht war sie nicht in Gefahr, und seine Nerven waren vom langen Flug überreizt.

Wie groß war die Wahrscheinlichkeit dafür? Sie ging so ziemlich gegen null.

James griff in seine Jackentasche und tastete über den Bleikasten darin. Er hatte nicht erwartet, dass er den Kasten, oder vielmehr dessen Inhalt, so früh brauchen würde. Doch wie immer gab das Universum einen Dreck auf das, was er sich erhoffte.

James schloss die Hand um den Kasten, dann lief er los, der jungen Frau hinterher. Er bog in die Gasse ab, aber das Mädchen war längst weg. Sein Herz klopfte schneller. Womöglich hatte er zu lange gezögert. Wenn er sie jetzt völlig aus den Augen verlor …

Er erreichte das Ende der Gasse, trat nach draußen und blieb wie angewurzelt stehen.

Vor ihm lag ein verlassener, von Bürogebäuden umringter Platz. Breite Sandsteinplatten waren in den Boden eingelassen, und dazwischen leuchteten runde Lämpchen.

Die junge Frau mit dem blaugrauen Pony schwebte gut zwei Meter über dem Boden. Sie hing in der Luft wie ein Ballon, der in der Aufwärtsbewegung eingefroren war.

James starrte auf die reglose Gestalt. Den Kopf hatte sie in den Nacken gelegt, ihre Arme hingen herab, waren aber angespannt, und ihre Finger weit gespreizt. Ihm entfuhr ein einziges Wort: »Shit.«

Während er hinsah, wandte die junge Frau den Blick in seine Richtung. Ihren Körper konnte sie nicht bewegen, aber er erkannte die Angst in ihren weit aufgerissenen Augen. Sie verstand nicht, was mit ihr geschah. James wusste es. Und er wusste auch, was als Nächstes passieren würde.

Dieses Mal nicht, dachte er grimmig.

Er legte beide Hände über sein Herz und atmete aus. Eine weiche Kühle drang aus seiner Haut und wehte wie Nachtwind über den Platz. James drückte seine Hände gegen seine Brust. Dunkelheit floss über den Platz und hüllte das schwebende Mädchen ein.

Sie besaß eine Aura. Einen dünnen, irisierenden Schimmer, wie der Hof eines Mondes. In ihrem Schein leuchtete die ohnehin helle Haut des Mädchens nahezu weiß. James presste die Lippen aufeinander und zog den Bleikasten aus der Tasche. Vorsichtig öffnete er den Deckel. Auf einem Bett aus Samt lag eine antike Scheibe aus rostrotem Stein. Sonnensiegel. So hatte Ipek die Scheibe genannt.

James musste sich beeilen. Trotzdem bremste ihn die Furcht, dass er gegen das, was sich hier anbahnte, nicht ankommen konnte.

Du kannst es, sagte er sich. Du musst.

Ein Keuchen riss ihn aus seiner Starre. Erschrocken hob er den Blick und sah, wie die junge Frau die Augen verdrehte.

Fuck.

James ließ alle Vorsicht fahren, schnappte sich die Steinscheibe und ließ den Bleikasten fallen. Er zischte vor Schmerz als das Siegel einen dumpfen Puls durch seine Haut sandte, griff jedoch gleichzeitig mit der freien Hand nach dem Arm der jungen Frau. Er zog an ihr, so vorsichtig, wie er konnte, aber der schwebende Körper gab nicht nach. Es war, als würde er an einem Stahlpfeiler zerren.

»Bitte«, flehte er. Er wollte ihr nicht weh tun, aber die Zeit war knapp. »Es ist alles gut«, versuchte er es weiter. »Vertrau mir, okay? Ganz ruhig.« Ein Schaudern durchlief das Mädchen, und ihr Widerstand löste sich. Langsam, ganz langsam zog James sie nach unten.

Sobald sie nur noch wenige Zentimeter über dem Boden schwebte, legte James das Sonnensiegel auf ihr Brustbein, direkt an den Ausschnitt ihres T-Shirts. Als er seine Hand wegzog, fühlten sich seine Finger taub an. Eine Welle aus Schwindel brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und er wankte zurück.

Ein gewöhnlicher Gegenstand wäre zu Boden gefallen. Doch das Sonnensiegel blieb an dem Mädchen haften.

»Komm schon«, murmelte James.

Zuerst geschah nichts, dann leuchteten an den Händen der jungen Frau, an ihrem Hals und auf ihrem Gesicht funkelnde Adern auf. James sog scharf die Luft ein, und für einen Augenblick schien die Zeit einzufrieren. Bewegung geriet in ihre Adern: Wie die verzweigten Läufe eines Flussdeltas strömte Licht unter der Haut des Mädchens zu dem Siegel. Das eingravierte Muster auf dem Stein strahlte heller und heller, und aus dem Metall löste sich ein glitzernder Nebel.

James konnte sein Glück kaum fassen. Es funktionierte! Es funktionierte wirklich! Ein paar Sekunden lang starrte er gebannt auf das Spektakel, dann durchfuhr ihn ein Ruck. Es war noch nicht vorbei. Rasch grub er die Finger in seine andere Jackentasche und zog ein Glasröhrchen daraus hervor. Als er sich nach vorn beugte, wurde er von einem weiteren, Übelkeit erregendem Puls durchgeschüttelt. Trotzdem schaffte er es, den schimmernden Nebel, der nun vor dem Mädchen in der Luft schwebte, in seinem Röhrchen einzufangen.

Er hatte es kaum geschafft, das Glas zu verschließen, als das Mädchen keuchte und nach unten stürzte. Instinktiv fing James sie auf und sackte mit ihr zu Boden. Die Dunkelheit, die sie bis jetzt eingehüllt hatte, verpuffte, und James und das Mädchen lagen in einem kraftlosen Haufen auf dem erleuchteten Platz.

Schwer atmend starrte James nach oben, dann befreite er sich aus der unfreiwilligen Umarmung, bettete das Mädchen vorsichtig auf den Boden und kniete sich neben sie. Sie war ohnmächtig und kreidebleich, aber auf ihrer Haut leuchteten keine Adern mehr.

Einen Augenblick lang gab James seiner eigenen Erschöpfung nach, dann legte er das Glasröhrchen ab und nahm das Sonnensiegel wieder an sich. Er sah sich um, klaubte die Bleischachtel vom Boden auf und legte das Siegel zurück auf das Samtkissen. Sobald er den Deckel zuklappte, atmete er erleichtert aus. Er fühlte sich wie ein ausgewrungenes Handtuch, matt und benommen.

James tastete nach dem Puls des Mädchens, stellte sicher, dass ihr Herz weiterschlug. Erst danach betrachtete er das Glasröhrchen und den Nebel, der darin schimmerte. Matte, violette Funken glommen in ihm auf, als würde der Dunst blinzeln.

»Shit, shit, shit«, wiederholte er. Er hatte wirklich gehofft, sie hätten die Zeichen falsch gedeutet. Auch jetzt suchte ein Teil seines Verstandes nach einer anderen Erklärung. Aber in Wahrheit wusste er längst, worauf sie zusteuerten.

Ein lautes, elektronisches Brummen ließ ihn zusammenzucken. James zog das Handy aus seiner Gesäßtasche und sah den Namen, den er heute schon mehrere Male weggedrückt hatte.

Diane. Die Frau hatte ein erschreckend gutes Timing.

James hob den Daumen, um den Anruf anzunehmen, als er Schritte hörte. Das Geräusch der Schuhsohlen hallte zwischen den hohen Bürogebäuden wieder. James ignorierte das Handysummen und sah sich um.

Ein Mann trat aus der schmalen Gasse zwischen den Häusern und schritt auf den Platz hinaus. Er war schlank, trug ein Sakko mit hochgerollten Ärmeln, und seine Hände waren in den Taschen seiner Jeans vergraben. Den meisten Beobachtern wäre nichts Außergewöhnliches an ihm aufgefallen. Doch mit jedem Schritt, mit dem der andere näher kam, krampfte sich James’ Magen fester zusammen. Ein Brennen und Stechen kroch über seine Handrücken.

Zwei Dinge wurden ihm schlagartig bewusst. Er hatte nichts bei sich, womit er sich verteidigen konnte. Und das, was er mit sich trug, durfte dieser Mann auf keinen Fall in die Finger bekommen.

Nur wenige Meter vor ihm blieb der Fremde stehen. Er machte eine rasche Bewegung mit der Hand, und das Handy in James’ Hand schmorte mit einem Knall durch. James fluchte und ließ das heiße Telefon fallen.

Als er wieder aufsah, betrachtete der andere Mann ihn mit hochgezogener Augenbraue. »Schau an. Zwei zum Preis von einem.«

Er trug keine sichtbare Waffe. Die Art, wie James’ Haut sich spannte und heißer wurde, verriet ihm jedoch, dass sich sein Gegenüber nicht mit Pistolen oder Messern abgeben musste.

Auf wackligen Beinen stand James auf und schob dabei das Glasröhrchen mit dem schimmernden Nebel in seine Jackentasche. Oder zumindest versuchte er es.

»Mh-mm«, machte der Mann. »Das gibst du mir.«

James würde nichts dergleichen tun, aber jetzt zu widersprechen würde die Situation nur schneller eskalieren lassen. Also zog er das Röhrchen wieder aus der Tasche und hoffte inständig, dass der andere das Sonnensiegel nicht gesehen hatte.

Der Mann streckte auffordernd die Hand aus, doch James rührte sich nicht vom Fleck.

Sein Gegner seufzte. »James, richtig?«

Ihm wurde eiskalt. Ein schlechtes Zeichen. Dieser Mann sollte seinen Namen nicht kennen.

»Mach das hier nicht komplizierter, als es sein muss. Gib mir das Röhrchen.«

Die junge Frau mit dem blaugrauen Pony regte sich und stöhnte leise, aber James ließ den Mann nicht aus den Augen.

»Warum?«, fragte er.

Der Mann schnaubte nur und trat einen Schritt näher. Wenn James nicht verdammt schnell eine gute Idee kam, dann wars das. Also beschloss er, zu pokern. Er hielt das Glasröhrchen in die Höhe, als ob er es zu Boden schmettern wollte. Bingo. Der Mann blieb stehen.

»Wenn ich es dir gebe, lässt du mich laufen?«, fragte James. Er glaubte keine Sekunde, dass sich der andere auf einen Deal einlassen würde, aber er spielte auf Zeit.

Dumm nur, dass sein Gegner nicht mitspielen wollte. »Du gibst mir den Behälter, und ich gebe dir einen Vorsprung. Miss«, unterbrach er, ohne den Blickkontakt mit James zu unterbrechen. »Bleiben Sie genau dort, wo sie sind.«

»Was zur Hölle …?«, krächzte die junge Frau.

»Du gibst mir einen Vorsprung«, wiederholte James. »Was ist mit ihr?« Sein Gehirn lief auf Hochtouren. Der Mann vor ihm war ein Tagbote. Die Energie, die er ausstrahlte, ließ daran keinen Zweifel. Was James jedoch wirklich beunruhigte, war der Ordensring mit dem Sonnensymbol an seinem kleinen Finger. James wusste nur zu gut, was der Orden des Ersten Tages mit Leuten wie ihm anstellte. Aber weshalb sollten sie Interesse an einem gewöhnlichen Mädchen haben?

Anstelle einer Antwort spreizte der Mann seine Finger, und James spürte, wie er seine Tagenergie dichter um sich ballte. Das Mädchen würde nichts bemerken. Sie würde nicht sehen, was er tat, bis es zu spät war.

James senkte die Faust mit dem Glasröhrchen. Was sollte er tun? Was konnte er tun? Seine Dunkelheit konnte ihn in erster Linie vor den Blicken anderer verbergen. Eine Waffe war sie nicht. Zudem hatte der Gebrauch des Sonnensiegels an seinen Kräften gezehrt, und ihm blieben kaum noch Reserven.

Sei vernünftig, sagte er sich. Alleine hast du vielleicht eine Chance, aber wenn du jetzt den edlen Ritter spielst …

»Die Zeit ist um«, sagte der Mann.

»Scheiße, was soll das?«, fragte die junge Frau mit bebender Stimme und stand auf.

Von da an überschlugen sich die Ereignisse. Eine grellweiße Aura begann, um die Finger des Ordensagenten zu flackern. »Wenn ich sage lauf, dann lauf«, zischte James dem Mädchen zu. Dann schleuderte er das Glasröhrchen hoch in die Luft. Sein Gegner zuckte überrascht zusammen und sah nach oben, was James seine einzige Chance verschaffte. Er bündelte das bisschen Kraft, das er noch hatte, presste seine Hände gegen die Brust und ließ die Dunkelheit aus seinem Innern explodieren. Das Mädchen schrie auf, aber James fing das Glas mit dem schimmernden Nebel auf und packte sie am Ärmel.

»Lauf!«, rief er und zerrte sie mit sich durch das Dunkel.

4Nyx

Nyx saß auf der Dachterrasse über ihrer Wohnung und wartete darauf, dass die Farbe an der Wand des Nebengebäudes trocknete. Kobalt, Indigo, Obsidian. Blaue Wirbel auf schwarzem Hintergrund.

Ohne hinzusehen, griff sie nach dem Thermosbecher mit Tee, der neben ihr stand, und öffnete den Deckel mit einem leisen »Plopp«. Sie nahm einen Schluck, dann sank sie zurück auf die Matratze, die auf ein paar Holzpaletten lag und sonst als Sofa herhielt.

Über ihr spannte sich ein schwarzgrauer Himmel, an dem sich trotz des Dauerschimmers, den die Stadt ausstrahlte, ein paar Sterne zeigten. Sie hatte Glück. Wäre die Temperatur heute Nacht nicht so mild, wäre es hier draußen ziemlich unangenehm.

Nyx schloss die Augen. Die Ruhe aus der Sphäre der Wahren Nacht hatte sie begleitet, bis sie in ihre Wohnung zurückgekehrt war. Sie hatte schon gehofft, dass sie den Frosch früh genug freigelassen hatte. Doch kaum eine halbe Stunde später spürte sie die Resonanz des Albtraums in ihrem Kopf und ihrem Körper.

Es begann mit Schüben aus Traurigkeit und Verunsicherung, die wie aus dem Nichts über sie hereinbrachen. Dann begannen ihre Finger zu zucken, und sie konnte nicht mehr stillsitzen. Wenn sie die Augen schloss, sah sie einen Vortex aus dunklen Blautönen mit sternhellen Einschüssen, der ihre Wahrnehmung mit jeder Minute stärker beherrschte.

So ging es ihr oft, wenn sie mit einem Traum in Berührung gekommen war. Auch wenn sie die Träume in ihrer Tiergestalt rasch losließ, hinterließen sie einen Nachklang in ihrem Bewusstsein. Fremde Gefühle mischten sich in ihre Gedanken, und ihr Körper reagierte auf Impulse aus Angst, Sehnsucht, Freude oder Trauer, die sie nicht zuordnen konnte. Manchmal verblassten diese Nachklänge sofort wieder. Häufig wurden die Traumeindrücke jedoch dermaßen aufdringlich, dass Nyx am liebsten aus ihrer eigenen Haut gekrochen wäre.

Das war nicht immer so gewesen. Früher waren die Träume anderer Menschen durch sie hindurchgeglitten wie Wolken über den Himmel. Doch je älter sie wurde, umso hartnäckiger verankerten sich die Stimmungen der Träumenden in ihrem Kopf.

Das war mit ein Grund, warum sie ihre Fähigkeit, Träume wahrzunehmen, unterdrückte. Mitunter fiel es ihr schon schwer genug, mit ihren eigenen Gedanken klarzukommen. Das Gewicht fremder Gefühle wurde auf Dauer zu schwer, als dass sie es hätte alleine tragen können.

Das Ganze hatte seinen Zenit erreicht, als sie mit James in die Stadt gezogen war. Vielleicht lag es an der Masse an Menschen, die hier lebten. Vielleicht daran, dass Nyx vom Sprung in dieses neue Leben überwältigt gewesen war. Doch egal, welche Auslöser es gegeben hatte, nach ein paar Wochen konnte sie den Ansturm weder abwehren noch aushalten. Zum ersten Mal hatte es sich so angefühlt, als würden sich die Träume anderer in einen Mahlstrom in ihrem Kopf verwandeln.

Da hatte sie zum ersten Mal einen Bleistift genommen und die Gefühlsformen und Schattierungen in ihrem Kopf auf Papier gebannt. Auf viel Papier. Bis sie das Gefühl hatte, dem, was in ihr toste, eine einigermaßen passende Form verliehen zu haben. Gelang ihr das, verschwanden die Traumreste wie Kaffeesatz im Spülbecken.

Das Zeichnen wurde ihr Ventil, doch Bleistifte funktionierten als Werkzeug nur mäßig. Sie brauchte Farbe. Sie brauchte Leinwände, die größer waren als ein schlichter Skizzenblock.

Sie hatte mit Keilrahmen begonnen, aber auch die gaben ihr als Grundlage nicht genügend Freiraum. Eines Abends hatte sie auf der Dachterrasse gesessen und das Nachbarhaus betrachtet. Das Gebäude nebenan war ein Stockwerk höher, und beim Anblick seiner blanken Backsteinmauer war in Nyx der Wunsch nach einem Pinsel erwacht.

Ein paar Tage später hatte sie mit Freya und den Nachbarinnen auf dem Dach zu Abend gegessen. Sie waren bereits alle satt, als Nyx fragte, ob sie die Wand bemalen durfte.

Freyas Antwort war typisch für sie ausgefallen.

Schätzchen, sieh dich um. Du bist im perfekten Stadtteil dafür. Tob dich aus. Also hatte Nyx ihr eigenes Wandgemälde inmitten der Graffiti- und Collagenkunst gemalt, die die Häuser der Hanbury Lane schmückten.

Seitdem war das ursprüngliche Gemälde ein dutzend Mal weiß überstrichen und neu von ihr gemalt worden. Es ging ihr nicht darum, etwas Permanentes zu schaffen. Sie wollte die Traumnachklänge an einen Raum außerhalb ihres Kopfes entlassen, das war alles.

Nyx runzelte die Stirn, als sie sich an den winzigen Frosch erinnerte. Zwei Monate lang hatte sich kein Traum in ihrer Nähe manifestiert. Sie war sich immer noch nicht zu hundert Prozent sicher, warum Albträume in ihrem Orbit als Frösche auftauchten, selbst wenn sie sie nicht dazu animierte. Der Verdacht lag jedoch nahe, dass es immer dann passierte, wenn ihr die alltägliche Welt zu viel und ihre Sehnsucht nach der Nacht zu stark wurde.

Diese Sehnsucht begleitete sie schon, solange sie denken konnte. Genauso wie der siebte Sinn, dem sie ihre besonderen Talente verdankte. Jener Nachtsinn, wie Nyx ihn nannte, erlaubte es ihr, Träume zu spüren, und brachte sie gleichzeitig dazu, unsichtbare Gespinste in greifbare Gestalten zu verwandeln.

Im Haus ihrer Adoptivmutter lernte Nyx, ihre angeborenen Fähigkeiten zu kontrollieren. Solange sie sich im Griff hatte, manifestierten sich die Träume anderer nur, wenn sie es bewusst darauf anlegte. Wenn sie ihren Nachtsinn ausstreckte wie die dünnen, durchsichtigen Tentakel einer Qualle.

Geh vorsichtig mit deinen Fähigkeiten um, hatte Diane sie gemahnt. Je häufiger du sie einsetzt, umso größer wird die Gefahr, dass dich jemand erwischt. Ganz abgesehen davon, dass du mit dem Einsatz deines Talents Kräften die Tür öffnest, die du womöglich nicht beherrschen kannst.

Überschätz dich nicht. Die Warnung lag wie ein bitterer Orangenkern unter Nyx’ Zunge. Trotzdem bemühte sie sich, verantwortungsvoll zu bleiben. Sie verbot sich, Träume anzulocken, und hielt die Tür zur Nacht so lange verschlossen, wie sie es aushielt. So lange, bis die Sehnsucht in ihrem Blut zu laut summte. Dann wirkte ihr Nachtsinn ohne ihr Zutun, und plötzlich sangen Träume in ihrer Nähe wie Sirenen und baten darum, nach Hause gebracht zu werden.

Zwei Monate. Nyx hatte wirklich geglaubt, dass sie ihre Zwänge mittlerweile besser unter Kontrolle hatte. Ihre Routinen halfen: die Arbeit im Buchladen, ihre Freundschaft mit Freya, der Austausch mit dem Buchclub und ihre Streifzüge durch die Stadt. Es lief alles gut, oder nicht? Es gab keinen Grund, weshalb sich ihr Nachtsinn verselbständigen sollte.

Sicher, manchmal wurde sie melancholisch. Dann hatte sie das Gefühl, dass es in ihrem Leben zu viele Leerstellen gab. Sie vermisste ihre Brüder, vermisste ihre mitternächtlichen Picknicks und Filmabende. Sie dachte darüber nach, die Reise nach Kyoto anzugehen, die sie ursprünglich mit James und Leon geplant hatte, fühlte sich jedoch schon bei der Vorstellung, Flugverbindungen auszusuchen, unsagbar müde. Sie zog die Postkarte hervor, die ihr Vater ihrer Mutter geschrieben hatte. Obwohl sie die Botschaft auf der Rückseite auswendig kannte, las sie die englischen Beschreibungen seiner griechischen Heimatinsel und die japanischen Koseworte, die Nyx’ Mutter ihm beigebracht hatte. Sie hatten sich in Oxford kennengelernt, zwei Jahre zusammengelebt und ein Kind bekommen, bevor sie mit einem Abstand von nur einem Jahr starben. Nyx hatte kein Foto von ihnen, und wenn sie die Postkarte in der Hand hielt, erschien ihr das als unerträglicher Verlust.

Aber Stimmungstiefs gehörten zum Alltag. Und Nyx hatte nicht das Gefühl, dass sie in der letzten Zeit besonders aufgewühlt oder unzufrieden gewesen war.

Also warum heute? Wenn es einen Auslöser gegeben hatte, konnte sie ihn nicht erkennen. Was eine beunruhigende Entwicklung war.

Sie atmete tief aus. Die erste Lage aus Farben an der Wand hatte den Wirbel des Traumechos beruhigt, doch ihr Kopf summte immer noch vor Unruhe und einem vagen Gefühl der Bedrohung, das nicht ihr eigenes war. Zumindest glaubte sie das nicht. Sie strich mit der Hand über die Matratze, atmete tief ein und versuchte, sich zu erden.

Blau, raunten ihre Gedanken. Blau und Silberweiß. Etwas kommt. Es ist fast da.

Nyx blinzelte, setzte sich auf und griff nach einer der Spraydosen, die sie neben der Matratze aufgereiht hatte. Sie stand auf und ging zu ihrem Gemälde. Mit jedem Schritt verblasste die Welt um sie herum, bis sie nur noch die Wirbel aus Blautönen sah und das Rauschen des Vortex in ihrem Innern spürte.

Sie berührte die Wand mit den Fingerspitzen. Die Farbe war noch leicht feucht. Besser wäre es, noch eine Stunde zu warten. Das Rauschen wurde jedoch mit jeder Sekunde lauter und eindringlicher.

Etwas kommt. Etwas beginnt. Es hat begonnen.

Nyx schüttelte die Sprühdose und sprühte die Form auf die Wand, die durch ihre Fingerspitzen entkommen wollte. Weiße, schimmernde Punkte, angeordnet in sanften Kurven und Linien. Sie nahm nicht wirklich wahr, was sie malte. Ihr Blick wurde unscharf, hing an dem unruhigen Hintergrund und den Schatten, die sich darin wanden. Wie Tinte. Oder Abgründe, die sich öffneten.

Nyx sprühte den letzten Strich und ließ die Sprühdose fallen. Die Unruhe, die von ihr Besitz ergriffen hatte, flaute ab, löste sich auf und verschwand. Zurück blieb Stille. Sie schloss erneut die Augen, fuhr mit beiden Händen über ihren Kopf und verschränkte die Finger im Nacken. Ein kühler Wind kräuselte sich über das Dach, und die Lichterketten, die zwischen den Holzpfeilern der Pergola hingen, klapperten leise.

Die Welt stabilisierte sich, und Nyx war wieder allein in ihrem eigenen Kopf. Sie seufzte, dann trat sie einen Schritt zurück und sah sich an, was sie auf die Wand gesprüht hatte.

Was …

Mit einem Stirnrunzeln entfernte sie sich zwei weitere Schritte, um die Form vor sich besser sehen zu können. War das ein Mensch? Die Sprühfarbe verlief auf dem feuchten Untergrund, aber ja: Ein Dutzend weißer Punkte formte den Umriss einer menschlichen Gestalt. Kopf, Schultern, Arme, Torso, der Rest eines schlanken Körpers und zwei Beine.

Irritiert starrte Nyx auf das Graffito. Etwas an diesem Bild fühlte sich seltsam an. Der Kontrast zwischen dem dunklen Hintergrund und den hellen Flecken wirkte beinahe hypnotisch. Je länger Nyx hinsah, umso heller strahlte das Weiß, bis die Silhouette geradezu leuchtete.

Sieht aus wie fallende Sterne. Der Gedanke jagte eine Gänsehaut über Nyx’ Arme. Plötzlich hatte sie das unheimliche Gefühl, als ob sie die Gestalt vor ihr schon einmal gesehen hatte. Als ob sie sie wiederkennen müsste.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, die Gänsehaut kroch hoch zu ihren Schultern, dann kräuselte sich die Farbe an der Wand, und die Gestalt kam auf Nyx zu. Schritt um Schritt kam sie näher, und es sah aus, als würde sich die Nacht hinter ihr ausbreiten, weiter und tiefer und –

Erschrocken sog Nyx die Luft ein. Der Sternenumriss streckte die Hand nach ihr aus. Sie stolperte zurück, prallte gegen die Holzpalette und stürzte rücklings auf die Matratze.

Mit rasendem Herzen rappelte sie sich wieder hoch. Sie starrte auf die Wand vor sich, aber das Grafitto war nun nichts weiter als ein Gemälde.

5James

Die Dunkelheit verflog, als James und das Mädchen das Ende einer Häuserflucht erreichten und auf die High Holborn Street hinausliefen. Das orangefarbene Licht mehrerer Laternen erhellte den Asphalt. Autos rollten über die Straße, und Passanten strömten um James herum wie Wasser um einen lästigen Felsen.

»Was zum …«, setzte das Mädchen an, aber James schüttelte nur knapp den Kopf. Ihm war immer noch schwindelig, und das beunruhigte ihn. Ipek hatte ihn zwar gewarnt, dass die Benutzung des Siegels einen Tribut fordern würde, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass es ihn derart auslaugen würde. Keine gute Voraussetzung für das, was Diane und er mit dem Siegel vorhatten.

Er schloss die Augen und versuchte, nach ihrem Verfolger zu tasten. Doch sein siebter Sinn blieb merkwürdig stumpf, und alles, was er wahrnahm, waren die Gerüche und Geräusche um ihn herum. Kein warnendes Stechen auf seiner Haut. Kein Prickeln im Nacken. Hieß das, sie hatten den Tagboten abgeschüttelt? Oder war James nur zu ausgebrannt, um ihn zu spüren?

Er öffnete die Augen und spähte angespannt zwischen die Häuser. Die Gasse, aus der sie gekommen waren, blieb leer. Es schien, als wären sie mit dem Schrecken davongekommen. Vorerst.

James erlaubte sich, tief durchzuatmen. Die junge Frau stand immer noch neben ihm und starrte ihn an, als wäre er eben aus einem Raumschiff gestiegen.

»Bist du in Ordnung?«, fragte er und streckte, ohne nachzudenken, die Hand nach ihr aus.

Sie stieß sie beiseite. »Fass mich nicht an«, zischte sie. Sie zitterte immer noch, aber ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Was war das eben? Was zur Hölle war das? Wer bist du?«

James hob beschwichtigend die Hände. »Das lässt sich nicht so leicht erklären.«

Sie starrte ihn an. »Willst du mich verarschen? Du hast mich aus der Luft gezerrt, durch eine lokale Dunkelheit geschleift, und deine einzige Antwort ist: Es ist kompliziert?«

James stieß ein überraschtes Lachen aus. »Ja. Ich weiß, wie das klingt.« Er seufzte und sah auf die Handfläche, an der die Schmauchspuren seines zerstörten Handys klebten. Seine Haut brannte, als hätte er damit über einen Stahlschwamm gerieben.

»Okay«, murmelte er, dann wiederholte er es mit festerer Stimme und sah das Mädchen an. »Okay, fangen wir von vorne an. Ich heiße James.«

Sie zögerte, dann sagte sie: »Erin.«

»Erin.« James rieb sich die rußverschmierte Hand an der Jacke ab. »Wenn ich dir ein Taxi rufe, schaffst du es dann allein nach Hause?«

Sie stieß ein Schnauben aus. »Dein Ernst? Ich gehe nirgendwohin, bevor du mir erklärst, was da eben passiert ist.«

»Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, du bist besser dran, wenn ich dir das nicht beantworte?«

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob eine Braue.

James seufzte. »Habe ich mir gedacht.« Es sollte ihn nicht überraschen, dass sie hartnäckig blieb. An ihrer Stelle würde er auch nicht nachgeben. Dennoch wäre es schön gewesen, wenn sie einfach zurück in ihr gewohntes Leben verschwinden würde. Dann hätte sie irgendwann wieder ruhig schlafen können, und er hätte ein Problem weniger in seinem ohnehin schon schweren Gepäck.

»Also gut«, sagte er, »aber hier können wir trotzdem nicht bleiben.« Er spähte die Straße hinunter auf der Suche nach einem Taxi.

Erin beobachtete ihn misstrauisch. »Das soll heißen?«

Das soll heißen, zu dir oder zu mir, dachte James und verbiss sich ein Lachen. Wenn er unter Stress stand, riss er schlechte Witze. Er war sich ziemlich sicher, dass Erin diesen Bewältigungsmechanismus nicht begrüßen würde.

»Das soll heißen, dass wir einen Ort brauchen, an dem uns der Tag … der Typ nicht findet.« Kurz dachte er an sein Zimmer in der Neal Street, doch diese Option verwarf er sofort. Wenn der Orden des Ersten Tages wusste, wer er war, dann kannten sie womöglich auch seine aktuelle Adresse. Es würde James nicht wundern, wenn sie ihm bereits seit seiner Ankunft in Heathrow an den Hacken klebten.

Wenn dem so war, würde er sich von Diane so einiges anhören müssen.

»Ich kann dich nach Hause bringen, wenn du möchtest«, schlug er Erin vor.

Sie schien darüber nachzudenken, doch dann sog sie scharf die Luft ein, und irgendeine Erkenntnis ließ ihr Gesicht noch blasser werden.

»Keine gute Idee«, antwortete sie.

Er runzelte die Stirn. »Wieso?«

Erin sah zurück zu der Seitenstraße, aus der sie geflohen waren. »Ich habe meine Tasche fallen gelassen, als … bevor du aufgetaucht bist. Wenn der Typ sie mitgenommen hat, hat er meine Adresse. Shit.« Sie schloss die Augen. »Da ist alles drin. Mein Handy, mein Geldbeutel. Mein Laptop!« Wenn sie die Finger noch fester in ihre eigenen Unterarme grub, würde sie sich blaue Flecken verpassen.

James konnte ihre Verunsicherung sehr gut nachempfinden. Und er war sich ziemlich sicher, dass sie der Schock erst wirklich treffen würde, sobald das Adrenalin in ihrem Körper abflachte.

Er konnte sie wirklich nicht alleine lassen, oder? Besonders dann nicht, wenn der Ordensagent wusste, wo sie wohnte. James schwankte, schloss erneut die Augen und presste sich den Daumen zwischen die Brauen. Hatte der Agent es wirklich auch auf Erin abgesehen?

Die Fragen in seinem Kopf kreisten wie ein knirschendes Mahlwerk. Er brauchte Ruhe. Einen Moment, um all das zu sortieren, was in der letzten knappen halben Stunde passiert war.

Du hast einen Menschen vor dem Chaoszerfall gerettet. Es hat tatsächlich funktioniert.

Er spürte, wie seine eigenen Knie nachgeben wollten. So viel zu verzögerter Schockreaktion.

Als er die Augen öffnete, starrte Erin mit verkniffenem Mund ins Leere. Wieder spürte er eine Woge des Mitgefühls. Was auch immer er gerade durchmachte, für sie musste das alles viel erschreckender sein.

»Hey«, sagte er. »Ich weiß, es kommt dir gerade nicht so vor, aber du hast das Schlimmste überstanden. Und den Rest bringen wir auch in Ordnung. Aber zuerst müssen wir irgendwohin, wo wir sicher sind.«

Sie schlang die Arme noch enger um sich, aber ihre Stimme blieb fest. »Wo soll das sein?«

James spähte die Straße hinunter. Wenn er an einen sicheren Ort in London dachte, gab es genau eine Adresse, die ihm einfiel.

Wundervoll. Als ob diese Nacht nicht schon abgefuckt genug wäre.

»Whitechapel«, sagte er und hob den Arm, um ein Taxi anzuhalten.

6James

Das Taxi brachte James und Erin zur East-London-Moschee. Nur wenige Gassen weiter befand sich eine alte Jeans-Fabrik, die zu einem Wohnungskomplex umgebaut worden war. Alles sehr hipsterschick, mit Wänden aus rotem Backstein und blauen Fensterrahmen. Dass die Wohnungen winzig und überteuert waren, stand außer Frage.

James klingelte, während Erin nervös an ihrer Unterlippe kaute. Es dauerte ein paar Minuten, dann knackte die Gegensprechanlage, und eine vertraute Stimme fragte: »Ja?«

James schloss kurz die Augen. »Sami, ich bin es.«

Stille. James überlegte schon, wo sie einen anderen Unterschlupf finden konnten, dann summte der Türöffner.

Augen zu und durch, dachte er, drückte die Tür auf und ging die Treppe hinauf in den ersten Stock.

Sami lehnte in der offenen Tür seiner Wohnung, die Arme vor der Brust verschränkt. Scheinbar hatten sie ihn aus dem Bett oder von der Couch heruntergeklingelt. Er trug bereits Pyjamahosen, ein abgetragenes T-Shirt, und die Haare fielen ihm lose bis auf die Schultern.

Als James am oberen Ende der Treppe ankam, musterte Sami ihn von Kopf bis Fuß.

»Das ist ein Witz, oder?«, fragte er.

Schön wär’s, dachte James. Laut sagte er. »Wir brauchen deine Hilfe.«

Sami presste die Lippen aufeinander, dann glitt sein Blick zu Erin. James konnte förmlich spüren, wie Sami mit sich rang, dann seufzte er und trat beiseite, um ihnen den Weg in die Wohnung frei zu machen.

Kurz darauf standen James und Sami in der kleinen Küchenzeile neben dem Wohnbereich. Erin hatte sich für ein paar Minuten ins Bad zurückgezogen.

Die Küchenecke lag nahezu im Dunkeln. Sami hatte nur die kleinen, honiggelben Leuchten unter den Hängeschränken angeschaltet, und James war dankbar dafür. Während Sami Tee aufsetzte, schickte er über dessen Handy rasch eine E-Mail an Diane. Bin okay. Handy kaputt. Melde mich morgen.

Nicht gerade informativ, aber momentan fehlte ihm die Kraft, um die Ereignisse des heutigen Abends zu schildern. Seine Knie fühlten sich immer noch weich an, und seine Hände zitterten. Dennoch hatte er das Gefühl, wieder freier durchatmen zu können.

Er legte das Handy auf die Arbeitsfläche und sah zu, wie Sami drei Tassen aus einem Regal holte. Ein Jahr war es her, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Weder die Wohnung noch Sami hatten sich groß verändert. Er trug seinen Bart immer noch kurz und die Haare lang. Am Handgelenk entdeckte James das Lederarmband mit der Nazar-Perle, das seine kleine Schwester ihm geschickt hatte.

»Mirabell nicht da?«, erkundigte sich James nach Samis Mitbewohnerin.

»Besucht ihre Familie«, antwortete Sami knapp. Die Haare hatte er sich inzwischen zu einem Knoten hochgebunden. »Seit wann bist du zurück?«

»Seit –«, James sah auf seine Uhr, »fünf Stunden.«

»Und direkt in Schwierigkeiten geraten«, murmelte Sami. »Ein neuer Rekord?«

»So, wie mein Leben abläuft?«, brummte James. »Nicht wirklich.« Sami lachte schnaubend, und die Anspannung, die James bereits auf der Taxifahrt hierher gespürt hatte, löste sich. Er hatte viele Brücken abgebrannt, als er London verlassen hatte, aber ein paar Freunde hielten noch eine Tür für ihn offen. Bisher war er nicht sicher gewesen, ob Sami auch zu ihnen zählte.

Der warf Teebeutel in die Tassen. »Das Mädchen«, fragte er. »Ist sie eine von euch?«

James schüttelte den Kopf. »Ahnungslose Zivilistin.«

»Das heißt, sie hatte heute ziemlich Pech?«

»Du machst dir keine Vorstellung.«

Sami warf einen Blick auf die geschlossene Badezimmertür. »Wie viel wirst du ihr erzählen?«