NO LOVE SONG - Sina Müller - E-Book

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Sina Müller

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Beschreibung

Wenn du mit einem Fest Liebe und Trauer verknüpfst, wie müsste dann dein perfektes Weihnachten aussehen? Nik, Gitarrist der angesagten Band Amblish, konnte Familienfeiern noch nie viel abgewinnen. Deshalb kommt es ihm gerade recht, dass sich die Band über die Weihnachtsfeiertage in das winterlich verschneite Bandhaus im Schwarzwald zurückzieht. Es ist der ideale Ort, um dem Trubel der Öffentlichkeit zu entfliehen und seinem Lieblingssport Parkour nachzugehen. Dass er dabei ausgerechnet der weihnachtsbegeisterten Studentin Yara vor die Füße fällt, die mit ihrer lebensfrohen und manchmal etwas verrückten Art seine Pläne gehörig durcheinanderwirbelt, war nicht beabsichtigt. Erleben die beiden zwischen Zauberkeksen und Chili-Schokolade ihr ganz persönliches Weihnachtswunder? Ein Wintermärchen, das süßer ist als Zuckerwatte und auch die letzte Schneeflocke in deinem Herzen zum Schmelzen bringt.

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Über das Buch

Wenn du mit einem Fest Liebe und Trauer verknüpfst, wie müsste dann dein perfektes Weihnachten aussehen?

Nik, Gitarrist der angesagten Band Amblish, konnte Familienfeiern noch nie viel abgewinnen. Deshalb kommt es ihm gerade recht, dass sich die Band über die Weihnachtsfeiertage in das winterlich verschneite Bandhaus im Schwarzwald zurückzieht. Es ist der ideale Ort, um dem Trubel der Öffentlichkeit zu entfliehen und seinem Lieblingssport Parkour nachzugehen. Dass er dabei ausgerechnet der weihnachtsbegeisterten Studentin Yara vor die Füße fällt, die mit ihrer lebensfrohen und manchmal etwas verrückten Art seine Pläne gehörig durcheinanderwirbelt, war nicht beabsichtigt. Erleben die beiden zwischen Zauberkeksen und Chili-Schokolade ihr ganz persönliches Weihnachtswunder?

Ein Wintermärchen, das süßer ist als Zuckerwatte und auch die letzte Schneeflocke in deinem Herzen zum Schmelzen bringt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

von

Sina Müller

 

 

 

Impressum

 

Titelgestaltung: Designstudio Ralph Ihmsen

Foto: © Vasyl auf Adobe Stock

 

© 2021 Sina Müller

 

Kontakt: www.sina-mueller.eu

 

Sina Müller

Bauhöferstraße 47

D-79115 Freiburg

www.sina-mueller.eu

[email protected]

www.facebook.com/sinamuellerautorin

www.instagram.com/sinamuellerautorin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG («Text und Data Mining») zu gewinnen, ist untersagt.

Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Impressum

- Kapitel 1 -

- Kapitel 2 -

- Kapitel 3 -

- Kapitel 4 -

- Kapitel 5-

- Kapitel 6 -

- Kapitel 7 -

- Kapitel 8 -

- Kapitel 9 -

- Kapitel 10 -

- Kapitel 11 -

- Kapitel 12 -

- Kapitel 13 -

- Kapitel 14 -

- Kapitel 15 -

- Kapitel 16 -

- Kapitel 17 -

- Kapitel 18 -

- Kapitel 19 -

- Kapitel 20 -

- Kapitel 21 -

- Kapitel 22 -

- Kapitel 23 -

- Kapitel 24 -

- Kapitel 25 -

- Kapitel 26 -

- Kapitel 27 -

Danke

Amblish

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Leseprobe aus NO LOVE SONG – IN DEINEN ARMEN

 

 

 

 

 

 

Für Liu, der Weihnachten

mindestens so sehr liebt,

wie es Yara tut.

 

- Kapitel 1 -

Nik

 

 

Gierig sauge ich die eiskalte Luft in meine Lungen. Es ist viel zu lange her, dass ich mich auspowern konnte, dass ich Vollgas geben und die Welt um mich herum vergessen konnte. Lautlos erobere ich die Stadt, renne, springe über Mauern und Bäche, über Mülleimer und Parkbänke. Die Grenzen zwischen oben und unten verschwimmen, verlieren ihre Bedeutung. Bäume, Geländer und Absperrungen – nichts hält mich auf, nichts bremst den schier unbändigen Drang, mich zu bewegen. Die Straße wird zu meinem ganz persönlichen Spielplatz, dem Ort, an dem ich endlich den Kopf wieder freibekomme.

Nach den langen Monaten auf Tour und den darauffolgenden Promoterminen für unseren ersten Weihnachtssong, bin ich über ein paar Tage Auszeit im Schwarzwald froh. Als die anderen beschlossen haben, Weihnachten hier zu verbringen, musste ich nicht lange überlegen, und bin einfach mitgekommen. Da Becks noch immer in Japan ist, hätte mich in München nichts und niemand erwartet und im Bandhaus gibt es immer einen Platz für mich. Ich hänge ohnehin die meiste Zeit des Jahres mit meinen Bandkollegen zusammen, da kommt es auf ein paar Tage mehr auch nicht an.

Josh, Marc, Tom und Lucky sind mehr als normale Kollegen, mit denen man sich die Bühne und den Tourbus teilt. Sie sind meine Freunde. Und inzwischen zähle ich sie sogar zu meiner Familie. Meiner einzigen Familie, denn außer meinem Vater, mit dem ich kaum mehr Kontakt habe, ist niemand übrig.

Nach der anstrengenden Zeit in der Öffentlichkeit genieße ich die Abgeschiedenheit des Bandhauses. Mitten im Schwarzwald können wir ganz normale Menschen sein – etwas, das uns an vielen anderen Orten nicht mehr gelingt. Seit der US-Tour ist es schlimmer geworden, der Rummel um Josh und damit auch um alle in seinem Dunstkreis reißt nicht ab. Selbst Tom konnte seinen kurzen Urlaub am Meer kaum genießen, weil er und Malou ständig belagert wurden.

Aber hier, hier kann ich tun und lassen, was ich will. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Meistens bin ich im Wald und auf den nahegelegenen Bergen unterwegs. Ich mag die Natur, die Ursprünglichkeit fernab des Wahnsinns, der inzwischen zu unserem Alltag geworden ist. Ich genieße die Stille, sauge sie auf und spüre, wie ich Kraft tanke. Nur manchmal zieht es mich in die Stadt. Wie heute.

Ich halte inne, atme tief durch. Gönne mir einen kurzen Augenblick und lasse meinen Blick über die Freiburger Altstadt schweifen. Ich mag diesen Ort, der Neu und Alt perfekt vereint. Der zu dieser Stunde so friedlich und verschlafen wirkt, dass man meinen könnte, er bekäme von der Schnelllebigkeit der Welt nichts mit.

Die Häuser sind bereits für die nahenden Feiertage festlich geschmückt. Die engen Gassen mit unzähligen Lichterketten und Sternen erleuchtet. Weihnachten – kein Fest, das mir besonders am Herzen liegt. Wieso auch? Es ist das Fest der Liebe, das Fest der Familien. Nichts, wofür mein Herz schlägt.

Ein Schauder jagt durch meinen Körper. Unwillkürlich ziehe ich die Schultern hoch und hauche mir in die kalten Hände. Der Höllentäler genannte Wind aus den Bergen jagt seine eisige Luft in die Ebene. Es ist kalt geworden im Süden Deutschlands und mit etwas Glück wird es in diesem Jahr tatsächlich weiße Weihnachten geben. Die Straßen sind glatt und auf den Ästen und Zweigen der Bäume liegt noch ein vergessener Hauch Raureif.

Ich ziehe mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und mache mich auf den Rückweg. Meine Route führt mich durch eins der ältesten Viertel der Universitätsstadt. Ich liebe die herrschaftlichen Altbauten – und noch mehr die verwilderten Hinterhöfe, die jede Menge Mauern, Kanten und andere Hindernisse bieten, um meinen Run durch die Stadt interessant und abwechslungsreich zu gestalten.

Mein Herz hämmert gegen die Brust, die Lungen brennen bei jedem Atemzug. Ich grinse breit, denn es tut gut, nach den letzten Monaten, die ich fast ausschließlich in Konzertlocations trainiert habe, endlich wieder an der frischen Luft dem Sport nachzugehen, der mich kickt wie kein anderer: Parkour.

Schneller, immer schneller werden meine Schritte, immer weiter meine Sprünge. Ich suche neue Wege, vergesse die Schwerkraft, klettere an Mauern hoch, drücke mich an Häuserwänden ab. Ein bisschen fühle ich mich wie Spiderman, der sich schwerelos durch die Häuserschluchten New Yorks bewegt.

Ich wage mich an einem Sideflip und lande geschmeidig auf einem schmalen Absatz, von dem aus ich eine Mauer hochspringe. Ich grinse breit, weil ich trotz der mangelnden Übung noch immer gut in Form zu sein scheine. Meine Bewegungen werden noch gewagter, das Tempo höher. Wieder setze ich zu einem Sprung an und nehme, noch bevor ich lande, wahr, dass ich mich verschätzt habe. Auf dem Mauervorsprung, der im Dunkeln liegt, befindet sich eine dicke Eisplatte. Weit und breit ist nichts, an dem ich mich abstützen und den Fall verhindern könnte.

»Whhaaa«, mache ich und schon liege ich im Schnee. Ein fieser Schmerz zieht sich von meinem linken Knöchel hoch und für einen kurzen Moment ringe ich nach Atem. Verdammt! Unwillkürlich greife ich an mein Bein, als könnte ich dadurch den Schmerz lindern. In diesem Moment geht das Außenlicht an. Auch das noch. Aber vielleicht habe ich Glück und das Licht wurde nur durch einen Bewegungsmelder angeknipst.

»Huch. Mit Schneeflocken habe ich ja gerechnet. Aber dass es hier in Freiburg auch Kerle vom Himmel schneit...« Ich hebe den Kopf und schaue in die belustigten Augen einer jungen Frau. Als erstes fallen mir ihre langen feuerroten Haare auf, die sie unter einer weißen Wollmütze offen trägt. Dann ihr breites Grinsen, das alles andere als schadenfroh aussieht. »Hast du dir wehgetan?«

Sie streckt mir ihre Hand entgegen, die in einem schwarzen Lederhandschuh steckt. Verwirrt greife ich zu und lasse mir aufhelfen.

Wieder durchzuckt mich dieser fiese Schmerz und ich verlagere mein Gewicht auf den rechten Fuß. Haltsuchend greife ich nach einem Pfosten, stütze mich daran ab und erinnere mich daran, zu atmen. Einatmen. Ausatmen.

»Brauchst du was? Cool Pack? Krankenwagen? Notarzt?«

Automatisch schüttle ich den Kopf und zücke schon mein Handy. So kann ich jedenfalls den langen Rückweg bis ins Bandhaus nicht antreten.

»Wo kommst du denn überhaupt her? Wohnst du hier im Haus?«

Redhead dreht sich um und deutet auf den Hintereingang des herrschaftlichen Altbaus.

Wieder schüttle ich den Kopf und beiße die Zähne zusammen, weil der Schmerz mich ganz kirre macht.

»Aber reden kannst du schon, oder?«

Ich hebe meinen Blick und schaue in das kesse Gesicht der Frau, die eingehüllt in einer dicken Winterjacke mit in die Hüften gestemmten Händen vor mir steht. Langsam scheint ihr mein plötzliches Auftauchen doch suspekt zu werden.

»Sorry, ich ...« Ich mache einen Schritt auf sie zu und bereue es gleich wieder.

»Shit, du hast dir echt wehgetan.« Schon schlingt sie einen ihrer Arme um meine Hüfte und nickt in Richtung Hauswand, wo unter einem kleinen Vordach eine Holzbank steht. »Setz dich erst mal.«

Ich humple mit ihrer Hilfe zu der Bank und lasse mich ächzend darauf nieder.

»Danke«, murmle ich und lege mit zusammengebissenen Zähnen mein Bein hoch. Zögerlich schiebe ich meine Hose ein Stück hoch, um den Schaden zu begutachten. Ich brauche die Socke gar nicht herunterzustreifen, denn ich sehe auch so, dass sich bereits ein monströser Bluterguss ausbreitet und der Knöchel auf ungesunde Maße angeschwollen ist. Shit! Josh wird mich umbringen, wenn ich bis zum nächsten Konzert nicht wieder fit bin. Vom Management ganz zu schweigen.

»Uh, das sieht nicht gut aus. Vielleicht sollte sich das tatsächlich ein Arzt anschauen?«

Weiße Atemwolken steigen mit jedem ihrer Worte in den Nachthimmel. Ich starre auf ihren Mund und in dem Moment geht das Licht aus. Dunkelheit umhüllt uns. Ich räuspere mich, versuche, mich zu erinnern, was das Mädchen gerade gesagt hat. Arzt. Unwillkürlich schüttle ich den Kopf.

»Quatsch, ich pack da ein bisschen Eis drauf, lege den Fuß hoch und in ein paar Tagen ist alles wieder gut. Ist nicht die erste Verletzung, die ich mir zuziehe.«

»Was hast du denn überhaupt gemacht? Ich meine, hier in dem kleinen Hinterhof kann man sich ja kaum bewegen, um so übel umzuknicken. Und vielleicht habe ich mich ja geirrt. Aber bist du von der Mauer da geflogen?«

Schemenhaft sehe ich ihre Arme in die Richtung wedeln, in der sich die von Eis bedeckte Mauer befindet.

»Warte«, murmle ich. »Ich erklär dir gleich alles. Aber ich ruf schnell noch einen Freund an, dass er mich abholt, ja?«

Kurz überlege ich, wen ich am besten kontaktiere. Tom wird mit den Vorbereitungen für das Fest beschäftigt sein, Marc bei seiner Verwandtschaft abhängen und Lucky wird erst in ein paar Tagen zu uns ins Bandhaus stoßen. Bleibt nur Josh. Ausgerechnet!

Es dauert ein bisschen, bis er rangeht.

»Hey, Nik, alles klar? Wo steckst du?«

»Mhm, ich hänge irgendwo in der Wiehre fest und ... na ja, kannst du mich vielleicht abholen?« Ich hasse es, Josh um diesen Gefallen bitten zu müssen. Wir alle genießen es, uns treiben zu lassen. Auch Josh. Er braucht seine Ruhe, seinen Freiraum, um zu sich zu kommen.

»Klar.« Ich höre, wie etwas im Hintergrund raschelt. »Ist wirklich alles okay? Ich hatte dir ja vorhin schon gesagt, dass es bei dem Wetter-«

»Wann kannst du da sein?«, unterbreche ich seine Vorwürfe. Ich weiß ja selbst, dass es Scheiße ist, sich ausgerechnet jetzt zu verletzen. Aber in ein paar Tagen bin ich wieder der Alte. Und letztlich werde nicht ich vor den Traualtar schreiten und den Hochzeitswalzer wird Tom voraussichtlich auch nicht an mich abtreten. Also: Alles halb so wild.

Josh seufzt. Er kennt das Spiel schon. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass ich mich bei einem Run verletze und mich einer aus der Band anschließend einsammeln muss.

»Schick mir deinen Standort durch, ja? Ich fahr gleich los.«

»Okay.« Zerknirscht lege ich auf, schicke Josh noch meine Koordinaten und stecke dann das Handy wieder in die Tasche meiner Jogpants.

»Kann ich hier warten, bis mein Taxi kommt?« Ich versuche mich an einem Lächeln. Langsam gewöhnt sich mein Körper an den Schmerz.

»Klar«, sagt das Mädchen, geht zu den Fahrrädern gegenüber und kratzt den Schnee auf den Sätteln zusammen. »Hier, du solltest das kühlen.«

»Danke.« Ich schiebe die Socke runter und presse die Zähne aufeinander, als ich das Eis auf meiner kalten Haut spüre, aber fast augenblicklich wird auch der Schmerz dumpfer.

»Also. Du wolltest mir sagen, welch göttliche Fügung dich mir vor die Füße geworfen hat.«

Sie setzt sich neben mich, zieht ihre Knie an und schlingt die Arme um ihre Beine. Den Kopf legt sie auf ihren Knien ab und schaut mich erwartungsvoll an. Ihre Augen schimmern im Mondlicht, nur die Farbe kann ich nicht eindeutig erkennen. Grün vielleicht. Oder grau. Jedenfalls gefällt mir das, was ich sehe.

Ich ziehe einen Mundwinkel hoch und lasse meinen Kopf gegen die Mauer sinken.

»Ach, ich hab’s verkackt. Bin etwas aus der Übung und habe das Eis auf der Mauer unterschätzt«, gebe ich zu.

»Mauer ... Aber die ist sicher zwei Meter hoch oder mehr.«

Mein Grinsen wird breiter.

»Ja, das war cool.«

»Äh, was? Bist du vielleicht im Nachbarhaus eingebrochen und ich sollte besser die Polizei rufen?«

Erst da erinnere ich mich, dass es für das Mädchen seltsam sein muss, dass jemand um diese Tages- oder besser gesagt Nachtzeit bei der Witterung auf Mauern herumturnt.

»Was? Quatsch. Ich ... na ja, ich mach Parkour und habe mir eine Route durch die Hinterhöfe gesucht. Ganz legal ist das vielleicht nicht. Aber weit entfernt von einem Einbruch.«

Die Rothaarige mustert mich, kneift die Augen zusammen, legt den Kopf schief. Schließlich grinst sie.

»Parkour?« Ich nicke. »Gefällt mir besser als ein Einbrecher.«

Ich atme erleichtert aus.

»Erzähl, was machst du sonst so, wenn du nicht gerade in wildfremden Gärten herumturnst und dich verletzt.«

Gespielt entrüstet schnaube ich aus. »So oft verletze ich mich gar nicht. Ich bin ...« Kurz halte ich inne. Es ist lange her, dass mich jemand nach meinem Beruf gefragt hat. »Ich bin Musiker.«

Neugierig beobachte ich ihre Reaktion, aber sie scheint nicht sonderlich überrascht zu sein.

»Welches Instrument?«

»Dies und jenes«, überlege ich laut. »Meistens Gitarre, aber ich spiele einige Instrumente. Saxophon, Querflöte, Klavier ... Aber auch nicht so alltägliches Zeugs.« Ich langweile Fremde nicht gerne mit meinem Faible für Musik. Wahrscheinlich könnte ich noch nicht einmal genau sagen, wie viele Instrumente ich tatsächlich spielen kann. Mehr als ich besitze – das ist klar. Aber das liegt nur daran, dass ich nicht so gerne Kram anhäufe.

»Spannend.«

»Und du? Was machst du so?«, beeile ich mich zu fragen, bevor sie mich weiter aushorchen kann.

»Ich studiere.«

»Aha. Und was?«

»Schauspiel.«

»Hier in Freiburg?«

Sie lächelt sanft. »Nein, in Berlin. Ich bin hier nur zu Besuch bei meiner Mama. Sie hat einen neuen Freund und den wollte ich endlich mal unter die Lupe nehmen.« Sie wackelt lustig mit den Augenbrauen. »Und außerdem liebe ich die heimelige Weihnachtsatmosphäre in kleineren Städten. Schade, dass du gerade schlecht zu Fuß bist. Ich wollte noch eine Runde durch die Altstadt drehen und über den Weihnachtsmarkt schlendern. Sonst hättest du mitkommen können.«

Hilflos zucke ich mit den Schultern. Selbst wenn ich gewollt hätte – mit dem Knöchel ist das erst einmal ein Ding der Unmöglichkeit.

»Sorry, mein Timing war noch nie gut.« Wie aufs Stichwort klingelt mein Handy. Josh. »Hey.«

»Ich bin da. Wo steckst du?« Auf der Straße ist bereits das Röhren des Sechszylinders zu vernehmen. Warum ist Josh mit Toms nigelnagelneuem BMW X7 unterwegs? Unwillkürlich verdrehe ich die Augen. Wahrscheinlich würde es Joshs alter VW Bus nicht mehr die schneebedeckte Straße zum Bandhaus hochschaffen, beantworte ich mir selbst meine Frage.

»Komme.« Ich wende mich dem Rotschopf zu. »Danke, dass du mit mir gewartet hast. Ich hoffe, du hast jetzt keinen Schock fürs Leben.« Sie schaut mich fragend an. »Na, Einbrecher und so.«

Ein leises Kichern ertönt aus ihren weich geschwungenen Lippen. Echt sweet.

»Also ...« Ich presse den Mund fest zusammen und stelle den Fuß auf den Boden. Shit! Da hat es mich echt blöd erwischt. Vielleicht haben die Bänder etwas abbekommen. Oder es ist doch nur eine simple Verstauchung. Tut ja auch verdammt weh, wie ich aus Erfahrung weiß.

»Warte, ich helfe dir.« Schon schlingt das Mädchen wieder ihre Arme um meine Mitte. Ich verkneife es mir, ihr zu sagen, dass sie mit ihrer zierlichen Figur ganz sicher keine große Hilfe ist. Aber es ist süß, dass sie mir helfen möchte. Also stütze ich mich an ihr ab und humple im Schneckentempo aus dem Hinterhof auf die Straße.

»Oh, nobel!«, entfährt es dem Mädchen.

»Gehört einem Freund.« Es klingt wie eine Entschuldigung. Ist es auch, denn es ist mir immer peinlich, wenn einer meiner Bandkollegen mit unserem Ruhm oder Geld hausieren geht. Ich selbst mache mir aus beidem nichts. Ich will Musik machen. Alles andere ist mir egal.

»Nobler Freund«, neckt sie mich weiter und reißt schon die Beifahrertür auf, bevor ich reagieren kann.

»Hey, ich hätte da-« schon erstirbt der muntere Redefluss des Mädchens. Verwirrt dreht sie den Kopf zu mir und schaut mich an.

»Äh, da drin sitzt Josh Meyer!« Als könnte sie ihren Augen nicht trauen, schaut sie noch einmal ins Wageninnere.

»Jap.« unschlüssig ziehe ich die Schultern hoch und habe keine Ahnung, was ich sagen soll. »Ein Freund.«

»Berühmter Freund.« Sie löst den Blick von Josh und wendet sich wieder mir zu. Als wüsste sie selbst nicht, wie sie reagieren soll, zieht sie einen Mundwinkel hoch, was ihrem Gesicht einen putzigen Ausdruck verleiht. Langsam scheint sie sich von dem Schock zu erholen, dass in der Nobelkarosse der Leadsänger der international angesagten Band Amblish sitzt. Ich lache leise.

»Guter Freund. Also, danke nochmal!« Etwas umständlich steige ich in den Wagen ein und gebe darauf Acht, meinen linken Fuß dabei nicht zu belasten. Gar nicht so einfach. Ein weiteres Mal verfluche ich Tom, dass er sich ausgerechnet einen hochgebockten SUV gekauft hat. Ein unauffälligeres Modell hätte es doch auch getan.

Als ich endlich sitze und mich angeschnallt habe, knalle ich die Tür zu und Josh fährt nach einem knappen Hallo los.

»Warte mal.« Er legt eine filmreife Vollbremsung hin und ich öffne noch einmal die Beifahrertür. Das Mädchen steht wie angewurzelt auf der Straße, schaut dem Wagen mit offenem Mund nach und scheint unschlüssig, ob sie gerade träumt. »Hey«, rufe ich ihr nach. »Verrätst du mir deinen Namen?«

Ihre weiße Mütze lässt die feuerroten Haare leuchten. Ein breites Grinsen legt sich auf ihre Lippen, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet.

»Yara. Ich heiße Yara.«

Mit diesen Worten dreht sie sich um und läuft davon. Ich lasse mich wieder in den Sitz sinken, schließe die Tür und nehme nur noch wie betäubt wahr, wie Josh davonbraust.

- Kapitel 2 -

Yara

 

 

Lauthals gröle ich den Weihnachts-Evergreen aus dem Radio mit und frage mich nicht zum ersten Mal, warum es Menschen gibt, die dieses Lied hassen. Jeden Herbst fiebere ich dem Moment entgegen, in dem George Michaels Stimme die Zeit einläutet, die ich mit jeder Faser meines Herzens liebe. Weihnachten.

»Yara!« Stefan klopft an die Tür des Gästezimmers, das ich über die Feiertage zu meinem Reich auserkoren habe, und lässt mich abrupt verstummen. »Essen.«

Ich mag Stefan. Er bringt Mama zum Lachen, und sie so glücklich zu sehen, lässt mein Herz ganz leicht werden. Darüber vergesse ich fast meine Trauer, die zum Ende des Jahres immer tiefer und schwerer wird, denn Weihnachten war auch das Lieblingsfest meines Vaters. Ich erinnere mich an die zauberhaften Feste in meiner Kindheit. Heute kann ich nicht mehr sagen, wessen Augen beim Anblick einer festlich beleuchteten Altstadt mehr geglänzt haben: seine oder meine. Ich habe den Geruch von frisch gebackener Linzertorte in der Nase, die niemand besser hinbekam als er. Und spüre das Herzklopfen, wenn es an Heiligabend zur Bescherung läutet.

Bevor mich die Erinnerungen überschwemmen und nichts als Melancholie und Trauer über seinen viel zu frühen Tod zurücklassen, hieve ich mich aus dem Bett, schalte die Musik aus und tapse in dicken Wollsocken zum Esszimmer.

»Hey, Mama.« Ich hauche meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und tänzle zu meinem Stuhl. Es ist natürlich nicht wirklich mein Stuhl – ich bin ja nur Gast hier. Aber ich mag Rituale. Meine Freunde scherzen immer, dass ich sehr einnehmend bin. Keine Ahnung, was sie damit meinen.

»Na Kleines, ausgeschlafen?« Meine Mutter schmunzelt, denn selbst für ein normales Mittagessen sind wir verdammt spät dran. Hier in diesem alten Viertel Freiburgs, in dem jahrhundertealte Bäume stehen, die vergeblich versuchen, ihre Köpfe über die Dächer der Altbauten zu strecken, wird es noch früher dunkel als im Rest der Stadt.

Ich gähne demonstrativ. Schließlich habe ich Ferien und kann den lieben langen Tag nur das tun, wozu ich Lust habe. Schlafen gehört dazu. Und mich auf Weihnachten freuen. Schon kribbelt es wieder in meinem Magen.

»Hast du Lust auf einen Stadtbummel?«, frage ich an meine Mutter gewandt und strecke ihr den Teller entgegen. Mit einer riesigen Kelle schöpft sie einen Eintopf in den Teller, der so köstlich duftet, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft und mein Magen freudig knurrt. »Ich wollte später noch ein bisschen durch die Gassen schlendern.«

»Oh, das tut mir leid. Stefan und ich sind heute Abend auf der Weihnachtsfeier seiner Firma. Und wir wollten vorher noch zusammen mit seinen Kollegen auf dem Weihnachtsmarkt vorglühen. Komm doch mit. Das wird sicher nett.«

Sie lächelt mich einladend an.

»Verlockendes Angebot«, unke ich mit zuckersüßer Stimme und grinse frech. Ich kann mir Lustigeres vorstellen, als mit Menschen, die in naher Zukunft in Rente gehen, den Abend zu verbringen, und so schüttle ich schnell den Kopf. »Aber es kommt bestimmt etwas Langweiliges im Fernsehen.«

Stefan hat eine Weile gebraucht, bis er mit meinem nicht ganz so mainstreamkonformen Humor zurechtkam. Vielleicht liegt das ja am Weißwurstäquator, denn bei uns in der Hauptstadt weht eindeutig ein anderer Wind.

»Dir fällt ganz bestimmt etwas ein.« Sie lächelt sanft und ihr ist das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben. Als müsste sie sich – nur weil ich zu Besuch bin – rund um die Uhr um mich kümmern.

Ich überlege kurz und schon steht mein Plan fest. Ich werde nach dem Essen alleine in die Stadt gehen, durch die Innenstadt schlendern und nach ein paar Weihnachtsgeschenken Ausschau halten. Genüsslich löffle ich den Eintopf und lausche der Unterhaltung von Stefan und meiner Mama. Es tut gut, wieder im Kreise meiner Familie zu sein.

 

***

 

Mein Herz wird ganz weit, als ich durch die Freiburger Innenstadt laufe. Die Schaufenster sind so wundervoll geschmückt und die Lichter, die über die schmalen Gassen gespannt sind, zaubern einen märchenhaften Weihnachtshimmel. Ich sauge das Rot und Gelb der Herrnhuter Sterne in mir auf, atme ganz tief ein, bis ich mir sicher bin, dass ich den Duft von Glühwein und heißen Maronen niemals wieder vergessen werde.

Ziellos stöbere ich in ein paar Dekogeschäften nach weiteren Kleinigkeiten für meine Mama. Sie liebt es wie ich, ihre Wohnung der Jahreszeit entsprechend zu dekorieren, und wird sich sicher über ein paar bunte, glitzernde Schneeflöckchen für das Fenster freuen. Für Stefan kaufe ich ein paar weihnachtliche Wollsocken und hoffe, er versteht den Spaß.

Ich lasse mich weiter durch die von schmalen Gassen durchzogene Innenstadt treiben, die zahlreiche Touristen anlockt. Mich stören die Menschenmassen nicht. Kinder, Frauen, Rentner ... Sie alle schauen sich mit strahlenden Augen um, lachen, unterhalten sich. Musik dringt an meine Ohren und augenblicklich muss ich breit grinsen, denn die ungewöhnlichen Töne, die mir so bekannte Weihnachtssongs ganz neu interpretieren, dringen ganz tief in mein Herz. Füllen es aus. Wärmen es. Ich lasse es zu, dass mich die Straßenmusik förmlich anzieht. Schritt für Schritt komme ich näher, quetsche mich durch eine Menge, die der Musik andächtig lauscht.

Ich bleibe bei dem Typen stehen, der einer Art umgedrehter Schüssel aus Metall diese wundervollen Töne entlockt. Minutenlang starre ich auf das mir unbekannte Instrument, summe Kelly Clarksons Underneath the tree mit und versuche herauszubekommen, wie es der Typ schafft, dem Ding so präzise eine Melodie zu entlocken, dass man sogar den Hit erkennt.

Irgendwann habe ich genug von dem Instrument, weil ich nicht sonderlich schlau daraus werde und es mich interessiert, wer auf die Idee kommt, so etwas zu spielen, das nach einer Mischung aus Karibikurlaub und sphärischen Meditationsklängen klingt. Wenn ich die Augen schließe, könnte ich in den Hochlagen Tibets sein – wobei, nein, dort spielen sie keine westliche Weihnachtsmusik.

Der junge Mann, der diese ungewöhnliche Musik macht, hat die Kapuze seines dicken Pullis tief ins Gesicht gezogen. Dunkle Locken suchen sich ihren Weg nach draußen und umschmeicheln sein Gesicht. Ein Gesicht, das mir irgendwie bekannt vorkommt. Aber nein, außer meiner Mama und Stefan kenne ich hier niemanden.

Doch plötzlich wird mir heiß, als ich in dem Musiker den Typen erkenne, der mir gestern vor die Füße geplumpst ist. Ich lege den Kopf schief, um sicherzugehen. Aber da sind die dunklen Locken, die sich unter der Kapuze hervorkämpfen und das kantige markante Gesicht, in dem dieses freche Grinsen sitzt, das mir wirklich gut gefällt.

Nik. Oh mein Gott! Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn wiederzusehen. Vor allem nicht, als ich nach dem unverhofften Treffen meine Pläne über den Haufen geworfen und statt eines Spaziergangs durch die Innenstadt nach Amblish gegoogelt habe. Ein Klick und ich wusste seinen Namen, Geburtstag und die wichtigsten Stationen seines noch jungen Lebens.

Nun sitzt er direkt vor mir. Und zu der Frage, warum so ein berühmter Musiker wie er unerkannt in der Freiburger Innenstadt sitzt und Musik macht, gesellt sich meine Nervosität, weil ich keine Ahnung habe, wie ich ihn ansprechen soll. Ob ich ihn ansprechen soll.

Ich gehöre nicht zu der schüchternen Sorte Mensch, trage mein Herz auf der Zunge und habe kein Problem damit, den ersten Schritt zu tun. Aber bislang beschränken sich meine Kontakte auf normale Menschen. Gut, ein paar Schauspieler waren dabei, aber keine echten Berühmtheiten aus Hollywood oder so. Nik ist allerdings eine andere Liga.

Verstohlen werfe ich einen Blick in die Menge. Alle lauschen gebannt der Musik, aber niemand scheint einen Zusammenhang zwischen diesem Musiker und der weltberühmten Rockband Amblish herzustellen. Zugegeben, hätte ich nicht Josh Meyer in dem Auto entdeckt, wäre ich auch nicht auf die Idee gekommen, Nik im Netz zu stalken.

Meine Aufmerksamkeit huscht zurück zu Nik. Er ist wirklich gut. Verdammt gut sogar. In seinen Tönen schwingt die Liebe zur Musik mit, die Gefühle, die er transportiert, gehen ganz tief. Ich könnte die Augen schließen und würde sofort wegdriften. Auf eine Insel in der Karibik vielleicht. Oder unter den hübsch geschmückten Christbaum in Stefans Altbauwohnung.

Einem inneren Drang folgend stimme ich in Kelly Clarksons Hit mit ein. »Cause you are near and everything’s clear, you’re all I need, underneath the tree.« Ich liebe es, Worten einen Klang zu geben, und obwohl ich im Studium Gesangsunterricht hatte, würde ich mich nicht gerade als gute Sängerin bezeichnen. Aber ich habe Spaß daran zu singen und kein Problem damit, das vor Publikum zu tun. Den Reaktionen der Umstehenden nach scheint mein spontaner Einsatz auch auf Zustimmung zu stoßen und so singe ich weiter.

Nik hebt den Blick. Seine braunen Augen weiten sich für einen kurzen Moment, als er mich sieht, als er mich erkennt. Sein kesses Grinsen wird breiter und er nickt mir zustimmend zu. Unsere Blicke verhaken sich, die Töne verweben sich und es ist, als würde uns der Moment in eine eigene kleine Blase ziehen, uns verschlucken und alles um uns herum ausblenden.

Es macht Spaß, mit dem Lockenkopf Musik zu machen. Ich imitiere Kelly und bewege mich zu der sphärischen Musik, als wären wir auf einer Konzertbühne. In die Lyrics mischt sich ein glückliches Lachen. Ich klatsche im Rhythmus leise mit und auch Rockstar undercover scheint es Spaß zu machen, dass ich mich in seine Performance einklinke. »All I Need is underneath my tree. Oh.«

Ich kichere und klatsche mit dem Musiker ab, als die letzten Töne verklingen und mit einem Strudel stählerner Klänge in die Winterluft getragen werden. Die Umstehenden schenken uns begeistert Beifall und in alter Schauspielmanier stelle ich mich neben Nik und deute eine Verbeugung an.

Er legt das Instrument beiseite und steht auf. Die Zuschauer verflüchtigen sich nach und nach, eilen weiter, um ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Einige werfen etwas Geld in die Cap, die der Musiker aufgestellt hat.

»Hey, du!«, begrüße ich ihn, obwohl ich inzwischen ganz genau weiß, wer er ist. Aber das muss er ja nicht wissen.

»Yara! So schnell sieht man sich wieder.«

Ich grinse breit. Er hat sich tatsächlich meinen Namen gemerkt!

»Wie geht es deinem Fuß?« Ich deute auf sein linkes Bein. Zumindest ist es nicht eingegipst und er trägt einen normalen Schuh.

»Ist noch dran. Also halb so wild.«

Ich lache auf. Irgendwie fühle ich mich nervös und unwillkürlich schaue ich mich um, um den Auslöser für mein Unbehagen auszumachen. Dabei weiß ich ganz genau, dass es der Kerl ist, der vor mir steht, der mich so aus der Fassung bringt. Die Menschenansammlung hat sich mittlerweile aufgelöst. In dicht gedrängten Reihen drücken sich die Leute in Richtung des Weihnachtsmarktes. Ich höre das Jaulen der Sirene, das eine neue Fahrt des Kinderkarussells ankündigt.

»Und? Wirst du gleich wieder von deinem noblen Freund im Dickschiff abgeholt? Tsss, den armen Leuten hier die Kohle aus den Taschen ziehen und dann wieder in der Nobelkarosse davonrauschen.« Ich zwinkere ihn schief grinsend an, um klarzumachen, dass ich einen Scherz mache. Doch er streift sich seine Kapuze vom Kopf und wuschelt unbeholfen durch seine dunklen Locken. Er schaut mich etwas bedröppelt an und verzieht seinen Mund.

»Na ja, eigentlich spiel ich nicht des Geldes wegen.«

»Ist klar.« Ich deute auf die gut gefüllte Cap, in der sich nicht nur Kleingeld, sondern auch der eine oder andere Schein türmen.

»Ach das ... Das wollte ich spenden.« Er zieht einen Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen hoch. »Oder dich auf einen Glühwein einladen. Wie sieht’s aus? Als Lohn für deine musikalische Unterstützung?«

Ich tue so, als würde ich angestrengt überlegen, dabei freue ich mich über seinen Vorstoß. Wann hat man schon einmal Gelegenheit, mit einem berühmten Musiker abzuhängen? Außerdem gefällt er mir und gegen ein bisschen Gesellschaft ist nichts einzuwenden.

»Okay, ich komme mit. Aber nur, wenn du ein bisschen aus dem Nähkästchen plauderst, Nik.«

Herausfordernd ziehe ich meine Augenbrauen hoch, und wie ich erwartet habe, seufzt er einmal tief und hält bei seinem Vorhaben, die Drum in der Tasche zu verstauen, inne.

»Du hast mich gestalkt?« Er zwinkert mir verschwörerisch zu und legt dann seinen Zeigefinger auf seine Lippen. »Verrat mich nicht. Ich bin inkognito unterwegs, und wenn ich ehrlich bin, hasse ich den ganzen Hype um unsere Band.«

»Klar, Erfolg zu haben, ist auch so ätzend.« Ich grinse frech, lenke aber schließlich ein. »Aber gut, ich werde deine Tarnung nicht auffliegen lassen, versprochen.« Zum Schwur hebe ich Zeige- und Mittelfinger meiner rechten Hand.

Nik verstaut sein Instrument und schultert die Tasche.

»Sollen wir?« Einladend deutet er in die entgegengesetzte Richtung des Weihnachtsmarktes. Verwirrt schaue ich mich um.

»Äh, wenn ich mich nicht irre, gibt es dort hinten Glühwein.« Ich wedle über meine Schulter. Zwar wird Frauen gerne ein mangelnder Orientierungssinn nachgesagt, aber in dieser Beziehung komme ich eindeutig nach meinem Vater. Er war der Beste, wenn es darum ging, sich in einer fremden Stadt zurechtzufinden.

»Ich dachte, wir gehen auf den Münsterplatz zur alten Wache. Dort ist es nicht so voll und es gibt den besten Glühwein der ganzen Stadt.«

»Oh, Insiderwissen. Kommst du aus Freiburg?« Stand dazu etwas in den Beiträgen, die ich über ihn gelesen habe? Ich kann mich nicht erinnern. Wir schieben uns an dem Strom an Menschen vorbei, die wie Lemminge in Richtung Rathausplatz drängen. Ich habe Mühe, Nik zu folgen, schaffe es aber schließlich aus dem Gedränge und atme aus, als wir auf der großen Einkaufsstraße stehen.

»Nicht direkt. Aber unsere Base ist in der Nähe von Freiburg. Ich habe hier also schon einige Zeit verbracht. Du bist zum ersten Mal hier, oder?«

Offensichtlich hat Nik aufmerksam zugehört, als ich ihm gestern von Berlin erzählt habe. Ich nicke begeistert.

Das Klingeln einer Straßenbahn lässt mich zusammenzucken. Gerade noch rechtzeitig zieht mich Nik zurück und wir lassen das Ungetüm an uns vorbeirauschen. Die plötzliche Berührung löst eine wohlige Wärme in mir aus. Dabei weiß ich, dass das gar nichts zu bedeuten hat.

»Also Nik-las.« Ich versuche, mich zu konzentrieren und hoffe, dass so Nebensächlichkeiten wie sein wahrer Name dazu beitragen, dass ich wieder zu mir komme. Offensichtlich bringt mich die Tatsache, dass er berühmt ist, ziemlich aus dem Takt. Oder vielleicht liegt es auch daran, dass ich ihn echt nett finde. Und attraktiv. Und ... Stopp!

»Einfach Nik. Niemand nennt mich bei meinem richtigen Namen.«

»Nicht mal deine Mutter?«, necke ich ihn und schaue zu ihm hoch. Für einen kurzen Moment huscht ein Schatten über sein Gesicht, doch dann ist er wieder ganz entspannt.

»Ich will die Stimmung nicht crashen, aber meine Mom ist kurz nach meiner Geburt gestorben.« Er hebt die Augenbrauen und wartet offensichtlich auf eine Reaktion. Ich ziehe scharf die Luft ein und zwinge mir dennoch ein Lächeln auf die Lippen. Mein Herz rast wie immer, wenn es um den Tod geht.

»Ups, Fettnäpfchen. Mein Vater ist auch vor ein paar Jahren gestorben. Autounfall.« Ich versuche gleichgültig auszusehen, weiß aber, dass mir das selten gelingt, wenn es um Paps geht. Er fehlt mir. Selbst nach der langen Zeit.

»Wie kommst du damit klar?«

Unschlüssig zucke ich mit den Schultern und laufe weiter. Mir ist Niks Nähe seltsam bewusst, obwohl die dicke Kleidung es unmöglich macht, seine Wärme zu spüren.

»Mh, er fehlt mir«, gehe ich auf seine Frage ein. »Aber inzwischen tut es nicht mehr so weh, an ihn zu denken. Und du? Vermisst du deine Mama?«

»Keine Ahnung. Kann man etwas vermissen, das man nicht kennt?«

Seine Frage könnte bissig klingen, aber ein Blick in sein Gesicht macht mir klar, dass er tatsächlich darüber nachdenkt. »Ich hatte nie eine Mum, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Aber klar, früher habe ich mir oft Gedanken darüber gemacht, wie es wäre, wenn sie mir einen Geburtstagskuchen gebacken, oder mich zum Klavierunterricht gebracht hätte. Ich hätte sie gerne kennengelernt.«

Nik greift nach meinem Ellenbogen und bewahrt mich davor, in eines der berühmten Freiburger Bächle zu treten. Im Winter fließt in den kleinen Wasserläufen, die die Innenstadt durchziehen, zwar kein Wasser, aber dennoch wäre ich übel gestolpert.

»Ups, danke.«

»Gern geschehen. Kann ja unmöglich risikieren, dass du einen Freiburger heiraten musst. Wer weiß, vielleicht entpuppst du dich ja als meine Traumfrau.« Er wackelt lustig mit den Augenbrauen, sodass ich unwillkürlich kichern muss.

»Heiraten?«, hake ich nach, weil ich keine Ahnung habe, von was er redet.

»Sagt man hier in Freiburg wohl so. Wenn du in eines dieser Bächle trittst, musst du einen Freiburger heiraten.«

Keine Ahnung, was ich darauf antworten soll. Ich würde nach diesem Spruch ohnehin keinen sinnvollen Satz rausbringen.

»Du legst ein ganz schönes Tempo vor. Puh!« Mir gefällt es, dass Nik so locker ist. Dennoch wird mir schwindelig von seinen Sprüchen. Ob er alle Mädchen so offensichtlich anbaggert? »Mich zum Glühwein einzuladen, war also nicht nur eine nett gemeinte Geste, sondern hat Strategie?«

»Erwischt!« Nik zwinkert mir zu und deutet auf eine kleine Holzhütte, vor der sich eine lange Schlange wie eine Perlenschnur aufreiht. Trotz der vielen Menschen geht es hier deutlich ruhiger und entspannter zu als auf dem Weihnachtsmarkt.

Mein Blick schweift zu dem imposanten Münster, für das Freiburg berühmt ist. Warmes Licht lässt das mittelalterliche Gotteshaus mystisch erstrahlen. Leise erklingt Weihnachtsmusik, die von einer der kleinen Buden kommen muss, die auf dem kopfsteingepflasterten Marktplatz verteilt sind.

Freudiges Gemurmel der Anwesenden legt sich wie eine Decke über das winterliche Szenario. Ich atme den Glühweinduft tief ein. Ich mag die Schwere und Süße des Wintergetränks, dabei vertrage ich warmen Alkohol nur in Maßen und ich erinnere mich selbst mahnend daran, mich nur zu einem Glas einladen zu lassen. Ich hasse Kontrollverlust, und wenn ich mir Nik so anschaue, wäre er einem schnellen Abenteuer nicht abgeneigt.

Aber ob ich das will, weiß ich noch nicht so genau. Schließlich ist Nik nicht irgendwer und eine Laufbahn als billiges Groupie hatte ich für mich nicht gerade vorgesehen. Ein bisschen flirten und über Musik quatschen, dann werde ich den Rückzug antreten und Nik wahrscheinlich niemals wiedersehen. Das ist doch ein guter Plan!

»Wo hast du singen gelernt?«, bricht Nik das Schweigen. Ich vergrabe meine inzwischen kalten Hände in den Ärmeln meiner Daunenjacke und bereue es, dass ich ausgerechnet heute meine Handschuhe vergessen habe.

»Im Studium. Aber Gesang gehört nicht gerade zu meinen Stärken«, gebe ich kleinlaut zu. So im Nachhinein ist es mir nun doch peinlich, dass ich mich dazu habe hinreißen lassen, in Gegenwart eines Berufsmusikers ein Liedchen zu trällern.

---ENDE DER LESEPROBE---