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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Henrik Ibsen war seiner Zeit weit voraus. Bis heute sind die starken Frauen seiner Stücke begehrte Schauspielrollen. Eine seiner berühmten Frauenfiguren ist Nora, die ihre Ehe verlässt, als sie begreift, dass ihr Leben einem goldenen Käfig gleicht. Ibsens Dramen, zu ihrer Zeit große Skandale auf den Bühnen der Welt, haben auch nach hundert Jahren nichts von ihrer Schlagkraft eingebüßt: Was sie an Frauenschicksalen exemplarisch gestalten, ist die menschliche Suche nach Selbstbestimmung und die Sehnsucht nach Einzigartigkeit.
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Seitenzahl: 138
Henrik Ibsen
Nora oder Ein Puppenheim
Schauspiel in drei Akten
Aus dem Norwegischen in der von Ibsen autorisierten Übersetzung von Marie von Borch
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Helmer, Rechtsanwalt
Nora, seine Frau
Frau Linde
Doktor Rank Krogstad
Die drei kleinen Kinder Helmers
Anne-Marie, Kinderfrau bei Helmers
Ein Hausmädchen bei Helmers
Ein Dienstmann bei Helmers
Das Stück spielt in Helmers Wohnung.
Ein gemütlich und geschmackvoll, aber nicht luxuriös eingerichtetes Zimmer. Rechts im Hintergrund führt eine Tür in das Vorzimmer; eine zweite Tür links im Hintergrund führt in Helmers Arbeitszimmer. Zwischen diesen beiden Türen ein Klavier. Links in der Mitte der Wand eine Tür und weiter nach vorn ein Fenster. Nahe am Fenster ein runder Tisch mit Lehnstühlen und einem kleinen Sofa. Rechts an der Seitenwand weiter zurück eine Tür und an derselben Wand weiter nach vorn ein Kachelofen, vor dem ein paar Lehnstühle und ein Schaukelstuhl stehen. Zwischen Ofen und Seitentür ein kleiner Tisch. An den Wänden Kupferstiche. Eine Etagere mit Porzellan und anderen künstlerischen Nippessachen; ein kleiner Bücherschrank mit Büchern in Prachteinbänden; Teppich durchs ganze Zimmer. Im Ofen ein Feuer. Wintertag.
Im Vorzimmer klingelt es; gleich darauf hört man, wie geöffnet wird. Nora tritt vergnügt trällernd ins Zimmer; sie hat den Hut auf und den Mantel an und trägt eine Menge Pakete, die sie rechts auf den Tisch niederlegt. Sie läßt die Tür zum Vorzimmer hinter sich offen, und man sieht draußen einen Dienstmann, der einen Tannenbaum und einen Korb trägt; er übergibt beides dem Hausmädchen, das ihnen geöffnet hat.
NORA
Tu den Tannenbaum gut weg, Helene. Die Kinder dürfen ihn keinesfalls vor heut abend sehen, wo er geputzt ist. Zum Dienstmann, indem sie ihr Portemonnaie hervorzieht Wieviel –?
DIENSTMANN
Fünfzig Öre.
NORA
Da haben Sie eine Krone –. Nein – behalten Sie den Rest. Der Dienstmann dankt und geht. Nora schließt die Tür. Sie lacht noch immer stillvergnügt vor sich hin, während sie Hut und Mantel ablegt. Sie zieht eine Tüte mit Makronen aus der Tasche und ißt ein paar; dann geht sie vorsichtig an die Tür ihres Mannes und lauscht. Ja, er ist zu Hause. Trällert wieder leise vor sich hin, indem sie rechts an den Tisch tritt.
HELMER in seinem Zimmer
Zwitschert da draußen unsere Lerche?
NORA während sie einige Pakete öffnet
Jawohl!
HELMER
Poltert da unser Eichhörnchen herum?
NORA
Ja!
HELMER
Wann ist das Eichhörnchen nach Hause gekommen?
NORA
Diesen Augenblick. Steckt die Makronentüte in die Tasche und wischt sich den Mund ab. Komm, Torvald, und sieh dir mal meine Einkäufe an.
HELMER
Nicht stören! Bald darauf öffnet er die Tür und sieht herein, mit der Feder in der Hand. Einkäufe, sagst du? Diese vielen Sachen? Ist der kleine lockere Zeisig wieder ausgewesen und hat Geld verschwendet?
NORA
Aber Torvald, dies Jahr dürfen wir doch wirklich ein bißchen über die Stränge schlagen. Sind’s doch die ersten Weihnachten, wo wir nicht zu sparen brauchen.
HELMER
Hör mal, du, Luxus dürfen wir auch nicht treiben.
NORA
Doch, Torvald, wir dürfen jetzt schon ein bißchen Luxus treiben. Nicht wahr? Nur ein ganz, ganz klein bißchen. Du bekommst ja nun ein großes Gehalt und wirst viel, viel Geld verdienen.
HELMER
Jawohl, von Neujahr ab. Aber dann vergeht noch ein ganzes Quartal, bis das Gehalt fällig ist.
NORA
Bah! Bis dahin können wir ja borgen.
HELMER
Nora! Geht hin zu ihr und zupft sie scherzhaft am Ohr. Geht schon wieder der Leichtsinn mit dir durch? Gesetzt den Fall, ich borgte mir heute tausend Kronen, und du brächtest sie in der Weihnachtswoche durch, und am Sylvesterabend fiele mir ein Ziegelstein auf den Kopf, und ich läg da –
NORA hält ihm den Mund zu
Pfui, laß die schrecklichen Reden!
HELMER
Ja, nimm mal an, daß so was passierte, – was dann?
NORA
Wenn so was Gräßliches passierte, dann wär mir’s ganz gleichgültig, ob ich Schulden hätte oder nicht.
HELMER
Und meine Gläubiger?
NORA
Die? Wen gingen die was an? Das sind ja fremde Leute.
HELMER
Nora, Nora, du bist ein Weib! Doch im Ernst gesprochen, Nora, du weißt, wie ich in dieser Hinsicht denke. Keine Schulden machen! Niemals borgen! Es kommt etwas Unfreies und damit auch etwas Unschönes über ein Hauswesen, das auf eine Borgwirtschaft gegründet ist. Bis auf den heutigen Tag haben wir beide tapfer ausgehalten, und das wollen wir nun auch noch die kurze Zeit tun, wo es nötig ist.
NORA geht zum Ofen hin
Na ja; wie du willst, Torvald.
HELMER geht hinter ihr her
Ei, nun darf aber unsere kleine Lerche auch nicht die Flügel hängen lassen. Wie? Unser Eichhörnchen steht und mault? – Zieht das Portemonnaie. Nora, was mag ich da wohl haben?
NORA wendet sich schnell um
Geld!
HELMER
Da nimm! Gibt ihr einige Banknoten. Du lieber Gott, ich weiß, daß zu Weihnachten im Hause eine hübsche Summe draufgeht.
NORA zählt
Zehn, – zwanzig, – dreißig, – vierzig. Schönen Dank, Torvald, schönen Dank; damit komme ich lange aus.
HELMER
Das mußt du aber auch!
NORA
Freilich, das werd ich. Aber nun komm und laß dir alle meine Einkäufe zeigen. Und so wohlfeile Einkäufe. Schau her, – ein neuer Anzug für Ivar – und dazu ein Säbel. Hier ist ein Pferd und eine Trompete für Bob, und da eine Puppe und Puppenwiege für Emmy. Es ist freilich recht einfach, aber sie macht doch immer gleich alles kaputt. Und hier Kleiderstoff und Taschentücher für die Mädchen. Die alte Anne-Marie müßte eigentlich viel mehr haben!
HELMER
Und was ist in dem Paket da?
NORA schreit
Weg, Torvald! Das bekommst du erst am Abend zu sehen!
HELMER
Ach so! – Aber nun sag mir, du kleiner Verschwender, womit hast du denn dich selbst bedacht?
NORA
Ach geh, – ich mich? Ich wüßte wirklich nicht, was –
HELMER
Du sollst aber! Nenne mir was Praktisches, was dir ganz besondere Freude machen würde.
NORA
Ich wüßte wirklich nichts. – Doch, Torvald, hör –
HELMER
Nun?
NORA spielt an seinen Knöpfen, ohne ihn anzusehen
Wenn du mir ein Geschenk machen willst, so könntest du ja –; du könntest –
HELMER
Na also – heraus damit!
NORA hastig
Du könntest mir Geld schenken, Torvald. So viel nur, wie du meinst entbehren zu können. Ich kann mir dann gelegentlich etwas dafür kaufen.
HELMER
Aber Nora –
NORA
Ja, tu’s, lieber Torvald, ich bitte dich recht sehr; ich wickle mir dann das Geld in schönes Goldpapier ein und hänge es an den Weihnachtsbaum. Wäre das nicht hübsch?
HELMER
Wie nennt man doch die Vögel, die alles Geld durchbringen?
NORA
Ja, ja, lockere Zeisige – ich weiß schon. Aber wenn du mir den Gefallen tust, Torvald, dann habe ich Zeit zu überlegen, was ich am notwendigsten brauche. Ist das nicht sehr vernünftig, Torvald, wie?
HELMER lächelnd
Ei freilich –, das heißt, wenn du das Geld, das ich dir gebe, wirklich festhalten und dir selbst etwas dafür kaufen könntest. So aber geht es im Haushalt und für allerhand unnütze Dinge drauf, und dann muß ich wieder herausrücken.
NORA
Ach bewahre – Torvald.
HELMER
Unleugbar, meine kleine liebe Nora! Legt den Arm um ihre Taille. Mein lockerer Zeisig ist entzückend, aber er braucht viel, viel Geld. Man sollt es nicht glauben, wie hoch einem Mann solch ein Vögelchen zu stehen kommt.
NORA
Aber nein! Wie kannst du nur so was sagen? – Ich spare doch, wo ich kann.
HELMER lacht
Ein wahres Wort! Wo du kannst. Aber du kannst absolut nicht.
NORA trällert und lächelt stillvergnügt
Hm! Du solltest nur wissen, wie viele Ausgaben wir Lerchen und Eichhörnchen haben, Torvald.
HELMER
Du bist ein seltsames kleines Ding. Ganz wie dein Vater. Auf jede Art bemühst du dich, Geld in die Hand zu kriegen, und sobald du es hast, verschwindet dir’s zwischen den Fingern; du weißt nie, wo es geblieben ist. Na, aber man muß dich nehmen, wie du bist. Das liegt im Blut. Ja, ja, ja, Nora, so was vererbt sich.
NORA
Nun, ich wünschte, ich hätte viele von Papas Eigenschaften geerbt.
HELMER
Und ich möchte dich gar nicht anders haben, als du bist, meine liebe kleine singende Lerche. Doch – da fällt mir etwas ein. Du siehst heute so – so, – wie soll ich gleich sagen?- so verdächtig aus –
NORA
Ich?
HELMER
Allerdings. Sieh mir mal gerade in die Augen.
NORA sieht ihn an
Na?
HELMER droht mit dem Finger
Hat das Leckermäulchen etwa heut in der Stadt genascht?
NORA
Aber nein, wie kommst du darauf?
HELMER
Hat das Leckermäulchen ganz gewiß keinen Abstecher in die Konditorei gemacht?
NORA
Nein, Torvald, ich versichere –
HELMER
Nicht ein bißchen Eingemachtes geschleckt?
NORA
Nein, wirklich nicht!
HELMER
Auch nicht ein paar Makronen probiert?
NORA
Nein, Torvald, ich versichere –
HELMER
Nun, nun – es ist ja natürlich nur im Scherz gemeint.
NORA geht rechts an den Tisch
Es würde mir doch nie einfallen, gegen deinen Wunsch zu handeln.
HELMER
Davon bin ich überzeugt. – Und dann hast du mir ja auch dein Wort gegeben – Geht zu ihr. Behalt deine kleinen Weihnachtsüberraschungen nur für dich, mein Herz. Heut abend, wenn der Baum brennt, werden sie schon ans Licht kommen, das weiß ich sicher.
NORA
Hast du auch nicht vergessen, Doktor Rank einzuladen?
HELMER
Aber das ist doch gar nicht nötig. Es versteht sich von selbst, daß er mit uns speist. Übrigens werde ich ihn einladen, wenn er heut vormittag herkommt. Guten Wein hab ich schon bestellt. Nora, du glaubst gar nicht, wie ich mich auf den heutigen Abend freue.
NORA
Ich mich auch. Und wie die Kinder erst jubeln werden, Torvald!
HELMER
Es ist doch ein herrlicher Gedanke, eine feste, gesicherte Stellung, sein reichliches Auskommen zu haben. Nicht wahr! Der Gedanke ist ein Hochgenuß!
NORA
O, es ist wunderbar!
HELMER
Denkst du noch an vorige Weihnachten? Drei liebe lange Wochen vorher hast du dich Abend für Abend bis in die tiefe Nacht hinein eingeschlossen, um Blumen für den Baum und die vielen andern Herrlichkeiten anzufertigen, womit wir überrascht werden sollten. Das war die ödeste Zeit, die ich je erlebt habe.
NORA
Ich hab mich dabei gar nicht gelangweilt.
HELMER lächelnd
Aber das Ergebnis war doch recht dürftig, Nora!
NORA
Neckst du mich schon wieder damit! Was konnte ich dafür, daß die Katze kam und mir alles kaputtmachte.
HELMER
Nein, mein armes Norachen, dafür konntest du freilich nichts. Du hattest den besten Willen, uns alle zu beglücken, und das ist die Hauptsache. Aber gut ist es doch, daß die knappen Zeiten vorüber sind.
NORA
Ja, es ist wirklich wunderbar!
HELMER
Nun brauch ich hier nicht allein herumzusitzen und mich zu langweilen. Und du brauchst deine Augen und deine zarten Händchen nicht anzustrengen –
NORA klatscht in die Hände
Nein, nicht wahr, Torvald, das brauchen wir nun nicht mehr!? O, wie herrlich sich das anhört. Nimmt seinen Arm. Nun paß mal auf, Torvald, wie ich mir unsere künftige Einrichtung gedacht habe. Sobald Weihnachten vorbei ist – Es läutet im Vorzimmer. Da läutet es! Räumt schnell ein wenig im Zimmer auf. Es kommt gewiß jemand. Wie dumm!
HELMER
Für Besuche bin ich nicht zu Hause, vergiß das nicht.
HAUSMÄDCHEN in der Vorzimmertür
Gnädige Frau – eine fremde Dame – –
NORA
Ich bitte.
HAUSMÄDCHEN zu Helmer
Der Herr Doktor ist auch da.
HELMER
Er ist wohl gleich zu mir hineingegangen?
HAUSMÄDCHEN
Ja, das ist er.
Helmer ab in sein Zimmer; das Hausmädchen führt Frau Linde, die im Reisekostüm ist, ins Zimmer und schließt dann die Türhinter ihr.
FRAU LINDE zaghaft und ein wenig zögernd
Guten Tag, Nora.
NORA unsicher
Guten Tag – – –
FRAU LINDE
Du kennst mich wohl nicht mehr –?
NORA
Nein, ich weiß nicht –, doch – ich glaube – Aufjubelnd
Wie – Christine! Bist du’s wirklich?!
FRAU LINDE
Ja, ich bin’s.
NORA
Christine! Und ich erkannte dich nicht wieder! Aber wie konnte ich auch –?! Leiser: Wie du dich verändert hast, Christine!
FRAU LINDE
Allerdings. In neun, zehn langen Jahren –.
NORA
So lange haben wir uns nicht gesehen? Wahrhaftig, ja! O, die letzten acht Jahre waren eine glückliche Zeit! – Das kannst du glauben. Und nun bist du in die Stadt zu uns gekommen? Hast mitten im Winter die weite Reise gemacht? Das ist lieb von dir!
FRAU LINDE
Ich bin heut früh mit dem Schiff angekommen.
NORA
Natürlich, um dir ein Weihnachtsvergnügen zu machen. Wie nett! Wir wollen auch recht vergnügt sein. Aber so leg doch deine Sachen ab. Du frierst doch nicht? Hilft ihr. So – jetzt setzen wir uns gemütlich an den Ofen
Nein, da in den Lehnstuhl! Ich setz mich in den Schaukelstuhl. Ergreift ihre Hände: Ja, das ist das alte, bekannte Gesicht; nur im ersten Augenblick – etwas bleicher bist du freilich geworden, Christine, – und vielleicht auch ein wenig magerer.
FRAU LINDE
Und viel, viel älter, Nora.
NORA
Nun ja, vielleicht ein bißchen älter; aber nur ganz, ganz wenig, nicht der Rede wert. Hält plötzlich inne; ernst: Wie gedankenlos! Da sitz ich und schwätze! Liebste, einzige Christine, kannst du mir verzeihen?
FRAU LINDE
Was denn, Nora?
NORA leise
Arme Christine, du bist doch Witwe geworden.
FRAU LINDE
Ja, schon vor drei Jahren.
NORA
Gott, ich wußte es ja; ich hab es ja in den Zeitungen gelesen. Ach, Christine, du kannst mir glauben, immer wollte ich dir schreiben damals; aber jedesmal schob ich’s wieder auf; stets kam was dazwischen.
FRAU LINDE
Liebe Nora, das begreif ich wohl.
NORA
Nein, Christine, es war häßlich von mir! Du Ärmste, was mußt du nicht alles durchgemacht haben! – Und er hat dir nichts zum Leben hinterlassen?
FRAU LINDE
Nichts!
NORA
Auch keine Kinder?
FRAU LINDE
Nein!
NORA
Absolut nichts?
FRAU LINDE
Nicht einmal eine Sorge – oder ein Leid, von dem ich zehren könnte.
NORA sieht sie ungläubig an
Aber Christine, wie ist das möglich?
FRAU LINDE lächelt schwermütig und streicht ihr über das Haar
O, das kommt zuweilen vor, Nora.
NORA
So ganz allein! Wie furchtbar schwer das für dich sein muß! – Ich habe drei reizende Kinder. Augenblicklich kann ich sie dir nicht vorstellen, – sie sind mit der Kinderfrau aus. Aber nun mußt du mir alles erzählen!
FRAU LINDE
Ach nein! Erzähl du mir lieber!
NORA
Nein, du mußt anfangen. Heut will ich nicht egoistisch sein. Heut will ich nur an deine Angelegenheiten denken. Aber eines muß ich dir doch erzählen. Hast du schon davon gehört, welch großes Glück wir in diesen Tagen gehabt haben?
FRAU LINDE
Nein, was denn?
NORA
Denk dir, mein Mann ist Direktor der Aktienbank geworden.
FRAU LINDE
Dein Mann? O dieses Glück –!
NORA
Ja, ein riesiges Glück. Ein Rechtsanwalt hat ein so unsicheres Brot, besonders wenn er sich nur mit feinen und anständigen Geschäften befassen will. Und das hat Torvald natürlich immer gewollt; und darin bin ich auch ganz seiner Ansicht. Glaub mir, wir freuen uns! Schon zu Neujahr tritt er in die Bank ein, und dann kriegt er ein großes Gehalt und Prozente. Von jetzt an können wir ganz anders leben als bisher –, ganz, wie wir wollen. Ach, Christine, wie leicht und glücklich ich mich fühle! Es ist doch wunderschön, viel Geld und keine Sorgen zu haben. Nicht wahr?
FRAU LINDE
Jedenfalls muß es schön sein, das Notwendige zu haben.
NORA
Nein, nicht das Notwendige nur – sondern sehr, sehr viel Geld.
FRAU LINDE lächelt
Nora, Nora! Bist du noch immer nicht gescheit geworden? In der Schule warst du eine große Verschwenderin.
NORA lächelt still
Ja, das sagt Torvald heute noch. Droht mit dem Finger. Aber »Nora, Nora« ist nicht so dumm, wie ihr denkt. Uns ist es wahrhaftig nicht so ergangen, daß ich hätte verschwenden können. Wir haben beide arbeiten müssen.
FRAU LINDE
Du auch?
NORA
Ja, Kleinigkeiten –, Handarbeiten, Häkeleien, Stickereien und dergleichen, – Leichthin – und auch noch andere Sachen. Du weißt doch, daß Torvald seine Staatsanstellung aufgab, als wir heirateten? In seinem Rayon war keine Aussicht auf Beförderung, und er mußte doch mehr Geld verdienen als früher. Aber schon im ersten Jahr überarbeitete er sich schrecklich. Er war begreiflicherweise auf allerhand Nebenverdienste angewiesen und hatte von früh bis spät zu tun. Das konnte er nicht durchhalten, und so wurde er todkrank. Die Ärzte hielten eine Reise nach dem Süden für notwendig.
FRAU LINDE
Ach ja, ihr wart ja ein ganzes Jahr in Italien.
NORA
Ja. Glaub mir, es war nicht leicht wegzukommen. Ivar war eben geboren. Doch weg mußten wir auf jeden Fall. O, es war eine so schöne Reise; und sie rettete Torvald das Leben. Aber sie hat sehr viel Geld gekostet, Christine.
FRAU LINDE
Das kann ich mir denken
NORA
Zwölfhundert Taler hat sie gekostet. – Viertausendachthundert Kronen. Das ist viel Geld.
FRAU LINDE
Aber in solcher Lage ist es jedenfalls doch ein großes Glück, wenn man es hat.
NORA
Ich will dir was sagen, wir kriegten es von Papa.
FRAU LINDE
Ach so. Gerade um jene Zeit starb ja wohl dein Vater.
NORA