NOSTALGIA oder Herr S. will ans Meer - Frank Stoeckle - E-Book

NOSTALGIA oder Herr S. will ans Meer E-Book

Frank Stoeckle

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Beschreibung

In NOSTALGIA begleiten wir den Erzähler auf seiner Reise von Deutschland an die etruskische Küste, ans toskanische Meer. Dort wo auch das zauberhafte Dorf steht, wo er sich zuhause fühlt wie kaum sonst irgendwo auf der Welt. Die immerwährende Sehnsucht nach dem tiefblauen Meer, dem Glück nachspüren im samtenen Abendwind, bei einem besonders guten Glas Wein, unter dem Dach eines intensiven Sternenhimmels. Der Genuss der wundervollen Küche. Und im Einklang zu sein mit den Düften und Klängen, die nur der Süden zu geben vermag. Um all das geht es in diesem Buch.

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Seitenzahl: 58

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Table of Contents

Titel

NOSTALGIA

Die lang ersehnte Reise nach Bella Italia

Verirrungen und Heimkommen

Impressum

NOSTALGIA

oder Herr S. will ans Meer

 

 

Eine poetisch-verrückte Reise nach Bella Italia, die das Leben feiert

 

 

 

 

von

 

Frank Stoeckle

 

 

Siamo il gente del mare.

Il gente del mare.

Non possiamo stare senza di te.

Non vogliamo stare senza di te.

In te siamo a casa.

 

Wir sind die Menschen vom Meer.

Die Menschen vom Meer.

Wir können nicht ohne dich sein.

Wir wollen nicht ohne dich sein.

In dir sind wir daheim.

 

 

Zu denen gehöre ich auch. Seit ich zurückdenken kann, ist das Meer meine grosse Liebe. Sehr wenig sonst erweckt in mir solch ein tiefes Gefühl der Geborgenheit. Wenn das Wasser wie Samt um dich gleitet, fliesst und strömt, wenn du unter Wasser trotzdem die Augen aufmachst, auch wenn es brennt. Und alles sehen wollen. Jede Alge eine Sensation, jeder Fisch ein Bote der Unendlichkeit. Wenn du die Luft beim Tauchen so lange wie möglich anhältst, bis das letzte Quäntchen Atemluft auch wirklich verbraucht ist, du dann auftauchst und schweratmend die Luft wieder einziehst. Was für ein Glück. Welch unvergleichliches Gefühl, zu leben.

 

Schon als ich ziemlich klein war, also so um die 3 oder 4, packten unsere Eltern sommers meine Schwester und mich in ihren Käfer Export, um in nächte- und tagelanger Autofahrt nach Griechenland zu fahren, die Heimat meiner Mutter. Was besonders aufregend war, weil das Meer auf uns wartete. Es waren gigantische Strecken zu bewältigen. Über österreichische Pässe, die oft noch ein schneeweisses Kleid trugen, durch den Grossglockner, von dem ich als Kind immer dachte, irgendwo hänge in den Zacken der Berge eine übermächtig grosse Glocke, die von den Riesen, die dort wohnten, zur mitternächtlichen Stunde mit welterschütterndem Klang geschlagen würde. Die Fahrt durch das damals und noch lange danach sozialistische Jugoslawien. Über den berüchtigten Auto-Put, diesen mörderischen Touristentransitspeedway, der unzählige Opfer gefordert hat und dessen völlig unübersichtliche und bei Nacht noch furchterregendere Linienführung mich, innig und mit geschlossenen Augen betend, letztlich auf den Pfad zu seiner Heiligkeit, Agios Chrysostomos, dem Patriarchen von Saloniki, dem osmanischen Vorderland, Babylon und Samarkand, geführt hat, ohne auch nur einen Schimmer gehabt zu haben, wer das eigentlich sein sollte.

 

Zumindest meine ich heute, dass meine Mutter die halbe Fahrt über bebend seinen Namen flüsterte. Vielleicht waren es aber auch verzerrte Silben aus dem Mund des Satans, der eben diesen Patriarchen verfluchte in meinen Albträumen, in die ich zwischendurch versank, zwischen zischenden Lichtern und vorbei rasenden Leitplanken.

 

Seither ist mir auf jeden Fall, unwiderruflich, vor allem das nächtliche unterwegs sein eingeschrieben. Welche Freude, nachts den Wagen zu starten, die Lichter im Cockpit aufflammen zu sehen, der beruhigende und starke Lichtstrahl des alten Schweden, der unbeirrt die Strasse ausleuchtet. Die Lichter ziehen vorbei und die Verheissung scheint wieder einmal endlos. Ans Meer. Endlich wieder ans Meer.

 

Nach den Kindheitsjahren am Meer in Griechenland, hat mir, seit einer für immer in meiner Seele fest getackerten Zäsur, das Meer in Italien den Verstand geraubt. Später dann ein ganz bestimmtes Meer.

 

Diese Zäsur, dieser unerwartete Bruch mit den fest gefügten, hellenischen Urlaubsplanungen meiner Eltern, war die erste, und einzige! Reise als Familie, im Sommer nach Italien...

 

Ich war knappe 16 Jahre alt und mit den Eltern in Alba, einem hotelgesättigten dürren Fleck in Mittel-Italien. Aber: am Meer.

 

Wir logierten im Hotel Boston. Ich erinnere mich deutlich an diesen Mittelklasse Betonkasten, der wie eine aus dem Himmel gefallene Kaaba in die Olivenhaine gepresst war. Ein steinerner Würfel, dem die Touristen einen, wenn auch herablassenden Respekt bezeugten. Das Geschwafel, das täglich im Aufzug oder Speisesaal auf mich einprasselte, war schwer zu ertragen. In meinen Tagträumen damals, sah ich mich als Einheimischen, als Italiano stolz durch die Gassen gehen, verachtende und heimlich doch neugierige Blicke auf die Eindringlinge werfend.

 

Eines Abends war am Eingang zum Speisesaal ein Plakat gestanden. „Attenzione! Spettacolo per tutti! Un… weiter kam ich nicht, denn meine Schwester hatte mich fast umgerannt und mir keuchend entgegen geschrien: „Die veranstalten einen Schwimmwettbewerb! Das muss ich sofort Antonio sagen..“ und weg war sie. Meine frühreife Schwester, die den Kellnern andauernd sehnsüchtig-unsichere Blicke zuwarf. Mutter musste auf sie aufpassen wie ein Schießhund. Im Aufzug erwischte sie sie dabei, wie sie mit Giorgio, dem Zimmerkellner Händchen hielt. Nachts um 12 musste sie sie aus den Klauen eines amarettobefuselten Fischerjungen befreien, der, selber noch ein halbes Kind, offensichtlich vorhatte, Schwesterherz das Küssen beizubringen. Für sie war das alles ein Spiel, um die Eltern, und vor allem mich, zu ärgern. Sie wusste genau, dass sie auf verbotenem Terrain schlängelte, aber was sie bei jungen Kerlen, italienischen dazu, alles in Fluß brachte, davon hatte sie keine Vorstellung.

 

Der Schwimmwettbewerb. Ich war ziemlich gut im Kraulen und hatte Kondition. Damals war mein Körper rein wie Wasser, der sich nach dem geliebten Meer verzehrt hat. Das Stillen der Sehnsucht einmal im Jahr in den grossen Ferien war die Erlösung von allen Schmerzen, das vergessen machen der peinigenden Angriffe meiner Mitschüler, meines aggressiven übermächtigen Vaters.

 

Das Verschmelzen mit dem Ozean versprach Geborgenheit. Keine Gedanken, keine Tränen, kein auf der Flucht sein. Nur schwimmen, tauchen, Luft ein, Luft aus, die Lungen voll Glück.

 

Morgens um 9 fanden sich die Mitbewerber um den Pokal „Bester Schwimmer von ALBA“ am Strand ein. Der Tag versprach heiss zu werden, flimmerndes Glühen.

 

Einmal um die einen Kilometer weit entfernte Boje im Meer herum und wieder zurück. Der Schnellste sollte gewinnen. Hmm... ganz einfach. Das war mir nur recht. Ich beobachtete die anderen Schwimmer. Muskulöse Typen mit knappen Badehosen, dann schmächtige wie ich. Ein, zwei Frauen, Deutsche, wie es schien. Welches italienische Mädchen hätte schon an einem solchen Wettbewerb teilgenommen. Die Frisur, das kalte Wasser. Algen vielleicht oder Quallen. Nein. Unmöglich. Das war nur was für Touristen. Wieder durchfuhr mich die schmerzhafte Erkenntnis, dass auch ich dazu gehörte, dass ich ein Ausländer war, der hier eigentlich nichts zu suchen hatte ausser dem Meer, seinem ewig Verbündeten.

 

Ein clownshafter Mann mit Glatze hielt eine Pistole hoch und schrie über den Strand: Tre, due, uno. Avanti! Ich stürzte mich in die Fluten und zog sofort, überlegt und eins mit dem durchsichtigen Freund, meine Bahn. Arm unter dem Wasser, Arm über dem Wasser, Gesicht im Wasser, Gesicht in der Luft, atmen, schwimmen. Die Boje kam in Sicht. Ich erlaubte mir einen kurzen, gewitzten Tauchgang um den roten Ball herum, tauchte wieder auf und begann von Neuem. Jegliches Zeitgefühl war mir verloren gegangen. Nur das Meer und ich. Das zählte und war das Wichtigste auf der Welt.

 

Jetzt nur noch ein paar Züge, dann war ich wieder am Strand. Das glückliche und wasserkalte Gesicht abwendend, ging ich mit eiligen Schritten durch den Sand.