Nostradamus zum Mitlesen - Dess Schomerus - E-Book

Nostradamus zum Mitlesen E-Book

Dess Schomerus

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Beschreibung

Tauchen Sie ein in die geheimnisvolle Welt von Nostradamus. Dieses Buch öffnet die Tore zu den Jahrhunderten. Mutig stellt es sich den Herausforderung, die kryptischen Verse des berühmten Sehers zu entschlüsseln. Die Autorin zeigt, dass den Schlüssel dafür NOSTRADAMUS selbst liefert, der die wahren Vorhersagen - aus Furcht vor der Inquisition - in seinem Gesamtwerk verstecken musste. Sobald man dies erkennt ergibt sich eine Chronologie von Hunderten von Versen, die von den Hugenottenkriegen in Frankreich bis zum Zweiten Weltkrieg reichen und noch darüber hinaus.

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Prolog

Zitat aus der Einleitung zu “Prophezeiungen: Alter Aberglaube oder neue Wahrheit?“ Von Dr. Max Kemmerich, 1911 durch Albert Langen, München

Wer heute den Mut hat, über Prophetie zu sprechen, kann sicher sein, auf ein überlegenes Lächeln der so genannten Gebildeten zu stoßen. Der Glaube an die Möglichkeit des räumlichen, mehr noch des zeitlichen Fernsehens gilt ja als Rest finstersten mittelalterlichen Aberglaubens, so etwa wie der an Inkubus und Sukkubus. Jedermann hält es für unter seiner Würde, derartige Phänomene überhaupt zu prüfen, so wenig es jemandem einfällt, den alchimistischen Lehren anders, als mit einem Achselzucken entgegen zu treten. Wenn es also keine fernseherischen Phänomene gibt, so wird sich die Wissenschaft sicherlich durch einwandfreie Feststellung der Tatsache nichts vergeben, wohl aber in schiefes Licht kommen durch hochmütiges Ignorieren. Und das zumal in einer Zeit, die so überaus reich an umstürzenden Entdeckungen und Erfindungen ist. Man denke an die Röntgenstrahlen, Radium, drahtlose Telegraphie, lenkbare Luftschiffe usw. usw. Alle diese neuen Erweiterungen unseres Gesichtskreises lehren uns oder sollten uns doch wenigstens lehren, dass selbst das Unwahrscheinlichste, ja für unmöglich Gehaltene wirklich sein kann; dass nach wenigen Jahren dem Schulkinde selbstverständlich scheint, was die größten Denker der vorangehenden Generation für unmöglich erklärten. „Unmöglichkeit", das ist der Angelpunkt der Frage. Seit den Zeiten der Aufklärung gilt die Prophetie für unmöglich. Deshalb hat der Gebildete das Recht, einzelne Fälle des Vorhersehens zu leugnen, und wo das gänzlich untunlich ist, sie durch Zufall zu erklären. Geht er dem Problem nach — was doch voraussetzt, dass er seine Möglichkeit zugibt, wenn er auch die Wirklichkeit bestreitet — so blamiert er sich. Ich bin nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, dass etwas darum weder töricht, noch schlecht, noch viel weniger unmöglich zu sein braucht, weil die Autoritäten es behaupten. Sie haben sich dem Genialen und Neuen gegenüber regelmäßig und nahezu grundsätzlich blamiert. So als die Ingenieure bewiesen, dass es unmöglich sei, Lasten fortzubewegen, wenn glatte Räder auf glatten Schienen liefen. Oder als das Kgl. Bayerische Medizinalkollegium den Beweis erbrachte, dass die schnelle Bewegung der Eisenbahnzüge nicht nur bei den Insassen, sondern auch bei den Zuschauern die schrecklichsten Gehirnstörungen hervorrufen müsste. Dass Semmelweiß, der Entdecker des Kindbettfiebers, im Irrenhaus starb, dass es Robert Mayer, dem Entdecker des Gesetzes von der Erhaltung der Energie, ebenso gegangen wäre, wenn seine kräftige Konstitution die Misshandlungen nicht überwunden hätte, gehört nicht zu den Ruhmesblättern deutscher Geistesgeschichte.

Inhalt

Einleitung

Nostradamus – ein Scharlatan?

Große Vorhersagen oder großer Schwindel?

Das Vorwort an König Heinrich II.

Die Schlüsselsuche

Die Zeit von Napoleon Bonaparte

Nostradamus lesen und verstehen

Verse bis zum Ende des 16. Jahrhunderts

Markante Verse für das 17. Jahrhundert

Markante Verse für das 18. Jahrhundert

Bemerkungen zur Französischen Revolution

Phoenix aus der Asche

Markante Verse bis 1871

Signifikante Verse bis 1939

Verse zum 2. Weltkrieg

Vorhersagen über 1945 hinaus

Einleitung

Die Vorhersagen von Nostradamus (Centuries) sind in drei Schüben zwischen 1555 und 1558 veröffentlicht worden. Im Vorwort zum ersten Teil des Werkes gab Nostradamus an, seine Vorhersagen reichten bis ins Jahr 3797. Er selbst starb 1566. Seitdem versucht man, die in Vierzeilern gesetzten Verse zu entschlüsseln. Bisher vergebens, obwohl man schon die widersinnigsten Dinge hineininterpretiert hat, jedes Jahr aufs Neue. Viele meinen, dass es sich ohnehin um einen Schwindel handelt, um geheimnisvoll klingende, aber letztlich sinnlose Verse, ohne jeglichen prophetischen Charakter.

Im ersten Buch „Nostradamus – ein Scharlatan“ wurde dargelegt, dass viele Verse in der Tat KEINE Vorhersagen waren. Nostradamus schilderte in ihnen lediglich Ereignisse der damaligen Gegenwart und Vergangenheit. In diesem Buch nun wird bewiesen werden, dass dies aber nur Füllwerk war für den Rest der Verse, in denen durchaus echte Vorhersagen enthalten waren. Er hat also sein Werk aufgebauscht. Das kann man ihm vorwerfen. Geht man aber ein wenig in die Tiefe, gab es dafür sogar gute Gründe.

Der Schlüssel zum Verständnis seiner hellseherischen Fähigkeiten liegt in dem Vorwort zum letzten Teil der Veröffentlichung, die er 1558 seinem König widmete. In diesem Vorwort findet sich, im Text versteckt, ein Überblick über die europäische Geschichte vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis hin zum 2. Weltkrieg; tatsächlich reichen nur wenige Verse der Centurien noch darüber hinaus.

Die Verse sind auch nicht chiffriert, wie vielerorts behauptet worden ist. Man muss nur lernen, die Ausdrucksweise des Autors zu verstehen, der alle Texte bewusst unklar formuliert hat, da er nicht wollte, dass sie noch VOR den Ereignissen erkannt werden. Denn als gläubiger Christ hatte er Angst, damit die Geschichte zu verändern und dem göttlichen Willen entgegen zu handeln.

Aber er wollte der Nachwelt Zeugnis davon geben, dass ER diese Entwicklung durchaus schon so detailliert gesehen hatte. Dafür hat er verschiedene Fährten gelegt, wie bei einer Schnitzeljagd, damit man zu gegebener Zeit alles unzweifelhaft erkenne. Er selbst hatte dazu angegeben, dass dies ca. 500 Jahre später dann der Fall sein würde (Vers 94 der III. Centurie).

Es ist nun also so weit, das wahre Genie Nostradamus zu erkennen.

Bewusst habe ich darauf verzichtet, auf Dutzende von Büchern zu verweisen oder diese aufzunehmen, die ich im Laufe der Jahre zu dem Thema gelesen habe. Hilfreich war mir ohnehin nur das wirklich anständige Standartwerk von Edgar Leonie, „Nostradamus and his Prophecies“, in der „Dover Edition“ aus 2000 in Wiedergabe des Originals aus 1961. Hilfreich war es vor allem durch die Recherchen zu Orten und Personen und den ernst gemeinten Versuch, eine objektive Übersetzung der Texte ins Englische zu finden. Dies ist bei den Texten wirklich schwierig aufgrund der vielen unbekannten oder von antiken Sprachen abgeleiteten Begriffen. Mir ist keine Übersetzung ins Deutsche bekannt geworden, die genauso sorgsam war und so musste ich sie erst schaffen.

Nostradamus – Ein Scharlatan?

Unter diesem Titel wurde mein erstes Buch veröffentlicht. Es enthält eine ziemlich ausführliche Beschreibung über die berühmten Vorhersagen und den historischen Hintergrund derselben. Was ist davon zunächst in Erinnerung zu rufen?

Zur Person des Nostradamus sollte man wissen, dass er als Pestarzt tätig war, und wohl auch seine erste Frau an der Epidemie starb. 1548 heiratete er eine betuchte Witwe, ließ sich in Salon in der Provence nieder und begann wohl erst ab diesem Zeitpunkt, seine “Prophezeiungen” niederzuschreiben. Erst waren es Vorhersagen für die einzelnen Monate eines Jahres, die sogenannten “Presages”, die schon einen großen Bekanntheitsgrad erreichten.

1555 aber brachte er ein Buch heraus mit längerfristigen Vorhersagen unter dem Titel “Les Propheties”. In einem an seinen erst 2jährigen Sohn Cesar beigegebenen Vorwort erklärte er, dies sei der erste Teil von insgesamt 1000 Vorhersagen, die fortlaufend bis zum Jahre 3797 reichen würden. Er habe diese Vorhersagen als Verse mit 4 Zeilen niedergelegt in 10 Abschnitten zu je 100 Versen, und jeder Abschnitt sei also eine Hundertschaft, eine “Centurie”. Er gab aber keine Erklärung dafür, warum dieses erste Buch mitten in der 4. Centurie abbrach, es also nur konkret 353 Verse enthielt.

Diese erste Veröffentlichung fand große Verbreitung und im Sommer 1556 schon wurde er zu Hof geladen. Ob er den französischen König Heinrich II. traf oder dessen Geliebte, Diana de Poitiers, ist nicht verbürgt, aber bei der Königin, Katharina de Medici, soll er eine Audienz von mehreren Stunden gehabt haben.

Wahrscheinlich ebenfalls im Jahre 1556 erschien dann der 2. Teil der “Propheties”, mit den restlichen Versen der 4. Centurie, den 200 Versen der 5. und 6. Centurie, und 40 Versen der 7. Centurie, deren Rest nie auftauchte, zumindest nicht in einer Form, die sicher Nostradamus zugeschrieben werden könnte. Lediglich 2 weitere Verse, die später veröffentlich wurden, gelten noch als authentisch (Verse 41 und 42). Die Verse der Centurien 8,9 und 10 erschienen dann 1558. Sie wurden begleitet durch ein Vorwort an den König, und endeten mit der Datumsangabe des 27.6.1558. Nostradamus starb 62jährig Ende im Juni 1566.

Allgemeines zu den Versen

In der Auseinandersetzung mit seinen Propheties wird einem unvoreingenommenen Leser relativ schnell Folgendes klar:

Es gibt sehr viele Verse, die einen konkreten Inhalt vermissen lassen. Es sind allgemeine Betrachtungen, die in einem Werk über “Vorhersagen” schon einmal nichts zu suchen haben. Man kann sie durchaus aus Lückenfüller betrachten, als Verse, die dazu dienten, auf die selbst angepeilte Marke von 1000 Versen zu kommen.

Bei den Versen mit einem konkreten Inhalt überwiegen diejenigen, die konkrete Orte und Gegenden vorwiegend aus Frankreich und Italien nennen, einem Land also, das Nostradamus auf Reisen selbst kennen gelernt hatte. Nur jeweils rund ein Dutzend Verse nennen Spanien oder spanische Städte, Flüsse oder Regionen, oder England, oder Städte aus Deutschland. Dänemark wird zweimal genannt, Portugal kaum mehr, und nur einmal findet man den Begriff “Americh”, was im Kontext deutlich auf „Amerika“ hindeutet. Hinzu kommt, dass ganz oft von Königen, Tyrannen, Herzögen und Päpsten die Rede ist. Dies bedeutet, dass es zumindest auf den ersten Blick an Versen fehlt, die unsere heutige, moderne Zeit zum Inhalt haben könnten oder gar die fast 2000 Jahre der Zukunft bis zum genannten Jahr 3797. Das macht bereits misstrauisch.

Umgekehrt scheint es so, dass die aller meisten Verse in der Zeit der Monarchie angesiedelt sind, also in aller Regel wohl noch vor der französischen Revolution, und auch vor der italienischen Einigung, denn mehr als 100 Verse z.B. nennen offen die Ränke italienischer Städte gegeneinander, die so typisch waren für die Zeit der Renaissance. Die Möglichkeit, dass Nostradamus von Königen nur im übertragenen Sinne spricht, er also eigentlich Präsidenten, Kanzler oder andere moderne Ämter oder Titel meint, kann relativ schnell ausgeschlossen werden, genauso wie die Annahme, die ganzen Verse seien überhaupt nur ein chiffrierter Text. Dies ergibt sich nach einer Analyse vieler Verse und der Feststellung, dass ihnen jeweils ein sehr klares Geschehen zugrunde liegt; man muss die Verse nur lesen und verstehen können.

Dies allerdings fällt zunächst wirklich schwer, denn Nostradamus schreibt nicht nur in einem alten Französisch und in Versform, sondern offenbar mit voller Absicht baut er aus dem Lateinischen oder Griechischen abgeleitete Begriffe ein, auch gerne für Volks-, Landschafts- und Ortsbezeichnungen. Er nutzt ferner Sinnbilder der Astrologie oder aus der Tierwelt und scheut sich schließlich auch nicht, ziemlich häufig selbst erfunden Begriffe einzustreuen. Wenn man aber einmal diese ganzen Verpackungen transparent gemacht hat, bleibt oft ein recht klarer Text übrig. Dabei ergab es sich dann freilich, dass für zahlreiche Verse wohl auch Ereignisse Pate gestanden hatten, die schon lange vor Nostradamus stattgefunden hatten.

Die Rhodos Verse

Recht einfach nachzuvollziehen ist dies für die osmanische Eroberung von Rhodos. Es geschah 1522, als Nostradamus ca. 18 Jahre alt war, und war für die damalige Zeit so etwas wie für uns heute der 11.September: ein ganz unglaubliches Ereignis, das zudem damals für die Zukunft des Abendlandes das Schlimmste befürchten ließ. In der Tat folgten fast zwei Jahrhunderte eines Abwehrkampfes gegen das expandierende und aggressiv agierende Osmanische Reich. Es gibt nun mehrere Verse, die eindeutig zu jenen Ereignissen passen, und zwar NUR zu jenen Ereignissen.

Zur Erinnerung: Die Insel Rhodos war ein christlicher Vorposten im östlichen Mittelmeer, eine äußere Verteidigungslinie der Christenheit erst gegen die Araber und dann gegen die Osmanen, die nach der Eroberung von Konstantinopel (in 1453) begannen, systematisch ihre Grenzen nach Westen vorzuschieben. Naturgemäß lag dafür auch aus ihrer Sicht in Rhodos eine Schlüsselposition. 1520 wurde Suleiman „der Prächtige“ neuer Sultan in Konstantinopel. 1521 eroberte er innerhalb von nur 3 Wochen Belgrad. Die Festung galt damals als die stärkste auf dem Balkan. Dann wendete er sich Rhodos zu und eroberte es 1522 nach 6 Monaten Belagerung. Danach wendete er sich nach Ungarn.

Wenn man dies weiß, fallen folgende Verse auf:

21 VI

….En Orient grand effraieur & crainte:

Esleu nouveau sustenu le grand temple,

Rode Bisance de sang Barbare taincte.

….Im Orient kommt es zu großem Terror und Furcht:

Ein Neuer erwählt, den großen Tempel zu stützen,

Rhodos Byzanz von Barbarenblut gefärbt.

In der 2. hier abgedruckten Zeile wird wohl nicht von der Amtseinsetzung von Suleiman berichtet, sondern von der eines neuen Papstes, denn der Neue regiert „den Tempe“, was die katholische Kirche meint. Das stimmt mit der Faktenlage überein, denn Leo X. starb am 1. Dezember 1521 und sein Nachfolger Hadrian VI wurde am 9.1. 1522 gewählt. Im Juni 1522 begann der Angriff der Osmanen aus Byzanz und wann sonst sollte Rhodos von ihrem Blut gefärbt sein? Rhodos war bis 1912 Teil des osmanischen Reiches und die Rückeroberung von Rhodos im 1. Weltkrieg erfolgte bei sehr geringem Widerstand.

Ähnlich klar erscheint dieser Vers:

39 IV

Les Rhodiens demanderont secours

Par le neglect de ses hoirs delaissee.

L'Empire Arabe revalera son cours,

Par Hesperies la cause redressee.

Die von Rhodos verlangen Hilfe,

durch die Nachlässigkeit der Ihren vernachlässigt.

Das arabische Reich erneuert seinen Kurs,

gegen Westen wird die Sache wiederaufgenommen

Die Hesperiden waren für die Griechen die Gegenden im Westen. Wird gegen sie vom “arabischen Imperium” der Kampf wieder aufgenommen, passt auch dies für die damalige Situation, denn die Osmanen hatten sich 1517 erst einmal gegen Ägypten gewandt. Dann kam Serbien dran, dann Rhodos, dann Ungarn. Es gibt keinen anderen geschichtlichen Kontext als den von 1522/1526, für den diese Zeilen Sinn machten. Und noch klarer ist es hier:

47 V

Le grand Arabe marchera bien avant,

Trahy sera par les Bisantinois:

L'antique Rodes luy viendra au devant,

Et plus grand mal par austre Pannonois.

Der große Araber wird vorwärts marschieren,

gebracht durch die Byzantiner:

das antike Rhodos kommt zuerst dran,

und größeres Übel für das österreichische Ungarn.

Man sieht also, dass jeweils relativ konkret Ereignisse beschrieben werden, und man sieht auch, dass sie exakt zur damaligen Situation passen und es schwer vorstellbar ist, dass “die Araber”, sollten sie in der Zukunft Europa angreifen, in dieser Reihenfolge vorgehen würden: Erst gegen Rhodos und dann ausgerechnet gegen Ungarn (lt. Provinz Pannonien). Es scheint also ziemlich absurd anzunehmen, dass dies ein Vers für die Zukunft wäre. Ähnlich liegt der Fall bei den Versen, in denen offen von Kreuzrittern gesprochen wird und dies dann oft noch in Verbindung mit Orten und Gegenden, gegen die sich die Kreuzzüge wirklich gerichtet haben.

Die Kreuzritter - Verse

16 V

A son hault pris plus la larme sabee,

D'humaine chair p'mort en cendre mettre,

A l'isle Pharos par croisars perturbee,

Alors qu'a Rodes paroistra dur espectre.

Der Weihrauch steht zum höchsten Preis,

menschliches Fleisch durch den Tod in Asche verwandelt,

Die Insel von Pharos durch die Kreuzfahrer gestört,

wenn in Rhodos “dur espectre” erscheint.

Im heutigen Französisch wäre “croisade” das Wort für Kreuzzug und der Kreuzfahrer oder –ritter wäre ein “croisé”. „La lerme sabee“, also die Träne Sabas, ist ein mittelalterlicher Begriff für Weihrauch, von dem man im Westen annahm, dass er aus dem sagenumwobenen afrikanischen Königreich Saba stamme. Die Insel Pharos liegt vor dem Hafen der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. Gibt es irgendetwas, was vermuten lässt, hier sein ein heutiges oder gar zukünftiges Ereignis geschildert? Spricht nicht gerade auch die Erwähnung des Preises von Weihrauch für eine Zeit, als dies noch eine Kostbarkeit war?

Tatsächlich gab es diesen Kreuzzug nach Alexandria wirklich: König Peter I. von Zypern leitete ihn 1365. Mit einer großen Flotte aus Venedig startend, versammelten sich die Kreuzfahrer bis Anfang September 1365 auf der hier auch im Vers genannten Insel Rhodos. Der unklare Begriff “dur espectre” könnten Peter von Zypern meinen, aber das spielt hier jetzt keine Rolle.

Auch im folgenden Vers 43 IX geht es um Kreuzritter, egal welches konkrete Geschehen beschrieben werden soll, und die Nennung von Galeeren bestätigt die Annahme, dass hier längst vergangene Zeiten geschildert wurden.

43 IX

Proche à descendre l'armee Crucigere,

Sera guettee par les Ismaëlites,

De tous cottez batus par nef Raviere,

Prompt assaillis de dix galeres eslites.

Nahe an der Landung der Kreuzfahrerarmee,

werden sie angegriffen durch die Ismaeliten,

von allen Seiten geschlagen durch das Schiff “Raviere”,

Bald angegriffen durch 10 Galeeren de Elite.

In gleicher Weise kann man den folgenden Vers aufgrund seiner konkreten Beschreibung einem Kreuzzug zurechnen, obwohl das Stichwort “Kreuzfahrer” hier fehlt:

83 VIII

Le plus grand voile hors du port de Zara,

Pres de Bisance fera son entreprinse:

D'ennemy perte & l'amy ne será,

Le tiers à deux fera grand pille & prinse.

Die größte Anzahl Segel vor dem Hafen von Zara,

nahe Byzanz soll das Unternehmen gehen:

Verlust des Feindes & der Freund nicht mehr,

macht der 3. beim 2. große Plünderungen …

Es handelt sich hier ganz offensichtlich um den 4. Kreuzzug (1202-04), denn dieser richtete sich erst gegen das hier genannte Zara und dann gegen Byzanz (das alten Konstantinopel), das geplündert wurde. Der Vers wurde mit all seinen im Text enthaltenen Hinweisen im ersten Buch ausführlich erklärt.

Der Leser erkennt anhand dieser Beispiele bereits, dass die Verse trotz einzelner Passagen, die zunächst unklar wirken und auch nicht immer zweifelsfrei aufgelöst werden können, durchaus konkret sein können. Die Vierzeiler sind also nicht etwa in einem Geheimcode geschrieben, sie sind nicht chiffriert und auch nicht erst durch Buchstaben- oder Zeilentausch mit anderen Versen verständlich.

Mit der entsprechenden Gewöhnung an die Art und Weise, wie Nostradamus seine Inhalte verpackte, ist es mir gelungen, schon Hunderte von Versen als „fake“ zu entlarven. So konnte dem Vers 20 IX, der traditionell dem Fluchtversuch des französischen Königs im Sommer 1791 zugeschrieben wird, ein ganz anderer historischer Kontext zugeordnet werden, der aufs Jahr 1231 zurückgeht.

Es fanden sich auch beschrieben die Verhaftung der Templer des Jahres 1307, der Beginn der großen Pest ab 1347, die durch Schiffe in Sizilien eingeschleppt worden ist, sodann die Eroberung von Marseille im Jahre 1423 mit der berühmten Durchtrennung der Hafenkette, die heute noch als Kriegsbeute in Valencia zu sehen ist, oder auch die Eroberung Milans im Jahre 1500.

All dies und Hunderte von Versen mehr, hatte Nostradamus gefertigt aus Ereignissen seiner eigenen Vergangenheit und Gegenwart. Er war offenbar ein Aufschneider, ein Wichtigtuer, ein Scharlatan.

Aber war er wirklich nur das, ein Wichtigtuer und Betrüger?

Große Vorhersagen oder großer Schwindel?

Nicht umsonst hat Nostradamus die Jahrhunderte überdauert: In unvergleichlicher Kontinuität werden seine Verse für jede nur erdenkliche Entwicklung der Menschheit herangezogen, und vor allem bei Katastrophen jeglicher Art liest man oft, dass Nostradamus es bereits vorhergesehen habe.

Natürlich half es dabei immer, den Originaltext zu unterschlagen oder eine tendenzielle Übersetzung beizugeben, oft weit entfernt vom französischen Text. Aber auch wenn die Übersetzung akzeptabel wäre oder ohnehin direkt der Originaltext benutzt würde: Die Vieldeutigkeit der Verse ist ein guter Nährboden für wilde Spekulationen.

Und so fand – und findet – jede Generation eine Reihe von Versen, die scheinbar das beschreibt, was gerade erst geschehen ist oder zumindest in jedem Moment geschehen mag.

Dieses Phänomen ist wahrhaftig nicht neu. Während der französischen Revolution wurde Verse von ihm repetiert, dann erneut verstärkt in den Regierungszeiten Napoleon Bonapartes und Napoleon III. Nachfolgend erlebte man dies– wie könnte es auch anders sein - bei jeder politischen Wendung Frankreichs. In dem Maße, in dem die Verse erst europäisches, dann weltweites Gemeingut wurden, vervielfältigten sich entsprechend die Interpretationen und so wurden die Weltkriege, die Nazis, die Atombombe, die Ermordung der Kennedys, die Revolution im Iran oder – jüngeren Datums – natürlich auch Personen wie Donald Trump als Bestandteil der Vorhersagen postuliert.

Einige dieser Behauptungen und Verse sollen hier in Erinnerung gebracht werden, und es sind nicht die absurdesten Interpretationen, die hier genannt werden. Ganz im Gegenteil: Bei einigen denkt man vielleicht: warum nicht? Durchaus möglich.

Zwei „Klassiker“ betreffen Ereignisse in London:

51 II 1666 September

Le sang du juste à Londres fera faulte,

Bruslés par fouldres de vingt trois les six:

La dame antique cherra de place haulte,

De mesme secte plusieurs seront occis.

“Das Blut des Gerechten wird London strafen, in Flammen schmoren bei zwanzig dreimal sechs”.... Die unklare Zahlenangabe lässt sich auch lesen als “dreimal zwanzig und sechs”, also 66, oder „drei Mal die sechs“, also 666, und in der Tat wurde London im Jahre 1666 von der Feuersbrunst betroffen, die immer noch als “Der Große Brand” in der Erinnerung ist. Dies und die fast gleichzeitige “Große Pest” wurden schon damals von vielen als Bestrafung angesehen, 17 Jahre zuvor ihren rechtmäßigen König hingerichtet zu haben, Karl I. Von ihm mag Nostradamus sprechen, beim Hinweis auf das “Blut des Gerechten”.

Aus Wikipedia: Der Große Brand von London (englisch Great Fire of London) war eine Feuersbrunst, die vom 2. bis 5. September 1666 vier Fünftel der City of London, darunter die meisten mittelalterlichen Bauten, zerstörte und etwa 100.000 Einwohner obdachlos machte, aber nach offiziellen Zahlen nur neun Personen das Leben kostete. Nur wenige Monate zuvor war London von einer anderen Katastrophe heimgesucht worden, der letzten großen Pest.

53 II London 1665/66

La grande peste de cité maritime,

Ne cessera que mort ne soit vengée:

Du juste sang par pris damne sans crime,

De la grand dame par feincte n'outragée.

Erneut wird vom “Blut des Gerechten” und nun von der “Großen Pest’” berichtet, die der Bevölkerung damals - wie auch der große Brand - als ein Sühnegericht Gottes erschien. Wikipedia: Die Große Pest von London war in den Jahren 1665 und 1666 eine Pestepidemie im Süden Englands. Sie forderte rund 100.000 Todesopfer, davon ca. 70.000 in London, was etwa einem Fünftel der Stadtbevölkerung entsprach. Die Folgen waren weitaus weniger verheerend als beispielsweise in der Zeit des Schwarzen Todes von 1347 bis 1353, doch wurde diese Epidemie als „Große Pest“ bezeichnet, weil sie eine der letzten in Europa war.

Wir bleiben bei England. Es gibt auch einen Vers zur „Glorious Revolution“, also der Thronbesteigung Wilhelms III. von Oranien im Jahre 1688/89.

89 IV London 1689 Januar

Trente de Londres secret conjureront,

Contre leur roy sur le pont l'entreprise:

Luy, fatalistes la mort degousteront,

Un roy esleu blonde, natif de Frize.

„Dreißig aus London konspirieren heimlich gegen ihren König... ein König wird gewählt, blond, geboren in Friesland.“ Eine bemerkenswert klare Aussage wird hier von Nostradamus getroffen, denn der Ort ist klar bestimmt (London) und auch die Handlung wird klar beschrieben. Friesland (Frize) ist der alte Name von Holland und nur einmal in der Geschichte Großbritanniens wurde ein König aus Friesland/Holland gewählt.

49 VIII 1695

Saturn au beuf jove en l'eau, Mars en fleiche,

Six de Fevrier mortalité donra,

Ceux de Tardaigne à Bruge si grand breche,

Qu à Ponteroso chef Barbarin mourra.

Saturn im Stier, Jupiter in Aquarius, Mars im Schützen

Sechster Februar bringt Sterblichkeit,

Jene von “T” schlagen in Brügge eine große Breche

Wenn beim “Ponteroso” der Barbaren Chef stirbt.

Aus dem Zusammenhang der 2. und 4. Zeile ergibt sich, dass an einem 6. Februar ein Chef der „Barbaren“ stirbt (also der Osmanen, denn so werden sie ja in vielen Versen von Nostradamus genannt). Parallel dazu geschieht ein Angriff in den Niederlanden, wohl Brügge oder auch Brüssel meinend, und es gibt eine bestimmte astrologische Konstellation. Diese freilich ist, wie praktisch immer bei Nostradamus, selbst für Fachleute wenig aussagekräftig.

Unbemerkt von allen oder den meisten Kommentaren kann der Vers durchaus Sinn machen: Am 6. 2. 1695 starb in der Tat der osmanische Sultan Ahmed II. und im gleichen Jahr wurde Brüssel belagert und beschossen, wobei König Louis XIV eigentlich Brügge angreifen wollte, wie hier genannt. Dies geschah am 13-15. August 1695: Eine dreitägige Beschießung Brüssels während des Pfälzischen Erbfolgekriegs zerstörte etwa 4000 Gebäude in der Stadt. Ahmed II starb in Edrine, vormals Hadrianopolis (die Begriffe Tardaigne und Ponterosa sind ungeklärt).

96 IV 1776 – 1791 Amerika und Frankreich

La soeur aisnee de l'Isle Britannique

Quinze ans devant le frere aura naissance,

Par son promis moyennant verrifique,

Succedera au regne de balance.

Die ältere Schwester von den britischen Inseln,

fünfzehn Jahre vor ihrem Bruder wird sie geboren,

wegen ihres Versprechens, das sie zu erfüllen sucht

folgt sie in der Herrschaft der Balance.

In diesem Vers sieht man die Entstehung der amerikanischen Republik vorhergesagt, 15 Jahre vor der französischen, im Jahre 1776. Ein weiterer Hinweis bezieht sich auf die „Balance“; wörtlich ist es eine Waage und als solches als „libra“ bekannt, was wieder der Begriff der romanischen Sprachen für das (britische) „Pfund“ ist (!)

Natürlich gibt es auch viele „Klassiker“, die Napoleon Bonaparte zugeschrieben werden. Der folgende Vers könnte gut darauf anspielen, da Napoleon ja nicht in Frankreich geboren ist, sondern auf der Insel von Korsika, die Italien näher liegt als Frankreich.

60 I 1769

Un Empereur naistra pres d'Italie,

Qui à l'Empire sera vendu bien cher:

Diront avec quelz gens ilz se rallie,

Qu'on trouvera moins prince que boucher.

Ein Kaiser wird nahe bei Italien geboren,

der dem Reich sehr teuer zu stehen kommt:

Man wird sagen, dass er mit den Leuten, mit denen

er sich umgibt, weniger ein Prinz ist, als ein Schlächter.

Der nachstehende Vers nimmt Bezug auf den Wechsel vom (kurzen) Waffenrock zur (langen) Robe eines Kaisers:

57 VIII 1804

De souldat simple parviendra en empire,

De robe courte parviendra à la longue

….

Vom einfachen Soldaten kommt er zum Imperium,

von der kurzen Robe kommt er zur langen....

Für die Französische Revolution werden sodann gerne diese Verse zitiert, wobei dies beim 2. Vers vor allem an „basty“ festgemacht wird, was als Bastille verstanden wird.

14 I Französische Revolution 1789?

De gent esclave chansons, chants et requestes,

Captifs par Princes et Seigneurs aux prisons:

A l'advenir par idiots sans testes,

Seront receus par divines oraisons.

Vom versklavten Volk, Lieder, Gesänge und Bittschriften,

gefangen von Prinzen und Herren in den Gefängnissen.

So wird es kommen durch kopflose Idioten,

sie werden erhalten durch göttliche Gebete.

19 II Strum auf die Bastille 1789?

Nouveaux venus lieu basty sans defence,

Occuper la place par lors inhabitable:

Pres, maisons, champs, villes, prendre a plaisance,

Faim, Peste, guerre, arpen long labourable.

Die neu gekommenen besetzen die Bastille ohne

Verteidigung, diesen bis dahin unbewohnbaren Ort:

fast nach Belieben nimmt man sich Häuser, Felder,

Städte, Hunger, Seuche, Krieg, mühselige Zeiten.

Auch Hitlers Kommen und die Atombombe sieht man prophezeit:

35 III Hitlers Geburt?

Du plus profond de l'Occident d'Europe,

De pauvres gens un jeune enfant naistra,

Qui par sa langue seduira grande troupe,

Sont bruit au regne d'Orient plus croistra.

Im tiefsten Westen von Europa, wird von armen

Leuten ein junges Kind geboren, durch seine Sprache

verführt es große Menschenmassen, sein Lärm wird zu

den Regierungen im Orient sehr anwachsen.

6 II Atombomben August 1945?

Aupres des portes et dedans deux cités

Seront deux fleaux, et oncques n'apperceu un tel,

Faim, dedans peste, de fer hors gens boutés,

Crier secours au grand Dieu immortel.

Nahe der Häfen und in zwei Städten, zwei Flammen

der Art, die nie gesehen wurden; Hunger folgt der Pest,

durch Stahl die Leute ausradiert, Schrei nach Hilfe zum

großen unsterblichen Gott.

Geht es sodann hier vielleicht um die Revolution im Iran durch den Ayatollah Khomeini…

70 I Revolution im Iran 1979?

Pluy, faim, guerre en Perse non cessee,

La foy trop grand trahira le monarque:

Par la finie en Gaule commencee,

Secret augure pour a un estre parque.

Regen, Hunger, Krieg, hören in Persien nicht auf,

der stärkste Glaube verrät den Herrscher,

wodurch das Ende in Frankreich seinen Anfang nimmt.

Geheimes Vorzeichen für einen, streng zu sein.

… oder im folgenden Vers um die Wahl von Donald Trump, wie viele neuerdings behaupten (wobei der Vers u.a. auch schon auf Cromwell angewendet worden ist)?

81 III Die Wahl von Doanld Trump?

Le grand crier sans honte audacieux,

Sera esleu gouverneur de l'armee:

La hardiesse de son contentieux

Le pont rompu, cité de peur pasmee.

Der große Schreihals, frech und ohne Schamgefühl,

wird zum Oberbefehlshaber der Armee, mit der

Unverschämtheit seiner Streitsucht, die Brücke

abgebrochen, die Stadt vor Angst wie gelähmt.

Und schließlich fehlt natürlich auch nicht eine Warnung des Sehers vor dem 11. September 2001:

97 VI Twin Towers Sept, 2001?

Cinq et quarante degrés ciel bruslera,

Feu approcher de la grand cité neufve,

Instant grand flamme esparse sautera

Quand on voudra des Normans faire preuve.

Fünf und vierzig Grad wird der Himmel brennen,

Feuer nahe der großen, neuen Stadt.

sogleich schlägt eine große Flamme hervor,

wenn man die Normannen auf die Probe stellen möchte.

…oder hatte sich Nostradamus um 2 Jahre geirrt und dafür an sich den folgenden Vers geschmiedet?

72X Twin Towers September 2001?

L'an mil neuf cens nonante neuf sept mois

Du ciel viendra un grand Roy deffraieur

Resusciter le grand Roy d Angolmois.

Avant apres Mars regner par bon heur.

Im Jahr 1999, 7. Monat,

Vom Himmel kommt ein großer König des Schreckens,

Wiederauferstanden der Große König “dÁngolmois”

Davor danach regiert Mars mit Glück.

Diese kleine Auswahl umfasst bereits Ereignisse von mehreren Jahrhunderten. Die einen werden davon ausgehen, dass es sich um hergesuchte Übersetzungen und Interpretationen handelt und schon – per se – solche „Vorhersagen“ nur Blödsinn sein können.

Andere hingegen sehen diese und viele andere Verse als Beweis dafür, dass Nostradamus wirklich in die Zukunft schauen konnte. In den allermeisten Fällen urteilen die Menschen ohne großes Detailwissen, oft auch ohne, dass sie je auch nur einen Original Vers wirklich gelesen hätten.

Der wenig respektvolle Umgang mit den Jahrhunderte alten Texten in der schnelllebigen und oberflächlichen Presse unserer Tage sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir auch ganz anders damit umgehen könnten: unvoreingenommen, kritisch, mit einer gewissen Neugier, aber kein Ergebnis von vornherein ausschließend.

Immerhin ist diese Verssammlung zu einem Klassiker geworden. Viele Menschen haben zumindest schon einmal davon gehört. Von welchen anderen Schriften des 16. Jahrhunderts könnte man das heute noch behaupten? Hunderte von Versen dieser Sammlung beinhalten nachgewiesenermaßen KEINE Vorhersagen; aber lässt sich dies auch so einfach und klar von den anderen Versen sagen?

Meine Überzeugung, dass wir es auch mit echten Voraussagen zu tun haben, begann bei der Beschäftigung mit Begleittexten, so vor allem dem Vorwort an den französischen König Heinrich II. aus dem Jahre 1558, als Nostradamus den letzten Teil seiner Centurien veröffentlichte.

Es ist nach seinen eigenen Vorhersagen nun auch an der Zeit, die Rätsel, die er hinterlassen hat, zu entschlüsseln, denn wie heißt es hier:

94 III

De cinq cent ans plus compte l'on tiendra,

qu'estoit l'ornement de son temps:

Puis a un coup grand clarté donra,

Qui par ce siecle les rendra trescontens.

In hinzugerechneten fünfhundert Jahren

wird jener, welcher eine Zierde seiner Zeit war,

durch einen großen Schlag große Klarheit bringen,

was die aus diesem Jahrhundert sehr zufrieden macht.

Das Vorwort an König Heinrich II.

Das bereits erwähnte Vorwort zu den Centurien VIII - X aus 1558 scheint auf den ersten Blick vollkommen unverständlich. Die bei Nostradamus übliche Einstreuung unbekannter Begriffe, zwei verschieden chronologische Aufrisse der gesamten Menschheits-geschichte und die Hinweise auf den “Antichristen” haben schon zu den unsinnigsten Theorien geführt. Eine davon lautet, der Bericht sei gar nicht an Heinrich II. adressiert, sondern an einen “von ihm visionär erschauten zukünftigen König von Europa”, wie z.B. Centurio behauptete (S.109) Meist wird dieses Vorwort allenfalls abgedruckt, aber eine nachvollziehbare Kommentierung ist mir nicht bekannt.

Selten scheint man daran gedacht zu haben, dass man seinem König im 16. Jahrhundert wohl kaum ein Brief geschrieben haben wird, in dem nur selbst erfundener Unsinn steht. Und man hat einen weiteren Umstand, eine alte Binsenweisheit übersehen, nämlich dass man einen Baum am Besten im Wald versteckt. Zwischen all den vielen Floskeln und unverständlich erscheinenden Ausführungen kann sich also durchaus wertvolle Information verbergen. Und so ist es dann auch: Wenn man also nicht von vornherein den Text als Unsinn abtut und sich stattdessen bemüht, hinter all den wirr klingenden Aussagen deren Kern zu sehen, eröffnet dieses Vorwort einen ganz unerwarteten Blick auf die europäische Geschichte von mehreren Hundert Jahren. So zumindest für uns, die wir auf diese Ereignisse zurückblicken.

Die Absicht, dem französischen König durchaus einen Überblick über die Zukunft zu bieten, wird dabei schon nach den einleitenden Sätzen sehr deutlich: Einem sehr weisen Herrscher widme er hier seine nächtlichen und prophetischen Kalkulationen, schrieb Nostradamus. Die meisten seien in Übereinstimmung mit astrologischen Kalkulationen verbunden. Sie bezögen sich auf verschiedene Regionen, Gegenden und Städte in ganz Europa. Obwohl schwer verständlich formuliert habe Nostradamus einen schriftlichen Bericht hinterlassen wollen über die Jahre, Orte, Städte und Regionen, in denen sich dies alles ereigne, so – wie er sagt – in den Jahren 1585 und 1606, und dann noch weit hinaus über die Ereignisse am Beginn des 7. Jahrtausends, wenn nach seinen Berechnungen die Gegner Jesus Christis und seiner Kirche sich sehr stark vermehren würden.

Ganz am Anfang also nennt er offen zwei Jahre, die ihm noch relativ nahe lagen, nämlich 1585 und 1606. Etwa in der Mitte des Textes wird dann auch noch das Jahr 1792 konkret genannt, für Frankreich insbesondere bedeutsam durch den Höhepunkt der französischen Revolution, und er schrieb dazu, dass man dort den Anschein habe werde, dass ein neues Zeitalter beginnt... „que l´on cuidera être une rénovation de siècle…“ Wir werden noch sehen, welche besondere Bedeutung dies hat.

Damals mag man diesen Daten noch keine besondere Bedeutung geschenkt haben. Sie wirkten nicht mehr und nicht weniger als andere der Verlautbarungen, die in ferne Zukunft wiesen. Aus unserer Sicht aber weisen diese offen genannten Jahre darauf hin, dass Nostradamus in dieser Vorrede wirklich eine Chronologie versteckt haben könnte, d.h. die Schilderung noch im Bereich des 16. Jahrhunderts beginnt und dann übers Jahr 1792 hinaus auch noch spätere Ereignisse einschließt.

Die Annahme, dass dies auch chronologisch geschieht, wird dadurch unterstützt, dass er vor der Nennung des Jahres 1792 zum ersten Mal von einem Antichristen spricht, erst weiter später dann Anmerkungen zu einem zweiten Antichristen kommen und er – fast schon am Ende des Textes - vom neuen und letzten Auftauchen des Antichristen berichtet . Alles deutet also darauf hin, dass nicht wahllos durcheinander irgendwelche Ereignisse geschildert werden, sondern diese in einer zeitlichen Abfolge stehen.

Alleine dies ist doch unglaublich bedeutsam, aber es wurde bisher nicht hinreichend beachtet. Reichen seine Deutungen also wirklich in die Zukunft hinein, bis ins Jahr 3797 sogar, wie Nostradamus in der Vorrede an seinen Sohn bei der Veröffentlichung der ersten Verse drei Jahre zuvor gesagt hatte? Dieser Text hier, die Vorrede an Heinrich II., sollte es eigentlich enthüllen, denn anders als in dem Begleittext der ersten Centurien an seinen Sohn hat Nostradamus hier, wenn auch schwer verständlich, konkrete Ereignisse geschildert, so wie zumindest er sie gesehen oder verstanden hat. Freilich ist praktisch kein Geschehen offen geschildert, sondern alles ist als Rätsel angelegt, mit wenigen konkreten Hinweisen.