Notärztin Andrea Bergen 1517 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1517 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Ich dachte schon, ich könnte gut mit Kindern umgehen. Aber meinem Kollegen, Dr. Siggi Baumgärtner, gelingt es wirklich, jedes Kinderherz im Sturm zu erobern. Auch die vierjährige Holly, die ich gestern mit einer Platzwunde am Kopf eingeliefert habe, vertraut im Elisabeth-Krankenhaus keinem außer ihm. Das Mädchen, das aus dem Kindergarten ausgebüchst ist, hat großes Glück gehabt. Eine Zwölfjährige hat sie von den Gleisen gezerrt, bevor ein herannahender Zug sie erfasst hätte. Dabei hat sie sich am Kopf verletzt. Mit mir und meinem Team hat Holly danach kein einziges Wort gesprochen - noch nicht einmal ihren Namen habe ich herausfinden können. Das hat mir große Sorgen bereitet. Aber ein paar Minuten mit "Doktor Siggi" und die Kleine spricht einwandfrei! Daher vermute ich, dass ihr Schweigen weder durch den Schock noch durch eine Gehirnverletzung verursacht wurde, sondern etwas anderes dahintersteckt, selektiver Mutismus vermutlich. Und da ist sie bei Siggi und seinen neuen Therapieansätzen genau in den richtigen Händen. Auch Hollys Mutter ist mehr als beeindruckt von unserem großartigen Kinderarzt!

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Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Alle feiern den Kinderarzt

Vorschau

Impressum

Alle feiern den Kinderarzt

Ich dachte schon, ich könnte gut mit Kindern umgehen. Aber meinem Kollegen, Dr. Siggi Baumgärtner, gelingt es wirklich, jedes Kinderherz im Sturm zu erobern. Auch die vierjährige Holly, die ich gestern mit einer Platzwunde am Kopf eingeliefert habe, vertraut im Elisabeth-Krankenhaus keinem außer ihm. Das Mädchen, das aus dem Kindergarten ausgebüchst ist, hat großes Glück gehabt. Eine Zwölfjährige hat sie von den Gleisen gezerrt, bevor ein herannahender Zug sie erfasst hätte. Dabei hat sie sich am Kopf verletzt. Mit mir und meinem Team hat Holly danach kein einziges Wort gesprochen – noch nicht einmal ihren Namen habe ich herausfinden können. Das hat mir große Sorgen bereitet. Aber ein paar Minuten mit »Doktor Siggi« und die Kleine spricht einwandfrei! Daher vermute ich, dass ihr Schweigen weder durch den Schock noch durch eine Gehirnverletzung verursacht wurde, sondern etwas anderes dahintersteckt, selektiver Mutismus vermutlich. Und da ist sie bei Siggi und seinen neuen Therapieansätzen genau in den richtigen Händen. Auch Hollys Mutter ist mehr als beeindruckt von unserem großartigen Kinderarzt!

Mit einem lauten Knall zerbrach die Tasse auf dem Fliesenboden.

»O nein, so ein Mist!«

Marit stieß eine Reihe von Schimpfwörtern aus, begleitet von wütenden Lauten.

Es war ihre Lieblingstasse gewesen. Sie hatte sie von ihrem Papa bekommen. Das Bild darauf zeigte ihn mit erhobenem Golfschläger. Marit erinnerte sich noch an das internationale Golf-Turnier, bei dem er Sieger geworden war.

»Was ist passiert?« Lisbeth, die langjährige Haushälterin im Buchroederschen Haushalt, kam in die Küche und sah das Malheur. »Die schöne Tasse!«, sagte sie mit einem mitleidigen Seufzer. Sie wusste, wie viel die Tasse ihrem Schützling bedeutete.

»Ach, Lisbeth!« Schniefend sank Marit ihr in die Arme. »Ich hab wieder diese blöden Schmerzen in der Hand. Da konnte ich die Tasse nicht mehr festhalten.«

Lisbeth tätschelte ihr tröstend den Rücken. »Bestimmt wird dein Vater dir eine neue Tasse schenken.« Sie machte sich daran, die Scherben aufzuklauben. Marits Hilfe lehnte sie ab. »Schone deine Hände, Liebling. Das ist aber auch dumm mit deinen ewigen Schmerzen.«

Marit glitt auf einen der Hocker an der Kücheninsel. »Sind das wirklich Wachstumsschmerzen?«

»Das hat zumindest Dr. Berthold gesagt.« Lisbeth war mit Marit wegen ihrer Schmerzen schon zweimal beim Hausarzt gewesen.

»Dann will ich lieber nicht mehr weiter wachsen. Mir tun die Füße weh, die Knie, der Rücken ... Das ist doch nicht normal!«

Nein, normal war es für eine Zwölfjährige sicher nicht, musste Lisbeth ihr recht geben.

Sie war zwar erleichtert gewesen, als Dr. Berthold Marits Schmerzen als Wachstumsschmerzen abgetan hatte, aber sie hatte auch den Eindruck gehabt, dass er mit seiner Diagnose zu voreilig gewesen war. Er hatte Marit nicht einmal gründlich untersucht. Da konnte doch auch eine ernsthafte Erkrankung dahinterstecken.

»Ist der Vater deiner neuen Freundin Franzi nicht Kinderarzt?«, fiel es ihr ein.

Marit nickte. »Ja. Er ist echt nett. Und Franzis Mama ist Notärztin, die ist auch nett. Ich war schon mal bei ihnen. Ihre Villa ist sogar noch größer als unsere.«

Lisbeth machte ein zweifelndes Gesicht. »Das kann ich mir nur schlecht vorstellen.« Für sie war die Villa des Golf-Millionärs Ben Buchroeder die größte und schönste weit und breit.

»Die Villa hat auch einen Anbau, wo Dr. Bergen seine Praxis hat«, erklärte Marit.

Lisbeth warf die Scherben in den Abfalleimer und machte sich daran, den verschütteten Tee aufzuwischen.

»Wir sollten uns bei ihm einen Termin für dich geben lassen«, sagte sie entschieden. »Ich werde mal in seiner Praxis anrufen.«

Marit rieb sich die noch immer schmerzende Hand. »Was ist, wenn auch er meint, dass es nur Wachstumsschmerzen sind?«

»Dann müssen wir es eben glauben.«

»Hast du auch Wachstumsschmerzen gehabt, Lisbeth?«

»Ja, so ähnlich. Weil ich so groß war und so schnell gewachsen bin. Da hat mir immer mal was wehgetan.« Lisbeth war mit dem Aufwischen fertig und schaltete den Wasserkocher ein, um für Marit neuen Tee zuzubereiten. »Welche Tasse möchtest du dir nun nehmen?«

Marit blickte auf die verschiedensten Tassen, die über ihr an einer Vorrichtung hingen. Unschlüssig blickte sie von einer zur anderen. Schließlich fiel ihre Wahl auf die mit dem niedlichen Igel. Als sie ihre Hand danach ausstrecken wollte, zuckte sie mit einem Schmerzenslaut zurück und griff sich an die Schulter.

»Lisbeth! Jetzt tut mir der ganze Arm weh!« Marits braune Augen wurden feucht vor Tränen.

Lisbeth holte ihr die gewünschte Tasse herunter. »Vielleicht nur eine Verspannung. Kann sein, dass du gestern das Reiten etwas übertrieben hast. Drum hast du jetzt einen Muskelkater.«

Marit rieb sich den ebenfalls schmerzenden Nacken. »Glaub ich nicht. Ein Muskelkater fühlt sich anders an. Das hier tut richtig weh.«

»Ich denke, du solltest mit dem Reiten mal ein paar Tage aussetzen«, schlug Lisbeth vor. »Dann siehst du, ob sich etwas an deinen Schmerzen bessert.«

Doch davon wollte Marit nichts wissen. »Ein paar Tage?«, wiederholte sie entgeistert. »So lange kann ich nicht aussetzen. Bryson würde vor Sehnsucht nach mir sterben. Und ich vor Sehnsucht nach ihm!«

Marit besaß ihr eigenes Reitpferd, ein amerikanisches Quarter Horse, das sie im Reiterhof Marienberg untergestellt hatte. Sie ritt jeden Tag und kümmerte sich vorbildlich um ihr Pferd. Oft ritt sie mit Franzi Bergen aus, die im gleichen Alter war und mit der sie sich bestens verstand.

»Kann ich nicht eine Schmerztablette haben?«, bat Marit weinerlich.

Es war sonst nicht ihre Art, so empfindlich zu sein. Aber die Schmerzen strahlten jetzt bis in den Rücken aus.

Lisbeth betrachtete sie mitleidsvoll. »Schmerztabletten sollte man nur im Notfall nehmen«, belehrte sie das Mädchen. »Man kann sich daran gewöhnen und sogar süchtig werden. Außerdem heilen Schmerzmittel nicht. Sie unterdrücken den Schmerz, was nicht gut ist. Schmerzen sind ein Warnzeichen, dass im Körper etwas nicht in Ordnung ist. Da muss man dem Übel auf den Grund gehen.«

Das sah Marit ja ein. Dennoch hätte sie gern eine Schmerztablette gehabt, denn sie wollte am Nachmittag mit Franzi ausreiten. Sie wollte lieber nichts von ihren Rückenschmerzen sagen, denn sonst würde Lisbeth sie nicht zum Reiterhof fahren. So schwieg sie und trank ihren Tee, den Lisbeth inzwischen aufgebrüht hatte.

Marits Handy meldete sich. »Papa!«, rief sie erfreut, als sie sah, dass es ihr Vater war. »Wo bist du? Kommst du bald nach Hause?«

Ben Buchroeder ließ ein tiefes Lachen hören. »Mein Püppchen vermisst mich, stimmt's?«

»Das tue ich immer, wenn du fort bist, Paps. Aber ich bin kein Püppchen mehr. Ich bin fast erwachsen.«

Ihr Vater lachte wieder. »Richtig. Ganze zwölf Jahre alt, das vergesse ich immer wieder. Ich werde dich also nicht mehr Püppchen nennen, sondern – sagen wir, Prinzessin.«

»Das klingt schon besser. Wann kommst du? Bringst du mir was mit?«

»Ich bin im Moment in Birmingham. Hier findet am Wochenende ein Turnier statt. Anschließend komme ich für eine Weile nach Hause. Welche Herzenswünsche hat mein Prinzesschen denn?«

Marit musste erst überlegen. Sie hatte von ihrem Papa immer alles bekommen, was sie sich wünschte. Leider hatte sie nicht viel von ihm, denn er kannte nur seinen Sport. Doch in den Zeiten, in denen er zu Hause war, verwöhnte er sie nach Strich und Faden. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben. Lisbeth hatte sie betreut und aufgezogen.

»Ein neues Fahrrad wäre nicht schlecht, Papa«, erwiderte sie schließlich. »Ein Mountainbike.«

»Das kaufen wir lieber zusammen in der Stadt, dann brauche ich es nicht im Flieger zu befördern. Du kannst dir ja aussuchen, was dir am besten gefällt. Hast du noch einen anderen Wunsch?«

»Ooohh ... eine neue Tasse mit dir als Golfer drauf! Deine schöne Tasse ist mir heute nämlich kaputtgegangen, weil ich ...«

Sie brach ab. Ihrem Vater gegenüber wollte sie nichts von ihren Schmerzen erwähnen. Erst, wenn Dr. Bergen tatsächlich etwas Schlimmes feststellte. Vielleicht hatte sie ja Krebs in Händen und Füßen.

»Kein Problem, Prinzessin. Ich werde mit einer neuen Tasse nach Hause kommen.« Ben versprach, sie zu benachrichtigen, sobald er seinen Flug gebucht hatte.

Sie beendeten das Gespräch. Marit reckte die Arme hoch und drehte sich im Kreis. Sie freute sich sehr darauf, dass ihr Vater nach Hause kam.

»Papa ist in Birmingham, er kommt nächste Woche!«, teilte sie Lisbeth mit. Vor Freude war sie ganz aus dem Häuschen. Dann hielt sie inne, bewegte Hände, Arme und Füße. »Die Schmerzen sind weg!«, sagte sie voller Staunen.

Lisbeth lächelte froh. »Weil du abgelenkt warst, nehme ich an. Versuche mal, deine Schmerzen zu ignorieren, statt sich auf sie zu konzentrieren. Ablenkung ist das Zauberwort. Zumindest so lange, bis wir den Termin bei Dr. Bergen haben.«

Marit hielt das für eine gute Idee. Das wollte sie gern versuchen. Und sie hoffte, dass Dr. Bergen nicht wirklich eine schlimme Krankheit bei ihr feststellte. Davor hatte sie große Angst.

***

»Oh, der Pferdeschwanz ist ab!«

Verblüfft betrachtete Dr. Andrea Bergen den Kollegen Baumgärtner. Sie war auf die Kinderstation gekommen, um nach einer kleinen Patientin zu sehen, die sie vergangene Woche mit dem Rettungswagen eingeliefert hatte und bei der gestern ein angeborener Herzfehler operiert worden war.

»Guten Morgen, werte Kollegin.« Grinsend fuhr sich Dr. Siggi Baumgärtner durch das neuerdings kurz geschnittene Haar. »Ich hoffe, ich gefalle Ihnen mit meinem neuen Haarschnitt?«

Er drehte den Kopf, damit sie ihn auch von allen Seiten bewundern konnte.

Andrea musterte ihn mit kritischen Blicken. Lange Haare, Bart, Rollkragenpullover und ausgebeulte Cordhosen waren Siggis Markenzeichen gewesen. Nun kam er ordentlich geschniegelt daher, mit einem zugegebenermaßen schicken Haarschnitt, einem sorgfältig gestutzten Bart und einem blauen Arztkittel über dem T-Shirt. Nur sein breites Lächeln war das alte geblieben.

»Nun ja, nicht schlecht«, machte sie ihm ein halbes Kompliment. »An den neuen Siggi muss man sich erst gewöhnen.«

Siggis Lächeln schrumpfte etwas. »So schlimm?«

Andrea musste lachen. »Nicht schlimm. Nur anders. Aber es gefällt mir.«

»Besten Dank.« Siggis Miene erhellte sich. »Die Haare wachsen wieder nach. Und auch den Bart kann ich wachsen lassen, wenn er Ihnen so besser gefällt.«

»Es kommt ja nicht auf meine Meinung an. Hauptsache, Sie gefallen sich.« Andrea legte den Kopf schief. »Oder steckt vielleicht eine Frau dahinter, von der wir noch nichts wissen?«

Siggis schüttelte den Kopf. »Keine Frau, kein Interesse. Wie sollte ich auch Zeit für eine Frau haben?«

»Wenn man sich liebt, löst sich auch das Zeitproblem«, meinte Andrea. »Bei mir und Werner funktioniert das ja auch.«

»Weil Sie mit einem Kollegen verheiratet sind, da ist das gleich etwas anderes. Da können Sie über Berufliches plaudern und akzeptieren unterschiedliche Dienstzeiten und durch Notfälle verdorbene Wochenenden.«

»Dann müssen Sie sich eben eine Partnerin suchen, bei der diese Kriterien ebenfalls gegeben sind. Eine Ärztin, eine Polizistin ...«

»Ich bin ganz gern allein«, wehrte Siggi ab. »Da kann ich tun, was ich will und brauche keine Rücksicht auf meine Partnerin zu nehmen.« Er lachte auf. »Mir reicht ja schon meine liebe Vermieterin. Sie wissen ja, dass es Frau von Mertens Lieblingsbeschäftigung ist, mich zu bemuttern. Gestern Abend ist es bei mir zum Beispiel wieder sehr spät geworden. Ich saß noch über Fachbüchern, wälzte Probleme und versuchte Antworten auf verschiedene Fragen zu finden. Dummerweise hat sie gesehen, dass bei mir um zwei Uhr noch das Licht brannte. Ihr Schlafzimmer liegt gegenüber von meiner Wohnung über der Garage. Da hat sie mich heute Morgen abgepasst und mich belehrt, dass es nicht gesund sei, die halbe Nacht aufzubleiben und dann am Morgen zum Dienst zu fahren.«

Andrea schnitt eine kleine Grimasse. »Nun ja, sehr gesund ist es nun wirklich nicht. Welche Probleme haben Sie denn gewälzt?«

Siggi seufzte. »Ich mache mir in letzter Zeit immer häufiger Gedanken darüber, ob wir unsere kleinen Patienten auch wirklich kindgerecht behandeln. Sie sind ja keine kleinen Erwachsenen, sondern haben spezielle Bedürfnisse.«

Andrea horchte interessiert auf. »Sie denken an ganzheitsmedizinische Therapien?«

»So ungefähr. Und weniger Tabletten. Die Kinder sollen auch wissen, was in ihrem Körper vor sich geht, wenn sie krank sind. Aufklärungsarbeit, sozusagen. Was natürlich in erster Linie an die Eltern gerichtet ist. Ich denke da zum Beispiel an Mareike Klasing, unsere Herzpatientin. Die Eltern, beziehungsweise die gesamte Großfamilie, stopft das Kind mit Junkfood voll. Dabei soll es nach der Operation nur Schonkost bekommen. Ich habe allen ins Gewissen geredet, doch sie meinen, dem armen Kind müsse man eine Freude machen. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass das arme Kind hauptsächlich durch falsche Ernährung in diesen Zustand geraten ist, da ein herzkrankes Kind eine angemessene Ernährung braucht. Doch sie haben mich nur mitleidig angelächelt, als hätte ich keine Ahnung von solchen Dingen.«

Andrea nickte. »Ich verstehe Sie vollkommen, Siggi. Mein Mann steht oft vor dem gleichen Problem, wenn er übergewichtige Kinder hat und den Eltern klarmachen will, dass sie etwas ändern müssen.« Sie wollte noch einen bestimmten Fall anführen, doch da wurde sie über ihren Pager zu einem Einsatz gerufen. »Ich denke, Sie sind auf dem richtigen Weg, Siggi«, sagte sie noch, bevor sie zum Fahrstuhl lief.

Nach Mareike würde sie später sehen. Sollte zufällig jemand von den Angehörigen anwesend sein, würde sie sich nicht scheuen, Siggi zu unterstützen. Das Mädchen konnte es ruhig hören. Siggi hatte recht. Auch Kinder sollten sich darüber bewusst sein, was in ihrem Körper vorgeht und welchen Einfluss der Lebensstil auf ihre Gesundheit hat.

***

»Kein Problem, Frau Kaiser. Ich werde das Bild bei Ihnen vorbeibringen, wenn ich heute Nachmittag meine Tochter vom Kindergarten abhole.«

Stella Harmer notierte sich die Adresse und wechselte noch ein paar Worte mit der Kundin, bevor sie den Hörer auflegte.

Schade, dass sie sich nicht für eins von Großvaters Bildern entschieden hat, dachte sie bedauernd, als sie das Bild mit der Abendstimmung und den beiden Reitern am Rhein von der Wand nahm, um es einzupacken.

Sie hätte es ihm so gegönnt. Er hatte schon länger nichts mehr verkauft. Da waren die anderen Künstler wesentlich erfolgreicher.

Friedhelm Harmer war Maler und Mitglied bei den beliebten Rheintal-Malern. Gemeinsam betrieben sie eine Galerie in der Glöckner-Gasse. Stella arbeitete dort als Galerie-Assistentin und war für alle Belange zuständig. Mädchen für alles, wie sie von den Künstlern liebevoll genannt wurde.

Stella freute sich über jedes Bild, das ihr Großvater verkaufte. Leider war er nicht mehr so erfolgreich wie früher. Er wurde von Arthritis geplagt, und manchmal waren seine Hände zu nichts zu gebrauchen.

Friedhelm neigte auch dazu, schnell aufzugeben. So tatkräftig und engagiert wie seine Frau war er nie gewesen. Stellas Großmutter hatte damals die Galerie ins Leben gerufen und Ausstellungen und vieles andere arrangiert. Sie war die perfekte Organisatorin gewesen. Nach ihrem Krebstod hatte Stella diese Funktion übernommen.

Stella blickte auf die Besucher, die an den Bilderreihen entlanggingen. Kaum jemand blieb vor einem der Bilder ihres Großvaters stehen. Sie wirkten aber auch nicht mehr so lebendig wie früher. Es schien, als strahlten sie den Schmerz aus, den er beim Schaffen der Bilder in den Händen verspürt hatte.

Stella ging in den Lagerraum und wählte ein weiteres Bild der Künstlerin aus, deren Bild sie heute verkauft hatte. Am liebsten hätte sie ein Bild ihres Großvaters an die leere Stelle gehängt, doch das war gegen die Regel.

Zur gewohnten Zeit schloss sie die Galerie. Mit dem verkauften Bild unter dem Arm ging sie zu ihrem Auto, das im Hinterhof parkte. Die Adresse der Kundin war rasch gefunden.

Stella lieferte das Bild ab und fuhr weiter zum Kindergarten. Sie freute sich auf ihr kleines Töchterchen und überlegte, was sie zum Abendessen kochen sollte. Reisauflauf mit Pfirsichen, kam ihr als Erstes in den Sinn. Den liebte Holly.

Im Kindergarten angekommen, wartete die Kleine in der Garderobe auf sie.

»Gehen wir heim, Mami!«, rief sie. »Ich will nie wieder hierhin.«