Novellen in Versen - Paul Heyse - E-Book

Novellen in Versen E-Book

Paul Heyse

0,0

Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt. 1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur. Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 282

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Paul Heyse

Novellen in Versen

Lyrik

Paul Heyse

Novellen in Versen

Lyrik

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962811-85-3

null-papier.de/521

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Die Braut von Cy­pern.

Ers­ter Ge­sang.

Zwei­ter Ge­sang.

Drit­ter Ge­sang.

Vier­ter Ge­sang.

Fünf­ter Ge­sang.

Sechs­ter Ge­sang.

Die Brü­der.

Kö­nig und Ma­gier.

Mar­ghe­ri­ta Spo­le­ti­na.

Uri­ca.

Die Fu­rie.

Rafa­el.

Mi­che­lan­ge­lo Buo­narot­ti.

Die Hoch­zeits­rei­se an den Wal­chen­see.

Ers­ter Ge­sang.

Zwei­ter Ge­sang.

Drit­ter Ge­sang.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Die Braut von Cypern.

(1856)

Eduard Mö­ri­ke zu­ge­eig­net.

Erster Gesang.

Es gibt ein Buch, vor Zei­ten viel be­wun­dert, Bei Nied­ri­gen und Ho­hen wohl­ge­lit­ten, Ein welter­fah­re­ner Trös­ter, des­sen hun­dert Ge­schicht­lein sanft in Ohr und Her­zen glit­ten, In un­serm höchst an­stän­di­gen Jahr­hun­dert Ver­pönt in­des ob all­zu frei­er Sit­ten, Ein Lust­wald voll der schöns­ten Aben­teu­er, Nur, wie die Sage geht, nicht ganz ge­heu­er. Doch Stel­len gib­t’s in dem ver­ru­fe­nen Hain, Die selbst der lie­ben Ju­gend un­ge­fähr­lich. Von Bel­la­don­nen sind die Wie­sen rein, Der Weg für gu­ten Wan­del un­be­schwer­lich; Kein schnö­der Faun grins’t un­ver­schämt dar­ein, Der stren­gen Müt­ter Auf­sicht wird ent­behr­lich, Und lose Vö­gel plau­dern von Ge­schich­ten, Zwar auch ver­liebt, doch zü­gel­los mit­nich­ten. Solch ein Ge­schicht­lein – wenn ihr lau­schen wollt – Ge­lüs­tet mich, dass ich im Reim er­zäh­le. O wä­ren mei­ne Ver­se hel­les Gold Zu würd’­ger Fas­sung die­sem Licht­ju­we­le! Nie ward der Schön­heit Hul­di­gung ge­zollt An­däch­ti­ger von ei­ner Dich­ter­see­le, Nie hat Boc­ca­z sich hö­he­ren Flugs er­ho­ben – Doch still! Ich will er­zäh­len – ihr mögt lo­ben! Der Ort ist Cy­pern, je­nes Son­nen-Ei­land, Um das ein Sa­gen­meer me­lo­disch bran­det; Die Hei­mat For­tu­nats, wo kläg­lich wei­land Der bei­den Söh­ne Le­bens­schiff ge­stran­det; Auch edle Rit­ter, glü­hend für den Hei­land, Sind öf­ter hier, als nö­tig war, ge­lan­det. Wer kennt nicht Zy­per­kat­zen, Zy­per­wei­ne Und Ve­nus Cy­pria mit ih­rem Hai­ne! »Zeit: die poe­ti­sche!« wie Heb­bel sagt, Und schwer­lich meint er die ma­schi­nen­rei­che, Die sich als über­klug und alt ver­klagt, Macht sie auch noch die jüngs­ten dum­men Strei­che. In­des, so leid­lich sie mir sonst be­hagt, Zu­wei­len lohnt sich’s, dass man ihr ent­wei­che Zu Men­schen in ver­schol­le­ne Zei­ten­fer­nen, Die noch das Le­ben nicht aus Bü­chern ler­nen. Auf Cy­pern also und vor grau­en Jah­ren Gab’s einen Kauf­mann, reich an Geld und Gut, Dem stets be­wahrt vor Stür­men und Kor­sa­ren Manch wack­res Schiff sich schau­kel­t’ auf der Flut. Und doch die liebs­ten sei­ner Gü­ter wa­ren Ihm sei­ne Söh­ne, frisch an Seel’ und Blut. Er­götzt uns ja zu­meist von al­len Ga­ben Was wir nächst Gott uns selbst zu dan­ken ha­ben. Nur Ei­ner war zu sei­nem Gram ge­bo­ren, Der Schöns­te zwar, und doch sein ste­ter Kum­mer. Jed­we­de Mühe schi­en an ihm ver­lo­ren, Den trä­gen Geist zu rüt­teln aus dem Schlum­mer. Er ging um­her, wie mit ver­schloss­nen Ohren, Ver­schloss­nem Mund ein Tau­ber und ein Stum­mer, Und musst’ er ei­nem ja ein Wört­lein gön­nen, Hät­t’ ihn ein Kind an Witz be­schä­men kön­nen. Er hieß Ga­le­so. Doch bei al­len Leu­ten War’s Brauch, dass sie ihn nur Ci­mo­ne hie­ßen. Dies dunkle Wort weiß ich euch nicht zu deu­ten, Da ich des Cy­pri­schen mich nie be­flis­sen. So was wie »Töl­pel« wird es wohl be­deu­ten; Boc­cac­cio sagt es auch, der muss es wis­sen. Ge­nug, mit die­sem Na­men rief man ihn, Der ihm durch­aus nicht eh­ren­rüh­rig schi­en. Der Va­ter selbst er­gab sich in sein Los, Von vie­ren einen dum­men Sohn zu ha­ben. Am Ende ward er wirk­lich auch zu groß, Zu hof­fen auf noch un­ent­deck­te Ga­ben. Er sprach ihn also von dem Leh­rer los. Der Frucht er­zielt an sei­nen an­dern Kna­ben, Und des­sen Kunst im Schrei­ben, Rech­nen, Le­sen Nur bei dem Jüngs­ten gar um­sonst ge­we­sen. Denn all­zu rasch hat Ei­nes an­ge­schla­gen: Der Kin­der­zucht ul­ti­ma ra­tio So gut in je­nen, wie in un­sern Ta­gen. Ci­mo­ne, zwar in al­len Küns­ten roh, Be­griff die eine schnell, die Kunst zu schla­gen, Und übte sie an sei­nem Leh­rer so, Dass die­ser wack­re, vie­ler­fahr­ne Mann Im Schü­ler bald den Meis­ter sich ge­wann. Was war zu tun? Man musst’ ihn lau­fen las­sen, Ein Fül­len, dem der Zaum nicht an­zu­hef­ten. Die Brü­der gin­gen längst auf fer­nen Stra­ßen Der Bil­dung nach, den Wei­bern, den Ge­schäf­ten. Ci­mo­ne blieb da­heim und schlug ge­las­sen Die Tage, Wo­chen, Jah­re tot nach Kräf­ten. Doch sonst un­schäd­lich tat er Nie­mand weh, Und hass­te nichts, als nur das Abe­ce. Zwar schi­en er auch von Lie­be nichts zu wis­sen; Den Va­ter lieb­t’ er kaum, Gott nicht zu sehr, Sich selbst am we­nigs­ten. Denn ab­ge­ris­sen Mit wir­ren Haa­ren ging er stets um­her. Sein Sam­t­rock war, kaum an­ge­schafft, zer­schlis­sen, Und ein Ba­rett be­saß er bald nicht mehr. Der Va­ter, ihm den Un­fug zu ver­lei­den, Ließ end­lich ihn wie sei­ne Knech­te klei­den. Das war ihm eben recht. Von da an blieb er Ganz aus den Mau­ern weg der dump­fen Stadt. Ein Le­ben gleich dem ärms­ten Bau­er trieb er, Sch­lief auf dem Stroh, aß sich am Her­de satt. Sein Va­ter hat­t’ ein Land­gut, wo der Cy­per Auf Fel­sen reift’ an wohl­ge­schirm­ter Statt, Mais­fel­der wog­ten und Oran­gen­gär­ten Ihm Schat­ten, Blüt’ und Frucht zu­gleich be­scher­ten. Da braucht’ es Arme, und im Arm Ci­mo­ne’s War Mark ge­nug, um vie­re zu be­schä­men. Kein Knecht ver­maß sich, mit des Her­ren­soh­nes Ge­wal­t’­ger Mus­kel­kraft es auf­zu­neh­men. Er pfleg­te je­dem Ta­ge­werk, ob­schon es Oft nicht das feins­te war, sich zu be­que­men, Als tät’s ihm Not, den Über­mut der Kräf­te Zu bän­di­gen durch knech­ti­sche Ge­schäf­te. Mit ei­nem Faust­schlag fäll­t’ er je­des Tier, Dass ihm der Schä­del töd­lich schüt­ter­te, Und wenn sich los­ge­macht ein jun­ger Stier, Der hör­ner­wet­zend Frei­heit wit­ter­te, Ci­mo­ne fing ihn ein im Wald­re­vier, Riss ihn zu Bo­den, dass er zit­ter­te, Dann führ­t’ er ihn nach Haus, pfiff sei­nen Hun­den Und wan­der­t’ auf die Jagd für lan­ge Stun­den. Denn fast ver­gaß ich, et­was liebt sein Herz: Die bei­den Rü­den, die ihn stets um­spran­gen. Bald nahm er sie und warf sie him­mel­wärts, Um am Ge­nick sie wie­der auf­zu­fan­gen, Bald, hin­ge­la­gert, hat­t’ er sei­nen Scherz, Wenn wü­tend sie auf sei­ner Brust sich ran­gen, Und hetz­te laut die un­ge­tü­men Bes­ti­en; Es schi­en im Minds­ten nicht ihn zu be­läst’­gen. Doch auch ein nütz­li­cher Ver­gnü­gen fand sich Für ihn und sie: den stol­zen Hirsch zu ja­gen. Ein Wölf­lein auch, ein Luchs und Eber stand sich Nicht wohl da­bei, mit ih­nen es zu wa­gen. So kam mein jun­ger Wild­ling in die Zwan­zig Und schi­en dem Welt­lauf we­nig nach­zu­fra­gen, Von des Ge­dan­kens Blass nicht an­ge­krän­kelt, Doch de­sto breit­rer Brust und schlank ge­schen­kelt. Nun war’s im Juni, ei­nes Nach­mit­tags, Wo Tier’ und Men­schen große Glut be­täub­te. Das müde Meer, im Son­nen­duns­te lag’s, Kein Lüft­chen ging, das eine Wel­le sträub­te. Im tie­fen Wald an­statt des Vo­gel­schlags Klang nur der Bach, der von der Klip­pe stäub­te, Dem Hir­sche, dem Ci­mon den Rest ge­ge­ben, War heut der Tod be­que­mer als das Le­ben. Sein Jä­ger, sonst ein Freund von Vier­zeh­nen­dern, Heut schilt er selbst auf den ge­wicht’­gen Bra­ten. Es wär’ ihm lie­ber, leer nach Haus zu schlen­dern, Zu­mal er weit ins Land hin­ein­ge­ra­ten. Doch da Ge­scheh­nes sel­ten mehr zu än­dern Und oft uns drücken uns­re bes­ten Ta­ten, So geht Ci­mon, die Hun­d’ ihm nach mit Schnau­fen, Ver­dros­sen le­ckend an den blut’­gen Trau­fen. Der Wald zog sich im In­nern mei­len­weit Die Höh’n ent­lang, und schirm­te so den Rücken Land­häu­sern, die, nicht nach der Schnur ge­reiht, Mit bun­ten Gär­ten das Ge­sta­de schmücken. Die Rei­chen bar­gen hier zur Som­mers­zeit Sich mon­den­lang vor des Sci­roc­co Tücken, Und oft er­scholl am Wald­saum ih­rer Töch­ter Ge­sang und Tanz und fröh­li­ches Ge­läch­ter. Mehr braucht es nicht, dass al­len Nach­bar­pfa­den Der Men­schen­feind Ci­mo­ne stets ent­flieht. Doch heut, mit dem ver­wünsch­ten Hirsch be­la­den, Wählt er den nächs­ten Weg durch dieß Ge­biet. Zum Glück er­scheint in Stein- und Laub-Ar­ca­den Ihm nichts, was ei­nem Men­schen ähn­lich sieht; Ein je­des Haus gleicht ei­ner si­chern Ves­te, Vor de­ren To­ren Wa­che steht die Sies­te. Wie nun ganz fried­lich und ge­dan­ken­los Der klei­ne Jagd­zug wan­delt sei­ner Stra­ßen, Auf ein­mal ste­hen in ei­nes Wäld­chens Schoß Die Hun­de still und wit­tern mit den Na­sen. Ihr Jä­ger stutzt und späht; sie win­seln bloß Und fe­gen mit dem Schwanz den ho­hen Ra­sen. Da plötz­lich schim­mernd aus dem grüns­ten Schat­ten Sieht er das Wild, das sie ge­wit­tert hat­ten. Ein Fleck des Wal­des war’s, den Gärt­ner­hän­de Ent­wil­dert schon, al­lein nicht zahm ge­macht. Ein Quell sprang aus den Bü­schen vor be­hän­de Und plät­scher­t’ in ein Be­cken, über­dacht Von wil­den Ro­sen. Hohe Lor­beer­wän­de Um­heg­ten die­sen Traum der Wal­des­nacht. Von fer­ne sah das Land­haus ei­nes Rei­chen Her­über durch die im­mer­grü­nen Ei­chen. Und hier, ins Moos am Brünn­lein hin­ge­streckt, Lag eine Jung­frau, schla­fend in der Hit­ze. Ein luf­tig som­mer­lich Ge­wand be­deckt Den schlan­ken Leib bis zu der Füß­chen Spit­ze. Ci­mo­ne steht wie aus dem Schlaf ge­weckt, Wie an­ge­sengt von ei­nem flücht’­gen Blit­ze; Die Hun­de selbst, die täp­pi­schen Ge­sel­len, Sehn, dass es hier un­ziem­lich sei, zu bel­len. Ein Künst­ler, des­sen Feu­er­ge­ni­us Manch großes Irr­licht ru­hig über­ragt,Ge­nel­li, den die Zeit ver­ken­nen muss, Weil dieß Ge­schlecht nichts mehr nach Grö­ße fragt, Mal­t’ uns den Lie­bes­gott, wie er am Fuß Der Ei­che schläft. Das Wal­des­dun­kel tagt Von sei­ner Fa­ckel, die im Bo­den steht, Und ihm zur Sei­te ruht sein Kampf­ge­rät. Und eine Lö­win, fraß­be­gie­rig, schleicht Am Wald­rand zu des Kna­ben Schlum­mer­stät­te. Al­lein so­bald ihr Scheelblick ihn er­reicht – Als ob sie bang den Gott ge­wit­tert hät­te, Hebt sie die Tat­ze, duckt sich und ent­weicht. So mit den blö­den Tie­ren in die Wet­te Wird sich Ci­mon in Tie­fen sei­ner Brust Zum ers­ten Mal des Gött­li­chen be­wusst. Die Schlä­fe­rin ließ sich für­wahr nicht träu­men, Welch wil­der Sipp­schaft sie den Weg ver­leg­te. Fest lag die Wim­per mit den schwar­zen Säu­men, Kaum dass den Mund ein­mal ein Seuf­zer reg­te, Wenn sich der Wind, er­wa­chend in den Bäu­men, Mit schwü­lem Hauch um ihre Brust be­weg­te. Den blo­ßen Ar­men, die ihr Haupt um­fin­gen, War viel zu wohl, zu lö­sen ihre Sch­lin­gen. Das An­ge­sicht war frei; nur dass sich eine Der dun­keln Flech­ten um die Stirn ver­scho­ben. Die Wan­gen schim­mer­ten in Ju­gen­drei­ne, Die zar­te Brust war mäd­chen­haft ge­ho­ben. Von so viel Adel, Her­big­keit und Fei­ne War die­se se­li­ge Ge­stalt um­wo­ben, Dass auch ein größ­rer Ken­ner als Ci­mo­ne Sie nen­nen muss­te: des Ge­schlech­tes Kro­ne. Und er nun gar, mein ar­mer dum­mer Jun­ge, Sonst al­len Wei­bern blind vor­bei­ge­rannt, Er wär’ auch jetzt vor­bei mit ei­nem Sprun­ge, Doch hält ein Zau­ber sei­nen Fuß ge­bannt. So steht er vor ihr, wie mit blö­der Zun­ge Der ers­te Mensch vorm ers­ten Wei­be stand. Da aber brach Gott Va­ter selbst das Schwei­gen; Und hier – will denn kein Gott sich gnä­dig zei­gen? O heil’­ges Wun­der! ur­alt ist die Welt, Und den­noch steht am An­fang al­ler Din­ge Das Herz, in das ein Strahl der Schön­heit fällt. Als ob dich eine Schöp­fung neu um­fin­ge, Wird dir die Brust er­schüt­tert und ge­schwellt, Es trifft dich wie ein Schlag von Ad­ler­schwin­ge, Die Trä­ne fühlst du dir im Auge be­ben – Nun weißt du erst, le­ben­dig sei dein Le­ben. Sie aber, die mit himm­li­schen Or­ga­nen Nie in sich sau­gen die­se Le­bens­kraft, Die nie, in Gold und Stau­be wüh­lend, ah­nen Den rei­nen Schatz ver­klär­ter Lei­den­schaft, – Ein dump­fer Ne­bel liegt auf ih­ren Bah­nen, Be­gier al­lein dünkt ih­nen we­sen­haft; Der bleib’ uns fern, der nicht zu schei­den wüss­te Die Schön­heits­trun­ken­heit vom Rausch der Lüs­te! Es lag auf die­ses Mäd­chens Stirn und Brau­en Un­schuld’­ge Ma­je­stät, selbstun­be­wuss­te, Dass, wer nicht wür­dig war, sie an­zu­schau­en, Sich als ein Knecht vor ihr emp­fin­den muss­te. So spürt Ci­mon ein un­ge­wohn­tes Grau­en, Dem sei­ne See­le nicht zu weh­ren wuss­te; Ahnt gar vor die­sem edeln Men­schen­bil­de Die eig­ne dump­fe Nied­rig­keit der Wil­de? Ein dunk­ler Zug der An­dacht, der ihn fass­te Zum ers­ten Mal, hält sein Ge­müt im Zaum. Als ob ein schwe­res Schick­sal auf ihm las­te, Steht er von fern und wagt zu at­men kaum, Ob­wohl er wie im Fie­ber dar­auf pass­te, Dass sich, er­mun­tert aus dem letz­ten Traum, Die Wun­der­schö­ne möch­te zu ihm nei­gen Und was die Wim­per noch ver­hüllt ihm zei­gen. In­des­sen schlief das Fräu­lein im­mer fort, Wer weiß wie lang. Still war’s um die­se Stun­de; Kein le­bend We­sen nah­te sich dem Ort, Als Freund Ci­mon und sei­ne bie­dern Hun­de. Die aber spra­chen alle drei kein Wort. Die letz­tern nur – ver­zeih­lich war’s im Grun­de – Be­gin­nen end­lich doch sich lang­zu­wei­len, Da sie die Kurzweil ih­res Herrn nicht tei­len. An­fangs ver­mag sie noch ein Blick zu bän­d’­gen, Ein Fuß­tritt und ein Speer­hieb zu re­gie­ren. Doch wil­der mur­ren schon die Un­ver­stän­d’­gen, Die end­lich heu­lend die Ge­duld ver­lie­ren. Die Schlä­fe­rin er­wacht, fährt mit den Händ­chen Sich übers Ant­litz, sieht bei sei­nen Tie­ren Ci­mo­ne ste­hen, und in des Schrecks Er­blei­chen Ver­gisst sie Ru­fen, Fliehn und all der­glei­chen. Auch un­ser Freund ver­säumt, was üb­lich ist; Sich zu ent­schuld’­gen mocht’ er we­nig tau­gen. Hat­t’ er doch nur ge­harrt so lan­ge Frist, Um end­lich auch zu schaun die hel­len Au­gen. In­des er al­les um sich her ver­gisst, Ihr Licht al­lein in sei­ne Brust zu sau­gen, Be­sinnt das Fräu­lein sich, und dreist und dreis­ter Rück­keh­ren die ver­scheuch­ten Le­bens­geis­ter. Denn ob Ci­mo­ne gleich kein Mäd­chen kann­te, Sie ken­nen ihn, die alt’ und jun­gen alle, Und Man­che, der er scheu vor­über rann­te, Ge­stand sich ein, dass er ihr wohl­ge­fal­le, Ob­wohl die Welt ihn einen Töl­pel nann­te. Das Fräu­lein zwar war nicht in glei­chem Fal­le, Doch sag­te sie zu ihm mit güt’­gem Tone Und hol­dem Lä­cheln: Gu­ten Tag, Ci­mo­ne! Er aber gab den Gruß ihr nicht zu­rücke, Er starr­te nur sie an. Zu Häup­ten schoss Ein Schwin­del ihm von un­be­kann­tem Glücke, Da wie Mu­sik ihr Grü­ßen ihn um­floss. Sie ahnt nicht, was so selt­sam ihn be­rücke, Und mehr und mehr wird ihre Sor­ge groß: Wenn sei­ne Wild­heit jetzt ihn über­käme, Was fängt sie an, dass sie al­lein ihn zäh­me? So stellt das klu­ge Kind sich un­be­fan­gen Und steht mit Ho­heit auf von ih­rem Quel­le. Ein leich­tes Rot ent­brennt auf ih­ren Wan­gen, Da sie mit tap­ferm Schritt, doch nicht zu schnel­le, An ihm vor­bei­geht mit ge­hei­mem Ban­gen. Be­hüt’ dich Gott, Ci­mo­ne! spricht sie hel­le. Doch er, dem alle Men­schen­furcht ge­raubt ist, Sagt: Ich ge­leit’ Euch, Fräu­lein, wenn’s er­laubt ist. Das Jung­fräu­lein erschrickt und ist ge­neigt, Ein we­nig miss­zu­traun so sanf­ten Sit­ten. Doch wenn ein Löwe höf­lich sich er­zeigt, Wie dürf­te sich’s ein ar­mes Reh ver­bit­ten! Sie geht vor­an und staunt bei sich und schweigt, Er hin­ter ihr mit sei­nen Rie­sen­schrit­ten, Und im­mer schwankt im Gehn um sei­ne Len­den Das Hir­schen­haupt mit sei­nen vier­zehn En­den. Der Wald hört auf, und durch des Gar­tens Git­ter Tritt leich­tern Muts das schö­ne Mäd­chen nun. Hier hofft sie los­zu­wer­den ih­ren Rit­ter, Doch pflegt ein gan­zer Mann nichts halb zu tun. Ge­dan­ken­voll den Lau­ben­gang durch­schritt er Und ließ auf ihr al­lein das Auge ruhn. Erst als die Vil­la wird den Bli­cken frei, Be­sinnt er sich, dass er ein Frem­der sei. Auch lädt sie ihn nicht ein. Mit kur­z­em Gru­ße Schlüpft sie hin­ein und ach! ver­schwin­det drin­nen. Da steht er nun und hat die schöns­te Muße, Des Glückes schnel­lem Wech­sel nach­zu­sin­nen. In so be­schau­li­chem Ge­dan­ken­flus­se Ver­fällt er auf ein löb­li­ches Be­gin­nen: Er hebt den Hirsch von sei­ner Schul­ter schnel­le Und legt ihn wid­mend nie­der an der Schwel­le. Dann aber macht er ei­lig sich da­von, Als hät­t’ er, statt zu brin­gen, ihn ge­stoh­len. Ihm brennt der Kopf – er meint bei je­dem Ton, Man setz’ ihm nach, um ihn zu­rück­zu­ho­len. Durch­mes­sen ist der klei­ne Gar­ten schon, Er stürmt den Wald­weg hin auf flücht’­gen Soh­len Und macht erst Halt an je­ner Quel­le Rand, Wo er sein himm­li­sches Ver­häng­nis fand. Da bückt er sich und trinkt in lan­gen Zü­gen;. Nie ist ein Quell so la­bend ihm er­schie­nen. Ach, könn­te man des Her­zens Durst be­trü­gen Mit schlech­tem Was­ser – Man­chem würd’ es die­nen! Die Heil’­gen mö­gen sich da­mit be­gnü­gen, Poe­ten zäh­len sel­ten nur zu ih­nen, Und dürft’ ich jetzt die Tra­di­ti­on ver­let­zen, Ließ’ ich Ci­mon sich in die Schen­ke set­zen. Dieß Was­ser zwar ist kein ge­wöhn­lich Nass, Denn ih­ren Atem hat es ein­ge­so­gen; Der Duft des Haars, da sie hier nie­der­saß, Ihr Schat­te selbst ist drü­ber hin­ge­flo­gen. Und dort – was liegt in je­nem sel’­gen Gras, Das un­ter ih­rem Füß­lein sich ge­bo­gen? Ein Buch, in blaue Sei­den ein­ge­bun­den. Las sie dar­in, eh sie den Schlaf ge­fun­den? Ci­mo­ne hebt es auf, mit sei­nen Hän­den, Die grob ihm däuch­ten jetzt zum ers­ten Mal. Er öff­net’s und be­schaut’s an al­len En­den, Und auf die See­le fällt es ihm mit Qual: Wie er es im­mer dre­hen mag und wen­den, Es bleibt ihm stumm, es sagt ihm nicht ein­mal Den hol­den Na­men je­ner ein­zig Lie­ben, Der, wie er mut­maßt, vorn ist ein­ge­schrie­ben. O ihr Dä­mo­nen der ver­säum­ten Ju­gend, Nun stürmt ihr vor! Er­hab­nes Abe­ce, Wenn dein er­zürn­ter Geist her­nie­der­lu­gend Jetzt dei­nen Spöt­ter so im Elend säh’, Und du, Ma­gis­ter, des­sen Lehrer­tu­gend Ihm doch nicht wohl ge­tan, und dir so weh, Wenn, sag’ ich, ihr ihn Alle säht, den Ar­men, Trotz eu­res Grolls, – ihr müss­tet euch er­bar­men! Tief­sin­nig steht der gute Jun­ge dort, Die Hun­de kön­nen kei­nen Blick er­ha­schen. Wohl konnt’ in al­ler Welt kein and­rer Tort Des Schick­sals hä­mi­scher ihn über­ra­schen. Zu­letzt be­sinnt er sich und steckt so­fort Den Fund in eine sei­ner großen Ta­schen. Trotz­dem dass Ehr­lich­keit am längs­ten währt, Hält er, was er ge­fun­den, für be­schert. Dann geht er fort. Ja, Ärms­ter, gehe nur, Doch wirst du kaum vor Nacht nach Hau­se kom­men. Ein schlim­mer Schütz ist jetzt auf dei­ner Spur Und hat den Jä­ger auf das Korn ge­nom­men. Er hetzt ihn durch Ge­bir­ge und Wald und Flur, Em­por den Klip­pen­weg, den er er­klom­men – Hört ihr in Lüf­ten gold­ne Pfei­le klin­gen? Wie tief sie tra­fen, will ich nächs­tens sin­gen.

Zweiter Gesang.

Ein Sta­chel ist’s in ed­le­ren Ge­mü­tern, Den Dank für rei­che Wohl­tat nicht zu zol­len. Wer aber seg­net uns mit hö­he­ren Gü­tern, Als wer uns Leh­re spen­det aus dem Vol­len! Und gehn wir gar der Dicht­kunst grei­sen Hü­tern Dan­k­los vor­bei, wird uns die Muse grol­len. Nicht wei­ter führt sie mich des Lie­des Pfad, Bis ich ver­eh­rend, Uh­lan­d, dir ge­naht. Dir dank’ ich die­se Stro­phe, die elas­tisch Und leicht dem Lied sich an die Hüf­ten schmiegt, Jetzt sei­nen Wuchs be­zeich­net, streng und plas­tisch, Jetzt flat­ternd als ein Schlei­er es um­fliegt. Mit ihr hat schon Or­lan­do hoch­fan­tas­tisch Und üp­pig Don Juan die Welt be­siegt. Doch wie auch in ihr glänzt der Wel­sch’ und Brit­te, Erst For­tu­nat trägt sie nach deut­schem Schnit­te. O warum hat dein Meis­ter, ar­mer Wicht. Die Hand so jäh­lings von dir ab­ge­zo­gen! War un­er­schöpf­lich denn der Se­ckel nicht, Draus des Hu­mors Gold­mün­zen klin­gend flo­gen? Und tat dein Wün­schel­hut nicht sei­ne Pf­licht Und trug den Dich­ter flugs durch Lüft’ und Wo­gen? – For­tu­na sel­ber hat sich ab­ge­wen­det, Und For­tu­nat blieb lei­der un­voll­en­det. Hier hör’ ich Man­chen sich ins Fäust­chen la­chen. Ei, sagt ein gründ­lich kunst­ver­stän­d’­ger Mann, Ver­dankt Ihr Stoff und Form bei Eu­ern Sa­chen Boc­caz und Uh­land, was ist Euer dann? Da wär’s ein Kin­der­spiel, Ge­dich­te ma­chen. – Er ma­che sie! Wer hin­dert ihn dar­an? »Hier ist der Bo­gen noch und hier die Rin­ge!« Wir aber küm­mern uns um bess­re Din­ge. – Am Tag nach je­nem, wo im Wal­de drauß So un­er­hör­te Wun­der sich be­ga­ben, Saß in der Ha­fen­stadt im stil­len Haus Ci­mo­ne’s Va­ter, in sein Buch ver­gra­ben. Er sah ge­sund und satt und gü­tig aus Und über­sann zu­frie­den Soll und Ha­ben; Nicht den Ro­man; noch war an Cy­perns Strand Die Fir­ma T. O. Schrö­ter un­be­kannt. Wie nun von die­sen würd’­gen Fo­lio­sei­ten, Sich aus­zu­ruhn, Aug’ und Ge­dan­ken eben Hin­aus zum Fens­ter auf die Rhe­de glei­ten, Die lärmt und wim­melt von ge­schäft’­gem Le­ben, Er­dröhnt im Vor­saal ein so mann­haft Schrei­ten, Dass Tür’ und Fens­ter in den An­geln be­ben. Da­zwi­schen knurrt ein selt­sam heis­rer Ton; Die Tür geht auf, und es er­scheint Ci­mon. Ver­le­gen we­delnd, mit ver­halt­nem Bel­len Hat sich das Rü­den­paar ihm nach­ge­schli­chen. So stan­den im Ge­mach die drei Ge­sel­len Mit Bli­cken, die aufs Haar ein­an­der gli­chen. Doch hat der Jüng­ling an des Stadt­tors Schwel­len Erst Wams und Lo­cken sich zu­recht­ge­stri­chen, Und wie die Wan­gen jetzt ihm scheu ent­bren­nen, Muss, dass er schön sei, auch der Neid be­ken­nen. Der Va­ter selbst sieht ihn mit Freu­den an, Doch min­der froh die zot­ti­ge Beglei­tung. Er denkt: der Jun­ge wird für­wahr ein Mann. Wie könnt’ ich stolz sein, folg­t’ er wei­ser Lei­tung! – Mit stil­lem Seuf­zer fragt der Gute dann: Nun, lie­ber Sohn, was bringst du mir für Zei­tung? Der fasst ein Herz und sagt: Ich hät­te ger­ne, Wenn du er­laub­test, dass ich le­sen ler­ne. – Wenn jetzt auf ein­mal von den Hun­den ei­ner Sich hät­t’ im Tanz durch das Ge­mach ge­schwun­gen, In­des dem an­dern wär’ ein glo­cken­rei­ner Ten­or­ge­sang aus rau­er Brust er­k­lun­gen, Das Stau­nen uns­res Man­nes wäre klei­ner, Als da er hört, dass sei­nem großen Jun­gen, An dem die Bil­dung nie hat wol­len haf­ten, Der Trieb er­wacht ist zu den Wis­sen­schaf­ten. Der bra­ve Kauf­herr – of­fen sei’s ge­sagt – War selbst kein Freund von vie­lem Bü­cher­we­sen. Ein Buch nur gibt es, das ihm stets be­hagt, Drin die Ge­schich­te sei­nes Gelds zu le­sen. Und ein­zig dar­um hat er es be­klagt, Dass sein Herr Sohn ein Ler­ne­nichts ge­we­sen, Weil er auch ihm die Le­bens­freu­de gönn­te, Dass er dies Buch ver­ste­hen und meh­ren könn­te. Nun spricht er wür­dig­lich: Mich freut, mein Sohn, Dass dir ver­lei­det ward dein wil­des Trei­ben. Zum Ler­nen wird man nie zu alt, ob­schon Du fast schon alt ge­nug, dich zu be­wei­ben. Gleich geb’ ich in Ko­rinthos Com­mis­si­on, Dir einen Päd­ago­gen auf­zu­trei­ben, Den al­ler­treff­lichs­ten in West und Os­ten; Ich lass’ es gern mich tau­send Drach­men kos­ten. Nein, Va­ter, sagt Ci­mo­ne, spart das Geld, Ich war­te nicht so lang; mir eilt die Sa­che. Ich weiß hier einen Mann der Schu­le hält, Die Schif­fer­kin­der ler­nen da die Spra­che. Da will ich hin. Und wenn es Euch ge­fällt, Be­fehlt, dass man mir and­re Klei­der ma­che. Ich schä­me mich, so durch die Stadt zu tra­ben. Auch eine neue Müt­ze möcht’ ich ha­ben. Das war die längs­te Rede, die zu hal­ten Der jun­ge Mann sich je die Mühe gab. Man den­ke sich den freu­d’­gen Schreck des Al­ten! Er küsst den Sohn, läuft sel­ber dann hin­ab, Be­schickt den Schnei­der, heißt ihn flugs ent­fal­ten Was er an Kunst und ed­len Stof­fen hab’, Und lässt den sämt­li­chen Ver­wand­ten sa­gen, Was sich mit sei­nem Jüngs­ten zu­ge­tra­gen. Nun läuft zu­sam­men bis ins drit­te Glied Die gan­ze Freund­schaft, Kei­ner bleibt zu Haus. Doch ihm, zu des­sen Fei­er dieß ge­schieht, Wird all die Lie­b’ und Ehre bald ein Graus. Wie er nun gar die vie­len Tan­ten sieht, Stürmt er auf ein­mal blind zum Saal hin­aus, So töl­pel­haft wie je, und bleibt ver­bor­gen, Ob­wohl man nach ihm sucht in großen Sor­gen. Er saß im Pfer­de­stall und schlief die Nacht, Wie er am liebs­ten schlief, auf ei­ner Streue. Die paar Ge­dan­ken, die er sich ge­macht, Ich mei­ne fast, sie schmeck­ten stark nach Reue. Dann aber fühl­t’ er in die Ta­sche sacht Nach sei­nem Buch, und über ihn aufs Neue Kam ein Ge­wühl von himm­li­schen Ge­wal­ten Und gab ihm Mut, dem Schlimms­ten Stand zu hal­ten. Und in der Früh, da in die Schul’ am Ha­fen Die Bu­ben schwär­men, wie zum Korb die Bie­nen, Sehn höch­lich sich ver­wun­dernd mei­ne bra­ven Zy­pre­ser Freund Ci­mo­ne un­ter ih­nen. Doch er, ob­wohl ihn alle Bli­cke tra­fen, Geht sei­nes We­ges mit ge­fass­ten Mie­nen Und mit­ten in der wil­den Ju­gend Chor Stellt er be­klom­men sich dem Leh­rer vor. Das war zum Glück kein lei­di­ger Phi­lis­ter, Wie je­ner, der Ci­mon er­zog vor Zei­ten; Denn sei­nes Zei­chens ein ge­wes’­ner Pries­ter Kennt er das Le­ben von so man­chen Sei­ten. Und jetzt nach bun­ten Wech­sel­fäl­len ist er Be­stellt, den Ju­gend­un­ter­richt zu lei­ten. Der krän­ken­de Ver­dacht blieb stets ihm fer­ne, Dass ir­gend wer bei ihm sich über­ler­ne. Er kennt Ci­mo­ne wohl; wer kennt ihn nicht? Und über­dies kommt er mit sei­nen Hun­den. Der Leh­rer macht ein höf­lich ernst Ge­sicht Und weis’t die Bes­ti­en fort aus sei­nen Stun­den. Gut­wil­lig tut Ci­mon auch den Ver­zicht. Die Rü­den wer­den drau­ßen an­ge­bun­den, Und wie sie win­seln, krat­zen und ru­mo­ren, Heut hat ihr Herr nur für die Weis­heit Ohren. O gold­ne Zeit! o wun­der­vol­les Land! So­gar dem Schulzwang nehmt ihr sei­ne Schau­er. Was un­ter Schul­haus da­mals man ver­stand, War nur ein Hof mit ei­ner schat­t’­gen Mau­er. Der Him­mel lacht her­ein, vom na­hen Strand Er­klingt das Meer­ge­braus; es fliegt kein grau­er Ge­lehr­ter Staub den der­ben Wet­ter­jun­gen Hier ju­gend­mör­de­risch auf Geist und Lun­gen. Das steht und liegt und kau­ert durch­ein­an­der, Malt schlecht und recht Buch­sta­ben mit der Krei­den; Der Leh­rer mit­ten drin. Gar wohl ver­stand er, Dem Über­mut die Flü­gel zu be­schnei­den. Doch kei­nen Schü­ler wie Ci­mo­ne fand er, So lern­be­gie­rig, sit­tig und be­schei­den. Still­sit­zen lernt er heu­te schon, in­glei­chen Vom Al­pha­bet die ers­ten sie­ben Zei­chen. Und als das Nütz­li­che nun ab­ge­tan, Will man im Schö­nen auch sich wei­ter brin­gen. Der Leh­rer selbst stimmt einen Hym­nus an, Den man in Kir­chen da­mals pflag zu sin­gen, Und zu der Kin­der fröh­li­chem So­pran Lässt er sein al­tes Gei­gen­spiel er­klin­gen. Ci­mo­nen treib­t’s, dass er ein Herz sich fas­se; So gut er kann, fällt er mit ein im Bas­se. Das war ein Bass! Es wankt bei sei­nen Tö­nen Die alte Lehm­wand, die in Ris­se sprang. Nie war auf Er­den seit den Enakssöh­nen Ein Abe­ce­schütz, der so wa­cker sang. Die Hun­de hö­ren die­se Stim­me dröh­nen Und heu­len los bei dem be­kann­ten Klang, Die Bran­dung selbst hält ein in ih­rem Grim­me, Als hör­te sie Po­sei­d­ons Herr­scher­stim­me. Dann aber geht der Schü­ler stil­le fort. Be­sorgt, sein kost­bar Wis­sen zu ver­lie­ren, Sucht er sich ei­lig einen si­chern Ort. Der Weis­heit Mut­ter ist das Re­pe­tie­ren. Er zieht sein Büch­lein vor, am ers­ten Wort Be­ginnt er gleich ein ernst­lich Buch­sta­bie­ren, Doch wie er­heb­lich viel er auch ge­lernt, Vom Ziel des Stre­bens ist er weit ent­fernt. Ge­duld, mein Freund! Es kommt der Tag zum Tage, Auch der zu­letzt, der die Er­fül­lung bringt, Wo dir, dem Stau­nen­den, mit Ei­nem Schla­ge Die har­te Fes­sel von den Au­gen springt. Denkt euch hin­ein in des Adep­ten Lage, Dem end­lich Gold aus sei­nem Tie­gel blinkt: So war dem Jüng­ling, als sich lö­sen ließ Das Rät­sel ih­res Na­mens: Fl­or­de­lis. Nicht Iphi­ge­nie, wie Boc­cac­cio meint; In die­sem Punk­te fol­g’ ich an­dern Quel­len. Und wenn sie al­len Reiz der Welt ver­eint, Sie darf sich doch nicht ne­ben Jene stel­len, Die wie der Mond am Frau­en­him­mel scheint, Ver­klä­rend Tau­ri­ens un­hol­de Wel­len. Wo ist die Jung­frau, die nicht müss­te za­gen, Den Na­men die­ser Pries­te­rin zu tra­gen! Doch dieß bei­seit. Was kann dem Her­zen auch Ein Name sein? Schien’s un­serm Freun­de nicht, Als müss’ ihn ganz be­sel’­gen die­ser Hauch, Und ist er se­lig nun, da er ihn spricht? Er fühlt es wohl: »Der Nam’ ist Schall und Rauch!« Zu fern, ihn zu er­wär­men, flammt das Licht, Und frei­lich auch zu fern, die dun­keln Stel­len In sei­nem ar­men Kop­fe zu er­hel­len. Denn, was noch sonst im Büch­lein stand ge­schrie­ben, Bleibt lei­der ihm Ge­heim­nis ganz und gar. Im Abe­ce ist er nicht ste­cken blie­ben, Doch frem­de Wor­te stel­len sich ihm dar. Und wie er zor­nig sich die Stirn ge­rie­ben, Die dun­keln Lau­te wer­den ihm nicht klar. Ihm fällt nicht ein, dass etwa fremd die Spra­che; Er denkt nur, dass er Le­se­feh­ler ma­che. Nun war bei sei­nen an­dern Schul­ge­nos­sen Ein auf­ge­weck­ter Bursch von vier­zehn Jah­ren, In frem­dem Lan­de kräf­tig auf­ge­spros­sen, Ein See­manns­kind; und hier in Cy­pern wa­ren Die El­tern ihm ge­stor­ben. Aus­ge­sto­ßen, Ver­wais’t im Le­ben, musst’ er bald er­fah­ren, Wie Vie­les man zu ler­nen hat hie­nie­den, Um sich auf eig­ne Faust ein Glück zu schmie­den. So kam es, dass er bald der Ers­te ward Und ihn Ci­mo­ne sah mit stil­lem Nei­de. Doch heut, da er am Meerstrand ihn ge­wahrt, Ver­hofft er Trost von ihm in sei­nem Lei­de. Er lädt ihn ein zu ei­ner klei­nen Fahrt Ins Meer hin­aus, ins Schiff­lein sprin­gen Bei­de, Ci­mo­ne stößt mit gan­zer Macht vom Lan­de, Und bald ist ihre Gon­del fern dem Stran­de. Und wie sie jetzt auf abend­li­cher Flut Hin­trei­ben, wo die Tie­fen pur­purn blau­en, Fasst un­ser Lie­ben­der sich einen Mut, Sein Un­ge­schick dem Kna­ben zu ver­trau­en. Das Büch­lein zieht er vor aus sich­rer Hut Und heißt Pe­druc­cio mit hin­ein zu schau­en, Und ihm zu sa­gen, wenn er selbst es wis­se, Wie man die schwe­ren Wor­te le­sen müs­se. Kaum blickt der Knab’ hin­ein, so jauchzt er auf, Klatscht in die Hän­d’ und sei­ne Au­gen strah­len. Herr, das sind Lie­der, ju­belt er dar­auf, Wie man sie singt im Land der Pro­ven­za­len. Bei mir da­heim an der Du­ran­ce Lauf Hör­t’ ich sie klin­gen zu viel­hun­dert Ma­len. Und nun be­ginnt er mit den mun­tern Au­gen An der ver­trau­ten Schrift sich fest­zusau­gen. Lehr’ mich die Spra­che! sagt Ci­mo­ne schnel­le; Fang’ an beim ers­ten Blatt, und dann so fort. – Ge­hor­sam folgt sein klei­ner Schul­ge­sel­le Und lies’t und über­setzt ihm Wort für Wort. Der And­re wie­der­holt es auf der Stel­le Und birg­t’s im Geist, wie einen gold­nen Hort. Im Tak­te wiegt den Kahn das stil­le Meer, Und Abend­lüf­te schwan­ken um sie her. Du aber, was du lie­sest, weißt du kaum, Du Wai­sen­kind! Doch weiß es um so bes­ser, Der dir die Wor­te nach­spricht wie im Traum, Den Blick ver­sun­ken in des Meers Ge­wäs­ser. Und wäh­rend über ihm am Him­mels­raum Die Abend­glut sich dämp­fet, blass und bläs­ser, Fährt wie ein Sturm in sei­ne Flam­me wie­der Der sanf­te Atem die­ser Lie­bes­lie­der. Doch end­lich setzt das Zwie­licht gold­ner Ster­ne Dem Leh­rer wie dem Ler­nen­den ein Ziel. Das And­re mor­gen! spricht Ci­mon, und ger­ne Ge­lob­t’s der Kna­be. Heim­wärts fährt der Kiel Des klei­nen Boots; noch aber sind sie fer­ne, Da trifft ihr Ohr Ge­sang und Sai­ten­spiel, Und durch die Flut, von Fa­ckeln über­glom­men, Kommt ein be­kränz­tes Schiff da­her­ge­schwom­men. Ein Lust­schiff war’s, drauf die Zy­pre­se­r­in­nen Der Mee­res­küh­le man­che Nacht ge­nos­sen. Jung­frau­en mit den Müt­tern sa­ßen drin­nen, Und Jüng­lin­ge, der ers­ten Häu­ser Spros­sen. Ci­mo­ne sieht’s, und plötz­lich hält er in­nen, Von tie­fem Not das Ant­litz über­gos­sen, Denn wie der Fa­ckel­schein ihm deut­lich wies: Sie ist im Schiff, sie sel­ber, Fl­or­de­lis! Auf ei­nem Tep­pich ruht sie, dicht am Bord, Und blickt hin­über in die Mee­res­wei­ten. Zu­wei­len wech­selt sie ein flüch­tig Wort Mit je­nen Jüng­lin­gen an ih­ren Sei­ten. Auch dass sie la­che, meint der Spä­her dort Zu se­hen, zu hö­ren gar von Zeit zu Zei­ten. Ihm ist, als ob der Wohl­laut ih­rer Stim­me Durch die Mu­sik hin­durch in Lüf­ten schwim­me. Nun sieht er Ei­nen, der die Flö­te nimmt, Und ein­fällt zu des Cither­spiels Ac­cor­den. Ob die­ser Ton zu ih­rem Her­zen stimmt? Dem Spie­ler ist ein Blick zu Teil ge­wor­den, So freund­lich, dass Ci­mo­ne tief er­grimmt; Ihm zuckt die Faust, als gäl­t’ es Wen zu mor­den, Und sei­nen Zorn in et­was aus­zu­to­ben, Schlägt er ins Meer; hoch spritzt die Flut nach oben. Dieß schi­en ein Wink dem klei­nen Pro­ven­za­len, Dass sei­nen Freund nun­mehr nach Haus ge­lüs­te. Er ru­dert em­sig; kaum be­ach­tet stahlen Sie von dem Schiff sich weg zur In­sel­küs­te. Ci­mo­ne sitzt un­tä­tig und in Qua­len, Als ob Me­du­se sei­ne Lip­pen küss­te, Und da sie kaum ihr Boot ge­lan­det ha­ben, Ver­lässt er schwei­gend den be­troff­nen Kna­ben. Die Nacht war schlaf­los, – was man sel­ber näm­lich Schlaf­los zu nen­nen pflegt bei zwan­zig Jah­ren: Dass noch ein Stünd­lein vor dem Schlaf ver­nehm­lich Und klar sich Tön’ und Bil­der um uns scha­ren Und früh uns we­cken, wenn zu­vor be­quem­lich Acht Stun­den lang ge­lös’t die Glie­der wa­ren. Doch reift’ in die­ser nächt­lich kur­z­en Muße Ein wicht’­ger Plan Ci­mo­nen zum Ent­schlus­se. Er folgt dem Leh­rer, als die Schul­zeit aus, Und sagt, er hab’ ein son­der­lich Be­geh­ren. Der nimmt ihn freund­lich plau­dernd mit nach Haus Und bit­tet ihn, sich nä­her zu er­klä­ren. Ver­le­gen kommt Ci­mon da­mit her­aus, Ob er ein In­stru­ment ihn wol­le leh­ren. An Geig’ und Cither fin­d’ er groß Ge­fal­len, Doch sei die Flö­te sein Ge­schmack vor al­len. Und Je­ner sagt: Ich denk’, ich kann Euch die­nen. In man­cher Kunst hab’ ich mich um­ge­se­hen, Und auch das Flö­ten­spiel war un­ter ih­nen; Was ich Euch leh­ren kann, soll gern ge­schehn. Er öff­net einen Schrank, drin Man­do­li­nen, Vio­len, Cithern und Gui­tar­ren ste­hen, Ver­schied­ne Sai­ten auch aus Darm und Stahle Und eine Flöt’ im Le­der­fut­te­ra­le. Ci­mo­ne greift da­nach, so wie ein Kind, Das blan­kes Spiel­zeug sieht vor Au­gen blit­zen, Und eh’s der Leh­rer ihm ge­zeigt, be­ginnt Der jun­ge Mu­si­ker den Mund zu spit­zen. Doch wehe! viel zu un­ge­fü­ge sind, Zu rie­sen­mä­ßig sei­ne Fin­ger­spit­zen, Die zu des Leh­rers la­chen­dem Er­schre­cken Der Flö­ten­lö­cher zwei auf ein­mal de­cken. Mit ei­nem Blick wie wenn zu Nacht der arme Schatz­grä­ber schwin­den sieht den gold­nen Topf, Den er schon zit­ternd wog in sei­nem Arme, So steht Ci­mo­ne, kratzt sich stumm am Kopf Und legt die Flö­te weg in schwe­rem Har­me. Der Leh­rer selbst be­klagt den gu­ten Tropf, Und wie er sinnt, was er ihm Lie­bes täte, Fällt ihm ins Aug’ ein selt­sam Ton­ge­rä­te. Im Win­kel stan­d’s, ein Un­ding von Po­sau­ne, Schier ei­ner El­len weit der Fuß ge­schwun­gen. Vom glän­zen­den Me­tall war schon der brau­ne Lack hie und da bunt­sche­ckig ab­ge­sprun­gen. Der Leh­rer holt sie vor in bes­ter Lau­ne, Bläs’t ab den Staub und reicht sie dar dem Jun­gen Und sagt zu ihm: Dieß wird zu Eu­ern Ma­ßen, Mein jun­ger Freund, ver­mut­lich, bes­ser pas­sen. Wohl hat er Recht; sie pas­sen für ein­an­der, Wie einst die Keu­le zu Alk­me­ne’s Sohn, Bu­ce­pha­lus zum jun­gen Alex­an­der Und je­ner arge Turm zu Ba­by­lon. Von sel­ber schon den richt’­gen An­satz fand er Und stieß her­vor solch einen freu­d’­gen Ton, Dass sich der Leh­rer stracks die Ohren hält Und ihn hin­aus­führt in das freie Feld. Nun gin­gen sie zu­sam­men vie­le Wo­chen Ins Wald­ge­birg, der ed­len Kunst zu pfle­gen. Auch man­ches Wort wird un­ter­wegs ge­spro­chen, Und lang­sam lernt Ci­mon die Zun­ge re­gen. Am Wis­sen zwar hat Je­ner nur ge­ro­chen, Doch braucht’ er Kopf und Au­gen al­ler­we­gen; Er kennt den Welt­lauf, frem­der Völ­ker Brauch, Und Ein’­ges von Ge­schich­te weiß er auch. Er war dem Jun­gen bald so zu­ge­tan, Wie nur ein Bru­der kann den Bru­der lie­ben. Hört, Bes­ter, fing er einst im Wan­dern an, Nach­dem sie im Ge­bir­ge Mu­sik ge­trie­ben, Ihr ta­tet, wie mir scheint, nicht wohl dar­an, Dass Ihr nur im­mer so für Euch ge­blie­ben. Was ich ver­mag, will ich Euch ger­ne ge­ben, Al­lein das Bes­te lernt man doch vom Le­ben. Geht in Ge­sell­schaft! mei­det nicht so scheu Das jun­ge Volk im Wein­haus und Thea­ter! – Ci­mo­nen war die Rede gar nicht neu, Al­lein ver­drieß­lich, wenn sie kam vom Va­ter. Dem Freund ver­sprach er’s, und dem Wor­te treu Den ers­ten Schritt ins neue Le­ben tat er Und steu­ert herz­haft noch den­sel­ben Tag