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Nur der silbern leuchtende Mond schaut zu, als Nicole und Thorne am Flussufer ihrer zärtlichen Leidenschaft füreinander nachgeben. Siebzehn Jahre haben sie einander nicht gesehen, doch die alte Anziehungskraft zwischen ihnen ist sofort wieder aufgeflammt. Aber in siebzehn Jahren hat sich viel geändert: Thorne McCafferty hat sich in einen eiskalten Geschäftsmann und Millionär verwandelt, für den feste Bindungen ein Fremdwort sind. Nicole dagegen trägt die Verantwortung für zwei süße Töchter – und das schließt eine Affäre aus. Egal, was ihr Herz sagt ...
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Seitenzahl: 197
IMPRESSUM
Nur für eine Mondnacht erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2000 by Susan Crose Originaltitel: „The McCaffertys: Thorne“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA, Band 1646 Übersetzung: Dagmar Heuer
Umschlagsmotive: YakobchukOlena, Steve_Gadomski / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2023
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751522977
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Im letzten Sommer
„Offen gesagt, mein Sohn, habe ich eine Bitte an dich“, erklärte John Randall McCafferty von seinem Rollstuhl aus. Er hatte Thorne gebeten, ihn nahe an den Zaun zu schieben, der ein Stück vom Haupthaus der Ranch entfernt lag.
„Ich mag gar nicht fragen, um was es geht“, bemerkte Thorne.
„Es ist ganz einfach. Ich wünsche mir, dass du heiratest. Du bist neununddreißig, Matt ist siebenunddreißig und Slade – nun, er ist noch ein Junge, aber immerhin sechsunddreißig. Niemand von euch ist verheiratet, und ich habe kein einziges Enkelkind – jedenfalls nicht eines, von dem ich wüsste.“ Er runzelte die Stirn. „Selbst eure Schwester ist noch nicht sesshaft geworden.“
„Randi ist erst sechsundzwanzig.“
„Höchste Zeit“, sagte John Randall McCafferty. Er war zwar nur noch ein Schatten seiner selbst, umklammerte aber so fest die Armlehnen seines Rollstuhls, dass seine Knöchel kreideweiß durch die Haut schimmerten. Ein alter Afghanenteppich bedeckte seine Beine, obwohl das Thermometer an der Nordseite der Scheune fast siebenundzwanzig Grad anzeigte. Auf seinem Schoß lag ein Gehstock. John Randall war er verhasst, weil er ihm immer wieder vor Augen führte, wie sehr sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hatte.
„Ich meine es ernst, mein Sohn. Ich möchte nicht, dass die McCaffertys mit euch drei Jungs aussterben.“
„Was für eine veraltete Denkweise.“ Thorne würde sich nicht unter Druck setzen lassen. Weder von seinem Vater noch von irgendjemand anders.
„Und wenn schon. Verdammt, Thorne, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, mir bleibt nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt!“ John Randall schob den Stock von seinem Schoß und stieß ihn mit Nachdruck in die Erde. Sein alter Jagdhund Harold, der auf der Veranda lag, gab ein verstimmtes Bellen von sich.
„Ich verstehe dich nicht“, ereiferte er sich. „Das hier könnte alles dir gehören, Junge. Alles.“ Er beschrieb mit seinem Stock einen weiten Bogen, und Thornes Blick folgte der Bewegung.
Auf einer Weide sprangen dünnbeinige Fohlen herum, nahe dem ausgetrockneten Flussbett wanderte eine Herde rotbrauner, schwarzer und brauner Rinder träge umher. Die Farbe der Scheune war abgeblättert, die Fenster der Ställe mussten erneuert werden. Der ganze verdammte Ort sah aus, als wäre er von der gleichen zehrenden Krankheit befallen wie sein Besitzer.
Die Flying-M-Ranch. Thornes Zuhause, so lange er zurückdenken konnte.
Und der ganze Stolz und die größte Freude des alten McCafferty. Inzwischen hatte sein Vorarbeiter die Leitung übernommen, da John Randall zu krank und seine Kinder mit ihrem eigenen Leben zu beschäftigt waren.
Thorne betrachtete das hügelige Land mit gemischten Gefühlen. „Ich heirate nicht, Vater. Jedenfalls nicht so bald.“
„Erzähl mir nicht, dass du dir erst noch einen Namen machen musst. Du hast es schon geschafft, Junge.“ Aus alten, blassblauen Augen sah McCafferty zu seinem Sohn hinauf. Er blinzelte, als ihn die starken Strahlen der Sonne über Montana blendeten. „Wie viel besitzt du jetzt? Fünf Millionen?“
„Ungefähr sieben.“
Sein Vater stöhnte. „Schau mich an. Was hat mir das viele Geld gebracht? Zwei Frauen, die mich bei der Scheidung ausgeblutet haben, und immerzu einen Haufen Sorgen, das alles zu verlieren. Nein, auf Geld kommt es nicht an, Thorne. Es sind die Kinder und das Land. Verdammt noch mal!“
Er biss sich auf die Unterlippe, während er tief in seine Jackentasche griff. „Wo zur Hölle ist dieser … oh, hier haben wir ihn.“ Langsam zog er einen Ring hervor, der im Sonnenlicht blinkte.
Thorne zog sich der Magen zusammen, als er den ersten Hochzeitsring seines Vaters erkannte. Er hatte ihn seit mehr als einem Vierteljahrhundert nicht mehr gesehen.
„Ich möchte dir das hier geben“, sagte der alte Mann und hielt ihm den Goldring mit seiner ungewöhnlichen silbernen Gravur hin. „Deine Mutter hat ihn mir zu unserer Hochzeit geschenkt.“
„Ich weiß.“ Thorne spürte, dass es ein Fehler war, den Ring anzunehmen. Er fühlte sich kalt und hart an in seiner Hand, ein Stück Metall, das keine Wärme und keine Freude ausstrahlte.
„Versprich es mir, mein Junge.“
„Was?“
„Dass du heiratest.“
„Eines Tages“, antwortete Thorne, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Warte nicht zu lange, bitte. Wenn ich diese Erde verlasse, will ich wissen, dass du eine Familie hast.“
„Ich denk darüber nach“, sagte Thorne. Das kleine Schmuckstück aus Gold und Silber in seiner Tasche schien plötzlich tonnenschwer zu sein.
Grand Hope, Montana
Oktober
Dr. Nicole Stevenson fühlte, wie das Adrenalin durch ihren Körper schoss. So wie jedes Mal, wenn ein neues Unfallopfer in der Notaufnahme des St. James Hospitals eingeliefert wurde.
Sie sah den Ernst in Dr. Maureen Oliverios Augen, als ihre Kollegin den Telefonhörer auflegte. „Der Hubschrauber ist da! Auf geht’s, Leute!“ Das hastig zusammengerufene Team von Ärzten und Krankenschwestern reagierte. „Die Sanitäter bringen die Patientin. Sie übernehmen, Dr. Stevenson.“
„Was wissen wir?“, fragte Nicole.
Dr. Oliverio eilte durch die Schwingtür voraus. „Autounfall oben im Glacier Park. Eine Frau, Ende zwanzig, hochschwanger. Brüche, innere Verletzungen, Gehirnerschütterung. Wir kommen wohl um einen Kaiserschnitt nicht herum. Während der Entbindung versuchen wir, so viel wie möglich gleich mit zu machen. Hat jeder verstanden? Bis zum OP ist Dr. Stevenson für die Patientin verantwortlich.“
Die Türen flogen auf, und zwei Sanitäter rollten eine Tragbahre in die Notaufnahme.
„Wie sehen ihre Werte aus?“, erkundigte sich Nicole bei einem der Krankenpfleger. „Was ist mit dem Baby?“
„Blutdruck normal, 110 zu 75. Puls 62, leicht sinkend …“ Während der Sanitäter die Daten im Telegrammstil wiedergab, sah Nicole auf die bewusstlose Patientin hinunter. Ihr Gesicht, früher wohl einmal hübsch, war jetzt blutverschmiert und voller Prellungen. Ihr runder Bauch zeigte, dass sie kurz vor dem Geburtstermin stand. Aus einem Tropf floss Flüssigkeit in ihren Arm, ihr Nacken und ihr Kopf waren abgestützt.
„Gut.“ Nicole nickte. „Okay, okay, wir müssen die Mutter stabilisieren.“
„Wurde der Ehemann benachrichtigt? Haben wir eine Einwilligung?“, fragte Dr. Oliverio.
„Keine Ahnung“, erwiderte ein Krankenwärter. „Die Polizei versucht ihre Verwandten ausfindig zu machen. Laut Ausweis ist ihr Name Randi McCafferty.“
Oh, Gott! Nicoles Herz blieb fast stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie nicht mehr klar denken, gab sich dann aber sofort innerlich einen Ruck. „Bist du sicher?“, fragte sie den Sanitäter.
„Absolut.“
„Randi McCafferty“, wiederholte Dr. Oliverio und holte tief Luft. „Meine Tochter ist mit ihr zur Schule gegangen. Ihr Vater ist tot – John Randall war mal ein wichtiger Mann in dieser Gegend. Ihm gehörte die Flying-M-Ranch ungefähr dreißig Kilometer außerhalb der Stadt. Randi hat drei Halbbrüder.“
Und Thorne ist einer von ihnen, dachte Nicole.
„Weiß man etwas über den Ehemann oder den Freund? Das Kind muss doch einen Vater haben“, beharrte Dr. Oliverio.
„Ich weiß nicht. Hab nie von einem gehört“, antwortete der Sanitäter.
„Der Blutdruck sinkt, Doktor, 100 zu 60“, sagte eine Krankenschwester.
„Du lieber Himmel.“ Nicoles Herz fing heftig an zu klopfen. Komm schon, Randi, drängte sie innerlich. Wo bleibt der gute alte McCafferty-Kampfgeist?
„Der Anästhesist ist unterwegs.“ Dr. Oliverio fing Nicoles Blick auf. „Brummel ist ein guter Mann. Er ist gleich hier.“
„Der Wehenschreiber ist angeschlossen“, meldete eine Krankenschwester, als der Arzt, ein dünner Mann mit einer randlosen Brille, durch die Tür kam.
„Was haben wir hier?“, erkundigte er sich, während sein Blick schnell über die Patientin glitt.
„Eine Bewusstlose nach einem Autounfall, kurz vor der Entbindung. Allergien unbekannt, keine Krankenakte, aber wir überprüfen das“, antwortete Nicole. Kurz zählte sie ihm die Befunde auf.
„Der Blutdruck der Mutter stabilisiert sich“, rief eine Schwester, doch Nicoles Anspannung hielt an.
„Ich bin in einer Minute bereit“, sagte Dr. Brummel hinter seiner Maske. „Auf geht’s.“
„Ein Arzt ist in Bereitschaft, der sich um das Neugeborene kümmern wird“, informierte Nicole den Anästhesisten und überprüfte Randis Werte ein letztes Mal. „Patientin ist stabil.“
Sie sah in die Runde des Teams. „Okay, Kollegen, ich überlasse euch die Patientin.“
Thorne fuhr wie ein Wahnsinniger. Vor weniger als drei Stunden hatte er telefonisch von Slade erfahren, dass Randi einen Autounfall im Glacier Park gehabt hatte.
Thorne hatte sich zu diesem Zeitpunkt in den Büros von McCafferty International in Denver aufgehalten und war sofort losgefahren. Er hatte seine Sekretärin beauftragt, alle weiteren Termine abzusagen, sich aus einem Schrank seinen Seesack geschnappt und war zum Flugfeld gerast. Innerhalb einer Stunde hob er ab und flog den Firmenjet direkt zum privaten Landeplatz der Ranch.
Ohne seine Brüder zu kontaktieren, hatte er sich die Autoschlüssel des kleinen Pick-up gegriffen und sein Gepäck ins Auto geworfen, um direkt zum St. James Hospital in Grand Hope zu fahren, wo seine Schwester um ihr Leben kämpfte. Er drückte das Gaspedal fest durch und nahm eine Kurve mit quietschenden Reifen.
Aufgrund des schlechten Telefonnetzes in dieser Gegend war der Anruf von seinem Bruder Slade plötzlich unterbrochen worden. Daher wusste Thorne nicht genau, was los war. Aber er hatte verstanden, dass Randis Leben am seidenen Faden hing und dass die Aufnahmeärztin Stevenson hieß.
Nächtlich dunkle Felder flogen vorbei. Die Scheibenwischer kämpften gegen den Eisregen an, während Thorne die Zähne zusammenbiss.
Was zum Teufel war passiert? Was hatte Randi in Montana verloren, wo sie doch in Seattle arbeitete? Was hatte sie im Glacier Park gemacht?
Erinnerungsfetzen an das Gespräch mit Slade gingen ihm durch den Kopf. Hatte Slade nicht erwähnt, dass Randi schwanger war? Unmöglich. Er hatte sie vor weniger als sechs Monaten gesehen. Sie war unverheiratet und hatte noch nicht einmal einen festen Freund. Oder vielleicht doch? Was wusste er wirklich über seine Halbschwester?
Nicht besonders viel.
Schuldgefühle plagten ihn. Du hättest dich mehr kümmern sollen. Schließlich bist du der Älteste. Es war nicht ihr Fehler, dass ihre Mutter vor fünfundzwanzig Jahren deinen Vater verführt und John Randalls erste Ehe zerstört hat. Es ist nicht ihre Schuld, dass du immer so verdammt mit deinem eigenen Leben beschäftigt bist.
Dutzende von Fragen schwirrten ihm durch den Kopf, als er in der Ferne die Lichter der Stadt erblickte.
Bald würde er Antworten bekommen.
Falls Randi überleben sollte. Seine Hände umklammerten das Lenkrad.
Thorne McCafferty.
Er war der Letzte, mit dem Nicole etwas zu tun haben wollte. Aber ohne Zweifel würde er bald hier sein. Während sie ihre Operationshandschuhe auszog, gab sie sich den Befehl, sich zusammenzureißen. Er war lediglich ein Angehöriger einer Patientin, mehr nicht.
Als sie nach ihrer Scheidung hierher gezogen war, wusste sie, dass sie Thorne nicht immer und ewig aus dem Weg gehen konnte. Grand Hope war immer noch eine kleine Stadt, und John Randall McCafferty war einer ihrer einflussreichsten Bewohner gewesen. Seine Söhne und seine Tochter waren hier aufgewachsen.
Die Begegnung war also lediglich eine Frage der Zeit gewesen. Aber der Umstand, dass Thornes Schwester jetzt um ihr Leben kämpfte, war alles andere als eine gute Voraussetzung für ein Wiedersehen.
Nicole steckte ihr Stethoskop in die Tasche und schlang die Arme um sich. Sie würde nicht nur Thorne erneut gegenüberstehen, sondern auch mit der Verzweiflung der anderen McCafferty-Brüder konfrontiert sein.
Die Beziehung zu Thorne hatte damals nicht lange gedauert. Intensiv und unvergesslich war sie gewesen, aber glücklicherweise nur kurzlebig. Seine beiden Brüder, die damals sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt waren, würden sich vielleicht gar nicht mehr an sie erinnern.
Glaube das ja nicht. Was Frauen angeht, waren die McCafferty-Männer fast legendär. Sie kannten alle Mädchen der Stadt.
Für Thorne war sie nur eine von vielen Affären gewesen, lediglich eine weitere Trophäe in seiner Sammlung. Ein armes, schüchternes und braves Mädchen, das einen Sommer lang seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
Die Geschichte hatte so gut wie nichts mehr mit ihrem jetzigen Leben zu tun, aber die Erinnerung daran quälte sie noch immer.
Nach einem langen Arbeitstag taten Nicoles Füße weh, und ihr Kopf hämmerte. Der Gedanke an eine Dusche war das reinste Paradies – eine Dusche, ein gekühlter Chardonnay und ein knisterndes Kaminfeuer. Die Zwillinge unter einer warmen Decke an sie gekuschelt, während sie den beiden in ihrem Lieblingsschaukelstuhl eine Gutenachtgeschichte vorlas.
Sie musste unwillkürlich lächeln. „Später“, tröstete sie sich. Zunächst standen ernstere Dinge an.
Randi war noch längst nicht über den Berg. Und würde es auch so bald nicht sein. Sie lag im Koma und wurde ständig auf der Intensivstation überwacht.
Die gute Nachricht war, dass das Baby, ein robuster Junge, den Unfall überlebt hatte und per Kaiserschnitt unbeschadet auf die Welt gekommen war. Zumindest sah es im Moment ganz danach aus.
Verschwitzt und mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen zog Nicole sich ihren Kittel an und stieß die Tür zum Wartezimmer auf, wo zwei der McCafferty-Brüder saßen und Magazine durchblätterten. Beide waren groß und schlaksig, gut aussehende Männer mit markanten Zügen und ausdrucksstarken Augen. Die Sorge stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Als sich die Tür öffnete, legten sie die Zeitschriften zurück und sprangen hastig auf.
„Mr McCafferty?“, fragte sie.
„Ich bin Matt“, sagte der Größere von beiden, als würde er sie nicht erkennen. Was die Situation vielleicht auch ihr erleichtern würde.
Matt war über einsachtzig groß, hatte dunkelbraune Augen und fast schwarze Haare. Er trug Jeans, ein kariertes Westernhemd mit aufgekrempelten Ärmeln und Cowboystiefel, in seinem Mundwinkel klemmte ein zerkautes Holzstäbchen. „Das ist mein Bruder Slade.“
Auch der nur wenige Zentimeter kleinere Bruder gab sich, als würde er sie nicht wiedererkennen. Der jüngste McCafferty-Bruder galt als Teufelsbraten. Eine dünne Narbe schlängelte sich über sein Gesicht mit den scharfen Zügen. Seine blauen, tief liegenden Augen blickten unruhig umher.
Bekleidet mit einem Flanellhemd, ausgewaschenen Jeans und alten Tennisschuhen trat er nervös von einem Bein aufs andere.
„Ich bin Dr. Stevenson und hatte Dienst, als Ihre Schwester eingeliefert wurde.“
„Wie geht es ihr?“, fragte Slade ängstlich. Seine Augen wurden schmaler, und sie hatte den Eindruck, dass eine vage Erinnerung an sie in ihnen aufflackerte.
„Die Operation ist gut verlaufen, aber Ihre Schwester war in ziemlich schlimmer Verfassung, als sie bei uns ankam – bewusstlos und mit einsetzenden Wehen. Dr. Oliverio hat Ihren Neffen zur Welt gebracht. Das Baby scheint gesund zu sein. Eine gründliche Untersuchung durch einen unserer Kinderärzte steht aber noch aus. Randis Aussichten sind gut, vorausgesetzt, es gibt keine unvorhergesehenen Komplikationen. Immerhin hat sie einen schweren Unfall überlebt.“
Während die Brüder ihr angespannt zuhörten, beschrieb Nicole Randi McCaffertys Verletzungen, die Liste war lang und besorgniserregend. Angst spiegelte sich in den Gesichtern der Männer wider.
Nicole erklärte die medizinischen Maßnahmen mit möglichst verständlichen Worten. Matts dunkler Teint wurde immer blasser, bis er schließlich zusammenzuckte, aus dem Fenster sah und hektisch auf dem Holzstückchen herumkaute.
Slade fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln und sah sie an. „Aber sie wird durchkommen. Oder?“
„Ich denke schon, falls es keine Komplikationen gibt. Bei Kopfverletzungen kann man das nicht ausschließen. Aber momentan ist sie stabil.“
Slade runzelte die Stirn. „Sie liegt immer noch im Koma.“
„Ja. Wie Sie wissen, bin ich die Aufnahmeärztin, und andere Kollegen haben inzwischen die Behandlung übernommen. Jeder Einzelne von ihnen wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.“
„Wann?“, fragte Slade.
„Sobald sie können.“ Ihr gelang ein beruhigendes Lächeln. „Mein Dienst ist bald zu Ende. Ich bin aber vorher noch zu Ihnen gekommen, weil ich weiß, dass Sie in Sorge sind.“
„Mehr als nur Sorge“, bemerkte Matt.
Nicole wünschte, dass sie ihnen mehr Vertrauen einflößen könnte, doch das war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. „Um die Wahrheit zu sagen, wird das Leben ihrer Schwester noch eine Weile auf Messers Schneide stehen, aber sie wird rund um die Uhr überwacht.“
„Wann können wir Randi sehen?“, erkundigte sich der ältere Bruder.
„Bald. Sie ist noch nicht wieder aufgewacht. Sobald sie auf der Intensivstation liegt und die Ärzte mit ihrem Zustand zufrieden sind, kann sie täglich für ein paar Minuten Besuch bekommen – nur direkte Familienangehörige und nur einzeln. Wie gesagt, ihr Arzt wird Sie unterrichten.“
Matt nickte und Slade ballte die Faust, doch keiner von beiden hatte Einwände.
„Sie müssen bedenken, dass Randi im Koma liegt. Sie wird nicht auf Sie reagieren, bis sie aufwacht, und ich weiß nicht, wann das sein wird – oh, jetzt geht’s los. Die Ärztin, die Randi operiert hat.“
Sie hatte Dr. Oliverio entdeckt, die ihnen auf dem Flur entgegenkam. Nachdem Nicole die McCafferty-Brüder vorgestellt hatte, entschuldigte sie sich und ging zurück in ihr Büro, einen schmalen Raum mit einem Fenster, der kaum Platz genug bot für ihren Schreibtisch und einen Aktenschrank.
Sie schrieb ihre Berichte immer selbst, und nachdem sie aus ihrem Kittel geschlüpft war, setzte sie sich an den Computer und verbrachte fast eine halbe Stunde mit den Aufzeichnungen über Randi McCafferty.
Danach griff sie zum Telefon. Während sie routinemäßig ihre eigene Nummer wählte, massierte sie sich den Nacken.
„Hallo?“ Jenny Riley antwortete nach dem zweiten Klingeln. Die Studentin aus dem nahe gelegenen College beaufsichtigte ihre Zwillinge.
„Hi. Ich bin’s, Nicole. Ich wollte nur wissen, wie es aussieht. Ich werde hier ungefähr raus sein in …“, sie sah auf die Uhr und seufzte, „… wahrscheinlich einer Stunde. Soll ich irgendwas von unterwegs mitbringen?“
„Vielleicht ein, zwei Sonnenstrahlen für Molly?“, witzelte Jenny. „Seitdem sie aus dem Mittagsschlaf aufgewacht ist, hat sie schlechte Laune.“
„Wirklich?“ Nicole schmunzelte, während sie auf ihrem Stuhl so weit nach hinten kippte, bis er knarrte. Molly, etwas frühreifer als ihre Zwillingsschwester, war bekannt dafür, quengelig aufzuwachen, während Mindy, die Schüchterne der beiden Schwestern, immer lächelte, selbst wenn sie aus dem Schlaf gerissen wurde.
„Hab ich nicht!“, meuterte eine kleine, freche Stimme.
„Hast du doch, aber ich liebe dich trotzdem“, antwortete Jenny mit weicher Stimme und wandte sich dabei vom Hörer ab.
„Hab nicht schlechte Laune!“
Nicole lächelte immer noch in sich hinein. Die Mühen des Tages waren vergessen, wenn sie an ihre Töchter dachte. Zwei vierjährige, dynamische Mädchen, die Nicole auf Trab hielten und der Grund waren, warum sie nach ihrer Scheidung nicht depressiv geworden war.
„Sag ihnen, dass ich später Pizza mitbringe, wenn sie brav sind.“ Sie hörte, wie Jenny die Nachricht weitergab und darauf ein Freudengeschrei ertönte.
„Jetzt sind sie aus dem Häuschen“, versicherte die junge Frau. Nicole verabschiedete sich lachend. Im selben Moment war ein lautes Klopfen zu hören, und die Tür wurde aufgestoßen. Ein hoch gewachsener Mann stand im Eingang. Ihr sank das Herz, als sie Thorne erkannte.
„Nikki?“, sagte er ungläubig.
Nicole stand auf und straffte sich, doch trotzdem überragte er sie deutlich. „Jetzt Dr. Stevenson. Ich bin die Notaufnahmeärztin und habe sie in Empfang genommen.“
Warum nur spürte sie nach dieser langen Zeit immer noch einen Anflug von Enttäuschung darüber, dass er sie in all den Jahren nicht ein einziges Mal besucht hatte? Es war lächerlich. Geradezu naiv. Und es tat hier nichts zur Sache. Nicht, so lange seine Schwester um ihr Leben kämpfte.
„Ich bin allerdings nicht ihre behandelnde Ärztin. Ich habe Randi vor der Operation stabilisiert, und ein anderes Team hat sie dann übernommen. Mit deinen Brüdern habe ich gesprochen, weil ich wusste, dass sie warten und so schnell wie möglich informiert werden wollten.“
„Ich verstehe.“ Thornes attraktives Gesicht war nicht mehr das des unbeschwerten Jungen von damals, dafür hatten die vergangenen Jahre gesorgt. Seine markanten, ernsten Züge passten zu der Strenge seines schwarzen Anzugs, dem weißen Hemd und der Krawatte – er wirkte wie das Idealbild eines Managers, der einem kleinen Imperium vorsteht. „Ich wusste nicht – ich hatte dich hier nicht erwartet.“
Seine dunkelgrauen Augen fixierten sie auf eine intensive Art, die früher oft einschüchternd gewirkt hatte. Doch jetzt las sie in seinem Blick hauptsächlich Erschöpfung und Sorge.
„Hast du deine Brüder auf der Intensivstation getroffen?“, fragte Nicole.
„Ich bin direkt hierhergekommen und habe nach dem zuständigen Arzt gefragt.“ Als er ihren fragenden Blick sah, fügte er hinzu: „Ich wollte wissen, was los ist, bevor ich Randi sehe.“
„Verständlich.“ Sie winkte ihn in ihr Büro und zeigte auf den kleinen Plastikstuhl vor ihrem Schreibtisch. „Nimm Platz. Ich erzähl dir, was ich weiß, und dann kannst du mit den anderen Ärzten sprechen.“
Während sie nach ihrem Arztkittel griff, warf sie ihm einen Blick zu, unter dem gewöhnlich selbst der aufmüpfigste Medizinstudent zusammenschrumpfte. Er sollte verstehen, dass sie nicht mehr länger das arme, kleine Mädchen von damals war.
„Aber eins sollten wir vorher klären. Normalerweise klopfen die Leute an und warten, bis ich ‚Herein‘ sage, bevor sie in mein Büro stürzen.“
„Ich hatte es eilig. Aber … gut. Das nächste Mal denk ich daran.“
Oh, Thorne, es wird kein nächstes Mal geben.
„Sie liegt also auf der Intensivstation?“, fragte er.
„Ja.“ Nicole beschrieb die Einzelheiten von Randis Einlieferung ins St. James Hospital, ihren Zustand und die getroffenen Maßnahmen.
Sobald sie fertig war, stellte Thorne ein paar knappe Fragen, lockerte seine Krawatte und sagte: „Lass uns gehen.“
„Auf die Intensivstation? Wir beide?“
„Ja.“ Er war bereits aufgestanden.
Etwas in Nicole bäumte sich gegen seinen selbstverständlichen Befehl auf, bis sie den Schmerz und so etwas wie Schuldgefühle in seinen Augen entdeckte.
„Ich denke, das kann ich machen“, willigte sie ein. Sie war spät dran, aber Verspätungen dieser Art gehörten zu ihrer Arbeit. Genauso wie der Umgang mit besorgten Verwandten ihrer Patienten.
„Lass mich erst klären, ob sie schon aus dem Aufwachraum raus ist.“ Nicole telefonierte kurz und erfuhr, dass Randi bereits auf die Station gebracht worden war.
„Okay“, sagte sie und legte den Hörer auf. „Matt und Slade haben Randi bereits gesehen, und die diensthabende Krankenschwester ist nicht besonders glücklich darüber, einen dritten Besucher zuzulassen. Aber ich konnte sie überzeugen.“
„Sind meine Brüder noch da?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Sie haben der Schwester gesagt, dass sie wiederkommen wollten, sie weiß aber nicht wann.“
Höflich hielt er ihr die Tür auf, und dann eilten sie den Flur entlang. Mit seinen langen Beinen gelang es ihm mühelos, mit ihrem schnellen Tempo Schritt zu halten. So war es auch damals gewesen.
Energisch, einschüchternd und fast zwei Köpfe größer als sie, war Thorne genauso zielstrebig, wie sein Gang es erahnen ließ. Nicole fragte sich, ob er jemals einen leichtfertigen Moment in seinem Leben zugelassen hatte.
Sie betraten den Fahrstuhl, und dann war sie mit Thorne allein. Das erste Mal seit Jahren. Stocksteif stand er neben ihr und ließ sich nicht anmerken, dass ihn die Situation verunsicherte.
Sein Gesicht war wie erstarrt, seine Schultern aufgerichtet und sein Blick fixierte die wechselnden Stockwerkangaben auf dem Display.
Mit einem Ruck kam der Fahrstuhl zum Stehen. Während sie die mit Teppich ausgelegten Flure entlanggingen, brach Thorne schließlich das Schweigen. „Am Telefon sagte Slade irgendetwas … als ob Randi es nicht schaffen würde.“
„Bei schweren Verletzungen kann man diese Möglichkeit nie ganz ausschließen.“
Sie hatten die Tür zur Intensivstation erreicht, und mit der inneren Mahnung, nüchterne Professionalität zu bewahren, hob sie den Kopf und blickte direkt in seine stahlfarbenen Augen. „Aber sie ist jung und stark und bekommt die beste medizinische Versorgung, die wir haben. Es besteht also kein Grund, gleich im Zimmer deiner Schwester irgendwelche Bedenken zu äußern. Sie liegt zwar im Koma, aber wir wissen nicht, was sie hört oder fühlt. Behalte bitte um ihretwillen all deine Sorgen und Zweifel für dich.“