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Wie bereits in seinem ersten Buch, hat der Autor hier ebenfalls wieder eine ganze Reihe von Kurzgeschichten niedergeschrieben. Auch diesmal sind die Themen breit gefächert. Fantasie, Liebe, Kriminalfälle, ein Witz sowie Märcheninterpretationen werden abwechselnd zum Besten gegeben. Ob Zeitreisen, Sehnsüchte eines Rentners oder eine Leiche in Alkohol, all das und einiges mehr hat dieses Buch zu bieten. Immer gemäß der Aussage Goethes: "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen".
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Seitenzahl: 313
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Je besser das Buch ist, desto weniger Chancen hat es, verkauft zu werden.
Honoré de Balzac (1799 - 1850), französischer Philosoph und Romanautor
Saalfeld, 23.04.2019
Vorwort
Die hübsche Gabi
Erkundung der Erde
Eine Leiche in der alten Fabrik
Rentner Ronalds Liebe
Kohlbauer und Hoppelhase
Wetter-Witz
Zeitstillstand
Tagebuch
Hope 23
Stoffwechsel
Mein Erinnerungsvermögen
Eine Gerichtsverhandlung
Axel
Der Baum
Am Telefon
Onkels seltsame Kugel
Togo-Fälschung
Das neue Auto
Gut geschminkt
Mein Flokati
Dennis
Die Erfindung „Egül-Ekaf“
Nahrung
Der Scherzkeks
Es spukt
So ist das Leben
Bumm!
Ich, der Physiker
Monolog in einer Bar
Der Fall Schubert
Robots
Subjektive Fragen
Bildung
Kopfrechnen
Omas Geschichte
Ich träume
Die Armbrust
Nur kurz
Mein Wasserhahn
Drei Fragen an den Autor
Nachdem ich schon einmal ein Buch mit Kurzgeschichten bei verschiedenen Redaktionen angeboten hatte, war ich ziemlich am Boden, weil alle großen Verlage sagten, dass man Kurzgeschichten nicht auf dem Markt unterbringen könne. Die kleineren Verlage dagegen hatten leider einfach keine Kapazitäten mehr, mein Manuskript als Buch umzusetzen. Und die Verlage, die auf verbrecherische Weise mehrere tausend Euro von mir verlangten, waren wohl kaum Objekt meiner Wahl. Ein Freund bestärkte mich aber trotzdem darin, weiterhin meine kurzen Erzählungen zu schreiben. Also blieb mir nur wieder die Möglichkeit des Self-Publishings. Ich denke, dass dies logischerweise keinerlei Einfluss auf meine Geschichten hat und hoffe, dass mindestens eine davon Ihren Geschmack trifft. Übrigens gedachte ich vor einiger Zeit, auch mal einen ganzen Roman zu schreiben. Aber ich habe diese Idee wieder verworfen. Ich will eben ‚nur kurz’.
Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten von Namen, Orten, Geschehnissen oder sonstigen Dingen sind reiner Zufall und bestimmt nicht gewollt.
Für meine Enkelkinder.
Vielleicht werden sie später
dieses Buch einmal lesen.
Ihr Name war Gabriele Fischer. Sie hatte kurze, blonde Haare und wunderbare, grüne Augen. Nahezu alle der Zwölfjährigen in ihrer Klasse waren in sie verliebt. Und obwohl sie erst elf Jahre zählte, war sie doch davon angetan. Nur einer der Jungs schien sie einfach nicht zu beachten, dieser blöde Wolfgang. Was bildete sich dieser dämliche Kerl bloß ein? Schließlich war sie doch die Klassenschönheit. Aber sehr bald hatte sie schon ganz andere Sorgen. Ihre Eltern zogen in eine andere Stadt. Natürlich musste sie da logischerweise auch hin, obwohl sie lieber hier geblieben wäre. Aber keiner weiß so genau, was das Schicksal für einen noch bereit hält. Und Gabrieles Schicksal hatte noch Einiges mit ihr vor.
Es vergingen etwa fünfzehn Jahre. Wolfgang war frisch geschieden, als er zufällig in einer Kaffeestube auf Gabriele traf. Sie saß am Nachbartisch und nippte genüsslich an einem Cappuccino. Die beiden betrachteten sich gegenseitig eine ganze Weile, bevor ihnen klar wurde, dass sie sich von der Schule her kannten. Wolfgang setzte sich spontan an ihren Tisch: „Darf ich?“ Sie nickte: „Du warst doch der Wolfgang, stimmt's?“ „Der war ich nicht nur, der bin ich immer noch.“ Sie musste lachen und Wolfgang bemerkte zum ersten Mal, wie bezaubernd sie eigentlich war: „Ich würde dich ja zu einem Kaffee einladen, aber du hast ja schon einen.“ Sie verneinte lächelnd: „Das ist kein Kaffee sondern ein Cappuccino. Aber du könntest mich zum Essen einladen. Ich habe heute Abend noch nichts vor.“ Wolfgang fühlte sich zwar geschmeichelt, stutzte aber über die Geschwindigkeit, mit der Gabriele vorging: „Und was sagt dein Mann dazu?“ Gabriele blickte nachdenklich zu Boden: „Ich war nie verheiratet. Der Beruf, du verstehst?“ Das machte Wolfgang ein klein wenig neugierig. Gedehnt fragte er, jedes einzelne Wort betonend: „Und was ist denn das für ein aufreibender Beruf?“ Sie wich aus: „Darüber möchte ich nicht sprechen. Also bis heute Abend. Wir treffen uns am besten wieder hier. Sieben Uhr ist doch OK, oder?“ Wolfgang nickte. Gabriele stand auf und ging zum Ausgang. Sie winkte noch kurz zurück und verschwand dann im Gewühl der Straße. Und Wolfgang war sich seiner Gefühle plötzlich nicht mehr so ganz sicher.
Pünktlich um sieben Uhr stand Wolfgang nervös vor der kleinen Kaffeestube. Ursprünglich wollte er ja Blumen mitbringen, dachte dann aber, dass diese wohl auf dem Weg zum Restaurant nur stören würden. Welche Frau läuft schon gern mit einem Strauß Blumen in der Hand durch die ganze Stadt. Also hatte er eine kleine Schachtel mit sündhaft teuren Pralinen erstanden. Hoffentlich mochte sie Süßes. Gegen sieben Uhr fünfzehn kam ihm langsam der Gedanke, dass ihn Gabriele versetzt haben könnte. Er gab sich noch fünf Minuten, dann würde er gehen. In diesem Moment hielt genau vor ihm ein knallrotes Auto am Straßenrand. Am Steuer saß Gabriele. Sie ließ das Fenster herunter und rief: „Spring rein!“ Etwas konsterniert stieg Wolfgang in den Wagen. Sie strahlte ihn an und plapperte dann während der Fahrt munter drauflos: „Entschuldige die Verspätung. Ich hatte noch zu tun. Aber Männer warten ja gern auf Frauen. Das habe ich mir jedenfalls sagen lassen. Ich hoffe, du bist nicht allzu böse. Am besten essen wir im Hotel ‚Aron’. Da bekommt man immer einen Parkplatz. Und das Restaurant finde ich besonders gemütlich. Das Essen ist da auch immer sehr gut. Hat allerdings seinen Preis. Aber keine Angst, ich werde für uns beide zahlen. Ich hoffe, du bist einverstanden.“ Wolfgang fragte etwas gequält: „Holst du nie Luft beim Reden?“ Sie ging nicht auf seine Frage ein und zeigte freudestrahlend durch die Windschutzscheibe: „Da ist es schon.“
Das Hotelrestaurant mutete an, als wäre es in den goldenen Zwanzigern stehen geblieben. Dicke Vorhänge, Spiegel und schwarz-weiß Fotos an den Wänden, vergoldete Leuchter, ebensolches Besteck auf den Tischen und zur Krönung in der Mitte des Raumes eine Palme, die sich bis zur Decke erstreckte. Wolfgang und Gabriele fanden zu ihrer Zufriedenheit in der hintersten Ecke ein lauschiges Plätzchen. Sie aßen Tomaten-Fenchel-Suppe, Bœuf Stroganoff und anschließend flambierten Pfirsich. In den Gläsern perlte ‚Veuve Clicquot Ponsardin’, was beider Stimmung gewaltig hob. Allerdings wunderte sich Wolfgang etwas, dass Gabriele die horrende Rechnung locker und ohne Wimpernzucken bezahlte. Wieder im Auto, küsste sie ihn ohne Umschweife. Und so war es kaum verwunderlich, dass beide für das Wochenende ein erneutes Treffen vereinbarten. Es blieb nicht das letzte.
Nach einem halben Jahr wollte Wolfgang seine Gabi überreden, eine gemeinsame Wohnung zu nehmen. Sie fand, es wäre noch zu früh dafür. Über ihren Beruf wollte sie ebenfalls noch nicht sprechen. Was denkt sich da so ein verliebter Mann? Er denkt, es könnte eventuell einen anderen geben. Nachdem Wolfgang eine gewisse Weile mit sich gerungen hatte, begab er sich deshalb mit einigen Fotos zu einem Privatdetektiv. Tags darauf eröffnete ihm Gabi, dass sie für einige Zeit verreisen müsse. Aber weder wie lange noch wohin, war aus ihr herauszubekommen. Wolfgang hatte die Heimlichtuerei endlich satt und stellte ihr ein Ultimatum. Spätestens einen Tag, nachdem sie wieder zurück sei, müsse sie ihn über alles aufklären, sonst würde er sich von ihr trennen. Mit Tränen in den Augen bat sie: „Überlege dir das bitte noch einmal! Bitte!“ Kaum drei Tage später besuchte ihn der Privatdetektiv, gab ihm die Fotos sowie den bereits gezahlten Vorschuss zurück und sagte: „Tut mir leid, aber man hat mir nahegelegt, den Fall nicht zu übernehmen.“ Wolfgang war so verblüfft, dass es ihm die Sprache verschlug.
Ungefähr eine Woche später klingelte es Sturm an der Tür. Draußen stand Gabi, in der Hand ein kleines Päckchen haltend: „Hör zu! Ich habe keine Zeit für Erklärungen. Bitte hebe das Päckchen hier für mich auf. Schau aber auf keinen Fall hinein! Ich vertraue dir.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und rief noch im Gehen: „Ich liebe dich! Wirklich!“ Ein begossener Pudel hätte nicht dämlicher aussehen können, als Wolfgang in diesem Moment.
Es waren genau vier Tage vergangen, als Wolfgang die Spannung nicht mehr aushalten konnte. Was war in dem Päckchen, das er nicht sehen sollte? Vielleicht gehörte ja Gabi zum organisierten Verbrechen und nutzte ihn nur aus? So etwas muss doch, in drei Teufels Namen, ein richtiger Mann nachprüfen. Als er das Packpapier entfernt hatte, traf er auf einen Zettel. In großen Buchstaben stand da: ‚Ich wusste doch, dass du dich nicht beherrschen kannst. Es ist nur ein kleines Geschenk für dich. In Liebe Gabriele.’ Erwischt! Er bekam einen roten Kopf. Unter dem Zettel lag, sorgsam zusammen gefaltet, ein lila und weiß gestreifter Schlips. Das war nun gar nicht sein Geschmack. Aber wie sagt schon der Volksmund: ‚Einem geschenkten Gaul, guckt man nicht ins Maul.’ Also hängte Wolfgang den Binder in den Schlafzimmerschrank zu den übrigen Krawatten.
Wer im Schlaf betäubt wird, der merkt das in aller Regel nicht. Deshalb stand Wolfgang auch völlig neben sich, als er langsam erwachte. Er war an einen Stuhl gefesselt und seine Zunge schmeckte widerlich nach Metall. Außerdem war ihm schlecht. Das Zimmer, in dem er sich befand, war verhältnismäßig dunkel. Das kam wohl von dem Zeitungspapier, mit dem die Fenster abgeklebt waren. Der Raum war schmutzig, aber leer. Wolfgang überlegte, ob er um Hilfe rufen sollte. Vielleicht war es aber besser, erst einmal abzuwarten. Nach zirka zehn Minuten öffnete sich eine Tür hinter ihm. Ein Kerl mit einer Strumpfmaske über dem Kopf trat vor ihn hin, hielt eine Pistole an seine Schläfe und sagte seltsam höflich: „Mein Herr, würden sie mir bitte verraten, wo sie den Code versteckt haben?“ Wolfgang antwortete etwas zittrig: „Was für einen Code? Ich habe keine Ahnung. Bitte glauben sie mir! Ich schwöre!“ Der Mann sagte bedauernd: „Falsche Antwort.“ Dann holte er aus und schlug dem Gefesselten ohne Hemmung den Pistolenknauf gegen die Stirn. Sofort rann eine Blutlache über Nase und Mund. Der Peiniger lächelte, soweit man das mit einem Strumpf vor dem Gesicht überhaupt fabrizieren kann, und sagte wiederum sehr höflich: „Ich komme wieder, mein Herr.“ Dann ließ er sein blutendes Opfer mit sich allein zurück. Nach einiger Zeit döste Wolfgang erschöpft ein. Im Halbschlaf sah er immer wieder Gabi vor sich. Wo mochte sie wohl sein? Und würde er sie irgendwann einmal wiedersehen? Käme er überhaupt jemals hier raus? Die nächsten vierundzwanzig Stunden dehnten sich für ihn zur Ewigkeit. Als sich erneut die Tür hinter ihm öffnete, waren seine Hände und Füße bereits taub. Der Strumpfmaskenmann stellte sich wieder vor ihn, nur dass er diesmal in die Decke schoss. Mit der gleichen, ekligen Höflichkeit fragte er danach ungerührt: „Und, wäre jetzt vielleicht ein geeigneter Zeitpunkt, um mir das Versteck zu verraten?“ Was danach geschah, ging so schnell, dass sich Wolfgang auch später nicht mehr richtig daran erinnern konnte. Eine ganz und gar schwarz verhüllte Person kam mit einem Knall durch das splitternde Fenster herein geflogen und zündete eine Blendgranate. Wolfgang konnte deshalb geraume Zeit nur hören und nicht sehen, was um ihn herum passierte. Sein Peiniger hatte wohl rechtzeitig die Augen geschlossen, denn es war deutlich zu hören, wie er mit dem Vermummten kämpfte. Dann waren zwei Schüsse zu hören und ein Körper schlug dumpf auf den Boden. Langsam konnte Wolfgang wieder etwas erkennen. Der Mann mit der Strumpfmaske lag reglos vor ihm, während der Schwarzgekleidete Wolfgangs Fesseln durchschnitt. Dann massierte er dessen Hände und Füße, bis das Blut wieder kribbelnd seine Arbeit verrichtete. Der Befreite wollte sich gerade bedanken, da enthüllte der Wohltäter sein Gesicht. Wolfgang war in seiner Jugend beim Rodeln einmal mit dem Kopf schmerzhaft an einem Baum gelandet. Etwa das gleiche Gefühl empfand er jetzt. Vor ihm stand Gabi. Sie strahlte: „Dich kann man einfach nicht allein lassen. Na, worauf wartest du denn noch? Küss mich endlich!“ „Was … was … wie …?“ Wolfgangs Gedanken tanzten Rumba. Gabi nahm seinen Kopf in beide Hände und drückte ihre Lippen fest auf seine. „So, und nun nix wie ab zu dir nach hause. Du bist nämlich zurzeit nicht vorzeigefähig.“
Der einsetzende Regen wusch etwas Schlamm von dem knallroten Auto, das vor Wolfgangs Tür parkte. Als dieser frisch gebadet und rasiert in das Wohnzimmer trat, hatte sich Gabi längst aus ihren schwarzen Klamotten geschält: „So, jetzt gehe ich mich duschen und du gießt inzwischen eine Drink für uns beide ein! Ich hab dir viel zu erzählen.“
Zwei Tage später brachte eine gewisse Gabriele Fischer einen Schlips mit lila und weißen Streifen ins Hauptquartier. Die Krawatte wurde dort brutal mit einer Schneiderschere aufgeschlitzt, wobei ein Röllchen Papier, bedeckt mit seltsamen Zahlen, heraus fiel. Dann meldete sich die Dame bei ihrem Vorgesetzten und reichte die Kündigung ein. Heiraten durfte sie allerdings erst, als ihr zukünftiger Ehemann eine Schweige-Verpflichtung unterschrieben hatte.
„So, Kirimiki und Schnorf vortreten! Ihr beide wurdet von der Kommandozentrale des Planeten Djoroka für die bevorstehende Mission ausgewählt. In zwei Umdrehungen beginnt euer Training. In dreißig Umdrehungen werdet ihr dann das Weltenschiff betreten und die ersten sein, die mit siebenfacher Lichtgeschwindigkeit zu dem neu entdeckten Planeten reisen. Unsere Wissenschaftler haben dort intelligentes Leben entdeckt und mit dem Universalübersetzer sogar einige Worte entschlüsselt. So bauen sie beispielsweise ihre Behausungen auf den Boden und hängen sie nicht wie wir in die Luft. Logischerweise werden sie dort noch nicht über Antigravitation verfügen. Also solltet ihr vor der Kontaktaufnahme zunächst ihren Wissensstand testen. Und nur, wenn diese Wesen intelligent genug sind, gebt ihr euch zu erkennen. Alles klar? Dann ab nach hause und Klamotten packen. Hopp, hopp!“
„Rita, hast du eben die Sternschnuppe gesehen?“ „Hab ich.“ „Und, hast du dir etwas gewünscht?“ „Ja, die Scheidung.“ „Das war doch jetzt bestimmt ein Scherz, oder?“ „Tröste dich, es war ein Scherz!“ „Schade. Aber hast du auch gesehen, dass die Sternschnuppe dort drüben im Wäldchen niedergegangen ist?“ „Quatsch! Sternschnuppen verglühen in der Atmosphäre.“ „Ich hab’s aber genau gesehen.“ „Komisch, das hast du genau gesehen, aber wenn der Mülleimer voll ist, scheinst du blind zu sein.“ „Na ja, ich bin halt weitsichtig und der Mülleimer steht viel zu nah.“ „Dann setz deine Brille auf!“ „Lieber nicht, dann sehe ich nämlich dein Gesicht zu deutlich.“ „Ich möchte bloß wissen, warum ich dich geheiratet habe.“ „Ganz einfach, weil du einen beschissenen Geschmack hast.“
Kirimiki blickte auf seinen Multi-Korder: „Die Angaben unsere Wissenschaftler scheinen zu stimmen, zumindest was die Zusammensetzung der Luft betrifft. Aber sieh dir bloß mal diese riesigen Holzpflanzen an!“ Schnorf blickte nach oben: „Die sind mindestens 3000 Einheiten hoch. Aber schau mal da drüben, das sind bestimmt die Behausungen der Wesen. Mitten auf den Boden gebaut. Aber die sind ja auch so riesig. Was glaubst du, wie groß sind dann wohl diese Lebewesen?“ Kirimiki deutete aufgeregt nach rechts: „Da! Da läuft so ein Wesen. Mach mal eine Fernmessung!“ Schnorf zog hurtig den Lasomat aus der Tasche und peilte den Fußgänger an: „Hundertachtzig Einheiten. Ich dreh durch. Die werden uns vielleicht gar nicht bemerken. Schließlich sind die rund zweihundert Mal größer als wir.“ Kirimiki überlegte: „Dann werden wir einen Verstärker für den Übersetzer bauen, damit die uns wenigstens hören können.“ Schnorf schien einverstanden zu sein, gab aber zu bedenken: „Das wird einige Zeit dauern. Was machen wir aber, wenn sie uns schon vorher entdecken?“ „Improvisieren. Aber lass uns jetzt erstmal dicht an die Behausungen heran fliegen. Vielleicht bekommen wir dann schon mit, ob es sich überhaupt lohnt.“
„Sag mal, bin ich jetzt total verrückt geworden?“ „Wieso jetzt? Das warst du doch auch schon früher.“ „Sehr witzig! Aber mir war gerade so, als ob eine Sternschnuppe flach über den Boden geflogen und in unserem Komposthaufen gelandet ist.“ „Das war vielleicht ein Glühwürmchen.“ „Quark, doch nicht am Tage. Außerdem hast du als Sozialarbeiterin wohl kaum Ahnung von Würmern.“ „Mein Schatz! Seitdem ich mit dir ins Bett gehe, weiß ich schon sehr genau, was ein Würmchen ist.“ „Mädel, jetzt bin ich doch schon langsam dafür, dass wir uns scheiden lassen.“ „Aber Hase, das geht doch nicht. Wovon sollten wir das denn bezahlen?“
„Das mit dem näher heran fliegen war eine ziemlich dumme Idee. Ob das in der Nähe aller Behausungen von denen so stinkt?“ Schnorf hielt sich die Riechlöcher zu. Kirimiki meinte: „Vielleicht sollten wir das Weltenschiff einfach hier lassen und uns dann unbemerkt in das Innere so einer Behausung schleichen. Da können wir die Wesen aus nächster Nähe beobachten. Uns Winzlinge werden die gar nicht bemerken. Was hältst du davon?“ Schnorf zögerte etwas, sagte dann aber: „Einverstanden. Aber schau dir mal die Entfernung an. Da brauchen wir mindestens zwei Umdrehungen bis zum nächsten Eingangsloch.“ Kirimiki entgegnete fröhlich: „Erinnere dich an unser Training. Da sind wir locker drei Umdrehungen lang marschiert und haben anschließend noch gefeiert. Also los! Ich trage auch den Vorrat. Und sei vorsichtig!“ Schnorf entgegnete: „Jawohl! Und ich nehme das Aufzeichnungsgerät. Die werden zu hause vielleicht staunen, wie groß hier alles ist.“
„Was machst du denn da? Kniest du neuerdings vor mir nieder?“ „Das hättest du wohl gern! Nein, mein Schatz, ich bin vorhin auf irgendetwas draufgetreten. Jetzt ist hier so ein komisches, grünes Zeug auf dem Boden. Aber ihr Männer seht ja den Dreck selbst dann nicht, wenn er einen halben Meter hoch liegt.“ „Dann reiche doch endlich die Scheidung ein!“ „Aber Bärchen, warum sollte ich mich von dir trennen? Der Nächste wäre doch auch nur bloß ein Mann.“
Nach zweitausend Umdrehungen gab man die Hoffnung auf. Die Kommandozentrale von Djoroka organisierte eine berührende Gedenkfeier für die mutigen Weltraumfernfahrer Schnorf und Kirimiki.
Kommissar Riemer kratzte sich gewohnheitsgemäß mit dem Zeigefinger hinter dem Kragen seines geliebten, blau karierten Hemdes: „Also wenn ich meinem Geruchssinn trauen darf, dann kenne ich die Todesursache schon und bräuchte eigentlich gar keine Pathologin.“ Frau Dr. Martina Mertens, eine äußerst schlanke Frau, zog unwillig ihre Augenbrauen zusammen und blickte von dem Toten auf: „Wenn schon, dann forensische Pathologin. Soviel Zeit muss sein. Außerdem Developer und Technical Ingeneer. Und von Informatikerin sowie gerichtlich bestellter Sachverständigerin sag ich jetzt mal gar nichts.“ Sie wandte sich wieder der Haut der Leiche zu, welche scheinbar ihr Interesse besonders geweckt hatte. Riemer atmete hörbar aus: „Ach Gott ja, ich vergesse immer wieder, wie schlau sie sind. Dagegen stinke ich kleiner Kriminaler mit meinem lächerlichen Einser-Abitur natürlich ab, obwohl ich dann später Studienbester war. Ist natürlich kein Vergleich zu der großen Mertens.“ Die Gerichtsmedizinerin blickte erneut auf: „Vergessen sie mal ihre Minderwertigkeitskomplexe. Der Kerl hier hat einen Alkoholspiegel jenseits von Eden. Soviel kann ein Mensch überhaupt nicht trinken, weil er nämlich vorher schon tot wäre. Und jetzt sie!“ Der Kommissar ließ seinen massigen Körper mit einem Ächzen auf den neben ihm stehenden, weißen Plastikstuhl plumpsen: „Also kein Ableben wegen übermäßigen Alkoholgenusses. Hm! Und nun?“ Dr. Mertens schüttelte missbilligend den Kopf: „Wissen sie doch. Ich schneide ihn auf und wenn ich Genaueres weiß, kriegen sie ihren Bericht. War das vielleicht schon mal anders?“ Sie beugte sich wieder über den Toten. Riemer hievte sich umständlich hoch: „Dann geh ich mal wieder. Bis später!“ Er wurde von der Medizinerin keines einzigen Blickes mehr gewürdigt.
Die vergoldete Stehlampe versuchte verzweifelt die Dunkelheit des geräumigen Zimmers zu durchbrechen. Lediglich der unruhig flackernde Schein des Kamins war ihr dabei etwas behilflich. In der Mitte des Raumes kniete ein Mann, dessen schlichter, grauer Anzug im krassen Gegensatz zu den schweren Vorhängen und den teuren Möbeln stand. Er breitete beschwörend beide Arme aus: „Was hätte ich denn tun sollen. Der Kerl war völlig durchgeknallt. Er wollte das CM als Füllung verwenden. Als Füllung! Ich konnte ihn gerade noch abfangen, als er das Zeug in den Trichter schütten wollte.“ Sein Gegenüber, ein vierzigjähriger Glatzkopf im Morgenmantel, stand auf und drückte die dicke Zigarre im Kristallaschenbecher aus, obwohl sie nicht einmal bis zur Hälfte aufgeraucht war: „Und nach deiner Aktion musstest du unbedingt die Leiche mitten in der Halle der alten Fabrik hinlegen, wo jeder drüber stolpern konnte?“ Sein Ton wurde noch ironischer: „Natürlich rechnet man so nicht damit, dass vielleicht irgendeiner die Polizei ruft. Ist ja klar! Vielleicht hättest du den Kerl eventuell verstecken sollen? Hatte ich das eigentlich nicht gesagt?“ Der Kniende erhob sich verzweifelt: „Wollte ich ja, aber ich wurde von so einem Arbeiter im Blaumann gestört. Der hätte gar nicht dort sein dürfen. Die Fabrik ist fast seit einem Jahr stillgelegt. Mir blieb nichts weiter übrig, als zu verduften. Wenn du willst, dann knall mich halt ab!“ Der Glatzenträger verzog abfällig sein Gesicht: „Setz dich lieber in Bewegung zum Versteck. Du vernichtest alles, was auf diesen toten Arsch hinweisen könnte! Aber wenn du wieder Bockmist baust, bist du fällig. Weißt du was? Ich behalte mir einfach vor, dich jederzeit umzulegen, auch wenn du einfach nur mal falsch pupst. Und jetzt los, aber zügig!“ Der Angeschnauzte verließ mit gesenktem Kopf den Raum, knallte dann aber doch wütend die Tür hinter sich zu.
Als das typische Klingeln ertönte, musste Kommissar Riemer sein Telefon wie üblich unter einem Wust von Papieren hervorkramen. Und wie üblich überwand dabei ein Aktenordner die Differenz zwischen Schreibtischplatte und Fußboden. Mit lautem Klatschen schlug er auf das alte, abgeschabte Parkett und wirbelte eine kleine Staubwolke in die Höhe. Die Wurstfinger des Kommissars nahmen den Hörer ab und klemmten ihn zwischen Ohr und Schulter ein, um danach weiterhin in den Papieren zu wühlen: „Ja?“ Der graugrüne Telefonhörer brüllte ihn an: „Wie oft muss ich ihnen noch sagen, dass sie sich vorschriftsmäßig mit Name und Dienstgrad am Telefon zu melden haben?“ Es war also Hohlbach, sein Chef. Riemer grinste: „Das müssen sie gar nicht mehr sagen. Ich weiß das schon seit längerem.“ Hohlbach sprang fast aus der Hose: „In mein Dienstzimmer, sofort!“ Riemer legte auf, zuckte mit den Schultern, erhob sich gemächlich und setzte sich in Richtung des Büros von Kriminalhauptkommissar Hohlbach in Bewegung. Unterwegs stopfte er sich schnell noch einen Bobon in den Mund. Ohne anzuklopfen betrat er das Refugium seines Vorgesetzten. Dieser saß angespannt hinter seinem riesigen Schreibtisch und Riemer konstatierte, dass Hohlbach zu Recht den Spitznamen Monkey-Face trug. Der Kommissar zog sich unaufgefordert einen Stuhl heran und setzte sich an die schmale Seite des Schreibtisches. Der Hauptkommissar knirschte vernehmlich mit den Zähnen: „Sie brauchen sich wirklich nicht zu wundern, dass man sie bei Beförderungen übergeht. Ihr Benehmen steht außerhalb jeder Norm. Setzen sie sich gefälligst vor meinen Schreibtisch, wie alle anderen auch!“ Der Angeblaffte rutschte ein klitzekleines Stückchen zur Schreibtischfront hin und fragte lammfromm: „Worum geht’s denn nun eigentlich?“ Der Chef zeigte auf ein Schriftstück: „Der Bericht von dieser Mertens. Der Tote hatte eine leichte Kopfverletzung, einen Cocktail verschiedener Rauschgifte im Blut und lediglich ein wenig Schokolade im Magen, muss aber mit dem gesamten Körper längere Zeit in hochprozentigem Alkohol gelegen haben. Wer zum Teufel, frage ich mich, füllt denn eine ganze Badewanne mit scheißteurem Alkohol?“ Riemer zog ein wenig überheblich die Augenbrauen hoch und sagte gedehnt: „Woher nehmen sie die Gewissheit, dass es eine Badewanne war? Vielleicht war es eine Brennblase in einer Schnapsbrennerei. Und wieso haben sie den Bericht auf ihrem Schreibtisch und nicht ich?“ Hohlbach war angepisst: „Vielleicht bin ich ihr Vorgesetzter? Und vielleicht habe ich die Anweisung gegeben, dass ich den Bericht zuerst zu Gesicht bekomme. Wissen sie eigentlich, wer der Tote war?“ Riemer zog einen Mundwinkel nach oben: „Kann ich ohne Bericht nicht wissen.“ Sein Chef lief ein wenig rot an: „Der Sohn des Bürgermeisters, mein Freund, der Sohn des Bürgermeisters.“ „Na und“, sagte Riemer, „der ist auch nicht toter als irgendeine andere Leiche.“ Nun war es an Hohlbach, ein gewisses Maß an Überheblichkeit herauszukehren. Er lehnte sich genüsslich in seinem schicken, schwarzen Bürostuhl zurück und faltete die Hände vor dem Bauch: „Riemer, Riemer, sie kommen wie immer aus dem Mustopf. Gegen den Kerl wurde schon seit geraumer Zeit verdeckt ermittelt. Rauschgifthandel und Mitglied in einer kriminellen Vereinigung.“ Riemer staunte: „Und weiß das unser bester Bürgermeister?“ „Sind sie verrückt?“ Der Hauptkommissar sprang auf: „Natürlich hat der keinen Schimmer. Und das wird auch so bleiben. Klar?“ Kommissar Riemer hob beide Hände: „Ist ja gut, ist ja gut. Und wie soll das nun alles weitergehen?“ Hohlbach setzte sich: „Sie begeben sich zunächst an den Fundort der Leiche und durchsuchen diese abgewrackte Fabrik nach einem Behälter, der theoretisch genügend Alkohol für so eine Tat fassen könnte. Sollten sie ihn finden, dann ab damit ins Labor. Der Tote oder der Killer haben vielleicht DNS hinterlassen. Haben wir den Behälter, sind wir vielleicht ganz dicht am Täter dran.“ Riemer hielt seinen dicken Kopf schief: „Glauben sie nicht, dass der Alkohol die DNS zerstört hat?“ Der Hauptkommissar hampelte mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht seines Untergebenen hin und her: „Erstens konserviert Alkohol organisches Gewebe, und zweitens, sie Genie, hat so ein Behälter garantiert auch eine Außenseite.“ Riemer stand auf und ging zur Tür. Hohlbach rief ihm nach: „Und nehmen sie den Arbeiter mit, der den Toten gefunden hat. Der kennt sich bestimmt dort aus. Außerdem sollten sie ihr Jackett mal wieder aufbügeln lassen. Sie sehen aus wie eine Knautschlackledertasche. Oder kaufen sie sich am besten gleich ein neues!“ Riemer verließ das Zimmer, ohne die Tür zu schließen. Sein Chef schrie ihm lauthals nach: „Glauben sie vielleicht, wir sind hier im Bus oder in der Straßenbahn? Bei uns gehen die Türen nicht von allein zu!“ Der Gescholtene aber war bereits im Fahrstuhl und tat so, als könne er die Rüge seines Chefs dort gar nicht mehr wahrnehmen.
Der Glatzköpfige hatte sich inzwischen in einen weißen Anzug gezwängt und betrat forschen Schrittes die Tiefgarage seiner Villa. Die massiven Goldringe an seiner rechten Hand klapperten etwas, als er die Wagentür seiner Luxuskarosse öffnete. Er kam nicht mehr zum Einsteigen. Drei Pistolenkugeln versauten ihm erst den Anzug, dann wohl auch den Tag und nahmen ihm zu guter Letzt noch das einst so schillernde Leben. Sein Kopf lag auf dem Betonboden, sein rechtes Bein im Wageninneren. Eine Gestalt im grauen Anzug stieg über den Leblosen hinweg, öffnete den Kofferraum und warf einen Aktenordner in das Innere des Autos. Nachdem er die Klappe wieder sorgfältig geschlossen hatte, las er die Patronenhülsen auf, entfernte hastig den Schalldämpfer von der Waffe, zog die Gummihandschuhe aus, verstaute alles in seinen Jackentaschen und verließ zügig die Tiefgarage, wobei seine schlecht geputzten Halbschuhe knirschend die Splitter der zerstörten Überwachungskamera unter sich begruben.
Kommissar Riemer hatte gerade ein riesiges Stück einer Tafel Vollmilch-Nuss-Schokolade abgebissen und wollte soeben den Fernseher einschalten, als das alte Klapphandy vor ihm auf dem Tisch aufgeregt summte. Er ließ es in aller Ruhe weiter summen und beschäftigte sich erstmal ausgiebig mit der herrlichen Süße in seinem Mund. Nachdem er alles heruntergeschluckt hatte, griff er missmutig zu dem Störenfried: „Was ist?“ Es war die Zentrale, die ihm mitteilte, dass in der Tiefgarage einer Privatvilla ein Erschossener lag. Der Kommissar ereiferte sich: „Sagt mal, bin ich der Einzige in unsere Dienststelle? Könnt ihr nicht auch mal einen anderen ärgern?“ Aber man teilte ihm mit, dass der Tote im Zusammenhang mit seinem aktuellen Fall des Bürgermeistersohnes stünde. Also erhob er sich, biss noch einmal in die Schokolade, ging in den Flur, um sich die Jacke anzuziehen, stellte fest, dass er beim Heimkommen die Jacke mit in die Stube genommen und über den Stuhl gehängt hatte, ging zurück, zog die Jacke an und vernichtete den Rest der Schokoladentafel. Die Krümel, welche er dabei auf dem Teppich hinterließ, störten ihn gegenwärtig nicht. Als er auf die Straße trat, regnete es in Strömen. Er ärgerte sich, dass er nicht vorher aus dem Fenster geblickt hatte, denn in der Wohnung tummelten sich vier bis fünf Regenschirme, aber er hatte nie einen davon dabei. Als er am Auto ankam, war er bereits klatschnass. Während der Fahrt stellte er die Heizung auf Maximum, um seinen Anzug wenigstens etwas zu trocknen. Die Einfahrt zu besagter Garage war hell erleuchtet. Er blieb außerhalb stehen, stieg aus und musste feststellen, dass sein Anzug dampfte. Na prima! Er konnte sich schon den Spott der Kollegen vorstellen. Rings um den Tatort herum wuselten mehrere Menschen. Zwei Uniformierte sperrten alles mit rotweißem Flatterband ab, die Spurensicherung bepinselte auf der Suche nach Fingerabdrücken jede Ecke und Kante des Wagens und ein Fotograf mit einer ziemlich großen Kamera dokumentierte alles dermaßen eifrig, als hinge sein eigenes Leben davon ab. Riemer begrüßte den Leiter der Spurensicherung mit Handschlag: „Hallo Rolf! Alles senkrecht?“ Der Angesprochene hielt dem Kommissar breit grinsend eine Beweismitteltüte entgegen: „Schau, schau, unser Hans Dampf. Ich habe hier für dich einen Ausweis, eine Geldscheinrolle und einen Kamm aus Aluminium. Möchte bloß wissen, wozu der Glatzkopf einen Kamm brauchte.“ Riemer griente: „Sieh dir mal den großen Abstand der Zinken an. Das ist ein Partykamm. Damit praktiziert man bei Kokain-Partys auf dem Tisch gleichzeitig mehrere Linien von diesem Mistzeug. Hast du sonst noch was?“ „Ja. hier ist der Grund, warum man ausgerechnet dich gerufen hat. Eine Akte über den Sohn des Bürgermeisters. Ein Foto ist drin und auch eine Art Lebenslauf. Da steht unter anderem, dass er Bonbonkocher gelernt hat, sowie wann, wo und wie viel Crystal Meth er dealte und auch wie viel Knete er dafür abgefasst hat. Allerdings ist interessant, dass alles abgewischt wurde. Keinerlei Fingerabdrücke. Das Allerinteressanteste aber ist, dass sich auf dem Deckel die Prägung eines Firmennamens befindet. Und rat mal, wem die Firma gehört, respektive einst gehört hat!“ Riemer grinste: „Schätze mal, es war die Firma der Glatze.“ Er fingerte umständlich einen schmuddeligen Gummihandschuh aus der Jackentasche und nahm die Akte entgegen. „Habt ihr denn hier keine Schutzumschläge?“
Hohlbach blickte finster: „Was soll das heißen? Es ist schließlich der Bürgermeister und es war sein einziger Sohn. Sie sind mit dem Fall betraut und deshalb werden sie mit zur Beerdigung kommen!“ Riemer schüttelte aufsässig den Kopf: „Ich hab echt keine Zeit. Es ist ein zweiter Toter hinzugekommen und ich muss so schnell wie möglich in diese alte Fabrik.“ Sein Chef kratzte sich am Kinn: „Die Fabrik kann jetzt warten. Der erste Mord ist doch aufgeklärt. Laut dieser gefundenen Akte hat der Sohn für diesen haarlosen Unternehmer gedealt. Und wenn sie die Akte bis zu Ende gelesen hätten, wüssten sie, dass der Spross vom Bürgermeister die letzten zwei Lieferungen nicht abgerechnet hat. Er behielt einfach das Geld für sich selbst. Also löschte die Glatze ihn knallhart aus. Das habe ich jedenfalls dem Bürgermeister so erzählt.“ Riemer kniff das rechte Auge zu: „Und rein zufällig war nur diese eine Akte in dem Auto und keine weitere von anderen Dealern? Und der Glatzkopf hat nach jedem Eintrag die Fingerabdrücke abgewischt, damit auch auf keiner einzigen Seite wenigstens ein Teilabdruck zu finden ist? Glauben sie mir, hier wird einer verarscht und ich bin es nicht.“ Bei seinem Chef entwickelte sich eine pulsierende Ader auf der Stirn: „Wie reden sie denn mit ihrem Vorgesetzten?“ In seiner Wut glich er noch viel mehr einem Affen als sonst. Riemer schmunzelte: „Ich hab nicht gesagt, dass ich sie damit meine, aber getroffene Hunde bellen.“ Hohlbach schnappte nach Luft. Kommissar Riemer hingegen drehte sich langsam um und sagte im Gehen: „Ich bin auf dem Weg in die alte Fabrik. Schließlich haben sie das mal persönlich angeordnet.“
Dr. Mertens pulte mit einer abgewinkelten Pinzette im Rücken der Leiche herum, als Riemer den weiß gekachelten Raum betrat. Die Gerichtsmedizinerin warf ihm einen bösen Blick zu: „Wenn sie mich drängeln, dauert es nur noch länger.“ Der Kommissar tat verlegen: „Nein, nein, ich bin nur auf dem Weg zu der Fabrik und dieser Weg führt halt zufällig hier vorbei.“ Die Pathologin richtete sich auf: „Ich hab schon zwei Kugeln aus dem Unbehaarten heraus geholt. Neun Millimeter. Dem Anschein nach mit so einer italienischen Beretta verschossen.“ Riemer hob dozierend den Zeigefinger: „Neun Millimeter Luger werden in vielen Waffen verwendet. Zum Beispiel Smith & Wesson, BUL, CZ Phantom, TAURUS, Grand Power oder auch CZ P 07 Duty.“ Die Antwort war: „Klugscheißer. Morgen können sie sich die Projektile im Kriminallabor anschauen und den dortigen Kollegen auf die Nerven gehen. Jetzt lassen sie mich hier gefälligst in Ruhe arbeiten!“ Der Kommissar drehte sich wortlos um und stolperte prompt beim Hinausgehen über die Türschwelle. Er konnte noch eine ganze Weile deutlich das Lachen von Frau Mertens hinter sich vernehmen.
Genau in dem Moment, als der Kommissar vor dem kleinen Backsteinhaus seinen Wagen abbremste, begann es wieder zu tröpfeln. Dankenswerter Weise hatte das mit Schiefer gedeckte Haus ein kleines Vordach. Riemer rettete sich darunter vor dem einsetzenden Platzregen. Neben der Haustür prangte ein gelbrotes Schild mit der Aufschrift: „Krossmann und Söhne – Abrissunternehmen“ und darunter befand sich ein Klingelknopf ohne Namensschild. Der Kommissar drückte seinen dicken Daumen auf den abgeschabten Knopf. Im Ergebnis davon blieb das blöde Ding klemmen und die Glocke im Inneren des Hauses erzeugte Dauerlärm. Kurz darauf öffnete sich die Tür, ein kleiner Junge im Alter von etwa sieben Jahren trat heraus und schlug mit der Faust auf die Wand unterhalb des Klingelknopfes. Der Knopf sprang heraus und es trat sofort eine wohltuende Stille ein. Der Steppke steckte beide Hände in die Hosentaschen und schielte den Kommissar von unten an: „Was willst de denn?“ Riemer musste lächeln: „Ist euer Vater zu hause?“ Der Kleine nahm eine Hand aus der Tasche und bohrte sich mit seinem kleinen Zeigefinger ungeniert in der Nase: „Welcher? Meiner oder der von Willi?“ „Na erst mal deiner.“ „Der ist nicht da.“ Riemer verlor etwas von seinem Lächeln: „Und der von Willi?“ Der Junge war inzwischen in den Besitz dessen gekommen, was er in der Nase gesucht hatte und schmierte es an die Hauswand: „Willi sein Papa ist tot.“ Der Kommissar trat etwas nach rechts, um aus dem Bereich der beschmierten Kinderhand zu kommen: „Ist sonst noch ein Erwachsener zu hause?“ Der Junge drehte sich um und rief lauthals: „Onkel Willi, da will so ein Vollgefressener was von dir.“ Dann rannte er zurück ins Haus. Nach kurzer Zeit trat ein Mann in Arbeitskleidung vor die Tür: „Sie müssen entschuldigen, das war der Nachbarsjunge. Der darf gelegentlich an unserem Computer spielen. Seine Eltern hassen Computer. Aber worum geht’s denn hier eigentlich?“ Riemer zückte seinen Dienstausweis: „Ich suche den Arbeiter, der die Leiche in der alten Fabrik gefunden hat.“ Der Mann zog die Tür hinter sich ins Schloss: „Das wäre ich dann wohl.“ „Gut, und ihr Name?“ „Willi Krossmann. Unser Unternehmen soll die Fabrik abreißen. Meine beiden Söhne sind zurzeit dort. Ich hab damals die erste Begehung gemacht und bin förmlich über den Toten gestolpert. Jetzt will ich auch gerade hinfahren.“ Der Kommissar steckte den Ausweis wieder die Tasche seines abgewetzten Mantels: „Das trifft sich gut. Ich will nämlich auch dort hin. Wenn sie nichts dagegen haben, fahre ich ihnen einfach nach.“
Augenscheinlich freute sich die Sonne darüber, dass der Regen langsam abebbte, denn einige ihrer Strahlen zauberten einen wunderschönen Regenbogen an den Himmel. Die restlichen Sonnenstrahlen durchdrangen mühevoll die schmutzigen Fensterscheiben der Fabrik und ließen unzählige, aufgewirbelte Staubteilchen hin und wieder wie kleine Sterne funkeln. Zwei junge Männer waren mit elektrischen Bohrhämmern zugange, um haufenweise Löcher für Sprengladungen in die alten Fabrikmauern zu treiben. Als Riemer und Krossmann eintraten, unterbrachen sie ihre staubige Arbeit. Der Kommissar winkte die beiden zu sich heran: „Ich bin Kommissar Riemer und mit einer Mordermittlung betraut. Sie wissen ja bestimmt von der Leiche, die ihr Vater hier gefunden hat. Ich suche nun nach einem Behälter, Trog, Tank, Kessel oder Ähnlichem, in welchem der Tote möglicherweise gesteckt haben könnte. Würden sie mir bitte damit helfen?“ Wortlos nickten die Krossmanns und ohne weitere Anweisungen begannen sie systematisch in der gesamten Fabrik das unterste nach oben zu kehren. Aber weder sie noch Riemer fanden ein Gefäß, dass groß genug für einen menschlichen Torso gewesen wäre.
Hohlbach schlug wütend mit der Faust auf die Platte seines alten Schreibtisches: „Meine Theorie verwerfen, aber selbst nichts vorweisen können. Das ist wieder mal typisch. Mit dieser Arbeitseinstellung werden sie nie einen Dienstgrad höher kommen.“ Riemer konnte nicht an sich halten und entgegnete scharf: „Und wie lange sind sie schon nicht befördert worden?“ Sein Chef schnappte nach Luft: „Raus!“ „Von mir aus“, sagte Riemer, „aber unter Protest.“ Er stand auf, verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Nach zwei Schritten machte er kehrt, öffnete die Tür wieder und sagte salbungsvoll: „Ich wurde tatsächlich in einer Straßenbahn geboren. Und damals hat noch der Schaffner die Türen zu gemacht.“ Dann entfernte er sich leise kichernd und ohne auf den Wutausbruch seines Chefs zu achten. In seinem Büro öffnete er die linke Schublade des Schreibtisches und beförderte eine Schachtel Weinbrandbohnen ans Licht. Genüsslich biss er eine Bohne an und ließ mit geschlossenen Augen den Alkohol langsam über die Zunge rinnen. Urplötzlich klappte er den Mund zu und riss dafür die Augen weit auf. Um ein Haar hätte er sich verschluckt. Er wühlte das Telefon unter seinen chaotisch verstreuten Schriftstücken hervor, klemmte den Hörer ans Ohr und sagte unterwürfig: „Bitte, ich brauche einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, bitte!“
Riemer und drei Beamte in Uniform betraten das Büro des Direktors der ansässigen Schokoladenfabrik. Der Mann blickte ungläubig auf das Schreiben: „Was ist hier eigentlich los und was wollen sie hier denn finden?“ Riemer versuchte streng auszusehen: „Der Sohn des Bürgermeisters hat doch hier gearbeitet, stimmt's?“ „Ja ja, nachdem er mehrmals durchs Abitur gerauscht ist, hat er hier Bonbonkocher gelernt.“ Riemer lächelte zufrieden: „Und sie stellen hier auch Weinbrandbohnen her?“ Der Direktor nickte bestätigend. Der Kommissar blickte seinem Gegenüber eindringlich in die Augen: „Und wie kommt der Schnaps in die Bohnen?“ „Nun ja, wir haben einen großen Kessel mit hochprozentigem Weinbrand. Der Schnaps wird in der entsprechenden Abteilung verdünnt und in eine Füllmaschine geleitet.“ Riemer winkte den drei Uniformierten zu: „Kommt Leute, wir beschlagnahmen jetzt den Weinbrandkessel.“ Der Direktor wurde schlagartig kreidebleich: „Wie sollen wir denn bitteschön weiter produzieren?“ Der Kommissar zückte ungerührt sein Handy: „Ich brauche sofort die Spurensicherung im örtlichen Schokoladenwerk. Sofort!“ Dann wandte er sich dem immer noch Bleichen zu: „Solange wir nicht alle Spuren gesichert haben, produzieren sie hier erstmal gar nichts.“