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Cardeno C.

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Beschreibung

Nicht einmal die Beerdigung seiner Mutter kann Zach Johnson dazu bewegen, seine bissige Art etwas zurückzunehmen oder ein ruhigeres, normales Leben in Erwägung zu ziehen. Er ist, wer er ist und lehnt es ab, sich für irgendwen zu ändern. Als er den zurückhaltenden Aaron Paulson kennenlernt, ist Zach sicher, dass Aaron in ihm nur ein weiteres Hilfsprojekt sieht, eine weitere verlorene Seele, die der idealistische Aaron retten will. Aber Zach muss nicht geheilt werden und er versucht, sich den seltsamen Gefühlen zu entziehen, die Aaron in ihm weckt. Dieser Titel ist ein Roman der Home Storys Reihe. "Nur mit dir ... vollständig" ist eine neue Übersetzung (plus Bonuskapitel) des Originaltitels "He completes me".

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Seitenzahl: 496

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Nur mit dir …

vollständig

Ein Roman von Cardeno C.

Home Storys Reihe

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2016

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Originalausgabe „He completes me“

(Home Storys Reihe) 2011

Übersetzung: Betti Gefecht

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Mariusz Szczawinski – dreamstime.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-061-4

ISBN 978-3-96089-062-1 (epub)

Inhalt:

Nicht einmal die Beerdigung seiner Mutter kann Zach Johnson dazu bewegen, seine bissige Art etwas zurückzunehmen oder ein ruhigeres, normales Leben in Erwägung zu ziehen. Er ist, wer er ist und lehnt es ab, sich für irgendwen zu ändern.

Danksagung:

Mein Dank gilt den freundlichen Lesern, die mich ermutigt haben, meine Arbeit zu veröffentlichen. Ohne ihre Unterstützung hätte nicht den Mut dazu gehabt.

Und Jayden Brooks, der Aarons Herz und Zachs Durchhaltevermögen besitzt.

KAPITEL 1

„Echt jetzt, Zach? Das ist sogar für dich ein bisschen zu heftig.“

Luke, ein guter Freund, saß auf dem Toilettendeckel und sah mir dabei zu, wie ich mit einem Eyeliner meine Augen betonte. Ich nahm den Stift runter und sah zu ihm rüber.

„Was denn? Ich bin, wer ich bin. Ich werde mich nicht für sie ändern. Das habe ich ihnen gesagt, als ich damals gegangen bin und ich werde mich auch jetzt auf keinen verdammten Fall verstecken.“

Luke stützte die Ellenbogen auf die Knie und ließ seufzend den Kopf in seine Hände sinken. „Ich weiß, Zach. Ich sag’ ja nicht, dass du dich ändern sollst. Das würde ich nie tun. Aber wir sind hier nicht auf der Eröffnungsparty eines Clubs – es ist eine Beerdigung.“ Er schwieg für einen Moment und sah mich von oben bis unten an. Dann wiederholte er mit Nachdruck: „Es ist die Beerdigung deiner Mutter.“

Ich zuckte die Achseln und vervollständigte meinen Lidstrich. Er hatte natürlich recht. Mein Styling heute war ein klein wenig übertrieben – ein hautenges, pinkfarbenes Tanktop und dazu eine weiße Hose, die auch nicht lockerer saß. Außerdem hatte ich extra für diesen Anlass meine Haarspitzen blondiert. Ehrlich gesagt gefiel mir das gar nicht. Ich mochte die ursprünglich braune Naturfarbe lieber. Aber ich wusste, diese Highlights  vervollständigten mein Gesamtbild.

Meine Familie hatte mich zum Teufel gejagt, weil ich schwul war und ich wollte sichergehen, dass sie nicht auf die Idee kämen, sie hätten mich erfolgreich dazu gebracht, an mir zu zweifeln oder gar mich selbst zu hassen. Ich würde mit hoch erhobenem Kopf da reinmarschieren und dabei so schwul wie nur irgend möglich aussehen, damit auch nicht die geringste Unsicherheit aufkam, dass ich nach meinen eigenen Regeln lebte. Und dass ich mich nicht schämte, selbst wenn sie es taten.

Luke gab es auf, über meine äußere Erscheinung diskutieren zu wollen, nachdem ihm klar wurde, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen war. Wir waren schon seit der Highschool befreundet, und er kannte mich ziemlich gut. Ich war nach dem Abschluss weggezogen und nicht wiedergekommen. Es gab hier nichts mehr für mich. Nur eine Familie, die mich aufgrund meiner Sexualität nicht wollte. Und ich hatte als Kind auch nicht viele Freunde gehabt. Ich hielt den Kontakt zu Luke. Das reichte mir vollkommen.

„Tut mir leid, dass du nicht hier übernachten kannst. Aber die Wohnung ist so klein. Fünfzig Quadratmeter sind für Chris und mich zusammen schon eng, da bleibt einfach kein Platz für Gäste. Wenn du das nächste Mal in der Stadt bist, haben wir bestimmt was Größeres und dann kannst du bei uns pennen, solange du willst.“

Nachdem ich mit dem Eyeliner fertig war, trug ich noch einen leicht schimmernden Lipgloss auf und stylte mein Haar mit etwas Gel, anschließend drehte ich mich wieder zu Luke. Er war nicht besonders begeistert, zumindest seinem Gesichtsausdruck nach. Aber er versuchte nicht länger, mir Vernunft einzureden. Kluger Junge.

„Mach dir keine Gedanken. Ich sollte sowieso bei Dean übernachten. Als er mir am Telefon sagte, dass unsere Mutter tot ist und mich anbettelte, zur Beerdigung zu kommen, hab’ ich ihm gesagt, ich würde sehen, was sich machen lässt. Was natürlich ‚Nein, danke‘ heißen sollte. Aber dann hat er den Joker ausgespielt und mich daran erinnert, dass ich seine Kinder noch nicht einmal gesehen habe. Und morgen will ich hier wieder weg. Bei ihm zu übernachten, ist praktisch die einzige Chance für mich, ein bisschen Zeit mit ihnen zu verbringen.“

Ich schnappte mir meinen Kulturbeutel, verließ das Badezimmer und ging hinüber zu Lukes Couch, wo ich nach meiner Ankunft meine Reisetasche abgestellt hatte. Luke hatte mich am Flughafen abgeholt und war einverstanden gewesen, dass ich mich bei ihm zuhause noch umzog, bevor er mich zum Haus meines Bruders brachte. Von dort aus würde ich mit dem Rest meiner Familie zur Beerdigung fahren würde. Ich verstaute meine Waschtasche, dann sah ich Luke an.

„Ich hab’ zwar nicht die geringste Ahnung von Kindern, aber Dean hat am Telefon fast geheult und mich angefleht, zu kommen und gemeint, sie hätten reichlich Platz für mich. Ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass er seine Kinder so sorglos seinem Bruder, der Schwuchtel, aussetzt. Schließlich weiß doch jeder, dass all schwulen Männer Pädophile sind.“

Luke zuckte zusammen.

„Jesus, Zach. Hat er das wirklich zu dir gesagt?“

Ich dachte an die Gespräche zurück, die ich über die Jahre mit Dean geführt hatte. Es waren nicht viele, und ich brauchte nicht lange, um die Liste im Kopf durchzugehen. Ich zuckte mit den Schultern.

„Nein, also nicht direkt. Aber ich habe genug Variationen davon zu hören gekriegt, von meinem Stiefvater, meiner Mutter, ihren Eltern usw., usw., usw.“ Ich wedelte mit meiner Hand hin und her, während ich sprach. „Dean war  zu der Zeit schon ausgezogen, hatte also nicht mehr die Gelegenheit, auf diesen Zug aufzuspringen.“ Ich nahm meine Tasche und öffnete die Tür. „Aber wenn ich scheiße viel Glück habe, dann gibt er vielleicht heute Abend noch seinen Senf dazu. Wahrscheinlich wird er aber so viel Anstand besitzen, bis nach der Beerdigung zu warten. Na, komm. Wir müssen los. Ich kann’s kaum erwarten, dass der Spaß anfängt.“

Ich versuchte, meine Nerven zu beruhigen, als ich die Treppe hinunterging. Während der Fahrt blieb ich still und machte mir bewusst, dass ich jetzt ein erwachsener Mann war. Sie hatten keine Kontrolle mehr über mein Leben und konnten nichts tun, um mich zu verletzen. Nicht mehr. Das Letzte stimmte natürlich nicht, aber ich betete es mir dennoch immer wieder vor. Schon seit Jahren. Wie ein Mantra.

„Alles klar, Zach, wir sind da. Nicht schlecht, der Tür-zu-Tür-Service, was?“

Ich sah zu dem hübschen Haus im Tudorstil hinauf. Blumenkästen hingen an den Fenstern, der grüne Rasen war gemäht, auf der Veranda lag Spielzeug und alles wurde begrenzt von einem weißen Gartenzaun. Ich kam mir vor, als wäre ich in einem Gemälde von Norman Rockwell gelandet.

Das war typisch mein Bruder, Mister Perfekt. In der Highschool war er ein guter Schüler und eine Sportskanone gewesen. Anschließend war er aufs College gegangen, hatte seinen Doktor in Englisch gemacht, eine hübsche Blondine vom Typ „Cheerleader“ geheiratet und drei Kinder bekommen. Letztendlich war er wieder zurückgekommen, um am örtlichen College zu unterrichten.

All das hatte ich aus den E-Mails erfahren, die Dean über die Jahre geschickt hatte, und aus unseren sehr kurzen und nur sporadisch stattfindenden Telefongesprächen. Ich hatte eine Regel, nach der ich mich zwang, mindestens zehn Prozent seiner Anrufe zu beantworten. Denn ernsthaft, was zum Henker hatten wir einander schon groß zu sagen? Und die zehn Prozent waren schon qualvoll genug.

Dean war sechs Jahre älter als ich und nachdem er zu Hause ausgezogen war, dauerte es nicht lange, bis meine Eltern mich abgeschrieben hatten. Oh, sie duldeten meine Anwesenheit im Haus, ernährten mich, kleideten mich. Sie taten im Grunde genommen genau das, wozu sie von Rechts wegen verpflichtet waren … zusammen mit so einigen anderen Sachen, die definitiv nicht rechtens waren. Aber darüber ich würde nicht nachdenken. Nicht mehr.

„Danke fürs Bringen, Luke. War schön, dich wiederzusehen.“ Ich öffnete die Beifahrertür und stieg aus. „Tut mir leid, dass ich keine Gelegenheit hatte, Chris kennenzulernen. Klingt, als wäre er toll. Ich freue mich sehr, dass du jemanden gefunden hast.“

Ich meinte das nicht wirklich ernst. Ich glaubte nicht an Beziehungen. Monogamie war nicht mein Ding. Warum sollte man sich auf einen einzigen Kerl beschränken? Und offene Beziehungen funktionierten nie. Fickfreundschaften, okay. Abwechslung war schließlich die Würze des Lebens.

„Du kannst ihn kennenlernen, wenn du das nächste Mal hier bist.“

Ich warf ihm unter hochgezogenen Brauen einen Blick zu, der deutlich sagte, dass es kein nächstes Mal geben würde. Nicht, weil ich Chris nicht kennenlernen wollte, sondern weil ich Scheiße noch eins nie wieder herkommen würde. Ich zog sogar ernsthaft in Betracht, ihn zu bitten, mich sofort wieder zum Flughafen zu fahren. Aber da öffnete sich die Haustür und mein Bruder kam heraus, um mich zu begrüßen.

„Zach! Ich bin so froh, dass du hier bist.“ Er nahm mich fest in seine Arme und drückte mich. „Wo sind deine Taschen? Ich trag’ sie für dich rein.“

Ich zeigte auf die Reisetasche auf dem Rücksitz.

Er runzelte die Brauen. „Das … das ist alles? Nur eine Tasche?“

Ich konnte die Enttäuschung in seiner Stimme hören. Was hatte das zu bedeuten? Hatte er erwartet, dass ich einen Haufen Geschenke für die Kinder mitbringen würde? Ich wusste nicht einmal genau, wie alt sie waren. Geschweige denn, wie sie hießen. Vielmehr versuchte ich gerade krampfhaft, mich an ihre Namen zu erinnern.

Dean nahm die Tasche, hängte sie sich über die Schulter und hielt Luke seine Hand hin. „Luke, richtig? Ich bin Dean Johnson, Zachs Bruder. Danke, dass du ihn vom Flughafen abgeholt hast. Ich hatte es ihm angeboten, aber –“

„Keine Ursache, Dean. Ich freu mich, dich kennenzulernen. Ruf mich nachher an, Zach.“

Und damit fuhr mein Freund davon und ließ mich am Tor zur Hölle zurück, das stark an eine Abbildung aus einem Martha Stewart-Magazin erinnerte.

KAPITEL 2 

„Kimberly freut sich wahnsinnig, dich endlich kennenzulernen, Zach.“ Dean legte seinen Arm um meine Schulter und brachte mich zur Haustür. „Und die Jungs auch. Simon hat schon all seinen Schulfreunden erzählt, dass sein Onkel Zach ihn besuchen kommt.“

Na klar, sicher. Als würde es den Kleinen interessieren, ob ich komme oder nicht, als würde er überhaupt wissen, wer ich war. Na ja, zumindest wusste ich jetzt wieder, dass der Älteste Simon hieß. Wir betraten das Haus, und ich wurde sofort von einem übermäßig enthusiastischen, blonden Energiebündel begrüßt. Das war wohl Kimberly. Ich glaube, sie hatte ihre Beine um mich geschlungen, als sie mich umarmte. Das einzig Gute daran: Sie war so zierlich, dass ich mir zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich groß vorkam.

Mein Bruder war gute eins achtzig groß, so wie unser Vater. Ich dagegen hatte wohl die Gene der Familie meiner Mutter abbekommen, weshalb ich es gerade mal auf einen Meter siebenundsechzig brachte. Außerdem war ich recht dünn, was mich noch mehr wie einen „Knirps“ aussehen ließ. Ich verbrachte einen guten Teil meiner Zeit mit schwimmen und laufen, deshalb hatte ich durchaus definierte Muskeln. Und ich aß auch unentwegt. Aber anscheinend konnte ich einfach nicht an Körpermasse zulegen.

„Kim, ich bringe Zachs Tasche auf sein Zimmer. Würdest du dich darum kümmern, dass er noch etwas zu trinken bekommt, bevor wir losfahren?“

Sie nickte und wandte sich lächelnd an mich, nahm mich bei der Hand und zog mich in Richtung Küche. „Was kann ich dir anbieten, Zach? Wie haben normale Cola, Cola Light, Eistee, Saft und Milch. Oder willst du dich lieber erst umziehen?“

Ich ließ auf der Stelle ihre Hand los und erstarrte.

„Warum sollte ich mich umziehen? Stimmt was nicht mit meinen Sachen?“

Okay, meine Reaktion und der schnippische Tonfall waren nicht fair. Ich kannte Kimberly nicht und sie schien nett zu sein, wenn auch etwas zu schwungvoll. Trotzdem war ich sofort in Gefechtsbereitschaft. Und ich würde nicht nachgeben.

Ihr Gesicht wechselte die Farbe und ihr stieg die Röte in die Wangen. „Oh! Nein, natürlich ist mit deiner Kleidung alles in Ordnung. Ich, ähm, ich … was sagtest du noch gleich, was du trinken wolltest?“

Ich wollte gerade um eine Cola Light bitten, als wir die Küche betraten. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, ich würde keine Luft mehr kriegen. Mein Mund fühlte sich an wie ausgetrocknet. Dort am Küchentisch saß ein Mann, der mir im wahrsten Sinne des Wortes den Atem raubte. Dunkelblondes Haar. Warme, blaue Augen. Breite Schultern. Muskulöse Brust. Ich konnte nicht feststellen, wie groß er war, da er mit einem Baby auf dem Schoß dasaß, während er ein weiteres Baby in einem Hochstuhl fütterte.

Als ich mich gerade wieder ein wenig unter Kontrolle hatte und die Fähigkeit zu atmen und zu sprechen wiedererlangte, stand er auf und ich erstarrte. Er war wahrscheinlich ein bisschen größer als mein Bruder. Die breiten Schultern und die definierte Brust gingen über in einen flachen Bauch, schmale Hüften und lange Beine. Als er sich das Baby auf die Hüfte setzte, spannte sein Arm den Stoff seiner Khakihose und offenbarte etwas, das nach einem verdammt wohlproportionierten Schwanz aussah.

„Du musst Zach sein. Toll, dich endlich kennenzulernen. Ich bin Aaron.“

Er streckte mir seine freie Hand entgegen, sah mir von oben in die Augen und sprach mit einer tiefen, sanften und warmen Stimme. Als wäre diese Reise nicht schon schwierig genug für mich gewesen – jetzt musste ich auch noch aufpassen, dass ich in meiner engen, weißen Hose keinen Ständer kriegte.

Ach, Scheiße! Ich hatte es nicht so mit Heteros. Na ja, tatsächlich hatte ich gar nichts mit Heteros. Ich schmiss mich nicht an sie heran oder fantasierte über sie. Es war dumm und völlig sinnlos. Ich konnte gar nicht mehr zählen, wie viele Freunde ich über die Jahre hinweg schon wegen ihrer lächerlichen Schwärmerei für Heteros auf den Arm genommen hatte.

Aaron grinste mich an und hatte dabei einen seltsamen Ausdruck in den Augen. Plötzlich fiel mir auf, dass ich seine Hand zwar ergriffen hatte, aber anstatt sie zu schütteln, hielt ich sie mit beiden Händen und fuhr mit dem Daumen darüber.

Ich ließ seine Hand fallen, als bestünde sie aus glühenden Kohlen und spürte, wie mir heiß wurde. Was zum Henker war los mit mir? Ich hatte nie auch nur annähernd auf irgendeinen Kerl so reagiert. Und jetzt fing ich ausgerechnet in der Heile-Welt-Küche meines Bruders bei einem seiner Sportsfreunde damit an? Na ja, wenigstens haute er mir nicht gleich eine rein.

Ich hatte immer noch keine zwei Worte zustande gebracht, als Kimberly mit einer normalen Cola in der einen und einer Cola Light in der anderen Hand zurückkam. Ich schnappte mir die Light, öffnete die Dose gierig und trank sie auf Ex, in der Hoffnung, dass das Koffein irgendwie meine Nerven beruhigen würde. Nee klar, hat natürlich nicht funktioniert. Aber ganz im Ernst – was war eigentlich mein Scheißproblem?

Mein Bruder kam in die Küche und sah ein bisschen gestresst aus. „Na gut, Leute, lasst uns aufbrechen. Aaron, danke fürs Babysitten. Simon macht noch immer sein Nickerchen, wird aber wohl bald aufwachen. Er wird dann wahrscheinlich Hunger haben, also …“

Kimberly legte ihre Hand auf Deans Arm. „Erklärst du gerade Aaron, wie er sich um Simon kümmern soll?“ Sie lachte und sah mich an. „Aaron verbringt genau so viel Zeit mit den Jungs wie dein Bruder.“ Dann küsste Kimberly Aaron. „Danke, mein Lieber. Ich muss noch mein Make-up auffrischen, und dann fahren wir los. Ich weiß, dass du heute Abend was vorhast. Wann sollen wir zurück sein?“

Aaron erwiderte ihr Lächeln. „Alles gut, Kimmy. Kommt einfach zurück, wenn alles erledigt ist. Du weißt, dass ich liebend gern mit den Jungs zusammen bin. Ich kann das Treffen heute Abend auch auslassen. Ist keine große Sache.“

Sie nickte und ging.

„Bist du soweit, Zach?“, fragte mein Bruder.

Ich glaube, ich kriegte ein Kopfnicken hin. Ich war mir allerdings nicht ganz sicher, weil es mich all meine Energie kostete, meinen Blick von Aaron abzuwenden. Es half, dass er zur Küchentür hinüber ging, wo mein Bruder stand. Mit der einen Hand hielt er immer noch meinen Neffen, die andere legte er um Deans Nacken und sah ihm in die Augen.

„Alles in Ordnung mit dir, Mann? Ich weiß, das hier muss schwer sein.“ Seine Stimme war sanft, und es lag echte Besorgnis in seinen Augen.

Dean nickte und zog Aaron in eine feste Umarmung. „Es geht mir gut, Aaron. Ich muss das jetzt durchstehen. Danach werden sich die Dinge beruhigen.“

An diesem Punkt fingen beide an zu lachen, und Aaron rieb Deans Arm, als er antwortete: „Ich hab’ dich in den letzten paar Jahren mehrere Varianten davon sagen hören. Hoffen wir, dass es diesmal zutrifft.“

Ich hatte noch nie gesehen, dass heterosexuelle Männer so miteinander umgegangen waren. Mit so viel Zuneigung und Wärme. Ich war ziemlich sicher, dass Aaron der Grund war. Ihn umgab etwas, das Güte und Fürsorge ausstrahlte. Ich spürte das Verlangen, mich an ihn zu drücken. Kein sexuelles – das wäre typisch für mich gewesen – sondern weil ich intuitiv wusste, dass er mir Wärme und Sicherheit geben konnte.

Mein Bruder verließ die Küche und ich wollte ihm gerade folgen, als ich Aarons tiefe Stimme noch einmal hörte. „Es war nett, mit dir zu reden, Zach.“

Ich errötete erneut, als mir bewusst wurde, dass ich es während der ganzen Zeit in der Küche nicht geschafft hatte, ein einziges Wort zu sagen. Er lachte und klopfte mir auf die Schulter. Es lag kein Spott in seinem Lachen; es war freundlich, vertraut und machte mir Gänsehaut. 

KAPITEL 3 

Auf der Beerdigung dachte ich die meiste Zeit an Aaron: an seine Augen, den Klang seiner Stimme, seinen Körper und an die Wärme, die er ausstrahlte. Diese Gedanken trugen mich durch den Großteil der Veranstaltung.

Nicht ein einziges Familienmitglied sprach mit mir, was keine große Überraschung war. Aber Dean wich nicht von meiner Seite, und das war eine Überraschung. Es wurde immer schwieriger für mich, von Leuten umgeben zu sein, von denen ich einst geglaubt hatte, sie würden mich lieben – zumindest bis sie herausgefunden hatten, wer ich wirklich war. Als es dem Ende zuging und ich ziemlich stolz auf mich war, weil ich diesen Alptraum durchgestanden hatte, sprach Dean allein mit einigen Leuten, die ich nicht kannte.

Innerhalb weniger Sekunden kam mein Onkel zu mir, sah mich finster an und zischte mit leiser Stimme: „Du hast Nerven, hier aufzutauchen, Zach. Du bist eine Schande für die Familie. Deine Mutter hat sich für dich geschämt. Niemand will dich hier haben. Bist du zu blöd, das zu kapieren?“

Ich hatte mich darauf vorbereitet, wagemutig zu sein und große Reden zu schwingen, falls sie mich runtermachen würden. Ich hatte ihnen mit einer passenden Antwort ins Gesicht lachen wollen. Aber als es soweit war, konnte ich nicht das Geringste sagen. Stattdessen stand ich einfach reglos da und versuchte, die aufwallenden Tränen zurückzuhalten. Mein Onkel öffnete den Mund, um noch mehr loszuwerden. Mit einem Blick über meine Schulter, klappte er den Mund jedoch wieder zu und ging. Plötzlich war Dean an meiner Seite und legte seine Hand an meinen Rücken.

„Ist alles in Ordnung, Zach?“

Nein, verflucht, es war nicht alles in Ordnung. Warum zum Teufel hatte er mich dazu gebracht, hierher zurückzukommen? Ich brauchte diesen Scheiß nicht. Ich hatte mein eigenes Leben und diese Leute gehörten nicht dazu. Sie waren Geschichte und das mussten sie auch bleiben.

„Mir geht’s scheißsuper. Können wir uns jetzt endlich verpissen?“

Ich stürmte davon, weg von der Trauerfeier und hin zu Deans Wagen. Die Türen waren abgeschlossen, sodass ich nicht hinein konnte. Also blieb ich an der Beifahrertür stehen, verschränkte die Arme vor der Brust, setzte einen finsteren Blick auf und wartete. Nach ein paar Minuten kamen Dean und Kimberly raus. Ihre Gesichter wirkten angespannt. Dean schloss den Wagen auf und wir stiegen ein. Während der Rückfahrt sagte niemand ein Wort – soweit ich mich erinnerte.

Als Dean in die Auffahrt einbog, öffnete ich meine Tür und stieg aus, noch bevor das Auto ganz zum Stehen gekommen war. Auf dem Weg ins Haus nahm ich mein Handy, wählte Lukes Nummer und fing an zu reden, sobald er abgenommen hatte.

„Ich muss mich besaufen und flachgelegt werden. Komm und hol mich ab. Wir gehen noch aus.“

Ich beendete den Anruf. Als ich aufblickte, sah ich Aaron vor mir, während Kimberly und Dean schräg hinter mir standen. Okay, wahrscheinlich war das etwas zu laut und auch ein bisschen zu direkt gewesen für dieses Publikum, aber was soll’s. Nach einer peinlichen Pause trat Dean näher zu mir und sprach leise.

„Ich, äh … also, wir hatten gehofft, wir könnten heute Abend zusammen essen, als Familie. Aaron kann leider nicht bleiben, aber Simon hat sich darauf gefreut, dich kennenzulernen. Und auch wenn Chad und Ryan noch so klein sind – ich weiß, dass sie gern Zeit mit ihrem Onkel verbringen würden.“

Seit wann gehörte der Kumpel meines Bruders zur Familie? Aber na ja, er war mehr hier als ich, also konnte ich mich wohl kaum darüber beschweren. Chad und Ryan, das mussten die Babys sein. Okay, jetzt kannte ich alle Namen. Trotzdem würde ich nicht hierbleiben.

„Sicher. Hör zu, Dean, ich werde noch ausgehen. Das hier … ist nicht so mein Ding, weißt du. Für Heteros mag das alles wie das Paradies auf Erden sein, aber ich muss jetzt raus und mir einen Schwanz suchen.“

An dieser Stelle klappte Kimberlys Kinnlade runter. Dean sah mich an und wusste ganz offensichtlich nicht, was er sagen sollte. Und Aaron … nun, Aaron schaute mich mit einem Ausdruck in den Augen an, der irgendwie besorgt wirkte, aber auch verständnisvoll. Verdammt, der Kerl hatte tolle Augen. Und seine Haare sahen so weich aus, dass ich mit meinen Fingern hindurchfahren wollte. Jesus! Ich musste mich jetzt wirklich mal zusammenreißen.

„Dean, wo ist meine Tasche? Ich muss mich fertigmachen.“

Ich sah Aaron an, während ich das sagte. Anscheinend war es mir nicht möglich, ihn nicht anzustarren, wann immer er im selben Raum war. Aber ich war über den Punkt hinaus, an dem mir das peinlich war. Inzwischen widerte ich mich selbst an. Ich redete mir ein, dass es nur die Hormone waren; er war einfach nur die einzige erwachsene, männliche Person im Haus, mit der ich nicht verwandt war. Und er sah umwerfend gut aus. Verdammt! Nein, der letzte Grund zählte nicht.

„Ich zeig’ ihm das Zimmer, Dean. Hier entlang, Zach.“

Aaron legte seinen starken, warmen Arm um mich und führte mich den Flur entlang. Ich drängte mich nah an ihn heran, zu nah, aber ich konnte meinen Körper nicht dazu bringen, Abstand zu halten. Wir gingen bis zum Ende des Flurs, wo Aaron eine Tür öffnete. Ich dachte, er würde zurück zu meinem Bruder gehen, aber stattdessen folgte er mir in das Zimmer, schloss die Tür und setzte sich auf das Bett.

„Willst du drüber reden?“

Normalerweise hätte ich eine flapsige Bemerkung fallen lassen und so getan, als wäre alles in Ordnung, oder wäre vielleicht sogar feindselig geworden. Aber er sah mir in die Augen – und ich hatte das Gefühl, dass er mich sehen konnte, dass er mich wirklich sah. Das hätte beängstigend sein sollen, aber das war es nicht. Es war ein gutes Gefühl. Und plötzlich purzelten die Worte nur so aus mir heraus.

„Sie hassen mich. Und ich meine wirklich hassen. Ich hab’ ihnen nie irgendwas getan. Ich hab’ sie zehn Jahre lang nicht mal gesehen oder mit ihnen gesprochen. Und sie sind meine Familie. Sie sollten mich lieben, richtig? Aber das tun sie nicht. Haben sie nie und werden sie nie. Und das Bescheuerte daran ist, dass mir dieser Scheiß immer noch weh tut. Ich dachte, ich hätte das alles hinter mir gelassen.“

Kennt ihr das, wenn man verletzt ist, oder traurig – und man schafft es, sich nichts anmerken zu lassen? Bis plötzlich jemand nett zu einem ist, und dann bricht man zusammen. Nun, genau das passierte. Aaron sagte nicht mal was. Er sah mich einfach nur an, so wie mich niemand je zuvor angesehen hatte. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Es wirkte so intim, so … liebevoll. Und im nächsten Moment lag ich heulend in Aarons Armen. Ich weiß nicht, wie lange ich mir an seiner Brust die Augen ausweinte, aber am Ende schlief ich ein.

Als ich wach wurde, lagen wir beide auf dem Bett, ich auf Aaron, mit dem Gesicht auf seiner Brust. Sein Hemd war feucht von meinen Tränen und mit meinem Eyeliner beschmiert. Mit einer Hand rieb er mir den Rücken und mit der anderen streichelte er mein Haar. Ich fühlte mich geborgen. Das erste Mal in meinem Leben – dessen war ich mir ziemlich sicher – fühlte ich mich geborgen. Und das machte mir eine Scheißangst.

Ich schoss hoch und sprang vom Bett.

„Tut mir leid. Ich, äh, ich …“

Ich wusste nicht, wie ich den Satz zu Ende bringen sollte oder was ich eigentlich hatte sagen wollen. Mein Gestammel wurde von der Türklingel unterbrochen.

„Das ist Luke. Ich muss los. Danke.“

Ich war aus dem Zimmer, noch bevor Aaron antworten konnte. Ich rannte praktisch durchs Wohnzimmer zur Vordertür. Ich war schon mit einem Fuß draußen, bevor Dean es zum Hauseingang schaffte.

„Zach. Zach, bitte warte eine Sekunde“, bat er mich eindringlich.

Aber ich konnte nicht warten. Ich konnte nicht länger in diesem Haus bleiben. Es war nicht einmal mehr wegen der Beerdigung oder meiner Familie. Es war wegen Aaron. Ich konnte nicht in der Nähe dieses Kerls sein. Er machte etwas mit mir, etwas Wundervolles und Bedeutendes. Zum ersten Mal in meinem Leben begehrte ich einen Mann auf eine Weise, die nichts mit Sex zu tun hatte. Sicher, ich wollte auch Sex, aber nicht nur. Und weil es scheinbar nicht möglich war, dass auch nur ein einziges, beschissenes Mal irgendwas in meinem Leben gut lief, musste dieser Mann natürlich der heterosexuelle Freund meines Bruders sein.

Ich rannte aus der Tür und zog Luke in Richtung seines Autos.

„Langsam, Zach. Wo zum Henker brennt’s denn?“

Auf dem Fahrersitz saß ein Typ, von dem ich annahm, dass es Chris war. Also stieg ich hinten ein und überließ Luke den Beifahrersitz. Dann setzte ich ein anzügliches Grinsen auf und verfiel in meinen fröhlichsten Tonfall. 

„In Ordnung, Jungs. Seid ihr bereit, Party zu machen?“

Chris fuhr uns zu einer Schwulenbar, die sie mochten. Wir holten uns an der Bar was zu trinken und setzten uns an einen Tisch. Einige Stunden und ein paar Drinks später war ich noch immer nicht in der Stimmung, jemanden aufzugabeln. Ich saß Luke und Chris gegenüber, die geradezu unerträglich liebevoll miteinander turtelten, sodass ich in meine eigenen, Übelkeit erregenden Gedanken über Aaron versunken war. Wie sich sein warmer Körper an meinem angefühlt hatte. Wie sehr ich es genossen hatte, in seinem Armen zu liegen. Und wie es wohl sein würde, jeden Morgen so aufzuwachen. Ich fand mich selbst tatsächlich so widerwärtig, dass es mir fast hochkam.

Seit wann war ich denn so ein jämmerlicher, rührseliger Trottel, der von unerreichbaren Heteros besessen war? Zum Henker, seit wann war ich von irgendwem besessen? So war ich einfach nicht. Ich war, na ja – in Ermangelung eines besseren Wortes – eine verdammte, männliche Schlampe. Tut mir leid, Leute, aber so war ich nun mal. Ich schlief mit irgendwelchen Typen. Nein, das stimmte so nicht. Schlafen gehörte in keiner Weise dazu. Ich hurte herum und schämte mich nicht dafür. Ich hatte Sex. Viel Sex. Meistens Blowjobs, aber auch ficken, und für gewöhnlich war ich derjenige, der einsteckte.

Ich hatte nie Probleme, einen bereitwilligen Partner zu finden. Ich sah nicht übel aus, hielt mich in Form und war locker drauf. Aber da saß ich nun in einer Bar voller williger Männer und alles, woran ich denken konnte, war der eine Mann, den ich nicht haben konnte. Das Schlimmste daran: Es waren nicht mal alles schmutzige Gedanken. Vielmehr dachte ich daran, wie nett er zu mir gewesen war, wie fürsorglich er mit meinem Bruder umgegangen war, wie liebevoll er meine Neffen behandelte. Und gerade als ich dachte, dass ich nicht noch erbärmlicher werden könnte, sah ich ihn in Fleisch und Blut am anderen Ende der Bar.

Ich versuchte mich zu erinnern, wieviel ich getrunken hatte. Ich war mir sicher, dass ich nur zwei Martini gehabt hatte. Das war gar nichts für mich. Ich wog nicht viel, aber ich hatte über die Jahre eine ordentliche Toleranz gegenüber Alkohol entwickelt. Und reichlich Übung hatte ich auch. Es konnte also nicht der Gin sein, der mich Dinge sehen ließ, die gar nicht da waren.

Ich rieb mir die Augen, aber er war immer noch da. Was für eine Scheiße war das? Hatte mein Bruder mir seinen Lakaien hinterher geschickt? Egal, wie scharf der Typ war, das machte mich stinksauer.

„Entschuldigt mich kurz, Jungs. Ich sehe gerade jemanden, den ich kenne.“

Ich stand auf und lief quer durch die Bar, bis ich hinter Aaron stand. Dann tippte ich ihm auf die Schulter in der Absicht, ihm ordentlich die Meinung zu geigen. Aber als er sich umdrehte, verließ mich meine Entschlossenheit. Er sah so überrascht aus und so … erfreut, mich zu sehen.

„Zach! Da bist du ja.“

Dann umarmte er mich. Fest. Und lange. Ich schob ihn weg, als ich anfing, einen Harten zu kriegen und infolgedessen peinlich berührt war. Verdammt! Wieso sollte mir das peinlich sein?

„Was machst du hier, Aaron? Hat mein Bruder dich geschickt, um auf mich aufzupassen?“

Er sah verwirrt aus. „Was? Nein, natürlich nicht.“ Er war ein guter Schauspieler, das musste man ihm lassen.

„Mh-hm. Und was machst du dann hier?“

Er lächelte dieses warme, liebevolle Lächeln, aber dieses Mal legte er noch eine Prise Charme und Sexappeal hinein. Ich hatte noch nie jemanden mit einem so ausdrucksstarken Lächeln getroffen.

„Nun, ich bin hier, um was zu trinken. Es ist eine Bar.“ Dann hielt er sein Glas in die Höhe.

„Ach was, echt jetzt? Was ich meinte, ist, wenn mein Bruder dich nicht geschickt hat, was macht dann bitte ‚Mister Hetero-Sportskanone‘ in einer Schwulenbar? Du hast dich doch sicher hier umgesehen, oder? Dann wird dir nicht entgangen sein, dass es hier keine Frauen gibt. Und die Hälfte der Typen hier fällt praktisch übereinander her. Nein, sag’s mir nicht. Du bist rein zufällig diese Straße entlanggegangen und dann versehentlich hier hereingekommen und rein zufällig bin ich mit meinen Freunden hier.“

Aaron sah aufrichtig schockiert aus, und dann fing er an zu lachen.

„Moment mal, bin ich ‚Mister Hetero-Sportskanone‘ in deiner Ansprache? Du … du denkst, ich wäre hetero?“

Was? Ich stand da und versuchte, die jüngste Wende der Ereignisse zu verarbeiten. Ich hatte einen super Schwulensensor. Wegen dieses inneren Sensors war ich in der Lage, mich von Heteros fernzuhalten und hatte es unglaublich leicht, den nächsten Typen zum Blasen oder Ficken zu finden. Dieser Kerl hier war definitiv hetero.

„Spar dir das, Aaron. Wir wissen sowas. Wir wissen es, wenn ein anderer Kerl schwul ist. Also, was machst du hier?“

Er lachte nicht mehr, aber seine Augen funkelten immer noch ein bisschen.

„Wir? Wer ist denn wir? Vielleicht solltet ihr euch nochmal besprechen, denn diesmal liegt ihr daneben. Ich bin schwul. Absolut schwul. Nicht hetero. Aber der Teil mit der Sportskanone stimmt, also liegst du nicht total falsch, schätze ich.“

Okay, man konnte den Spieß auch umdrehen. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Bar und verschränkte die Arme. „Beweis es.“

Aaron lachte. „Wie soll ich es deiner Meinung nach beweisen, Zach? Ich hab’ meinen Mitgliedsausweis zu Hause gelassen, und den geheimen Handschlag hab’ ich auch vergessen.“

Ich nahm seinen Arm und fing an, ihn in Richtung der Toiletten zu ziehen. „Auf geht’s, harter Bursche.“

„Wo gehen wir hin?“

„Dahin, wo es etwas privater ist.“

Die Bar war glücklicherweise nicht besonders groß und hatte separate, abschließbare Toiletten. Ich öffnete einen davon, zog einen verblüfften Aaron hinter mir hinein und verriegelte die Tür.

„Und was jetzt, Zach?“

Ich fing an, meine Hose aufzuknöpfen und den Reißverschluss herunterzuziehen. „Jetzt beweist du es, schwuler Junge.“

Seine Augen verloren schlagartig ihr Funkeln und er sah traurig aus. Fast tat er mir leid. Wahrscheinlich tat er lediglich meinem Bruder einen Gefallen, indem er mir den ganzen Abend folgte. Und als ich ihn erwischte, benutzte er die erstbeste Ausrede, die ihm einfiel. Ich beschloss, ihm nicht allzu sehr zuzusetzen, falls er blitzartig die Flucht ergriff.

Aber er ging nicht weg. Er hob seine Hand und streichelte zärtlich meine Wange.

„Nicht so, Zach. Bitte, nicht so. Unser erstes Mal sollte nicht in der Toilette einer Bar stattfinden.“

Er sprach wieder mit dieser liebevollen Stimme und sah mir dabei in die Augen, sodass ich nicht anders konnte, als die Wärme zu spüren, die von ihm ausging. Und mir wurde klar, dass ich irgendwie Gefühle für diesen Kerl entwickelt hatte. Tiefe Gefühle. Nach nur ein paar Stunden empfand ich mehr für ihn als für jeden anderen Menschen in meinem Leben. Mein ganzer Körper kribbelte, ich hatte eine Gänsehaut, und ich kämpfte mit den Tränen.

Was erlaubte er sich, mich emotional so zu manipulieren? Über ein erstes Mal zu reden, so als würde es weitere geben? Für ihn mochte das ja ein Witz sein, eine Geschichte, die er später meinem Bruder erzählen konnte – wie er sich aus der Nummer in der Schwulenbar wieder herausgeredet hatte, indem er bei mir auf die Tränendrüse gedrückt hatte. Aber für mich war es echt. Etwas Derartiges hatte ich noch nie gefühlt.

„Genau so hab’ ich es mir gedacht. Du treibst hier irgendein Spiel mit mir“, sagte ich mit leiser Stimme zu ihm und griff nach der Tür.

„Nein.“ Er drückte seine Hand an die Tür, sodass ich sie nicht öffnen konnte. „Ich treibe kein Spiel mit dir, Zach.“

Ich drehte mich wieder zu ihm um und er ließ die Tür los. Er legte seine Hand an meinen Hinterkopf, zog mich zu sich heran und neigte seinen Kopf. Ich erstarrte.

„Ich küsse nicht.“

Er wich nicht zurück, aber er hielt inne und sah mich an.

„Was?“

„Ich küsse nicht.“

„Zach, du hast mich hier reingeschleift und deine Hose geöffnet. Falls mir nicht gerade irgendwas entgeht, dann wolltest du deinen Schwanz in meinen Mund stecken. Aber ein Kuss geht nicht?“

Nun ja, wenn er es so ausdrückte, hörte es sich albern an. Aber die Sache war die, dass Küsse intim waren. Blowjobs waren, na ja, eben Blowjobs. Sie waren ein Mittel, um zum Orgasmus zu kommen, das sich in der Regel besser anfühlte als die eigene Hand. Zumindest, wenn der Typ eine halbwegs gute Technik draufhatte. Es war nicht so, als wäre ich der Einzige, der so dachte. Die meisten Typen versuchten nicht mal, mich beim Ficken zu küssen. Und die, die es versuchten, fanden es keineswegs seltsam, wenn ich mich wegdrehte oder nein sagte.

„Richtig. Genau das habe ich gerade gesagt.“

Aaron drückte mich gegen die Tür und nahm mein Gesicht in beide Hände.

„Du hast zu viele alberne Serien oder Filme gesehen. Ich werde dich jetzt küssen, Zach. Auf den Mund. Und dann werde ich dir deinen Beweis geben.“

Als er sein Gesicht langsam näher an meines brachte, wurde mir klar, dass ich diesen Kuss wollte. Ich wollte seine Lippen an meinen spüren. Mit Aaron wollte ich diese Intimität erleben, die ich stets sorgfältig vermieden hatte.

Er presste seinen Mund auf meinen, warm, weich und zärtlich. Er saugte zart an meiner Unterlippe,  während er mit seinem Daumen mein Gesicht streichelte. Ich seufzte und sank entspannt gegen ihn. Dann liebkoste er mit seiner Zunge meine Unterlippe, meine Oberlippe, und schließlich fuhr er dazwischen und begehrte Einlass. Ich öffnete meinen Mund für ihn, dann war seine Zunge in mir, leckte an meiner und erkundete meinen Mund. Instinktiv saugte ich an seiner Zunge, was mich zum Stöhnen brachte. Nur allzu bald zog er sich zurück, sah in meine glasigen Augen und ging runter auf die Knie.

KAPITEL 4

Aaron kniete vor mir. Meine Hose war immer noch offen, er musste sie nur noch runterziehen. Ich hatte keine Unterwäsche drunter, weshalb mein quälend harter Schwanz gegen meinen Bauch klatschte, sobald er aus meiner Hose befreit war.

Aaron stöhnte. Er strich sanft mit den Fingern über meine Hoden, nahm sie in die Hand und massierte sie sanft. Dann bewegte er seine Finger an meinem Ständer aufwärts, streichelte meine Haut. Allein das Gefühl seiner Fingerspitzen auf meinem Schwanz hätte fast gereicht, um mich zum Orgasmus zu bringen.

Ich blickte nach unten und sah diesen wunderbaren Mann und die Art, wie er mich anschaute – voller Verlangen, voller Hunger. Und da wusste ich, das war kein Trick. Er war wirklich schwul. Und er begehrte mich.

Ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, streckte er seine Zunge heraus und leckte meinen gespannten Schaft entlang, von der Wurzel bis zur Spitze. Er ließ sie um meine Eichel kreisen, dann nahm er sie in den Mund und saugte daran. Gleichzeitig rollte er meine Eier in seiner Hand.

Aarons Lippen um meinen Schwanz zu sehen, war unglaublich erregend. Ich lehnte meinen Hinterkopf gegen die Tür und stöhnte, während ich ihn weiter beobachtete. Er änderte seine Technik, anstatt nur an der Spitze zu saugen, schob er nun seine Lippen bis an meine Schamhaare und hielt meinen Schwanz vollständig in seinem Mund und seinem Rachen.

Heilige Scheiße! Er war kein Amateur. Es war definitiv nicht das erste Mal, dass er das tat. Er war gut, sehr gut. Und es dauerte nicht lange, bis ich behutsam in ihn stieß. Er summte mit meinem Schwanz in seinem Hals, während er leicht an meinem Sack zog, dann schluckte er und sandte Wellen der Lust über meine Schwanzspitze.

„Aaron. Aaron, ich … oh … ich bin soweit. Aaron!“

Ich versuchte, ihn zu warnen, damit er zurückweichen konnte, aber das tat er nicht. Stattdessen saugte er stärker und bewegte seinen Kopf auf und ab.

„Aaaaarrrooon!“

Ich schrie seinen Namen, als ich kam. Die ersten paar Spritzer landeten direkt in seinem Rachen. Dann zog er den Kopf zurück und nahm den Rest mit seiner Zunge auf. Er stöhnte und gab ein „mmh“ von sich, als er meinen Samen schmeckte.

Keuchend erholte ich mich von dem besten Blowjob meines Lebens, als Aaron aufstand. Ich griff vorn in sein Hemd, zog ihn zu mir herunter und legte meine Hände um seinen Nacken. Als sein Gesicht nah genug war, presste ich meine Lippen auf seine. Dieses Mal war es meine Zunge, die Einlass begehrte und seinen Mund kosten wollte. Nach ein paar Minuten lösten wir uns voneinander und versuchten beide, wieder zu Atem zu kommen.

„Wow, Aaron. Das war … es war …“

Er küsste mich auf die Wange und rieb seine Nase an meinem Hals. „Ja, das war es.“ Dann seufzte er. „Und was jetzt?“

Ich griff nach unten und rieb mit der Hand über die Vorderseite seiner Hose. Er musste sich im Schritt  ein bisschen zurechtgerückt haben, denn sein Ständer war aufrecht gegen seinen Bauch gepresst und schien unter dem Gummiband seiner Unterhose eingeklemmt zu sein. Scheiße, er fühlte sich riesig an. Locker zwanzig, einundzwanzig Zentimeter nach meiner Schätzung, und auch ein ordentlicher Umfang.

Vielleicht fragt ihr euch, wie ich das beurteilen konnte, wo der Mann doch immer noch angezogen war. Aber wenn man so viel Übung hatte wie ich, dann wird man gut im Schätzen.

Ich machte mich gerade an seinem Reißverschluss zu schaffen, als er seine Hand über meine legte und mich stoppte. „Das ist nicht, was ich gemeint habe, Zach. Es geht mir um uns. Was ist jetzt mit uns beiden?“

Ich ergriff seinen Schwanz durch den Stoff seiner Hose und drückte ein wenig. „Das hier ist jetzt mit uns beiden. Ich bin dran.“

Er nahm meine Hand in seine, dann verschränkte er unsere Finger miteinander, hob sie an seine Lippen und küsste meinen Handrücken.

„Nein, Zach. Du hast jetzt deinen Beweis, aber das ist das letzte Mal, dass wir es in einer öffentlichen Toilette machen. Ich will nicht irgendeine schnelle Nummer für dich sein. Wir sind mehr als das, viel mehr. Fühlst du das nicht auch?“

Mit solchen Worten konnte man mich normalerweise in die Flucht schlagen. Nicht dass es überhaupt Gelegenheiten gegeben hatte, bei denen die Typen mehr von mir gewollt hatten. Außer man zählte als „mehr“ eine weitere Runde im Bett. Ich strahlte nicht gerade diese „Ich-suche-eine-feste-Beziehung“-Signale aus und solche Jungs waren für mich auch nie von Interesse gewesen. Ich wollte immer nur einen Fick, kein Essen mit anschließendem Kinobesuch.

Aber mit Aaron … wollte ich mehr. Ich konnte es fühlen. Es erschreckte mich, machte mir Angst. Aber ich konnte mich nicht davon abwenden. Ich konnte mich nicht von Aaron abwenden.

„Ja, ich fühle es auch.“

Meine Stimme zitterte. Ich zog unsere verschränkten Hände an meine Lippen und küsste seine Hand. In dem Moment klopfte es an der Tür und der besondere Augenblick war vorbei.

„Ich muss mal pissen. Seid ihr bald fertig da drin?“

Aaron lachte.

„Na, das ist mal ein Stimmungskiller. Wir sollten besser hier raus.“

Er hockte sich hin, zog meine Hose hoch und versuchte, meine Teile wieder darin zu verstauen. Ich beschloss, das lieber selbst zu machen.

„Die Hose ist ziemlich eng und mit deiner Hand da drin wird’s nicht besser. Ich will nicht, das mein Schwanz im Reißverschluss eingeklemmt wird.“

Er grinste. „Okay. Ich will nicht deinen Schwanz beschädigen. Ich hab’ später noch was mit ihm vor.“

Ich schaffte es, meine Hose zu schließen, obwohl ich schon wieder einen Ständer kriegte. Dann verließen wir den Waschraum. Aaron nahm meine Hand.

„Meinst du, es macht deinen Freunden etwas aus, wenn ich dich nach Hause bringe?“ Seine Stimme klang zögerlich, fast bittend. Er wollte wirklich mehr als einen Blowjob. Und überraschenderweise ging es mir genauso. Als ich nicht gleich antwortete, schien er entmutigt. „Du … du bist so schnell abgehauen, dass Dean keine Chance hatte, dir einen Schlüssel zu geben, und sie gehen immer recht früh schlafen.“

„Nein.“

Bei meiner barschen Antwort fiel sein ganzes Gesicht in sich zusammen.

„Ich meine, nein, es macht meinen Freunden nichts aus. Sie wollten heute Abend sowieso nicht ausgehen. Ich hab’ sie hierher geschleift. Du kannst mich gern nach Hause bringen.“

Meine Worte brachten sein Lächeln zurück, ein echtes Lächeln, das seine Augen erreichte. Wie ich bereits sagte, Aaron hatte ein sehr ausdrucksvolles Gesicht.

„Super! Hey, wann hast du zuletzt etwas gegessen? Bei Kim und Dean warst du zu aufgewühlt, und die beiden haben mir erzählt, dass es auf der Beerdigung auch nichts gab. Hier in der Bar bieten sie auch nichts an. Du musst Hunger haben.“

Er hatte recht. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts zu mir genommen, abgesehen von einem Proteindrink vor und ein paar Minibrezeln während des Fluges.

Das entsprach so gar nicht meinen Gewohnheiten. Ich war ein guter Esser. Der ganze Stress an diesem Tag hatte mich wohl abgelenkt.

„Ich hab’ tatsächlich Hunger. Woran hattest du gedacht?“

„Es gibt da ein sehr nettes Lokal ganz in der Nähe. Tolle Atmosphäre, gutes Essen, und sie haben bis spät in die Nacht geöffnet. Kann ich dich zum Abendessen einladen?“

Er sah auf seine Uhr.

„Zu einem ziemlich späten Abendessen.“

„Hört sich gut an. Im Moment würde ich fast alles essen. Ich geb’ schnell Luke Bescheid.“

Er strahlte.

„Okay. Ich muss meinen Freunden auch sagen, dass ich gehe. Die wundern sich wahrscheinlich schon, wo ich bleibe. Wir treffen uns dann an der Tür.“

Er drehte sich um und ging zur Bar zurück, wo ich ihn getroffen hatte. Ich wühlte mich durch die Menge zu Luke und Chris, um mich von ihnen zu verabschieden. Kurz durchzuckte mich der Gedanke, dass Aaron ganz allein gewesen war und gerade einen Drink bestellt hatte, als ich ihn sah. Das kam mir das seltsam vor, allerdings vergaß ich sofort wieder, als ich Aarons glücklichen Gesichtsausdruck sah, mit dem er mich an der Tür erwartete.

„Lass uns was essen gehen.“

Als wir die Bar verließen, nahm er wieder meine Hand und ließ sie nicht los, bis wir an seinem Auto ankamen. Das Restaurant war nur ein paar Autominuten entfernt. Während der kurzen Fahrt fiel mir auf, dass es noch diverse andere Schwulenbars in dieser Gegend gab, auch mehrere Geschäfte mit einem Regenbogensymbol an den Türen sowie eine Metropolitan Community Church, diese alternative, tolerante Kirchengemeinde, die allen offensteht, unabhängig von der Sexualität.

Wir stellten das Auto ab und stiegen aus. Aaron legte diesmal seinen Arm um mich und ich lehnte mich gegen ihn, genoss seine Wärme. Als wir das Lokal betraten, bemerkte ich mehrere andere gleichgeschlechtliche Paare, aber auch Gruppen von Leuten, die eindeutig nach Familie aussahen, auch wenn kleine Kinder um diese Zeit kaum mehr anwesend waren.

Ich hatte als Kind die Gegend, in der ich aufgewachsen war kaum verlassen, kannte also diesen Teil der Stadt nicht. Ich hatte immer gedacht, ganz Emile City wäre so homophob wie meine Familie. Aber das war offenbar nicht der Fall. Wir waren immer noch in West Hollywood, aber hier fühlte ich mich wohl.

Aaron und ich setzten uns. Wir bestellten unser Essen – einen Burger mit Fritten für mich und ein Pastagericht (ohne Peperoni, bitte) für ihn. Ich nahm noch einen Martini, er bestellte Mineralwasser.

„Mineralwasser? Willst du nicht was Richtiges trinken?“

Er griff über den Tisch und nahm wieder meine Hand. Mir fiel auf, dass er ständig Körperkontakt suchte. Nähe und Berührungen schienen ihm unheimlich wichtig zu sein.

„Ich trinke nicht.“

„Was heißt das, du trinkst nicht? Niemals?“

Er schenkte mir ein kleines Lächeln und zuckte die Achseln.

„Nee. Nie. Ist nicht mein Ding. Ich konnte mich nie an den Geschmack gewöhnen, und ich mag es nicht, wie ich mich dabei fühle. Ich schätze, ich will einfach nicht die Kontrolle abgeben.“

Hm. Ich überlegte, ob ich irgendwelche Freunde hatte, die nicht tranken. Mir fiel nicht ein einziger Name ein. Im Gegenteil. Ich hatte Freunde, die wohl besser mit dem Trinken aufhören sollten, aber keine, die abstinent waren. Genau genommen hielten die meisten von ihnen die ganze Zeit über einen gewissen Alkoholpegel.

Unser Essen wurde serviert … und wieder abgeräumt. Aaron und ich blieben am Tisch sitzen und unterhielten uns. Mit ihm zu reden fühlte sich natürlich an, und unser Gespräch streifte die verschiedensten Themen, die ich euch natürlich nicht vorenthalten will:

Bücher …

Ich erzählte ihm, dass The Outsiders eines meiner Lieblingsbücher war. Ich hatte eine alte, zerfledderte Ausgabe, die von transparentem Paketklebeband zusammengehalten wurde. Es war eines diese Bücher, das ich jedes Jahr aufs Neue las. Es kam mir fast so vor, als würde ich die Romanfiguren inzwischen persönlich kennen. Er las gerade Degrees of Retribution, einen aktuelleren Roman von Dennis Milholland. Ein Krimi mit schwulen Hauptfiguren.

Die Arbeit …

Aaron war Tierarzt. Wie sich herausstellte, galt das auch für meine Schwägerin Kimberly. Sie hatten zusammen studiert. Dean hatte wahrscheinlich in irgendeiner E-Mail  den Beruf seiner Frau erwähnt, aber ich las selten, was er schrieb. Wenn überhaupt überflog ich es nur, bevor ich es löschte. Ich versuchte so, Abstand zu allem zu halten, was mit meiner Kindheit zu tun hatte. Und Dean war Teil dieser Kindheit.

Ich erzählte Aaron von dem Restaurant, in dem ich arbeitete. Ich hatte in L.A. eine Kochschule besucht  und hatte, seit ich mit achtzehn dort hingezogen war, immer in Restaurants gearbeitet – auf die eine oder andere Weise. Mein Traum war es, eines Tages ein eigenes Lokal zu eröffnen. Nichts Großes oder Vornehmes, nur ein kleines Restaurant mit netter Atmosphäre und gutem Essen.

Unsere Hobbys …

Von Aaron erfuhr ich, dass er Kunst liebte. Er war selbst kein Künstler, aber er wusste die Werke andere Leute zu schätzen. Anscheinend gab es in dieser Gegend viele kleinere Galerien, in denen ortsansässige Künstler ausstellten. Einmal im Monat waren sie lange geöffnet, und dann füllten sich die Straßen Galerien mit Liebhabern und Interessierten. Die hiesige Kunstszene bekam viel Unterstützung. Aaron verpasste nie eine dieser Veranstaltungen.

Er mochte auch das Theater, aber nicht die großen Produktionen. Er erzählte mir von einem örtlichen Theater, das ungewöhnliche Stücke produzierte, Stücke, die die meisten anderen Spielhäuser nicht wagten, ins Programm aufzunehmen. Oft waren schwule Charaktere  dabei. Aaron hatte eine Abonnementkarte für acht Aufführungen im Jahr, schien aber ansonsten nicht viel auszugehen. Allerdings verbrachte er viel Zeit damit, ehrenamtlich bei einer Organisation für Schwulenrechte zu arbeiten. Oder er passte auf meine Neffen auf, damit mein Bruder und Kim Zeit für sich hatten.

Ich schwärmte von meiner Vorliebe für Musik. Die Indie-Musikszene in L.A. war großartig, und meine Freunde und ich zogen oft um die Häuser, um neue Bands zu hören. Außerdem liebte ich es, zu malen. Während ich mit Aaron redete, fiel mir auf, dass das in letzter Zeit kaum getan hatte. Zwischen der Arbeit und meinen Bar-und-Bett-Touren hatte ich keine Zeit dafür gefunden. Ich beschloss, das lieber für mich zu behalten, da mir in diesem Augenblick bewusst wurde, wie erbärmlich und leer sich das anhören würde. Und ich fragte mich, warum mir das nicht schon früher aufgefallen war.

Freunde …

Aaron berichtete, dass er vor gut einem Jahr hier hergezogen war. Neben seinem Job in der Tierarztpraxis und seiner ehrenamtlichen Tätigkeit – die sich nach scheiße viel Arbeit anhörte – verbrachte er seine freie Zeit mit der Familie meines Bruders. Darüber hinaus hätte er keine Zeit gehabt, weitere Freundschaften zu schließen, meinte er.

Ich hatte einen großen Freundeskreis in L.A. und erzählte Aaron ein paar lustige Anekdoten, beleuchtete ein bisschen meinen Hintergrund. Die meisten meiner Freunde waren schwule Männer meines Alters. Und bei den Dingen, die wir zusammen unternahmen, handelte es sich meistens um Barbesuche oder Partys. Ich hatte keine Freunde mit Kindern. Ich hatte ja nicht mal Freunde, die in einer festen Beziehung waren.

Immer wenn einer aus unserer Clique eine feste Beziehung einging, verschwand er aus der Szene. Die Wahrheit war, dass Monogamie sich nicht mit den Dingen vereinbaren ließ, die wir so trieben. Wenn meine Freunde sich trafen, war viel Alkohol im Spiel. So dauerte es oft nicht lange, bis sich die Leute auszogen, hefig flirteten oder rumfickten.

Das Thema, das wir während des Essens vermieden, war Familie. Ich war noch immer etwas angeschlagen von der Beerdigung und ich denke, Aaron wusste das.

Noch nie zuvor hatte ich es so genossen, mit jemandem zu reden – nur zu reden – wie mit Aaron. So verschieden wir auch waren, hatten Aaron und ich tatsächlich eine Menge ähnlicher Interessen, und unser Gespräch flaute nie ab. Ehe wir uns versahen, schloss das Restaurant.

Wir gingen Hand in Hand zu seinem Auto. Aaron küsste mich sanft, bevor er mir die Beifahrertür öffnete. Der Kuss schnürte mir die Brust zu. Ich setzte mich in den Wagen und versuchte, wieder zu Atem gekommen, versuchte zu verarbeiten, was gerade mit mir passierte. Aaron musste wohl auch nachgedacht haben, denn keiner von uns sagte etwas während der Fahrt zu meinem Bruder. Aber er hielt meine Hand und ich bemerkte, dass er alle paar Minuten zu mir herübersah.

Wir bogen in die Auffahrt zum Haus ein und Aaron machte den Motor aus. Dann brachte er mich zur Tür, steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn aber nicht herum. Stattdessen zog er mich an sich und neigte seinen Kopf zu mir herab. Ich sagte ihm nicht noch einmal, dass ich nicht küsste. Damit war ich durch. Es gab nichts, das ich mehr wollte als seine weichen Lippen zu spüren, seine warme Haut zu fühlen und seine Zunge im Tanz mit meiner zu erleben.

Da standen wir nun vor dem Bilderbuchhaus meines Bruders, küssten uns und streichelten einander über den Rücken und die Arme. Als wir uns schließlich zögernd voneinander lösten, sagte Aaron mit rauer Stimme: „Ich würde gern mehr Zeit mit dir allein verbringen. Darf ich dich morgen Abend nochmal zum Essen einladen?“

Ich nickte. Ich würde meinen Flug umbuchen müssen. Schließlich hatte ich geplant, am nächsten Morgen wieder abzureisen, oder genauer: in ein paar Stunden. Aber das war kein Problem, wenn mir so mehr Zeit mit Aaron blieb.

Er lächelte, nahm mich fest in den Arm und flüsterte: „Danke. Danke, dass du mir eine Chance gibst. Ich werde dich nicht enttäuschen.“

Und mit diesen Worten schloss er die Tür auf, griff an mir vorbei und tippte den Alarmcode ein, küsste meine Wange und verabschiedete sich.

KAPITEL 5

Ich ging ins Gästezimmer und ließ mich aufs Bett fallen. Dann ließ ich den Abend noch einmal Revue passieren. Aaron war heiß, wahnsinnig heiß. Aber er war auch faszinierend. Und liebenswürdig. Er verdiente seinen Lebensunterhalt damit, sich um Tiere zu kümmern, verbrachte Stunden mit ehrenamtlicher Tätigkeit und redete über meine Neffen, als wären es seine eigenen Kinder. Er war so perfekt, dass es ihn eigentlich nicht geben dürfte. Niemand war so selbstlos, so nett.

An dieser Stelle, stellte ich mir die Frage: Was um alles in der Welt wollte er mit mir? Selbstlos und nett sind nicht die Begriffe, die mich beschreiben. Oberflächlich und egozentrisch, unbedingt. Promiskuitiv und ausgelassen, sicher. Ihm war offensichtlich nicht klar, was für ein Typ ich war. Wenn er das erst einmal begriffen hatte, würde er wohl kaum weitermachen wollen mit … ja mit was eigentlich? Bis dahin jedoch würde ich meinen Spaß haben. Ich rief die Fluggesellschaft an, verschob meinen Flug und machte mich fertig fürs Bett.

Ich verbrachte eine unruhige Nacht, wälzte mich im Bett umher und fand keinen Schlaf. Ich dachte die ganze Zeit an Aaron. Einen so wundervollen, liebenswürdigen Mann wie ihn würde ich nie kriegen. Einen wie ihn verdiente ich gar nicht. Und es würde sicher nicht lange dauern, bis ihm das klar wurde. Scheiße, vielleicht hatte er es inzwischen bereits herausgefunden. Vielleicht war er nach Hause gegangen und ihm war aufgegangen, dass er den Abend mit einer männlichen Schlampe verbrachte hatte, die sich gern in öffentlichen Toiletten einen blasen ließ.

Als der Morgen dämmerte, war ich müde, verunsichert und unerklärlicherweise sauer auf Aaron, weil er mich dazu gebracht hatte, zu glauben, dass er je irgendetwas anderes von mir wollen könnte als Sex. Niemand hatte je etwas anderes gewollt als einen Fick, und das würde sich auch mit Mister Wundervoll nicht ändern.

Ich nahm eine Dusche, putzte mir die Zähne und holte die einzigen Sachen, die ich mitgebracht hatte, aus meiner Tasche – ein alte Jeans und ein T-Shirt von einer Lieferfirma mit dem Aufdruck „Empfangsabteilung“. Meine Freunde und mich brachte das immer zum Schmunzeln. Ich bezweifelte, dass mein Bruder und seine Frau den Witz mitkriegen würden.

Ich ging in die Küche, wo es verbrannt roch. Kim stand am Herd und trug noch ihren Schlafanzug. Die ganze Küchenzeile stand voll mit schmutzigen Schüsseln und Löffeln. Mein Bruder saß am Tisch und fütterte die beiden Babys (Ryan und Chad – ich hatte mir tatsächlich die Namen gemerkt), und auf dem Boden lag ein kleiner Junge und malte mit Buntstiften in einem übergroßen Malbuch. Das musste Simon sein.

„Guten Morgen“, murmelte ich meine Begrüßung. Dean lächelte mich an.

„Hey, Zach. Hast du Hunger? Kim macht gerade Frühstück.“

Ich betrachtete das verkohlte Etwas in der Bratpfanne und fragte mich, ob es unhöflich wäre, nach Cornflakes zu fragen. Simon hob den Kopf und auf seinem Gesicht breitete sich ein Riesenlächeln aus.

„Onkel Zach!“

Er sprang auf, rannte auf mich zu und umarmte meine Beine. Ich stand entgeistert da. Woher kannte der Kleine meinen Namen?

„Du siehst genauso aus wie auf den Bildern. Daddy sagt, dass ich mal aussehen werde wie du, wenn ich groß bin. Guck, ich habe braune Haare und braune Augen, so wie du.“

Er zog seine kleinen Augenbrauen ein wenig zusammen. „Deine Haare sehen heller aus als auf den Bildern.“ Dann drehte er sich zu Dean um. „Onkel Zach sollte doch so braune Haare haben wie ich, Daddy.“

Ich sah meinen Neffen an und stellte fest, dass er wirklich Ähnlichkeit mit mir hatte. Große Ähnlichkeit sogar. Mein Bruder war blond mit blauen Augen. Kim hatte braune Augen, aber platinblondes Haar, bei dem wahrscheinlich ein guter Stylist etwas nachgeholfen hatte. Aber es war nicht nur das. Simon hatte den gleichen Haaransatz wie ich, meine dünnen Augenbrauen, meine langen Wimpern und meinen zarten Körperbau. Aus irgendeinem Grund gefiel es mir, dass diese kleine Person aussah wie ich. Es bedeutete mir genauso viel wie ihm.

Ich ging in die Hocke, sodass Simon und ich auf Augenhöhe waren.

„Ich habe wirklich braune Haare, Simon. Ich hab’ sie gefärbt, bevor ich hergekommen bin. Aber eigentlich gefällt mir das Braun viel besser. Ich werde es rauswachsen lassen und dann haben wir wieder die gleichen Haare.“

Das schien den Kleinen glücklich zu machen, denn er sprang in meine Arme und drückte mich. Ich spürte mein Herz regelrecht weich werden, dann war er auch schon wieder weg.

„Ich bin am Malen. Ich muss noch mehr Lila holen. Ich gehe in mein Zimmer und wenn ich fertig bin, dann zeig’ ich es dir.“ Ich stand auf und fühlte mich seltsam sentimental. In dem Moment öffnete sich die Hintertür und meine Augen trafen Aarons. „Guten Morgen zusammen.“

Er lächelte und trug eine Lebensmitteltüte. Er stellte sie auf der Küchenzeile ab und trat direkt hinter Kimberly. Sie lehnte sich gegen ihn, er beugte sich herab und küsste ihre Wange. Dann sah er über ihre Schulter in die Pfanne.

„Kimmy, ich weiß ja nicht, was du da machst, aber es funktioniert nicht. Geh dich anziehen, ich kümmere mich ums Frühstück. Ich hab’ Bananen mitgebracht, also kann ich die Pfannkuchen machen, die du so gern magst. Und ich hab’ Blaubeeren dabei für Dean. Schokoflakes hab’ ich auch hier, damit ich für Simon diese Mickey-Mouse-Pfannkuchen mit dem Gesicht drauf zaubern kann.“

Mein Bruder lachte.

„Was würden wir nur ohne dich machen, Mann? Ich hab’ hier gesessen und versucht, mich zwischen Tod durch Lebensmittelvergiftung oder Tod durch Verhungern zu entscheiden.“

Kimberly ging zu Dean hinüber und schlug ihm auf den Arm. „Hey, wenigstens habe ich versucht, Frühstück zu machen.“

Ich stand da und fühlte mich wie ein Außenseiter, obwohl das hier eigentlich meine Familie war. Sie waren alle so vertraut miteinander, neckten sich und lachten zusammen. Aaron wusste, was jeder gern aß. Ich dagegen wusste nicht das Geringste über sie.

Was war das eigentlich mit ihm und Kimberly? Meiner Auffassung nach ging er viel zu vertraut mit ihr um. Andauernd diese Umarmungen und Küsse. Und warum küsste er mich nicht? Letzte Nacht konnte er nicht die Hände von mir lassen und jetzt war ich … was? Die Persona non grata?

Ich war sauer und … eifersüchtig. Aber ich hatte kein Recht, eifersüchtig zu sein. Nicht auf sein enges Verhältnis zu meiner Familie oder auf etwas anderes. Ich hatte überhaupt keinen Anspruch auf irgendetwas hier.

Was meine Familie betraf, so hatte ich sie vor über einem Jahrzehnt verlassen und keinerlei Anstrengungen unternommen, in Kontakt zu bleiben. Und Aaron … Es war ja nicht so, als wäre er mein Freund. Ha! Als wenn ich überhaupt je irgendjemandes Freund sein könnte … sein wollte. Dieser Gedanke an eine mögliche Beziehung verstörte mich mehr, als ich mir eingestehen wollte.

„Wie war dein Treffen gestern Abend, Aaron? Bist du noch rechtzeitig hingekommen?“

Ich hatte Kimberlys gestrige Bemerkung über Aarons Treffen völlig vergessen. Ich war gespannt, ob er ihr sagen würde, dass er nicht zu diesem Meeting gegangen, sondern mit mir zusammen gewesen war. Es war die Gelegenheit, herauszufinden, wie er zu mir stand und ob er seine Meinung über uns geändert hatte. Ich sah zu ihm hinüber.

Er zögerte und sah mich an. Ich sagte nichts. Dann seufzte er und begann, die Schüsseln und Löffel auf der Küchenzeile einzusammeln und zur Spüle zu tragen.

„Das Treffen war gut. Ich war fast pünktlich, hatte also nicht viel verpasst. Keine Sorge.“

Was zum Henker sollte das? Das Treffen war gut?