Odyssee - Galax Acheronian - E-Book

Odyssee E-Book

Galax Acheronian

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Beschreibung

Der NPC-Agent Julius LeSolda ist auf der Flucht. Er begleitet den 17-jährigen Janto, der trotz seines jungen Alters bereits Opfer des herrischen Systems der Erde geworden ist. Die Rettung dieses gebrochenen Lebens liegt nun in Julius' Verpflichtung. Um keine Spuren zu hinterlassen, sucht er Hilfe bei einem I'To-Clan, der eine feste Handelsroute zur Koloniewelt Anaximenes betreibt. Jedoch findet die Reise nach nur wenigen Tagen am Planeten Pecon ein unerwartetes Ende. Das Leben aller an Bord ist bedroht. Es hängt nun ausgerechnet an Janto, dieses Schicksal von seinen Helfern abzuwenden. Zuvor muss er jedoch seinen Lebenswillen wiederfinden. Einen unerwarteten Anker dorthin findet der junge Mann in dem I'To Bleràmi und dessen bedingungsloser Freundlichkeit - eine Freundlichkeit, die er auf der Erde nie zuvor erfahren hat.

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Odyssee

- 2256 -

»Die Menschheit steht über allem, gleich dem Herrn über die Schöpfung. Unsere Macht erlaubt ein Handeln ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Diese Freiheit aber stellt einen Jeden in die Pflicht zur Opferbereitschaft; Gehorsam und Loyalität muss ebenso eingefordert werden, wie Liebe und Vertrauen, welche ohne den Herrn nicht vollkommen sind.«

8. Februar 2254 Reverend John MatthewsBaltimore - Maryland.

Hinweise

Liebe Leser, für ein leichteres Verständnis wurden die Dialoge, welche zwischen den Außerirdischen allein stattfinden, direkt übersetzt.

Das betrifft nicht die Szenen, in denen Menschen anwesend sind und einige I‘To eine Sprachbarriere gegenüber diesen Personen haben.

Inhaltsverzeichnis

Odyssee

Hinweise

Teil I: Rutak

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Teil II: Pecon

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Teil III: Eis

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Glossar

Historischer Abriss nach 2233

Chronologische Übersicht der Koloniewelten

Hallo, liebe Leserin und lieber Leser :)

Und wer hat Schuld?

Weitere Informationen

Part I

Rutak

1

Kolonie Crysaor, Ivory – 2256 n. Chr. 11. April des Jahres 137 n. d. L. – 10:14 Uhr

»Denkst du über die Toten nach?«

Julius LeSolda reagierte nicht auf diese Frage, sah stattdessen weiterhin still aus dem Fenster. In seinem Blickfeld standen gewaltige Bäume mit kräftigen Blättern, die an den Enden der Äste breite Fächer bildeten und ihm einen Großteil der Sicht auf den unebenen Horizont nahmen.

Die Formation der Berge sah denen auf der Erde recht ähnlich, nur dass die Felsen hier ein wenig abgerundet waren, geformt von dauerhaftem Wind und Regen. Dem Klima geschuldet entwickelten sich viele Pflanzen dieses meist sumpfigen Planeten recht filigran und boten der Umwelt wenig Angriffsfläche. Dadurch glichen sie überdimensionalen Strauchgewächsen, die dem Boden ihre haargleichen Nadeln entgegenstreckten. Zwischen all dem feinen Grün standen rötliche Knollen mit weißen oder gelben Punkten. Diese Blüten lockten ovale, an Libellen erinnernde Insekten mit violett glänzenden Halbpanzern an, die in einem faszinierenden Spiel aus Auftrieb und Absenken LeSoldas volle Aufmerksamkeit hatten.

»Das solltest du.«

Julius befand sich in einem kleinen Hotelzimmer, in seinem Rücken ein schlichtes Bett und einen schwarzen Nachtschrank neben der Tür zur Waschnische. Die beigen Wände waren mit rahmenlosen Bildern verschiedener Landschaften geschmückt. Ein Holo-Media-Emitter stand als silberne Säule gegenüber dem Bett auf einem winzigen mit Blumen geschmückten Tisch. Seit seiner Ankunft heute Nacht war das Gerät deaktiviert geblieben. Das Zimmer an sich machte einen angenehmen Eindruck. Die dunklen Vorhänge am Fenster passten perfekt zum Boden und der Tagesdecke auf dem Bett, auf dessen Kante der ehemalige Captain Nicolay Ryan saß. Das Haar des Mannes war aschgrau, seine dunkle Haut faltig und mit Altersflecken gespickt, sein Gesichtsausdruck von Wut durchzogen.

Die zuletzt von LeSolda ausgelegte Falle hatte sehr wahrscheinlich die Crew eines kleinen Zerstörers in den Tod geschickt.

380 Menschen befanden sich an Bord eines Schiffes dieser Größe. Es war ein unnötiges Opfer, das Ryan nicht loslassen konnte. Trotz allem, was hinter ihm lag, trotz seiner unehrenhaften Entlassung lebte er noch immer nach den Regeln der Navy. LeSolda hatte für Ryans Gefühle großes Verständnis, denn obwohl sich beide noch keine zwei Monate kannten, waren sie einander so vertraut wie niemand sonst in diesem Universum.

»Hörst du?«, fragte Ryan deutlicher als zuvor.

»Haben sie es denn verdient, bedacht zu werden?« Julius wandte sich um. Er war kaum älter als Ryan, allerdings die Ruhe in Person. Er selbst würde sich grundsätzlich als einen Mann beschreiben, der sich durch Geduld auszeichnete, immer besonnen handelte, allerdings auch strikt konsequent. Er empfand sich nicht einmal als besonders pflichtbewusst, wenn er tat, was getan werden musste, um die Ziele seiner Aufgabe zu erreichen. Dinge mussten nun einmal getan werden. Auch kannte er keinen Stolz, egal für was. Es würde Gott ohnehin nicht gefallen, stolz zu sein, wenn man seiner Verpflichtung nachkam. Diese Einstellung war notwendig, um in den stillen Momenten so ausgeglichen zu bleiben, wie er es jetzt gerade war, und sogar um nachts gut schlafen zu können. Was Julius LeSolda allerdings kannte, war Loyalität, womöglich das Einzige was er wirklich kannte – direkt nach Captain Ryan.

»Natürlich«, antwortete dieser mit erboster Stimme. »Sie haben den Tod nicht verdient. Wir sind da, um zu schützen, Recht und Ordnung aufrechtzuhalten …«

»Du meinst, als verlängerter Arm der Partei?« Julius blickte wieder aus dem Fenster. »Wen hat deine geliebte Navy in den letzten einhundert Jahren beschützt? Und wen getötet?« Er lachte verächtlich. »Die Zahlen könnten unterschiedlicher nicht sein.«

»Wir sind auf Stabilität aus …«, erklärte Ryan.

»Ich weiß.« LeSolda nickte. Die Zeit der Expansion war seit Jahrzehnten zum Erliegen gekommen. »Ihr hetzt von Ort zu Ort, stranguliert euch an euren eigenen Regeln, obwohl jeder Planet, jede Station eigene Befehle und andere Verteidiger unserer Kirche innehat. Und natürlich andere Vorstellungen davon, was für alle das Beste ist.«

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn wieder in das Zimmer blicken. »Ja bitte!«, rief er kräftig.

»Mr. Lesolda, Sir?«, erklang die sanfte Stimme einer jungen Frau. »VrétiWig ist soeben gelandet und erwartet Sie nun.«

»Danke.« Julius griff seine Jacke, blickte noch einmal durch das leere Hotelzimmer, das er ohne weiteres Zögern verließ.

Der Anblick der jungen Frau ließ ihn einen Moment innehalten. Sie war seiner ersten Meinung nach absolut unanständig gekleidet. Das Oberteil erlaubte einen zu tiefen Einblick, ihre Arme waren vom Ellenbogen an frei und anstatt eines Rocks trug sie eine fürchterlich enge Hose. LeSolda selbst war recht traditionell gekleidet: eine dunkle Anzugsjacke, am Kragen geschlossen und von der Länge bis über das Gesäß reichend, eine weiße Hose und ebenso weiße Schuhe mit automatischem Verschluss. Seine Begleitung trug sogar Absätze, keine besonders hohen, und doch Absätze. Auf der Erde waren solche Schuhe seit Jahrzehnten verboten. Anhand der Kleidung dieser Frau erkannte Julius, dass ihr nicht nur das Verbot von Absätzen egal war. In ihrem Kopf konnte Julius lesen, dass sie seinen kleinen Disput mit Ryan gehört hatte, doch die Frage nicht auszusprechen wagte, mit wem er gesprochen haben könnte. »Wir haben erneut eine Anfrage der Systemsicherheit erhalten«, sagte sie stattdessen.

»Hat sich das Fahndungsgesuch etwa geändert?«

»Nein, sie haben nur ihre Frage wiederholt.«

Julius lächelte unbekümmert. »Antworten Sie ruhig. Bis ein Schiff hier ankommt, vergehen gut zwei Wochen.«

Vor dem Hotel stand ein schmales Fahrzeug bereit, steingrau und auf sechs kleinen Rädern. Nicolay stand mit dem Rücken an dieses gelehnt, noch immer in seiner stattlichen Uniform, die Arme verschränkt. »Wirst du auch dieses Schiff in eine Falle locken?«, fragte er vorwurfsvoll. Julius ignorierte ihn und stieg zusammen mit der ihm unbekannten Frau ein. Das Ziel war bereits einprogrammiert. »Losfahren«, befahl sie dem Fahrzeug, und das Gefährt rollte tonlos an.

Julius blickte über die vorbeirauschende Umgebung. Er liebte fremde Welten, eine Eigenschaft, die er sich von seinem Ziehvater abgeschaut hatte. Es war faszinierend, wie die Menschen fremde Welten formten und sich zu eigen machten, wie sie es einst auf der Erde getan hatten. Nur dass man auf neuen Planeten auf die Fehler verzichtete, die über Jahrhunderte hinweg der Heimatwelt angetan worden waren und bis heute nachwirkten.

Das Fahrzeug lenkte auf eine breite Straße und beschleunigte zügig. Auf dem Frontdisplay waren siebzehn Minuten Reisezeit angegeben. Das Ziel war der Raumhafen, genauer der Landeplatz, auf dem seit geraumer Zeit sein Schiff stand, auch wenn es offiziell auf Nicolay Ryan ausgestellt war.

Am Hafen angekommen verließ Julius das Fahrzeug und schirmte sich die Augen gegen die aufgehende Sonne ab. Neben einem silbern glänzenden, typisch ovalen Shuttle der I’To standen zwei dieser gewaltigen Kreaturen. Ihre massigen Körper mit Schmuck und Stoffen veredelt waren erstaunlich gewandt. Vor Jahren hatte er einmal einen I’To rennen sehen, was ihm durchaus den Atem stocken ließ.

»Welcher ist welcher?«, fragte er, ohne seine Begleiterin anzusehen.

»Der Linke ist VrétiWig«, antwortete sie und deutete auf den graubraunen Riesen, der einen Schritt hinter seinem Gefährten ging.

»Woran machen Sie das aus?«

»Sein Gesicht.« Die namenlose Frau grinste verschmitzt, da sie offenbar genau wusste, dass sie aus der Perspektive des Alten etwas Absurdes gesagt hatte. Auch Ryan lachte. Julius hingegen schnaufte nur unzufrieden. Der alte Captain achtete diese Wesen genauso wie Menschen. In seinem Verständnis waren alle Raumfahrer gleich. Julius selbst kämpfte noch mit den Vorurteilen gegen Außerirdische, wie er es sein Leben lang erklärt bekommen hatte. Da er sich für Ryans Ansichten geöffnet hatte, war es nur eine Frage der Zeit, dass er denselben Respekt und alsbald auch dasselbe Wissen und Empfinden für die I’To entwickeln würde wie sein Begleiter.

»Man lernt sie zu unterscheiden, Sir«, versprach die junge Frau und führte ihn zu den beiden Außerirdischen, auf deren Welt Julius LeSolda das Alien war.

Einige Meter vor den beiden I’To blieb die junge Frau stehen, schob ihren Kopf von links nach rechts und hob erst die eine, anschließend die andere Schulter. »Willkommen zurück, Vréti.«

Die I’tos begrüßten sie ebenso, wobei sie allerdings ihren halslosen Kopf bewegten und den oberen Rüssel herabneigten. Aus diesem mit verschieden langen Fühlern versehenen Organ, das irrwitzigerweise die Nase war, drangen die Laute zur Kommunikation. »Sophia, ich habe dich vermisst.«

»Danke.« Sie berührte seinen vordersten Arm und strich diesen herunter. Offensichtlich eine feste Geste, da der I’To ihren Arm auf dieselbe Art berührte.

»Ich habe dir Julius LeSolda mitgebracht, von der Erde«, sagte sie und trat einen halben Schritt zur Seite.

Der I’To bewegte seine riesigen mit feinen Härchen besetzten Fühler nach vorn. Wie bei einer Schnecke saßen sechs davon in verschiedenen Längen auf seinem Kopf. »Vielen Dank«, sagte VrétiWig und schob seinen Körper vor, wobei er mit seinen kräftigen Beinen nur einen kleinen Schritt machte.

Julius musste bei der Bewegung an einen Elefanten denken, nicht nur wegen der Haut und dem, wenn auch kleinen, Rüssel, sondern weil I’To im Allgemeinen friedlich und besonnen waren. Bei Letzterem, so meinte Julius, hatten beide schon mal eine persönliche Gemeinsamkeit.

»Grüß …« Julius unterbrach sich und schluckte den Namen des Allmächtigen herunter. I’To waren noch immer nicht gläubig geworden. Sie wollten einfach nicht glauben, was Julius durchaus zu akzeptieren bereit war. »Ich grüße Sie«, sagte er stattdessen und musterte das gewaltige Wesen. Er schätzte VrétiWig auf knapp vier Meter Höhe und knapp 300 Kilo. Seine Kleidung bestand aus zwei Teilen, jeweils in hellblauer Farbe, fast schon ein Kontrast zu seiner Haut.

Sein Kopf, sein Vorderrumpf war mit Schmuckstücken übersät. I'to schmückten ihre Körper nach der Hierarchie ihrer Bedeutung. Je mehr Schmuck, desto erfahrener und angesehener war jemand. Welche Leistung erbracht wurde, war allerdings nicht ersichtlich.

»Sie kommen klar, Mr. LeSolda?«, fragte die junge Frau.

»Ja, vielen Dank. Gott mit Ihnen.«

»Und Ihnen«, verabschiedete sie sich und ließ die drei allein.

Julius räusperte sich und sah die beiden großen Kreaturen im Wechsel an. »Ich komme besser gleich zum Punkt. Ich möchte auf Ihrem Schiff mitreisen, unerkannt und unregistriert. Er machte eine halbe Drehung und deutete auf eine alte Sedna, die am anderen Ende des Platzes neben den Wartungshangars stand. »Da ich nicht bezahlen kann, überlasse ich euch mein Schiff.« »Mein Schiff«, berichtigte Ryan.

VrétiWig rümpfte skeptisch seinen Rüssel. »Das ist ungewöhnlich für einen Menschen.« Seine Fühler senkten sich. »Und illegal reisen? Überall könnten Patrouillen sein.«

Julius wünschte, er könne die Gedanken von I’Tos lesen, doch die Fragmente aus dem Kopf dieser Wesen waren noch fremder als ihre Erscheinung. Nichts Brauchbares schwappte herüber. Noch nicht einmal Gefühle konnte er korrekt zuordnen. Dennoch war er sicher, dass VrétiWig besorgt war.

In Momenten wie diesen fühlte er sich wie ein normaler Mensch, für ihn durchaus eine erfrischend ungewöhnliche Erfahrung. »Ja, es ist illegal«, erklärte er offen. »Aber am besten zeige ich es Ihnen einfach.« Er bedeutete VrétiWig, ihm zu seinem Schiff zu folgen. »Dann werden Sie verstehen.«

Julius nahm sein PCP heraus und gab den Aktivierungscode ein, der die Ladeklappe an der Seite der verschlissenen Sedna öffnete. Anschließend führte er VrétiWig in das recht unübersichtliche Lager des Schiffes und blieb vor mehreren Behältern stehen, die sich kurzerhand als leer herausstellten. Mit bloßen Händen schob er zwei Kanister zur Seite und offenbarte eine dunkle und verwitterte Metallbox, in ihrem Ausmaß kaum größer als ein Mensch. Mehrere Leitungen führten durch eine offene Bodenplatte in das Zwischendeck des Schiffes.

»Das hier ist eine der alten Cryogenkammern, die vor knapp zweihundert Jahren benutzt wurden, um die Distanzen zwischen den Sonnensystemen zu überleben«, erklärte er.

»Ich kenne diese Vorrichtung.« VrétiWig bestätigte mit dem Ausstrecken seines Rüssels. »Eine davon steht im historischen Museum.«

»Sehr gut.« Julius war froh, nicht weiter ins Detail gehen zu müssen, wischte über das beschlagene Glas, unter dem das Gesicht eines Jungen zu sehen war.

Der I’to schien zu erschrecken. »Ist er nach so langer Zeit noch am Leben?«

»Er ist keine zweihundert Jahre alt. Ich habe ihn vor einem halben Jahr eingefroren, um ihn vor allen uns bekannten Scannern zu verbergen. Sein Name ist Janto, er ist erst siebzehn Jahre alt und ein Flüchtling.«

VrétiWig schnaufte und schien tatsächlich zu verstehen. Denn natürlich kannte der I'To das Ziel seiner nächsten Reise, ebenso wie Julius LeSolda.

»Ich erkenne hier ein Verbrechen im Sinne unserer Verbündeten. Warum soll ich dir helfen?«

Julius lehnte sich gegen die Cryokammer. »Das ist eine lange und unschöne Geschichte.« Er verschränkte die Arme und musterte Ryan, der neben VrétiWig stand und mit eindringlichem Blick forderte, am besten alles zu erzählen. »Und, ja, ein Verbrechen. Doch anders, als du es jetzt noch empfindest.«

Der I’To ließ seine Arme sinken und entspannte die Fühler sowie den Rüssel. »Ich höre zu.«

Dankbar nickte Julius und setzte sich schließlich auf die Kante der Kammer. »Janto hat gegen einen Patron ausgesagt. Viele Jahre zuvor waren sich beide in einem Internat begegnet … Dieser Mann hat dort sehr viele Kinder …« Er zögerte, das Folgende auszusprechen, und räusperte sich unbeholfen. In seinem Leben hatte er Hunderte an Menschen getötet, hingerichtet, vergiftet, erdrosselt, sich sogar einmal in Leichen versteckt, ein rohes Tier gegessen und drei Tage in einer Kloake gelebt. An dieser Stelle aber musste er sich sammeln: »Missbraucht … auf schreckliche und perverse Weise. Wir wissen von mindestens einem Todesfall.« Er machte eine Pause, um das Gesagte sacken zu lassen. Sein Blick galt dabei Captain Ryans strengem Blick.

VrétiWigs Körpersprache bildete jedoch nur ein Mysterium aus Andersartigkeit. Schließlich nahm der I‘To ein Pad zur Hand und gab einige der Worte ein, die er offenbar nicht verstanden hatte. Sein Rüssel hob sich, jeder Fühler an seinem Körper sackte nach unten. »Das ist grausam.«

»Und es geht noch weiter«, sagte Julius, blickte noch immer den alten Captain an.

»Wie meinst du das? Ist dieser junge Mensch in Gefahr?«

»Ja, natürlich. Denn als damals die Taten des Mannes ans Licht kamen, wurde dieser nur versetzt, und zwar dorthin, wo es keine Kinder gab: in die Navy.«

Der I’To schien sich zu wundern, so weit konnte Julius es erkennen. »Dieser Mann hatte einen besonderen Status«, erklärte er. »Er war ein Geistlicher und sehr … nunja, besonders …«

»Er war nur ein Freak, wie du«, raunte Ryan.

Julius kniff nur seinen Mund zusammen, wollte derlei nicht vor dem Außerirdischen erklären. LCD-kompatible Menschen waren nach wie vor eine Seltenheit. Weder konnte man diese Fähigkeit vererben noch genetisch nachbilden. Zudem reichte Kompatibilität allein nicht aus, ein Agent, ein Patron oder gar ein Halbgott zu werden.

»Jedenfalls trat Janto wie die meisten jungen Männer mit sechzehn der Navy bei. Und auf seinem Schiff traf er nach vielen Jahren erneut auf diesen besonderen Mann aus seiner Kindheit. Sie erkannten einander wieder. Natürlich, denn der Junge sah ja fast noch genauso aus wie damals, dank eines Medikaments, das unsere Kinder zu nehmen verpflichtet sind.«

Wie zur Sicherheit warf der I’To einen Blick auf das junge Gesicht hinter dem Glas.

LeSoldas Stimme war wie belegt. »Und Janto war es nie vergönnt, das Gesicht seines Teufels zu vergessen.« Er sah ebenfalls in das gefrorene Gesicht. »Der Patron nutzte seine Gottesmacht, um diesen Jungen erneut zu schänden, bedachte jedoch nicht die schiffsinternen Sensoren. Es ging Schlag auf Schlag, zusammen mit Jantos Aussage und den Aufzeichnungen war der Patron im Arrest, noch ehe er sich die Hosen wieder hochgezogen hatte.« Unbedacht hatte der ehemalige Agent die Faust geballt, was dem I’To nicht entgangen war. Leise gab VrétiWig einen summenden Ton aus. »Ich fürchte, der schlimme Teil kommt noch.«

Julius nickte und sah erneut Ryan an, der die Augen verdrehte. »Nun mach es nicht so spannend. Es ist keine Geschichte, die zur Unterhaltung dient.«

Dem zustimmend fasste Julius die Erzählung etwas zusammen. »Der Captain des Schiffes setzte daraufhin Kurs zur Erde, um den Patron vor Gericht zu bringen. Nur dummerweise haben Geistliche in gewissen Positionen immer und überall loyale Dummköpfe an ihrer Seite. Jemand befreite den Patron, welcher nur Minuten später drohte, den Captain des Schiffes zu töten, wenn dieser nicht in seinem Vorhaben einlenkte, denn der Patron empfand sich in all seinem Tun im Recht im Bezug zu Janto und seiner Forderung, den Kommandanten des Schiffes zu bedrohen. Er wurde kurzerhand darauf erschossen.« Julius runzelte die Stirn und blickte immer wieder in die Cryokammer. In seiner Welt verstand er den Tod als Erlösung, nicht als Strafe. Daher vertrat er auch die Meinung, dass hier Janto bestraft wurde, da dieser mit dem, was hinter ihm lag, leben musste, während der Patron davongekommen war – unabhängig davon, dass er in LeSoldas Weltbild in der Hölle schmorte. »Die wird inzwischen voll von Mitgliedern der NCP sein«, merkte Ryan aufgrund des letzten Gedankens an. »Und vermutlich hat die Partei dort auch schon die Macht an sich gerissen.«

Julius strafte Ryan mit Nichtbeachtung, schob die gemeinsamen Gedanken von sich und erklärte weiter. »Es kam trotzdem zu einem Prozess vor einem Militärgericht, in welchem Captain Mitchel des vorsätzlichen Mordes angeklagt, jedoch freigesprochen wurde. Das gefiel allerdings weder Kirche noch Partei, vor der er nun floh.«

VrétiWig hatte sich gesetzt und schnaufte langsam aus. »Eure Methoden sind barbarisch.«

Julius nickte. »Wir Menschen sind ja auch Barbaren. Und genau deshalb ist Janto heute hier.«

Der gewaltige I’To schwenkte seinen Kopf von links nach rechts. »Damit er nach Anaximenes gelangt.«

Julius nickte und sah wieder hinüber zu Ryan.

»Warum dort?«, fragte VrétiWig skeptisch. Seine tiefe Stimme war anklagend geworden. »Haltet ihr die Menschen dort nicht alle für … Wie nennt ihr es? Pervers? Ein Wort der Verachtung.«

Julius wünschte einmal mehr, er könne I’To lesen, und rätselte, diesen Satz einzuordnen.

»Er will sie schützen«, erklärte Ryan die Frage des I‘To. »Die Anaximener meine ich. Er traut dir nicht.«

Der alte Agent musterte das fremdartige Wesen. »Auf der Erde wird vieles gesagt. Es gibt Menschen, die halten dein Volk für Tiere.«

VrétiWig schnaufte erneut. Offenbar wusste er auch darüber Bescheid.

»Es spielt keine Rolle, ob jemand erzählt, dass die Naxies krank sind … Wichtig ist nur, dass es die einzige freie Welt ist, in der die Systemsicherheit keinen Fuß in der Tür hat.«

Abermals nahm der I’To sein Übersetzungsgerät hervor und schien kurz darauf sich zu amüsieren. »Warst du jemals dort?«

Julius musste verneinen, er kannte nur Bilder und Erinnerungen anderer Menschen, auch wenn sie sich inzwischen anfühlten wie die eigenen. Schließlich ging niemand von der Erde freiwillig nach Anaximenes, der nicht auch dort bleiben mochte. Eine Ausnahme bildete da Oliver Barx, der Bruder des Admirals, unter dessen Kommando auch Captain Ryan diente, ebenso wie der freigesprochene Captain Mitchel.

Da Ryan schon sein halbes Leben lang Anaximenes besuchen wollte, war auch er es, der sich ursprünglich gemeldet hatte, Janto auf diese Welt zu schmuggeln. Nur hatte niemand aus dieser kleinen Verschwörung mit Julius LeSolda, dem Agenten mit der Nummer 17-1, gerechnet. Kaum hatte Ryan seine Reise begonnen, kaperte LeSolda die alte Sedna, in der er gerade stand, tötete die Crew und unterzog Ryan dem intensivsten Verhör, das er jemals geführt hatte.

»Wirst du ihn mitnehmen?« Julius richtete sich auf. Solche Fragen stellte man nicht im Sitzen. »Nicht für mich oder die Menschheit. Sondern nur, weil er es verdient hat, zu leben.«

»Natürlich«, antwortete der I'To.

»Wirklich?« Der alte Mann hob die Augenbrauen, und das aufkommende Lächeln in seinem Gesicht schlug tiefe Falten. »Danke.«

VrétiWig legte seinen vorderen Arm auf seine Schulter. »Ich tue es, weil es richtig ist.«

»Das ist sehr nobel von dir.« Mit diesen Worten aktivierte er die Auftauprozedur der Cryokammer.

In nur zwanzig Sekunden wurde jede Zelle des im Inneren der Kammer Liegenden auf sechsunddreißig Grad gebracht. Ein Serum, das aus Amphibien-DNA gewonnen und vor dem Einfrieren verabreicht wurde, sorgte dafür, dass die Zellwände trotz der Temperaturunterschiede intakt blieben. Eine auf der Brust des Jungen angebrachte Vorrichtung begann mit der Wiederbelebung und injizierte mehrere Spritzen in den noch toten Körper, bis dieser wieder atmete und Janto die Augen öffnete. Für ihn war nur ein Moment vergangen, in dem er 26 Sekunden tot gewesen war. Das Universum um ihn herum war unterdessen sechs Monate älter.

Zischend öffnete sich die Kammer. Ein cremiger Film der oberen abgestorbenen Zellschicht lag auf seiner Haut. Auch war jedes Haar an seinem Körper abgestorben. Die Augen des Jungen rollten, schienen einen Fixpunkt zu suchen.

LeSolda hatte nie jemanden aus dem Cryogenschlaf erwachen sehen, noch war er selbst davon betroffen. Nur aus den uralten Unterlagen wusste er, dass Personen nach dem Erwachen eine Zeitlang desorientiert sein konnten.

»Alles ist in Ordnung«, sagte er, griff ein Tuch und bedeckte den Intimbereich des Jungen. »Deine Erinnerungen sind gleich zurück.«

Noch immer sah sich Janto unsicher um. »S-sind wir da?«

»Auf Chrysador«, beantwortete Julius die Frage. »Wir fliegen mit den I’To weiter.«

Janto versuchte sich zu bewegen. »Alles tut weh.« »Das gibt sich …« Julius reichte seine Hand, um ihm aufzuhelfen. »Geh duschen, dort findest du auch neue Kleidung.« Damit wandte er sich ab und verließ das Schiff.

VrétiWig folgte ihm und sah auf die Maschinen, die sein Shuttle mit Vorräten befüllten.

»Wir starten heute Abend«, erklärte er.

»Sehr gut.« Julius kniff den Mund zusammen. »Die Zeit wird er brauchen.«

2

Zum Abend hatte Julius eine große Portion Roastbeef bestellt, dazu Pommes und Käse. Jantos Lieblingsessen, wie er von Ryan wusste.

Der Junge hatte jedoch so gut wie nichts davon angerührt. Mit seinem Teller in der Hand saß er auf dem Bett und starrte in den Holo-Emitter, der einen schrillen Cartoon abspielte. Als der Film durch einen Anruf unterbrochen wurde, regte sich Janto. »Hey!«

LeSolda ignorierte ihn, und Julius befahl dem System, das Gespräch anzunehmen. Kurz darauf baute sich VrétiWigs Gesicht anstelle des Films auf. »Julius«, grüßte der I’To und bewegte seinen Kopf dem Gruß entsprechend.

»Verzeih, dass ich euren Gruß nicht beherrsche«, war die Entschuldigung des Alten.

»Weil du es albern findest«, merkte Ryan giftig an.

»Das ist in Ordnung«, begann VrétiWig. »Ich wollte nur Bescheid geben, dass der Ladevorgang beendet ist und ein Shuttle auf euch wartet.«

»Vielen Dank, wir machen uns sofort auf den Weg.«

Der I'To verabschiedete sich in seiner stummen Geste und beendete die Verbindung.

Julius griff in die Tasche seines Mantels und nahm eine silberne Ampulle hervor, die er sich an die Halsschlagader hielt. Eine halbe Dosis, für alle Fälle. Damit konnte er keine Wunder bewirken, sich aber im Zweifel verteidigen.

Anschließend packte er alles zusammen, was noch nicht verstaut war, und sah immer wieder zu Janto, der sich wieder dem Cartoon gewidmet hatte. »Können wir?«

Janto zuckte mit den Schultern.

»Ja oder nein?«, hakte Julius nach und schloss einen der beiden Koffer.

Schließlich nickte der Junge nach einer gefühlten Ewigkeit.

»Magst du noch etwas essen?«, fragte der ehemalige Agent mit Blick auf den Teller. »Unterwegs gibt’s kein Fleisch.«

»Ist mir egal«, meinte Janto und stellte seine Mahlzeit beiseite. Seine Stimme war noch immer so hoch wie die eines Kindes, auch wenn sein Körper allein von der Größe bereits ein Teenager war.

Ryan trat in Julius’ Blickfeld. »Auf Anaximenes gibt’s auch kein Fleisch.«

»Ist das so?«, war die Gegenfrage des alten Mannes, ehe er Ryans Anmerkung für Janto wiederholte.

»Ist auch egal«, antwortete dieser.

»Na gut«, gab Julius auf und sammelte zusammen, was übriggeblieben war. »Ich packe es ein.«

An der Rezeption kündigte er das Zimmer und achtete darauf, dass Janto von niemandem bemerkt wurde. Der Junge trug Kleidung, wie sie Teenager hier auf dem Planeten trugen. Anders als auf der Erde war die Kleidung hier sehr viel offener. Sein Oberteil mit dem Abbild einer hier bekannten Musikgruppe tarnte ihn ebenso wie die für irdische Menschen viel zu enge Hose mit den hohen Stiefeln, die hier die Einheimischen wegen des ständigen Niederschlags trugen.

»Vielen Dank, Sir«, sagte die Dame, nahm die Schlüsselkarte entgegen und ließ auf einem kleinen Holofeld den Rechnungsbetrag aufflammen. »Das macht dann 644 Dollar.«

»Ich habe da etwas Besseres«, meinte Julius und legte seinen Dienstkoffer auf den Tresen. Mit Berühren des Displays öffnete sich dieser.

»Einwandfreie Agentenausrüstung. Zwei Pulser, ein Scanner mit drei Standardaufsätzen und einem ganz speziellen, zwei PCPs, ein Kartenduplikator und ein Laser-Dietrich!«

Die junge Dame stutzte. »Sir, … ich fürchte, ich muss auf konventioneller Art der Bezahlung bestehen.«

»Junge Frau, … diese Ausrüstung kostet mehrere Tausend Dollar … Ich denke, das wird Ihre Kosten decken.«

»Nein, Sir …«

Julius runzelte die Stirn. Er konnte sein Gegenüber einfach dazu zwingen, die Rechnung zu ignorieren, nur gehörte es zu seinem Kodex, eine erhaltene Leistung entsprechend zu entlohnen. Ein Gotteskrieger, der seine Macht nutzte, ein solches Unrecht zu tun, war kein Krieger Gottes mehr. Was den Punkt Recht und Unrecht an sich betraf, war dies jedoch noch einmal eine ganz andere Geschichte. »Sehen Sie«, sagte er entwaffnend. »Ich habe kein Geld, keine Karten, keine ID. In wenigen Minuten verlasse ich diesen Planeten und kehre nie wieder zurück. Entweder akzeptieren Sie diese Gegenstände im zehnfachen Wert oder nicht.« Damit griff er seine anderen beiden Koffer und winkte Janto mit dem Kopf zu, ihm zu folgen. »Komm.«

»Sir, bleiben Sie stehen!«, rief die junge Frau ihm nach, während sie den Knopf in ihrem Ohr berührte, um die Sicherheit zu informieren, die ihn binnen Sekunden am Haupteingang abfing.

Freundlich, aber bestimmt blockierten zwei kräftige Männer den Ausgang, ohne Julius dabei zu berühren. Daraufhin blieb dieser stehen, senkte seinen Kopf und konzentrierte sich. Gehirne zu blockieren war etwas Einfaches. Der Betroffene merkte derlei noch nicht einmal, es wirkte auf ihn wie ein Zeitsprung.

Die Männer standen nur da, regten sich nicht.

Julius und der Junge gingen einfach an ihnen vorbei. Die nacheilende Frau versuchte kurz, die Sicherheitskräfte anzusprechen, ehe sie Julius nach draußen verfolgte. »Sir!«, rief sie. »Das geht nicht.«

»Nehmen Sie den Koffer, Ma’am. Wenn Sie klug sind, zahlen Sie meine Rechnung und behalten die Gegenstände.« Er zwinkerte ihr zu.

»Aber …« Tatsächlich schien sie über diese Option nachzudenken und wandte sich dem Koffer zu, der noch immer auf dem Tresen stand. Julius fühlte, dass sie seinen Ratschlag tatsächlich in Erwägung zog.

Unterdessen waren Julius und Janto auf einen I’To zugegangen, der beide mit dem Winken seiner hinteren Arme zu sich rief.

Diese Lebensformen benutzten ihre verschiedenen Arme jeweils für ganz bestimmte Dinge. Während die vorderen genutzt wurden, andere zu berühren, waren die mittleren für Richtungsbestimmungen, die dritten aber für Gesten.

»Ich bin LasGajaé«, grüßte der ungewöhnlich kleine I’To die beiden. Mit knapp unter zwei Metern war er durchaus als Zwerg anzusehen. Die Kreatur trug einen grünen Overall. An den Kanten war der Stoff enger und von der Farbe sehr viel heller. Auffällig war, dass dieses Kleidungsstück nicht wie üblich die beiden Schwanzenden am Ende des buckligen Leibes verdeckte. Auch waren die Ärmel und nur halb so lang. Auf seinem Kopf vor den optronischen Fühlern lag eine Art Diadem mit einem türkisen Stein. Dass ein so junger I'To bereits ein solches Stück tragen durfte, war in der Tat beachtlich.

»Ich bringe euch zum Shuttle.«

»Danke.« Julius bat Janto, in das Fahrzeug zu steigen. »Unsere Odyssee geht nun endlich weiter, dieses Mal jedoch ohne Kälteschlaf.«

***

Keine Stunde später setzte das von LasGajaé gesteuerte Shuttle im Hangar des Handelsschiffes auf und deaktivierte seine Triebwerke.

Rumpelnd öffnete sich das Schott an der Front wie das Maul eines Wals und entließ seine Passagiere auf das Schiff.

Julius LeSolda betrat als erster den Hangar, der größer war als eine der Wartungshallen auf dem Planeten. Bereits das Shuttle war nach menschlichen Maßstäben gewaltig. Über fünf Meter hoch und beinahe zwanzig Meter Länge, schätzte er. Es gab im Inneren sogar zwei Decks, auch wenn das obere einzig zur Steuerung diente, während der Bauch unten für den Transport diverser Lasten oder Passagiere gedacht war. Am anderen Ende befand sich ein weiteres Shuttle, das gerade entladen wurde. Dutzende Boxen wurden auf ein Laufband gelegt, das in einen vergleichbar großen Bereich mündete wie dieser Hangar. Gemessen an diesen Dimensionen musste das Schiff gewaltig sein. Während des Anfluges hatte er nicht sonderlich viel vom Schiff selbst sehen können, nur dass es an der mehrstufigen Station im Orbit des Planeten dockte, sowie das Design des Schiffes. Prägnant für jeden I’To-Raumer war der sichelförmige Unterbau, welcher zum Antriebssystem gehörte. Das Größte am Schiff aber blieb die Kette der runden Container, die am Heck befestigt waren. Dagegen wirkte selbst dieser Hangar klein. LeSolda sah prüfend von einer Seite zur anderen und winkte schließlich Janto hinaus. »Okay, komm.«

»Du glaube, wir machen Falle?«, fragte eine dumpfe Stimme.

Julius hob den Blick und sah auf einen I’To in einem graublauen Anzug, der um das Shuttle trat. Er trug neben einer Kette auf seinem Kopf ein silbriges Diadem mit vier roten Steinen. Auf den Schultern lagen kleine ebenso silberne Hauben, jeweils mit geflochtenem Metall verbunden. Dieser I'To war gut und gerne dreimal so groß wie ihr außerirdischer Begleiter.

»Alte Angewohnheiten legen sich nur schwer ab«, erklärte er sich, trat näher und betrachtete den Schmuck seines Gegenübers. »Du bist nicht VrétiWig«, riet er unsicher. Dabei hatte er sich fest vorgenommen, sich die Schmuckteile auf den I'To einzuprägen.

»Ich nein VrétiWig. Ich PruáWe.« Damit schob das Wesen seinen Kopf von links nach rechts und hob erst die eine, anschließend die andere Schulter.

LeSolda nickte geduldig. »Leider kann ich euren Gruß noch nicht.«

»Aber du erkennen.« Der I’To grüßte auch Janto mit dieser stummen Geste. Dieser wich zurück, als der I’To gestikulierte.

»Mach dir keine Sorgen, es sind friedliche Wesen.«

»Sehen ganz anders aus«, merkte Janto an. LeSolda spürte deutlich die Abneigung des Jungen. Er konnte es ihm nicht übelnehmen, denn auf der einen Seite hatte Janto noch nie einen echten Außerirdischen gesehen und auf der anderen befand er sich vor einem halben Jahr noch in der Ausbildung und zuvor auf einem Internat, wo er nichts als die reinste Propaganda der Erde eingeflößt bekommen hatte.

»Du musst nun vergessen, was du bisher gelernt hast. Du bist nicht mehr Teil der Erde.«

Janto kniff wortlos den Mund zusammen. Wie ein offenes Buch neidete er dem alten Mann die Fähigkeit, so leicht über den eigenen Schatten springen zu können. »Oder aber er verurteilt es, wer weiß das schon«, kommentierte Ryan die von LeSolda empfangenen Gefühle Jantos.

»Wir alle müssen uns ab heute dem Neuen stellen«, sagte Lesolda an seine beiden Begleiter gleichermaßen gerichtet.

Mit fremdartigen Tönen näherte sich LasGajaé der kleinen Gruppe und wechselte schnelle Worte mit PruáWe, ehe er sich an die beiden Menschen wandte. »Ich werde für euch übersetzen«, erklärte der jüngere Außerirdische. »Nur wenige von uns sprechen eure Sprache fließend.«

»Verstehe, danke.« LeSolda neigte den Kopf.

Fortan sprach PruáWe in seiner eigenen Sprache und wurde von LasGajaé übersetzt. »Ihr seid auf unserem Schiff sicher. Als erstes zeigt euch PruáWe die Quartiere.« Damit drehte sich der riesige I‘To langsam um und schob seinen massigen Körper auf das gleichsam gewaltige Schott zu, während er mit kurzen Pausen weitersprach.

»Es gibt einige Regeln zu beachten«, übersetzte LasGajaé. »Stellt sicher, dass ihr nur die Bereiche des Schiffes betretet, in denen Schwerkraft herrscht.« Julius nickte und sah über die halbrunden Wände des Ganges. »Dieses Schiff wurde nachgerüstet?«

»Allerdings.« Die beiden I‘To nahmen eine Biegung, wo der Gang in einen weiten Raum mündete. Am hinteren Ende konnte Julius die Kommandobrücke sehen. Anders als auf irdischen Schiffen gab es hier keine zahllosen Gänge, die zu allen möglichen Bereichen führten, sondern nur einen gewaltigen Hohlraum, an den alle übrigen Bereiche angrenzten.

»Unsere Route ist streng vorgegeben, Start- und Ankunftspunkt. Die Sprungsätze finden an jedem Tag zur selben Zeit statt.«

»Das verlängert die Reise enorm«, begriff Julius. Wenn er richtig informiert war, betrug der Tag für einen I’To siebenundzwanzig irdische Stunden und vierzig Minuten. Er sah sich kurz zu Janto um, nicht nur um zu schauen, wie er auf diese Information reagierte, sondern auch, um zu kontrollieren, ob er noch anwesend war.

Völlig desinteressiert sah er nur auf die Füße und genoss keine Sekunde diese faszinierende Architektur, die ihn umgab.

»Aber es verlängert auch die Funktionsweise des Schiffes«, übersetzte der kleine I’To derweilen das von

PruáWe erbrachte Argument.

»In 28 Tagen möchten wir im anaximenischen Raum sein. Die letzte Zielbarke befindet sich bereits in der Nähe des dritten Planeten«, klärte LasGajaé weiter auf.

»Ihr haltet euch auch innerhalb der Naxigrenzen an die Vorgaben der Erde?«, stutzte Julius.

»Es sind unsere Regeln, sie wurden mit der Navy zusammen entwickelt, um Komplikationen zu vermeiden.« Die I’To blieben stehen und wandten sich um. LasGajaé hörte der Ausführung des Großen zu, ehe er alles zusammen übersetze. »Dieses Mal wird es allerdings eine Abweichung von zwölf Prozent geben. Auf diese Art vermeiden wir es, von den Drohnen erfasst zu werden, und weichen auch den auf unserem Weg befindlichen Sicherheitsposten aus. Unser Transponder wird nach jedem Sprung eine entsprechende Signatur zurücklassen.«

Julius nickte und sah Ryan an, der gleichsam zufrieden den Blick erwiderte. »Sie haben an fast alles gedacht.«

»Fast«, bekräftigte Ryan.

»Dies ist euer Quartier«, erklärte LasGajaé. »Es ist euer privater Bereich.«

Julius stellte erleichtert sein Gepäck ab. »Danke.«

Der I’To legte seinen vorderen Arm auf den Öffnungsindikator. »Jetzt ihr.«

»Bitte?«, fragte Julius.

»Gebt euch dem System zu erkennen.«

»Ah!«, verstand er, reckte seinen Arm, so hoch er konnte, und berührte das Feld.

PruáWe sah auf Janto, der ebenfalls Mühe hatte, den Indikator zu berühren. Kurzerhand hob er diesen unter einem erschrockenen Protest an.

»Beruhige dich!«, rief LeSolda hinauf.

»Er kann was sagen!«

»Du würdest ihn nicht verstehen!«, versuchte LeSolda beschwichtigend zu erklären.

»Er soll mich runterlassen!«, forderte Janto.

Der alte Agent wandte sich an LasGajaé. »Sag Pruawie, dass Janto sich auf seine Art bedankt hat.«

»Wir werden ein zusätzliches Feld anbringen«, versprach der I’To, gab den Bestätigungsbefehl ein und ließ somit die Tür öffnen. »Quartiere sind die einzigen Orte im Schiff, die verschlossen sind. Respektiert bitte auch die Abgeschiedenheit unserer Crew.«

»Selbstverständlich«, versprach Julius, ließ dieses Mal Janto den Vortritt und folgte ihm mit den beiden Koffern.

Im Inneren pfiff er leise. »Na, das nenn ich mal ’ne Unterbringung.« Das Quartier war etwa fünf Meter hoch und jede Seite etwa zwanzig Meter lang. Orange Kugeln hingen versetzt an der Decke und spendeten sanftes Licht, das kaum von den matten Wänden wiedergegeben wurde.

PruáWe war ihm gefolgt und ließ LasGajaé abermals etwas übersetzen. »Die Fabrikatoren benötigen noch etwas Zeit, um für euch angemessene Einrichtungsgegenstände herzustellen.«

Julius sah auf eine in der Seite gefasste Vorrichtung, die ihm verdächtig wie ein Sofa schien. Er trat näher und berührte die weiche Oberfläche. Etwas über vier Meter in der Länge und drei in der Breite nahm diese ovale Form ein. »Also ich nehme gerne das hier.«

PruáWe schlug gleichsam mit LasGajaé die Fühler herab, und ihre Rüssel streckten sich nach unten; eine lachende Mimik bei den I’To.

»Einverstanden.«

Julius nahm sein PCP hervor. »Dafür könntet ihr mir das hier anfertigen.« Er übertrug den Bauplan eines Raumtrenners auf den Computer des I’To.

»Wo ist die Toilette?«, fragte Janto und seine Stimme nahm einen eher fordernden Ton an.

LasGajaé deutete mit seinem Zeigearm auf ein unscheinbares Schott, an dem sich ebenfalls in großer Höhe ein Öffnungsindikator befand. »Dort ist der Hygienebereich.«

Janto berührte den Indikator, und das dunkle Schott verschwand zischend in der Wand. Der Junge sah in den bläulich beleuchteten Bereich. Unsicher sah er zurück. »Das ist kein Klo …«

Julius sah nun ebenfalls hinein. Auf der rechten Seite befand sich eine tiefe Mulde, die anhand der Öffnungen am oberen Ende offensichtlich eine Art Dusche war. Jede Form in diesem Raum war rund, metallisch oder verspiegelt. Hinter einer halbtransparenten Wand befand sich eine weitere gerahmte Mulde. »Ich schätze, es ist das dort.«

»Die Badewanne?«

Julius sah von PruáWe auf die vermeintliche Wanne. »Ich denke nicht, dass ein I’To dort hineinpasst.«

Janto klappte den Mund auf. »Oh …« Er seufzte und ließ das Schott in die Verriegelung gleiten.

»Ich fürchte, auch da müssen wir uns etwas ausdenken«, meinte LasGajaé, sprach sich mit PruáWe ab, der sich eine Notiz machte und anschließend durch die inzwischen eingegangenen Meldungen srcollte. »Unser Start um DotoCeGo-IgDe.« Der große I’To blickte von Julius zu LasGajaé, der wieder erklärte. »Unsere Uhrzeiten sind leider nicht zu übersetzen, da sie sich grundlegend von der euren unterscheiden.«

»Damit können wir leben«, meinte LeSolda und räusperte sich. »Eine Sache hätte ich allerdings noch.«

»Ja?«

»Nur zur Sicherheit schlage ich vor, dass die Fahrt über jeglicher Funkkontakt nach außen unterbunden wird.«

»Weshalb?«, fragte LasGajaé.

»Die Systemsicherheit hört immer mit.«

»Dann wäre eine Funkstille deutlich verdächtiger als die üblichen Botschaften«, erklärte der I'To.

LeSolda senkte kurz den Blick, anschließend nickte er. »Richtig … Aber die Botschaften sollten unsere Anwesenheit nicht enthalten.«

LasGajaé schob den Rüssel vor. »Ich denke nicht, dass das passieren wird. Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen muss?«

»Nein, danke.«

Daraufhin weitete der I'To weitete die Arme zum Abschied und verließ zusammen mit PruáWe das Quartier.

Als Janto den Hygienebereich wieder verließ, stand Julius noch immer neben den Koffern.

Janto war spürbar erleichtert, dass die I’To gegangen waren. »Die riechen komisch.«

»Ich möchte nicht wissen, wie wir für sie riechen.«

»Mir egal …« Janto sah sich suchend um. Es gab hier nichts, wo er sich niederlassen konnte.

»Oder möchtest du das I’To-Bett?«, bot LeSolda an und deutete mit dem Kopf auf die bequeme Mulde.

»Nein.« Janto setzte sich auf den Boden, der mit einem weichen Teppich ausgestattet war.

»Okay. Ich habe um einen Raumtrenner gebeten. Du wirst deine Privatsphäre haben und jede erdenkliche Freiheit.« Julius nahm seinen Koffer auf. »Und in einem Monat bist du dann endlich auf Anaximenes.«

Janto griff nach seinem Koffer und öffnete diesen, ohne etwas zu sagen.

»Er verzeiht dir nicht«, erklärte Ryan, woraufhin Julius mit der Zunge schnalzte. Er würde niemals erwarten, dass der Junge ihm verzieh. Er genoss es sogar, die Wut und Verachtung in Janto zu erkennen, denn solange derlei brodelte, war er willens zu leben. Denn letztendlich ging es nur darum, dass er lebte und sein Ziel erreichte.

Julius griff daraufhin seinen eigenen Koffer und hob ihn auf eine ovale Form, etwas kleiner als das Bett und offensichtlich eine Sitzgelegenheit. Für einen Menschen hingegen konnte es auch ein Tisch sein – wenn es nicht so weich wäre.

Er öffnete den Koffer und entnahm ein altes Buch sowie ein noch originalverpacktes Computerpad.

»Ich habe hier etwas für dich.« Er reichte dem Jungen das Buch. »Ich habe es gekauft, während ich auf die I'To gewartet habe.«

Janto nahm die gereichten Dinge entgegen. Das Pad legte er neben sich, das Buch hingegen sah er irritiert an. »Was ist das?«

»Das nennt man ein Buch. So etwas wird schon lange nicht mehr regulär hergestellt. Öffne es.«

Janto schlug es auf und musste es drehen, um die Buchstaben zu erkennen.

»Ich selbst habe nie welche besessen, obwohl mein Vater sehr vermögend war«, erklärte der alte Mann. »Und was soll ich damit?«

»Lesen.«

»Aber warum?« Janto schlug das Buch wieder zu. Schließlich gab es tausende Bücher als Datensatz in jedem Computer.

»Dort stehen Dinge drin, die es in digitaler Form für uns nicht mehr gibt.« Nun deutete LeSolda auf das Pad. »Dort sind weitere Bücher gespeichert, aber was auf diesen Seiten steht, wirst du in keinem Computer finden.«

Der Junge runzelte die Stirn. »Was meinst du?«

»Wissen ist ein wertvolles Gut, das die Partei nur zu gern für sich behält.«

»Auch gegenüber dir?«

Der Alte nickte. »Natürlich. Stelle dir einmal eine denkende Maschine vor. Sie würde nie so funktionieren wie gewünscht. Daher muss auch ich noch vieles lernen, denn dort, wo wir hingehen, werden wir beide dumm sein.«

Janto rollte mit den Augen. Normalerweise war er es, der dieses Wort gebrauchte. Dank des LCD in seinem Blut fühlte LeSolda deutlich, dass Janto das eben Gesagte als Unsinn abtat – wie so oft, wenn LeSolda ihn auf etwas vorbereiten wollte. Provokant schob Janto das Buch von sich und griff zum Pad. »Sind da auch Spiele drauf?«

»Du solltest lesen. Ich werde dich prüfen.«

***

LasGajaé empfand Unbehagen. Die Freundlichkeit des alten Menschen war aufgesetzt, schien wie gezwungen. Das Verhalten des jüngeren war trotzig und respektlos, wie das eines jeden Menschen. Sie fürchtete, dass die kommenden Tage eher schwerer als leichter werden würden, denn ob nun ein Mensch oder eintausend Menschen: die Probleme, die diese Wesen in der Gesellschaft der I'To verursachen konnten, betrafen letztendlich jeden einzelnen.

Sie berührte mit ihrer Greifhand das Handgelenk ihres dritten Armpaares, an dem sich ein blasses Armband befand, und wählte einen hellen Grünton als Basisfarbe.

Bereits von Weitem konnte sie VrétiWig erkennen, wie dieser an seinem Arbeitsknoten stehend mit jemand Fremdem sprach. Offenbar ein neues Besatzungsmitglied, wie es die Kleidung ausrief. Langsam ging sie auf die beiden zu und stieß den Laut nach Aufmerksamkeit aus, ein helles Pfeifen, das nicht wegen der Lautstärke, sondern der Frequenz von allen wahrgenommen wurde.

VrétiWig richtete seine hinteren Optronen aus. »LasGajaé«, rief er sie zu sich.

»Ich wollte dir nur mitteilen, dass unsere Gäste in ihrem Quartier angekommen sind«, meldete sie.

»Sehr gut.« Abermals signalisierte er ihr, näherzukommen. »Das hier ist Otta. Er arbeitet künftig als Wartungsingenieur bei uns.«

LasGajaé schob den Kopf von einer Seite zur anderen. »Schön, dich zu treffen.« Sie mochte seine Optronen. Alle sechs waren beinahe gleich groß, eine solche Symmetrie war selten. Unbewusst änderte sie die Farbe ihres Armbandes auf Orange.

»Otta«, setzte VrétiWig die gegenseitige Vorstellung fort. »Das ist LasGajaé, Sorrn von Bleràmi.«

Das neue Besatzungsmitglied grüßte LasGajaé ebenfalls höflich. »Schön, dich zu treffen. Ich traf Bleràmi auf der Fahrt nach Chrysaor. Die Rutak ist auch mein erster Einsatz.« Seine Optronenfühler sahen nun in beide Richtungen. »Ich wusste allerdings nicht, dass wir auch Passagiere transportieren.«

»Normalerweise nicht«, erklärte VrétiWig. »Wir nehmen dieses Mal zwei Menschen mit.«

Otta hob ein wenig den Kopf, während sein Rüssel vor Freude an Volumen zunahm. »Das ist sehr aufregend. Ich habe noch nie einen Menschen in wahrer Gestalt gesehen.«

Verwundert darüber reckte LasGajaé ihren Rüssel vor. »Dann kannst du dich wohlfühlen. Menschen sind schlimm. Je weniger Kontakt, desto besser.«

»Aber nicht doch«, warf VrétiWig dazwischen. »Es gibt solche und solche.«

LasGajaé trat einen halben Schritt zurück. Sie wusste, dass auch ihr Duk mehr negative als positive Erfahrungen mit Menschen gesammelt hatte.

In Ottas Gesicht bildete sich Verwunderung. Sein eigenes Armband hatte er auf Grau gesetzt. »Gibt es Spannungen auf Chrysaor?«

»Nein«, erklärte LasGajaé. »Nur habe ich mehr gelernt, als ich lernen wollte.«

»Erkläre es mir bitte.«

Abermals brachte VrétiWig sich ein. »Las hat ein ganzes Jahr bei Menschen gelebt, um ihre Sprache zu lernen. Es war nicht leicht, aber von Erfolg. Las ist daher unser Dolmetscher«, erklärte ihr Duk.

»Wegen der Gäste?«, vermutete Otta.

Einen weiteren Schritt war LasGajaé zurückgegangen. Ihr Armband war auf Türkis gestellt, näherte sich fast wieder dem grünen Grundton. VrétiWig hatte offen gelogen, denn ,nicht leicht‘ war einfach unzutreffend, und Dolmetscher war sie nur geworden, weil es in der Vergangenheit immer wieder Missverständnisse gegeben hatte, die nicht nur sozialer Natur waren, sondern auch das Geschäft beeinträchtigten.

»Unsere Gäste an Bord zu nehmen war eine kurzfristige Angelegenheit«, stelle VrétiWig richtig und nahm die Farbe von LasGajaé mit gesenkten Fühlern zur Kenntnis.

»Sehr ungewöhnlich«, sagte Otta.

»Sie wünschen übrigens, dass es geheim bleibt«, übermittelte LasGajaé den Wunsch des alten Mannes. Beinahe hatte sie es vergessen. VrétiWig aber bestätigte nur. »Davon war ich bereits ausgegangen.«

LasGajaé rollte ihren Rüssel ein. »Menschen machen aus allem ein Drama.«

Otta wandte alle Optronenfühler an LasGajaé. »Deine Feindseligkeit gegenüber den Menschen ist irritierend.«

»Das sind keine Feindseligkeiten«, rechtfertigte sich LasGajaé. »Manches ist einfach nur eine Reaktion auf ihre Art, zu leben.«

»Ich hörte, Menschen sind sehr emotional.«

»Wie wir alle«, fügte VrétiWig hinzu und wählte an seinem Armband einen dunklen Gelbton. »Das ist einer der Bausteine des Lebens.«

»Nur dass Menschen ständig gegen das Leben vorgehen … Es ist kein schöner Wesenszug dieser Spezies.«

Otta war sichtlich verunsichert. »Wie meinst du das?«

»Sie betrachten Leben anders als wir. Und das verurteile ich«, behauptete LasGajaé.

»Ist das ein überlegter Schritt?«

»Du hast bisher keinen Menschen getroffen. Ich wünsche dir, dass du sie nicht so kennenlernst, wie ich es getan habe.«

»Schluss jetzt«, beendete VrétiWig den Dialog. »Unsere Gäste sind gute Menschen. Das ist auch der Grund, warum wir sie in aller Heimlichkeit nach Anaximenes bringen.«

LasGajaé blieb skeptisch. Auch wenn sie den anvisierten Planeten noch nie besucht hatte, so fragte sie sich, warum die Menschen dort so viel anders sein sollten als Menschen auf Chrysaor oder der Erde. Sie stellte das Grün ihres Armbandes um vier Bereiche weiter runter.

»Ich würde sehr gerne Bleràmi begrüßen gehen«, sagte sie und weitete ihre Arme zum Abschied.

»Geh«, entließ VrétiWig sie und widmete sich wieder Otta. »Mache sehr gern deine eigenen Erfahrungen.«

3

Sein Gewicht lag millionenfach auf ihm, wenn auch nur für den verschwindend geringen Bruchteil einer Nanosekunde. Janto stürzte zu Boden, fing sich mit seinen Händen ab. Keuchend atmete er tief ein. So schnell wie das betäubende Gefühl gekommen war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Nicht eine Zelle in seinem Körper hatte die Gelegenheit bekommen, zu zerreißen, nur sein Blut war kurz stehengeblieben. Manchmal fragte sich Janto, warum ein Raumsprung immer mit dieser Begleiterscheinung einherging. Schließlich wurde gesagt, dass sich das Schiff selbst während des Sprunges faktisch nicht bewegte. Auf seinem Ausbildungsschiff hatte er nur vier Sätze mitgemacht, das hier war sein fünfter.

»Es wird leichter mit der Zeit«, drang LeSoldas Stimme herüber. Janto öffnete die Augen.

Das Warnlicht an der Wand erlosch. Schweigend richtete er sich auf und sah hinüber. Der alte Mann hatte während des Sprungs auf dem gewaltigen I’To-Bett gesessen und war sichtlich entspannt geblieben. Nach eigenen Angaben war er schon mehr als hundert Mal gesprungen. Seinen ersten Satz machte er angeblich als Achtjähriger in einem Reiseschiff.

Als ein heller Ton erklang, kletterte LeSolda von dieser riesigen weichen Masse, trat an das Schott und legte seine Hand auf den Türöffner.

Zwei gewaltige I’To standen an der Tür und begrüßten ihn mit Kopfbewegungen, die Janto schon mehrfach nun gesehen hatte. »Wir bringen Einrichtung«, sagte der erste und deutete hinter sich auf eine von einer Maschine getragene Kiste.

»Ah, das ging ja schnell.« LeSolda ging zur Seite und bat die beiden hinein. Janto wich zurück, musterte diese Kreaturen in ihren gelben Overalls, die wie eine Decke über ihren Rücken lagen und sich dabei um ihre Beine schlangen. Die Dinger an ihren Füßen würde er am ehesten als Pantoffeln beschreiben, auch wenn dies nicht ganz zutraf. Tatsächlich empfand es Janto als sehr merkwürdig, dass sich Wesen, die mehr Tier als Mensch waren, ebenso bekleideten wie die Menschen und in diesem Fall sogar Schmuck trugen.

»Es sehr laut werden«, erklärte der größere der beiden. »Gehen in Rukai. Dort es geben Abendmahl.«

LeSolda berührte den I’To wie einen Vertrauten. »Ein hervorragender Vorschlag, mein Lieber.«

»Ich sein weiblich.«

»Oh …« Er hob entschuldigend die Hände und deutete eine Verbeugung an. »Verzeihung, Gnädigste.«

Janto runzelte die Stirn, als er beobachtete, wie sich der Mörder seines Retters bei einem Alien entschuldigte, als hätte er etwas falsch gemacht. Es passte nicht.

Denn wenn Janto eines wusste: dieser Mann hatte verdammt viel falsch gemacht. Dieser Mann hatte auch noch nie um Verzeihung gebeten – und selbst wenn, Janto würde sie ihm auf keinen Fall gewähren.

Generell betrachtete Janto einfach alles, was in den letzten Monaten geschehen war, als eine einzige Fehlerkette. Von den eigenen einmal abgesehen begannen die Fehler LeSoldas bereits auf Atlantis. Dort war der Agent der kleinen Verschwörung längst auf der Spur gewesen, wusste daher auch, wann Captain Ryan mit welchem Schiff die Station verlassen würde, und konnte es somit noch vor dem ersten Sprung abfangen. Absolut unnötig. Hätte er Janto einfach nur aufhalten wollen, hätte er auch genauso gut den Start verhindern können. Aber nein, es musste im offenen Raum geschehen. Der alte Mann dockte mit einem Schiff der Systemsicherheit an, tötete ebenso unnötig die achtköpfige Crew und folterte Captain Ryan mit seiner Gottesmacht, bis dieser Jantos Versteck preisgab.

Was dann aber auf dem Schiff der Systemsicherheit geschah, machte bis heute keinen Sinn. Am zweiten Tag ihres Weges zur Erde übernahm LeSolda auch dieses Schiff, änderte den Kurs und kehrte zu Captain Ryans im All treibenden Kurierboot zurück. Dem Jungen gegenüber erklärte der Alte, dass er nun Ryans Aufgabe übernommen habe und ihn deshalb nach Anaximenes bringen würde. Das Warum und Wie blieb unbeantwortet, weshalb der Gesinnungswandel LeSoldas mehr wie eine List wirkte, schon allein, weil der Agent Janto über nahezu jedes Detail im Unklaren ließ, bis auf die Sache mit der Kälteschlafkammer; die hatte er komischerweise bis ins Detail erklärt, auch warum man unbekleidet hineinsteigen musste und welcher Gedanke dahinterlag.

Am Ende versuchte sich Janto selbst einen Reim auf all das zu machen, denn es gab etwas, das nur Captain Ryan und Janto wussten, da es dazu keine Aufzeichnungen gab. Admiral Barx hatte ihn darum gebeten, nach seiner Ankunft auf Anaximenes seine Geschichte und seine Erlebnisse zu berichten und dies als Botschaft zurück an Atlantis zu senden. Das Schicksal des Jungen sollte jeder in der Navy hören, um gegen die einzigartige Machtstellung der Kirche auf den Navyschiffen mobil zu machen, zu zeigen, dass Widerstand gegen einen willkürlichen Patron nicht grundsätzlich zum Scheitern verurteilt war. Soweit der Plan.

Nur welcher NCP-Agent würde etwas Derartiges zulassen? Wusste LeSolda wegen der peinlichen Befragung an Ryan doch davon? Und wenn ja, warum half er ihm?

Janto musste zugeben, dass der selbstgemachte Reim auch nicht sehr viel sinnerfüllter war als das Handeln des alten Agenten. Bisher hatte er jedenfalls sein Versprechen gehalten. Jantos Vertrauen hatte er dennoch nicht verdient, genauso wenig, entschuldigt zu werden. Auf der anderen Seite hatte LeSolda nie darum gebeten, ganz anders gegenüber diesem I'To, den er so respektvoll behandelte, als sei er ein Mensch.

In der Schule und in seiner Ausbildung wurde ganz klar gesagt, dass Fremdvölker niemals Menschen sein konnten. Dass sich ein Vertreter Gottes höchstpersönlich nicht daran hielt, war noch so eine Sache, die einfach nicht passen wollte. Ryan hatte irgendwann einmal gemeint, dass die Partei fremde Lebensformen nur deshalb zu Tieren erklärte, weil diese den Menschen nicht als Hoheitsrasse anerkannten.

Janto beobachtete den Alten, der mit derselben Engelsgeduld, die er auch gegenüber Janto pflegte, dem undeutlichen und stark gebrochenen Englisch des I'To lauschte. Ebenso gab er sich selbst große Mühe, verstanden zu werden. Normalerweise erwartete man, dass ein Alien sich bemühte, nicht andersherum.

»Da draußen sind wir alle Aliens«, hatte Ryan einmal gesagt. Es schien keinen Sinn zu ergeben. Nun aber? Janto blickte sich in dem Quartier um und verstand, dass sich das Alien LeSolda gerade bemühte. Jantos Augenmerk fiel nun auf die beiden Wesen mit ihren sechs Armen und unzähligen Fingern, wie sie Werkzeuge benutzten, Computerpads bedienten und die Arbeitsdrohnen steuerten. Sie sahen nur anders aus, taten aber genau dasselbe wie die Techniker auf seinem Ausbildungsschiff.

»Komm, Janto, lassen wir die beiden ihre Arbeit machen und nicht im Wege stehen.«

»Ich stehe nicht im Weg«, protestierte er.

»Noch nicht. Und I’To sind zu freundlich, dich darauf hinzuweisen. Also ist es an mir.« Er deutete zur Tür. »Außerdem sind wir hier zu Gast an Bord. Es ist höflich, sich der Crew vorzustellen und ihr zu danken.«

Im Kopf des Jungen brach der Gedanke vor, dass sie beide nicht hier wären, wenn es LeSolda nicht gegeben hätte. Der alte Mann lächelte traurig, denn offenbar hatte er diesen Gedanken gelesen. »Das ist mir bewusst. Ich arbeite daran«, sagte er und winkte Janto erneut zu sich. »Und nun komm. Zeigen wir diesen gutmütigen Wesen, dass wir Menschen auch Anstand haben können. Gott hätte es so gewollt, dass wir auch seine anderen Schöpfungen ehren.«

Janto blickte nach oben, obwohl es auf einem Raumschiff keinen Sinn machte. Hier gab es weder Himmel noch Firmament. Dennoch tat man es so, schließlich wachte Gott immer über seine Kinder, nicht darunter.

»Okay!«, flüsterte er und setzte sich in Bewegung, denn angesichts seiner jüngsten Überlegung hatte der Alte vermutlich recht.

LeSolda führte seinen Schützling über eine stufenlose Schräge in das untere Deck.

Der Schiffsrumpf schien ebenfalls kreisrund zu sein, wie einfach alles hier. Der ovale Innenraum war so gewaltig, dass er selbst auf einen I’To groß wirken musste. Auf diesem Deck gab es keine erkennbaren Betriebsbereiche. Vielmehr wirkte es wie ein einziges Freizeitdeck. Die dichte Bepflanzung, die seichte Beleuchtung und die allgemeine Atmosphäre verstärkten diesen Eindruck. Nur in Richtung des Hecks befand sich ein gewaltiges Schott mit fremdartigen Symbolen. Was sich dahinter verbarg, würde Janto sicher im Laufe der nächsten Wochen irgendwann erfahren.

Im Zentrum des Decks gab es einen etwas helleren Bereich mit mehreren zusammenstehenden Tischen und Stühlen.

»Nun schau dir das an«, sagte LeSolda an den Jungen gewandt. »Das ist hier ja fast wie zu Hause.« Mit gerunzelter Stirn sah sich Janto um. In seinem Leben hatte es noch kein Zuhause gegeben und im Internat, das irgendwie nur so etwas wie eine Zuflucht gewesen war, gab es weder I’To noch so große Möbel und auch nicht dieses grundsätzlich aus runden Formen bestehende Design. Die Anordnung der Tische, die Tische selbst und jede Sitzgelegenheit war gänzlich ohne Ecken oder Kanten. Es wirkte gemütlich, ohne Zweifel. Das ganze Deck war in gedämpftem Licht gehalten, das auch hier aus orangen Lichtkugeln drang, die in verschiedenen Größen zu Trauben an der Decke hingen. Die in Braun gehaltenen Wände gaben das Licht um einen weiteren Faktor weicher wieder. Wie Marmor wirkten die Strukturen an den nach außen gewölbten Wänden, ebenso wie der weiche Teppichboden.

An fast allen unzugänglichen Stellen standen große Pflanzen, nicht in Töpfen, sondern sie schienen direkt aus dem Boden zu wachsen. Keine Yacht auf der Erde hatte eine solche Ausstattung – und dies hier war ein Frachtschiff.

LeSolda ging durch den helleren Bereich um einen der Tische herum. Das hier vorherrschende Licht drang aus breiten Glasröhren, die jeweils in der Mitte eines Tisches standen. Becher, Schalen, Teller und kleine Päckchen waren in den Röhren enthalten. Janto erkannte, wie einzelne I‘To mit einer an dem Glas integrierten Steuerung das Innere auf und ab bewegten oder drehten. Schnell erkannte er, dass es sich dabei um eine Essensausgabe handelte, obwohl er Vergleichbares noch nie gesehen hatte.

Der alte Mann ging bis zu einem der besetzen Tische, an dem eine größere Gruppe farbig gekleideter I’To hockte. »Hallo. Mein Name ist Julius.«

Die Wesen, die sich eben noch in ihrer eigenen Sprache unterhalten hatten, richteten ein wenig ihre massigen Körper. Hauptsächlich bewegten sich ihre langen Tentakel, die sie an ihren Köpfen trugen.

Als LeSolda seinen Kopf zu bewegen versuchte, wie es die I’To taten, summten sie alle reihum auf. Ihre Rüssel senkten sie herab und die Fühler an ihren Köpfen zitterten. LeSolda lachte ebenfalls. »Ich werde das wohl nie können«, gab er zu.

»Mein Name ist KwoAd. Freunde begrüßen so«, sagte eines der Wesen, beugte sich vor und hob den Greifarm. Er berührte LeSoldas Stirn und fuhr dessen Nase entlang bis zu seinem Kinn. »Bei uns sind Nasen größer.« Erneut lachte KwoAd mit zitternden Fühlern und gesenktem Rüssel.

LeSolda reckte seine Hand aus und strich dem I’To von der hohen Nasenwurzel bis zur Spitze seines rauen Rüssels. »Hallo, KwoAd.«

Die anderen I’Tos summten auf, diesmal klang es jedoch wie ein Lied. Einer nach dem anderen stellten sie sich mit ihren ungewöhnlichen Namen vor. Während LeSolda sie wiederholte, ignorierte Janto die gesprochenen Worte, blieb etwas abseits stehen und beobachtete diese großen Wesen, als wären sie die Eindringlinge auf diesem Schiff. KwoAd wandte sich ihm zu, streckte seinen wirklich langen Arm aus, sodass Janto gezwungen war, vier Schritte zurückzugehen, um der Berührung zu entkommen.

»Oh … Er scheu.«

LeSolda hob die Augenbrauen. »Durchaus. Es hat seine Gründe, und ich bringe ihn von dort weg, dank euch.«

Die I’To tauschten sich aus und hoben das dritte Armpaar. Es schien, als würden sie winken. »Dann grüßen wir ihn so, wie es die Menschen tun.«

LeSolda lächelte. »Dürfen wir uns zu euch gesellen?« »Das habt ihr schon.«

Der Alte senkte ergeben den Kopf und winkte schließlich Janto zu sich. »Nun komm schon, wir wollten doch freundlich sein.«

Widerwillig ging der Junge auf den Tisch zu und erklomm einen der weichen, runden Sitze, die groß genug waren, dass er und LeSolda zusammen auf einem Platz gefunden hätten.

»Viele von uns verstehen die englische Sprache. Nur das Sprechen fällt uns schwer«, erklärte KwoAd.

»Das geht in Ordnung. Ich spreche kein einziges I’To-Wort und verlange nichts, was ich nicht auch zu geben fähig bin.«

Abermals warfen sich die I'To in ihrer Volkssprache kurze Silben zu.

LeSolda verschränke die Finger ineinander. »Es wurde uns gesagt, hier gibt es ein wenig zu essen.«

»Ja, das ist unsere Rukai«, erklärte KwoAd mit ausgestreckten Zeigearmen. »Hier essen alle.«

»Wunderbar«, freute sich LeSolda und blickte zur Glasröhre in der Mitte. Da er nicht heranreichte, bat er einen der I’To, etwas für ihn auszuwählen.

Sofort wurde ihm und Janto eine Essplatte gereicht. Janto stutzte. Wie selbstverständlich hatte er runde Teller erwartet, schon allein wegen der Einrichtung des Schiffes. Vor ihm lag jedoch ein Dreieck mit einem hohen Rand und in zwei Kammern getrennt. Bei den anderen I’To erkannte er nun weitere geometrische Formen, jeweils in verschiedene Kammern unterteilt, je nach Anzahl der Kanten entsprechend die Kammern. Offenbar mischten die I’To ihr Essen nicht.

LeSolda schien über die Teller ebenso zu staunen, hatte seinen sogar kurz angehoben und genauer betrachtet. Vier verschiedene Päckchen und Behälter wurden den beiden nun entgegengehalten.

»Und was genau ist das alles?«, fragte LeSolda mit Blick auf die einzelnen Verpackungen. »Ich gehe davon aus, dass es pflanzlich ist?«

»Dies hier gekochte Modrawurzel«, sagte einer der I'To und schob eine Schale dazu. »Geröstet D’Kol passen sehr gut.«

»Das klingt auch sehr gut«, schmunzelte der Alte und sah Janto an. »Was auch immer es ist.«

»Menschen vertragen I'To-Speisen oft«, erklärte der wortführende I’To und füllte LeSoldas Essplatte. Als er Janto ein Päckchen direkt entgegenhielt, lehnte dieser ab. »Nein.«

»Na gut«, sagte KwoAd und stellte die übrigen Päckchen zurück in die zentrale Röhre.

»Das dort in der mittleren Schiene hätte ich noch gern«, sagte LeSolda. »Das sieht mir nach einem schönen gehackten Salat aus.« Neben dem gewählten befanden sich mehrere schmale Behälter wie Ölflaschen eines Basars. »Und Dressing.«

Die I’To sahen einander an, sprachen mit ihrer Muttersprache und reichten LeSolda das Gewünschte. Die hohe Flasche stellten sie direkt vor ihn, die Schüssel mit den gehackten Blättern schoben sie vorsichtig an seine Stelle. »Es sein sehr scharf.«

LeSolda sah sich beides an und erkannte an dem Geruch, dass in der Flasche ein Getränk war. »Oh … Das ist keine Rohkost.« Er roch daran und nickte entschlossen. »Nein, definitiv nicht.«

Die I’To senkten summend ihre Rüssel sowie Fühler, welche gleichmäßig zitterten – ein Lachen. Sofort stieg der alte Mann ein, versuchte sogar etwas von den Blättern. »Uhhh ... Ingwer ist nix dagegen.« Er spülte es mit dem Getränk hinunter, runzelte die Stirn und nickte anerkennend. »Eine interessante Mischung.«

***

Janto hatte nur dagesessen. Er wollte nicht lachen. Weder über noch mit diesem Agenten – oder auch ehemaligen Agenten. Er wusste im Grunde nicht, wie sich der Alte nun bezeichnete, es war auch egal. Janto wusste nur, dass es keinen Grund gab, zu lachen, weder damals als Kind noch heute. Erst recht nicht heute. Innerlich war der Junge sogar wütend. LeSolda sollte gar nicht lachen dürfen, nicht nach all dem, was gewesen war und er getan hatte.