Of Ash and Fire – Rise of the Phoenix - Hanna Weller - E-Book

Of Ash and Fire – Rise of the Phoenix E-Book

Hanna Weller

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Beschreibung

Ein uralter Kampf – und sie ist der Schlüssel. Eine packende Urban Fantasy über den eigenen Platz im Leben und magische Wesen in den Straßen Frankfurts  »Das Wesen schien ganz aus Rauch zu bestehen, bis auf seine klauenartigen Hände und die glühenden Augen. Rasiermesserscharfe Krallen klackerten auf dem gefliesten Boden. Am Rand des Bahnsteigs blieb es in geduckter Haltung stehen und fixierte Ava.«  Die junge Ava weiß nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Während ihre Tante sie dazu drängt, endlich mit einem Studium zu beginnen, jobbt sie lieber in einem Antiquitätengeschäft. Zudem ist da dieser Albtraum, in dem sie immer wieder den Tod ihrer Eltern erlebt. Als sie während ihrer Arbeit ein seltsames Notizbuch entdeckt und beginnt, Nachforschungen anzustellen, überschlagen sich die Ereignisse: Sie wird von unheimlichen Schatten und zwielichtigen Gestalten verfolgt und von der mysteriösen Yana gerettet. Nun lüftet sich ein uraltes Geheimnis, denn in Ava schlummert etwas, nach dem ein Orden dunkler Magier schon seit langem sucht. Und jetzt hat er ihre Fährte aufgenommen … 

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© Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Stephanie Kempin

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Giessel Design

Covermotiv: Shutterstock (coloradore, Elnoe, Muhammad Umair Karim)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

PROLOG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

Epilog

DANKSAGUNG

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Dominic. Meinen Pep-Talk-Meister, Fels in der Brandung, ganz persönlichen Phönix.

Und für das Leben, das uns mit seinen Wendungen oft genau an die Orte bringt, an denen wir gerade sein sollen.

PROLOG

Neunzehn Jahre zuvor

Vereinzelte Fackeln flackerten in regelmäßigen Abständen an den dunklen Basaltwänden des kreisrunden Raumes. In der Mitte zeichnete sich eine sorgfältig gezogene, weiße Linie ab, die ein Pentagramm bildete. Ein leises Rauschen ertönte, füllte den ganzen Raum und schwoll zu einem wütenden Fauchen an. Plötzlich loderte eine Stichflamme in der Mitte des Pentagramms auf und wie aus dem Nichts erschienen mehrere Männer in dunklen Umhängen. Der Geruch nach versengtem Stoff und Fleisch erfüllte den Raum. Aufgeregtes Stimmengewirr hallte von den Wänden wider. Sofort wichen alle an den Rand des Raumes zurück, bis auf zwei, die eine Gestalt in scharlachroter Robe stützten. Vorsichtig lösten sie ihren Griff und traten dann ehrfürchtig mehrere Schritte zurück. Die Gestalt, deren Gesicht von einer Kapuze verdeckt wurde, blieb vornübergebeugt stehen, eine Hand auf ihr Herz gepresst. Schließlich richtete sie sich vorsichtig auf und strich ihre Kapuze zurück. Das schmerzverzerrte Gesicht einer Frau kam zum Vorschein, eingerahmt von wildem, feuerrotem Haar. Sie presste die Lippen zusammen und ihr Blick zuckte durch den Raum, bis er sein Ziel fand. Das Stimmengewirr erstarb.

»Rob, komm her.« Das Atmen fiel ihr offensichtlich schwer.

Dem Angesprochenen fegte wie von Geisterhand die Kapuze vom Kopf. Er erstarrte erschrocken. Es war ein junger Mann, nicht älter als zwanzig. Seine Augen waren weit aufgerissen und man konnte sehen, dass er unter dem Umhang hektisch atmete. Die Frau richtete sich nun zu ihrer vollen Größe auf und ließ die Hand sinken. Auf ihrer Robe wurde ein blutiger Riss sichtbar. Direkt über dem Herzen.

»Ich sagte: Komm her.« Ihre Finger zuckten kurz, die Stimme war nur ein abgehacktes Keuchen.

Rob wurde wie von Geisterhand nach vorne geschoben. Er ruderte mit den Armen und versuchte sich dagegen zu wehren. Aber es half nichts. Angst zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Direkt vor der Frau kam er zum Stillstand.

Sie schwankte leicht. »Gib mir deine Hand.« Die Frau streckte ihre langen, feingliedrigen Finger aus. Blut tropfte an ihnen herab auf den Boden des Pentagramms.

»B-bitte. Ich tue alles, was Ihr verlangt, Herrin. Aber bitte nicht …«

»Deine Hand, Rob«, schnitt die Frau ihm mit gepresster Stimme das Wort ab. »Du weißt, es geht nur, wenn du es freiwillig machst.«

Robs Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er krampfhaft schluckte. Er sah sich zu seinen Kameraden um. Niemand rührte sich. Ein leises Wimmern entrang sich seiner Kehle, bevor er seinen Ärmel ein Stück nach oben schob und zitternd seine Hand ausstreckte. Er trug ein feines, silbernes Armband. Sofort schlossen sich ihre Finger um sein Handgelenk. Sie sah ihm in die Augen. Seine Pupillen waren vor Angst bis zum Anschlag geweitet. In ihren tobte mit einem Mal ein Feuer. Rob unterdrückte einen Schmerzensschrei und versuchte ihr panisch den Arm wieder zu entziehen, aber sie hielt ihn fest. Eine feine Rauchfahne begann sich nach oben zu schlängen, dort, wo ihre Hand seine nackte Haut berührte. Eine kleine züngelnde Flamme folgte ihr. Dann öffnete Rob den Mund zu einem Schrei.

Ein Rascheln erfüllte den Raum, als sich die anderen nervös bewegten. Vor ihren Augen ging ihr junger Kamerad in Flammen auf und verwandelte sich in einen Menschen aus Asche.

Die Frau atmete genüsslich ein, löste ihre Hand von dem, was einmal ein Arm gewesen war, und sofort fiel alles zu einem kleinen Häufchen zusammen. Sie machte einen Schritt nach vorne und breitete lächelnd die Arme aus.

»Danken wir Rob, dass er sich so mutig für den Orden und das große Ziel geopfert hat.«

Die Köpfe senkten sich. Ein Gemurmel ging durch den Raum. Die Frau legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, glühte ihr Blick. Sie rieb ihre Fingerspitzen aneinander und eine kleine Flamme loderte über ihnen auf.

»Schon besser. Bald werden wir diese Bastarde ein für alle Mal los sein. Es dauert nicht mehr lange, meine Brüder, bis wir …«

Sie hielt mitten im Satz inne. Die Flamme verschwand, ihre Hand fuhr an ihr Herz und ihre Zufriedenheit verwandelte sich in Überraschung, als sie plötzlich keuchend zu Boden ging.

»Was …?«

Ein Blutstropfen löste sich aus ihrem Augenwinkel und rann ohne Eile ihr Gesicht herab. Sie fing ihn mit der Fingerspitze auf und starrte verwundert darauf. Dann schrie sie auf und presste sich eine Hand an den Kopf, eine andere krallte sich in ihre Brust. »Nein!«

Einer der Robenträger strich erschrocken seine Kapuze zurück, eilte auf sie zu und fiel vor ihr auf die Knie. »Herrin! Was ist mit Euch?«

»Das kann nicht sein. Das darf nicht sein! Nicht so kurz vor dem Ziel!«

»Cassandra, bitte! Was habt Ihr?«

Die Frau sah auf. Ihre eben noch lodernden Augen waren nun blutrot. Der junge Mann zuckte zurück.

»Robs Energie hat nicht gereicht. Es muss einen neuen geben.«

»Einen neuen? Was meint Ihr?«

»Einen neuen Verbündeten, du Dummkopf! Das war eine Falle! Sie wussten es und haben ihre Chance genutzt.« Zischend zog sie die Luft ein.

»Aber … aber was bedeutet das?«

Cassandra stützte sich mit beiden Händen am Boden ab, versuchte sich hochzustemmen, schaffte es aber nicht. »Nur wenn ein neuer Verbündeter geboren wird, kann der alte getötet werden. Irgendwo muss er in diesen Minuten zur Welt kommen. Deshalb sind sie uns nicht gefolgt. Sie wussten es. Sie wussten, dass meine Verwundung dieses Mal ausreichen würde.«

Sie sah zu ihm auf. »Findet ihn, Henry. Bevor sie es tun! Ihr müsst diesen Verbündeten für den Orden finden. Sonst sind all unsere Pläne zunichte.«

»Aber Herrin …«

»Findet ihn!« Dann ging sie mit einem lang gezogenen Schrei in Flammen auf.

KAPITEL 1

Gegenwart

Ava war im Wohnzimmer ihres Elternhauses. Rauch kitzelte ihr in der Nase. Sie sah die dunkle Couch mit den Kissen in Blümchenform, die einer massiven Wohnwand gegenüberstand, in deren Mitte ein Röhrenfernseher thronte. Den Esstisch unter einem Fenster. Alles an dieser Szene kam ihr so bekannt vor. Aber etwas war falsch, ganz gewaltig falsch. Sie wandte den Kopf und sah es. Das Feuer. Es züngelte bereits an den Gardinen und leckte jetzt auch über den Couchtisch. Rauch waberte durch den Raum und brannte ihr in den Augen. Sie blinzelte, um wieder klar sehen zu können, und starrte auf eine Gestalt. Ihr Vater lag nicht weit von ihr entfernt, seine Arme wiesen schreckliche Brandmale auf. Als hätte er sich direkt in die Flammen gestürzt. Noch während sie hinschaute, begann er sich in Asche zu verwandeln.

»Papa!«, rief Ava und wollte zu ihm laufen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Panisch versuchte sie, ihre Beine davon zu überzeugen, ihr zu gehorchen, als ihr klar wurde, dass sie gar nicht stand – sondern schwebte. Sie trat um sich, versuchte Kontakt zum Boden zu bekommen, aber es passierte nichts. Sie schaute nach unten und blickte in das Gesicht ihrer Mutter. Sie war direkt neben Ava zu Boden gegangen. Ihre grünen Augen starrten sie blicklos an. Ihr Mund war wie vor Überraschung leicht geöffnet und ihre roten Haare begannen sich von der Hitze zu kräuseln.

Erst jetzt registrierte Ava das leise Flehen einer weiblichen Stimme, das wie eine Erinnerung körperlos durch den brennenden Raum schwebte und sich immer und immer wiederholte: »Bitte, bitte nicht … Bitte. Bitte nicht sie …«

»Mama?«, flüsterte Ava, bevor eine Stichflamme direkt vor Avas Augen emporschoss und ihr die Sicht auf ihre Mutter nahm …

Schweißgebadet fuhr Ava von ihrem Schreibtischstuhl hoch und stieß dabei fast ihren Energydrink um. Sie konnte die Dose gerade noch abfangen, bevor sie ihren klebrigen Inhalt auf die Tastatur ihres Computers ergoss. So erwischte das Getränk nur ihre Finger.

»Shit!«, fluchte Ava und sah sich vergeblich nach einem Taschentuch um. Kurzerhand stellte sie die Dose auf der Ausgabe ihrer Abiturzeitschrift ab und wischte sich die Hände an ihrer Hose trocken. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es fünf Uhr dreißig war. Noch immer meinte Ava den Rauch zu riechen und das Knistern der Flammen zu hören. Genervt strich sie sich ihre roten, zerzausten Locken zurück und massierte sich die Schläfen, um die Eindrücke des Albtraums loszuwerden. Seit einem Jahr plagte er sie jetzt schon. So langsam ging es an ihre Substanz.

»Die Marke kommt auf meine Abschussliste«, murmelte sie mit Blick auf die Dose, bevor sie die Maus anstupste, um den Computer aus seinem Ruhemodus zu holen. Sie war mitten in einer Quest des neuesten Online-Rollenspiels Legend of a Hero eingeschlafen, während sie auf ihren Mitspieler gewartet hatte. Ihre Waldläuferin Athena stand festgenagelt auf einem belebten Marktplatz und beobachtete gezwungenermaßen das Treiben. Im Hintergrund stellte sich ein NPC wiederholt die Frage, ob der böse Zauberer wohl bald wieder die Stadt heimsuchen würde und was dann aus seinem Geschäft werden sollte. Ihr Mitspieler, SirSimontheGreat, hatte ihr schon mehrere Privatnachrichten geschickt.

Athena: Sorry, bin eingepennt. Du warst wohl zu lange weg. :/

SirSimontheGreat: Hab’s gemerkt. Wenigstens gut geschlafen?

Athena: Wie man’s nimmt. Hab wohl durch die Mission mit dem Feuerteufel meinen Kopf angeregt.

SirSimontheGreat: Wieso? Heiße Träume gehabt? :D

Athena: Das klingt … echt falsch. :D Egal, bin jetzt wach und muss eh gleich raus. Neue Mission heute Abend?

SirSimontheGreat: Klar! Selbe Uhrzeit? Immerhin wartet der dunkle Zauberer noch darauf, dass wir ihm kräftig in den Arsch treten.

Athena: So was von!

SirSimontheGreat: *Daumen hoch*

SirSimontheGreat: Arbeitest du eigentlich immer noch bei diesem Antiquitätengeschäft? Hab hier vielleicht was für dich.

SirSimontheGreat hat ein Foto geschickt.

SirSimontheGreat: Da scheint jemand seine Sammlerstücke loswerden zu wollen und hat nach einem passenden Laden gefragt. Du bist doch in Frankfurt, oder?

Athena: Ja, danke! Schau ich mir an! Bis später.

Du bist jetzt offline.

Ava betrachtete mit brennenden Augen das Foto. Es war der Ausschnitt eines Postings. Ihr Mitspieler wusste, dass Ava sich mit einem Nebenjob in einem Antiquitätengeschäft die Zeit vertrieb und hielt dementsprechend immer fleißig die Augen für sie offen. Diesmal hatte er einen User aufgetrieben, der in einem Kunstforum nachfragte, ob ihm jemand einen Antiquitäten-Handel in Frankfurt empfehlen könne. Er wolle seine Sammlung verkleinern und suche nach jemandem, der ihm dabei helfen konnte, den Wert zu schätzen und ein neues Zuhause für die Stücke zu finden. Unterschrieben mit H. McLean und seiner Telefonnummer.

Könnte was sein. Aber erst mal Kaffee. Sie schickte sich das Bild auf ihr Smartphone und streckte sich. Eigentlich hatte sie sich ein ziemlich gutes Schlaf-Vermeidungsprogramm zugelegt, wie sie es gerne nannte. Es bestand aus Kaffee, regelmäßigen Sieben-Minuten-Work-outs, um den Kreislauf immer wieder anzukurbeln und der Suche nach allen möglichen Quests in verschiedensten Online-Rollenspielen. Komplett ohne Schlaf kam sie natürlich nicht aus, aber so verminderte sie die Zeit, in der dieser Albtraum sie heimsuchen konnte.

»Das kommt davon, wenn man sich nicht an seinen Plan hält. Nie wieder Experimente mit Energydrinks.«

Sie verzog den Mund, rieb sich die Augen und stand schließlich seufzend auf. Ihre Muskeln protestierten, nachdem sie längere Zeit in eine so unbequeme Haltung gezwungen worden waren. Ava schnappte sich ihren Kimono, den sie vorher achtlos auf ihr Bett geworfen hatte, und ging vorsichtig über die knarzenden Dielen der Altbauwohnung in die Küche.

Dort begrüßte sie an ihrem Platz ein aufgefächerter Stapel Broschüren von diversen Unis. Ava zog ärgerlich die Brauen zusammen, schob die Blätter auf dem kleinen Tisch auf einen Haufen und schmiss sie in den Papiermüll. Netter Versuch.

Während die Kaffeemaschine lief, lehnte sie sich gegen die Anrichte in der Küche und schaute zum Fenster hinaus. Der zarte rosa Morgenhimmel blitzte schon hinter den letzten dunklen Wolken hervor. Es versprach ein schöner Tag zu werden. Durch das gekippte Fenster drang der typische Großstadtlärm zu ihr herauf. Das Rauschen der Autos, vereinzeltes Hupen und das Bimmeln der Straßenbahn. Ava stellte sich direkt ans Fenster und nahm die Kulisse in sich auf. Im Morgenlicht hatte diese sonst so kühle Stadt etwas Wunderschönes. Die Wohnung lag im vierten Stock, deshalb konnte sie bei gutem Wetter sogar einen Blick auf die Frankfurter Skyline erhaschen. Gerade als die Kaffeemaschine gluckerte, hörte Ava die Dielen hinter sich knacken. Als sie sich umdrehte, stand ihre Tante in der Tür. Sie blinzelte Ava verschlafen an und zupfte ihren Schlafanzug zurecht.

»Du bist schon wach? Konntest du wieder nicht schlafen?« Sie schnupperte nach dem frisch gebrühten Kaffee.

Ava lächelte unverfänglich. Es lag mehr am Wollen als am Können, aber das sagte sie nicht. Statt einer Antwort holte sie zwei Tassen aus dem Schrank und goss das dampfende Gebräu ein. Mit einem dankbaren Lächeln nahm Diana die Tasse entgegen und setzte sich an den Tisch. Ihr Blick fiel auf den Papiermüll. Ihre Nasenflügel zuckten. Mehr ließ sie sich nicht anmerken.

Ava ließ sich ihr gegenüber auf den Stuhl fallen.

»Und du? Wieso bist du schon so früh wach?«

»Präsentation. Ich wollte etwas früher im Büro sein, um noch mal in Ruhe alles durchsehen zu können. Das machen verantwortungsbewusste Menschen so, weißt du.«

Ava ignorierte die Spitze und nahm einen Schluck aus ihrer eigenen Tasse. Sofort spürte sie, wie ihr das heiße Getränk neues Leben einhauchte. Sie betrachtete ihre Tante, die nachdenklich die Lippen geschürzt hatte. Ihre rotblonden Haare standen noch wirr in alle Richtungen und ihre müden Augen zeugten von einer Nachtschicht.

»Hm. Klingt nicht so, als würde es Spaß machen.«

»Es kann nicht immer nur Spaß machen, Ava. So ist das Leben nun mal. Einen Plan zu haben ist eindeutig besser, als sich die Nächte mit dämlichen Spielen um die Ohren zu schlagen.«

»Die sind nicht dämlich. Da gibt’s interessante Geschichten.«

Diana öffnete den Mund und wollte etwas erwidern. Dann schüttelte sie müde den Kopf und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee. Sie tranken eine Weile schweigend aus ihren Tassen, doch Ava entging nicht, dass Diana noch mehrmals überlegte, etwas zu sagen. Bevor sie sich dazu entscheiden konnte, war Ava bei ihrem letzten Schluck Kaffee angekommen.

»Ich mach mich fertig und gehe zu Mrs Meyers ins Geschäft.«

»Jetzt? Der Laden hat doch noch gar nicht offen.« Eine kurze Pause. Dann schob sie doch hinterher: »Wieso nutzt du nicht lieber die Zeit und schaust dir die Unis an, die ich rausgesucht habe? Die haben wirklich interessante Studiengänge.«

»Ja, vielleicht später«, sagte Ava unbestimmt.

Diana seufzte.

»Und meinst du nicht, du solltest dir wenigstens langsam mal jemanden suchen, mit dem du über deine … deine Schlafprobleme sprichst? Ich meine, du könntest auch mit mir darüber …«

»Diana. Es ist alles gut, okay? Ich brauche eben nicht so viel Schlaf.«

»Oder wenigstens mit einer Freundin? Was ist denn mit dieser einen aus deiner Schule?«

Ava schnaubte. »Welche? Ich kann mich an keine erinnern.«

»Ich dachte, weil du ein paarmal etwas mit ihr unternommen hattest …«

»Das war keine Freundin, aber ist okay. Ich bin es ja gewohnt. Aber das sollte dich ja nicht wundern.«

»Ava, ich …«

Ava stellte die Kaffeetasse neben der Spüle ab und schob sich an Diana vorbei.

»Wir sehen uns später. Viel Erfolg bei deiner Präsentation.«

Auf dem Weg ins Badezimmer konnte Ava noch hören, wie ihre Tante den Satz seufzend beendete:

»Ich wollte doch immer nur dein Bestes.«

KAPITEL 2

Das Antiquitätengeschäft lag nur einen kurzen Spaziergang von der Wohnung ihrer Tante entfernt. Wie Diana vorausgesagt hatte, war die Ladentür noch verschlossen, als Ava dort ankam. Das Schild über dem Laden schwang sacht hin und her und die Sonne funkelte auf den goldenen Buchstaben.

Ava betrachtete das Lichtspiel und ließ ihren Blick dann über den kleinen Platz wandern, an dem sich das Geschäft befand. Mit dem Kopfsteinpflaster, den urigen Häuschen und den anderen Sträßchen, die auf den Platz trafen, konnte man fast glauben, in einem kleinen Dorf zu stehen. Es war ruhig, kein Mensch unterwegs und Autos fuhren hier nur selten lang. Ava konnte das Rauschen des Verkehrs auf der nicht weit entfernten Dreieichstraße und dem Deutschherrnufer hören.

Sie kramte ihren Schlüssel heraus und schloss die alte Holztür auf. Eine Glocke klingelte leise, als sie eintrat. Der Geruch von alten Büchern, Staub und Geschichte empfing sie. Ava atmete ihn tief ein und seufzte zufrieden. Es gab keinen Ort in dieser hektischen Stadt, an dem sie sich wohler fühlte.

Sie verriegelte die Tür wieder hinter sich und war sofort von der Ruhe umgeben. Mit bedächtigen Schritten ging sie durch den Ausstellungsraum. Der alte Holzboden knarrte leise unter ihren Füßen. Eine Biedermeier-Kommode und ein Esstisch mit passenden antiken Stühlen zierten den Mittelteil des Raumes, ein alter Aussteuerschrank stand links von ihnen an der halbhoch mit Holz vertäfelten Wand. An den anderen Wänden hingen Gemälde und in mehreren Vitrinen waren, verteilt über den ganzen Laden, Teeservices, Schmuckstücke und alte Bücher ausgestellt. Im hinteren Teil wand sich eine schmale Wendeltreppe zu einer Empore mit fein gearbeitetem Holzgeländer, weiteren Ausstellungsstücken sowie einem kleinen abgesperrten Bereich hinauf, den Ava noch nie hatte betreten dürfen. Sie strich gedankenverloren über die polierte Oberfläche des Tisches, bevor sie ihre Tasche hinter der hölzernen Theke ablegte, die sich unter der Empore befand. Mrs Meyers hatte ihr einen Stapel Zeitungsannoncen hingelegt, mit der Bitte, sie durchzusehen. Ava jobbte seit knapp zwei Jahren bei ihr im Laden und nun, nach ihrem Abi, musste sie sich langsam klar darüber werden, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Bis jetzt war ihr noch kein Geistesblitz gekommen. Wenn sie ehrlich war, kam dieser Zeitdruck auch eher von Diana. Sie selbst hätte kein Problem damit, noch ein paar Jahre hier zu arbeiten. Vielleicht auch ein wenig zu reisen. Zu studieren fühlte sich so erwachsen an. So endgültig. Sobald sie auch nur darüber nachdachte, spürte sie, wie sich ihr Magen verkrampfte. Dann lieber erst mal weiter hier in Frankfurt nach Flohmarkt-Schätzen suchen.

Da sie keine Ausbildung besaß und erst seit einem Jahr volljährig war, hatte Mrs Meyers die ursprüngliche Regelung beibehalten: Sie selbst kümmerte sich um die Kunden, die zu ihnen ins Geschäft kamen, Ava ging auf Flohmärkte, Haushalts- oder Kunstsammlungsauflösungen und schaute, ob sie etwas Wertvolles fand. Sie hatte in dieser Hinsicht inzwischen einiges gelernt und obendrein eine Gabe dafür, wie Mrs Meyers es immer nannte.

Ava hatte die etwas schrullige Mittsechzigerin von Anfang an in ihr Herz geschlossen. Mit ihrem britischen Akzent, den grauen, immer sehr kunstvoll drapierten Haaren samt obligatorischem Hut und der filigranen Brille konnte man meinen, sie stamme selbst aus einem alten Adelsgeschlecht. Was sie nicht tat. Mrs Meyers hatte Ava einmal anvertraut, dass ihr Vater LKW-Fahrer und ihre Mutter einfache Bäckerei-Verkäuferin gewesen war. Aber sie hatte sich davon nicht aufhalten lassen und gerade deshalb immer dafür gesorgt, dass sie mit Stil auftrat. Das schaffte sie definitiv.

Ava holte sich einen frischen Kaffee aus der kleinen Küche im hinteren Teil des Ladens und machte sich an die Arbeit. Die meisten Annoncen kündigten kleinere Wohnungsauflösungen oder private Hofflohmärkte an, also wahrscheinlich nicht der Mühe wert. Am Anfang war Ava zu jeder Auflösung geeilt, im festen Glauben, dass sie dort unentdeckte Schätze finden würde. Mrs Meyers hatte sie machen lassen, aber irgendwann hatte Ava verstanden, dass nicht auf jedem Dachboden der große Fang wartete.

Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, streckte ihre Füße entspannt auf einer Ablage unter der Theke aus und ging Seite für Seite durch. Die vielversprechendsten Anzeigen markierte sie rot und notierte sich Orte und Zeiten auf einem Post-it. Ihre Gedanken wanderten zurück zu der Kunstsammlung. Sie suchte das Bild auf ihrem Smartphone heraus und schrieb sich die Telefonnummer ebenfalls auf den Zettel. Zu angemessener Uhrzeit würde sie dort mal anrufen. Für ihre Notizen nutzte sie einen eleganten Füller, den sie selbst auf einem kleinen Flohmarkt erstanden hatte. Das leise Kratzen der Spitze auf dem Zettel gab ihr das Gefühl, in einer anderen Zeit zu leben. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als sie sich vorstellte, wie sie mit diesem Füller vor hundert Jahren wohl einen Brief an ihren Verehrer geschrieben oder eine höfliche Korrespondenz mit einem Brieffreund geführt hätte. Sie legte den Kopf in den Nacken und malte sich aus, wie ihr Leben damals wohl ausgesehen hätte. Ein Bild flackerte vor ihrem inneren Auge auf. Ein herrschaftliches Haus, umgeben von einem großen Garten. Eine Zufahrt aus weißem Kies. Sie schritt energisch auf die große Tür zu, vorbei an einem alten Automobil der Zwanzigerjahre. Ihre Finger prickelten, als sie die Hand ausstreckte und den Türklopfer berührte. Er sah aus wie eine dämonische Fratze, die dem Besucher frech die Zunge herausstreckte. Darauf war ein Pentagramm eingeschnitzt, welches sie mit ihren tiefrot lackierten Nägeln nachzog, bevor sie klopfte. Ein seltsames Gefühl der Vorfreude wallte in ihr auf.

Das leise Klingeln der Türglocke holte Ava aus ihrem Traum. Etwas verwirrt schüttelte sie den Kopf. Ihr mussten die Augen zugefallen sein.

Sie hob den Blick und sah Mrs Meyers, die gerade den Laden betrat.

»Na sieh an. Ich hätte es mir denken können. Was machst du denn schon wieder so früh hier?«

Mrs Meyers stellte ihre Tasche neben der Theke ab. Sie hob eine Augenbraue, als sie die hochgelegten Füße bemerkte, und Ava bemühte sich hastig in eine andere Position zu kommen.

»Konnte nicht schlafen. Deshalb dachte ich, ich schaue schon mal vorbei und sehe, was heute so ansteht.« Ava lächelte sie an.

»Ich muss zugeben, Darling, ich wäre fast enttäuscht, wenn ich dich nicht mindestens an drei Tagen in der Woche um diese Uhrzeit hier antreffen würde.« Mrs Meyers musterte sie besorgt und strich sich ihr fliederfarbenes Kostüm glatt. »Wieder der Albtraum?«

Ava senkte den Blick auf ihren Post-it-Zettel und nickte nur. Im Gegensatz zu ihrer Tante hatte sie Mrs Meyers von ihrem Versuch, dem Schlaf zu entkommen, erzählt. Und von dem Grund. Aus heiterem Himmel hatte sich der immer gleiche Albtraum vor knapp einem Jahr eingestellt. Jedes Mal, wenn sie sich zum Schlafen hinlegte, träumte sie von der Nacht, in der ihre Eltern gestorben waren. Das Einzige, was Ava wusste, war, dass ihre Eltern bei einem Feuer umgekommen waren und nur sie aus den Flammen gerettet werden konnte. Wie durch ein Wunder mit nur einem kleinen Brandmal direkt über ihrem Herzen. Unbewusst strich Ava jetzt mit den Fingern über diese Stelle. Sie hatte keine Ahnung, ob es eine echte Erinnerung war oder nur ihre Fantasie, die versuchte, diese Nacht nachzustellen. So oder so fühlte es sich real an. Zu real. Deshalb hatte sie beschlossen, Schlaf, so gut es eben ging, zu vermeiden.

»Und du willst sicher nicht mit deiner Tante darüber sprechen? Vielleicht könnte sie dir helfen?«

Ava sah kurz auf und schnell wieder weg. Sie konnte den mitfühlenden Blick nicht ertragen.

»Diana hat gerade sowieso nur Interesse daran, mich so schnell wie möglich in eine Uni zu stecken. Ich schaff das auch gut ohne sie.«

Mrs Meyers sah sie tadelnd an.

Ava zuckte mit den Achseln und wechselte das Thema. »Hey, ich habe vorhin eine interessante Anzeige gesehen. Da scheint jemand seine Sammlerstücke verkaufen zu wollen. Vielleicht wäre das was für uns? Wenn es für Sie passt, würde ich da später mal anrufen und um ein Treffen bitten.«

Gerade als Mrs Meyers antworten wollte, ertönte die Klingel aus dem Lager hinter dem Laden.

»Klingt gut. Aber schau bitte vorher nach Dylan und den neuen Lieferungen, bevor du dich auf Entdeckungstour machst. Und gib ihm das Paket mit, das wir noch versenden müssen. Es steht oben.« Mit einer gespielt unwirschen Geste scheuchte Mrs Meyers Ava von ihrem Platz auf.

Sie lachte und machte ihrer Chefin mit einer galanten Verbeugung Platz. »Viel wird es nicht zu entdecken geben. Nächste Woche gibt es wieder einen Nachtflohmarkt, der ganz interessant klingt. Ansonsten noch eine Wohnungsauflösung. Mal sehen, was sich da versteckt.« Damit stieg Ava die Wendeltreppe hoch.

Auch dieser Bereich des Ladens war halbhoch mit Holz vertäfelt. Von hier oben hatte man einen schönen Blick auf den gesamten Ausstellungsraum. Neben dem mit einem alten Gitter versperrten Abteil befanden sich hier oben lediglich drei gläserne Ausstellungskästen. In ihnen drapierte Mrs Meyers im Wechsel besondere Schätze. Aktuell waren die Kästen mit Schmuckstücken belegt. Avas Blick huschte wie immer zum abgeschlossenen Abteil hinüber. Als sie Mrs Meyers einmal gefragt hatte, was sie da für Gegenstände hinter Schloss und Riegel verwahrte, hatte sie nur ein »Das sind Liebhaberstücke« als Antwort erhalten. Was sie nicht sonderlich schlauer machte. Waren denn nicht alle Stücke in einem Antiquitätengeschäft Liebhaberstücke? Wie jedes Mal, wenn Ava hier oben war, trat sie dicht an die Gitterstäbe heran und versuchte, einen Blick auf die Gegenstände in den länglichen Regalen zu erhaschen, aber sie waren alle fein säuberlich mit Tüchern verhängt. Sie spürte ein Kribbeln. Wie gerne würde sie mal einen Blick darunter werfen. Aber bis jetzt hatte sie Mrs Meyers noch nicht davon überzeugen können, ihr Zutritt zu gewähren. Hin und wieder tauchten Kunden auf, mit denen sie sich in eine Ecke des Ladens verzog und tuschelte. Nach den Gesprächen übergaben sie Mrs Meyers oft eingepackte Gegenstände und sie verschwand damit im Abteil. Ava hätte jedoch nicht sagen können, ob auch nur einer dieser Gegenstände den Laden jemals wieder verließ.

»Irgendwann schaffe ich es zu euch rein. Und dann verratet ihr mir, was es mit euch auf sich hat.«

Ava löste sich von der Tür und holte das Paket, das auf einem kleinen Schreibtisch in der rechten Ecke stand.

Sie stieg die Treppe wieder hinunter und ging durch eine unscheinbare Tür hinter der Theke ins Lager, eine kleine Halle, die sich hinter dem Verkaufsraum versteckte. In geordnetem Chaos standen hier weitere Möbelstücke, eingepackte Gemälde und sogar eine alte Kutsche. Das Ende dieses Lagers dominierte eine große hölzerne Flügeltür mit Milchglasscheiben. Ava öffnete sie und betrat den Innenhof des Gebäudes. Ein Lieferwagen wartete schon davor. Der Fahrer, Dylan, lehnte lässig am Wagen und sah in den frühen Morgenhimmel auf. Seine dunklen Haare waren locker nach hinten gegelt.

Als er sie sah, stieß er sich vom Wagen ab. »Morgen, Ava. Alles gut?«

»Morgen, Dylan. So weit, und bei dir? Was bringst du uns heute Schönes?« Ava trat zu ihm in die Sonne und drückte ihm ihr Paket in die Hand.

Er kletterte ins Innere des Transporters und holte seinerseits ein Päckchen hervor. Bevor Ava danach greifen konnte, zog er es weg.

»Was wäre das wohl wert, wenn ich es auf eBay verkaufen würde?«

»Keine Ahnung, dafür müsste ich wissen, was es ist. Und wenn ich es wüsste, würde ich es dir erst sagen, wenn du es schon für viel zu wenig online verramscht hast. Damit ich mich über dein Gesicht freuen kann, wenn ich dir sage, wie viel es wirklich hätte einbringen können.« Ava lächelte ihn zuckersüß an und streckte wartend die Hand aus.

Dylan zögerte einen Moment, dann lachte er. Es klang kehlig und ein wenig heiser. »Du bist der schadenfrohste Mensch, den ich kenne.«

»Dann hat man mehr zu lachen. Danke.« Sie nahm ihm das Päckchen schwungvoll aus der Hand und wollte sich gerade abwenden, als Dylan sie aufhielt.

»Hey, warte mal. Ich hatte überlegt, … also … ich wollte …«

Damit unterbrach er ihre übliche Routine. Geplänkel, Austausch der Ware und zurück an die Arbeit. Avas Magen rutschte eine Etage tiefer. Sie wusste nicht, wie sie auf solche Gesprächsabweichungen reagieren sollte und versuchte, es zu kaschieren, indem sie den Kopf zur Seite neigte und fragte: »Geht’s dir gut?«

Dylan griff sich verlegen in den braun gebrannten Nacken. »Ja! Mann, ich wollte dich nur fragen, ob du …«, er gab sich einen Ruck, »ob du Bock hättest, heute Abend mal mit feiern zu kommen. Mit ein paar Freunden, meine ich.«

Ava spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. »Heute Abend?« Sie tat, als müsste sie überlegen und hoffte, dass er das leichte Zittern in ihrer Stimme nicht gehört hatte. Bis jetzt war ihr Plan nicht anders als sonst gewesen. Kaffee kochen, Jogginghose an, spannende Quests suchen und gemeinsam mit SirSimontheGreat gegen Trolle, Drachen oder böse Magier kämpfen, um den Verstand wach zu halten. Nicht, dass sie ein großer Fantasy-Nerd war. Aber die Abenteuer reizten sie irgendwie und es half, sie vom Schlafen abzulenken. Na ja, zumindest bis zur letzten Nacht. Ob sie jetzt also vor dem Rechner saß oder im Club war … wach war wach. Und ihr Mitspieler fand immer jemanden zum Spielen.

»Äh, ja klar. Wieso nicht. Ausgerechnet heute habe ich tatsächlich noch nichts vor. Du Glückspilz.« Sie zwinkerte ihm zu und machte eine Pistolengeste dazu, ließ die Hand aber schnell wieder sinken. Oh Gott, was sollte das denn bitte?!

»Ja, okay. Cool! Dann bis heute Abend!« Dylan schien von dieser dämlichen Geste nicht abgeschreckt worden zu sein.

»Jap, bis heute Abend!« Sie wollte gerade zurück ins Lager verschwinden, als ihr etwas auffiel. »Ähm, halt, warte mal!«

Dylan war schon wieder dabei, in seinen Lieferwagen zu steigen. Er kam noch mal um die Motorhaube herum. »Ja?«

»Wo eigentlich? Und wann?«, fragte Ava.

»Oh, klar!« Er lachte auf. »Das wäre gut zu wissen, nicht? Kennst du den Cradle Club?«

Ava schüttelte den Kopf.

»Okay, pass auf. Ich hol dich um neun an der Hauptwache ab, ja? Von da ist es nicht mehr weit.«

»Um neun an der Hauptwache, alles klar.« Ava nickte und konnte sich gerade noch davon abhalten, ein Aye-Aye-Zeichen zu machen. »Dann bis heute Abend.«

»Bis heute Abend.«

Dylan lächelte sie begeistert an. Sie lächelte zurück und sah zu, dass sie wieder ins Lager kam. Das Päckchen hatte sie so fest umklammert, dass ihre Hand schon zu schmerzen begann. Als sie von der Helligkeit in das Dämmerlicht des Lagers trat, brauchten ihre Augen einen Moment, um sich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen.

»Hat der junge Gentleman dich etwa endlich nach einem Treffen gefragt?«

Ava fuhr zusammen. »Guter Gott, Mrs Meyers! Wie lange stehen Sie schon da?«

Mrs Meyers kam neben der Tür hervor. »Oh, eigentlich wollte ich nur eine Kleinigkeit aus dem Lager holen, aber dann konnte ich nicht anders, als euch zuzuhören. Junge Liebe ist ja immer so unbeholfen. Herrlich, es mit anzusehen.« Sie kicherte.

»Wir sind nicht … Lauschen ist nicht sehr ladylike!« Ava wusste nicht, ob sie empört oder belustigt sein sollte. Die alte Dame schien sich diebisch zu freuen.

»Auch eine Lady braucht ihren Zeitvertreib, Darling. Sieh zu, dass du dich heute Abend anständig anziehst, ja? Aber nicht zu freizügig! Der junge Mann soll einen ordentlichen Eindruck von dir bekommen. Und jetzt bring das Päckchen in den Verkaufsraum. Es müsste eine Büchersendung sein, die ich begutachten will, bevor ich sie in den Verkauf nehme.«

»Sind Sie jetzt meine Anstandsdame?«, murrte Ava und machte, dass sie aus dem Lager kam.

KAPITEL 3

Gegen zwölf Uhr am Mittag erreichte Ava die Adresse des Kunstsammlers McLean im Nordend. Von ihren Funden schien ihr diese am vielversprechendsten zu sein. Deshalb hatte sie sich nach einem kurzen Telefonat mit dem Besitzer direkt auf den Weg gemacht. Nun blieb Ava einen Moment vor der mächtigen Steinmauer und dem vielleicht zwei Meter hohen Tor stehen. Wenn sie zurücktrat, konnte sie gerade so den Giebel des Hauses sehen. Bei diesem Anwesen war es geradezu sicher, dass sie etwas Gutes fand. Umso seltsamer, dass er in ein Internetforum schrieb. Zaghaft drückte sie auf den Klingelknopf, der neben dem Tor angebracht war. Sollte ihr hier irgendetwas komisch vorkommen, würde sie sich direkt wieder aus dem Staub machen.

Die Sprechanlage knackte. »Ja bitte?«

»Äh, hi. Herr McLean? Hier ist Ava Holler. Von Meyers Antiquitäten-Handel. Wir hatten vorhin miteinander telefoniert. Wegen der Sammlung?«

Sie wollte es nicht, aber am Ende des Satzes ging ihre Stimme nach oben.

Toll, nicht sehr professionell.

»Ja, natürlich! Kommen Sie herein.«

Ein erneutes Knacken, dann verstummte die Sprechanlage. Ava sah gespannt auf das Tor und keine Sekunde später glitt es fast lautlos zur Seite. Sie trat ein und blieb überwältigt stehen. Alte Olivenbäume säumten den weißen Kiesweg, der die Auffahrt hinaufführte. Akkurat gestutzter Rasen mit bunten Blumenbeeten umgaben ein beeindruckendes Gebäude aus der Gründerzeit. Das mächtige Eingangsportal zog ihren Blick magisch an. Langsam näherte sich Ava dem Anwesen. Es kam ihr seltsam bekannt vor. Als sie vor der Tür stand, suchte sie vergeblich nach einer Türklingel. Langsam streckte sie die Hand aus, um den antik aussehenden Türklopfer zu bedienen, als sie bemerkte, was für eine Form er hatte. Als hätte er ihr einen elektrischen Schlag verpasst, zuckte sie zurück. Der Klopfer war eine Fratze, die die Zunge herausstreckte. Wie in meinem Traum.

Sie spürte, wie ihr kalt wurde. Mit zusammengekniffenen Augen schüttelte sie kurz den Kopf. Als sie die Augen wieder öffnete, zwang sie sich, die Zunge der Fratze zu betrachten. Kein Pentagramm. Da hast du es. Reiner Zufall.

Aber so richtig wollte sie sich selbst nicht glauben. Es kostete sie all ihre Überwindung, die Hand auszustrecken und die Zunge zu greifen, um anzuklopfen. Für einen kurzen Augenblick meinte Ava sogar, dass sie sich weich und feucht anfühlte. Ruckartig zog sie die Hand wieder zurück und der Klopfer schlug mit einem lauten Knall gegen die Tür. Nervös trat Ava einen Schritt zurück, den Blick unverwandt auf die Fratze gerichtet. Sie sah aus, als würde sie sie auslachen.

Die Tür öffnete sich schwungvoll und ein Mann um die fünfzig erschien im Türrahmen. Er trug eine graue Anzugshose, kombiniert mit einem Hemd in Altrosa. Der obere Knopf war geöffnet. Zusammen mit seinen schwarzen Haaren, durch die sich silberne Streifen zogen, sah er aus wie frisch aus dem Katalog für erfolgreiche Manager entstiegen.

Ein bisschen wie McDreamy. Oder Dr. Strange, schoss es Ava durch den Kopf.

Für einen Moment starrte er sie überrascht an, doch dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Fräulein Holler. Schön, dass Sie kommen konnten. Kommen Sie doch herein. Kommen Sie!« Ein leichter englischer Akzent schwang in seiner Aussprache mit.

Fräulein? In welchem Zeitalter lebt der denn?

Beschwingt trat er beiseite und machte eine einladende Geste. An seinem Ringfinger funkelte ein Siegelring. Sein Lächeln entblößte strahlend weiße, ebenmäßige Zähne.

»Vielen Dank.« Etwas eingeschüchtert trat Ava über die Türschwelle, nicht ohne dem Türklopfer einen letzten unbehaglichen Blick zuzuwerfen.

Das entging ihrem Gastgeber nicht. »Ein Prachtexemplar, nicht wahr? Er stammt noch aus der Erbauungszeit.«

»Beeindruckend. Ich muss allerdings gestehen, ich finde ihn etwas … unheimlich.« Ava lächelte entschuldigend.

Herr McLean lachte. »Oh, das geht vielen so. Meine Frau bat mich sogar, ihn zu ersetzen. Durch einen Löwen oder besser noch eine normale Klingel. Aber wo besteht denn der Sinn darin, sich solch ein Haus zu kaufen, wenn man es dann doch nur rundherum verändert?«

»Da haben Sie sicher recht. Sie sind also ein Nostalgiker? Wenn Sie noch nicht mal einen Türklopfer verändern wollen, obwohl er eindeutig hässlich ist?«, rutschte es Ava heraus.

Überrascht schaute sie der Mann an.

»Verzeihen Sie! Ich wollte nicht, … der letzte Teil sollte nicht laut ausgesprochen werden«, entschuldigte sich Ava hastig. Verdammt noch mal, Holler, vermassel das hier nicht sofort!

»Sie sind direkt. Das gefällt mir.«

Das Lächeln lag unverändert auf seinen Lippen, aber seine Augen fixierten sie plötzlich intensiver und Ava bekam das Gefühl, dass er auf etwas wartete.

»Ähm, ja. Tut mir leid. Das passiert mir leider öfter.«

»Kein Problem, Fräulein Holler. Wirklich kein Problem. Es ist erfrischend. Sollen wir uns jetzt zum Grund Ihres Besuches begeben?« Er deutete mit einer Hand tiefer ins Haus hinein, ohne den Blickkontakt zu brechen.

Unbehaglich schob sich Ava ihre Tasche auf die Schulter und schaute in die gewiesene Richtung. Sie stand in einer herrschaftlichen Eingangshalle mit einem Fliesenboden in Schachbrettmuster. Am Ende wand sich eine breite Treppe zu einer Balustrade im Obergeschoss hinauf. Neben der Treppe ging auf jeder Seite eine Tür ab.

»Ja klar.« Sie machte einen weiteren Schritt in die Eingangshalle hinein.

Er schloss bedächtig die Haustür und erst jetzt fiel Ava auf, dass aus diesem großen Haus kein einziges Geräusch gedrungen war, während sie sich unterhalten hatten. Kurz senkte sich eine erdrückende Stille auf sie herab. Ohne auf Ava zu warten, schritt er energisch auf den hinteren Teil des Hauses zu. Seine Anzugsschuhe klackten laut auf dem Boden. Sie musste sich beeilen, um Schritt zu halten.

»Und Ihre Frau ist unterwegs?« Bis jetzt hatte sie weder Angestellte noch mögliche Familienmitglieder gesehen.

Bitte lass ihn kein verrückter Serienkiller sein. Ich habe Mrs Meyers noch nicht mal gesagt, wo der Typ wohnt. Bis mich hier jemand finden würde …

»Sie ist in Edinburgh geblieben. Das ist nicht mein Hauptwohnsitz, müssen Sie wissen. Ich bin nur hier, um den Verkauf der Sammlung zu organisieren.« Herr McLean öffnete die Tür links neben der Treppe und trat beiseite, um Ava hindurch zu lassen.

Dahinter erstreckte sich ein Raum, der sich auch ohne Probleme in einem Museum hätte befinden können. Bodentiefe Fenster, umrahmt von roten Samtvorhängen, sorgten für eine wahre Lichtflut. Dunkelgrüne Tapete mit Rankenmuster und auf Hochglanz polierte, dunkle Bodendielen rundeten das Bild ab. Überall standen Schaukästen mit Gegenständen. Im Gegensatz zu der dämmrigen Eingangshalle strahlte dieses Zimmer so viel Wärme und Gemütlichkeit aus, dass Ava sich augenblicklich ein wenig entspannte. Das hier war kein Zimmer eines Serienkillers. Das war das Zimmer eines wahren Sammlers. Staunend sah sie sich um.

»Das ist die Sammlung?« Ava versuchte die Aufregung aus ihrer Stimme herauszuhalten.

»Ein Teil davon. Der Teil, den ich zu verkaufen gedenke.«

Ava ging auf den Kasten zu, der ihr am nächsten war. Darin befand sich, auf ein Samtkissen gebettet, eine goldene Brosche mit einem tiefgrünen Stein in der Mitte. Kleine Perlen umgaben die Fassung. Sie funkelte im Sonnenlicht.

»Die gehörte einem Zaren. Er schenkte sie meiner … Großmutter.«

»Sie verkaufen Familienerbstücke?«, fragte Ava überrascht.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Ja.«

Wieder in ein Fettnäpfchen getreten. Wenn sie so weitermachte, dann schmiss er sie hochkant wieder raus.

»Entschuldigung, das ist natürlich allein Ihre Sache. Ich war nur überrascht.« Da er nichts sagte, fuhr sie schnell fort: »Haben Sie eine Urkunde? Oder einen Beleg für die Herkunft?«

»Nein, habe ich nicht. Nur das Wort meiner Großmutter.«

»Okay. Ich möchte das Wort Ihrer Großmutter wirklich nicht anzweifeln. Allerdings … so ein Beleg würde den Wert der Brosche um einiges steigern.«