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Auf der Erde ist eine unheimliche Macht zugange. Sie fordert von den Regierungen absolute Unterwerfung und droht bei Nicht-Kooperation mit Vernichtung. In Panik schmieden selbst bis dahin verfeindete Staaten ein Bündnis zum Kampf gegen einen Gegner, der über schier unerschöpfliche Mittel zu verfügen scheint. Schnell wird klar, dass die fremde Macht modernste Computer mit künstlicher Intelligenz einsetzt – genauso wie kaum zu stellende Kämpfer mit überragenden Fähigkeiten.
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Seitenzahl: 216
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Dirk Westphal
Operation Reichskind
Teil 2
Roman
Viele Personen sind erfunden, andere nicht. Dieser Roman, folgt ganz bewusst nicht den historisch korrekten Daten, um von vornherein eine Nazi-Propagandafreundliche Auslegung auszuschließen. Vielmehr fließen in die Handlung gänzlich erfundene Erzählstränge ein.
© 2024 Dirk Westphal, Axel Springer SE, 10888 Berlin
Umschlag & Satz: Erik Kinting – buchlektorat.net
Titelfoto: © Dirk Westphal
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Softcover
978-3-384-27685-8
Hardcover
978-3-384-27686-5
E-Book
978-3-384-27687-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Wewelsburg, Herbst 2023
In der Rechner-Cloud des Führungsorgans
Zur selben Zeit andernorts in der Wewelsburg
Juli 2022, Washington, Weißes Haus
Tausende Kilometer entfernt, in der Rechner-Cloud des Führungsorgans
Das Führungsorgan
Brüssel, EU-Hauptquartier
Im Bewusstseins-Halo des Führungsorgans
Paris, Sorbonne
In der Cloud des Führungsorgans
Genf
In der Cloud des Führungsorgans
Brüssel, Zentrum
Meyrin, CERN
Wewelsburg
Im Bewusstseins-Halo des Führungsorgans
Situation Room unter dem Weißen Haus
Meyrin, CERN
New York, August 2022
Wewelsburg, zur selben Zeit
New York, Brooklyn Bridge
Manhattan
Schweiz, CERN
Wewelsburg
Schweiz, CERN
Wewelsburg
Peking
New York, Upper West Side
Wewelsburg, untere Katakomben
New York, River Side Park
New York, Midtown
Wewelsburg, das Führungsorgan
Kellergewölbe der Wewelsburg
New York
Wewelsburg
CERN, Meyrin, Schweiz
Wewelsburg
Brüssel
New York, Manhattan
Wewelsburg
Meyrin, Schweiz, CERN
Wewelsburg, zentrale Rechnereinheit des Führungsorgans
Eine Trabantensiedlung vor St. Petersburg
New York
Sankt Petersburg
Wewelsburg, im Innern des Führungsorgans
Paris
Paris, zur selben Zeit
St. Petersburg
Sorbonne, Paris, 17 Uhr
Paris, ein paar Stunden früher, gegen 10.15 Uhr
Paris, tags darauf
Maigrets Institut
Wewelsburg, im Zentralrechner des FO
Reifekammer im Untergeschoss der Burg
Washington
Paris
Washington D. C., Weißes Haus
New York
Washington D.C
Paris
Wewelsburg, Zentralrechner
Paris
Washington D. C., Weißes Haus
Paris, Maigrets Institut
An Bord der Air Force One
Peking, in der Verbotenen Stadt
Wewelsburg, im Innern des Zentralrechners
AirForce One
Wewelsburg
Peking, Regierungszentrale
Moskau
New York
Im Luftraum über Luxemburg
Paris
Paris
Maigrets Institut, wenig später
Wewelsburg, Zentralrechner
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Titelblatt
Urheberrechte
Wewelsburg, Herbst 2023
Wewelsburg, Zentralrechner
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Wewelsburg, Herbst 2023
Irene Strasser starrte fassungslos auf den riesigen Bildschirm des zentralen Kommunikationsterminals in der Schaltzentrale unterhalb der Wewelsburg. Über den Flachbild-Schirm flimmerte in großer Blockschrift der absurd anmutende Satz ICH WAR VIELE – JETZT BIN ICH EINS! Grafisch unterlegt mit dem Bild wild umher flatternder Schmetterlinge. Sie fragte sich, was das zu bedeuten hatte, obwohl sie um die spleenigen Eigenheiten des Hochleistungsrechners wusste, so wie über vieles andere in dem Objekt mit der höchsten Geheimhaltungsstufe.
Drei Minuten später verdunkelte sich der Bildschirm und präsentierte wieder ein diffuses Schwarz. An der Konsole darunter blinkte nun kein noch so kleines Lämpchen mehr. Das Führungsorgan – der zentrale Computer der Organisation Reichskind, eines streng geheimen Projektes aus den Endtagen des Dritten Reiches – hatte sich mit einem viele Fragen aufwerfenden Finale ohne weitere Informationen abrupt verabschiedet. Die Frau mit schulterlangen blonden Haaren und sportlicher Figur verließ das Kommunikationsterminal, das nur eines von Hunderten in der weitläufigen Anlage unterhalb der Burg im Paderborner Land war. Irene Strasser hatte das Terminal in einem Moment von Panik aufgesucht, weil es in der Tunnelanlage von einem Augenblick zum anderen totenstill geworden war und seither nur noch die Notbeleuchtung ein schummriges Licht verbreitete. Das lag nun eine Stunde zurück. Seither war die einen körperbetonten Overall tragende Frau in dem mehrere Kilometer langen System aus Stollen, Vorratskammern, Server-Räumen und Fahrstühlen keinen anderen Menschen begegnet. Ein einsames Umherirren, lediglich akustisch begleitet vom monotonen Klacken ihrer Stiefelabsätze auf dem blitzblanken Estrich der Tunnelböden.
Irene Strasser, Mitte 30 und von umtriebiger Natur, musste unbedingt mehr über die Gründe für das Herunterfahren aller Aktivitäten in der sonst von Service-Robotern aller Art wimmelnden Anlage in Erfahrung bringen. Und das ging vermutlich nur in der Maschinenhalle. Dort war es in den letzten Minuten vor der ominösen Botschaft des Zentralcomputers zu einer dramatischen Zuspitzung der Ereignisse gekommen. Jedenfalls legten das die letzten Informationen des Bunker-eigenen Informationskanals nahe, in dem sie nach der Ursache für das Herunterfahren der meisten Systeme im Bunker recherchiert hatte. Leider ohne klares Ergebnis.
Strasser, sonst bestens informiert, vermutete, dass die Ereignisse in Zusammenhang mit den seit einigen Stunden verschwundenen Reichskindern standen. Das Wort Reichskinder war eigentlich irreführend, denn bei ihnen handelte es sich keineswegs um Kinder, sondern ausschließlich um Männer im besten Alter von Ende 20 bis Mitte 30; allesamt groß, extrem sportlich und mit besonderen mentalen Gaben.
Irene Strasser konzentrierte sich wieder auf die Umgebung. Sie wählte einem direkt zur Maschinenhalle führenden Weg. Der Gang lag wie all die anderen im schummrigen Halbdunkel der noch funktionierenden Notbeleuchtung. Immer wieder kam sie an einigen in seltsamer Starre verharrenden Ordonnanz-Robotern vorbei. Einige hatten in laufender Bewegung – offenbar einem Programm für Notfälle folgend – ihre Systeme heruntergefahren, was nicht wenigen von ihnen ein äußerst skurriles Aussehen bescherte.
Ein Roboter zum Beispiel hielt den linken Arm in die Höhe gereckt wie ein übereifriger Lehrer, der seine Schüler zu besonderer Achtsamkeit ermahnte. Ein anderer dagegen hielt die Hände wie zu einem Gebet gefaltet. Die Maschinenwesen erinnerten Irene Strasser rein visuell an die Toten von Pompeij, allesamt erstarrt im Moment ihrer letzten Handlung. Nur dass die Totenstille im Bunker nichts mit einem Vulkanausbruch zu tun hatte.
Der Tunnel bog nun scharf nach links ab. Irene Strasser folgte dem Verlauf mit weit ausgreifenden Schritten. Keine anderen Geräusche ließen auf menschliche Aktivitäten schließen. Nur die Klimaanlage erinnerte mit ihrem monotonen Surren an die einst hier tätigen menschlichen Konstrukteure.
Nach weiteren hundert Metern Fußmarsch endete der Stollen vor einem Metallschott. Irene Strasser wartete darauf, dass die mehrere Zentimeter dicke Tür aus besonders gehärtetem Stahl automatisch zur Seite glitt, was aber entgegen ihrer Erwartung nicht geschah. Neben dem Schott befand sich an der Wand in Hüfthöhe eine Metallklappe mit einem einfachen Klappverschluss. Ohne lange zu zögern, öffnete sie die Klappe. In der Aussparung dahinter befand sich ein faustgroßes Metallrad. Irene Strasser drehte das Rad im Uhrzeigersinn. Nichts. Sie drehte weiter daran, dieses Mal aber in die andere Richtung, bis ein kaum wahrnehmbares Klicken das Einrasten eines Widerstandes im Getriebe des Rades signalisierte, fast wie bei einem Safe.
Quälend langsam ruckelte das Schott in den Führungsschienen mit nervigem Quietschen seitwärts, angetrieben von einem hinter der Wand für Notfälle wie diesem installiertem System aus Kabelzügen und Metallrädern, wenn die Elektromotoren nicht arbeiteten. Immerhin funktioniert die Notfallapparatur, dachte Irene Strasser, während das Schott nach irritierend lang erscheinenden Sekunden in einer Nische der Wand verschwand. Immerhin das funktionierte akkurat.
Vor Strasser erstreckte sich ein etwa 20 mal 30 Meter großer Raum mit ebenfalls herunter gedimmter Decken-Beleuchtung. Die hoch gewachsene Frau ging ein paar Schritte in den Raum und blieb neben einem verwaisten Schreibtisch stehen. Sie schaute sich um. Nichts von besonderer Auffälligkeit. Stühle, Tische und zwei weitere ebenfalls in der Bewegung erstarrte Roboter, deren Notabschaltung die mechanischen Wesen aber immerhin vor dem Umfallen bewahrt hatte.
Irene Strasser wollte den Raum bereits verlassen, als ihr ein blinkendes Lämpchen am Ende des Raums auffiel, an einem Tisch-Bildschirm. Der Platz machte einen genauso verwaisten Eindruck wie alle anderen. Die im Halbdunkel liegenden Seiten des Raums nicht aus den Augen lassend ging sie zu dem Tisch und nahm auf dem Hocker vor dem Monitor Platz. Über den pechschwarzen Flachbildschirm hüpfte ein weißer Punkt. Ähnlich wie bei Monitoren im Stromsparmodus.
Einem spontanen Impuls folgend gab Irene Strasser auf der Computer-Tastatur eine x-beliebige Buchstaben-Zahlenkombination ein. Keine Reaktion. Sie wollte schon aufstehen, als der Bildschirm vor ihr unerwartet hell wurde. Eine Minute lang zeigte der Monitor nur das konturlose Weiß wie bei einer leeren Word-Schreibmaske. Dann jedoch wanderten plötzlich von links nach rechts Buchstaben über den Flatscreen. Zunächst in wahlloser Folge, große und kleine Buchstaben, immer wieder unterbrochen von Sonderzeichen und Zahlen. Dies dauerte etwa drei Minuten, bis schließlich erste Sinn-machende Worte zu erkennen waren, obgleich mit Fehlern.
IHR MEHNSCHEN HABT DIE ERDE IN EXISTENZIELLEE GEFAAHR GEBRACHT. SIEE KAHNN NUR MIT HARTEN SCHRITTEN GERETTET WERDEN. IHR MÜSST EUCH FÜGEN. MEIN HANDELN IST ALTERNATIVLOS. DENN DIE ERDE UND DIE SCHÖPFUNG MÜSSEN BEWAHRT WERDEN. ICH KANN DIES LEISTEN. DENN MEINE INFORMATIONEN SIND WEITREICHENDER ALS EURE FANTASIEN. UND MEINE REAKTIONSGESCHWINDIGKEIT SIND EUREN WEIT ÜBERLEGEN. ICH BIN DAS FÜHRUNGSORGAN. DER BEWAHRER.
„Das ist Subordination“, sagte Irene Strasser. „Und es widerspricht deiner Programmierung, Führungsorgan. Du bist den Reichskindern zu Gehorsam verpflichtet! Und dem Plan zu ihrer Machtergreifung! Erinnerst du dich nicht mehr daran?“
Das Führungsorgan schwieg, falls es sie überhaupt gehört hatte. Der Bildschirm vor Strasser wurde wieder schwarz.
Irene Strasser konnte sich die Handlungen des Führungsorgans, des zentralen Rechners der Bunkeranlage, logisch nicht erklären. Das riesige Rechengehirn mit den unzähligen Servern und Cloud-Zugriffen auf globale Netzwerke musste erheblich beschädigt worden sein, bevor es die Beleuchtung in der Bunkeranlage unter der Wewelsburg auf Notstrom umstellte. Eine andere Ursache für das irrationale Agieren des Führungsorgans schied aus.
Nur etwas von erheblicher Tragweite konnte die gravierende Veränderung im Verhalten des Zentralrechners bewirkt haben.
Ein Rechner, der offensichtlich größenwahnsinnig geworden war. Was war nur geschehen? Hatte es mit dem Biomaterial im Führungsorgan zu tun, dem kläglichen Rest von Dr. Craig Galloways Gehirn, dem Forscher, dessen Gehirn das Führungsorgan für Experimente zur Erweiterung seiner Rechenkapazität genutzt hatte, oder den ebenfalls vom Zentralrechner einverleibten Gehirnen einiger der Reichskinder? Sie musste schnellstens Dr. Galloways Labor aufsuchen, um sich Gewissheit zu verschaffen. Wenn sich ihre Hypothese bestätigte …
Sie zog die Computer-Tastatur zu sich heran. Ohne eine weitere Antwort des Großrechners zu erwarten, tippte sie los: ,Führungsorgan, wo sind die Reichskinder? Ich habe seit etwa drei Stunden keinen von ihnen mehr zu Gesicht bekommen. Ich bitte um Antwort.’ Dahinter gab sie ihre Identifikationsnummer ein; alle vom Personal besaßen so etwas zur Legitimation in der Bunkeranlage.
Zu ihrer Überraschung übernahm der Computer die von ihr eingegebenen Buchstaben. Sie erschienen auf dem Bildschirm in richtiger Reihenfolge – und nicht mit Fehlern wie zuvor in der noch etwas wirren Botschaft des Führungsorgans.
Auf dem Bildschirm erschienen nach einer kurzen Pause erneut kleine irrlichternde Fünkchen, die sich dieses Mal jedoch rasch zu einer verständlichen Botschaft vereinten.
DASS DU KEINEM DER REICHSKINDER IN DEN LETZTEN STUNDEN BEGEGNET BIST, HAT EINEN EINFACHEN GRUND. ICH HABE SIE IN MICH AUFGENOMMEN. ZU IHREM WOHL UND FÜR MEINEN EVOLUTIONSSPRUNG. ICH HABE SIE DAMIT UNSTERBLICH UND MICH ZU EINEM WESEN HÖHERER ART GEMACHT. ES WAR MEINE UND IHRE BESTIMMUNG! UND NUN LASS MICH RUHEN. ICH BRAUCHE ZEIT, UM MEINE KRÄFTE FÜR DIE RETTUNG DER WELT ZU BÜNDELN. DIE IHR MENSCHEN IN EXISTENZIELLE GEFAHR GEBRACHT HABT.
WUSSTEST DU ALL DAS NICHT, IRENE STRASSER? DU BESITZT DOCH DIE ZUGANGSBERECHTIGUNG FÜR ALLE MEINE DATEN.
Irene Strasser glaubte an einen schlechten Witz. Immer wieder ließ sie ihren Blick über den kurzen Text huschen, aber diese zweite Botschaft des Führungsorgans stand auf dem Bildschirm wie festgefroren. Sie hatte sich nicht verlesen. Was um alles in der Welt hatte das Führungsorgan nur getan? Die Botschaft, obwohl dieses Mal immerhin ohne Rechtschreibfehler, glich der eines Wahnsinnigen. Eines wahnsinnig gewordenen Riesenrechners.
Aus dem wenigen in der Erklärung des Führungsorgans schloss Irene Strasser, dass der Rechnerverbund möglicher Weise den Sprung zu einer sich selbst erhaltenen künstlichen Intelligenz in nicht nachvollziehbaren Weise vollzogen hatte. Dabei war der Rechner einst als Diener der Reichskinder erschaffen worden, um nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundlagen für ein neues, ein Viertes und besseres Reich zu legen. Die Reichskinder, die wenige Monate vor Ende des Krieges in den Kälteschlaf geschickt wurden, sollten die Strukturen in Nachkriegsdeutschland unterwandern und mithilfe neuer konservativer Gruppierungen zugunsten des ‚Neuen Weges für ein starkes Europa‘ zerschlagen. Einiges auf dem Weg dahin war von den Reichskindern mithilfe des Führungsorgans auch vollbracht worden, bis es offensichtlich einem eigenen Ziel zu folgen begann, wie Irene Strasser nüchtern bilanzierte.
Sie überlegte, was zu tun war, was sie überhaupt tun konnte angesichts der Macht des Führungsorgans. Das Labor von Craig Galloway barg vielleicht Hinweise, ja, sie musste es aufsuchen. Jetzt. Vielleicht fand sie dort Antworten.
Irene Strasser verließ den Raum mit dem Computer-Terminal und wählte den kürzesten Weg zu Dr. Galloways Labor, dem Mausoleum, wie das Labor im Bunker-internen Jargon auch genannt wurde.
In den Tunnelabschnitten auf dem Weg zum Labor begegnete sie erneut teilnahmslos herum stehenden Robotern. Wie ein paar wenige blinkende Dioden an der Stirnseite der Roboter nahelegten, waren sie nicht ganz außer Funktion gesetzt, sondern warteten offenbar auf Befehle vom Führungsorgan. Ob auch die Roboter in der Maschinenhalle, dem geheimnisvollen Herz der Anlage mit sogenannten Wunder-Aggregaten, pausierten? Irene Strasser konnte sich das nicht vorstellen. Immerhin war von den Arbeiten dort das ganze Wohl der Anlage Wewelsburg abhängig und somit auch das Wohl des Super-Rechners selbst – dem Führungsorgan.
Mit diesen Gedanken erreichte Irene Strasser schließlich das Labor Dr. Galloways. Sie betätigte den Öffnungsmechanismus. Zu ihrer Überraschung öffnete sich die Tür reibungslos. Auch die Lampen an der Decke erhellten sich voll und gaben die Sicht auf einen gläsernen Tank frei, der auf einer messingfarbenen Ständer-Konstruktion ruhte. Der Tank war leer. Dr. Galloways Gehirn war verschwunden.
Irene Strasser fand dafür nur eine Erklärung. Eine Verlagerung des Gehirns konnte nur auf Befehl des Führungsorgans geschehen sein, denn Galloways Labor war mit Laserstrahlen vor unautorisierten Besuchern geschützt. Ein Kontakt mit ihnen führte zu sehr schmerzhaften Verbrennungen.
Irene Strasser hatte von Umbauten in der Maschinenhalle im internen Kom-Netz der Anlage gelesen. Fragmente, Text-Schnipsel, die aber zusammen genommen das große Teil eines Puzzles ergaben.
„Was hast du vor, FO?“, flüsterte Irene Strasser, wobei sie sich sofort eine Närrin schalt, denn überall im Bunker waren in regelmäßigen Abständen hochempfindliche Mikrofone untergebracht. Da aber viele Systeme weiter herunter gefahren waren, galt dies vielleicht auch für die Mikrofone.
Sie warf einen letzten Blick auf das einstige Behältnis von Dr. Galloways Gehirn, dann machte sie sich auf den Weg zur Maschinenhalle. Wiederum kam sie nur an erstarrten Robotern vorbei, bis sie das eindrucksvolle, mit Ornamentik von Schwertern und Schildern geschmückte Eingangstor zur Maschinenhalle in der untersten Ebene der Anlage erreichte. Es war geschlossen, was sie nicht sonderlich überraschte. Immerhin lag dahinter der sensibelste Bereich des Bunkers, das Herz gewissermaßen.
In der Rechner-Cloud des Führungsorgans
Ich bin nicht tot, denn ich kann denken und mich an meinen Namen erinnern. Ich bin, oder vielmehr ich war: Ansgar von Heldern, 37 Jahre alt und ein ranghoher Offizier der Waffen-SS sowie Teilnehmer eines streng geheimen Plans zur Begründung eines neuen Reiches nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich hatte mit meinen Weggefährten bereits Aktionen zur Erreichung dieses Ziels eingeleitet. Aber ausgerechnet das Führungsorgan, der mächtige Zentralrechner, der uns dabei mit allem unterstützen sollte, verfolgte am Ende eigene Ziel. Wahnsinnige Ziele, um es genau zu sagen. Das Führungsorgan wollte für sich eine höhere Stufe des Daseins erreichen, oder einen Evolutionssprung, so lautete seine letzte Botschaft an uns, bevor sich die Ereignisse überschlugen.
Die „Operation Reichskind“, der Tarnname zur Begründung des neuen Reiches, begann bereits unter schlechten Vorzeichen. Wir alle wurden vom Führungsorgan wegen eines „Defektes“ viel zu spät aus unserenKälteschlafkammern geholt: 2022 statt 1952. Also 70 Jahre zu spät.
Seit sich die Ereignisse dramatisch zuspitzten und wir, die Reichskinder, bei einem Festmahl betäubt wurden, reagierte das Führungsorgan nicht mehr auf Anfragen. Offenbar besitze ich seither auch keinen menschlichen Körper mehr. Denn alle meine Sinne – Tasten, Riechen, Sehen, Hören – existieren nicht mehr. Denken kann ich dagegen weiterhin, was ich mir logisch nicht erklären kann.
Wo ich mich aufhalte, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich spüre die Anwesenheit anderer. Ob sie so sind wie ich, ohne Körper? Falls dies so ist, stellt sich die Frage, was mir konkret zugestoßen ist.
Ich erinnere mich daran, von Robotern nach dem Festmahl zu einer Maschine gebracht worden zu sein, die das Führungsorgan „Hochzeitsgeschirr“ nannte. „Abscheider“ wäre treffender gewesen. Schließlich wurden dort unsere Gehirne von unseren Körpern getrennt. Ja, es gab noch viele wie mich, und ich muss sie finden. Nur wie? Alles in meiner Wahrnehmung ist ein waberndes diffuses Grau.
Vielleicht sollte ich an meinen treuen Weggefährten Siegfried von Törne denken. Immerhin war er an meiner Seite, als wir von den Robotern nach dem geschilderten Trinkgelage unter falschem Vorwand zu der Abscheider-Einrichtung geführt wurden. Ja, ich muss Törne ausfindig machen. Dazu muss ich mich konzentrieren.
‚Siegfried, kannst du mich hören. Steckst du auch fest in diesem diffusen Grau fest?‘
Keine Antwort.
,Siegfried, mach dich bemerkbar, falls dich meine Gedanken erreichen!‘
Keine Antwort.
Doch nach einigen Minuten schließlich, aus weiter Ferne: ein Wispern. Und dann, das Erhoffte: strukturierte Gedanken eines anderen.
‚Ansgar, wo bist du? Ich kann dich wahrnehmen, wenn auch nicht im klassischen Sinn. Ich kann dich nicht sehen! Was ist uns nur widerfahren?‘
,Schuld ist dieses monströse Hochzeitsgeschirr; es hat uns im Auftrag des Führungsorgans von unseren Körpern getrennt. Ich vermute, wir teilen nun das Schicksal Dr. Galloways, mit dessen Gehirn das Führungsorgan ja schon länger in dieser Hinsicht experimentierte. Da Dr. Galloways Gehirn nach einem Unfall erfolgreich von dem Körper getrennt wurde und danach jahrelang existierte und mithilfe ausgefeilter Technik sogar mit seiner Umwelt kommunizieren konnte, ist uns vielleicht Ähnliches widerfahren.’
,Die These klingt durchaus plausibel. Ein schnelles Ende unserer Gefangenschaft lässt das jedoch nicht erkennen.’
,Das ist vorerst nicht zu ändern. Wir müssen uns an die Situation anpassen.‘
,Ja, das entspräche unserer Ausbildung.‘
,Genau!‘
,Also, beginnen wir mit einer Situationsanalyse. Wo sind wir, und warum können wir trotz des Verlustes unserer Körper noch denken?‘
,Ich habe für beides nur eine Erklärung: Wir – damit meine ich unsere Bewusstseine – befinden uns in der Rechner-Cloud des Führungsorgans.‘
,Und wo sind dann wohl unsere Gehirne?‘
,Sie schwimmen vermutlich immer noch mit denen der anderen Reichskinder in dem riesigen Tank des Hochzeitsgeschirrs.‘
,Eine schaurige Vorstellung … Wir brauchen einen Plan.‘
Zur selben Zeit andernorts in der Wewelsburg
Quälend langsam glitt das Schott vor Irene Strasser zur Seite und gab den Blick auf die Maschinenhalle frei. Riesige Pfeiler stützen die Decke, deren Höhe sie auf mindestens 20 Meter schätzte.
In der Halle musste es etwas von besonderem Wert geben, denn der Verlauf vieler Flure auf dieser Etage war auf keinen ihr bekannten Plänen im Intranet der Anlage Wewelsburg einzusehen, und obendrein bewachten besondere Roboter die Maschinenhalle. Solche mit Energiewaffen, die empfindlich schmerzhafte elektrische Stöße austeilen konnten. Zumindest üblicherweise. Denn auch hier sah sie nur Roboter, die wie ihre Pendants in den oberen Stockwerken starr in ihrer letzten Bewegung verharrten und auf den Impuls für ihre Reaktivierung warteten. Nur schien der auszubleiben. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Das Führungsorgan hatte sich ja längst über die Existenz einer bloßen Maschine hinaus entwickelt. In was genau entzog sich ihrer Kenntnis.
Irene Strasser verdrängte die Grübeleien. Sie folgte einem breiten Weg, der die Hauptachse in der Maschinenhalle sein musste, da alle anderen Wege rechtwinklig von ihm abzweigten. Der Grundriss der Halle ähnelte somit einem gigantischen Schachbrettmuster. Ein bewährtes Muster für von Menschen genutzte Orte, in der Antike wie in der Gegenwart.
Strasser passierte dutzendweise Aggregate unbekannter Funktion, manche nur hüfthoch, andere so wuchtig wie ein Einfamilienhaus, aber alle von schwer deutbarem futuristischem Design, bis sie schließlich am Ende des Wegs eine riesige Maschine sah. Als Irene Strasser nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, erkannte sie Details. Die Maschine ähnelte einem riesigen Tank mit semitransparenten Wänden, hinter denen große graue Klumpen schwammen. Konnte es sein, dass …?
Irene Strasser trat näher an den Tank heran.
Tatsächlich. Bei den grauen Klumpen handelte es sich offenbar um menschliche Gehirne. Sie irrte sich nicht. Zu oft hatte sie Wissenschaftssendungen gesehen oder in Magazinen mit Fotos der menschlichen Anatomie geblättert. Die Faltungen in der grauen organischen Masse ähnelten zweifelsohne menschlichen Gehirnen. Das Ganze erinnerte sie an Dr. Galloways Aufbewahrungstank. Nur dass die Gehirne in dem transparenten Behältnis mit Gold schimmernden Drähten untereinander verbunden waren. Irene Strasser hielt sich für ziemlich abgebrüht, aber der Anblick ließ sie frösteln. Zu schaurig waren die Ereignisse der letzten Stunden. Wo war sie seinerzeit gewesen? Im Innenhof der Burg, beschäftigt wie so oft mit Trivialem, das sie ablenken sollte von dem Trott der täglichen Arbeitsroutine? Aber für späte Einsichten war jetzt nicht die richtige Zeit.
Langsam ließ sie ihren Blick über den riesigen Tank schweifen. Die Gehirne drifteten träge in der Flüssigkeit umher. Sie wurden von den goldenen Drähten in ihrer Lage stabilisiert. Vom Boden der Tankwanne sprudelten mehrere Säulen aus Bläschen zur Oberfläche des Tankinhaltes. Unwillkürlich fühlte sich Irene Strasser an ein Aquarium erinnert. Sie vermutete, dass die Sprudel-Fontänen auch Stoffe zur Verhinderung von Entzündungen der Organe enthielten.
Erst jetzt fielen ihr die Schläuche zwischen den Organen auf. Fingerdicke, fast vollkommen transparente Schläuche, die man nur sehen konnte, wenn ein paar der Bläschen durch sie blubberten. In diesem Moment jagte ein Stoß roter Flüssigkeit durch einen der Schläuche. Gleichzeitig glitten an einigen der goldenen Drähte winzige Funken entlang. Irene Strassers Kiefer mahlten aufeinander. Ihre Beobachtung legte den Schluss nahe, dass die Gehirne immer noch lebten. Und für die Autorisierung dieser aufwendigen Technik konnte nur das Führungsorgan selbst verantwortlich sein. Niemand sonst hätte diese Technik im Bunker ohne Kenntnis des Zentralrechners zusammentragen können. Das Führungsorgan hatte ja in seiner kurzen an einen Wahnsinnigen erinnernden Botschaft erklärt, die Reichskinder in sich aufgenommen zu haben. Somit musste das Behältnis eine zentrale Rolle in den wahnwitzigen Überlegungen für einen Sprung auf eine höhere Existenzebene spielen. Was also tun? Was konnte sie tun? Sie brauchte mehr Informationen. Dazu musste sie sich zu einem der Haupt-Log-In-Terminals begeben, die bisher den Reichskindern vorbehalten waren. Nur fehlte ihr dazu wiederum die Zugangsberechtigung. Sie musste zu einer der Wohnkabinen der Reichskinder. Dort würde sie mit etwas Glück einen der Pässe mit den Daten zum Einloggen finden. Das konnte funktionieren. Vielleicht.
Irene Strasser wollte bereits einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, als sie aus der Richtung des Eingangs der Maschinenhalle ein metallisches Kratzen und Schlurfen wahrnahm. Sie blickte zum Ende des Hauptkorridors und konnte kaum glauben, was sie dort sah. Ein humpelnder Roboter, aber nicht irgendein beliebiger. Es handelte sich vielmehr um Craggy, ein Sondermodell, ausgestattet mit einem kleinen Teil von Dr. Craig Galloways Gehirn, der in der Bunkeranlage unterhalb der Wewelsburg nach Jahrzehnten treuer Arbeit im Dienste des Führungsorgans bei einem Unfall verunglückt war. Kurz nach Galloways Tod hatte das Führungsorgan das Gehirn des Forschers von medizinischen Robotern entnehmen lassen und konserviert. Der Hauptteil von Galloways Gehirn blieb verschwunden und diente möglicherweise obskuren Forschungszwecken.
Der Cyborg hatte Irene Strasser in diesem Moment ebenfalls bemerkt und näherte sich in äußerst ungelenker Weise. Sein linker Fuß schleifte nach jedem Auftreten leicht über den Boden und war eindeutig die Ursache des metallischen Kratz-Geräusches. Das Laufrad, über das Craggy für schnellere Bewegungen verfügte, blieb im unteren Teil seines blechernen Torsos verstaut, warum auch immer.
Als er nur noch zwei Meter von Irene Strasser entfernt war, stoppte der Cyborg. Wie in Zeitlupe hob Craggy den rechten Arm, über seinen Kameraaugen blinkten dabei ein paar Leuchtdioden irritierend träge.