24,99 €
Die berühmten Stimmen und großen Instrumentalisten der internationalen Opern- und Klassikwelt live zu hören, ist ein Erlebnis, von dem viele Musikliebhaber träumen. In jüngster Zeit setzen Veranstalter und Intendanten außerdem auf immer kühnere Bühnenkonzepte und überraschende Konzertformate. Dieser Band führt zu 50 ausgewählten musikalischen Höhepunkten der internationalen Bühnensaison – zu Opern-, Klassik- und Freilicht-Festspielen, zu Musik-Kreuzfahrten, historischen Kammermusik- und Neue-Musik-Festivals. Ein Ereignis für jeden Liebhaber klassischer Musik! Das bietet dieses MERIAN-Buch: • Der ultimative Guide in einer anspruchsvollen Musiklandschaft von neuen und etablierten Festivals • Geschrieben von kompetenten Fachjournalisten, kenntnisreich und unterhaltsam • Unter anderem mit: Festspiele in Bayreuth, Bregenz und Salzburg; Heidelberger Frühling; Donaueschinger Musiktage; Aldeburgh und Glyndebourne Festival; Opernfest Drottningholm
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 264
© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019
Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.
Verlagsleitung: Grit Müller
Autoren und Autorinnen: Manuel Brug, Georg Etscheit, Stefan Frey, Stefan Fricke, Klaus Kalchschmid, Beate Kuhn-Delestre, Sabine Radermacher, Franziska Stürz, Franz Willnauer
Verlagsredaktion: Stella Schossow
Konzept und Redaktion: Birgit Chlupacek (Herausgeberin)
Lektorat: Christine Mannhardt
Bildredaktion: Dr. Nafsika Mylona
Schlussredaktion: Ulla Thomsen
Layoutkonzept/Titeldesign: Independent Medien Design, München, Horst Moser (Artdirection)
Kartografie: Huber Kartographie GmbH für MERIAN-Kartographie
eBook-Herstellung: Lena-Maria Stahl
ISBN 978-3-8342-3127-7
1. Auflage 2019
GuU 8-3127 11_2019_02
Bildnachweis
Coverabbildung: Getty Images: Jan Hetfleisch
Fotos: IMG002-01 Shutterstock.com: Stokkete; > akg-images: Heritage Images/Fine Art Images; > INTERFOTO: Austrian National Library/United States Information Service; > laif: Tim Graham/robertharding; > Marco Borrelli; > Grafenegg: Alexander Haiden; > mauritius images: SZ Photo Creative; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > Alamy Stock Photo: B. O‘Kane; > mauritius images: Antiqua Print Gallery/Alamy Stock Photo; > Getty Images: DeAgostini; > Getty Images: Keystone; > Bayreuther Festspiele: Enrico Nawrath; > HUBER IMAGES: Matteo Carassale; > picture alliance: APA/picturedesk.com; > Deutsche Mozartstadt Augsburg: Christian Menkel; > picture alliance: Schmelz Fotos; > mauritius images: imageBROKER/Josef Beck; > Look: Ulf Böttcher; > Marek Olbrzymek; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > Matthias Horn; > akg-images: Erich Lessing; > Luigi Caputo; > HUBER IMAGES: Reinhard Schmid; > Getty Images: De Agostini; > mauritius images: age fotostock; > Getty Images: Johannes Simon; > HUBER IMAGES: Francesco Russo; > Shutterstock.com: Ekaterina Kondratova; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > www.fotohofer.at; > Getty Images: ullstein bild; > mauritius images: Andrey Khrobostov / Alamy Stock Photo; > Getty Images: Imagno/Wiener Stadt- und Landesbibliothek; > Barbara Palffy; > Alamy Stock Photo: imageBROKER; > Matt Dilyard; > Look: Rainer Mirau; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > mauritius images; > laif: Michael Riehle; > Getty Images: Bettmann Archive; > Mats Bäcker/Drottningholms Slottsteater: CC BY 3.0; > mauritius images: MELBA PHOTO AGENCY/Alamy Stock Photo; > HUBER IMAGES: Reinhard Schmid; > HUBER IMAGES: Davide Erbetta; > Getty Images: AFP; > mauritius images: anton havelaar/Alamy Stock Photo; > Musikfestspiele Potsdam Sanssouci: Stefan Gloede; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > SWR: Ralf Brunner; > bpk: Ingrid von KruseM; > SWR: Astrid Karger; > laif: Ralf Brunner; > SWR: Alexander Kluge; > EIKE WALKENHORST; > Claus Langer; > Getty Images: Los Angeles Times; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > HUBER IMAGES: Frank Lukasseck; > studio visuell photography; > imago: Xinhua; > HUBER IMAGES: Francesco Carovillan; > Nikolaj Lund; > Raphael Faux: Gstaadphotography.com; > mauritius images: The History Collection/Alamy Stock Photo; > Kay-Christian Heine; > picture alliance: REUTERS; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > Getty Images: Corbis; > INTERFOTO: Science & Society/National Media Museum; > mauritius images: Kumar Sriskandan / Alamy Stock Photo; > laif: Graeme Robertso eyevine; > Getty Images: Corbis; > imago: robertharding; > seasons.agency: Lukas Spörl; > Clive Barda / ArenaPAL; > HUBER IMAGES: Reinhard Schmid; > imago: Agencia EFE; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > Jahreszeiten Verlag: Lukas Spörl; > dpa Picture-Alliance: Andre Klohn; > CARSTEN HEIDMANN FOTOGRAFIE; > picture alliance: Cornelia Bisa; > NDR: Michael Zapf; > Musikfest Erzgebirge: Mathias Marx; > Vincent Beaume; > imago stock; > Walter Vitale; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > Interfoto: National Portrait Gallery; > mauritius images: eye35/Alamy Stock Photo; > Alamy Stock Photo: Charlie Gray; > Getty Images: Michael Pasdzior; > Alamy Stock Photo: Simon Dack News; > Getty Images: Anadolu Agency; > FIMM — Paulo Gouveia w/Estela Álvarez Ruiz; > akg-images: Patrick Riou; > mauritius images: Martin Siepmann; > Shutterstock.com: QtraxDzn; > imago: Jochen Tack; > Daniel Sadrowski: Ruhrtriennale 2018; > Jörg Brueggemann: Ruhrtriennale; > imago: Michael Kneffel; > imago: Bettina Strenske; > stock.adobe.com: diak; > Palazzetto Bru Zane: Matteo De Fina; > TUI Cruises: René Supper; > Getty Images: Cultura RF
Unser E-Book enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Im Laufe der Zeit können die Adressen vereinzelt ungültig werden und/oder deren Inhalte sich ändern.
Bei Interesse an maßgeschneiderten MERIAN-Produkten:Verónica Reisenegger, [email protected]
Die MERIAN-Homepage finden Sie im Internet unterwww.merian.de
www.facebook.com/Merian.de
GRÄFE UND UNZER VERLAG
Postfach 86 03 66 81630 Münchenwwww.merian.de
LESERSERVICE
Telefon:00800 – 72 37 33 33*Mo–Do:9.00 – 17.00 UhrFr:9.00 – 16.00 Uhr© Shutterstock.com: Stokkete
Unzählige Musikfestivals machen die Welt zu einer riesigen Bühne. Allein in Deutschland verzeichnet das vom Musikrat getragene Musikinformationszentrum (MIZ) fast sechshundert Einträge, die meisten davon sind den Bereichen Klassik und Oper zuzuordnen. Jährlich werden es mehr. Die Menge ist imponierend, kann aber auch schnell überfordern. Wie findet man in dieser Fülle das Bewährte, wie das Ungewöhnliche? Welche Festivals sind eine längere Reise wert, wo gibt es Neuland zu entdecken?
Neun Autoren begleiten uns in die internationale Musiklandschaft der Festspiele und Festivals, in der sie zu Hause sind. Es sind Opern- und Operetten-Spezialisten, Kenner der Alten und zeitgenössischen Musik. Sie sprechen regelmäßig mit den Machern und Künstlern und blicken hinter die Kulissen, in die Orchestergräben und Betriebsbüros. Für dieses Buch haben sie eine besondere Auswahl getroffen. Große Klassiker und renommierte Adressen sind ebenso vertreten wie junge und kleinere Konzertreihen. Die Sammlung will, wie man früher gesagt hat, ein »Vademecum« sein – ein Führer und Hinführer zu den Orten großer Musikereignisse, auch ein Verführer zu neuen Erlebnissen, zum Risiko und zum Genuss.
In fünfzig Portraits rücken bedeutende und außergewöhnliche Veranstaltungen der internationalen Konzert- und Bühnensaison ins Rampenlicht. Ein einleitender Essay gibt zudem einen geschichtlichen Abriss über die Entstehung der Festivals ab 1900 und geht in fünf Thesen großen Fragen auf den Grund: Es wird geklärt, worin der Unterschied zwischen Festspielen und Festivals liegt und wie sie betrieben werden; außerdem wird auf ihren künstlerischen Auftrag, ihre touristische Funktion und ihre gesellschaftliche Rolle eingegangen.
Eines ist klar: Festivals sind Ausdruck des Zeitgeistes geworden. Ihr Event-Charakter und ihr medialer Stellenwert machen sie zu einer wichtigen Erscheinungsform des Kulturbetriebs der Gegenwart. Neue Multimedia-Technologien sind zudem treibende Kraft für Wandel und Veränderung, gerade auch im Hinblick auf die Zukunftstauglichkeit der Klangfeste. Marketing- und PR-Fachleute werden heutzutage früh in die Konzeptentwicklung eingebunden. Wissenschaftler und Psychologen interessieren sich im Rahmen universitärer Forschungsprojekte dafür, was die Musik in den Herzen und Köpfen der Menschen bewegt, und machen Konzertbesucher zu Probanden. Die Studien werfen ein neues Licht auf das Gesamterlebnis Musik.
Können so vielleicht noch weitere Wege gefunden werden, die in den Konzertsälen bislang rar vertretene, digitale Generation Y anzulocken? Live-Elektronik, Tanzvideos und Kunstprojektionen werden schon jetzt mehr und mehr ins Bühnengeschehen integriert und sorgen für eine neue emotionale Energie. All das kann die Qualitäten eines Konzerts – und die Horizonte aller Zuhörer – durchaus erweitern, wenn sie sich darauf einlassen. Musik für Ohren und Augen also! Die unzähligen Möglichkeiten eröffnen ein riesiges Spielfeld, und noch lange ist kein Ende in Sicht.
Dieses Buch will mit Worten und eindrucksvollen Bildern die Entdeckerfreude wecken. Das funktioniert, Gott sei Dank, immer noch. Auch ohne sonstige Technologien.
von Birgit Chlupacek
1. Bayreuth (Festspiele)
2. Pesaro/Italien, Bad Wildbad (Rossini-Festivals)
3. Würzburg, Salzburg, Augsburg, Lviv/Ukraine (Mozart-Festivals)
4. Leipzig, Ansbach (Bach-Feste)
5. Göttingen, Halle, Karlsruhe (Händel-Festspiele)
6. Brünn/Tschechien (Festival Janáček)
7. Salzburg (Sommerfestspiele)
8. Verona (Opernfestspiele)
9. Bregenz (Festspiele)
10. Macerata/Italien (Opera Festival)
11. Savonlinna/Finnland (Opernfestival)
12. Bad Ischl (Lehár Festival)
13. Mörbisch am See (Seefestspiele)
14. Wooster/USA (Ohio Light Opera)
15. Baden (Kultursommer)
16. Insel Lovön/Schweden (Schlosstheater Drottningholm Festival)
17. Innsbruck (Festwochen der Alten Musik)
18. Urbino/Italien (Festival di Musica Antica)
19. Beaune/Frankreich (Festival)
20. Utrecht/Niederlande (Festival Oude Muziek)
21. Potsdam (Musikfestspiele Sanssouci)
22. Donaueschingen (Musiktage)
23. München (Biennale)
24. Witten (Tage für neue Kammermusik)
25. Ojai/USA (Music Festival)
26. Heidelberg (Festival)
27. Saanen/Schweiz (Gstaad Menuhin Festival & Academy)
28. Schwarzenberg, Hohenems (Schubertiade)
29. Hitzacker (Sommerliche Musiktage)
30. Jerusalem/Israel (Chamber Music Festival)
31. Lewes/UK (Glyndebourne Opera Festival)
32. Breslau/Polen (Wratislavia Cantans)
33. Luzern/Schweiz (Festival)
34. Wexford/Irland (Festival Opera)
35. Ludwigsburg (Schlossfestspiele)
36. Granada (Festival)
37. Schleswig-Holstein (Musik Festival)
38. Sächsisches Erzgebirge (Musikfest und Silbermann-Tage)
39. Aix-en-Provence/Frankreich (Festival)
40. Usedom (Musikfestival)
41. Martina Franca/Italien (Festival della Valle d’Itria)
42. Aldeburgh/UK (Festival)
43. St. Petersburg/Russland (Stars of the White Nights)
44. Marvão/Portugal (Festival)
45. Thiré/Frankreich (Les Jardins de William Christie)
46. Lockenhaus/Österreich (Kammermusikfest)
47. Ruhrgebiet (Ruhrtriennale)
48. Beirut/Libanon (Al Bustan Festival)
49. Venedig, Paris, Berlin, Montréal/Kanada (Festival Palazzetto Bru Zane)
50. Weltweit (Musikkreuzfahrten)
© akg-images: Heritage Images/Fine Art Images
Zur Feier der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses am 18. Mai 1872 dirigierte Richard Wagner eine Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie im Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth.
Fünf Thesen und ein Fragezeichen von Franz Willnauer
Festivals sind eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und werden ein Gebrauchsartikel des 21. Jahrhunderts sein. Während man die Festspielgründungen zwischen 1900 und 1945 sozusagen an den Fingern einer Hand abzählen kann, bildet sich nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Namen Festival ein neuer Veranstaltungstypus heraus. Im täglichen Kulturbetrieb wird zwischen Festspiel und Festival längst kein Unterschied mehr gemacht – umso lohnender kann es sein, den beiden Veranstaltungstypen, ihrer Entstehung, ihren Ausprägungen, ihren Zielen und Wirkungen nachzugehen.
© INTERFOTO: Austrian National Library/United States Information Service
Umbauarbeiten in der Felsenreitschule nach einer Vorstellung von Mozarts Zauberflöte. Jede Inszenierung der Salzburger Festspiele steht in einem wohl beobachteten Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz.
In der überschaubaren Fachliteratur wird als Festspiel ein historisch gewachsener Veranstaltungstypus bezeichnet, der sich aus kultischen Wurzeln in der Antike über die mittelalterlichen Mysterienspiele, die höfischen Feste der Barockzeit und die ersten Jubiläumsfeiern des bürgerlichen Zeitalters (Händel 1785, Mozart 1856) allmählich zu einer kulturgeschichtlichen Marke entwickelt hat, die in Richard Wagner, dem Schöpfer der Bayreuther Festspiele 1876, ihren wahren Gründervater sieht. Mit den Festspielgründungen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert – München 1901, Straßburg 1905, Verona 1913, schließlich Salzburg 1920 – hat sich dieser Veranstaltungstypus endgültig etabliert und in den Jahrzehnten bis zum Zweiten Weltkrieg viele Nachahmer gefunden. Festival dagegen – schon das englische Wort verweist auf den Einfluss, den die amerikanische Kultur auf Europa ausgeübt hat – umschreibt einen erst nach 1945 entstandenen und darum eher als zeitgemäß empfundenen Veranstaltungstypus, der seine Produkte wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen vermarktet und dem Kräftespiel von Angebot und Nachfrage unterwirft.
Auch wenn eine strikte Trennung von Festspiel und Festival reine Theorie bleibt, gibt es doch deutliche Unterschiede in den konstitutiven Merkmalen, aus denen eine Typenlehre abgeleitet werden kann. So sind – hohe künstlerische Ansprüche als Primär-Qualität bei beiden Typen vorausgesetzt – ein Konzept, eine erkennbare Dramaturgie, ein verbindlicher ästhetischer Wertekanon und nicht zuletzt das Repräsentationsbedürfnis wesentliche Elemente des Festspiels älterer Bauart, während Innovationsfreude, Kreativität, risikoreiche Erkundung neuer Darbietungsformen und ästhetische Wertfreiheit bis hin zur Trendbedienung und Marktorientierung, die manchmal sogar zur Beliebigkeit des Programms führen können, das zeitgemäße Festival charakterisieren. Sein Event-Charakter, seine zeitliche und örtliche Herausgehobenheit und sein medialer Stellenwert machen das Festival zum perfekten Ausdruck unseres Zeitgeistes und zur wichtigsten Kulturbetriebsform der Zukunft.
Mit der vehementen Gründungswelle neuer Festivals nach 1985 – den Anfang machte das von Justus Frantz geschaffene, rasch zum Modell gewordene Schleswig-Holstein Musik Festival – vollzog sich ein Wandel von einer traditionell als kulturelle Höchstleistung verstandenen Kunstform zu einer vom Perfektionsdrang unserer Industriegesellschaft bestimmten Organisationsform. Mit der Hippie-Bewegung entstand sogar schon zwei Jahrzehnte zuvor ein ganz neues kulturelles Phänomen, das sich in Festivals wie dem Woodstock-Festival beeindruckende Präsentationsforen der Massenkultur geschaffen hat. Unter dem griffigen Motto »Draußen und umsonst« ist der Typus Jazz-, Rock- und Pop-Festival nach 1970 zum Massenartikel geworden.
»Hier gilt’s der Kunst!« – was schon bei Eva Pogners Gespräch mit Hans Sachs im zweiten Akt von Wagners Meistersingern fragwürdig ist, das ist vollends zweifelhaft, wenn es um die Gründe für die Entstehung von Festspielen und Festivals geht. Nur zu oft sind es politisches Kalkül oder zumindest kulturpolitische Intentionen gewesen (unter denen das Repräsentationsbedürfnis nicht der geringste Faktor ist), die das Motiv für die Gründung von Musikfesten, Festspielen und Festivals geliefert haben. Schon die höfischen Feste, Tourniere, Prunkballette und Krönungsopern des 17. und 18. Jahrhunderts, mit denen die Fürstenhöfe zwischen St. Petersburg und Wien, Dresden und Mailand sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten, wurden veranstaltet, um politische Macht zu demonstrieren. Im 20. Jahrhundert waren es dann die Breslauer Festspiele 1921 (genau fünfzig Jahre nach der Reichsgründung 1871), der Maggio Musicale in Florenz 1932 (das kulturelle Vorzeigeobjekt Mussolinis), aber auch die als Reaktion auf Hitlers Machtergreifung 1933 und die Vertreibung jüdischer Künstler aus Österreich 1938 gegründeten Festspiele von Glyndebourne (1934) und Luzern (1938), die als kulturelle Manifestation ausgaben, was als politische Demonstration gemeint war.
Erst recht wurde das bedeutendste Festival der Neuzeit, die Salzburger Festspiele, bewusst in kulturpolitisch-kompensatorischer Absicht ins Leben gerufen: einmal, um ein Friedenswerk zu begründen, mit dem das im Ersten Weltkrieg in feindliche Mächte zerfallene Europa wieder geeint werden sollte, zum anderen, um dem von der völkerreichen k. u. k. Monarchie zur kleinen Republik geschrumpften Österreich einen kulturellen Ersatz für die verloren gegangene politische Großmacht zu schaffen.
© laif: Tim Graham/robertharding
Die Bayerische Staatsoper in München zählt zu den renommiertesten Opernhäusern der Welt. Wie viele Menschen die Aufführungen der Oper und des Staatsballetts besuchen und wie hoch die Auslastungen sind, wird im jährlichen Pressebericht kundgetan.
Festspiele und Festivals sind primär künstlerische Ereignisse und werden nur dadurch ihrer eigentlichen, die spezielle Kunstbetriebsform rechtfertigenden Zielsetzung gerecht. Gleichzeitig aber erfüllen sie wichtige ökonomische, kulturelle und gesamtgesellschaftliche Aufgaben:
1. Festivals müssen als ein erheblicher Wirtschaftsfaktor begriffen werden, da sie mit ihren direkten Beschäftigungs-, Einkommens- und Steuereffekten ebenso wie über die sogenannte Umwegrentabilität zur Attraktivität einer Region, zur Beschäftigung ihrer Einwohner und ganz allgemein zum Wohlstand der Bevölkerung maßgeblich beitragen.
2. Festivals sind ein unverzichtbarer Imagefaktor für Kommunen, Regionen und Länder. Wenn es zutrifft, dass die Antwort auf die Globalisierung der Märkte die Individualisierung unserer Städte und Regionen sein muss, dann kommt den Festspielen und Festivals eine eminent wichtige Aufgabe zu. An vielen Orten sind sie das entscheidend zur Attraktivität beitragende Alleinstellungsmerkmal.
3. Festivals wirken mit ihren vielfältigen Ausstrahlungen in Familie, Schule, Vereine, Hochschule und musische Ausbildung hinein als eminenter Bildungsfaktor. Sie können ein neues Bewusstsein von der Qualität des menschlichen Lebens und eine neue Sensibilität für den Wert des menschlichen Zusammenlebens schaffen.
4. Schließlich sind Festivals ein bestimmender Kunst- und Kulturfaktor im europäischen Bewusstsein geworden. Sie fokussieren Zustand und Befindlichkeit unseres Kulturlebens und setzen weithin sichtbare Signale für die Weiterentwicklung der Künste. Sie sind Teil der Kulturgeschichte, die sie schreiben.
»Ich bin für die Kunst zuständig – um die Finanzen kümmert sich mein Verwaltungsdirektor.« Dieser naive Intendanten-Satz gilt für keinen Kulturbetrieb weniger als für Festspiele und Festivals, egal welcher Größenordnung. Die Verantwortung eines Festivalleiters ist umfassend und unteilbar, es ist die künstlerisch-wirtschaftliche Gesamtverantwortung. Professionelles Management bedeutet nicht nur zu wissen, dass jede künstlerische Maßnahme wirtschaftliche Folgen und jede wirtschaftliche Maßnahme künstlerische Folgen nach sich zieht, sondern auch, danach zu handeln.
Anders als bei einem Unternehmen der Erwerbswirtschaft kann der wirtschaftliche Erfolg eines Nonprofit-Unternehmens (zu denen Festivals wie jeder andere Kulturbetrieb gehören, auch wenn manches Festival sich rechnet) allerdings nicht an den Parametern Umsatz und Gewinn gemessen werden, sondern nur am Verhältnis von Betriebsaufwendungen und Betriebserträgen als Maßstab der Selbstfinanzierungskraft. Damit unterliegt die Geschäftstätigkeit von Festivals nicht nur der kaufmännischen Betrachtung, sondern auch, da in der Regel zuschussbedürftig, der Kontrolle durch die öffentliche Hand.
© Marco Borrelli
Applaus für die Wiener Philharmoniker! Die Salzburger Festspiele finanzieren ihr umfangreiches Programm – Konzert, Oper, Schauspiel – mit einem Budget von knapp 61 Millionen Euro pro Jahr. Mehr als 200 Veranstaltungen werden in den sechs Festspielwochen von mehr als 250.000 Gästen besucht.
Vier Kriterien sind es, an denen sich die Wertbeständigkeit und inzwischen wohl auch die Existenzberechtigung von Festspielen ablesen lassen: die Herausgehobenheit des Angebots, die Musterhaftigkeit des Gebotenen, die spezifische Eigenart der Darbietung und die Legitimation durch eine Idee oder besondere Aura. Wo nicht wenigstens zwei dieser Elemente zusammentreffen, handelt es sich bestenfalls um lokal bedeutsame Großveranstaltungen mit touristischer oder ökonomischer Zweckbindung, nicht aber um ein echtes Festival.
Dem zuletzt genannten Kriterium kommt besondere Bedeutung zu, wird das Eigene eines Festivals doch immer wichtiger angesichts der inzwischen nahezu totalen Verfügbarkeit von Künstlern und der weltweiten Vernetzung von künstlerischen Leistungen. Das führt in vielen Fällen dazu, dass – sei es im Fahrwasser eines Modetrends, sei es aus finanzieller Nötigung – durch Kooperationen, Austausch und kostenmindernde Weitergabe von Produktionen das charakteristische Festspielprofil und seine prägende Tradition verloren zu gehen drohen. Nicht zuletzt garantieren Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit einem Festival den Unique Selling Point für ein erfolgreiches Marketing.
© Grafenegg: Alexander Haiden
Die Open-Air-Bühne des Wolkenturms ist in eine natürliche Senke des Schlossparks von Grafenegg eingebettet. 1700 Sitzplätze und 300 Rasenplätze bietet die zentrale Spielstätte für die Sommerkonzerte und das Grafenegg Festival.
Die Frage, wie es in dem sich rasant verändernden Markt von Freizeitangeboten weitergeht mit dem Kulturgut Festival, das zugleich ein ökonomisches Produkt ist – diese Frage ist heute noch schwieriger zu beantworten als je zuvor. »Die fetten Festspieljahre sind vorbei«, hat die Stuttgarter Zeitung schon vor einigen Jahren getitelt und am Beispiel der Ludwigsburger Schlossfestspiele beschrieben, was mit einer traditionsreichen Einrichtung geschieht, wenn die öffentliche Hand ihre Zuschüsse kürzt, wenn – mangels Attraktivität des notgedrungen ausgedünnten Programms – der Sponsor aussteigt und schließlich die Besucher wegbleiben: Die Einrichtung gerät in die Krise.
In der Tat: Die Krise geht um, und sie hat noch längst nicht alle Festivals erreicht, auch wenn viele schon heute unter ausbleibenden Zuwendungen von öffentlicher wie privater Seite stöhnen und an schwindendem Besucherinteresse leiden – schwer zu entscheiden, was da Ursache und was Wirkung ist. Der Befund jedenfalls ist eindeutig: Die Luft wird dünner. Die Event-Müdigkeit ist schon allerorten ausgebrochen, selbst an den Kultstätten der Popkultur. Und das große Wehklagen wird noch kommen, zuerst von den Festspielverantwortlichen, den armen Teufeln, die statt ihrer Siege nunmehr ihre Niederlagen planen müssen, dann bei den Medien, die plötzlich dort den Mangel beklagen werden, wo sie zuletzt noch den Überfluss beklagt haben, und schließlich bei den Konsumenten, den Menschen, wenn sie begreifen, dass ihnen mit den Events auch die Substanz abhanden gekommen ist: der Reichtum des kulturellen Erbes, das täglich’ Brot der Kunst, dieses Lebensmittels der geistig-sinnlichen Nahrung, das uns immer wieder zum Überlebensmittel werden kann.
Doch die Zeichen stehen auf Veränderung, und der Daumen weist, vorsichtig, nach oben. Zu beobachten ist zunächst eine gegenläufige Bewegung: Etliche der bisher schon großen Festivals – Salzburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern – werden noch größer und entwickeln sich zu Vollsortimentern, die nunmehr alles im Programm haben, Alte und Neue Musik, Elitäres und Populäres, Stars und Experimente. Andere fokussieren ihr Angebot auf Programmnischen oder ortsspezifisch Einmaliges. Prominentestes Beispiel: das Festival Acht Brücken/ Musik für Köln. 2019 bringt der Kölner Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort in diesem Festival »intensiver denn je unter dem Motto ›GroßstadtPolyphonie‹ die Musik aus dem Konzertsaal in den städtischen Raum und stellt die tradierte Ordnung von Bühne, Darsteller, Klangquelle und Publikum auf den Prüfstand. Ob in einer Skaterhalle, einem U-Bahnhof, einer Lagerstätte für Hochwasserschutzelemente, als bewegtes Klangspektakel durch die Stadt oder auf dem Schiff: die Zuhörer dürfen die Sinne schärfen für Konzerterfahrungen weit über das reine Hören hinaus.« (Neue Zeitschrift für Musik 1/2019)
Es gibt jedoch auch einige erfreuliche Anlässe, den Mut unverbesserlicher Musikenthusiasten zu konstatieren, neue Festivals ins Leben zu rufen, und es gibt gleicherweise die Risikobereitschaft anderer, ihnen die nötigen Starthilfen zu gewähren. So imponiert die Initiative von Patricia Buzari, im rheinländischen Stolberg – einer der strukturschwächsten Regionen Deutschlands – in einer zum Museum umgebauten ehemaligen Zinkhütte ein Klassik-Festival (Momentum, seit 2016) zu installieren, vielleicht sogar noch mehr als die kaum weniger risikoreiche Idee der bewährten Festivalmacherin Kari Kahl-Wolfsjäger, im musikgesättigten München ein Festival Stars and Rising Stars (seit 2017) zu implementieren, das sich vorgenommen hat, »junge Spitzenkünstler gemeinsam mit Stars auf der Bühne und viele junge Zuhörer im Publikum zu vereinen«. Dank hochkarätiger Förderung und großzügiger Sponsoren ist sogar »bei Eintrittspreisen von zehn Euro für junge Menschen bis 28 und 30 Euro für alle ab 29 Jahre das soziale Element zweifellos gegeben«.
Erstaunlich ist aber vor allem die Zahl der ausübenden Musiker, die unter die Festivalgründer und -manager gegangen sind: Rudolf Buchbinder mit seinem Mega-Festival im niederösterreichischen Grafenegg (seit 2007); Joshua Rifkin, der das thüringische Arnstadt, die Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs, 2009 zur Festspielstadt gemacht hat; das Fauré-Quartett, das seit 2012 die Insel Rügen mit einem Festspielfrühling überzieht; Alexander Krichel, der in Sundern im Hochsauerland seit 2013 für ein Festival Klassik Rockt ! verantwortlich zeichnet; Christoph Poppen und Juliane Banse, die 2014 begonnen haben, eine alte maurisch-römische Festung im tiefsten portugiesischen Alentejo zum Festspielort zu verzaubern; Tabea Zimmermann, die in Bonn mit ihrer Beethoven-Woche seit 2015 ein schmales, doch hochkarätiges Pendant zum Beethovenfest geschaffen hat – sie alle stehen auch für eine neue Idee von Festspiel und Festival. Sie bringen ihre eigene Kreativität und musikalische Kompetenz ein, sie profitieren von den Netzwerken gleichgesinnter Musiker, die sie als Kollegen und nicht als Konkurrenten empfinden, und sie suchen bewusst die Nische, die abseits des Mainstreams Erfolg verspricht. Sie bringen sich selbst ein, setzen auf intelligente Konzepte statt auf bewährte Rezepte.
Ist neuer Optimismus angesagt? Die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts werden es zeigen.
© mauritius images: SZ Photo Creative
© Shutterstock.com: QtraxDzn
Sie finden nicht nur für Wagners Opern in Bayreuth, sondern auch für Rossinis Œuvre an dessen Geburtsort Pesaro, für einen Mozart, Bach oder Händel gleich an verschiedenen Orten ihres Wirkens statt. Wie einst die Olympischen Spiele sind diese Festspiele von einer profilschärfenden Begrenzung des Programms und einer spezifischen Idee bestimmt, die über Jahre und Jahrzehnte den Spielplan prägt.
© Alamy Stock Photo: B. O‘Kane
Der Bayreuther Orchestergraben ist ein Loch, das vom Dirigenten bis zum Schlagwerk hin nicht ansteigt, sondern abfällt. Der Graben ist nicht einsehbar. So brauchen die Musiker auch keine Fräcke – Jeans und T-Shirts reichen.
BAYREUTHER FESTSPIELE
Übersichtkarte
Die Bayreuther Festspiele sind seit 1876 das Mekka für gläubige Wagnerianer. Ohne Freunde und Verehrer wäre Wagners kühner Traum vom eigenen Theater ein Ding der Unmöglichkeit geblieben.
Wenn im steil ansteigenden Zuschauerraum die Lichter unter der Decke, die dem Sonnensegel über einem antiken Amphitheater nachempfunden ist, ausgehen, wird es mucksmäuschenstill. Es gibt keinen Begrüßungsapplaus für den Dirigenten, denn man sieht weder ihn noch das Orchester im mystischen Abgrund. Auch für jemanden, der seit Jahrzehnten fast jedes Jahr die Bayreuther Festspiele besucht, ist es ein erhebender Moment, wenn plötzlich und unerwartet im fast vollständig verdunkelten Zuschauerraum die Musik anhebt: Ganz leise und kaum hörbar raunt im Rheingold das tiefe Es der Kontrabässe, das den Beginn der Welt symbolisiert; das sphärisch leuchtende A-Dur imaginiert zu Beginn des Lohengrin-Vorspiels in den mehrfach geteilten Geigen die entrückte Gralswelt. Großen Effekt macht andererseits das strahlende, weit in den Raum flutende C-Dur der Meistersinger-Ouvertüre, denn bis heute ist die Akustik des Festspielhauses einzigartig: Der Schall des Orchesters wird durch einen gebogenen Schalldeckel erst auf die Bühne gelenkt und trifft zusammen mit den Sängerstimmen, die ausnehmend wortverständlich zu hören sind und nie überdeckt werden, auf den Zuhörer. Wo Opernchöre in herkömmlichen Häusern das Trommelfell traktieren, wenn sie laut singen, klingt es in Bayreuth noch im Fortefortissimo rund und ausnehmend schön. Da braucht es wahrlich keine Obertitel, zumal jeder Bayreuth-Besucher sein Reclam-Heft dabei hat und in den Pausen heimlich nachliest.
Noch immer sind die sogenannten Wagnerianer eine ganz besondere Spezies. Selbst wenn auch andere (Opern-)Komponisten geschätzt werden, so stehen doch die Musikdramen von Richard Wagner im Zentrum ihrer Leidenschaft und Aufmerksamkeit. Deshalb auch gibt es ein weltweites Netz von Richard-Wagner-Verbänden, deren Mitglieder zu Aufführungen herumreisen, Vorträge organisieren, rare Rundfunkmitschnitte tauschen. Schon zwölf Jahre vor jenem Wort Friedrich Nietzsches bekamen die Wagner-Verehrer mit dem Bayreuther Festspielhaus einen Ort, an den sie seither mit Fug und Recht pilgern können: in einen Gralstempel à la Parsifal, der vom Komponisten einzig für sein Werk gebaut wurde. Dabei sieht er mit seiner schlichten Backstein-Struktur eher einem Industriebau des 19. Jahrhunderts ähnlich und ist immer wieder als Scheune verunglimpft worden. Richard Wagner ließ für sein Gesamtkunstwerk aus Text, Musik und Szene fernab des Repertoire-Betriebs und der höfischen Bühnen der Metropolen ein Theater in der Provinz bauen, bei dem er alles selbst bestimmen konnte. Eigentlich war ein Haus aus Holz geplant, in dem das Publikum bei freiem Eintritt dem Ring des Nibelungen lauschen konnte und das anschließend abgebrannt werden sollte. Doch es kam anders. Aber dazu später mehr.
»Es hilft nichts, man muss erst Wagnerianer sein.«
FRIEDRICH NIETZSCHE, 1888
© mauritius images: Antiqua Print Gallery/Alamy Stock Photo
Gemeinsam mit dem Architekten Otto Brückwald (1841–1917) schuf Richard Wagner »sein« Festspielhaus auf dem Grünen Hügel.
Niemand reist im Hochsommer in das oberfränkische Städtchen Bayreuth mit seinen heute 75.000 Einwohnern – das unter Markgräfin Wilhelmine im Barock eine prachtvolle Residenz war –, um wie etwa in Salzburg gesehen zu werden. Bei Temperaturen von 35 °C kann es an manchen Juli- oder Augusttagen im Festspielhaus mit seinen fast 2000 Plätzen, in dem es bis heute aus akustischen und bautechnischen Gründen keine Klimaanlage gibt, ganz schön heiß und stickig werden. Für den verdeckten Orchestergraben, der sich weit unter die Bühne zieht, trifft das noch mehr zu. Doch da sitzen die Musikerinnen und Musiker in kurzer Hose und luftigem T-Shirt. Am Ende einer langen Vorstellung, die bereits um 16 Uhr beginnt, kann man das auch sehen. Dann versammeln sich zum Applaus auf der Bühne die 120 an diesem Tag spielenden Mitglieder des etwa 200-köpfigen Festspielorchesters, die vornehmlich deutschen, aber auch einzelnen internationalen Orchestern entstammen.
Den aus aller Welt herbeiströmenden Wagner-Anhängern, die manchmal Jahre warten müssen, bis ihnen eine Karte zugeteilt wird, hilft zur Abkühlung in der Pause nur ein altes Kneipp-Bad, das etwas oberhalb des Festspielhauses im Freiluftbad Bürgerreuth zu finden ist; so genannt nach der Traditionsgaststätte, die es schon zu Richard Wagners Zeiten gab. Sie bildet heute eine schöne, ruhige und erlesene Alternative unter Bäumen zu den überfüllten Festspielrestaurants weiter unten. In den beiden jeweils einstündigen Pausen (von Rheingold und Der fliegende Holländer abgesehen, die ohne Pause gespielt werden) trifft man im Kneipp-Bad bestbekleidete Herren mit Fliege und Smokinghemd, die das Sakko abgelegt, Schuhe und Strümpfe ausgezogen haben und sich zumindest von unten her abkühlen. Denn sie wollen für einen ungetrübten Genuss der nächsten, zwischen einer und fast zwei Stunden dauernden »Aufzüge« vorsorgen, wie es beim späten Wagner korrekt heißt. Wagner-Gardine nennt sich der spezielle Vorhang im Festspielhaus salopp, der zunächst zur Seite und dann nach oben aufgezogen wird.
Einzigartig dürfte in der Festspiellandschaft sein, dass Bratwürste, fränkisch Brodwärscht genannt, das beliebteste Pausenessen sind, wahlweise – aber das ist schon nicht mehr stilecht – auch als sündteure Hummer-Bratwürste zu erstehen. Darf man dem Musikkritiker Erich Rappl glauben, der mit seinem 1967 erstmals erschienenen und immer noch erhältlichen Wagner-Opernführer ein bis heute gültiges Standardwerk für fortgeschrittene Einsteiger verfasste, aber auch als Wafner (ein Zwitter aus Drache Fafner im Siegfried und Waafen, im Bayreuther Dialekt so viel wie plaudern, schwätzen) im Nordbayerischen Kurier in den 1970er und 1980er Jahren allwöchentlich eine bissige, höchst amüsante Glosse veröffentlichte; wenn man also Wafner folgt, dann braucht man nur glaubhaft an der New Yorker Met oder an der Mailänder Scala zu versichern, dass der Senffleck auf dem Revers aus Bayreuth stammt – und schon ist man ehrfürchtiger Hochachtung sicher.
Kommt man wie 1876 zur Eröffnung vom Bahnhof, sieht man das Festspielhaus bereits in der Ferne erhöht auf seinem Grünen Hügel, welcher seither zum Synonym für die Bayreuther Festspiele geworden ist. Früher gab es weder Park noch Bäume, später war die sogenannte »Auffahrt« der Promi-Limousinen unter Bayreuther Bürgern ein Fest der Schaulustigen. Heute steht Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze der anreisenden Politiker, früher hießen die Stars Roberto Blanco, Rudolf Moshammer und Margot Werner. Von den 1950ern bis in die 1980er Jahre besuchte die legendäre Begum, letzte Gattin des Sultans Aga Khan III., alljährlich als Ehrengast die Festspiele. Leider werden Autos heute vor allem am Premierentag aus Sicherheitsgründen rechts um das Festspielhaus zu den Parkplätzen umgeleitet.
© Getty Images: DeAgostini
Ludwig II. von Bayern engagierte sich sehr für die Förderung der Kultur; insbesondere unterstützte er auch Richard Wagner, den er 1864 nach Hohenschwangau einlud.
17.000 Einwohner zählte Bayreuth, als Wagner 1871 die Kleinstadt besuchte und feststellen musste, dass das großartige (jüngst restaurierte) Markgräfliche Opernhaus, das größte original erhaltene Barocktheater nördlich der Alpen, doch nicht für seine Werke geeignet war. König Ludwig II., bayerischer König und tatkräftiger Unterstützer Wagners, hätte ein Festspielhaus am Isarhochufer in München präferiert, für das Gottfried Semper schon detaillierte Pläne erstellt hatte. Als Wagner 1865 die Stadt verlassen musste, weil Cosima, die Frau des Dirigenten Hans von Bülow, vor den Augen der Öffentlichkeit seine Geliebte wurde, stockte das Vorhaben, auch weil es dem Komponisten als zu monumental erschien. Gleichwohl machte Ludwig zehn Jahre später für Bayreuth eine Menge Geld aus der Staatskasse locker, teilweise als Kredit aus seinem Privatvermögen. Außerdem hatten die Stadt Bayreuth und der Bankier Feustel ein geeignetes Grundstück zur Verfügung gestellt.
Ludwig II. hatte als Rechteinhaber gegen den Willen Wagners die Uraufführung der ersten beiden Teile von DerRing des Nibelungen in München erzwungen. Der Komponist hatte allerdings auch – ohne Aussicht auf eine Aufführung des Gesamtwerks – die Komposition 1857 mitten im Siegfried für zwölf Jahre unterbrochen und stattdessen Tristan sowie Meistersinger komponiert. Also waren die letzten beiden Teile noch nicht fertiggestellt.
Die Uraufführung der mit Siegfried und Götterdämmerung vervollständigten Tetralogie fand dann 1876 im Bayreuther Festspielhaus statt. Dafür wurden sogenannte Patronatsscheine à 300 Taler ausgegeben, für die man einen Sitzplatz für alle drei Aufführungen des Ring-Zyklus bekam. Das war zwar ein früher Versuch von Fundraising, aber leider konnten bei Weitem nicht genügend Anteilsscheine verkauft werden. Aufgrund des Defizits der ersten Bayreuther Festspiele wurde erst 1882 wieder ein Anlauf gewagt, diesmal zur Uraufführung des Parsifal. Wagners erstes und einziges Musikdrama, das er für die spezielle Akustik des Festspielhauses komponieren konnte und daher Bühnenweihfestspiel nannte, sollte eigentlich allein Bayreuth vorbehalten bleiben. Doch nach Ablauf der Schutzfrist 1913 – und teilweise schon zuvor – eroberte sich das Werk die Bühnen der Welt. Für die Uraufführung des Parsifal lieh König Ludwig II. sein Orchester des Münchener Hof- und Nationaltheaters aus und tat das noch einmal in den beiden folgenden Jahren. Erst ab 1886 wurde wieder – wie zur Eröffnung und bis heute – ein eigenes Festspielorchester zusammengestellt.
Im Gegensatz zu den turnusmäßig wechselnden Romantischen Opern Der fliegende Holländer,Tannhäuser und Lohengrin sowie den reifen Musikdramen Tristan und Isolde, Die Meistersinger von Nürnberg und Der Ring des Nibelungen steht Parsifal bis heute fast jedes Jahr auf dem Spielplan. Die wechselvolle Geschichte Deutschlands spiegelt sich seismographisch in derjenigen des Bayreuther Festspielprogramms. So wurde in den Jahren 1943/44 bei den sogenannten »Kriegs-Festspielen« nur ein Werk, Die Meistersinger von Nürnberg, gespielt, während in der Zeit zwischen 1945 und 1950 Puccinis Madama Butterfly und allerlei Revuen auf die Bühne des ehrwürdigen Festspielhauses kamen. Dabei sollten dort nach dem Verdikt von Gralshüterin Cosima noch nicht einmal die Frühwerke Die Feen, Das Liebesverbot und Rienzi aufgeführt werden, was der Komponist selbst keineswegs ausdrücklich verbot. Die Liszt-Tochter, Ehefrau Wagners seit 1870, hütete nach seinem Tod 1883 das Erbe mit Absolutheitsanspruch, der keine Veränderung zuließ.