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An der Seite von Juliette könnte Nate Cooper den Himmel auf Erden erleben - und dabei fast vergessen, dass sie unter Mordverdacht steht und eine kaltblütige Killerin ihr Leben zu zerstören droht. Für den ehemaligen Elite-Soldaten und die P.I.D. zählt jetzt nur noch eins: das perfide Spiel der Frau zu durchschauen, bevor es zu spät ist. Als maßloses Verlangen nach Rache auf grenzenlose Begierde trifft, geht es für Nate und Juliette nicht länger nur um eine gemeinsame Zukunft - sondern um Leben und Tod … Coopers Geschichte geht weiter: Der zweite Teil der P.I.D.-Serie von Andrea Bugla. P.I.D. 1 - Im Visier der Vergangenheit P.I.D. 2 - Gefährliche Hingabe
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Seitenzahl: 293
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Umschlagmotiv: Gabriel Georgescu, Fotoluminate LLC, Ksanawo / Shutterstock
Veröffentlicht im ePub Format im 07/2015
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733781637
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. books2read Publikationen dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Juliette lag auf den kühlen Laken und genoss die Nähe zu Nate. Er hatte sie irgendwann einfach hochgehoben und in sein Schlafzimmer gebracht. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass dieses riesige Penthouse ihm gehörte. Okay, er hatte es nur gemietet, wie er sie zwischen unzähligen Küssen aufgeklärt hatte, aber selbst die Miete musste enorm sein. Kaum zu glauben, dass sie in dem Bett dieses absolut heißen und charmanten Mannes lag und sich über seine Immobilien Gedanken machte.
Nate lag neben ihr, hielt sie im Arm und strich gedankenverloren über ihren Rücken. Dass er erregt war, daran bestand absolut kein Zweifel. Schon auf der Dachterrasse hatte seine Erektion ihr ein regelrechtes Loch in den Bauch gebrannt. Sie hatten sich geküsst und sich gestreichelt. Er hatte ihr schöne Dinge ins Ohr geflüstert und sie ihn geneckt. Doch weiter waren sie nicht gegangen. Nate wollte nichts überstürzen, und außerdem hatte er es für unpassend empfunden, weiterzugehen. Natürlich hatte er Recht. Heute war Hayes gestorben und erst vor wenigen Tagen ihr Bruder. Und doch konnte sie nur daran denken, dass Nate sie in jeder erdenklichen Stellung und in jedem Raum nahm, befriedigte, liebte.
Oh, er war so viel besser als sie.
„Ich werde morgen mit Derek und den anderen reden. Sie sollen sich darum kümmern, dass wir Donovan finden“, brach Nate schließlich sein Schweigen.
Juliette setzte sich auf und sah ihn verblüfft an. „Wenn du wir sagst?“
Nate atmete resigniert aus. „Ja, dann meine ich auch dich. Es gefällt mir nicht, dennoch kann ich deinen Wunsch durchaus verstehen.“ Juliette streckte die Hand aus und strich die Falten zwischen seinen Augen glatt.
„Ich werde auf mich aufpassen. Außerdem habe ich doch ein paar tolle, starke Männer bei mir, die auf mich achtgeben.“ Nate wirbelte zusammen mit Juliette herum und drückte sie auf die Matratze. Seine Augen funkelten gefährlich. „Also, stark mögen sie ja sein. Aber ich bin der einzige Mann in der Runde, der zusätzlich auch noch toll ist!“
Juliette zupfte an der Strähne, die Nate ins Gesicht fiel. Sie musste sich das Grinsen verkneifen. Was ihr gerade auf der Zunge lag, würde ihn sicher entweder in die Flucht schlagen oder seine guten Vorsätze ebenso schnell vor die Tür setzen, wie er zuvor seine Freunde.
„Da stimme ich dir zu“, sagte sie deshalb nur und hob sich den Rest für ein anderes Mal auf.
Sie zog Nate näher und küsste ihn zärtlich. Zu gerne hätte sie ihn getriezt und heiß gemacht, ihn vergessen lassen, dass er im Moment mehr Anstand an den Tag legte als sie. Schnell kroch sie unter ihm hervor, flüchtete aus dem Bett und lief Richtung Bad, ehe sie doch noch schwach wurde. Ihn endlich auf diese Weise bei sich zu haben und nicht ständig darüber nachgrübeln zu müssen, ob es richtig oder falsch war, fühlte sich gut an.
In der Tür blieb sie stehen und suchte nach dem Lichtschalter. Als sich der Raum erhellte, konnte sie das gekeuchte „Oh, mein Gott“ nicht unterdrücken.
Coop beobachtete genüsslich Juliettes reizvollen Gang und überlegte, ob sie ihn mit ihrem Hüftschwung provozieren wollte. Wenn ja, dann machte sie das verdammt gut. Alles in ihm wollte ihr nach, nur um sie umgehend zurück ins Bett zu holen. Eigentlich besaß er ja Nerven aus Stahl, doch hier und jetzt war davon nicht mehr viel übrig. Da sie alles geklärt hatten und sich nun nicht mehr von den Umständen abhalten lassen wollten, war die Erregung, die sie in ihm auslöste, nicht mehr so leicht unter Kontrolle zu halten. Liebend gerne würde er sie sich schnappen, in die Laken werfen und sich tief in ihr vergraben. Was sie nicht alles zusammen anstellen könnten, ohne sich auch nur einen Meter von hier fortzubewegen. Doch es wäre nicht richtig. Nicht heute.
Weder er noch das Team hatte sich mit Ruhm bekleckert. Im Gegenteil. Der Tag war ein Desaster gewesen. Wie die bescheuertsten Anfänger hatten sie sich angestellt. Vorschriften und Vorsichtsmaßnahmen waren ignoriert oder vergessen worden. Erst von Frog, der unbewaffnet mit Juliette hinausgegangen war und sich hatte in die Enge treiben lassen. Dann von ihnen selbst, die den beiden gefolgt waren, ohne darauf zu achten, dass Hayes unbewacht zurückblieb. Unprofessionelles Verhalten war generell nicht zu entschuldigen. Doch heute hatte es Menschenleben gekostet.
Seine Gedankengänge nahmen ein jähes Ende, als Juliette einen schrillen Schrei ausstieß. Sofort war er auf den Beinen und bei ihr. Er konnte sich nicht vorstellen, was sie so erschreckt hatte. Nichts in diesem Raum barg eine Gefahr, und eine Bedrohung vor dem Fenster schloss er auch aus – sie waren hier im dreiundzwanzigsten Stockwerk. Dessen ungeachtet erwachte in Coop ein derart starker Beschützerinstinkt, dass ihm davon geradezu schwindelig wurde.
Er sah über Juliettes Schulter, konnte aber erwartungsgemäß nichts Ungewöhnliches entdecken. „Was ist passiert?“
Juliette fluchte leise. „Hier kriegst du mich nie wieder raus!“, japste sie dann und nahm die Besichtigung in Angriff. Während er nur entgeistert den Kopf schütteln konnte, wanderte sie, unzählige Ahʼs und Ohʼs von sich gebend, durch den Raum. Mit einem „Ach, du heilige Scheiße“ krönte sie dann ihre Bewunderungsbekundungen, als sie bei der Wanne ankam. Auch wenn Coop ihre Begeisterung nicht ganz verstand, wenn es um den Rest des Badezimmers ging, stimmte er ihr bei diesem Teil des Raumes zu. Auch ihm war der Atem weggeblieben, als er zum ersten Mal an der riesigen Glasfront gestanden hatte, die sich hinter der Wanne erstreckte. Man hatte einen unglaublichen Ausblick auf die Bucht und alles, was dahinter lag.
„Darf ich … ich meine, hättest du was dagegen, wenn ich …“
Große grüne Augen blickten ihm erwartungsvoll entgegen. Schmunzelnd lehnte er sich gegen den Türrahmen.
„Liebste Juliette, wie würde es dir gefallen, wenn du ein Bad nehmen dürftest?“ Wie ein Kleinkind sprang sie auf und ab und klatschte begeistert in die Hände. Würden seine Gefühle zu ihr ihn nicht bereits völlig ausfüllen, hätte es ihn spätestens bei diesem Anblick erwischt. Sie war so wunderschön.
Es dauerte keine zehn Minuten, bis Juliette sich gemächlich zurücklehnte und das warme Wasser genoss, das in die Wanne strömte. Coop hatte seinen Platz nur kurz verlassen, um ein paar seiner Klamotten herauszulegen, die sie später anziehen konnte. Er musste seine Willensstärke ja nicht noch zusätzlich auf die Probe stellen. Aber auch die Vorstellung, dass sie seine Kleidung tragen und von seinem Geruch eingehüllt werden würde, ließ ihn innerlich wie einen Teenager jubeln. Morgen mussten sie dringend einkaufen gehen. Coop schmunzelte. Bisher hatte er Shoppen immer als eine der Strafen des neunten Kreises der Hölle angesehen, doch auf eine Shoppingtour mit Juliette freute er sich.
Selbstvergessen beobachtete er die schöne junge Frau, die sich im Wasser aalte und den Schaum von einer Seite zur anderen schob. Verschmitzt blitzte die Spitze ihrer Brust aus der Seifenwolke hervor, entzückte und lockte ihn. Es war unmöglich, nicht hinzusehen. Der zimtfarbene Gipfel hob sich viel zu auffällig von dem Weiß ab. Wieder machte sich seine Phantasie selbständig und ließ nicht nur sein Verlangen kontinuierlich wachsen.
„Ich glaube, die Tür bleibt auch ohne dich stehen. Komm lieber her und wasch mir den Rücken“, forderte Juliette ihn auf, wobei ihre rauchige Stimme ihm direkt in seine ohnehin schon gereizten Lenden fuhr.
„Ich weiß nicht, ob …“ Coops Stimme versagte und er räusperte sich.
„Bitte, ich komme doch nicht bis dahin – und ich wünsche mir nichts sehnlicher als einen sauberen Rücken. Tja, wenn du es nicht tust, wird er eben ungewaschen bleiben müssen.“ Sie ließ ihre Arme nach hinten auf den Wannenrand sinken, was ihre Brüste nun ein ganzes Stück aus dem Schaumberg hob, und stöhnte übertrieben betrübt.
Himmel, kaum gibt man ihr sein Herz, wird man direkt ausgebeutet, dachte Coop, unterdrückte ein Lachen und trat langsam näher. „Du armes, kleines Ding. Das können wir natürlich nicht zulassen. Rück mal etwas nach vorne.“
Juliette lachte verhalten, kam aber seiner Bitte nach und setzte sich auf. Zu schade, dass dabei ihre Brüste wieder im Schaum verschwanden.
Die ganze Zeit, während er sie betrachtete und nun berührte, ihr gemächlich über Nacken und Schultern strich, lobte und verfluchte er sich gleichzeitig für seine Standhaftigkeit. Er wollte sie – und das eher früher als später. Doch an einem Tag wie heute sollten sie sich einfach nicht ihrer Leidenschaft hingeben. Selbst wenn es half, sich lebendig zu fühlen, war es nicht richtig.
Sein Daumen strich über die Unebenheit, die ihren sonst makellosen Rücken verunzierte. Bereits im Motel, als er sie gewaschen und umgezogen hatte, war ihm diese Narbe aufgefallen.
„Was ist da passiert?“, fragte er und bereute es sofort. Juliette versteifte sich und entzog sich seiner Berührung.
„Das Wasser wird langsam kalt. Würdest du bitte …“
Das Wasser wurde keineswegs kalt. Doch er würde sie nicht in eine noch unangenehmere Lage bringen, indem er ihr das sagte oder sie zu einer Antwort drängte.
Er küsste sie sanft auf den Scheitel und verließ schweigend das Bad. Wenig später schlüpfte er, nur noch mit einem Slip bekleidet, unter die Bettdecke. Auf eine Jogginghose oder Shorts verzichtete er diesmal. Schon seltsam, wie schnell man sich an etwas gewöhnte, was einem sonst nur unbequem und unnötig erschienen war. Bis vor wenigen Nächten hatte er seit Jahren nicht auch nur einen Fetzen Stoff am Leib getragen, wenn er schlief. Es sei denn natürlich, er war im Einsatz.
Coop ließ sich gegen das Kopfende sinken und knautschte das Kissen im Nacken zusammen. Er kreuzte die Knöchel, trennte sie wieder, zog ein Bein an, streckte es wieder aus. Er zog das Kissen hervor, schüttelte es aus und stopfte es sich wieder in den Nacken.
Warum machte es ihn bloß plötzlich so nervös, dass Juliette sich höchstwahrscheinlich in wenigen Minuten zu ihm legen würde? Immerhin hatten sie sich das Bett bereits seit ihrer ersten Begegnung geteilt.
Juliette stieg aus der Wanne und trocknete sich ab. Immer wieder hielt sie dabei inne und roch an dem Frotteehandtuch. Es hatte etwas beruhigendes, die Nase darin zu versenken und Nates Duft zu inhalieren. Es erregte sie geradezu, zu wissen, dass sie ihn auf ihrer Haut haben würde. Auch wenn ihr noch andere Methoden der Übertragung einfielen, die wenig mit Stoff dafür viel mit nackter Haut zu tun hatten.
Juliette nahm die Kleidung, die Nate ihr hingelegt hatte. Sie schlüpfte in die Boxershort und zog das Band enger, bis sie ihr nicht mehr vom Hintern rutschte. Das Muskelshirt würde ihr bis zu den Knien reichen, und die Arme waren ein wenig weit ausgeschnitten. Aber das würde schon gehen. Das Shirt schließlich über den Kopf gezogen, verharrte sie und ihre Gedanken schweiften ab. So oft war sie froh darüber gewesen, dass ihr dieser Scheißkerl Kurt feige in den Rücken geschossen hatte. So blieb es ihr wenigstens erspart, durch die Narbe ständig daran erinnert zu werden. Nates Frage klang noch in ihren Ohren. Seine Berührungen konnte sie ebenfalls noch leicht wie eine Feder auf ihrer Haut spüren.
Juliette zog den Stöpsel aus dem Abfluss und blickte durch die Scheibe hinaus auf die Bucht. Nate wollte Anteil an ihrem Leben haben. Er wusste, was in den Unterlagen stand, und doch hatte er gefragt. War das so schlimm? Er hatte nicht nachgehakt, sondern ihr Schweigen akzeptiert. Doch das war nicht fair. Und wo lag das Problem, ihm davon zu erzählen? Wenn sie wirklich eine gemeinsame Zukunft haben wollten – wie kurz die auch sein möge –, gehörte so etwas doch auch dazu. Und genau deshalb würde sie ihm die Antworten geben, um die er bat!
Juliette straffte die Schultern, löschte das Licht und verließ das Bad.
„Ich war bereits aus dem Lagerhaus entkommen“, begann sie schnell, ehe sich die guten Vorsätze aus dem Staub machten. Sie legte sich quer zu Nate aufs Bett und ihren Kopf auf seinen Bauch.
Er begann mit ihren nassen Haaren zu spielen und wartete geduldig.
„Überall waren Polizisten und Scharfschützen und keine Ahnung, wer noch alles. Gerade als mich einer von ihnen von der Tür wegholen wollte, wurde ich getroffen. Die Ärzte meinten später, ich hätte ungeheures Glück gehabt. Wenige Zentimeter weiter rechts und ich wäre gelähmt.“ Sie griff nach Nates Hand und fuhr mit ihren Fingern an seinen entlang. „Damals starb Juliette Jennings.“
Es dauerte eine ganze Weile, bis Nate etwas sagte. Vorher zog er sie an sich und schlang seine Arme um ihre Taille. „Und jetzt ist sie wieder auferstanden und wird den Typen die Hölle heiß machen, die dahinter stecken.“
„Das gefällt dir nicht, oder?“, fragte sie betrübt.
Nate küsste ihr Ohr und verstärkte seinen Griff ein wenig. „Das Thema hatten wir schon. Nein, es gefällt mir nicht. Aber ich werde dir nicht im Weg stehen.“ Ein weiterer Kuss und dann knabberte er auch noch an ihrem Ohrläppchen. „Unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“, schnappte Juliette, während sich ihr Hirn in einen Marshmallow verwandelte.
„Ab morgen Mittag gehörst du mir ganz allein. Für den Rest des Tages. Wir gehen shoppen und irgendwo essen. Nur du und ich.“
Coop wollte, es wäre schon Mittag und er wieder mit Juliette allein. Doch er würde sich noch eine Weile gedulden müssen. Seit zwei Stunden umrissen seine Freunde, was sie bisher gesammelt und erreicht hatten, und es sah nicht so aus, dass sie bald fertig wären. In der Küche spuckte die Kaffeemaschine bereits zum vierten Mal das schwarze Gold in die Glaskanne, und die warmen Sonnenstrahlen standen noch viel zu tief, um eine spätere Tageszeit vorzutäuschen. Wieder einmal waren nicht genug Stunden Schlaf zusammen gekommen, um erholt zu sein. Coop wusste natürlich, dass die Besprechung nicht ohne Grund stattfand. Aber verdammt, Derek hätte auch ruhig die eine oder andere Stunde später anrufen und alle zusammentrommeln können. Allerdings entschädigten die Informationen ihn wieder mal ein wenig für die frühe Störung.
Derek hatte Erfolg gehabt. Die Beweise hatten ausgereicht. Juliette stand nicht mehr auf der Fahndungsliste. Stattdessen befand sich nun Herold Schumaker, der im richtigen Leben Anton Valentine hieß, darauf. Die Verbindung zu Max Templer, der Bericht über seinen Aufenthalt in Pasadena und die aufgenommene Aussage von Juliette bezüglich seines Zutuns an dem Mord an J.J. hatten ausreichende Verdachtsmomente ergeben. Letzteres musste nun nur noch offiziell gemacht werden, weshalb Juliette am späten Vormittag einen Termin beim örtlichen Büro des US-Marshallservice hatte.
Coop war nicht wohl bei dem Gedanken. Während sie sich in der Nähe aufhalten und die Umgebung im Auge behalten würden, wollte Derek alleine mit ihr hinein gehen. Der Verdacht gegen einen Marshall hatte den Leiter der Behörde nicht unbedingt fröhlich gestimmt. Es würde trotz des Todesfalls in den eigenen Reihen alles andere als leicht werden, ihn restlos zu überzeugen. Derek wollte da nicht noch zusätzlich Unruhe aufkommen lassen, indem er unnötig viele Leute mit reinnahm.
Coop konnte nur hoffen, dass der Typ Juliette nicht gleich einkassierte, um sie unter neuem Namen in einer neuen Stadt zu parken, bis er sie vielleicht mal brauchen könnte.
Kid hatte in stundenlanger Kleinstarbeit diverse Informationen über Lucinda Donovan zusammengetragen. Er war mehr als fleißig gewesen. Auf den Dutzenden von Ausdrucken, die auf dem Tisch verteilt lagen, befanden sich Bankdaten, einzelne Berichte aus ihrer Zeit bei der Abteilung für Wirtschaftskriminalität und ähnliches. Zusätzlich hatte er eine frühere Verbindung zwischen Donovan und Carmichael protokolliert, Reise- und Flugdaten gehackt und katalogisiert und sogar einige Übereinstimmungen zwischen ihren Zielpunkten und den Aufenthaltsorten von Valentine und Templer entdeckt. Was ihre Jugendzeit betraf, gab es enorme Lücken, doch Coop bezweifelte, dass das auch sonderlich wichtig war. Sämtliche Verbindungen waren schließlich während ihrer Dienstzeit zu Stande gekommen. Das Sammelsurium an Informationen war zwar aufgrund der Beschaffungsmethode nicht zu verwenden, wenn es um die Beweisführung vor der Behörde ging, aber sie brachte es etwas weiter.
Coop seufzte unterdrückt. Leos Status bei FBI und Co. ließ sich eben nicht so leicht abändern. Die Leute dort, die Derek ab und zu einen Auftrag zuschusterten, mochten zwar einen Verdacht haben. Doch man musste sie ja nicht unbedingt darauf stoßen, dass der flüchtige Hacker gleich vor ihrer Nase agierte.
Juliette hörte konzentriert zu. Sie sprühte regelrecht vor Tatendrang. Nichts deutete mehr auf die verängstigte Frau hin, auf die er in Woodward getroffen war.
Seit sie das ehemalige Feuerwehrgebäude, das ihnen als Büro diente, Hand in Hand betreten hatten, durften sie sich so manchen Spott anhören. Aber Coop konnte durchaus den wohlwollenden Ton hinter den Frotzeleien hören. Sein Team freute sich für ihn – und das war etwas, was er neben Juliettes Nähe so dringend brauchte.
„Die beiden Schlägertypen von gestern lassen sich zwar nicht mit Donovan in Verbindung bringen, dafür aber eindeutig mit Templer.“ Trevor rieb sich übers Kinn. „Nur bringt uns das keinen Schritt weiter. Wir wissen weder, wo sie ist, noch, was sie als nächstes vorhat.“
Juliette richtete sich auf. „Sie weiß doch nicht, dass wir ihr auf der Spur sind, oder? Ich meine, Derek, du hast gesagt, der Mann vom Marshallservice würde der Sache mit der nötigen Verschwiegenheit nachgehen.“ Derek nickte und sah sie forschend an. Wie jeder andere im Raum auch.
„Ja, außer ihm und den beiden Feds in Atlanta weiß bisher niemand davon. Letztere haben sich bereit erklärt, die Ermittlungen vorerst diskret fortzuführen und mit Fellen und uns zusammen zu arbeiten. Wieso?“
„Naja, wenn sie sich so sicher fühlt und wie bisher keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen will …“ Juliette stand auf, durchquerte das Zimmer und blieb am Fenster stehen. Nachdenklich blickte sie auf die Straße hinaus. „Also, dann weiß ich vielleicht, wo sie auftaucht. Natürlich nur, wenn der Verdacht weiterhin so diskret und im engsten Kreis behandelt wird. Und das ließe sich bei dem Gespräch später doch sicher herausfinden.“
Frog, der auf dem Sessel neben dem Fenster saß, blickte zu ihr hinauf. Seine Augen – das eine davon ziemlich blau und angeschwollen – funkelten. Er erhob sich und stellte sich mit verschränkten Armen vor die junge Frau. „Du meinst doch nicht – nein, so blöd wäre sie nicht!“
„Warum blöd? Es wäre das normalste der Welt, wenn sie dort erscheinen würde.“
„Stimmt schon, ihr Fehlen würde unnötige Fragen aufwerfen.“ Frog imitierte Trevors Kinnkratzen und zuckte zusammen, als er seinen lädierten Kiefer zu fest berührte.
„Würde uns mal bitte einer aufklären! Wovon zum Teufel redet ihr?“ Aus einem unerfindlichen Grund machte es Coop eifersüchtig, dass die beiden sich gut genug verstanden, um die unausgesprochenen Gedanken des anderen zu kommentieren. Dem fast schon kindischen Wunsch, dass er das auch haben wollte, konnte er sich nicht erwehren.
„Ist das nicht offensichtlich? Sie wird zu Hayesʼ Beerdigung kommen. Schließlich war er ihr Partner und sie trauert um ihn“, erklärte Juliette und sah in die Runde.
Sofort brach eine lauthalse Diskussion aus. Selbst Dereks Pfiff konnte sie nur kurzfristig unterbrechen. Das Für und Wider wurde zerkaut und wieder ausgespuckt, Wahrscheinlichkeiten und der Grad des Irrsinns erwogen, unter dem Donovan scheinbar litt.
Leo war es schließlich, der alle zum Schweigen brachte. Ein simples und recht leises „Fuck“ genügte. Mehr sagte er nicht. Nur dieses eine kleine Wort. Sein Blick ging durch den Raum und verharrte einen Moment bei Juliette. Er fuhr sich durch die Fransen, die er Haare nannte, und kaute auf seiner Unterlippe rum. Was hatte er entdeckt, dass ihm das Weiterreden so schwer fiel?
„Spuck’s aus!“ Coop war wohl nicht der einzige, der die Geduld verlor. Derek trat hinter den Teamfilius und blickte über seine Schulter hinweg auf den Monitor. Dann verzog er den Mund und seufzte ein gequältes „Oh“, bevor er Leo auf die Schulter klopfte.
„Heute Nachmittag ist Johns Beerdigung“, sagte Kid leise und sah dabei aus wie ein Welpe, der auf den Teppich gemacht hatte.
Das erklärte natürlich, warum er so rumdruckste. Coops Inneres zog sich zusammen. Vor zwei Tagen hatte Johns Vater ihn über den Tod seines Freundes informiert und den Tag mitgeteilt, an dem die Beerdigung stattfinden sollte. Er bat ihn zu kommen, wenn es ihm irgendwie möglich sei, da er für John wie ein Bruder gewesen war.
„Wieso …“ Juliette schluckte. „Warum hast du … danach gesucht?“
Kid hob leicht die Schultern. Man sah ihm deutlich an, dass ihm ganz und gar nicht wohl in seiner Haut war. „Als ihr das mit der Beerdigung erwähnt habt, kam mir der Gedanke, dass sie vielleicht auch auf diese Idee gekommen war. Deshalb habe ich nachgesehen, wann dein Bruder … Tut mir leid.“
Juliette trat hinter Leos Stuhl und umarmte ihn.
„Schon gut. Der Gedanke war ja nicht schlecht. Mach dir keinen Kopf darüber. Es war klar, dass ich nicht dabei sein würde. Ich werde später hingehen, wenn alles vorbei ist.“ Sie gab sich wieder mal viel stärker, als sie war. Die nächsten Worte überraschten Coop aber dann doch. „Nate, flieg bitte hin. Mit dem Jet kannst du es doch noch rechtzeitig schaffen, oder? Meine Eltern brauchen dich. Vor allem, wenn Donovan wirklich dort sein sollte. Ich weiß, es passt jemand auf sie auf, aber trotzdem. Außerdem solltest wenigstens du dich von ihm verabschieden können.“ Ihre Stimme zitterte leicht, doch ihr Blick lag fest auf ihm. Ehe er etwas erwidern konnte, mischte sich Mic ein.
„Juliette hat Recht. Und zwar in beiden Punkten. Der Jet kann in zwanzig Minuten abflugbereit sein. Es wird knapp, aber noch kannst du es schaffen. Wir passen auf dein Mädchen auf.“
Coop wusste, dass er fliegen sollte. Und das nicht nur, um gegebenenfalls Donovan von irgendwelchen Dummheiten abzuhalten oder um sich zu verabschieden. Binnen Sekunden war ein Plan in ihm herangewachsen, den er unter allen Umständen umsetzen wollte. Er nickte entschlossen, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Dann trat er an Juliette heran und berührte sanft ihre Wange. „Wir werden unser Date wohl verschieben müssen.“ Sanft küsste er sie. „Ich bin bald zurück. Mach keine Dummheiten, versprich mir das.“
„Du auch nicht.“ Juliette umschloss seine Taille – und er wollte bleiben. Einfach nur mit ihr hier stehen und warten, bis sich alles von allein klärte.
Das viereckige Gebäude strahlte so wenig Charme aus, wie es nur der Sitz einer Behörde konnte. Ein Klotz in mausgrau. Die unzähligen Fenster schienen wie Augen auf die Ankömmlinge herabzublicken. Lange Antennen wippten angetrieben durch Windböen immer wieder weit genug vor, um über den Rand des Daches zu linsen. Juliette erinnerte es an ein riesiges Betoninsekt, das nur darauf wartete, sie in die Fänge zu kriegen. Die struppigen Sträucher und kleinen Blumenkästen, die den Eingang flankierten, konnten an diesem Eindruck nichts ändern. Man sollte meinen, dass der Sonnenstaat solche hässlichen Bauten längst entsorgt hatte.
Derek stand schweigend neben ihr und wartete darauf, dass sie bereit war, hineinzugehen. Ihm war nicht die geringste Unruhe anzumerken, wovon Juliette sich aber selbst nach der kurzen Zeit, die sie ihn erst kannte, nicht täuschen ließ. Sie wünschte sich, etwas von dieser zur Schau getragenen Lässigkeit abzapfen zu können, als sie nervös ihre verschwitzten Hände an der Hose abwischte.
Vor dem Termin war noch etwas Zeit gewesen, um sich ein geeignetes Outfit zuzulegen. Ein T-Shirt von Nate und eine Hose, die bei ihrem Trip durch die Walachei ziemlich gelitten hatte, waren ja nicht gerade angebracht für das Treffen. Juliette hatte eine Jeans und ein Trägershirt gewählt. Jetzt allerdings wünschte sie, sie hätte sich für eine Hose aus dünnerem Stoff entschieden. Aber wenigstens war das Shirt luftig genug. Mit Schweißperlen auf der Stirn und feuchten Flecken unter den Armen würde sie sicher niemanden davon überzeugen können, nichts verbrochen zu haben.
Juliette ließ ihren Blick über den Vorplatz und die Straße schweifen. Irgendwo hier hatte sich das restliche Team in Stellung gebracht. Genau hinzusehen wagte sie nicht, obwohl sie sicher selbst dann keinen von ihnen entdecken würde. Dazu hatten die Männer viel zu viel Erfahrung in ihrem Job. Das Wissen um ihre Anwesenheit half und tat es gleichzeitig auch nicht.
Die wichtigste Person fehlte. Nate saß im Flieger Richtung Milwaukee, um …
Nein, wenn sie jetzt noch an den Grund dafür dachte, würde sie sich vor den nächsten Bus schmeißen. Bereits als Nate durch die Tür gegangen war, hatte sie ihn daran hindern und bei sich behalten wollen. Natürlich hatte sie es nicht getan. Nate sollte sich verabschieden können. Ihm das zu nehmen, nur weil sie sich in seiner Gegenwart sicherer fühlte – oder auch, weil sie selbst nicht hinkonnte –, wäre einfach nur egoistisch gewesen.
Mist, jetzt hatten ihre Gedanken doch diese Richtung eingeschlagen, in die sie nicht gehen sollten. Dabei gab es im Moment wesentlich wichtigere Dinge, auf die sie sich konzentrieren sollte.
„Und du bist sicher, dass sie mich nicht gleich einbuchten, sobald ich durch die Tür gehe?“, fragte sie zögerlich. Auch wenn Derek immer wieder versichert hatte, dass alles geregelt sei, traute sie dem Marshallservice nicht mehr so weit, wie sie gegen einen Twister spucken konnte.
„Wir gehen zusammen rein und wir gehen zusammen raus. So oder so“, antwortete Derek lapidar, was nun wirklich alles bedeuten konnte. Juliette beschloss, aufs Beste zu hoffen, und trat auf den Eingang zu.
Eine halbe Stunde später wartete sie vor dem Büro darauf, endlich hineingerufen zu werden. Ihr Begleiter war vorausgegangen, um den Oberguru des Ladens vorab über die neuen Erkenntnisse zu informieren, die sein Team über Donovan erlangt hatte.
Mit jeder weiteren Minute, die verstrich, stieg ihre Nervosität weiter an. Der linke Daumennagel hatte bereits einiges an Länge einbüßen müssen, was sie wieder an den Nachmittag mit Jings denken ließ. Wie er sie wegen dieser Angewohnheit getadelt hatte, während sie auf dem Weg zu seinem Boss waren. Ehe sie noch völlig die Nerven verlieren würde, versuchte sich Juliette damit abzulenken, den Unterschied zwischen dem äußerlichen Schein und der Inneneinrichtung zu analysieren. Es war nicht unbedingt das Four Seasons, aber helle freundliche Farben, einige Grünpflanzen und Bilder sorgten dafür, dass man nicht schreiend wegrennen wollte. Zumindest nicht, wenn man nicht gerade von einem durchgeknallten Gesetzeshüter verfolgt wurde oder auf einen treffen könnte, der das Memo über ihre Entlastung noch nicht gelesen hatte.
Juliette war so in Gedanken, dass sie erschrocken aufsprang, als die Tür endlich geöffnet wurde. Ein älterer Herr mit grauen Haaren und einer kleinen randlosen Brille streckte seinen Kopf raus.
„Miss … Jennings, kommen sie bitte rein.“
Es war John Fellen. Der Oberguru holte sie persönlich rein? Sofort tummelten sich die aberwitzigsten Gedanken in ihrem Kopf. Wo war Derek? Hatte man ihn durch eine andere Tür fortgeschafft? Saß er in Ketten gelegt auf einem Stuhl in der Ecke und konnte sie nicht warnen, weil man ihn zusätzlich geknebelt hatte?
Juliette rief sich energisch zur Raison. Wenn sie so weiter machte, war sie noch vor Ende der Woche ein Fall für die Klapse.
Derek saß natürlich nicht gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl in der Ecke. Er stand neben der Kaffeemaschine und goss sich seelenruhig etwas von der schwarzen Brühe ein. Er fragte Juliette, ob sie auch einen Kaffee wolle und schob sich einen Keks zwischen die Zähne. Mehr aus Reflex nickte sie und nahm vor dem Schreibtisch Platz. Mit einem weiteren Nicken beantwortete sie die Frage nach Milch und Zucker und beobachtete jede von Dereks Bewegungen. Anders als draußen war seine Lässigkeit diesmal nicht nur gespielt. Seine Augen huschten nicht mehr ständig hin und her, um alles im Blick zu behalten. Seine Muskeln wirkten unter dem blauen Poloshirt entspannt. Bei diesem Anblick wuchs in Juliette die Hoffnung, dass das Gespräch gut gelaufen war.
„Mr Collier hat mich über die Schwierigkeiten informiert, in denen Sie stecken. Ich bin schockiert.“ Fellen setzte sich auf die Tischkante und faltete die Hände im Schoß. „Ich versichere Ihnen, wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um Sie in Sicherheit zu bringen.“
Was? Nein!
Juliette sprang so schnell auf, dass der Stuhl nach hinten kippte und krachend auf dem Boden aufkam. Ebenso schnell wich sie bis zur Tür. „Ich gehe in kein Programm mehr, und ich lasse mich auch nicht wieder auf irgendwelche fadenscheinigen Versprechen ein. Vergessen sie es! Das mache ich nicht!“
Nur Derek war es zu verdanken, dass sie nicht das Weite suchte. Er hatte ihr sein Wort gegeben, dass er sie unter allen Umständen mitnehmen würde, wenn er das Gebäude verließ. Ein Teil von ihr haderte gleichzeitig aber mit sich, doch nicht auf Derek zu warten und einfach abzuhauen.
Fellen trat auf sie zu, hielt aber sofort inne, als sie sich gegen die Tür presste. Scheiße, warum war sie nicht verschwunden, als sie noch die Möglichkeit dazu hatte? Nun stand sie genau an der falschen Seite der Tür. Das Scharnier drückte sich ihr ins Kreuz, und der Türknauf schien kilometerweit entfernt zu sein.
„Juliette, beruhige dich. John hat nicht vor, dich erneut ins Programm zu stecken. Und selbst wenn er das wollte, habe ich dir mein Wort gegeben, erinnerst du dich?“ Derek kam zu ihr und legte seinen Arm um sie. „Jetzt lass uns beim Kaffee überlegen, was wir als nächstes tun, okay?“
Juliette zögerte einen Augenblick, entspannte sich dann aber ein wenig. Den Blick fest auf Fellen gerichtet, ließ sie sich zum Stuhl führen. Wie man es auch drehte und wendete, letztendlich blieb ihr doch nichts anderes übrig, als auf Dereks Wort zu vertrauen und auf Fellens Hilfe zu hoffen.
John Fellen hielt Abstand, ging zu seinem Stuhl und setzte sich ebenfalls. Dann griff er in eine Schublade und holte ein Flasche Scotch heraus. Schweigend goss er zwei Finger breit in ein Glas und schob es ihr rüber. „Den können Sie vielleicht besser gebrauchen.“ Das großväterliche Lächeln ließ seine Miene sanfter wirken. „Als erstes möchte ich Ihnen mein Beileid aussprechen. Derek hat mir erzählt, was in Oklahoma passiert ist. Er hat mir außerdem von ihren Erwägungen bezüglich Hayesʼ Beerdigung berichtet. Es wird natürlich nicht einfach sein, die ganze Sache unter Verschluss zu halten. Hayes hat … hatte gute Freunde beim Marshallservice. Wenn bekannt wird, dass seine eigene Partnerin für seinen Tod verantwortlich sein soll, wird man versuchen, sie aufzuspüren.“
„Oder sie zu decken“, entfuhr es Juliette. Unerbittlich sah sie zu ihrem Gegenüber, lenkte aber nur wenig später schuldbewusst ein, als sie seine ehrliche Betroffenheit bemerkte. „Es tut mir leid. Aber wer sagt uns denn, dass nicht noch andere mit ihr unter einer Decke stecken?“
Noch mehr Betrübnis machte sich auf dem wettergegerbten Gesicht des Mannes breit. „Ja, das stimmt bedauerlicherweise. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, ich gehöre nicht dazu. Sie können mir vertrauen. Und wenn nicht mir, dann Derek und seinen Leuten. Ewan Hayes hat sie darum gebeten, Sie zu beschützen, und ich werde mich dem nicht in den Weg stellen. Nach allem, was ich gehört habe, machen die ihren Job sehr gut.“
„Naja, ich lebe zumindest noch.“ Was man von vielen anderen nicht mehr sagen kann, fügte sie in Gedanken hinzu.
Derek, der wieder seinen Platz neben der Kaffeeecke eingenommen hatte, streckte ihr die Zunge raus. Juliette konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. Bisher hatte sie den Mann immer als ziemlich ernst erlebt und jetzt gab er hier den Gastgeber und machte Faxen.
„Woher kennen sie Derek?“ Juliette wusste selbst nicht genau, was sie mit der Frage herauszufinden hoffte. Vielleicht wollte sie einfach nur den Rest Misstrauen loswerden. Fellen beschwor zwar seine Integrität, und Derek widersprach dem auch nicht, aber Juliette hatte genug davon, blindlings von einem Haufen Scheiße in den nächsten zu treten. Immerhin war Marshall Donovan ja auch so vertrauenswürdig. Wenn sie nicht gerade versuchte, eine Schutzbefohlene kalt zu machen.
„Ich war sein Lehrer.“
„Sie meinen sein Ausbilder?“
„Nein, Lehrer ist schon richtig. Er war mein Schüler auf der Junior High.“ Juliette konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Was brachte einen Highschool-Lehrer auf den Stuhl des Abteilungsleiters des US-Marshallservices?
„Es ist eine lange Geschichte. Aber wie sagt man so schön? Die Welt ist ein Dorf.“ Damit schien dieses Thema für ihn beendet zu sein. Na gut, was soll’s, dachte sie sich. Sie waren schließlich nicht hier, um am Lagerfeuer alte Geschichten zu erzählen. Fellen schien der gleiche Gedanke durch den Kopf gegangen zu sein. Mit einem Räuspern schenkte er ihr Scotch nach und kam zum Thema zurück.
Mit den beiden Getränken, die sie auf ganz unterschiedliche Weise von innen wärmten, vor sich und einem interessierten Zuhörer begann Juliette alles zu erzählen, was sie wusste und in den letzten Tagen und Wochen erlebt hatte. Fellen nickte ab und an und stellte auch einige Fragen, schwieg sonst aber weitgehend. Derek ergänzte, was es zu ergänzen gab, auch wenn Juliette vermutete, dass er es Fellen bereits zuvor erzählt hatte. Von der leichten Heiterkeit, die zuvor mit im Raum gewesen war, war längst nichts mehr zu spüren, als sie näher ins Detail gingen, Pläne austüftelten oder Spekulationen aufstellten. Wie sich herausstellte, war Fellen im Anbetracht der Lage mehr als bereit, der P.I.D. das Ruder zu überlassen. Er würde sich zurückhalten und nur eingreifen, wenn es gar nicht anders ging. Außerdem würde eine kleine – definitiv vertrauenswürdige – Gruppe von Agenten auf ihren Einsatz warten. Das hatte Derek am Vortag schon geregelt. Bei den Verbindungen und dem Einfluss, den der Mann zu haben schien, konnte man wirklich mit den Ohren schlackern.
Alles in allem hörten sich die Vorhaben gut an, aber die Angst blieb. Auch noch, als sie zwei Stunden später das Büro verließen.
Coop strich mit dem Daumen über die Hand, die sich seit seiner Ankunft an ihm festkrallte. Er war gleich zum Woodlawn Friedhof gefahren und Audrey hatte ihn entdeckt, kaum dass er die Tür seines Mietwagens geschlossen hatte. Sofort war sie zu ihm gelaufen und ihm in die Arme gefallen. Seitdem war sie nicht auch nur eine Armlänge weit von ihm gewichen. Sie hatte ihn mit sich gezogen, als sie und Rusty ihren Platz vor dem aufgebahrten Sarg einnahmen. Johns Mutter hatte darauf bestanden, dass er an ihrer Seite blieb und ihren Griff noch einmal verstärkt.
Unaufhörlich flossen ihr dicke Tränen über das leicht runzelige Gesicht. Der Schmerz ließ sie um Jahre gealtert wirken. Rusty ging es nicht viel besser. Der Kummer und die in ihm schwelende Wut über den Verlust seines letzten Kindes hatten ihn an den Rand seiner Kräfte gebracht. Coop konnte nur hoffen, dass der alte Mann stark genug war, dem ganzen standzuhalten. Seine stoische Art verbot es dem alten, bärbeißigen Holzfäller nämlich nicht nur, seine Trauer offen zur Schau zu tragen, sondern auch emotionale – oder körperliche – Schwäche zu zeigen und um Hilfe zu bitten. Coop erinnerte sich noch genau daran, wie aufgebracht J.J. darüber gewesen war, dass sein Dad nicht mal auf Juliettes Begräbnis geweint hatte.
Während er jetzt neben den verzweifelten Eltern stand, seinen Blick über die wenigen Trauergäste schweifen ließ und den Worten des Reverend lauschte, war er froh um die Frau an seiner Seite. Sie verhinderte, dass er dem Drang nachgab, den Geistlichen in das ausgehobene Grab zu schubsen. Sätze wie „Gottes Wege sind unergründlich“ und „der Herr hält seine Hand schützend über seine Kinder“ ließen Coop nur mit den Zähnen knirschen. Es hatte seinen guten Grund, dass er Kirche und Religion mied, so gut es ging. Man musste schon äußerst gläubig sein, um sich von so einem Mist trösten zu lassen, wenn man sein Kind zu Grabe trug.