Pakt unter Brüdern - Peter Kooter - E-Book

Pakt unter Brüdern E-Book

Peter Kooter

0,0

Beschreibung

Die Familie Kondere malt weder das typisch idyllische Bild einer heilen Familie, noch scheinen sie sich zu bemühen dieses darzustellen. Doch vieles ändert sich in Zeiten höchster Not. Die wahre Liebe eines Mitmenschen oder Verwandten erkennst du in solchen Zeiten und wenn du auf dessen Hilfe angewiesen bist. Diese Familie muss das auf die harte Tour lernen und durch viel Schmerz, als ein alter und nur bedingt bekannter Feind auftritt, der das Leben aller Familienmitglieder in größte Gefahr bringt. Jetzt müssen die Mitglieder jener Familie auf Gedeih und Verderb lernen, sich zu vertrauen, oder sie gehen unter.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 244

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

Prolog

Ein verhängnisvoller Tag

Miriam

Eleonore

Die Familie Kondere

Es ist soweit

Das Kondere-Haus am alten Weg

Drei Generationen, eine Wahrheit

Der schwärzeste Tag

Die Kondere Frauen

Tränen

Der alte Mann

Katakomben

Keller

Mathews Folter

Die andere Seite

Stiller Schrei

Marius und seine Firma

Kunde von der anderen Seite

Henkersmahlzeit?

Szene eröffnet

Eine Frage der Sichtweise

Endlich wach

Showdown

1. Prolog

Vor etwa zwölf Jahren...

Der letzte Donner war laut genug, um Mathew zu wecken und er saß unruhig in seinem Bett. Im Gegensatz zu anderen Kindern in seinem Alter, hatte er keine Angst vor dem Gewitter und dem lauten Grollen in finsterster Nacht. Ganz im Gegenteil faszinierte ihn dieser Vorgang nur und fesselte ihn oft stundenlang an eines der Fenster in seinem Zimmer. Er war dankbar, dass ihn der Donnerschlag vor seinem Fenster geweckt hatte. Tag für Tag wurden seine Albträume schlimmer. Er fragte sich, was das auslöste und wie er dagegen ankommen sollte. Er hatte bei diesem speziellen Traum nicht mehr geschafft, als ihn dahingehend zu steuern, dass er ihn beenden konnte, wenn er sich konzentrierte. Doch er setzte sich an der Stelle fort, die er verlassen hatte, wenn er wieder einschlief. Er konnte an einer Hand abzählen, wie viele schöne Träume er bisher hatte. Zumindest konnte er sich nur an wenige erinnern. Es war eine schreckliche Marter, die ihn Nacht für Nacht einholte.

In diese Gedanken versunken beobachtete er das Prasseln des Regens an die Fensterscheibe, dass grelle Aufleuchten der Blitze, die die Nacht kurz zum Tage machten und den Wind, wie er die Bäume schüttelte, als würde er sie stürzen wollen. Da saß er dann, starrte auf den dunklen Himmel und dachte sich Geschichten aus. Er sann über magische Vorgänge nach, die dieses Grollen hervorriefen. Und obwohl er diesen Dingen furchtlos gegenüberstand, war dieser Sturm anders. Nicht nur die Lautstärke hielt ihn wach, sondern auch dieses seltsame Knistern in der Luft und die unheimliche Bewegung des Windes vor seinem Fenster. Mathew zuckte kurz zusammen, als ein kleiner Fuchs aus dem Schatten eines Baumes hervor sprang. Er versuchte offenbar, sich vor dem Sturm zu retten und huschte über das Grundstück, wobei er immer wieder aufmerksam den Kopf hob und sich nach Gefahren umsah. Dies war einer der Vorteile ländlich zu leben. So etwas zu sehen war für Mathew schon immer wertvoll gewesen. Ebenso für seine Eltern. Doch irgendwie verhielt sich dieser Fuchs seltsam. Schon die Tatsache, dass er in dem Sturm außerhalb seiner schützenden Behausung herumlief. Doch er war noch wegen anderer Dinge unruhig, so schien es. Und dann tat das Tier etwas, dass Mathew noch unruhiger machte. Der Fuchs fasste ihn plötzlich ins Auge. Er hatte erneut seinen Kopf gehoben und sah Mathew nun direkt an. Mathew hatte sich nicht bewegt, oder irgendwie ein Geräusch gemacht. Zudem saß er in der Dunkelheit. Der nächste Blitz erhellte die Umgebung und Mathew, wie auch der Fuchs konnten sich genau sehen. Das rote Fell des Fuchses war komplett nass und gesträubt. Es wirkte auf diese Weise eher gräulich braun. Zudem war ein Auge des Tieres blind. Beide Ohren waren gespitzt und auf Mathew gerichtet. Es war ein magischer Moment befand er, bis der Fuchs laut und gequält aufheulte. Mathew wäre beinahe vom Bett gefallen. Und als er wieder aus dem Fenster sah, nachdem er sich gefasst hatte, war das Tier nicht mehr zu sehen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bekam Mathew Angst. Es war wie eine Szene in seinen Träumen. Normalerweise musste er nun um sein Leben fürchten, da sich der Fuchs auf irgendeine Weise Zugang zum Haus verschafft hätte und Jagd auf ihn machen würde. Es kam nicht selten vor, dass sich seine Angst in Träumen als Tier manifestierte. Er versuchte den Gedanken abzuwenden.

Etwas in seinem Kopf sagte ihm, dass der Sturm ebenso rastlos war, wie er in dieser Stunde. Das diese Nacht anders war, als die Bisherigen. Etwas in seinem Mund schmeckte nach Metall und seine Magengrube surrte. Als stünde etwas Schreckliches bevor, stand er auf und gab dem Drang nach, sich im Haus umzusehen. Seine Träume schienen ihm die Angst zu nehmen. Sie waren zumindest grausam genug, um ihn mit Angst resigniert umgehen zu lassen. Aber gleichzeitig gaben sie ihm auch eine unnachgiebige Finsternis, die in ihm schlummerte. Ein schrecklicher Gedanke für einen Jungen seines Alters. Er wandelte oft, wenn seine Familie tief schlief, lautlos durch die Zimmer des Elternhauses und vergewisserte sich, ob alle wohlbehalten waren. Das hatte er schon immer getan und deswegen konnte er sich auch geräuschlos im Haus bewegen. Es war ein altes Haus und jemand, der nicht darauf achtete, würde bei jedem Schritt Geräusche erzeugen. Die alten Bodendielen und Balken verrieten nur zu gern, dass sich jemand durch die Räume bewegte. Mathew jedoch kannte jede alte knarzende Diele in diesem Haus und war geschickt darin, diesen auszuweichen. Das war der Grund, warum er oft noch lange wach sein konnte. Zudem hatte es sich auch anderweitig als nutzbringend erwiesen. Denn er konnte seine Eltern oft schon einige Zeit vor ihrer Ankunft in seinem Zimmer hören. Er musste schon stark abgelenkt sein, dass sie ihn erwischen konnten. Nur sein Vater zeigte ähnliches Geschick beim Umgehen der Krachmacher, zumindest, was die Treppen anging. So manches Mal hatte er sich angeschlichen und Mathew überrascht. Doch das würde heute Nacht nicht geschehen. Alle waren im Land der Träume, so schien es.

Er war gerade am Schlafzimmer seiner Eltern vorbeigekommen und hatte das vertraute Geräusch des leisen Schnarchens vernommen. Seine Eltern schliefen ebenso wie er und seine Schwester im ersten Stock, während sich seine beiden älteren Brüder das zweite Stockwerk teilten. Es machte ihm unbewusst Angst, dass es so ruhig war im Haus. Und jedes Mal, wenn er an den dunklen Zimmern vorbei ging, zog sich sein Magen zusammen. Das fand seinen Ursprung ebenfalls in den Träumen, die er hatte. Sie spielten sich zumeist in eben diesem Haus ab. So wurde jede dunkle Nische zu einer Mutprobe.

Beinahe wollte er glauben, dass nur er den Sturm hören konnte. Er ging noch zum Schlafzimmer seiner Schwester, die ebenfalls leise ratzte und deren Augen eilig unter den Lidern tanzten. Langsam schlich er hinein in das Zimmer und kniete vor ihrem Bett nieder, wobei er ihr bei den stoßartigen Atemzügen zusah. Die Katze auf ihrem Bett; Miriam hatte sie Stinki getauft; erhob kurz den Kopf und maunzte ihn schlaftrunken an. Mehr eine Mischung aus Schnurren und Maunzen zugleich, wie er befand. Doch sie rollte sich sogleich wieder zusammen und sank leise schnurrend wieder in den Schlaf. Dann tat er etwas, dass er manchmal tat, wenn er seine Schwester in diesem Zustand des unruhigen Schlafes sah. Er wusste, dass dies half, so tat er es auch manchmal bei ihr. Er nahm ihre Hand, die oben auf der Decke lag und sich ab und zu verkrampft verschloss. Er drückte sie nur so leicht, dass sie es unterbewusst spüren konnte. Dann flüsterte er leise etwas, dass seiner Meinung nach helfen würde.

„Hab keine Angst Miriam. Ich bin bei dir.“

Er stellte sich gerne vor, wie dies die Szenerie des Traumes zu beeinflussen vermochte. Er war sich jedenfalls sicher, dass es half.

Denn fast immer entspannte sich seine kleine Schwester daraufhin.

Warum er das tat, wusste er eigentlich nicht. Tagsüber hasste er seine Schwester beinahe. Wie es Geschwister eben oft tun. Auch wenn sie erst sieben war, hielt er sie für eine kleine besserwisserische keifende Hexe, die nichts anderes im Sinn hatte, als zu petzen und zu zanken. Was natürlich nicht im Geringsten dem nachstand, was sie über ihn dachte. Doch nachts, wenn die Angst kam und wenn seine Träume hervorkamen, die in ihrer Grausamkeit keiner in dieser Familie so richtig nachvollziehen konnte, war er dankbar, wenn er bei seiner Schwester sein durfte.

Er hatte sie schon so manches Mal mitten in der Nacht besucht und war bei ihr geblieben. Für die Gewissheit, dass jemand um ihn herum war, hatte er dann sogar jedes Mal auf dem harten Boden geschlafen. Vielleicht war es also eine Gegenleistung für die Liebe und den Schutz, den ihm seine Schwester unbewusst durch diesen Großmut schenkte, ihn bei sich zu dulden. Sie beide waren sich niemals bewusst gewesen, wie sie einander beschützten, doch Mathew hatte schon immer das Bedürfnis gehabt ihr zu helfen, wenn sie ihn brauchte. Und er wusste, dass sie das auch für ihn tat.

Es war ein unausgesprochenes und ebenso amüsantes Versprechen, dass niemand mit ihnen Streit haben durfte als nur sie beide miteinander. Ein eigenartiges Übereinkommen, denn sie gingen oft viel hässlicher miteinander um, als andere es taten, wenn auch zumeist nur mit Worten.

Und doch griff Mathew immer ein, wenn seine Schwester beleidigt, oder gehänselt wurde. Warum wusste er auch in diesem Fall nicht. Möglicherweise, weil er der große Bruder war, auch wenn sie beide nur zwei Jahre auseinander lagen. Es war die seltsame Liebe, die Geschwister zueinander hatten und die auch nur solche kennen. Er sah kurz nach oben, denn ein Knarzen des alten Holzes erschreckte ihn. Die Zimmerdecke in Miriams Zimmer war etwas höher, als in den anderen Zimmern, Es war die einzige Decke, die aus dunklem Kirschholz gefertigt war. Mathew wusste, dass es einst das Büro seines Vaters gewesen war. Und er war froh, dass es nicht sein Zimmer war. Denn es war etwas dunkler, als die anderen Zimmer des Hauses. Mathew fürchtete sich auch in diesem Moment, vor allem vor den dunklen Ecken, die er nicht einsehen konnte. Immer wieder blickte er sich um. Er fühlte sich völlig schutzlos, wenn er sich so frei in der Dunkelheit bewegte. Auch diese Tatsache zeigte, dass es Liebe sein musste, die ihn bewegte, seiner Schwester beizustehen. Denn er fürchtete sich auch in diesem Moment.

Als er sich nun vergewissert hatte, dass sich die Atmung Miriams beruhigt hatte, dachte er einen Moment lang daran, dass er sich oft auch Hilfe in seinen Träumen wünschte. Er schauderte dabei. Seine Träume waren oft so schlimm, dass er das ganze Haus aufweckte, wenn er daraus erwachte und er wusste, dass sich seine Mutter manchmal furchtbare Sorgen um ihn machte. Nicht selten war vorgekommen, dass seine eigene Mutter sich schwer tat, ihn danach zu beruhigen. Denn für Mathew war es oft genug beinahe unmöglich die Realität wieder zu finden. Deshalb hatte er gelernt, diese Ausdrücke der Angst zu unterdrücken und seine Träume für sich zu behalten. Er machte sogar Fortschritte in der Arbeit seine Träume zu steuern. Nur manchmal noch, wenn die Gestalten seiner Träume besonders grausam waren, konnte ihm selbst seine Flugkunst im Traum und die Fantasie nicht mehr helfen. Dies waren die grausamen Sekunden, die sich wie Stunden zogen und er wurde auf schrecklichste Weise nieder gemetzelt, zumeist gefressen. Oder es traf seine Familie. Stets jedoch mit demselben Schauspiel, dass für ihn die reinste Marter darstellte, die sich sein junger Kopf vorstellen konnte. Es waren die Träume, in denen diejenigen, die er liebte ihm amüsiert beim Sterben zusahen, oder er ohnmächtig dabei zusehen musste. Es waren die Träume mit den Schatten und sie waren stärker als er. Mühevoll verscheuchte er den Gedanken. Er wollte nicht erneut von ihnen träumen. Er sagte seiner Schwester noch etwas, dass ihr hoffentlich die Träume in dieser Nacht erleuchteten.

„Heute Nacht kann dir keiner etwas tun. Deine Eltern und ich beschützen dich.“

Er sah, wie ein kleines Lächeln die Lippen seiner Schwester umspielte und sie tief und entspannt ein und wieder ausatmete. Ein voller Erfolg. Also ging er weiter, nachdem er kurz die Katze gestreichelt hatte. Er tat dies zügig, denn er wollte auch schnell wieder aus der Dunkelheit heraustreten.

Im ersten Stock leuchtete stets Licht im Flur. Die Kinder sollten sich beim Besuch der Toiletten nichts brechen, hatte die Mutter immer gesagt und Mathew hatte auf diese Weise, ebenso wie seine Schwester stets etwas Licht in seinem Zimmer, dass ihm ein wenig seiner inzwischen geleugneten Angst nahm. Obwohl er nun schon bald zehn war, zwangen ihn seine Träume nach wie vor, die Dunkelheit zu fürchten. Ihm war es unangenehm und er scholt sich stets dafür, da er selbst der Meinung war, dass diese Angst in seinem Alter nicht normal war. Wie er auf diesen Gedanken kam, wusste er selbst nicht. Dennoch verabscheute er dieses Gefühl der Ohnmacht und der ständigen Angst vor der Dunkelheit.

Neben seinem Zimmer, nicht unweit den Flur entlang befand sich gleich neben den Treppen, die ins Unter- und Obergeschoss führten, die Toilette. Ein kleiner Raum, mit nicht mehr als einer Toilettenschüssel und einem kleinen Waschbecken, für die Notdurft bei Nacht. Es war von oben bis unten mit hellblauen Fliesen bedeckt und hie und da mit kleinen Wassertieren verzierte Bordürenreihen säumten Wand und Decke. Er hatte seiner Mutter zugesehen, als sie die Wassertierchen vor einigen Jahren aufklebte. Mathew liebte dieses Muster und auch nach Jahren langweilte es ihn nicht. Auch seine Brüder im zweiten Stock hatten ein kleines Badezimmer. Im Gegensatz zum ersten Stock jedoch gab es dort auch noch Badewanne und Dusche. Es war ein ziemlich großes Anwesen und jedes Stockwerk hätte für sich gesehen schon eine komfortable Wohnung sein können. Doch im zweiten Stock, bei seinen Brüdern würde ihn der Besuch weit mehr Überwindung kosten. Allein die schmale Treppe, die nach oben in die Dunkelheit führte machte ihm bereits Angst. Zudem war der oberste Stock von seinem Vater nachträglich renoviert worden, als die Familie mehr Platz brauchte, wegen zwei weiterer nicht erwarteter Kinder. Hier bestand so gut wie alles aus Holz. Jede Ecke und jedes Konstrukt knarzte durch die Arbeit des Holzes im gesamten Bereich. Mathew konnte diese Geräusche jedoch noch nicht diesem Vorgang zuordnen. Für ihn war jedes Geräusch in der Nacht nicht sichtbare Bewegung in der Dunkelheit.

Warum er sich stets dazu entschloss, bei allen Familienmitgliedern vorbei zu schauen, konnte er nicht sagen. Doch er sah es als seine Pflicht an, wenn er schon wach war, dem Rest seiner Familie ebenso seine Aufmerksamkeit zu schenken. Manchmal fragte er sich, ob es nicht insgeheim ein finsterer Gedanke war, sich zu vergewissern, ob noch alle da waren. Diese Wahrheit auszusprechen hätte nur zu mehr Sorge bei seinen Verwandten geführt. Deswegen konnte er es sich auch selbst nicht eingestehen. Jedenfalls sprach er es niemals laut aus, ungeachtet aller versteckten Gefühle.

Dort oben leuchtete kein Licht in den Fluren und die Fenster waren zu klein, als das sie genug Licht hereinließen. Aber seine Angst war heute nicht so stark, dass sie seine Wissensbegierde übertraf, die ihn in die Zimmer des zweiten Stockwerks zu seinen Brüdern lockte. Er hatte schon oft genug geträumt, dass ihnen etwas zugestoßen sei. Er war irgendwie niemals sicher, dass die Schatten nicht auch außerhalb seiner Träume umherschlichen und seiner Familie etwas antun würden. Oft genug hatte er geträumt, dass jene finsteren Gestalten aus eben jener Dunkelheit im zweiten Stock hervortraten. Es waren die mannshohen Gestalten, die er bereits spürte, wenn sie sich dort oben manifestierten. Es waren meist drei oder vier, die er die Treppe hinab steigen hörte, nur um ihn in eiskalter Berührung das Leben auszuhauchen. Die dunkle Nische der angelehnten Schlafzimmertür seiner Eltern war meist das Zuhause einer katzenartigen Gestalt, die ihn zur Treppe verfolgte um ihn, zu einem großen Wolf heranwachsend, schließlich eben auf jenen Stufen zu zerfleischte. Mathew zitterte, als er den Flur hinab ging, hinter sich eben jene Nische wissend. Er drehte sich bei jedem Schritt um, nur um sicher zu gehen, dass diese Gestalt nicht gerade jetzt aus dem Schlafzimmer seiner Eltern hervortrat. Wenn sie das tat, dann erlosch das Licht und Mathew hatte keine Chance, dieses wieder zu finden, bis es zu Ende ging. Kalter Schweiß war ihm auf die Stirn getreten und er versuchte sich von dem Gedanken loszusagen. Er versuchte sich auf die Realität zu konzentrieren und dachte an seine Brüder. Nur kurz, dachte er sich. Nur ein schneller Blick, um sicher zu gehen. Im Gegensatz zu seiner Schwester brauchte Mathew seinen Brüdern nicht die Hand halten, oder ihnen beruhigende Worte zuzusprechen. Wenn er es geschafft hatte, leise zu ihnen vorzudringen, dann war er stets erstaunt, wie ruhig und entspannt sie schliefen. Er konnte nicht allzu viel erkennen, wenn er ihre Gesichter in der Dunkelheit betrachtete, doch sie waren beruhigend entspannt. Und er wollte stets so sein wie sie. Seine Brüder waren seine großen Vorbilder.

Natürlich hätte er das nie zugegeben. Heute Nacht jedoch war etwas anders, als er sich auf allen Vieren die Treppe hinauf bewegte. Es war eine uralte Treppe, die aus Marmor gefertigt worden war und die ihr Vater mittig, etwa einen halben Meter breit, mit einem weichen Teppich überzogen hatte. Mathew liebte das Gefühl des Teppichbodens unter seinen nackten Füßen und an den Händen. Die Geländer der Treppen, die von hier aus in alle Stockwerke führten, waren von schwarzem geschmiedetem Eisen und von metallenen Ranken und Weintrauben geziert. Mathew faszinierte die Form dieser. Eine seltsame Angewohnheit zwang ihn jedes Mal die Formen mit seiner Hand abzutasten. Es war etwas Solides und Reales, das ihm ein gewisses Maß an Sicherheit bezüglich der echten Welt schenkte. Die Schatten sind nicht real, sagte er sich dann immer wieder leise.

Der Dachboden, den die beiden älteren Jungs jetzt bewohnten, war erst vor kurzem endgültig ausgebaut worden und zuvor hatten sie alle im ersten Stock geschlafen. Mathew hatte dieser Umbau gefreut, denn so hatte er endlich mehrere Zimmer und einen begehbaren Schrank. Aber die Freude war nur am Tag da, wenn das Licht vorherrschte. Mathew schlich noch ein paar Stufen weiter hinauf, als er erkannte, was heute anders war. Der laute Sturm hatte seine Brüder offensichtlich ebenfalls geweckt. Hier oben waren das Peitschen des Windes und das Grollen des Sturmes noch ein wenig lauter. Die Wände und die Decke knarzten verräterisch und bedrohlich. Mathew zitterte sichtbar.

Mathew hatte einen Lichtkegel am hinteren Ende des Flures entdeckt, der aus halb geöffneter Tür drang. Kyle war der mittlere, dunkelhaarige der drei Brüder und sein Zimmer war etwas kleiner, als das des Älteren. Sie saßen sich auf dem Boden gegenüber und hatten die Hände in die des jeweils anderen gelegt, wobei sie die Augen geschlossen hielten. Zwischen ihnen war die Lichtquelle zu erkennen, die Mathew zuerst stutzen ließ. Sie legte ein dubioses Licht auf die hölzernen Wände, dass die Schatten der vielen Gegenstände in den Regalen und auf dem Boden des Zimmers wild tanzen ließ. Kyle war nicht unbedingt der Ordentlichste. Mathew ergriff erst das Wort, als er direkt hinter dem jüngeren der beiden großen Brüder stand. Kurz bevor er durch das helle Licht eines weiteren Blitzes auf der anderen Seite des kleinen Fensters neben ihm erleuchtet wurde. Ein gelungener Auftritt befand er.

„Was macht ihr hier? Papa hat doch verboten, Feuer anzumachen, ohne das er oder Mama dabei sind. Das ist hier oben einfach zu gefährlich.“

Die beiden Brüder rissen erschreckt auseinander und Kyle hätte dabei beinahe mit seinem Fuß die Kerze umgestoßen. Er packte Mathew am Arm und zog ihn unsanft herunter.

„Spinnst du! Du bist wohl lebensmüde. Du solltest doch schlafen.

Oder soll ich deinen Vater holen?“

Eine leere Drohung, soviel war Mathew klar. Er ignorierte inzwischen die Tatsache, dass seine älteren Brüder absichtlich Nored nicht als ihren Vater bezeichneten. Sie mochten Mathews Vater nie wirklich als ihren Akzeptieren, doch für Mathew waren sie beide niemals etwas Geringeres, als seine Brüder. Das was diese Gefühle zu seinem Vater auslöste ging von Nored selbst aus, dessen war sich selbst Mathew in seinen jungen Jahren bewusst. Er und seine Schwester waren stets anders, besser behandelt worden, als seine Brüder. Deshalb konnte er über diese Dinge hinweg sehen. Er hatte seine eigene Liebe zu seinen Brüdern und war der Ansicht, dass ihnen das reichen müsse. Solange sie glücklich waren, spielte das keine Rolle. Dennoch war das etwas das Mathew an seinem Vater massivst störte. Denn ungeachtet dessen, das er ein guter Versorger ihrer Familie war, hatten Jake und Kyle seiner Ansicht nach Besseres verdient.

Mathew lächelte noch immer ein wenig, da er es geschafft hatte, seine ahnungslosen Brüder zu erschrecken. Im leisen Gang hatte er sie noch immer übertroffen und die Reaktionen zu beobachten hatte Mathew stets amüsiert. Doch jetzt sah er den Funken in den Augen seiner Brüder, die ihn beide wütend ansahen. Nicht nur weil er sie bei etwas verbotenem erwischt hatte, sondern auch weil er sie dabei störte.

„Dann würde ich aber auch von eurem Ritual hier erzählen.“

Mathew war im Gegensatz zu seinen Brüdern noch zu jung, um zu wissen, was er damit angerichtet hätte. So ein Ritual im Hause seines Vaters hätte ihn nicht nur gereizt. Sein Vater Nored wäre sicherlich an die Decke gegangen. Die Reaktion seiner Mutter jedoch konnte sich Mathew nicht ausmalen. Er hielt sie für einen Engel. Zu dieser Zeit hätte nichts die Liebe zu seiner Mutter übersteigen können. Sie war eine Heilige für Mathew. Dennoch wäre allein dieses Risiko sicherlich Grund genug für eine ordentliche Strafe gewesen. Das wussten auch Mathews Brüder.

Sie warfen sich einen Blick zu und Jake, der Älteste der Brüder, der kleiner, heller und etwas unbeherrschter als der mittlere der Brüder war, ergriff das Wort.

„Also gut. Aber du musst versprechen, dass du keinem davon erzählst.“

Jake wartete das Kopfschütteln seines jüngsten Bruders ab und blickte dann noch ein wenig ernster drein.

„Schwöre es!“

Mathew blickte seine Brüder vertraut verdutzt an und nach kurzem Zögern hielt er eine Hand auf die Brust gedrückt, während er die andere mit der Handfläche nach außen hochhielt.

„Ich schwöre, dass ich niemandem von den Dingen erzählen werde, die ihr hier oben macht.“

Er holte tief Luft und ergänzte noch etwas.

„...Die Dinge heute Abend.“

Kyle grinste und sah seinen Bruder treu an, während auch Jakes Gesicht einem entspannten Lächeln Platz machte.

„Und was macht ihr jetzt hier für komische Sachen?“

Kyle setzte sich breitschultrig und stolz wieder in die Position, die er zuvor innehatte und Jake tat es ihm gleich, wobei er gespielt feierlich eine Bekanntmachung verkündete.

„Wir schließen einen Pakt.“

Mathew erinnerte sich an das Wort, dass einem Schwur gleichkam, nur das man diesem Versprechen eine Frist hinzufügte, oder ein Ultimatum. Man gab ein Versprechen mit Konsequenz beim Scheitern. So legte man eine gewisse Sicherheit in den Schwur und man selbst war im eigenen Interesse an die gesprochenen Worte gebunden. In dem Film, den die drei vor kurzem gesehen hatten, hatte ein Mann einen Pakt mit einem Anderen und versprach, dass er seine Tochter retten würde. Diesen Pakt würde er einhalten, ansonsten würde er in den Tod gehen. Ihrem Vater hatten sie von diesem Film nichts gesagt, denn er war noch nichts für Kinder.

Ebenso hatte Mathew von anderen Pakten gehört, die Männer und Frauen mit dem Teufel für ihre Seele schlossen. Eine unverzeihliche Tat in seinen Augen. Mathew war nicht gläubig, ebenso wie seine Eltern. Doch er war sich sicher, dass sie gewisse moralische Vorstellungen hatten. Aber was die Überzeugungen anging, war er sich über Einzelheiten nicht sicher. Er vermutete, dass seine Mutter an etwas glaubte. Sie gebar sich vollkommen anders, als sein Vater und lehrte ihre Kinder viel über das Gute in der Welt und ihre eigenen Hoffnungen bezüglich einer besseren Welt. Doch was genau es war, an das ihre Mutter glaubte, war für Mathew ein Rätsel. Wie vieles, was seine Eltern anging. Seiner Ansicht nach hatten seine Eltern schon immer viele Geheimnisse vor der Welt und auch ihren Kindern. Er tat es mit dem Gedanken ab, dass dies bei allen Erwachsenen so sei.

„Worum geht es dabei?“

„Wir wollen auf unser Blut versprechen, dass wir unsere Familie beschützen, egal was geschieht. Niemand wird ihr etwas antun.“

Mathew war beeindruckt. Er fand diese Idee super. Und wer hätte diesem Pakt eher zugestimmt, als ein Teil dieser Familie?

„Ich will auch mitmachen!“

Es platzte geradezu aus ihm heraus und ehe er sich versah, saß er im Schneidersitz in dem Kreis vor der Kerze und Jake sprach ihn feierlich an.

„Du kannst noch aussteigen, wenn du das willst. Es ist ein Schwur auf dein Blut und dieser ist nicht umkehrbar. Du musst dafür auch dein Blut geben.“

Kyle holte ein altes Jagdmesser hervor, das er zum Angeln von seinem Stiefvater geschenkt bekommen hatte und Mathew sah entsetzt zu ihm und dem Messer. Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals und Magenschmerzen.

„Was? Du spinnst wohl!?“

Jake drehte den Kopf seines kleinen Bruders zu sich und zeigte ihm seine rechte Hand, in der ein kleiner Schnitt die Handfläche durchzog, aus dem noch immer Blut hervorkam.

Mathew war nicht sonderlich mutig, aber er war sehr stolz. Und niemals hätte er sich vor seinen Brüdern die Blöße gegeben, besonders nachdem ihm auch Kyle seine Wunde zeigte. Er reichte Kyle seine rechte Hand und biss die Zähne zusammen, als dieser schneller als gedacht mit der Klinge über seine Hand glitt. Ein unangenehmes Gefühl und ein stechender Schmerz, dann wurde das Gefühl von dem Bewusstsein abgelöst, dass warmes Blut die Handfläche bedeckte. Mathew sah zu seinen Brüdern mit anschwellender Brust und sie reichten ihm jeder eine Hand. So saßen sie nun im Kreis um die Kerze auf dem holzgefliesten Boden. Und als Mathew gerade fragen wollte, was nun geschehen würde, deutete Kyle mit seinem Kopf auf einen Zettel, der vor ihm lag. Mathew erkannte Kyles Handschrift und die Schrift war groß genug, dass er sie auch lesen konnte, obwohl es nur dieses Zwielicht gab. Jake hatte sich auch einen geschrieben und er sah die Beiden an, bevor er ihnen ein stilles Kommando gab. Dann lasen sie in Zimmerlautstärke vor, was dort stand und Mathew erkannte die Ähnlichkeit der Worte aus dem Film, nur etwas abgeändert, um ihrem Pakt zu entsprechen.

Dies ist unser Versprechen, dass wir auf unser Blut ablegen. Niemand möge ungestraft unserer Familie Schaden zufügen, komme was da wolle. Es soll ihnen kein Leid zustoßen, solange unser Blut noch durch unsere Adern fließt und unser Herz schlägt. Bis zum letzten Atemzug wollen wir sie beschützen und keine Macht im Himmel und auf Erden soll uns davon abhalten. Möge uns der Atem stocken und das Herz stehen bleiben, wenn wir es wagen, dieses Versprechen wissentlich zu brechen.

Mathew hatte beim letzten Satz gezögert, da er diese Form der Bestrafung etwas abartig fand, doch sie lasen es noch drei Mal vor und mit jedem Mal wurden sie selbstbewusster. Beim zweiten Mal ballten sie nacheinander und voneinander abschauend die geschnittene Hand über den Zetteln zur Faust und tropften ihr Blut darauf. Nach dem dritten Aufsagen des Verses, hielten sie das Stück Papier in die Flamme und verbrannten jedes davon. Die Flammen an den Zetteln nahmen unterschiedliche Farben an und Mathew lächelte ungewollt.

Was dies nach sich zog hätte zu dem Zeitpunkt keiner der drei Jungen geahnt. Als sie fertig waren und zufrieden die Hände lösten, stieß das kleine Fenster des Zimmers auf und ein eisiger Windstoß blies die Kerze aus. Mit einem Mal war es stockfinster und obwohl Mathews Brüder bei ihm waren, spürte er keineswegs Furchtlosigkeit. Im Gegenteil dazu spürte er die größte Angst, die er je erleben musste. Jene tiefe Angst, die aus den Abgründen seiner Seele hervor kam. Die Angst, die ihm Schmerzen bereitete und in jedes Glied seines Körpers vordrang. Eine die er nur erahnen konnte, wenn er die Träume hatte, die am realistischsten waren. Sie war betäubend und schmerzhaft zugleich. Sie stieß wie Stromschläge durch seine Glieder. Ein unangenehmes Prickeln breitete sich in seinen Eingeweiden aus und kroch unter seiner Haut umher, wobei es ihm jede einzelne seiner Körperfasern auf hässliche Weise bewusst machte.

Es war, als würde etwas um sie herumschleichen und Mathew hätte schwören können, dass er dessen Absicht kannte. Es war eine schreckliche Erkenntnis, die ihm etwas sagte. Mathew war zu jung zu erkennen, was es war, aber nicht zu jung zu wissen, dass es nichts Gutes war. Da war eine seltsame Verbindung zu der unsichtbaren Macht, die sich hier manifestierte. Er versuchte sich davon zu lösen. Er versuchte sich einzureden, dass das alles nicht real sei. Es musste wieder ein Traum sein. Andererseits hatte er keine Sicherheit. Wenn er jetzt zu sich selbst sagen würde, dass er aufwachen müsse und es stellte sich dann heraus, dass all das doch real war. Er konnte nicht zulassen, dass seine Brüder die Erkenntnis seines Zustandes erlangen würden. Denn er musste es laut sagen und nicht nur einmal. Noch eine Erkenntnis gab es in diesem Moment. Etwas Vertrautes jedoch keineswegs Angenehmes ging mit dem unangenehmen Gefühl einher, dass er gerade hatte. Mathew kannte den Schatten bereits. Die Gegenwart von etwas ebenso Bekannten wie Beängstigendem wurde ihm bewusst. Diese Furcht kannte er jedoch bisher nur aus seinen Träumen. Und er erkannte eine Absicht hinter dieser unheimlichen Begegnung. Als hätte es eine starke, übles verheißende Verbindung zwischen ihm und dieser Wesenheit gegeben. Jenes Wesen, da war er sich sicher, wollte wissen, ob sie es ernst meinten. Etwas in diesem Raum zweifelte an ihrem Vorsatz und schlich nun aus dem Zimmer, die Treppe hinunter. Es war nicht zu hören, doch Mathew konnte es mit geschlossenen Augen sehen. Es war seinen Träumen so unglaublich ähnlich. Es war der wohl schlimmste Moment in seinem Leben. Denn er wusste, dass heute Nacht jemand sterben musste.