Palazzo Iran - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem - E-Book

Palazzo Iran E-Book

Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

0,0

Beschreibung

Hedwig erinnert sich noch gut an die Gondelfahrt in Venedig mit ihrem Vater, als sie beide einen besonders auffälligen Palast entdeckten. Venedig war eine kleine Unterbrechung auf der Heimfahrt ins väterliche Haus zu der zweiten Frau ihres Vaters und der kleinen Halbschwester Elfriede. Das kleine Mädchen ist der Liebling aller. Als früh die Mutter und später der Vater sterben, zieht Hedwig ihre Schwester selber groß. Als zweiten Vormund hatte ihr Vater seinen Freund Erich von Buchwald bestimmt. Bald wird der Universitätsprofessor ständiger Gast im Haus. Eines Tages, Elfe ist fast schon neunzehn, hält er, nicht wie heimlich erwartet und erhofft, um Hedwigs, sondern um Elfes Hand an. Die Hochzeitsreise geht nach Venedig, geplant ist anschließend ein längerer Forschungsaufenthalt von Erich in dieser Stadt. Hedwig, die ihrer Schwester und ihrem Schwager nach kurzem Zögern ihre Liebe durchaus gönnt, nimmt die Einladung, dort mit beiden ein paar Wochen zu verbringen, gerne an. Bei einem Stadtbummel entdeckt Hedwig den alten Palast wieder, der ihr und ihrem Vater damals so sehr aufgefallen war. Erstaunlicherweise ist Elfe geradezu magisch angezogen. Sie erreicht tatsächlich einen Besuch, obwohl das Gebäude der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Als Erich, Hedwig und Elfe anklopfen, begegnet ihnen ein Mann wieder, an den sich Elfe aus einem Venedigbesuch in Kinderzeiten erinnert. Und auch die Räume des Palast Iran, so der Name, haben eine eigenartige Wirkung auf sie.-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 217

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Palazzo Iran

Roman

Saga

Palazzo Iran

© 1910 Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711517581

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Es ist kein leeres Wort, dass die Steine reden. Ganz abgesehen von den Edelfteinen, deren Feuer auf besonders empfindliche Naturen direkt beeinflussend wirkt, sind es die ganz gemeinen, einfachen Mauersteine, die, den meisten Menschen unbewusst, die Gabe des Redens besitzen, und wer sich die Mühe gibt, darüber nachzudenken, dem wird es vielleicht zum Bewusstsein kommen, wie merkwürdig eindringlich manch ein Gebäude schon zu ihm gesprochen hat. Nicht alle, denn es sprechen ja auch nicht alle Menschen zu uns, das heisst ihre Gesichter sagen uns nichts. Wie unter den Menschen, so gibt es auch unter den Häusern nüchterne, nichtssagende, alltägliche, hausbackene, deren Interesse mit der Küche anfängt und mit dem Keller aufhört. Dann nach aussen herausgeputzte, innerlich fürchterlich ungemütliche Häuser, in denen nichts echt ist, nichts gediegen: dünne Mauern, dünne Balken, billige Tapeten, pappener Stuck und unsolide, prahlerische Vergoldungen. Und dann wieder einfache, stille, graue Häuser, anspruchslos, mit Spuren von Wind und Wetter und doch so eindringlich zu uns sprechend wie eine Ballade, die uns in Mark und Bein erschauern macht. Und je älter das Haus, desto deutlicher redet es, ja, es gibt Häuser, die einen geradezu anrufen, zum Stillstehen zwingen und einem etwas sagen, das vage Empfindungen in einem weckt, weil wir die Sprache nicht verstehen, sondern nur den Ausdruck auf uns wirken lassen. So ging’s mir vor Jahren mit einem Haus in Venedig. Zwar haben in dieser wunderbaren Stadt die Gebäude ganz besonders die Gabe des Redens — die Steine von Venedig besitzen eine Beredsamkeit wie nirgends andere in der ganzen Welt, und die Ruhe, die über diesem Orte ohne Wagen, Pferde und Automobile thront, macht wahrscheinlich, dass diese Stimmen so ganz besonders deutlich hörbar sind. Freilich, von Hundert hören sie Neunzig vielleicht trotzdem nicht, aber das liegt nicht an den Steinen, gewiss nicht —

Damals, in der Zeit, von der ich rede, war ich noch jung und noch nicht so feinhörig für solche lautlose Stimmen, wie man es später im Leben erst wird, denn im Gegensatz dazu, wie der physische Mensch seine Fakultäten mit den Jahren abnutzt, werden gewisse geistige Organe der Empfindung zugänglicher. Trotzdem war damals die Wirkung der Sprache der Steine auf mich eine so packende, dass die Jahre es nicht vermochten, sie abzuschwächen oder gar sie verklingen zu machen, und ich ertappte mich oft darauf, dass ich darüber nachsann, was die Bedeutung dieses Eindrucks sein mochte, denn ich hatte wohl gehört, aber nicht verstanden, nur leise fühlend, dass es etwas ganz Aussergewöhnliches war, was diese Mauern mir erzählen wollten.

Sechzehn Jahre sollten darüber hingehen, ehe mir klar wurde, dass es eine Warnung war. Damals war ich achtzehn Jahre alt und mein lange verwitwet gewesener Vater hatte mich aus dem Pensionat, in dem ich erzogen wurde, abgeholt, um mir das Vaterhaus zurückzugeben, in dem eine neue Hausfrau waltete und ein nun zweijähriges Halbschwesterchen Leben brachte. Er bekleidete damals den Gesandtschaftsposten in Rom, und auf dem Weg dahin liess er mich Venedig sehen, wie es eben die meisten Fremden sehen: den Markusplatz mit Basilika und Dogenpalast und ein paar andere Sehenswürdigkeiten, zu denen die Gondel uns brachte: also ein Stückchen von dem Venedig der Fremden, die von dem Venedig der Venezianer keine blasse Ahnung haben und sich trotzdem einbilden, dass sie die Meereskönigin „kennen“. Die Gondel hatte uns denn auch eines Tages zur Kirche Santa Maria Formosa mit der herrlichen heiligen Barbara des Palma Vecchio gebracht, trotzdem man zu Fuss vom Markusplatz in zehn Minuten dahin gelangen kann, und als wir die Kirche wieder verliessen, kam meinem Vater die Erinnerung an ein Gemälde von Tintoretto: die heilige Agnes, das er früher einmal in der Kirche der Madonna del Orto bewundert hatte, und das er mir zu zeigen wünschte, weil auf diesem Bild eine Innigkeit und Zartheit der Auffassung in der Figur der Heiligen ganz besonders zu dem deutschen Gemüt spräche, die bei einem Maler wie Tintoretto doppelt überraschend wirkte. Wir stiegen also wieder in unsere Gondel und glitten in ihr durch ein Gewirr von Kanälen, in dem wir beide weder aus noch ein gewusst hätten, wäre uns die Richtung überlassen worden. Wie viel Ecken der blitzende, hellebardenartige Schnabel unserer Gondel haarscharf umschiffte, unter wie viel Brücken wir hindurchschlüpften, das habe ich mir erst viel später einmal auf einer Karte klar gemacht; damals war es einfach ein unentwirrbares Labyrinth, durch das wir uns wanden. Dann bog die Gondel einem Garten gegenüber links — das weiss ich noch genau — in einen schmalen Kanal, und ich setzte mich mit einem gewissen Gefühl der Erwartung aufrecht aus meiner bequem lehnenden Stellung auf; dunkelgrüne, hohe Säulenzypressen, mattgrüne Weiden und schönblättrige hohe Ahornbäume sahen über eine mit arabischen Zinnen gekrönte Backsteinmauer aus sattgrünem Gebüsch von Kirschlorbeer herüber, und an den Garten schloss sich die Wasserfront eines imposanten Palastes mit den marmoreingefassten Spitzbogenfenstern byzantinisch-arabischer Baukunst, die eine Spezialität Venedigs ist. Die mit vergoldeten Gittern versehenen Fenster in der Höhe des Portals, die gleichfalls vergitterte Fensterreihe des Entresols, dann die Hauptetage mit den Balkons und die darüberliegende zweite Etage mit den Schlafräumen; diese Anordnung entsprach ganz dem orthodoxen venezianischen Palast, der durchaus keinen Eindruck der Vernachlässigung machte. Die Fremden halten die Patina, mit der das Venedig eigentümliche Klima dem weissen Marmor der Paläste und Kirchen überzieht, einfach für Schmutz und reden mit grosser Überlegenheit von Scheuerbürste und Seife; der Venezianer aber hütet sich, diese Patina zu entfernen, ob mit Recht oder Unrecht, mag dahingestellt bleiben, aber ohne sie verlöre Venedig sicher viel von seiner Eigenart. Je älter das Haus, je dunkler die Patina darauf.

„Vierzehntes Jahrhundert,“ hörte ich meinen Vater murmeln und sah seinen Blick interessiert die Front des Palastes überfliegen. Gern hätte ich gefragt, wie dieser Palast hiesse, aber ein merkwürdiges Gefühl wie von einer halben Betäubung machte, dass ich das Wort nicht herausbrachte; es schnürte mir etwas die Kehle zu, eine Beklemmung, die wie eine vage Furcht wirkte, hatte mich gepackt und lastete auf mir mit einer solchen Intensität, dass ich darunter willenlos wurde. Doch das alles war nur das Werk von Minuten, nein, Sekunden, denn es verschwand, als die Gondel die Front des Palastes entlang gerudert, unter einem Brückenbogen hinweg den Kanal verfolgte. Die Brücke hinter uns, wendete ich mich noch einmal um, sah in der Seitenfront des Palastes, nach der ziemlich breiten Calle gelegn, ein wundervoll verziertes, arabisches Portal mit einem Balkon darüber, der wie von weissen Spitzen gemacht schien, sah noch säulengetragene Spitzbogenloggien dahinter, und dann schob sich mit der dahinschiessenden Gondel die entschwindende Wasserfront immer enger zusammen und war bald ganz meinen Blicken entschwunden.

„Das war ein merkwürdiger Palast,“ sagte ich aufatmend.

„Sehr merkwürdig,“ bestätigte mein Vater mit Nachdruck und setzte im selben Atem hinzu: „Ja, warum denn merkwürdig? Interessant, architektonisch interessant. Ein Gebäude, das sicher seine Geschichte hat.“

„Ist dir das auch so vorgekommen?“ fragte ich eifrig.

„Nun,“ meinte mein Vater lächelnd, „man darf schon annehmen, dass ein Haus dieses Alters manches erlebt hat in seinen Mauern — in einer Stadt wie Venedig obendrein. Denn eines Patriziers Sitz ist das sicher oder war doch einer in jenen Tagen der alten Republik, als die Namen des Goldenen Buches die Geschichte Venedigs machen halfen. Welches dieser alten Geschlechter hätte nicht zum mindesten seine ‚Commedia‘ aufzuweisen? Was ist nicht allein intrigiert worden, um in den Rat der Zehn zu gelangen, einer der ‚Capi‘ zu werden und endlich im Rat der Drei zu sitzen! Das war die Macht, deren ohnmächtiger Schatten den Namen ‚Doge‘ führte. Und doch riss man sich auch darum, dieser Schatten zu sein. Wer weiss, wie viele solcher Schatten aus dem Hause hervorgegangen sind, das du eben noch so merkwürdig gefunden.“

„Mir kam es vor, als ob die Schatten noch darin wären,“ meinte ich mit einem nachträglichen leisen Schauer.

Mein Vater antwortete darauf nichts, aber ich las in seinen Augen, die er auf mich heftete, dass er gefühlt wie ich. Und doch — was gingen uns die Schatten eines Hauses an, das wir beide heute zum erstenmal sahen und vielleicht auch zum letztenmal, nach dessen Namen zu erkundigen wir sogar unterliessen, trotzdem unsere Gondeliere uns sicher die weitestgehende Auskunft über den Palazzo geben konnten, denn ein venezianischer Gondelier kennt nicht nur jedes Haus, sondern auch seinen vergangenen und gegenwärtigen Besitzer samt der gesamten Chronik ihrer Familien von A bis Z.

Unsere baldige Abreise von Venedig und das recht bewegte Leben im Hause meines Vaters in Rom, ja die ganze darauffolgende Epoche vermochten nicht, das Bild des Hauses abzuschwächen oder auszulöschen, und wenn es mir auch im Lauf der Tage nicht einfiel, so war ich sicher, von Zeit zu Zeit davon zu träumen. Dann sah ich es vor mir wie an jenem Morgen, als wir, mein Vater und ich, zur Kirche der Madonna del Orto fuhren, aber was mir sonst noch im Zusammenhang mit dem Palast träumte, dessen konnte ich mich am Morgen niemals mehr erinnern; es blieb eine nebelhafte Reihe von Bildern, die ich nicht um die Welt festhalten konnte.

Später, Jahre später, als ich noch einmal Venedig besuchte, gab ich mir Mühe, den Palast wiederzufinden, aber es gelang mir nicht. Meine Beschreibung passte auf so viele andere venezianische Paläste, dass ohne das Wissen des Namens damit nichts auszurichten war. Ich liess mich wiederum von Santa Maria Formosa zur Madonna del Orto rudern, aber es mochten wohl dahin mehrere Wege, beziehungsweise Kanäle führen, denn trotzdem ich dem Gondelier das gesuchte Haus genau beschrieb, und er mir versicherte, dass er schon wüsste, welches ich einzig und allein meinen könnte, so brachte er mich doch nur triumphierend zum Palazzo Giovanelli, der wohl freilich den gleichen Stil aufwies und doch so grundverschieden von dem gesuchten war.

Und bei jenem Aufenthalt in Venedig war es, dass Elfe ihre erste Eroberung machte, über die wir uns mit der Kurzsichtigkeit, nein, mit der Blindheit der Menschen, die nur das in ihrem Gesichtskreis Liegende sehen können, königlich amüsierten.

Ja so — ich habe ja noch gar nicht gesagt, wer Elfe ist — war!

Es wird mir heute noch schwer, von ihr zu sprechen, trotzdem so viele Jahre schon darüber hingegangen sind, dass wir sie verloren haben. Der Schmerz verjährt eben nicht; er wird wohl milder, aber er ist da, und wenn ein noch so leiser Finger die alte, lange vernarbte Wunde berührt, dann wacht er auf und raubt dem Tag die Ruhe und der Nacht den Schlaf.

Elfe war meine Halbschwester aus meines Vaters zweiter Ehe, und weil sie ihre liebe, schöne Mutter in so zartem Alter wieder verlor, so trat ich an deren Stelle und zog dieses Kind auf, das wir so abgöttisch fast geliebt, und das all dieser Liebe so wert war. Eigentlich hiess sie Elfriede, aber weil sie so zierlich und fein war und eine so märchenhafte Fülle welligen, flachsblonden Haares besass und eine so durchsichtige, weisse Hautfarbe und ein Paar Augen wie ein Paar hellblaue Saphire, so kam ich darauf, diesen Namen nicht mit dem üblichen, breitgetretenen „Frieda“ abzukürzen, sondern „Elfe“ daraus zu machen, welche Abkürzung die Eltern sogleich mit Enthusiasmus adoptierten. Schwer wie es meiner Stiefmutter wurde, von diesem liebenswürdigen, schönen und hochbegabten Kind zu scheiden, so wurde es ihr doch sichtlich leichter, als ich ihr das heilige Versprechen gab, Elfe zu behüten und zu beschützen wie meinen Augapfel. Sie wusste, dass ich nicht leicht heilige Zusicherungen machte, aber dass ich hielt, was ich versprach. Ich war ja selbst noch sehr jung, als ich dieses Versprechen gab, aber es beruhigte die Sterbende trotzdem. Zuerst wurde es mir leicht gemacht, es zu erfüllen, weil ja mein Vater noch da war, dem ich den Haushalt führte und die Hausfrau vertrat, wenn er bei sich empfing. Ich soll das ganz gut und würdig gemacht haben. Aber nach wenigen Jahren starb auch mein Vater, und er bestimmte mich in seinem Testament zum höchsten Zeichen seines Vertrauens zur Vormünderin meiner Schwester und ernannte als Gegenvormund und männlichen Berater einen Freund, den ich damals noch gar nicht kannte, doch von dem ich durch meinen Vater wusste, dass er, wie man so sagt, „grosse Stücke“ von ihm hielt als Mensch wie als Gelehrter. Ich trat dann natürlich in Briefwechsel mit Herrn v. Buchwald, der damals als Professor der Geschichte an der Universität Heidelberg wirkte, und er billigte es vollkommen, dass ich zunächst mit unserem Mündel in Rom blieb und ihren Unterricht durch erlesene Lehrer nicht unterbrach. Den italienischen Vorurteilen Rechnung tragend, nahm ich eine ältere Dame ins Haus zu uns, eine Deutsche und entfernte Verwandte von uns, die nach Rom gekommen war, um sich dort eine Existenz irgendwelcher Art zu gründen durch Unterricht oder Fremdenführung oder was sonst der Zufall ergab. Sie war eine tapfere, tätige Frau, diese Baronin Grabow, und ich habe es nie bereut, sie zu unserer Duenja erwählt zu haben, denn sie besass das feinste Taktgefühl von der Welt und eine unversiegbare, unverwüstliche gute Laune, grosse Herzenswärme und jene Liebenswürdigkeit, die ihres Sieges allemal gewiss ist. So lebten wir drei erst sehr zurückgezogen, dann etwas geselliger in der schönsten Eintracht, bis Elfe fünfzehn Jahre alt war, und dann glaubte Professor v. Buchwald, mit dem der Verkehr ein brieflicher geblieben war, dass es nun an der Zeit sei, die Erziehung unseres Mündels in einem deutschen Institut zu vollenden, und er hatte wohl recht, denn wenn Elfe auch ganz nach deutschen Prinzipien erzogen worden war, so hatte sie italienischen Boden doch kaum jemals verlassen, meist nur mit italienischen Gespielen verkehrt und vom Deutschtum nur so viel verspürt, als Rom mit seiner deutschen Kolonie zu bieten vermag. Trotzdem aber war sie ihrer Erscheinung und ihrem Wesen nach das Inkarnat einer Deutschen, dafür hatten wir, „Tante“ Grabow und ich, redlich gesorgt. Trotzdem mussten wir aber dem Vorschlag Herrn v. Buchwalds recht geben, und nicht ohne tiefes Bedauern brachen wir in Rom unsere Zelte ab, um nordwärts zu ziehen.

Auf dem Wege dorthin war es, dass wir Venedig besuchten, für das Else sich von meinem Enthusiasmus anstecken liess, und dort machte sie, wie schon erwähnt, ihre erste Eroberung, über die Tante Grabow und ich uns in unserer Blindheit königlich amüsierten. Das geschah, als wir einen Ausflug nach Murano machten, nicht um unsere Zeit damit zu vergeuden, die Glasfabriken zu besuchen, sondern um Bellinis lieblichste Madonna und seinen entzückendsten Engel in der Kirche San Pietro Martyr zu sehen. Wir hatten, da die Dampferverbindung nur unbequem zu erreichen ist, eine Gondel genommen, und offen gesagt, es lag mir auch nichts daran, Elfe auf die stets überfüllten „Vaporetti“ zu bringen, da sie dort immer Aufsehen erregte mit ihrer lichten Erscheinung. Ich liess sie damals noch das Haar lang tragen, und jeder, der ihr begegnete, drehte sich sicher noch einmal nach ihr um, die flachsblonde, silberschimmernde, wellige Fülle dieses wunderbaren Haares zu bewundern, um dann auch dem einzig schönen Gesicht den Tribut zu spenden, dem das Schönheitsgefühl des Italieners einen so ungeheuchelt naiven Ausdruck zu geben versteht. In Rom war es ja nicht anders gewesen, aber da kannte man uns, und wer zu unseren Kreisen gehörte, sorgte dafür, dass die Bewunderung der Bewunderten diskret verhüllt blieb. Elfe selbst war sich ihres Zaubers ganz unbewusst; wenn die Leute sie ansahen, schob sie das auf ihr ungewöhnliches Haar und lachte herzlich über das unleugbare Aufsehen, das sie damit machte. Nun hätte man die Pracht ja wohl auch in einen oder zwei dicke Zöpfe zwingen können, aber unter dem Vorwand, dass lose getragenes Haar für dessen Wachstum vorteilhafter sei, gönnte ich mir die gewiss verzeihliche Eitelkeit, mit diesem köstlichen Besitz meiner Schwester prahlen zu können, und Tante Grabow unterstützte schmunzelnd dieses „Laster“, wie sie es scherzend nannte.

Wir fuhren also mit der Gondel nach Murano und mussten uns erst durch eine Menge der schmaleren Kanäle durchwinden, ehe wir das offene Wasser an der Fondamenta Nuova erreichen konnten. Da passierte es uns, dass in einem ganz schmalen Kanal oder Rio, wie der Venezianer diese Wasserstrassen nennt, ein breiter Lastkahn den Weg versperrte, und eine uns entgegenkommende Gondel keilte uns obendrein noch völlig ein. Hoffnungslos sind ja dergleichen oft vorkommende Zufälle nicht, denn die Geschicklichkeit der Barkenführer und Gondeliers entwirrt sicher den Knäuel, aber man muss Geduld haben, schon um den Redestrom der dazu heftig gestikulierenden Ruderer sich ergiessen zu lassen, denn so etwas stumm und still abzumachen, wäre einem Italiener unmöglich. Der Deutsche schimpft ja in solchen Fällen auch. Die uns entgegengekommene Gondel lag so dicht neben der unseren, dass die Bordränder aneinander rieben; — wir hätten dem einzelnen Herrn, der darin sass, die Hand geben können, ohne uns auch nur aus unserer bequemen Stellung aufzurichten. Der Herr in der Gondel gehörte sicher den besten Gesellschaftskreisen an; seine Erscheinung war eine sogenannte aristokratische, und sein Kopf mit dem farblosen Teint und dem hochgebürsteten, langspitzigen dunklen Schnurrbart, den tiefliegenden, sehr glänzenden dunklen Augen unter starken, über der Nase zusammengewachsenen Brauen war sicher kein gewöhnlicher, wenn auch für meinen Geschmack nicht gerade sympathisch. Er hatte den „naso tipico della nobiltà Veneziana“, das heisst die eigentümlich hakenförmig gebogene Nase mit grossen, sensitiven Nüstern, die mageren Gesichtern leicht etwas Raubtierartiges gibt, die man immer wieder auf den Bildern der alten venezianischen Meister sehen kann, und gerade einen solchen Ausdruck hatte der Kopf des Herrn in der Gondel neben uns. Er hatte Elfe kaum erblickt, als er, der ziemlich apathisch dagesessen, sich aufrichtete und meine Schwester ansah, wie ich es für absolut unverträglich mit dem guten Ton halte, selbst wenn man die gewohnte naive Bewunderung der Südländer für die weibliche Schönheit davon abrechnet: was zuviel ist, das ist zuviel, und es dauerte noch obendrein so unerhört lange, bis die Gondoliere imstande waren, ihre Fahrzeuge zunächst rückwärts zu bewegen, um der Lastbarke Raum zu geben, sich weniger breitzumachen. Und diese ganze Zeit stierte der Mann mit dem „naso tipico“ auf Elfe, bis diese trotz ihrer Harmlosigkeit wirklich verlegen wurde und sich mit dem Rücken gegen ihren Bewunderer auf das Seitenbänkchen setzte, das ihrem bisherigen Platz gegenüberlag. Und als die Bahn frei war und die beiden Gondeln hart aneinander vorüberglitten, da beugte sich der Herr nicht nur aus der seinen, um die Nummer der unseren zu erkennen, sondern er glitt auch mit der Hand wie von ungefähr über die schimmernde Masse von Elfes Blondhaar, das über den Bord der Gondel herabhing — eine Bewegung, die sie selbst zum Glück nicht sah und kaum merkte, Tante Grabow und mich aber in eine Empörung versetzte, die aber nicht gross genug war, um sich später nicht unter uns in Lachen aufzulösen.

Und wir hätten doch weinen sollen!

Unsere beiden Gondeliere sahen sich lachend an, als wir vorbei waren.

„Il Persico,“ riefen sie sich zu.

„War das ein grässlicher Mensch,“ sagte Elfe halb lachend, halb empört. „Wisst ihr, wie er aussieht? Genau wie der schwarze Kater unserer Hausmeisterin in Rom, vor dem ich immer ein bisschen Angst hatte, weil er einen mit solch funkelnden Augen ansah. Ich hätte dem unverschämten Menschen am liebsten eine Nase gedreht.“

„Den Rücken gedreht war wirksamer und mehr Ladylike,“ meinte Tante Grabow trocken.

Elfe lachte hell auf.

„Ich glaub’s auch,“ gab sie lustig zu. „Was für ein Glück, dass ihr beide mich so gut erzogen habt!“

„Anerkennung tut immer wohl,“ lächelte Tante Grabow, und Elfe versicherte ihr mit einer Verbeugung, „es wäre gern geschehen.“ So neckten sich die beiden eigentlich den ganzen Tag, weil sie sich eben sehr liebhatten. Es war ja auch ganz unmöglich, Else nicht liebzuhaben — sie brachte den Sonnenschein dahin, wo sie grade ging und stand, und es war etwas ganz Unwiderstehliches in ihrer Art und Weise.

Mit ihrem Vergleich des „schwarzen Katers“ hatte sie auch gleich und gründlich den Bann gelöst, den die Person dieses „zufällig“ Begegneten über uns verhängt, und er wurde in der Folge noch oft zum Gegenstand harmlosen Gelächters für uns. „Il Persico,“ der Perser, hatten ihn unsere Gondeliere genannt. Gern hätte ich gefragt, wer der Herr war, aber die Neugier schien mir zu gewöhnlich, um sie befriedigen zu dürfen, und stolz unterdrückte ich die Frage; das war das zweite Glied in der Kette, der wir dann noch hätten entrinnen können, aber man ist ja so blind, so blind! Wenn er ein Perser war, so reflektierte ich, sodann konnte er kein Italiener und speziell kein Venezianer sein, und wir würden ihm gottlob nie wieder begegnen.

Wir Menschen sind mit dem „nie“ immer so rasch zur Hand, und doch liegt eine Überhebung in dieser bestimmten Form, für die wir eigentlich gar keinen Grund haben. Drei Jahre kamen nun, die meinem „nie“ aber recht zu geben schienen. Wir hatten uns auf den Rat von Elfes Gegenvormund in Heidelberg niedergelassen, wo meine Schwester die Selekta eines nach modernen Prinzipien geleiteten Instituts besuchte und dabei immer schöner heranblühte. Professor v. Buchwald trat in den freundschaftlichsten Verkehr zu unserem Haushalt, ja, er war uns allen bald genug ganz unentbehrlich geworden. Er war auch einer unter Tausenden, und ich verstand bald genug die Wertschätzung meines Vaters für diesen Freund, an dem er so treu gehangen — ich liebte ihn mit demselben gläubigen Vertrauen, das ihm mit mir die Sorge um unseren Liebling anvertraut. Else selbst hatte an dem Tag keine Ruhe, an dem sie „den süssen Onkel“ nicht sah, ja, es wollte mich manchmal fast eine eifersüchtige Regung überschleichen, wenn das Kind ihn mir vorzuziehen schien. Aber das war Torheit, denn mir ging’s wie ihr, und Tante Grabow erklärte feierlich, dass, wenn Herr v. Buchwald nicht bald um ihre Hand anhielte, sie selbst die Initiative ergreifen würde, und es ihr egal wäre, ob ich eifersüchtig würde oder nicht. Damit brachte Tante Grabow das grünäugige Ungeheuer in meiner Seele gründlich zum Schweigen, und das war ja auch ihre Absicht. Herr v. Buchwald war jünger wie mein Vater, aber als Nachbarskinder hatten sie schon miteinander gespielt, als sie noch schürzentragende Buben waren. Da Herr v. Buchwald aber weniger bemittelt war, so verbot es sich für ihn, mit meinem Vater die diplomatische Karriere einzuschlagen, und seine Vorliebe für die Geschichte wies ihm dann dieses Fach für die Universitätslaufbahn, in der er es nun zum ordinierten Professor gebracht, als welcher er seit fast zehn Jahren an der gleichen Stelle wirkte, gekannt und geachtet von jedermann, geliebt von seinen Studenten. Er besass auch eine äussere Erscheinung, die man nicht leicht übersah: gross, kräftig, von guter, aufrechter, freier Haltung, hatte er einen höchst bedeutenden Kopf, der dadurch auffiel, dass sein breitgetragener langer Vollbart genau in der Mitte in einem breiten Strich ergraut, korrekter gesagt, schneeweiss war, wie die weisse Lage in einem Onyx. Diese Eigentümlichkeit wirkte sehr frappierend und gab dem an sich schon markanten Kopf mit dem wundervollen Profil eine Originalität, die eine ganz zufällige, ungesuchte war. Aber die Schönheit dieses Kopfes waren seine Augen, graue, dunkelumrandete Augen von einer solchen Güte und Treue des Ausdrucks, dass man dem Mann gut sein musste, ehe man noch mit ihm gesprochen. Er lebte, ein einsamer Mann, von einem alten Drachen von Haushälterin schlecht und recht versorgt, ein stilles Leben für sich und suchte nur wenig von der Geselligkeit der Universitätsstadt auf, aber er kam gern zu uns und brachte den grössten Teil seiner Abende bei uns zu, und seine abgeklärte Lebensweisheit, seine ruhige, ungezwungene Heiterkeit, die so recht der Spiegel seiner Seele war, regte uns an und tat uns so recht von Herzen wohl. Und es kam eine Zeit, in der ich Törin mir einbildete, er käme meinetwegen.

Tante Grabow war nicht ohne Schuld daran.

„Ich weiss gar nicht, was du immer mit deinem Alter zu kokettieren hast,“ sagte sie oft. „Mit dreiunddreissig Jahren ist man doch noch kein Methusalem, besonders wenn man so aussieht wie du. Na, tu’ man nicht so, als ob du das nicht wüsstest! Hast du einen normalen Spiegel oder nicht? Du bist eine riesig vornehme, jugendliche Erscheinung und wirst dich mit deinem brünetten Teint noch sehr lange so erhalten. Du und Elfe, ihr seht wie Tag und Nacht aus. Na, insofern doch nur, als sie so licht und du so dunkel bist. Es gibt sehr schöne Nächte, meine liebe Hedwig, und du bist eine solche für viele Geschmäcker. Ich will dir nicht etwa schmeicheln oder dich gar anborgen, weil ich das sage: es ist meine volle Überzeugung, die ich, scheint’s mir, mit denen zu teilen scheine, denen du mit diesen schlanken weissen Händen Körbe geflochten hast. Na natürlich, du hast dir aus diesen Leuten allen nichts gemacht, folglich hast du sie auch abgewiesen. Elfe war dazu der sehr willkommene Vorwand — nein, rede nicht, Hedwig, das weiss ich besser wie du, denn Else konntest du auch als verheiratete Frau erziehen. Es ist Unsinn, das Gegenteil zu behaupten. Ja, und was ich eigentlich hatte sagen wollen: unser lieber Professor ist sicher meiner Ansicht. Ich werde ihn mal darüber befragen. Das gibt ihm vielleicht Mut — diese überständigen Junggesellen wissen ja meist nicht, wie sie es anfangen sollen, und darüber vergeht die Zeit und mit ihr das Leben.“

Ich musste die gute Tante Grabow bei allem, was ihr heilig war, beschwören, von ihrem gutgemeinten Vorhaben abzustehen, obgleich ich ganz sicher hätte sein können, dass sie das Gewollte mit ihrem unfehlbaren Takt zur Sprache gebracht hätte, dem Takt, der mich bestimmt nie kompromittiert hätte. Wahrscheinlich hatte sie überhaupt nur in ihrer Weise gescherzt; jedenfalls war sie genau so mit Blindheit geschlagen wie ich, und was ich mir auch immer einbildete, kein Wort unseres Freundes fiel, das mich darin hätte bestätigen können.