Pan Wolodyjowski: Der kleine Ritter - Henryk Sienkiewicz - E-Book
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Pan Wolodyjowski: Der kleine Ritter E-Book

Henryk Sienkiewicz

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Beschreibung

In Henryk Sienkiewiczs Buch 'Pan Wolodyjowski: Der kleine Ritter' wird die Geschichte des tapferen polnischen Ritters Wolodyjowski erzählt, der im 17. Jahrhundert gegen die osmanischen Truppen kämpft. Sienkiewicz nutzt einen mitreißenden Erzählstil, der den Leser in die spannenden Schlachten und politischen Intrigen eintauchen lässt. Das Buch bietet einen interessanten Einblick in die Traditionen und Konflikte dieser Zeit und zeigt die moralischen Dilemmas, mit denen die Charaktere konfrontiert sind. Sienkiewicz gewinnt durch seine detaillierte Darstellung historischer Ereignisse und seiner tiefgreifenden Charakterentwicklung an Tiefe und Authentizität. Henryk Sienkiewicz, ein polnischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, wurde für seinen historischen Realismus und seine psychologische Tiefe bekannt. Seine eigene Erfahrung als Korrespondent während des polnisch-russischen Krieges beeinflusste seine Werke, die oft patriotische Themen und eine kritische Sicht auf politische Macht beinhalteten. 'Pan Wolodyjowski: Der kleine Ritter' ist ein weiteres Beispiel für Sienkiewiczs Fähigkeit, historische Ereignisse mit packenden Charakterstudien zu verbinden und den Leser in vergangene Epochen zu transportieren. Für Liebhaber historischer Romane und Fans von Abenteuergeschichten ist 'Pan Wolodyjowski: Der kleine Ritter' von Henryk Sienkiewicz ein must-read. Durch seine fesselnde Erzählkunst entführt Sienkiewicz den Leser in eine Welt voller Tapferkeit, Leidenschaft und politischer Intrigen, die noch lange nach der letzten Seite im Gedächtnis bleibt.

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Henryk Sienkiewicz

Pan Wolodyjowski: Der kleine Ritter

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Erster Teil
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
Zweiter Teil
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
Dritter Teil
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
Epilog

Pan Wolodyjowski, der kleine Ritter Studienkopf von P. Stachiewicz.

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

Nach Beendigung des ungarischen Krieges, als die Vermählung des Herrn Andrzej Kmicic mit Fräulein Aleksandra Billewicz gefeiert worden war, wollte ein ebenso berühmter Kavalier, der sich keine geringen Verdienste um die Republik erworben hatte, Herr Jerzy Michal Wolodyjowski, Obrist der Laudaschen Heeresabteilung, ein Ehebündnis mit Fräulein Anna Borzobohata Krasienski eingehen.

Indessen traten ihm allerlei Hindernisse in den Weg, wodurch die Heirat verzögert und hinausgeschoben wurde. Fräulein Borzobohata war von der Fürstin Jeremiowa Wisniowiecki erzogen worden, ohne deren Einwilligung sie nimmermehr in die Heirat willigen wollte. Daher mußte Herr Michal, der unruhigen Zeiten wegen, seine Verlobte in Wodokty zurücklassen und sich allein nach Zamos aufmachen, um die Einwilligung und den Segen der Fürstin zu erbitten.

Doch ihm leuchtete kein günstiger Stern, denn die Fürstin befand sich nicht mehr in Zamos, sondern hatte sich, der Erziehung ihres Sohnes wegen, an den kaiserlichen Hof nach Wien begeben. Der beharrliche Ritter folgte ihr dorthin, wiewohl dies viel Zeit in Anspruch nahm.

Nachdem er aber die Angelegenheit zu seiner Zufriedenheit erledigt hatte, kehrte er wohlgemut in die Heimat zurück.

Es waren unruhige, bewegte Zeiten hier, ein großes Kriegsheer wurde zusammengezogen, denn in der Ukraine dauerte der Aufruhr fort und an der Ostgrenze brannte die Kriegsfackel immer noch. Neue Heerkörper wurden gebildet, um die Grenzen auf irgend eine Art zu schützen. Bevor daher Herr Michal Warschau erreicht hatte, erhielt er ein auf seinen Namen lautendes Inhibitionsschreiben von der Hand des Wojwoden in Rus. Von der Ansicht geleitet, daß Privatangelegenheiten immer zurückstehen müssen, wenn das Wohl des Vaterlandes in Betracht kommt, gab er den Gedanken an eine baldige Heirat auf und eilte nach der Ukraine. Dort nahm er einige Jahre am Feldzuge teil und während des Kriegsgetümmels stets gegen unsägliche Mühseligkeiten und Beschwerden ankämpfend, fand er kaum Gelegenheit, von Zeit zu Zeit einen Brief an seine sehnsüchtig auf Nachricht harrende Braut abzuschicken.

Dann ging er als Gesandter nach der Krim, und nun brach jener unglückselige Bürgerkrieg aus, in welchem er auf der Seite des Königs gegen Lubomirski, den schändlichen Verräter, kämpfte. Später zog er unter Sobieski abermals nach der Ukraine.

Der Ruhm seines Namens wuchs dadurch so sehr, daß er allgemein als der erste Held der Republik galt, aber in all der Zeit war sein Herz von Sorge, Kummer und Sehnsucht erfüllt. Schließlich, als das Jahr 1668 herankam, ward er auf Befehl des Kastellans der Erholung wegen beurlaubt und begab sich bei Beginn des Sommers zu der Geliebten, um dann mit ihr von Wodokty aus nach Krakau zu reisen.

Die Fürstin Gryselda, welche unterdessen zurückgekehrt war, hatte Herrn Michal eingeladen, die Hochzeit in Krakau zu feiern und sich erboten, Mutterstelle bei der Braut zu vertreten.

Herr Kmicic und dessen Gattin blieben in Wodokty zurück, wohin sie sich Nachricht von Wolodyjowski erbeten hatten, ihre Gedanken waren jedoch vollständig von einem neuen Gast in Anspruch genommen, der sein Erscheinen in Wodokty angekündigt hatte. Bisher hatte ihnen die Vorsehung die Aussicht auf Kindersegen versagt, jetzt aber sollte eine glückliche Wendung eintreten und ihre Wünsche sollten in Erfüllung gehen.

Es war ein außerordentlich fruchtbares Jahr, die Ausbeute an Getreide so reichlich, daß die Scheunen sie nicht zu fassen vermochten und das ganze Land weit und breit mit Schobern bedeckt war. In der durch den Krieg verwüsteten Umgegend wuchs der Fichtenwald in einem Frühjahr so mächtig, wie zu andern Zeiten nicht in zwei Jahren. Es herrschte ein solcher Ueberfluß an Tieren im Forste, an Fischen in den Gewässern, als hätte die ungewöhnliche Fruchtbarkeit der Erde sich auch allen darauf lebenden Wesen mitgeteilt.

Daher glaubten Wolodyjowskis Freunde diesem nur Gutes und Schönes für seine Heirat prophezeien zu dürfen, aber das Schicksal hatte es anders beschlossen.

Erster Teil

I

Inhaltsverzeichnis

An einem schönen Herbsttage saß Herr Andrzej Kmicic unter dem schattigen Dache seines Gartenhauses und zuweilen einen Krug mit Meth an die Lippen setzend, betrachtete er durch das von wildem Hopfen bewachsene Gitterwerk seine Ehegemahlin, welche auf einem sorgfältig gesäuberten Wege vor dem Gartenhause lustwandelte.

Sie war eine ungewöhnlich schöne Frau mit ihren hellen Haaren und den fast engelhaften Zügen, in denen sich Heiterkeit und Frohsinn ausdrückte. Langsam und vorsichtig schritt sie dahin, getragen von der Empfindung, daß Gottes Segen auf ihr ruhe.

Herr Andrzej Kmicic schaute sie mit unendlicher Liebe an. Sein Blick verfolgte sie fortwährend mit der Anhänglichkeit eines treuen Hundes, der seinen Herrn nicht aus den Augen läßt. Manchmal lächelte er, denn große Freude erfüllte sein Herz bei ihrem Anblick, und er drehte wohlgefällig seinen Schnurrbart in die Höhe.

Dabei malte sich aber auch eine gewisse Leichtfertigkeit in seinem Gesichtsausdruck. Offenbar war er ein Kriegsmann, der Vergnügen an allerlei Scherz und Kurzweil fand, und der in seinen Junggesellenjahren viele lustige Streiche gemacht hatte.

Die Stille im Garten wurde nur hie und da durch das Herabfallen einer überreifen Frucht und durch das Summen der Insekten unterbrochen. Es war im Anfang des September und das Wetter schön und beständig. Die Sonne brannte nicht mehr so heiß, sandte aber immer noch goldene Strahlen hernieder. In ihrem Scheine schimmerten rotbackige Aepfel in solcher Fülle unter den graugrünen Blättern hervor, daß die Aeste vollständig davon übersät zu sein schienen. Auch die Zweige der Zwetschenbäume bogen sich förmlich unter der Last der wie mit Wachs überzogenen Früchte.

Ein leichter Windhauch bewegte die an den Bäumen hängenden Sommerfäden, ein so leises Lüftchen, daß nicht einmal die Blätter rauschten.

Vielleicht war es das schöne Wetter, welches Herrn Kmicic so heiter stimmte, denn sein Gesicht wurde immer strahlender. Er that einen langen Zug aus dem Kruge und sagte zu seinem Weibe:

»Olenka, komm hierher! Ich möchte Dir etwas sagen!«

»Sicherlich ist es etwas, das ich nicht gerne höre!«

»So wahr ich Gott liebe, nein! Höre mich an!«

Bei diesen Worten umschlang er sie mit den Armen, drückte seine Lippen auf ihre hellen Haare und flüsterte ihr zu:

»Wenn es ein Knabe ist, soll er Michal heißen.«

Sie aber wendete ihr errötendes Antlitz ab und erwiderte leise:

»Du versprachst mir ja, keine Einwendung gegen den Namen Heraklius zu erheben.«

»Siehst Du, um Wolodyjowski zu ehren« ...

»Sollten wir nicht zuerst das Andenken meines Großvaters ehren?«

»Meines Wohlthäters ... Hm! Du hast recht ... Aber der zweite muß Michal heißen. Anders darf es nicht sein.«

Hier erhob sich Olenka und suchte sich den Armen des Herrn Andrzej zu entwinden, doch sie nur noch fester an sich ziehend, küßte er sie auf Mund und Augen, indem er unablässig sagte:

»O Du mein Schatz, mein geliebtes Herz!«

Ihr Zwiegespräch wurde durch einen Diener unterbrochen, welcher sich am Ende des Weges zeigte und eilig auf das Gartenhaus zulief.

»Was willst Du?« fragte Kmicic, seine Gattin freigebend.

»Herr Charlamp ist soeben angekommen und wartet im Hause,« entgegnete der Diener.

»Hier ist er selbst!« rief Kmicic beim Anblick eines sich der Laube nähernden Mannes – »wie groß sein Schnurrbart geworden ist! Willkommen, lieber Kriegsgefährte! Willkommen, alter Kamerad!«

Bei diesen Worten stürzte er aus der Laube heraus und lief Herrn Charlamp mit ausgebreiteten Armen entgegen.

Herr Charlamp neigte sich zuerst tief vor Olenka, die er in früherer Zeit am Hofe in Kiejdany bei dem fürstlichen Wojwoden aus Wilna gesehen hatte, und drückte ihre Hand an seinen ungewöhnlich großen Schnurrbart; dann aber sank er an die Brust seines Freundes und begann laut zu schluchzen.

»Um Gotteswillen, was ist geschehen?« fragte Herr Kmicic erstaunt.

»Dem einen hat Gott Glück gegeben, dem andern hat er alles genommen!« entgegnete Charlamp. »Den Grund meines Kummers aber kann ich nur Euer Liebden sagen.«

Hier blickte er Frau Kmicic an, und da sie bemerkte, daß er sich auch vor ihr nicht aussprechen wollte, sagte sie zu ihrem Gatten:

»Ich lasse Euch jetzt allein und werde Euch einen frischen Krug Meth schicken« ...

Kmicic zog Herrn Charlamp in das Gartenhaus und nachdem er ihn veranlaßt hatte, auf einer Bank Platz zu nehmen, fragte er:

»Was ist geschehen? Habt Ihr meine Hülfe nötig? Ihr könnt auf mich zählen, wie auf einen Zawisza«.1

»Um mich handelt es sich nicht,« antwortete der alte Krieger, »und ich habe auch keine Hülfe nötig, so lange diese Hand noch diesen Säbel zu führen vermag, aber unser Freund, der würdigste Kavalier der Republik, ward von schwerem Leid heimgesucht. Ich weiß nicht einmal, ob er jetzt noch atmet.«

»Bei den Wundenmalen des Erlösers! Ist Wolodyjowski etwas zugestoßen?«

»Ja,« entgegnete Charlamp, abermals in einen Strom von Thränen ausbrechend, »wisset denn, daß Fräulein Anna Borzobohata dies Jammerthal verlassen hat.«

»Tot!« schrie Kmicic auf, mit beiden Händen sein Haupt umfassend.

»Ein Vögelchen, das von einem Pfeile getroffen ward!«

Ein tiefes Schweigen folgte. Nichts war zu hören als das schwere Aufschlagen der hie und da herabfallenden Aepfel, nichts als die tiefen Atemzüge des Herrn Charlamp, welcher sich bemühte, sein Schluchzen zu unterdrücken.

Kmicic aber rang die Hände und rief, den Kopf hin und her wiegend:

»Lieber Gott! Lieber Gott! Lieber Gott!«

»Euer Liebden wird sich jetzt nicht mehr über meine Thränen wundern,« sagte schließlich Charlamp, »denn wenn Euer Herz durch die Kunde von dem Unglücksfall allein schon bedrückt ist, wie muß es erst mir sein, der Zeuge ihres Endes und ihrer jedes Maß überschreitenden Leiden gewesen ist.«

In diesem Augenblick kam der Diener zurück, der ein Servirbrett mit einer großen, bauchigen Flasche und einem zweiten Glase trug, und hinter ihm erschien auch Frau Andrzej, welche nun doch ihre Neugierde nicht länger bezwingen konnte. Ihrem Gatten in das Gesicht blickend und dessen tiefe Bekümmernis wahrnehmend, fragte sie:

»Was für eine Kunde habt Ihr gebracht, Euer Gnaden? Verlangt nicht, daß ich mich wieder entferne, ich will Euch trösten, so gut es möglich ist, oder ich will mit Euch weinen, oder ich kann Euch vielleicht irgend einen Rat erteilen.«

»In diesem Falle kannst auch Du nicht Rat schaffen,« antwortete Herr Andrzej. »Und ich fürchte, daß der Kummer Deine Gesundheit schädigen kann.«

Und sie erwiderte:

»Gar viel vermag ich zu ertragen, Ungewißheit aber ist das Schlimmste.«

»Anusia ist tot!« sagte Kmicic.

Olenka erbleichte und ließ sich schwer auf die Bank niedersinken. Kmicic glaubte schon, durch den plötzlichen Schrecken überwältigt sei sie einer Ohnmacht nahe, doch der Schmerz kam sofort zum Ausbruch und sie begann laut zu weinen. Die beiden Ritter folgten ihrem Beispiel.

»Olenka,« sagte Kmicic schließlich, um den Gedanken seines Weibes eine andere Richtung zu geben, »glaubst Du denn nicht, daß sie im Paradiese ist?«

»Ich beklage sie auch nicht, sondern ich traure um sie und über die Verlassenheit Herrn Michals, denn was ihr ewiges Heil anbelangt, so wünschte ich, ich könnte mit der gleichen Zuversicht auf meine ewige Seligkeit bauen, wie ich auf die ihre baue. Ein edleres Mädchen, ein besseres, redlicheres Herz giebt es nicht. O meine Annika! Meine geliebte Annika!«

»Ich bin an ihrem Sterbelager gewesen!« sagte Charlamp. »Gebe Gott einem jeden von uns ein solch seliges Ende.«

Ein tiefes Schweigen folgte. Erst als die Thränen allen ein wenig Erleichterung gebracht hatten, begann Kmicic wieder:

»Erzählt uns, wie die Sache sich zugetragen hat, Euer Gnaden, doch stärkt Euch zuvor ein wenig mit Meth.«

»Ich danke Euch,« entgegnete Charlamp. »Von Zeit zu Zeit werde ich einen Schluck nehmen, falls Euer Liebden mir zutrinkt, denn der Schmerz ergreift nicht nur das Herz, er drückt uns auch die Kehle zusammen wie ein Wolf, und wen er packt, den kann er erdrosseln, wenn nicht Hülfe kommt. Die Sache verhält sich folgendermaßen: Ich wollte mich von Czestochowa aus in meine Heimat begeben, um meine alten Tage in Ruhe zu verleben und mich dort niederzulassen. Das Kriegshandwerk hatte ich satt, denn als junges Bürschlein habe ich es schon ausgeübt und nun ist mein Schnurrbart ergraut. Nur wenn ich ganz und gar nicht stille sitzen könnte, dann zöge ich unter irgend einem Banner ins Feld, aber jene zum Schaden des Vaterlandes und Vorteil des Feindes geschlossenen Kriegsbündnisse, sowie die Bürgerkriege haben mir die Bellona vollständig zum Ekel gemacht ... Lieber Gott! Der Pelikan nährt seine Kinder mit dem eigenen Blute, das ist wahr! Aber unser Vaterland hat schon allzu viel geblutet. Swiderski ist ein großer Kriegsheld gewesen! ... Möge Gott ihn richten!«

»O meine geliebte Anulka!« unterbrach ihn hier Frau Kmicic laut weinend – »was wäre aus mir, was wäre aus uns allen geworden ohne Dich? ... Mein Schutz und Schirm bist Du gewesen! O meine geliebte Anulka!«

Als Charlamp dies vernahm, schluchzte er abermals laut, doch währte es nicht lange, da Kmicic sich an ihn wendete und ihn fragte:

»Und wo seid Ihr mit Wolodyjowski zusammengetroffen?«

»Mit ihm und seiner Verlobten bin ich in Czestochowa zusammengetroffen. Beide machten dort Rast, denn sie wollten vor dem Muttergottesbild ihre Andacht verrichten. Er erzählte mir sogleich, daß er mit seiner Braut von hier komme und daß sie im Begriff stünden, sich nach Krakau zur Fürstin Gryselda Wisniowiecki zu begeben, ohne deren Einwilligung und Segen sich Anusia nicht trauen lassen wolle. An jenem Tage war das Fräulein noch ganz gesund und Herr Michal so vergnügt wie ein Vogel. »Nun,« sagte er, »hat mir Gott eine Belohnung für meine Arbeit gegeben!« – Er prahlte auch nicht wenig (Gott tröste ihn jetzt) und trieb seinen Scherz mit mir, weil wir uns, wie die Herrschaften wissen, dieses Fräuleins wegen seinerzeit einmal zankten und beinahe deshalb einen Zweikampf gehabt hätten. Und wo ist sie nun, die Arme?«

Hier begann Herr Charlamp wiederum laut zu schluchzen, aber wiederum währte es nicht lange, denn Kmicic unterbrach ihn abermals:

»Euer Gnaden sagten doch, Anusia sei an jenem Tage ganz gesund gewesen? Ist es denn so plötzlich gekommen?«

»Ja, plötzlich, ganz plötzlich. Sie wohnte bei Frau Marcin Marcinowa Zamojska, welche zu jener Zeit mit ihrem Gatten in Czestochowa weilte. Wolodyjowski verbrachte den ganzen Tag bei ihr, doch klagte er ein wenig über die Verzögerung, er meinte, es werde ein Jahr werden, bis sie nach Krakau gelangten, da jedermann sie unterwegs aufhalte. Und das ist kein Wunder. Einen Krieger, wie Herrn Wolodyjowsky, bittet jedermann gern zu Gaste, und wer ihn einmal bei sich hat, der läßt ihn nicht wieder los. Er führte mich auch zu seiner Verlobten und drohte mir lachend, mich niederzustoßen, wenn ich ihr von Liebe spräche. Aber sie vergaß die ganze Welt um seinetwillen. Mir ward thatsächlich zuweilen recht schlimm zu Mute bei dem Gedanken, daß ein Mensch wie ich in seinen alten Tagen so ganz allein ist, wie der Nagel in der Wand. Doch was liegt daran! Da plötzlich, einmal zur Nachtzeit, stürzte Wolodyjowski in der größten Bestürzung zu mir herein. »Um Gotteswillen, weißt Du, wo irgend ein Medicus zu finden ist?« »Was ist geschehen?« »Die Kranke kennt niemand mehr!« Auf meine Frage, wann sie erkrankt sei, erwidert er, daß er soeben erst die Nachricht von Frau Zamojska erhalten habe. Und es war spät in der Nacht! Wo sollte jetzt ein Medicus zu finden sein, da nur das Kloster unversehrt geblieben war, und die Stadt mehr Brandstätten als Menschen aufzuweisen hatte. Schließlich fand ich einen Feldscheer, und dieser wollte nicht mit mir gehen! Mit dem Streitkolben mußte ich ihn dazu zwingen. Aber ein Priester war nötiger als der Feldscheer. In der That trafen wir schon einen ehrwürdigen Pauliner an ihrem Lager an, welcher sie durch Gebet wieder zum Bewußtsein brachte, so daß sie das heilige Sakrament empfangen und Abschied von Herrn Michal nehmen konnte. Nach vierundzwanzig Stunden, des Nachmittags, war es um sie geschehen. Der Feldscheer sagte, irgend jemand müsse ihr ein Tränklein eingegeben haben, aber dies ist unwahrscheinlich, da Zauberkünste in Czestochowa keine Wirkung haben. Doch was mit Herrn Wolodyjowski vorging, was er da alles herausschwatzte – nun, ich hoffe nur, daß unser Herr Jesus es ihm nicht auf das Kerbholz schreibt, denn kein Mensch wägt seine Worte lange, wenn der Schmerz ihm das Herz zerreißt ... Wisset denn, Euer Gnaden (hier dämpfte Charlamp die Stimme), daß er in seiner Verzweiflung sogar Gott lästerte!«

»Um's Himmels willen! Er lästerte Gott!« wiederholte Kmicic leise.

»Von ihrem Leichnam stürzte er hinaus in den Flur, von dem Flur in den Hof, und dabei taumelte er wie ein Betrunkener. Er hob die geballten Fäuste gegen den Himmel und rief mit furchtbarer Stimme: »Ist das die Belohnung für meine Wunden, für die erlittenen Mühseligkeiten, für mein Blut, das geflossen ist, für meine Vaterlandsliebe? ... Nur ein einziges Lämmlein hatte ich, (sagte er), und du, o Herr, nahmst es mir. Einen von Waffen starrenden Mann, der in stolzer Selbstgefälligkeit auf Erden wandelt, niederzuwerfen, das ist der Hand Gottes würdig (sagte er), aber eine unschuldige Taube zu erwürgen, das ...«

»Bei den Wundenmalen des Erlösers!« rief Frau Kmicic, »wiederholt nicht alles, was er sagte, Euer Gnaden, damit Ihr kein Unglück über dies Haus heraufbeschwört.«

Charlamp bekreuzigte sich und fuhr fort:

»Der Arme dachte, er habe sich doch große Verdienste erworben, und dies sei nun seine Belohnung. Ach! Gott weiß am besten, was er thut, wennschon Menschenverstand es oft nicht zu fassen, es mit der menschlichen Gerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen vermag. Sofort nach diesen Lästerungen ward Herr Michal ganz steif, er fiel zu Boden und der Priester las einen Exorcismus über ihn, damit die von den Lästerungen angelockten bösen Geister nicht in den Unglücklichen hineinfahren konnten.«

»Und ist er bald wieder zum Bewußtsein gekommen?«

»Wohl eine Stunde lag er wie leblos da, dann aber erholte er sich und, in seine Wohnung zurückgekehrt, wollte er niemand sehen. Während des Begräbnisses suchte ich auf ihn einzuwirken. Herr Michal, sage ich, Ihr müßt auf Gott vertrauen! Aber er gab keine Antwort. Drei Tage verweilte ich noch in Czestochowa, denn ich verließ ihn ungern, doch umsonst pochte ich an seine Thüre. Er wollte mich nicht sehen! Ich kämpfte innerlich mit mir. Was war nun zu thun? Sollte ich noch einmal einen Versuch machen, ihn zu sprechen, oder wegfahren? ... Konnte ich solch einen Menschen verlassen, mußte ich ihn nicht zu trösten versuchen? Nachdem ich mich indessen überzeugt hatte, daß nichts zu erreichen war, beschloß ich abzureisen und mich zu Skrzetuski zu begeben. Er ist Herrn Michals bester Freund, und auch Herr Zagloba ist dessen Freund, vielleicht, dachte ich, sind die beiden im stande, günstig auf ihn einzuwirken, besonders Herr Zagloba, der ein kluger Mensch ist und es versteht, die Leute auf andere Gedanken zu bringen.«

»Euer Gnaden sind also bei Skrzetuski gewesen?«

»Ja, aber auch darin ging es mir nicht nach Wunsch, denn er hatte sich mit seiner Gattin und Zagloba nach Kalisz zu dem Herrn Obristen Stanislaw begeben. Ueber den Zeitpunkt ihrer Rückkehr wußte niemand etwas zu sagen. Da dachte ich bei mir: Dein Weg führt Dich ja ohnedies nach Samogitien, Du kannst also bei den Herrschaften einkehren und ihnen erzählen, was sich zugetragen hat.«

»Daß Euer Liebden ein hochachtungswerter Kavalier ist, weiß ich seit langer Zeit,« sagte Kmicic.

»Nicht um mich handelt es sich hier, sondern einzig und allein um Wolodyjowski,« entgegnete Charlamp, »und ich gestehe den gnädigen Herrschaften, daß ich sehr besorgt um ihn bin, weil eine Geistesstörung bei ihm zu befürchten ist.«

»Gott möge ihn davor bewahren!« rief die Ehegemahlin des Herrn Andrzej.

»So ihn Gott davor bewahrt, dann wird er die Mönchskutte anziehen. Ich sage den gnädigen Herrschaften, daß ich noch nie in meinem Leben Zeuge eines solchen Kummers gewesen bin ... Und schade, schade wäre es um einen solchen Soldaten!«

»Weshalb schade? Zum größeren Ruhme Gottes würde das dienen!« bemerkte Frau Kmicic.

Charlamps Barthaare zitterten sichtlich und nachdenklich rieb er sich die Stirn.

»Traun, hochedle Wohlthäterin, das ist nun doch noch sehr die Frage. Bedenkt doch nur, gnädige Herrschaften, wie viele Heiden und Ketzer er in seinem Leben schon vernichtet hat, und damit hat er sicherlich unserem Heiland und dessen gebenedeiter Mutter eine größere Freude erwiesen, als gar mancher Frommer mit seinen Bußwerken. Hm! Dergleichen Dinge geben viel zu denken. Möge ein jeder zum Ruhme Gottes das thun, was er für das Geeignetste hält. Erwägt das Eine, gnädige Herrschaften: Unter den Jesuiten giebt es wohl gar manchen, der klüger ist, als Herr Michal, einen tapfereren Degen als er giebt es aber wohl kaum in der ganzen Republik.«

»So wahr mir Gott lieb ist, so ist es!« rief Kmicic. »Wissen Euer Gnaden, ob er noch in Czestochowa weilt, oder ob er von dannen zog?«

»Als ich mich auf den Weg machte, befand er sich noch dort. Was aber später geschah, weiß ich nicht. Ich kann nur wünschen, daß ihn Gott vor Geistesumnachtung schützen möge, daß er ihn vor Krankheit schützen möge, vor Krankheit, die so oft von Verzweiflung und Kummer hervorgerufen wird – denn er wird allein sein, allein, ohne Beistand, ohne einen Blutsverwandten, ohne Tröster.«

»Möge Dir die heilige Jungfrau in jenem wunderthätigen Orte beistehen, Du treuer Freund!« rief plötzlich Kmicic, »der Du mir so viel Gutes erwiesen hast, daß selbst ein Bruder nicht hätte mehr thun können.«

Ein längeres Schweigen trat ein. Endlich erhob Frau Kmicic, die in tiefes Sinnen versunken da stand, ihr blondes Köpfchen und sagte:

»Andrzej, gedenkst Du noch alles dessen, was wir ihm zu danken haben?«

»Wenn ich dessen jemals vergäße, müßte ich mir die Augen eines Hundes borgen, denn ich dürfte nicht mehr in das Gesicht eines ehrenhaften Menschen blicken.«

»Andrzej, Du kannst ihn nicht einfach seinem Schicksale überlassen!«

»Was soll ich aber thun?«

»Du mußt Dich zu ihm begeben.«

»Aus einem treuen Frauenherzen kommen diese Worte, so spricht ein edles Weib!« rief Charlamp, die Hand von Frau Kmicic ergreifend und sie mit Küssen bedeckend.

Kmicic schien jedoch nicht mit seiner Ehefrau einverstanden zu sein, denn kopfschüttelnd bemerkte er:

»Bis ans Ende der Welt reiste ich um seinetwillen, aber ... Du weißt es ja selbst ... wenn Du ganz wohlauf wärest ... ich sage ja nicht ... aber Du weißt es ja selbst! Gott behüte Dich vor irgend einem Schrecken, vor irgend einem Unfalle! ... Ich würde vor Angst vergehen ... Mein Weib steht mir näher als der beste Freund ... Ich bedaure Herrn Michal unendlich ... aber Du weißt! ...«

»Ich stelle mich in den Schutz der Kriegsväterchen aus Lauda. Hier herrscht jetzt Ruhe, und von jeder geringfügigen Ursache lasse ich mich nicht in Schrecken versetzen. Ohne den Willen Gottes wird mir kein Haar auf meinem Haupte gekrümmt werden ... Herr Michal aber bedarf vielleicht des Beistandes ...«

»O, er bedarf des Beistandes!« warf Charlamp ein.

»Höre, Andrzej! Ich fühle mich ganz wohl. Kein Mensch wird mir ein Leid zufügen ... Ich weiß, wie ungern Du fortgehst ... aber ...«

»Ich zöge es vor, Kanonen mit einer Ofenbrücke zu stürmen!« unterbrach sie Kmicic.

»Und wenn Du bleibst! Glaubst Du nicht, daß es für immer ein bitterer Gedanke für Dich sein wird, wenn Du Dir sagen mußt: Ich habe den Freund im Stiche gelassen! Und könnte nicht unser Herrgott in seinem Zorn seine Gnade von uns wenden?«

»Wie Du mir zusetzest! Du sagst, Er könnte seine Gnade von uns wenden! Das ängstigt mich!«

»Es ist eine heilige Pflicht, einen Freund wie Herrn Michal zu retten.«

»Ich bin Michal von ganzem Herzen zugethan. Eine schwierige, schwierige Lage! Wenn Hülfe nötig ist, dann muß rasch geholfen werden, denn jede Stunde ist hier von Bedeutung! Ich gehe sofort in den Stall ... Bei dem lebendigen Gott, giebt es denn keinen anderen Ausweg? Der Teufel selbst scheint es Herrn Jan und Zagloba in den Kopf gesetzt zu haben, sich nach Kalisz zu begeben. Nicht an mich denke ich dabei, nein, nur an Dich denke ich, Geliebteste! Weit leichter büßte ich all mein Hab und Gut ein, als daß ich Dich einen Tag missen möchte. Einem jeden würde ich mein Schwert bis an den Griff in die Kehle stoßen, der behaupten wollte, ich verließe Dich jemals aus einem anderen Grunde, als daß die Republik meiner Dienste bedürfe. Du sprichst von meiner Pflicht ... Mag es denn sein! Nur ein Nichtswürdiger kann hier noch zaudern. Und trotzdem, wenn es nicht Michal wäre, würde ich es doch nicht thun.«

Nun wandte er sich zu Charlamp.

»Hochedler Herr!« sagte er, »folget mir in den Stall. Wir wollen die Pferde auswählen. Du, Olenka, kannst inzwischen den Befehl erteilen, daß alles für die Reise vorbereitet werde. Etliche der Leute aus Lauda können die Drescher beaufsichtigen. Ihr müßt wenigstens vierzehn Tage bei uns verweilen, Herr Charlamp, und könnt daher statt meiner für mein Weib Sorge tragen. Vielleicht findet Ihr auch hier in der Umgegend ein geeignetes Besitztum für Euch. Uebernehmt doch Lubisz! Wie? Kommt mit in den Stall, hochedler Herr! Längstens in einer Stunde bin ich auf dem Wege. Was sein muß, muß sein!«

Fußnote

1 Zawisza, der Schwarze, ein durch seine Tapferkeit und Treue berühmter Ritter, lebte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Anmerkung der Uebersetzerinnen.

II

Inhaltsverzeichnis

Noch vor Sonnenuntergang verabschiedete sich der Ritter von seinem schluchzenden Weibe, das ihn mit einem Kreuze segnete, in welches in Gold gefaßte Splitter von dem heiligen Kreuze eingefügt waren. Und da Herr Kmicic lange Jahre hindurch daran gewöhnt gewesen war, plötzlich aufbrechen zu müssen, jagte er auch jetzt, als es zum Aufbruche kam, in solch rasender Eile davon, als ob es gelte, den mit ihrer Beute fliehenden Tataren nachzusetzen.

Nachdem er Wilna erreicht hatte, begab er sich nach Grodno und Bialystock, um von hier aus nach Siedlec zu ziehen. Als er indessen durch Lukow kam, erfuhr er, daß Tags zuvor Herr und Frau Skrzetuski mit ihren Kindern und mit Herrn Zagloba angekommen seien, und so entschloß er sich, diese aufzusuchen, da er sich mit ihnen besser als mit irgend jemand anderm darüber beraten konnte, was für Herrn Wolodyjowski gethan werden müsse.

Voll Staunen, voll Freude ward er empfangen, kaum hatte er indessen die Ursache seiner Reise auseinandergesetzt, so verwandelte sich die Freude in tiefe Trauer.

Besonders Herr Zagloba zeigte sich den ganzen Tag hindurch untröstlich und vergoß, wie er wenigstens selbst behauptete, an dem Teiche einen solchen Strom von Thränen, daß, um ein Ueberfließen des Wassers zu verhindern, das Schutzbrett geöffnet werden mußte. Sobald er sich jedoch tüchtig ausgeweint hatte, überlegte er alles reiflich und ließ sich bei der Beratung also vernehmen:

»Jan kann nicht weggehen, da er in das Interims-Gericht2 gewählt worden ist, an dem eine Menge Streitsachen zu erledigen sein werden, denn nach vielen Kriegen giebt es stets zahlreiche unruhige Geister. Aus den Reden des wohledlen Herrn Kmicic aber ist deutlich zu ersehen, daß die Störche in Wodokty überwintern wollen, Ihre Arbeit ist ihnen jetzt schon vorgeschrieben, haben sie doch ganz besondere Pflichten zu erfüllen. Niemand kann sich daher darüber wundern, daß er sich unter solchen Verhältnissen nur ungern von seinem Heime trennt, um eine Reise zu unternehmen, deren Dauer keiner vorauszusagen vermag. Daß er die Fahrt unternommen hat, zeugt von einem gar treuen Herzen, wenn ich aber meine aufrichtige Meinung äußern darf, dann würde ich zu ihm sagen: Kehrt nach Hause zurück, denn Herr Michal bedarf eines Vertrauten, der es sich nicht zu Herzen nimmt, wenn er hart angefahren, wenn er einmal nicht vorgelassen wird. Ein langjähriges gegenseitiges Kennen, eine niemals versagende Geduld sind hier von nöten. Ihr, Euer Gnaden, habt aber nur Freundschaft für Michal, und Freundschaft genügt in solchem Falle nicht. Zürnt mir nicht über meine Worte, Ihr müßt ja selbst zugestehen, daß wir, Jan und ich, ältere Freunde von Michal sind, als Ihr, und daß wir schon gar viele Abenteuer gemeinsam mit ihm bestanden haben. Barmherziger Gott, wie unzählige Male habe ich ihn und er mich aus großer Gefahr errettet.«

»Wie wäre es, wenn ich auf mein Mandat als Landbote Verzicht leisten würde?« warf Herr Skrzetuski fragend ein.

»Jan, es ist ein öffentliches Amt!« bemerkte Zagloba sehr ernst.

»Gott weiß,« sagte nun Skrzetuski bekümmert, »daß ich meinen Vetter Stanislaw wie meinen Bruder liebe, Michal aber steht mir noch näher als ein Bruder!«

»Mir steht er schon deshalb näher als ein leiblicher Bruder, weil ich niemals einen Bruder besessen habe. Doch es ist jetzt nicht an der Zeit, sich über Gefühle auszulassen. Siehst Du, Jan, wenn Michal jetzt erst von dem Unglück betroffen worden wäre, würde ich vielleicht zu Dir sagen: Zum Teufel mit diesem Amt, mache, daß Du fort kommst! Wir müssen aber doch erwägen, wieviel Zeit seitdem schon verstrichen ist, denn Charlamp ist doch inzwischen von Czestochowa nach Samogitien und Herr Andrzej von Samogitien hierher zu uns gekommen. Jetzt handelt es sich nicht nur darum, Michal aufzusuchen, sondern bei ihm zu bleiben, es handelt sich nicht nur darum, mit ihm zu weinen, sondern ihn auf andere Gedanken zu bringen, es handelt sich nicht nur darum, ihm den Gekreuzigten als Vorbild zu zeigen, sondern ihn durch lustige Späße zu erheitern. Wißt Ihr daher, wer zu ihm gehen muß – ich! Und ich gehe auch, so wahr mir Gott helfe. Finde ich ihn in Czestochowa, dann bringe ich ihn hierher, finde ich ihn nicht, so folge ich ihm bis in die Moldau, ja, ich werde, wenn's sein muß, so lange nicht aufhören, ihn zu suchen, so lange ich noch im stande bin, aus eigener Kraft eine Prise Tabak in die Nase zu führen.«

Kaum hatte Herr Zagloba zu Ende gesprochen, so fiel ihm ein jeder der beiden Ritter um den Hals, er aber wehrte, wennschon vor Rührung über das Unglück des Herrn Michal und über die ihm selbst drohenden Mühseligkeiten Thränen vergießend, diese Umarmungen ab, indem er sagte:

»Dankt mir doch nicht wegen Herrn Michal, Ihr steht ihm nicht näher als ich.«

»Nicht wegen Herrn Michal danken wir Euch,« ließ sich nun Kmicic vernehmen, »allein müßte nicht jeder ein Herz von Stein, ein geradezu unmenschliches Herz besitzen, der nicht über Eure Bereitwilligkeit gerührt wäre, einem Freunde einen Dienst zu erweisen, ohne dabei an das eigene Alter zu denken, ohne irgend welche Beschwerden zu scheuen. Andere in Euerm Alter denken nur noch an den warmen Ofen, Ihr aber, wohledler Herr, sprecht von dieser langen Reise, als ob Ihr in meinem oder in Herrn Skrzetuskis Alter stündet.«

Wenn nun aber auch Herr Zagloba kein Geheimniß aus seinem Alter machte, fühlte er sich doch stets peinlich davon berührt, sobald jemand auf die Gebrechen anspielte, welche die Jahre mit sich zu bringen pflegen. Trotzdem daher seine Augen noch rot vom Weinen waren, warf er doch einen scharfen, unzufriedenen Blick auf Kmicic, als er erwiderte:

»Mein liebwerter Herr, als ich in das siebenundsiebenzigste Jahr trat, da überschlich mich ein gewisses Grauen, weil zwei Aexte3 über meinem Nacken hingen, doch kaum hatte ich das achtzigste Jahr hinter mir, da fühlte ich solch frischen Mut, daß ich sogar an eine Heirat dachte. Und wenn eine Heirat zu stande gekommen wäre, würde es noch fraglich gewesen sein, wer zuerst Anlaß zum Prahlen gehabt hätte, Ihr oder ich«

»Prahlen ist zwar nicht meine Sache,« bemerkte Kmicic, »doch hätte ich sicherlich Euer Gnaden den Vorrang lassen müssen.«

»Und ich würde Euch, wohledlen Herrn, ebenso in Verlegenheit versetzt haben, wie ich den Herrn Hetman Potocki in Gegenwart des Königs in Verlegenheit gesetzt habe, als er über mein Alter scherzte. Was that ich? Ich forderte ihn heraus, mit mir um die Wette Purzelbäume zu machen, dann werde sich erweisen, wer dies am längsten hintereinander auszuführen vermöge. Und was geschah? Schon nach drei Purzelbäumen mußte Herr Rewera von den Heiducken hinweggebracht werden, da er sich nicht mehr allein zu erheben vermochte, während ich mich, einen Bogen um ihn machend, wenigstens fünfunddreißig Male überschlug. Befragt nur Herrn Jan darüber, der alles mit eigenen Augen angesehen hat.«

Da Herr Skrzetuski wußte, daß Zagloba schon seit geraumer Zeit die Gewohnheit hatte, ihn bei allen seinen Behauptungen als Augenzeugen anzuführen, ergab er sich, ohne eine Miene zu verziehen, in sein Schicksal und begann von Neuem von Herrn Michal zu sprechen. In tiefes beharrliches Schweigen versunken, schien Zagloba über irgend etwas nachzudenken, und erst nach dem Abendbrote, nach dem er wieder in bessere Stimmung geriet, begann er zu den Gefährten gewendet folgendermaßen:

»Jetzt will ich Euch etwas sagen, auf das ein gewöhnlicher Geist gar nicht gekommen wäre. Ich vertraue auf Gott und glaube, daß unser Michal leichter über seine Kümmernisse hinwegkommen wird, als wir anfänglich gedacht haben.«

»Gott gebe es! Doch seit wann sind Euer Gnaden zu dieser Ansicht gelangt?« fragte Kmicic.

»Hm, dazu gehört eben, abgesehen davon, daß man ein Bekannter von Herrn Michal ist, ein scharfer Verstand, der eine Gabe der Natur ist, und große Erfahrung, die Ihr in Euern Jahren nicht haben könnt. Ein jeder hat wieder andere Eigentümlichkeiten. Bei etlichen Menschen, die vom Unglück betroffen werden, ist es, figuraliter gesprochen, gerade so, als wenn ihr einen Stein in einen Fluß werft. Auf der Oberfläche fließt scheinbar das Wasser bald wieder tacite dahin. Der Stein aber liegt auf dem Grunde, hemmt den natürlichen Lauf, stört ihn, zerreißt ihn, und der Stein bleibt liegen und hemmt und stört so lange, bis sich das Gewässer des Flusses in den Styx ergossen hat. Du, Jan, kannst zu solchen Menschen gezählt werden, zu den Menschen, denen es am schlimmsten auf der Welt geht, weil sie die Erinnerung an das erlittene Leid nicht mehr verläßt. Andere hingegen werden von einem schweren Verlust in der Weise betroffen, als ob sie einen Faustschlag in den Nacken erhalten hätten. Sie verlieren auf kurze Zeit das Bewußtsein, leben aber dann rasch wieder auf, und sobald die blauen Flecken nicht mehr sichtbar sind, ist auch alles vergessen. O, solch eine Natur hat es viel besser auf dieser Welt voll des Elends.«

Aufmerksam lauschten die Ritter den klugen Worten des Herrn Zagloba, und voll Freude darüber, daß man ihm solche Beachtung schenkte, fuhr er fort:

»Ich kenne Michal durch und durch, und Gott ist mein Zeuge, daß ich ihm nichts Schlimmes nachsagen will, allein mich dünkt es, daß er mehr die gescheiterte Heirat als den Verlust jenes Mädchens betrauert. Nicht über dessen Tod ist er in solcher Verzweiflung, wennschon das ein Unglück ist, wennschon das besonders für ihn das größte Unglück ist. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie dieser Mensch sich nach der Heirat sehnte. Er kennt weder Geldgier, noch besitzt er Ehrgeiz oder Habsucht. All sein Hab und Gut hat er im Stich gelassen, sein Vermögen ist so gut wie verloren, an seinen Sold hat er nicht gedacht. Als Belohnung für all seine Mühen, für all seine Dienste hoffte er, daß ihm unser Herrgott, daß ihm die Republik ein Weib bescheeren werde. Ihn verlangte darnach, wie es einen Hungernden nach Brod verlangt, gerade aber, als er seinen Hunger stillen, als er das Brod zum Munde führen wollte, da war es wie weggeblasen, da war es, als ob ihm jemand spottend sagte: Du hast es ja, so iß doch! Was Wunder also, daß er von Verzweiflung ergriffen ward! Ich will nun durchaus nicht behaupten, daß er nicht um das Mädchen trauere, aber so wahr mir Gott lieb ist, er grämt sich weit mehr über das Scheitern der Heirat, wenn er dies auch stets in Abrede stellt!«

»Wollte Gott, es wäre so!« bemerkte Herr Jan.

»Wartet es nur ab! Laßt nur einmal erst die Wunden, die ihm geschlagen wurden, heilen und vernarben, und Ihr werdet es erleben, daß der frühere Wunsch von neuem in ihm rege wird. Periculum liegt eben darin, ob er nicht sub onere der Verzweiflung irgend etwas thut oder beschließt, das er später wieder bereut. Doch was geschehen könnte, ist schon geschehen, denn im Unglück ist ein Entschluß rasch gefaßt. Mein Bürschlein nimmt schon meine Kleider aus dem Schrein und ordnet alles, demzufolge hat meine Rede nicht den Zweck, Euch von der Reise abzuhalten, sondern ich versuchte nur, Euer Liebden Trost zuzusprechen.«

»So wirst denn Du, Väterchen, wieder das Pflästerchen auf Michals Wunde sein!« sagte Skrzetuski.

»Wie ich es auch schon bei Dir gewesen bin. Erinnerst Du Dich dessen? Wenn ich ihn nur bald finde, allein ich befürchte, daß er sich in irgend einer Einsiedelei verborgen hält, oder daß er in den fernen Steppen verschwindet, an die er von Kindheit an gewöhnt ist. Ihr, wohledler Herr Kmicic, habt Euch über mein Alter ausgelassen, ich aber sage Euch, wenn jemals ein Bojar mit einem wichtigen Schreiben sich so rasch vorwärts bewegt, wie ich vorwärts komme, dann laßt mich nach meiner Rückkunft seidene Fäden zupfen, Erbsen schälen oder Flachs spinnen. Keine Unbequemlichkeiten sollen mich aufhalten, keine Gastfreundschaft soll mich verlocken, keine Gasterei soll mich in meiner Reise hemmen! Ich werde so rasch vorwärts kommen, wie Ihr es noch nie in Eurem Leben für möglich erachtet habt. Kaum vermag ich's mehr auf meinem Sitze auszuhalten, mir ist's gerade, als ob jemand unter der Bank liege und mich mit der Ahle bearbeite. Bereits habe ich mir mein Reisehemd mit Ziegenfett einreiben lassen, damit ich gegen Schlangen geschützt bin.«

Fußnote

2 Anmerk. d. Uebersetzerinnen: Kaptur: Trauerzeit in Polen nach dem Tode des Königs, während welcher die gewöhnlichen Gerichte aufgehoben bleiben und durch ein sogenanntes Interimsgericht vertreten wurden.

3 Anmerk. d. Uebersetzerinnen: Diese Bemerkung bezieht sich auf die axtähnliche Form der Zahl 7.

III

Inhaltsverzeichnis

Die Reise des Herrn Zagloba ging indessen nicht so rasch von statten, wie er es selbst geglaubt, wie er es seinen Gefährten versprochen hatte. Je mehr er sich Warschau näherte, desto langsamer kam er vorwärts. Es war die Zeit, in der Jan Kazimir, der König, der Staatsmann und der große Feldherr auf den Thron verzichtete, nachdem er die Kriegsflamme an den Grenzen des Reiches erstickt, nachdem er die Republik vor der drohenden Sintflut gerettet hatte. Geduldig hatte er alles über sich ergehen lassen, alles ertragen, seine Brust hatte er den Streichen des äußeren Feindes entgegengesetzt, als er aber dann später bei seinen inneren Reformversuchen bei dem Volke statt auf Hülfe nur auf Widerstand stieß, nur Undank erntete, da nahm er freiwillig von seinem geweihten Haupte die Krone herab, welche ihm zur unerträglichen Bürde geworden war.

Die Kreis- und Provinziallandtage waren längst geschlossen, und der Fürst Primas Prazmowski hatte nun befohlen, den Reichstag auf den fünften November einzuberufen. Ein jeder der verschiedenen Bewerber suchte sich im besten Lichte zu zeigen, eine Partei suchte die andere in allem zu überbieten, und trotzdem die Entscheidung ja von der Wahl allein abhing, begriffen doch alle die ungewöhnliche Bedeutung dieser Wahlversammlung. Zu Pferde und zu Wagen zogen daher die Landboten mit großem Gefolge nach Warschau, die Senatoren zogen dahin, umgeben von einem geradezu glänzenden Hofstaate.

Auf den Heerstraßen herrschte das größte Gedränge, die Herbergen waren überfüllt und gar oft konnte ein Nachtlager nur mit vieler Mühe erlangt werden. Für Herrn Zagloba wurde zwar aus Rücksicht für sein Alter stets Raum geschafft, aber durch die Ehrenbezeugungen, die ihm wegen seines Ruhmes zu teil wurden, verlor er gar viel Zeit.

Es pflegte stets folgendermaßen zuzugehen: Sobald er vor einer Herberge Halt machte, in der kein Eckchen mehr frei war, erschien, von Neugierde getrieben, irgend eine angesehene Persönlichkeit, die mit ihrem Gefolge dort Unterkunft gefunden hatte, um zu sehen, wer angekommen sei, und fielen dann deren Blicke auf einen Mann mit schneeweißem Haupt- und Barthaar, so sagte ein jeder angesichts dieses würdigen Greises:

»Ich bitte Euch, wohledler, gnädiger Herr, bei mir einen Imbiß einzunehmen.«

Herr Zagloba war kein unhöflicher Mensch und leistete um so eher der Bitte Folge, als er wußte, daß jedermann gern mit ihm bekannt wurde. Wenn ihn daher sein Gastgeber über die Schwelle geleitete und fragte: »Mit wem habe ich die Ehre?« stemmte er jedesmal die Hände in die Hüften und erwiderte, im voraus einer großen Wirkung sicher, nur die beiden Worte:

» Zagobla sum!«

In der That, diese beiden Worte verfehlten auch nie ihre Wirkung. Von allen Seiten kam man ihm mit offenen Armen, mit dem Ausruf entgegen: »Diesen Tag zähle ich zu den glücklichsten meines Lebens,« von allen Seiten tönten ihm die Rufe der Kriegsgefährten, der Höflinge entgegen: »Seht doch! Er ist das Musterbild, gloria et decus der ganzen Ritterschaft unserer Republik!« Bewundernd näherte man sich ihm, ja, die jüngeren Leute küßten sogar die Schöße seines langen Reiserockes. Gleich darauf wurden von irgend einem Wagen Fäßchen und Trinkgefäße herabgenommen, und es begann ein gaudium, das zuweilen mehrere Tage währte.

Natürlich glaubte man allgemein, er begebe sich als Landbote zu dem Reichstage, und voll Staunen vernahm man, daß er dies verneinte, daß er erklärte, er habe sein Mandat an Herrn Domaszewski abgetreten, weil er es sehr angemessen für jüngere Leute erachte, sich mit öffentlichen Angelegenheiten zu befassen. Etlichen setzte er auf ihr Befragen den wahren Grund seiner Reise auseinander, andere dagegen fertigte er mit den Worten ab:

»Von frühester Jugend auf bin ich an Kampf und Krieg gewöhnt, und so hat mich nun noch in meinen alten Tagen die Lust angewandelt, mich mit Doroszenko herum zu schlagen.«

Selbstverständlich rief diese Aussage noch mehr Staunen hervor, allein kein Mensch erachtete ihn deshalb geringer, weil er kein Landbote war, nein, ein jeder sagte sich mit Recht, daß zuweilen ein Zuhörer weit mehr Macht habe, als die Landboten selbst. Außerdem überlegte gar mancher Senator, ja, selbst wenn er zu den Bedeutendsten zählte, sich wohlweislich, daß bei der Königswahl, die in etlichen Monaten stattfinden mußte, der Ausspruch eines bei der Ritterschaft so hochberühmten Mannes von unermeßlichem Einfluß sein werde.

So wurde man denn nicht müde, Herrn Zagloba zu umarmen, und selbst die hochgestellten Herrn machten ihm ihren gehorsamsten, untertänigsten Diener. Herr Podlaski trank drei Tage lang mit ihm, die Herren Pac, mit denen er in Kaluszyn zusammentraf, trugen ihn buchstäblich auf den Händen.

Der oder jener ließ ihm sogar heimlich Geschenke in seinen Korbwagen legen, aber nicht nur Branntwein und Wein erhielt er auf solche Weise, sondern auch kostbare Kleinodien, Säbel und Pistolen.

Natürlich hatte dadurch auch die Dienerschaft des Herrn Zagloba gute Zeiten, und er selbst reiste trotz seiner trefflichen Vorsätze, trotz seiner Versprechungen so langsam, daß er erst nach drei Wochen Minsk erreichte.

Deshalb ließ er in Minsk weder Rast machen, noch füttern. Als er indessen auf den Ringplatz fuhr, ward er eines solch großen, prächtigen Gefolges gewahr, wie er es bisher noch nie erschaut hatte. Die Kavaliere trugen die farbenreichsten Gewandungen, das Fußvolk, das zwar nur aus einer halben Abteilung bestand, weil man zu dem Reichstag nicht mit viel Kriegsvolk ziehen durfte, war so wohl geordnet, daß selbst der König von Schweden keine bessere Leibwache hätte haben können. Auf dem Ringe standen vergoldete Karossen, in denen sich schön gewirkte Vorhänge und Teppiche befanden, um damit die auf dem Wege gelegenen Herbergen auszuschmücken, sowie zahlreiche Wagen mit Kredenztischen und Speisevorräten, die ganze Dienerschar aber mußte aus Ausländern bestehen, denn auch nicht ein verständliches Wort ward inmitten des Gedränges und des Getriebes vernehmbar.

Schließlich entdeckte Herr Zagloba unter dem Gefolge einen Edelmann in polnischer Kleidung. Er ließ daher sofort halten und stand sogar, in der Voraussetzung, eine treffliche Unterhaltung zu finden, schon im Begriffe, aus dem Wagen zu steigen, indem er fragte:

»Wessen Gefolge ist denn dies? Der König selbst könnte ja kein glänzenderes haben!«

»Wessen Gefolge sollte es denn sein,« antwortete der Gefragte, »wenn nicht das unseres Herrn, des fürstlichen Stallmeisters aus Litthauen.«

»Wessen?« fragte Zagloba abermals.

»Seid Ihr denn taub? Das Gefolge des Fürsten Boguslaw Radziwill ist es, der zu dem Reichstage zieht und welcher – Gott gebe dies – nach der Wahl der Erwählte sein wird.«

Zagloba zog sofort wieder seinen Fuß in den Wagen zurück.

»Vorwärts!« schrie er dem Kutscher zu. »Hier ist nichts für uns.«

Und geradezu vor Erregung zitternd, ließ er darauf los fahren.

»Allmächtiger Gott!« sagte er sich, »unerforschlich ist Dein Ratschluß, zerschmetterst Du aber nicht diesen Verräter mit Deinem Blitzstrahl, dann hast Du irgend eine geheime Absicht, welche die menschliche Vernunft nicht zu ergründen vermag, denn nach menschlichem Ermessen verdiente dieser Spitzbube nichts anderes als eine gehörige Tracht Prügel. Gar schlimm müßte es in unserer glorreichen Republik zugehen, wenn ein solch ehrloser und gewissenloser Verräter nicht nur ohne Strafe davon käme, sondern auch frei und sicher umherreisen könnte – wenn er, traun, auch noch seine staatsbürgerlichen Rechte ausüben dürfte. Dem sicheren Untergange steuern wir dann entgegen, denn in welch anderm Lande, in welch anderm Staate könnten solche Dinge geschehen? Joannes Casimirus war ein guter König, allein er verzieh zu leicht ein jedes Vergehen, er gewöhnte den schlimmsten Verbrecher daran, auf seine Sicherheit, seine Straflosigkeit zu bauen. Doch ihm allein ist die Schuld nicht beizumessen. Offenbar ist dem ganzen Volke der Begriff von Tugend, von Verantwortlichkeit abhanden gekommen. Pfui! pfui! Er ein Landbote! Seinen ruchlosen Händen vertrauen die Bürger die Wohlfahrt und die Sicherheit des Vaterlandes an, diesen Händen, die das Vaterland zerrissen, die es in schwedische Fesseln geschlagen haben. Wir sind verloren, es kann nicht anders sein! Und noch gar zum Könige will man ihn wählen! Wahrhaftig bei einem solchen Volke ist alles möglich. Er, ein Landbote! Beim allmächtigen Gotte! Das Gesetz verbietet ja ausdrücklich jedem die Annahme eines Mandats, der in fremden Diensten steht, und er ist General-Gouverneur bei seinem krätzigen Oheim in dem Fürstentum Preußen. Aha, warte nur, jetzt habe ich Dich! Wozu dienten denn die Wahlprüfungen? Und wenn ich mich nicht in den Saal verfüge und diese Sache zur Sprache bringe, trotzdem ich mich nur zu den Zuhörern rechnen darf, will ich mich in dieser Minute in einen fetten Hammel, meinen Kutscher aber in einen Fleischer verwandelt sehen. Unter den Landboten finden sich sicherlich manche, die mich unterstützen werden. Freilich weiß ich nicht, ob ich Dich, Verräter, der Du große Macht besitzest, deines Mandats berauben kann, das, was ich aber zu unternehmen gedenke, wird nicht zu Deiner Wahl beitragen – dessen bin ich gewiß! Und Michal, der arme Bursche, muß eben noch länger auf mich warten, da dies eine That pro publico bono sein wird.«

Solcher Art war der Ideengang des Herrn Zagloba, der sich fest vornahm, der Wahlprüfung aufmerksam zu folgen und zu versuchen, die Landboten insgeheim für sich zu gewinnen. Aus diesem Grunde beschleunigte er auch die Fahrt von Minsk nach Warschau so viel er konnte, befürchtete er doch, sonst nicht rechtzeitig zu der Eröffnung des Reichstages daselbst einzutreffen.

Allein er kam rechtzeitig an Ort und Stelle an. Der Zudrang der Landboten und der Zuschauer war ein so gewaltiger, daß es nicht nur unmöglich war, in Warschau, in Praga, oder in nächster Nähe dieser Städte Unterkunft in einer Herberge zu finden, sondern daß es auch schwer fiel, sich bei irgend jemand ein Nachtlager zu erbitten, da fast jede Stube schon mit drei oder vier Personen besetzt war. Die erste Nacht verbrachte Herr Zagloba in dem Handlungshause der Fukier recht angenehm, als er jedoch am folgenden Morgen in seinem Korbwagen wieder nüchtern wurde, fragte er sich umsonst, was er beginnen solle.

»Mein Gott! mein Gott!« rief er übellaunig, als er nun durch die Krakauer Vorstadt kam und sich umschaute, »hier sind die Bernhardiner und dort ist die Ruine des Kazanowskischen Palastes! Undankbare Stadt! Mit meinem Herzblut und unter Mühseligkeiten aller Art habe ich sie dem Feind entrissen, und nun gönnt sie nur nicht einmal einen Winkel für mein graues Haupt,«

Aber die Stadt vergönnte Zagloba keineswegs diesen Winkel, sie hatte nur keinen einzigen zu vergeben. Mittlerweile aber war ein Glücksstern über ihm aufgegangen, denn kaum war er an dem Palaste der Konyetspolskis angelangt, als eine Stimme seinem Wagenlenker »Halt« zurief.

Der Mann hielt die Pferde an und ein fremder Edelmann näherte sich mit strahlendem Antlitz dem Wagen und rief: »Herr Zagloba! Erkennen mich Euer Liebden denn nicht mehr?«

Zagloba sah einen etwa dreißigjährigen Mann vor sich, der auf dem Haupt eine Mütze von Luchsfell mit einer Feder trug – ein untrügliches Abzeichen militärischen Dienstes – ein mohnfarbenes Untergewand und einen dunkelroten Oberrock mit goldbrokatenem Gürtel. Das Angesicht des Fremden war von ungewöhnlicher Schönheit. Seine Gesichtsfarbe, ursprünglich blaß, war von Wind und Wetter gebräunt, seine blauen Augen blickten sinnend und schwermütig, seine Gesichtszüge waren ungemein regelmäßig und beinahe zu schön für einen Mann. Trotzdem er polnische Nationaltracht trug, hatte er langes Haar und einen nach ausländischer Art zugestutzten Bart. Näher an das Gefährt herantretend, breitete er seine Arme aus.

Herr Zagloba, obwohl er sich nicht zu entsinnen vermochte, wer der Fremde sei, beugte sich heraus und küßte ihn. Sie umarmten sich nun wechselseitig aufs Herzlichste, wobei einer den andern manchmal ein wenig zurückschob, um ihn besser betrachten zu können.

»Verzeiht, Euer Liebden,« sagte Zagloba schließlich, »allein ich kann mich noch immer nicht erinnern –«

»Haßling-Ketling!«

»Bei Gott! Das Gesicht kam mir bekannt vor, aber die Kleidung hat Euer Liebden gänzlich verändert, denn früher sah ich Euch im Reiterkoller. Jetzt tragt Ihr polnische Tracht?«

»Ja, denn ich habe die Republik, die mich aufnahm und ernährte, als ich fast noch ein Knabe und heimatlos war, zu meiner Mutter erwählt und wünsche mir keine andere. Euch ist wohl nicht bekannt, daß ich nach dem Kriege das Indigenat erhielt?«

»Dies ist eine gute Nachricht! So hat Euch das Glück darin begünstigt?«

»Darin und noch in anderen Dingen. Denn in Kurland, hart an der Grenze von Samogitien, lernte ich einen Namensvetter kennen, welcher mich adoptierte und sein Wappenschild und ein Teil seines Besitztums auf mich übertrug. Er selbst lebt in dem ferneren Kurland, aber diesseits der Grenze gehörte ihm der Landsitz Szkudy, den er mir überließ.«

»Gott mit Euch! Also sagtet Ihr dem Kriegshandwerk Valet?«

»Laßt nur den Krieg kommen, an mir soll's nicht fehlen! Ich habe meinen Landbesitz in Pacht gegeben und warte hier auf das, was kommen wird.«

»Diesen Mut lieb' ich! Gerade so war ich in meiner Jugend, und noch fühle ich Kraft in allen Gliedern. Was thut Ihr jetzt in Warschau?«

»Ich bin Landbote für die Reichstagsversammlung.«

»Gottes Wunder! Ihr seid ja Pole mit Haut und Haar!«

Der junge Ritter lächelte. »Und was mehr heißen will, von ganzer Seele.«

»Seid Ihr vermählt?«

Ketling seufzte: »Nein.«

»Nun, das fehlt also noch. Aber mich dünkt – wartet einen Augenblick! – Habt Ihr die alte Neigung für das Fräulein Billewicz noch immer nicht vergessen?«

»Da Ihr mein Geheimnis kennt, so seid versichert, daß keine neue Liebe in mein Herz eingezogen ist.«

»O, laßt doch ab von ihr! Sie wird bald der Welt einen jungen Kmicic schenken. Kümmert Euch nicht darum! Was für eine undankbare Geschichte, zu seufzen, wo ein anderer beglückt ist. Wahrhaftig, es ist lächerlich!«

Ketling schaute gedankenvoll auf. »Ich habe nur gesagt, daß keine neue Liebe in mein Herz eingezogen ist.«

»Nur keine Angst! Wird schon kommen! Wir werden einen verheirateten Mann aus Euch machen. Ich weiß aus Erfahrung, daß allzu große Beständigkeit in der Liebe nur Leiden bringt. Ich war zu meiner Zeit so beständig wie Troilus und dabei ging mir eine Unzahl von Freuden und guten Gelegenheiten verloren. Und wie viel hab' ich dabei gelitten!«

»Gott erhalte jedermann solch jovialen Humor, wie ihn Euer Liebden bewahrt haben.«

»Weil ich immer in mäßiger Weise lebte, bin ich vom Podogra verschont geblieben. Wo wohnt Ihr? Habt Ihr eine Herberge gefunden?«

»Ich besitze ein behagliches Landhäuschen, gegen Komotow zu gelegen, das ich nach dem Kriege erbaute.«

»Ihr seid vom Glück begünstigt, aber ich fahre schon seit gestern vergebens durch die ganze Stadt.«

»Um des Himmels willen! wohledler Herr, Ihr werdet es mir doch hoffentlich nicht abschlagen, wenn ich Euch bitte, bei mir abzusteigen. Da ist Platz genug; außer dem Wohnhause sind da noch Seitengebäude und bequeme Stallungen. Ihr werdet Raum für Diener und Pferde finden.«

»Ihr fallt mir ja gerade wie vom Himmel, so wahr mir Gott helfe.«

Ketling bestieg den Wagen und vorwärts ging's. Unterwegs erzählte Zagloba ihm von dem Unglück, das Herrn Wolodyjowski betroffen hatte, und er rang schmerzerfüllt die Hände darüber. Bisher war keine Kunde davon zu ihm gedrungen.

»Dieser Schlag trifft auch mich sehr hart,« sagte er; »vielleicht wissen Euer Liebden noch nicht, welch eine Freundschaft uns in jüngster Zeit verband. Gemeinsam machten wir während der letzten Kriege in Preußen die Belagerung der festen Plätze mit, in welchen schwedische Besatzung lag. Wir zogen gemeinsam in die Ukraine und gegen den Herrn Lubomirski, und nach dem Tode des Wojwoden von Rus abermals in die Ukraine unter dem Oberbefehl des Herrn Hetman Sobieski. Der gleiche Sattel war unser Pfühl, und wir aßen aus der gleichen Schüssel; man nannte uns Castor und Pollux. Erst als er nach Samogitien reiste, um Fräulein Borzobohata abzuholen, kam der Augenblick der Trennung für uns. Wer hätte gedacht, daß seine schönsten Hoffnungen gleich einem Pfeil in der Luft verschwinden würden.«

»Nichts ist beständig in diesem irdischen Jammerthal,« sagte Zagloba.

»Echte Freundschaft ausgenommen. Wir müssen uns seinetwegen beraten und zu erfahren suchen, wo er sich gegenwärtig aufhält. Vielleicht kann uns der Herr Hetman irgend welche Auskunft geben; er liebt Herrn Wolodyjowski wie seinen eigenen Augenapfel. Weiß er nichts, so giebt es hier ja Landboten aus allen Himmelsgegenden. Es ist unmöglich, daß kein einziger unter ihnen von solch einem Ritter etwas vernommen haben sollte. So viel in meiner Macht steht, will ich Euch dabei behülflich sein, noch eifriger, als wenn es sich um meine eigenen Angelegenheiten handelte.«

Unter solchen Gesprächen erreichten sie das »Landhäuschen« Ketlings, welches sich jedoch als ein stattlicher Landsitz erwies. Das Innere des Hauses war angefüllt mit mannigfachem Hausrat, worunter nicht wenige sehr kostbare Stücke, die zum Teil durch Kauf erworben, zum Teil Kriegsbeute waren. Besonders bemerkenswert war die Auswahl an Waffen aller Art. Zagloba, hocherfreut über das alles, meinte: »O, Ihr könntet hier zwanzig Personen Unterkunft schaffen. Ein Glück für mich, daß ich Euch gefunden. Ich hätte bei Herrn Anton Chrapowicki absteigen können; er ist ein alter Bekannter und Freund von mir. Auch die Pacs haben mich aufgefordert zu kommen; sie suchen Parteigänger gegen die Radziwills – aber ich ziehe vor, bei Euch zu bleiben.«

»Ich habe von den Litthauischen Landboten gehört, daß sie – weil eben jetzt Litthauen an der Reihe ist – jedenfalls Herrn Chrapowicki zum Reichstagsmarschall wählen wollen.«

»Und mit Recht. Er ist ein ehrenhafter, verständiger Mann, nur etwas zu gutmütig. Nichts geht ihm über den Frieden; er sucht immer nur die Leute mit einander auszusöhnen, und das ist nutzlos. Aber sagt mir aufrichtig, in welchem Verhältnis steht Ihr zu Boguslaw Radziwill?«

»In gar keinem seit der Zeit, da mich Herrn Kmicics Tataren bei Warschau gefangen nahmen; ich verließ den Dienst, denn ist er auch ein großer Herr, so ist er doch ein schlechter und ränkevoller Mann. Lange genug war ich in Taurogi Zeuge seiner Angriffe auf die Tugend jenes überirdischen Wesens.«

»Ueberirdisch! Was schwatzt Ihr da, Herr! Sie ist von Erde und zerbrechlich wie jedes irdene Gefäß. Aber das ist einerlei! Denkt Euch, dieser Schurke, ist Landbote,« rief Herr Zagloba, indem ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg und seine Augen fast aus den Höhlen traten.

»Wer?« rief Ketling erstaunt, denn seine Gedanken waren noch immer bei Olenka.

»Boguslaw Radziwill! Doch wozu wären die Wahlprüfungen. Hört! Ihr seid Landbote, Ihr könntet die Sache zur Sprache bringen. Ich will Euch von der Gallerie herab Unterstützung zubrüllen; seid nur außer Sorge. Das Recht ist auf unserer Seite; und wenn sie versuchen sollten, das Recht zu beugen, dann werden wir im Auditorium einen prächtigen kleinen Tumult veranstalten, der nicht ohne Blutvergießen ablaufen soll.«

»Thun dies Euer Liebden ja nicht, um Gotteswillen! Ich werde die Sache zur Sprache bringen, denn das gehört sich; aber Gott bewahre uns davor, den Reichstag zu sprengen.«

»Ich werde mit Chrapowicki reden, obwohl er nicht kalt, nicht warm ist; aber von ihm als den künftigen Reichstagsmarschall hängt viel ab. Die Pacs will ich aufhetzen. Wenigstens wollen wir alle seine Praktiken öffentlich in Erinnerung bringen. Ueberdies habe ich unterwegs gehört, daß dieser Schurke sich um die Krone zu bewerben gedenkt.«

»Ein Volk müßte zum Untergang reif und nicht des Lebens wert sein, wenn ein solcher Mann König werden könnte,« sagte Ketling. »Aber pflegen Euer Liebden jetzt der Ruhe; an einem der nächsten Tage wollen wir den Herrn Hetman aufsuchen, um über unsern Freund Erkundigungen einzuziehen.«

IV

Inhaltsverzeichnis

Einige Tage später fand die Eröffnung der Wahlprüfungen des Reichstages statt, in welcher, wie Ketling vorausgesagt, der damalige Smolensker Kämmerer und nachherige Witoyoker Wojwode, Herr Chrapowicki, zum Vorsitz berufen ward. Da es sich nur um die Festsetzung des Zeitpunktes der Königswahl handelte und um die Zusammensetzung des obersten Wahl-Kapitels – ein für Parteiintriguen nicht sehr dankbares Gebiet – so nahm die Versammlung einen ziemlich ruhigen Verlauf. Zu Anfang nur, während der Wahlprüfungen, ging es etwas heißer her. Als der Landbote Ketling die Rechtsgiltigkeit der Wahl des Herrn Kronintendanten von Bielsk und von dessen Amtsgenossen, des Herrn Fürsten Boguslaw Radziwill beanstandete, da rief aus der Zuhörerschaar eine gewaltige Stimme: »Ein Verräter! In fremdem Sold!« Auf diese Stimme folgten noch andere; einige Landboten schlossen sich ihnen an, und mit einem Male spaltete sich der Reichstag in zwei Parteien, von welchen die eine die Wahl der Bielsker Landboten für ungiltig erklärten, die andere diese Wahl bestätigen wollte. Schließlich einigte man sich, die Sache durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen, und es erkannte die Wahl an. Dennoch war dies Ereignis ein schwerer Schlag für den Fürsten Boguslaw. Allein schon der Umstand, daß darüber beraten ward, ob der Fürst würdig sei, im Reichstag zu sitzen, sowie die Thatsache, daß von all seinen Verrätereien und Treulosigkeiten zur Zeit des schwedischen Krieges öffentlich gesprochen wurde, bedeckte sein Haupt mit neuer Schmach in den Augen der Republik und mußte seine ehrgeizigen Pläne von Grund aus vernichten.

Er hatte berechnet, daß der Kampf zwischen den Condéschen, Neuenburgischen und Lothringischen Parteigängern, abgesehen von den kleineren Parteien, leicht dazu führen könne, die Wahl auf einen Inländer zu lenken. Seine Schmeichler und sein eigener Hochmut aber flüsterten ihm ein, wenn das geschehe, so könne dieser Inländer niemand anders sein, als ein Mann von hohem Genie und aus einem mächtigen, berühmten Geschlecht – mit einem Wort – er selbst.

Er wollte seine Absichten bis zu geeigneter Stunde geheim halten, hatte vorsorglich einstweilen sein Fanggarn über Litthauen ausgeworfen und war eben daran, auch in Warschau seine Netze auszuwerfen, als er plötzlich erkennen mußte, daß man sie ihm gleich zu Anfang zerriß und so stark durchlöcherte, daß alle gefangenen Fische mit leichter Mühe entweichen konnten. So knirschte er denn mit den Zähnen so lange die Wahlprüfungen währten. An Ketling konnte er nicht Rache nehmen, denn diesen schützte die Unverletzlichkeit des Landboten; darum verkündete er nun seinen Begleitern, wer ihm jenen Zuschauer nennen könne, der bei Ketlings Rede »Verräter! Judas!« gerufen, der erhalte eine Belohnung.

Zagloba war zu bekannt, als daß sein Name lange Zeit hätte verborgen bleiben können. Er hatte auch gar nicht die Absicht, ihn geheim zu halten. Der Fürst schlug immer größeren Lärm, geriet aber nicht wenig aus der Fassung, als er vernahm, daß sein Gegner ein so populärer Mann wie Herr Zagloba sei, mit dem anzubinden gefährlich war.

Zagloba war sich seiner Macht bewußt, denn als Drohungen gegen ihn laut wurden, ließ er sich bei einer größeren Adelsversammlung also vernehmen: »Ich weiß nicht, ob ein gewisser Jemand sich noch sicher fühlen könnte, würde mir auch nur ein Haar auf dem Haupte gekrümmt. Die Königswahl ist nahe, und wenn Hunderttausende von Schwertern brüderlich zusammenhalten, dann könnte es leicht zu einem blutigen Tanze kommen.«

Diese Worte erreichten das Ohr des Fürsten. Er biß sich auf die Lippen und lächelte dann höhnisch; aber in seinem innersten Herzen wußte er, Herr Zagloba habe nicht unrecht. Am folgenden Tage schon änderte er sein Verfahren dem alten Ritter gegenüber. Als Jemand an der Tafel des fürstlichen Kämmerers von Zagloba sprach, sagte Boguslaw:

»Dieser Edelmann ist ein großer Gegner von mir, wie ich höre, allein ich habe eine solche Vorliebe für ritterliche Degen, daß ich ihm selbst dann noch gut wäre, wenn er weiter versuchen sollte, mir zu schaden.«

Und eine Woche später wiederholte er das Gleiche Herrn Zagloba selbst gegenüber, als sie sich in dem Hause des Großhetman Sobieski trafen. Obwohl Zaglobas Antlitz ruhigen Gleichmut zeigte, war er doch innerlich erregt beim Anblick des Fürsten; denn Boguslaws Hand reichte weit und war allgemein gefürchtet. Der Fürst indeß rief über die ganze Tafel hinüber: »Mein Herr Zagloba, man hat mir berichtet, daß Ihr, obwohl Ihr kein Landbote seid, darnach trachtetet, mich unschuldigen Mann vom Reichstage auszuschließen; aber ich vergebe Euch dies nach Christenpflicht und ich stehe zu Euren Diensten, solltet Ihr eine Beförderung nötig haben.«

»Ich habe nur die Verfassung verteidigt,« erwiderte Zagloba, »wozu ich als Edelmann verpflichtet bin; quod attinet die Protektion, so ist mir wohl die Gottes am nötigsten, denn ich bin nicht mehr weit von den Neunzigen.«