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Eine Sammlung mit elf Kurzgeschichten, die über den thematischen Tellerrand des klassischen Horrors hinausblicken. Erzählungen über einen schrecklichen Drogentrip, ein neues Haustier, einen Schulpsychologen, der alles tun würde, um einem Kind zu helfen und vieles mehr.
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Seitenzahl: 93
PARANOIA - eine Sammlung von Horrorgeschichten, die über den Tellerrand des klassischen Horrors hinausblicken.
Früh am Morgen, es klopft an meiner Tür. Mir gegenüber steht ein Zeuge Jehovas, schon wieder. Als ich mich dazu bereit mache, die Tür wieder zuzuschlagen, geht ein leiser Alarm in meinem benebelten Kopf los. Etwas stimmt hier nicht. Mir den Schlaf aus den Augen blinzelnd realisiere ich, dass der Mann keinen Kopf hat. Nur ein blutiger Stumpf ragt zwischen seinen Schultern hervor. Ich blinzle abermals.
Der Mann ist immer noch da – sein Kopf noch immer nicht. Mit weit aufgerissenen Augen schaue ich hinunter und finde das fehlende Gesicht in seine Arme gewogen, die Augen verdreht und die Zunge über die blauen Lippen leckend. Er springt über die Türschwelle, auf mich zu. Ich stolpere rückwärts in den Flur.
In meinem Kopf dreht sich alles während er mich durch das Haus und die Treppen hoch jagt. Ich renne in mein Schlafzimmer und springe durch das Fenster, stürze auf den Rasen. Oben erhebt der Zeuge seinen körperlosen Kopf über sich und wirft ihn nach mir. Ich ducke mich und der Kopf rollt über den Rasen, seine wahnsinnigen Augen rollend. Er kommt ins Stehen und verdampft in einer Wolke aus blauem Rauch. Im Morgenlicht liege ich im Gras, drei Wörter jagen immer wieder durch mein betäubtes Hirn. Was. Zur. Hölle. Warte. Okay, ich erinnere mich.
Ich stand abseits, in der Ecke, mit diesem Dealer. Nur die Lichter des Clubs beleuchteten unsere Gesichter.
„Sorry,“ sagte er „E ist alle.“
„Tja Scheiße, was hast du sonst?“
„Das Übliche. Weed, 'n bisschen Crystal, 'n paar Rocks...“ er taxierte mich mit seinem Blick „...aber weißt du, ich glaube für dich habe ich etwas ganz Besonderes.“ Er zog eine kleine Tüte aus seiner Tasche, darin dutzende kleiner weißer Pillen. „Der Scheiß ist neu, wird Broken Moon genannt.“ „Noch nie davon gehört, was macht es?“
„Natürlich hast du noch nie davon gehört, du Depp, hab ich doch gerade gesagt, der Scheiß ist brandneu. Ist 'ne Droge aus den Himalayas oder so'n Scheiß. Die Mönche da oben ernten diese komische Blume, verarbeiten sie, dann sprechen sie alle möglichen Zauber drüber. Der Scheiß ist so neu, die Bullen wissen noch nicht mal, dass es ihn gibt. Vertrau mir man, das ist der ultimative Trip. Eine davon und du trippst dir die Eier weg, von denen du nicht mal wusstest dass du sie hast!“
„Also ist es wie LSD?“ „Alter, LSD ist ein Scheiß dagegen. Gegen Broken Moon ist LSD Brausepulver.“
„Gut, dann nehme ich halt eine. Wie viel?“
„Für eine Pille? 200.“ „Das ist aber scheiße teuer.“ „Scheiße teuer? Alter, Hast du mir überhaupt zugehört? Verfickte Himalayas! Verfickte Mönche! Zauber! Natürlich ist das Zeug teuer, das ist verdammt selten man.“
Es endete damit, dass ich eine zum „Sonderpreis“ von 140€ kaufte. Ich schluckte sie und wartete. Und wartete. Ich verfluchte mich für meine Dummheit als ich 6 Stunden später nach Hause ging. Ich schwor mir, das nächste mal wenn ich ihn sah die Scheiße aus diesem Dealer rauszuprügeln. Das war vor zwei Tagen. Sieht so aus, als hätte er doch nicht gelogen...
Broken Moon. Ich setzte mich wieder ins Gras während der Himmel über mir langsam zu einer klaffenden Leere wurde. Das Gras unter mir pulsierte im Takt meines Herzschlags, sang eine mir unbekannte Hymne während die Halme über den Boden wanderten. Broken Moon. Der Scheiß war gut.
Ich stand auf und starrte zu dem zerbrochenen Fenster meines schmelzenden Hauses. Es schien mir eine Verschwendung zu sein, diesen fantastischen Trip zuhause auszusitzen. Ich hatte zuvor schon Acid Walks gemacht, ich wusste wie ich mich ruhig halten konnte. Außerdem war mein Haus in eine Wasserwand zerflossen welche sich immer und immer wieder überschlug. Ich bezweifle, dass ich die Haustür gefunden hätte, selbst wenn ich es gewollt hätte.
Ich wanderte ziellos durch meine Stadt, den Mund offenstehend, während ich mich umsah. Der Fußweg wurde zu einem Fluss aus grauen Eidechsen welche ihre Rücken gegen meine Füße schoben, mich immer weiter vorantrieben. Ich lief an einem Mann mit zwei Gesichtern vorbei, welcher unaufhörlich mit sich selbst diskutierte während sein Kopf sich drehte. Ein Hydrant spritzte Bänder aus purer Farbe, welche sich sanft um mein Gesicht legten. Überwältigende optische Illusionen und spürbare physische Halluzinationen. Broken Moon. Selbst mit meiner Erfahrung fiel es mir schwer, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich nur auf einem Drogentrip war. Millionen von Ameisen schwärmten durch den blauen Himmel, jede einzelne von ihnen hielt eine kleine Wasserperle in ihrem Maul. Sie trugen die kleinen, glitzernden Perlen zurück zu ihrem Nest in den Wolken. Eine einsame Walküre schwebte über mir, ihre Schwingen rissen den Himmel in Millionen silberne Scherben während sie durch Raum und Zeit zu einem antiken Schlachtfeld flog. Ich fiel mit Tränen in den Augen in die Knie, geblendet von ihrer Schönheit...
Und dann verschwand es alles. Ich kauerte im Dreck auf der Straße, vorbeilaufende Menschen warfen mir nervöse Blicke zu. Ich stand auf und murmelte etwas davon, gestolpert zu sein, doch sie schienen nicht sonderlich überzeugt. Ich tauchte in einer Seitengasse ab um weitere Komplikationen zu vermeiden. Mein Gott, was für eine Droge. Nie zuvor hatte ich so realistische Halluzinationen erleben dürfen. Das verblassende Bild der Walküre schimmerte immer noch in meinem Kopf und ich wusste, ich fühlte, dass das das schönste war, was ich je gesehen hatte. Ohne Zweifel, ich würde mehr von dem Zeug kaufen. Aber ich war kein scheiß Amateur, zuvor würde ich recherchieren müssen, um sicherzugehen dass es nicht tödlich war oder mir den Rest meines Lebens zerstören würde. Auch wenn ich zugeben muss, dass es das durchaus wert zu sein schien.
Da ich eh schon in der Stadt war, ging ich zur Bibliothek und verbrachte Stunden damit, das Internet zu durchsuchen und mich durch unzählige Bücher zu wälzen. Doch ich konnte keine Informationen zu Broken Moon finden. Als der Tag sich dem Abend neigte fühlte ich mich immer entmutigter, und dann schien ich auch noch einen Rückfall zu erleiden. Augen beobachteten mich forschend von zwischen den Büchern hervor. Als ich durch die Reihen lief, begannen Manuskripte sich selbst vorzulesen, rezitierten endlose Bände von Wissen und Geschichten, immer lauter und lauter. Bis ich endlich auch der Bibliothek gerannt war, meine Hände über den Ohren.
Draußen tobte ein Krieg unter der scharlachroten Sonne. Kreaturen, geboren aus Eiter und Dreck, schlangen ihre klebrigen Tentakel um gesichtslose, rote, hölzerne Männer, welche kraftlos mit zackigen Knochendolchen auf die gallertartige Masse einstachen. Gigantische Krabben krochen übers Schlachtfeld, verschlangen mit ihren menschenähnlichen, klaffenden Mäulern Gegner am Stück. Über den Lärm des sprudelnden Schlamms, der schreienden Marionetten und des krabbelnden Klickens erschallte ein unheilvolles Jammern, welches Gebäude zu Staub zerbröseln ließ und die Erde aufspaltete. Hinter dem fallenden Schutt der Stadt erhoben sich gigantische Kohle-Finger, unendliche Finger von schnatternden Halbgöttern, welche im wirbelnden Chaos lachten und tanzten; ihre ungesehenen Augen tauchten die Straßen in einen widerwärtigen, orangenen Nebel. Dann, mit der Wucht von eintausend Trompeten, teilten sich die über dem Wahnsinn schwebenden, schrumpeligen Wolken und ließen blutige Fleischklumpen auf die Kreaturen herabregnen. Die Brocken des fallenden Tumorgewebes pochten, pulsierten und breiteten sich aus, verschlangen die Kämpfer und die Straßen und erklommen die zerstörten Gebäude auf einem Gewirr schlagender Venen. Als sie um mich herum aufquollen, machte ich kehrt und rannte die Straßen entlang, welche durch die leblosen Körper ganz glitschig waren. Ich rannte schreiend in den sich rötenden Nebel während hinter mir der Tumor weiter über den Boden kroch, die Welt hinter sich verschlang, Ranken in den Himmel schoss, welche das Sonnenlicht stahlen. Vor mir sah ich einen felsigen Schlund der Schwärze, welcher sich zwischen zwei zerstörten Gebäuden erstreckte. Ich zwang mich in die schwarze Leere, bevor sich das Loch wieder schließen konnte. Hinter mir war das verzehrende Fleisch hinter Ziegelwänden gefangen, welche unendlich hoch emporzuragen schienen, aufstiegen ins All und das kühle Unbekannte dahinter, wo selbst Staub sich nur kläglich rühren kann im sterbenden Atem eines schemenhaften, endenden Universums.
Auch ich war gefangen. In einem schmalen Tunnel, die Ziegelwände zu meiner Linken und Rechten. Der Boden war fest, doch er verhielt sich als wäre er flüssig. Während ich den engen Gang passierte, matschte und blubberte es unter meinen Füßen. Unter seiner Oberfläche blickten die vertrauten Gesichter meiner Familie und meiner Freund zu mir herauf, sie lächelten, doch ihre Augen strahlten einen tiefen Hunger aus. Alle paar Sekunden ließ ein schauderhaftes Krachen Asche von oben rieseln und verbreitete Wellen auf dem Boden. Es fühlte sich an, als wäre ich mehrere Stunden durch dieses lineare Labyrinth gelaufen.
Langsam dämmerte mir, dass das Geräusch immer näher kam. Ich drehte mich um. Ein Koloss von einem Mann stiefelte über die Oberfläche des Bodens, seine Schultern schürften an den Wänden. Er blickte unter der Kapuze, die sein Gesicht verdeckte, auf mich herab. Als ich zurücktaumelte, holte er langsam eine lange, schimmernde Axt aus der Dunkelheit hinter sich hervor. Ich versuchte wegzurennen, doch ich stolperte und fiel hin. Sofort packten mich die Gesichter, die unter mir trieben, mit ihren langen, gummiartigen Zungen. Der vermummte Mann hob die Axt über seinen Kopf und ließ sie dann auf meine Brust fallen, sie schlitzte sich durch meine Klamotten und schnitt sich in mein Fleisch. Eine schwarze Flüssigkeit, die Essenz meiner Albträume, brach aus der Wunde aus, bespritzte die Wände und kroch an diesen langsam den Stein hinab. Die Kreaturen unter mir begannen voller Erwartung zu gurgeln als der Henker seine Axt für einen finalen Schlag erhob, doch als er sie zu mir herunterschwang, verschwand der Tunnel. Der Boden verhärtete sich und ergraute wieder zu gewöhnlichem Asphalt, und mit einem finalen Donnerschlag war der Mann auch verschwunden. Ich lag auf meinem Rücken, allein, in der Seitengasse.
Broken Moon. Richtig harter Scheiß.
Ich schaffte es, mich wieder auf meine zittrigen Beine zu heben und begab mich ans Ende der Gasse. Auf die Straße schauend sah ich einen ganz normalen Abend: Menschen bummelten über den Gehweg, Autos tuckerten über die Straße unter dem marineblauem Himmel. Ein leichtes plätschern bewog mich dazu, nach unten zu schauen, wo sich gerade eine rote Pfütze ausbreitete. Ich schnappte nach Luft als ich den Schnitt in meiner Brust fühlte. Blut lief mir das T-Shirt herunter und tropfte leise auf den kalten Asphalt unter mir. Was zur Hölle war passiert? Ich riss mir das Shirt runter und band es um die Wunde und begann nach Hause zu stolpern. Im Stillen verfluchte ich diesen Dealer und diese schreckliche Droge.
Ich saß im Badezimmer mit Mullbinden und Antiseptikum, flickte mich so gut zusammen, wie es mir möglich war. Ich vermutete, dass ich mich irgendwie im Kampf mit dem schlechten Trip verletzt haben musste. Während ich mir eine Bandage anbrachte, legte ich den feierlichen Schwur ab, nie wieder Halluzinogene anzurühren, vor allem dieses verdammte Broken Moon. Wegen all dem, was ich gesehen hatte, hämmerte mein Kopf noch immer. Was auch immer ich anfangs für eine Schönheit wahrgenommen haben wollte, sie wurde um ein hundertfaches von den alptraumhaften Visionen danach überboten. Die Migräne pochte, brannte sich durch meine Schläfen und schoss Pfeile des Schmerzes über meine Kopfhaut. Blindlings tastete ich mich zum Medizinschrank und öffnete ihn, suchte darin die Schmerzmittel. Meine Hand traf auf etwas Kleines, stachliges. Es bewegte sich ...