9,99 €
Paris. Eine Stadt in Biographien - Eine Stadt wird nicht nur von Gebäuden und Straßenzügen geprägt, die Identität von Paris entsteht erst mit den Geschichten seiner Bewohner. Denn was wäre die Stadt ohne Louis XIV., Victor Hugo oder Coco Chanel? 20 ausgewählte Biographien zeichnen ein lebendiges, historisches wie auch aktuelles Bild der Stadt. Die Porträts werden durch Adressen ergänzt, die eine Stadterkundung auf den Spuren der porträtierten Personen ermöglichen. Dieser Band umfasst Porträts von: Abélard & Héloïse, Henri IV, Louis XIV, Voltaire, Marie Antoinette, Napoléon, Honoré de Balzac, Victor Hugo, Claude Monet, Auguste Rodin, Auguste Escoffier, Marie Curie, Sidonie-Gabrielle Colette, Pablo Picasso, Coco Chanel, Jean-Paul Sartre & Simone de Beauvoir, Edith Piaf, Boris Vian, Francois Truffaut und Yves Saint Laurent. Autorin: Marina Bohlmann-Modersohn
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 163
Marina Bohlmann-Modersohn
PARIS
Eine Stadt in Biographien
TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH
Herausgegeben von Norbert Lewandowski
Marina Bohlmann-Modersohn studierte Literaturgeschichte in Hamburg, London und Paris und war dann langjährige Mitarbeiterin der Pariser SPIEGEL-Redaktion.
Neben zahlreichen biographischen Essays veröffentlichte sie ein Buch über die Malerin Paula Modersohn-Becker und ist außerdem Autorin der Bände »Hamburg« und »London« aus der Reihe MERIANporträts sowie von MERIANlive! »Paris« und »Hamburg«.
Paris für Verliebte, Paris für Gourmets. Das sündige Paris, das Paris der Kultur. Eiffelturm, Arc de Triomphe, Invalidendom, Champs-Élysées, Tuilerien, Louvre. Das Modeparadies Paris. Und was sonst noch?
Jede Metropole wird nicht nur von ihren Gebäuden und Straßenzügen geprägt, sondern in erster Linie von den Menschen, die in ihren Mauern leben und arbeiten. Von Persönlichkeiten, die in der Stadt geboren wurden, hier gestorben sind oder entscheidende Jahre verbracht haben. Diese Figuren machen die Aura einer Stadt aus. Sie prägen ihr Flair.
MERIANporträts beschreibt diese Menschen und lässt sie die Besucher durch Historie und Gegenwart der Stadt begleiten. Sie führen direkt ins Innenleben des Reiseziels, in die Ursprünglichkeit einer Metropole.
So erleben wir das Paris der Könige, der Poeten und Philosophen, der Künstler und Köche, der Chansonniers und Couturiers. In 20 Kapiteln begegnen wir auf der Île de la Cité dem Volkskönig Henri IV, Honoré de Balzac in Montparnasse, Auguste Renoir auf dem Montmartre und vielen anderen. Natürlich ist es schwer, die »richtigen« 20 Personen auszuwählen. Vermutlich ist es sogar unmöglich, schließlich wurde Paris in seiner 2000-jährigen Geschichte von weit mehr als 20 Menschen geprägt. Doch in der Summe soll die subjektive Auswahl jenes unverwechselbare Kaleidoskop ergeben – das Faszinosum Paris.
Wir begegnen der Liebe von Abélard und Héloïse, der Skepsis von Voltaire, der Tragik von Marie Antoinette, der Unerschrockenheit Victor Hugos, den Chansons der Piaf, der Mode von Coco Chanel, den Filmen von Truffaut.
Wir flanieren durch das Paris der Verliebten, der Kunst, des Genusses, bisweilen auch der Tristesse. Am Ende steht das Lebensgefühl dieser Stadt. Savoir vivre. Paris ist seine Heimat.
Ohne ihre Bewohner wäre die Stadt eine andere. Ohne Louis XIV, Victor Hugo, Simone de Beauvoir … wäre Paris nicht Paris.
Farbige Kästchen mit Ziffern 1 und farbige Buchstaben-Ziffern-Kombinationen (▶D 3) verweisen auf die Orientierungskarte.
Eine der großen tragischen Romanzen des Mittelalters: Berühmter Theologe liebt 16 Jahre jüngere Klosterschülerin. Das Mädchen wird schwanger, die beiden heiraten heimlich. Es geht nicht gut aus …
Auf der Kuppe des sanft ansteigenden Hügels Montagne-Sainte-Geneviève südlich des ländlichen Seine-Ufers, dort, wo Rue Saint-Jacques und Rue Soufflot sich kreuzen und heute das Panthéon 36( ▶F 6) steht, sind die schmalen Gassen mit eisernen Ketten für Kutschen und Karren gesperrt.
Zahlreiche Studenten aus den umliegenden Abteien und Klöstern haben sich hier oben versammelt; sie sitzen auf Heu- oder Strohballen. Viele stehen, den Blick erwartungsvoll auf ein Fenster gerichtet, hinter dem jeden Augenblick Pierre Abélard erscheinen und mit seiner Vorlesung beginnen wird. Hochschulbetrieb unter freiem Himmel. Gemeinschaftliches Lernen außerhalb der Klostermauern. Das ist im Paris des Jahres 1114 etwas ganz Neues.
Der Philosoph und Theologe Pierre Abélard, geboren als Sohn eines bretonischen Ritters in Le Pallet bei Nantes, ist bei den Studenten nicht nur wegen seiner glänzenden Rhetorik so beliebt. Er ist ein streitbarer Geist. Ein Lehrer, der sich der bischöflichen Autorität nicht länger fügen will: »Durch Zweifeln nämlich kommen wir zum Hinterfragen. Durch das Hinterfragen aber erfahren wir die Wahrheit«, lautet seine These, die das Motiv des Zweifels als Weg zur Wahrheit betont und zu einer kritischen Analyse der kirchlichen Texte auffordert.
Mit 35 Jahren hat Pierre Abélard das Höchste erreicht, was ein Absolvent des Philosophie- und Theologiestudiums zu dieser Zeit erreichen kann: Er ist Leiter der Klosterschule von Notre-Dame33( ▶F/G 5) in der Rue du Cloître-Notre-Dame ( ▶F/G 5) geworden und hat den Lehrstuhl für Dialektik inne. Obgleich er von zahlreichen Kirchenvätern als »Ketzer« kritisiert wird, will der Zustrom seiner Schüler nicht abreißen. Abélard gilt als Revolutionär, Jahrhunderte vor der Aufklärung vertritt er die Auffassung, dass die Vernunft nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen Vorrang haben müsse.
Die kleine Rue du Cloître-Notre-Dame flankiert die Nordseite der Kathedrale Notre-Dame und führt in ihrer westlichen Verlängerung zum Krankenhaus Hôtel Dieu. Im Mittelalter befand sich hier das Armenhospital von Paris, zu dem die Kirche Saint-Christophe gehörte. Sie stand dort, wo sich heute die Menschen auf der Place du Parvis Notre-Dame ( ▶F 5) drängen.
In das Pflaster des Platzes ist eine Bronzeplatte mit einem Messingstern eingelassen, der zum einen das geografische Zentrum Frankreichs symbolisieren soll, auf das alle Nationalstraßen des Landes sternförmig zulaufen, und zum anderen den »point zéro« markiert, den Nullpunkt, die Mitte von Paris.
Wenn von Pierre Abélard die Rede ist, fällt in unmittelbarem Zusammenhang auch der Name Fulbert. Er war Domherr in Saint-Christophe und wohnte gleich neben der Kirche. Zeitgenossen schildern ihn als geschäftstüchtigen Kirchenmann, der aber zu Jähzorn und Rachsucht neigte. Dieser Fulbert hatte seine 20-jährige Nichte Héloïse als Pflegetochter zu sich ins Haus genommen. Eine Halbwaise, die ihre Kindheit im Kloster von Argenteuil verbracht hatte, wo sie wegen ihrer überdurchschnittlichen Intelligenz und hervorragenden Kenntnis in Latein, Griechisch und Hebräisch aufgefallen war. Der ehrgeizige Onkel will das junge Mädchen unter seiner Obhut weiter ausbilden lassen.
Es muss Ende 1116 sein, als Pierre Abélard zum ersten Mal Fulberts Haus betritt. Er soll Héloïse Unterricht in Philosophie erteilen. Für das ungestörte Lernen ziehen sich der Lehrer und seine Schülerin in eine stille Studierstube zurück. Bevor sich die Tür jedoch hinter den beiden schließt, gibt Fulbert dem Theologen noch eine Instruktion mit auf den Weg: Sollte Héloïse keine Fortschritte machen, dürfe er auch eine körperliche Strafe nicht scheuen. So beginnt, vermutlich mit einem kleinen Klaps, eine der leidenschaftlichsten Liebesgeschichten des Mittelalters. Abélard schreibt später: »Es war zärtliche Verliebtheit, die mir die Hand führte – und ihr war diese Züchtigung linder als kostbare Salbe. In unserer Gier genossen wir jede Abstufung des Liebens, wir bereicherten unser Liebesspiel mit allen Reizen, welche die Erfinderlust ersonnen.«
Es dauert nicht lange, bis der Onkel auf die Romanze unter seinem Dach aufmerksam wird. Wilder Zorn packt ihn, er verweist Abélard wegen Unzucht mit einer Abhängigen des Hauses. Da ist Héloïse bereits schwanger. Mithilfe des Geliebten gelingt ihr die Flucht aus Paris in sein Elternhaus in Le Pallet.
Es müssen qualvolle Wochen und Monate gewesen sein. Während sich Abélard um Wiedergutmachung bei Fulbert in Paris bemüht und ihm verspricht, Héloïse zu heiraten, vorausgesetzt, die Ehe bliebe geheim, bringt sie einen Sohn, Petrus Astralabius, zur Welt. Dennoch widersetzt sie sich aus Rücksicht auf Abélards Ruf und Karriere zunächst einem Heiratsangebot.
Irgendwie kommt es doch noch zu einer heimlichen Heirat, die auch der erboste Onkel geheim zu halten verspricht. Aber seine Wut auf diese verbotene Liebe sitzt tief, er macht Héloïse das Leben zur Hölle: Abélard sieht sich gezwungen, die junge Frau vor Fulbert zu schützen und in das Kloster von Argenteuil zu schicken. Eine Entscheidung, die verhängnisvolle Konsequenzen hat.
Konfrontiert mit dem Vorwurf, untreu zu sein und sich aus der ehelichen Verantwortung stehlen zu wollen, wird Abélard im Auftrag von Fulbert Opfer einer schaurigen Aktion: Eines Nachts dringen maskierte Männer in sein Zimmer ein, schlagen ihn nieder und kastrieren ihn. Schwer verletzt und zutiefst gedemütigt überlebt er den Anschlag und zieht sich als Mönch in die Abtei Saint-Denis vor den Toren von Paris zurück, während Héloïse im Kloster von Argenteuil ihr Gelöbnis ablegt und Nonne wird. Herzergreifende Liebesbriefe gehen von Kloster zu Kloster.
Héloïse rückblickend an Abélard:
»Nichts habe ich je bei Dir gesucht – Gott weiß es – als dich selbst: dich schlechthin begehrte ich, nicht das, was dein war. Kein Ehebündnis, keine Morgengabe habe ich erwartet; nicht meine Lust und meinen Willen suchte ich zu befriedigen, sondern den deinen, das weißt du wohl. Mag dir der Name Gattin heiliger und ehrbarer erscheinen, mir war allzeit reizender die Bezeichnung Geliebte, oder gar verarg es mir nicht – deine Konkubine, deine Dirne. Je tiefer ich mich um deinetwillen erniedrigte, desto mehr wollte ich dadurch Gnade bei dir finden, und um so weniger gerade auf diese Weise dem Ruhm deiner Vorzüglichkeit schaden.«
Abélards Ruf als Philosoph und Prediger ist nicht unumstritten, vielleicht lauern deshalb die Feinde überall, besonders unter seinen Mitbrüdern in Saint-Denis. Dessen überdrüssig, bricht der Mönch nach Mittelfrankreich auf und gründet südlich von Nogent-sur-Seine den Orden »Paraclet«. Der Zufall will es, dass etwa um dieselbe Zeit Héloïse und ihre Schwestern aus dem Kloster Argenteuil vertrieben werden. Abélard reagiert umgehend: Er schenkt ihnen sein kleines Kloster, verfasst Ordensregeln, Lieder und Predigten und unterstützt die Nonnen beim Aufbau ihres Hauses. Unter der Leitung von Héloïse, die inzwischen zur Äbtissin berufen wurde, entwickelt sich »Le Paraclet« zu einem blühenden Klosteranwesen mit umfangreichem Grundbesitz.
Hätte Jean-Jacques Rousseau nicht seinen erfolgreichen Briefroman »La Nouvelle Héloïse« geschrieben, der 1761 veröffentlicht wurde, wer weiß, ob die Liebes- und Leidensgeschichte von Abélard und Héloïse und ihr passionierter Briefwechsel, der dem Buch zugrunde liegt, je so berühmt geworden wären.
Der Theologe war um 1133 wieder nach Paris auf den Genoveva-Berg ins heutige Universitätsviertel Quartier Latin( ▶F/G 6) zurückgekehrt, wo ihm als wissenschaftlicher Lehrer ein grandioses Comeback gelang. Immer mehr wurde er zum theologischen Gegenspieler des mächtigen Benediktinerabtes Bernard de Clairvaux, der ihn schließlich der Häresie bezichtigte. Auf Anordnung des Papstes Innozenz II. wurde er im Juni 1141 zu lebenslanger Klosterhaft und ewigem Schweigen verurteilt. Seine Werke wurden öffentlich in Rom verbrannt.
Abélard erkrankte, fand Zuflucht in der burgundischen Großabtei von Cluny und starb am 21. April 1142 im Priorat Saint-Marcel bei Chalon-sur-Saône. Sein Leichnam wurde auf Wunsch von Héloïse in das Paraclet-Kloster überführt; sie wurde 1164 neben ihm bestattet. Als das Kloster während der Französischen Revolution aufgelöst wurde, brachte man die sterblichen Überreste des Paares nach Paris, wo sie seit 1817 auf dem Friedhof Père Lachaise11( ▶K 4) ruhen.
Der nach dem Jesuitenpater François de la Chaise d’Aix benannte Cimetière du Père Lachaise im Osten der Stadt ist mit seinen Alleen und pompösen Grabdenkmälern illustrer Künstler, berühmter Politiker und reicher Industrieller die größte Begräbnisstätte von Paris, größer als der Jardin du Luxembourg oder der Jardin des Plantes. Er wurde 1804 angelegt. Molière ruht hier, Balzac, Baron Haussmann, Marcel Proust und die Piaf. Zur regelrechten Pilgerstätte wurde das Grab des amerikanischen Rockmusikers und Sängers der legendären Gruppe »The Doors«, Jim Morrison, der 1971 im Alter von 27 Jahren in Paris an seinem Drogenkonsum gestorben war.
Im Père Lachaise wurde blutige Geschichte geschrieben: 1871 kämpften zwischen den Gräbern die Regierungstruppen aus Versailles gegen die Pariser Kommunarden, bis ihr verzweifelter Widerstand zusammenbrach. Die 147 Überlebenden wurden am 18. Mai 1871 in der Südostecke des Gräberfeldes an der Friedhofsmauer standrechtlich erschossen.
Das Grabmal von Abélard und Héloïse finden wir rechts vom Haupteingang am Boulevard de Ménilmontant. In einem Mausoleum mit Baldachin hat das Paar seine Ruhe gefunden. Wie schön, dass einem unwillkürlich die Worte von Héloïse an Abélard einfallen, als sie im Garten von Paraclet voneinander Abschied nahmen: »Denn mein Herz ist nicht bei mir, sondern bei dir, und wenn es nicht bei dir ist, ist es nirgendwo.«
Pl. de la Légion d’Honneur
St-Denis
http://saint-denis.monuments-nationaux.fr
▶ Métro: Basilique de Saint-Denis
Bd. de Ménilmontant, 20. Arr.
www.pere-lachaise.com
▶ Métro: Père Lachaise
Pl. du Parvis Notre-Dame, 4. Arr.
www.notredamedeparis.fr
▶ Métro: Cité
1553–1610
Le bon roi, den »guten König«, nennt man ihn. Er lehrte das Land Toleranz, brachte ihm den Frieden. Und mit einem gewissen Stolz weisen die Pariser auf seine zahlreichen amourösen Abenteuer hin.
Hoch zu Ross, seinen freundlichen Blick gen Süden über die Île de la Cité( ▶E 4/5) mit den Türmen von Notre-Dame 33( ▶ F/G 5) gerichtet, im Rücken die romantischste aller Pariser Parkanlagen und für das Volk weithin sichtbar – so wollte Marie de Médicis ihren Gemahl und nimmermüden Reiter verewigt wissen, der am 14. Mai 1610 während der Fahrt in seiner Karosse einem Mord zum Opfer gefallen war.
Ein Zeitgenosse berichtet: »Als man in die Rue de la Ferronnerie kam, stieß man auf einen Karren, der die königliche Karosse zwang, dicht an die Eisenwarenläden heranzufahren (…) Dort warf sich ein verabscheuungswürdiger Mörder auf den König.«
Dreimal stieß der fanatische Papstanhänger François Ravaillac das Messer in die Brust des Königs. Der erste Stich glitt an den Rippen ab, der zweite durchtrennte die Schlagader über dem Herzen und durchstieß den linken Lungenflügel, der dritte verfehlte das Herz. Der blutüberströmte Regent wurde in sein Schloss, den Louvre29( ▶ E/F 4), gefahren, er starb, 57-jährig, noch auf dem Weg.
Kurz darauf endete auch der Meuchelmörder qualvoll: Parlament und Volkszorn hatten gefordert, dass der Täter, nackt bis aufs Hemd und eine brennende Kerze in der Hand, vor dem Portal von Notre-Dame Buße tun und Gott, den König und die Justiz um Gnade bitten müsse, bevor er grausam gefoltert und schließlich coram publico von Pferden gevierteilt wurde. Eine in das Pflaster vor dem Haus Nr. 11, Rue de la Ferronnerie( ▶F 4), eingelassene Plakette erinnert an den tödlichen Anschlag auf den ersten der französischen Bourbonen-Könige.
Längst war »le bon roi Henri«, der »gute König« Heinrich IV, zum Idol des Volkes geworden. Mit seinem heimlich verbreiteten Epos »Die Henriade«, einem Bekenntnis zum Geist des Friedens und der Toleranz, wird der Aufklärer Voltaire dem populären Monarchen 150 Jahre später ein literarisches Denkmal setzen. Das Buch soll übrigens, so heißt es, als Erinnerungsstück in den Sockel des königlichen Reiterstandbilds auf dem Pont Neuf39( ▶ F 4) eingemauert worden sein.
Als Henri de Bourbon am 13. Dezember 1553 auf Schloss Pau im Pyrenäenvorland des Königreichs Navarra zur Welt kam, erschütterten blutige Bürger- und Glaubenskämpfe Frankreich. Der familiäre Hintergrund des Neugeborenen war außergewöhnlich: Sein Vater war Katholik, seine Mutter die protestantische Königin von Navarra. Schon seit Längerem hatte sich ihr Land zum Sammelbecken protestantischer Reformer entwickelt, die sich überall im katholischen Frankreich von Feinden bedroht sahen. Auch in Paris, wo sie Kerker, Verbannung oder gar Scheiterhaufen fürchten mussten. Kein Wunder, dass sie in Heinrich von Navarra, der katholisch getauft, aber protestantisch erzogen und dazu noch ein aussichtsreicher Anwärter auf den französischen Thron war, ihren idealen König sahen.Er ist gerade 19, als seine Mutter stirbt. Als König Henri IV von Navarra tritt er ihre Nachfolge auf dem Thron an. Noch im selben Jahr, 1572, heiratet er die Schwester des regierenden französischen Königs, Marguerite de Valois, in der Kathedrale Notre-Dame. Mit dieser Hochzeit, so wünscht er, soll zwischen Katholiken und Hugenotten endlich Frieden geschlossen werden.
Massen begeisterter protestantischer Bürger strömen zu den Feiern in die Hauptstadt Paris. Aber das große Fest wird zur tödlichen Falle. In der »Bartholomäusnacht«, benannt nach dem Apostel Sankt Bartholomäus, metzeln die Katholiken rund 4000 protestantische Gäste und bei den anschließenden Verfolgungen in anderen Städten noch einmal bis zu 20 000 Hugenotten hin. Ein grausamer religiöser Bürgerkrieg, der als die »Pariser Bluthochzeit« in die Geschichte eingeht.
Heinrich von Navarra, nach seiner Eheschließung gefangen genommen und vor die Wahl gestellt, ob er lieber gehängt oder Katholik werden wolle, entscheidet sich zum Übertritt – und will nun endlich den französischen Thron erobern. Am 25. Juli 1593 tritt er, betört von Paris, vor der Krönungskathedrale St-Denis erneut zum Katholizismus über. Ob es stimmt, dass er als Grund für seine Konversion den ihm immer wieder in den Mund gelegten berühmten Satz »Paris vaut bien une messe«, Paris ist eine Messe wert, gesagt hat, bleibt umstritten. Jedenfalls bedeutet dieser Schritt, dass seinem Anspruch auf den Thron nun nichts mehr im Wege stand. Heinrich von Navarra wurde am 27. Februar 1594 in der Kathedrale Notre-Dame de Chartres gesalbt und als Henri IV zum ersten König der Bourbonen gekrönt. Für Frankreich beginnt unter dem 40-jährigen Monarchen nun eine Friedenszeit, nach der sich das französische Volk lange gesehnt hatte.
Henri IV beendet die Glaubenskriege, die über eine Million Todesopfer gefordert hatten, und trifft mit dem »Edikt von Nantes« am 13. April 1598 eine seiner größten politischen Entscheidungen: Den rund 1,2 Millionen noch in Frankreich lebenden Hugenotten garantiert er Religionsfreiheit und gibt ihnen die Bürgerrechte.
Unter ihm gedeihen Wirtschaft und Finanzen, wird die Verwaltung zentralisiert, die französische Gesellschaft reformiert. Der König lässt das Straßen- und Kanalnetz ausbauen, weist zusätzliche Agrarflächen aus und erklärt die Landwirtschaft zu der Brust, die Frankreich nähren solle. Sein Ziel: »Wenn mir Gott zu leben erlaubt, werde ich dafür sorgen, dass es in meinem Land keinen Bauern gibt, der sonntags nicht sein Huhn im Topf hat.«
Betrüblich nur, dass der Kinderwunsch des Königspaars nicht in Erfüllung geht. So geben sich beide während ihrer 27-jährigen Ehe zahlreichen Liebesbeziehungen hin. Besonders Henri IV, ein vitaler Charmeur, hält stets nach neuen Abenteuern Ausschau. Insgesamt 73-mal soll er als Verführer erfolgreich gewesen sein. Mit liebevollem Spott hat ihn sein Volk darum als »vert galant« bezeichnet, als »immergrüner Galan«. So heißt auch die kleine Parkanlage am westlichen Zipfel der Île de la Cité: Square du Vert-Galant39( ▶ F 4). Liebespaaren bietet Paris kaum einen beschaulicheren Platz als die vom Wasser der Seine umspülte Inselspitze.
Im Alter von 46 verliebt sich der König noch einmal heftig. Die Auserwählte ist Maria von Medici, die damals reichste Erbin des europäischen Kontinents. Henri IV heiratet sie unmittelbar nachdem Papst Clemens VIII. seine erste Ehe annulliert hatte. Am 27. September 1601 wurde dem Herrscherpaar ein Sohn geboren, der spätere Ludwig XIII. Überaus glücklich über die Geburt des Thronfolgers, ließ Henri IV im Laufe der kommenden Jahre ihm zu Ehren ein städtebauliches Juwel im Herzen von Paris anlegen: Die nach dem Dauphin benannte dreieckige Place Dauphine37( ▶ F 4/5) wird von 32 gleichförmigen, schönen Häusern aus rotem Backstein und weißem Haustein gesäumt. Kleine Cafés und alte Bäume beleben den Platz.
Von der Place Dauphine tritt der Spaziergänger in Richtung Westen auf den Pont Neuf hinaus, die »Neue Brücke«. Bereits von Henri III in Auftrag gegeben und unter Henri IV vollendet, ist sie trotz ihres Namens die älteste steinerne Brücke von Paris und »neu« insofern, als sie die erste Brücke war, die nicht mehr, wie im Mittelalter üblich, mit Häusern und Geschäften bebaut war.
Das bemerkenswert große, 238 Meter lange Bauwerk mit den halbmondförmigen Nischen hatte erhöhte Bürgersteige, auf denen die Pariser Marktbuden aufstellen und sich am Marionettenspiel vergnügen konnten. Die Damen der Gesellschaft ließen ihre Kutschen anhalten, um den Blick über die Seine zu genießen.
Häufig ist die herrliche Bogenbrücke im Laufe der Jahrhunderte besungen und gemalt worden. Sie kommt bei Victor Hugo und Gérard de Nerval vor, Picasso malte sie, Leos Carax drehte hier »Die Liebenden vom Pont-Neuf« mit Juliette Binoche.
Großartig die Szene, als zum Sommeranfang 1994 Tausende von Begonien und Efeu den Pont Neuf schmückten, eine Idee des japanischen Modemachers Kenzo. Ebenfalls spektakulär die Aktion des US-Künstlerehepaars Christo und Jeanne-Claude im Herbst 1985, als Froschmänner und Bergsteiger 40 000