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'Treffer!', sagte Professor Dr. Nest. Jetzt wusste Gerhard Schumann Bescheid. Die Diagnose war eindeutig und niederschmetternd: Parkinson! Warum ausgerechnet ich? Mit 42 Jahren bin ich doch noch viel zu jung!, dachte er. Aber er hatte keine Wahl. Ab jetzt musste er mit dieser Diagnose leben. 'Parkinson, Leben mit der Pechkrankheit' Offen und ehrlich beschreibt der Autor seine Gefühle und Ängste. Vom Tag der Diagnose bis zum Beginn der Therapien. Er teilt uns mit, welche Veränderungen er erlebt. An Körper, Geist und Seele. Aber auch, welche Chancen und Möglichkeiten sich ihm - mit dieser und durch diese Krankheit - eröffnen. Die fesselnde Erzählung wird durch die Bilder der Fotoausstellung 'PARKI UND ICH' eindrucksvoll untermalt.
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Seitenzahl: 109
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Einen besonderen Dank an meinen Sohn Florian Schumann, der das Foto für den Buchumschlag erstellte!
Im Sozialgesetzbuch IX (dort: §2 Abs. 1) wird Behinderung wie folgt definiert:
»Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist und länger als 6 Monate besteht. Um als Mensch mit Behinderung anerkannt zu werden und einen entsprechenden Ausweis zu erhalten, ist ein Antrag beim zuständigen Versorgungsamt erforderlich (§69 SGB IX).«
Bei ihrer Definition von Behinderung unterscheidet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) drei Begrifflichkeiten:
1. »Aufgrund einer Erkrankung, angeborenen Schädigung oder eines Unfalls als Ursache entsteht ein dauerhafter gesundheitlicherSchaden.
2. Der Schaden führt zu einerfunktionalen Beeinträchtigung der Fähigkeiten und Aktivitäten des Betroffenen.
3. Diesoziale Beeinträchtigung (Handicap) ist Folge des Schadens und äußert sich in persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Konsequenzen.«
Quelle: http://www.myhandicap.de/behinderung-handicap-definition.html
Im internationalen Rahmen gibt es also unzählige, teilweise voneinander abweichende Definitionen und Anschauungen, wann, wie und warum jemand behindert sein kann. Natürlich gibt es, zumindest bei uns in Deutschland, einen Katalog, der Behinderungen mit Prozentzahlen belegt. Fehlt jemandem ein Bein, dann bekommt er so und so viel Prozent Schwerbehinderung zugesprochen. Gleiches gilt für geistige Behinderung und so weiter.
Auch ich habe so einen grünen Ausweis, der mir eine Behinderung bescheinigt.
Mal ehrlich, ist eine fünfzigprozentige Schwerbehinderung besser oder schlechter als eine hundertprozentige »Leichtbehinderung«?
Na ja, sei’s drum. Das ist nur ein Wortspiel, aber jetzt mal ohne Wortwitz: Ist nicht jeder Mensch auf seine eigene Art und Weise behindert?
Ist nicht, sagen wir mal eine in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeit trotz ihrer Millionen auf dem Konto auch behindert? Behindert in ihrer Freiheit? Behindert in ihrer freien Entscheidung, wann sie was, wie und wo tun oder lassen kann? Und wie viel Prozent Schwerbehinderung sollte sie dafür bekommen? 20, 50 oder 100 Prozent?
Kann der »direkt Behinderte« doch jederzeit ins Kino gehen (oder rollen) und im Höchstfall an den Stufen im Eingangsbereich scheitern, so scheitert der oben genannte »indirekt Behinderte« vielleicht schon daran, sich erst überlegen zu müssen, wie er unerkannt das Kino erreichen kann, damit er nicht dauernd von irgendwelchen Fans belästigt wird.
Ich frage Sie: Wer ist nun mehr in seinem Leben »behindert«?
Natürlich würden die meisten »direkt Behinderten« ihre Behinderung lieber gegen ein dickes Bankkonto eintauschen. Zumindest vermute ich das.
Auf den ersten Blick ist es natürlich auch sehr verlockend. Aber ein dickes Bankkonto geht in der Regel auch mit vielen Problemen einher. Ich kenne einige dieser sogenannten »Promis«, die sicherlich genügend Geld auf ihrem Konto haben, teilweise recht persönlich. Wenn ich dabei eines von ihnen erfahren habe, dann das, dass genügend ihren »Promistatus« gerne wieder gegen ein »normales« Leben eintauschen würden. Ich unterstelle sogar, dass mindestens einer von ihnen lieber einen grünen Behindertenausweis anstelle des »Promistempels« hätte.
Wir können in der einschlägigen Presse ja fast täglich lesen, welcher der von uns so beneideten Prominenten an seinen uns nicht geläufigen Problemen oder besser seiner Lebensbehinderung zerbrochen ist. Rein subjektiv würde ich daher behaupten, dass die Lebenserwartung eines an »Prominenz« erkrankten Menschen geringer ist als die eines Parkinsonpatienten.
Ihr könnt mich Gerhard nennen. Ich bin kein Schriftsteller. Ich bin auch kein Fotograf. Ich bin nur ein Mensch, den die Umstände des Lebens wie ein Segel im Wind flattern lassen.
Diese Umstände haben einen Namen: »Morbus Parkinson«. Parkinson, die Pechkrankheit.
Man kann bis heute nicht gesichert sagen, was der Auslöser für diese Erkrankung ist. Es gibt einiges an Theorien, wie Umweltverschmutzung, Genmanipulation oder auch Strahlungen aller Art, zum Beispiel durch Mobiltelefone. Aber da ich weder ein Arzt noch ein Forscher bin, verkneife ich es mir hier, irgendwelche Thesen in die Welt zu setzten.
Was auch immer der Auslöser für meine Erkrankung ist, so gehe ich davon aus, dass ich es nie erfahren werde.
Ich habe mir dieses Schicksal bestimmt nicht ausgesucht und noch dazu in so jungen Jahren. Aber es gibt auch ein Leben nach der Diagnose.
Mit diesem Buch möchte ich einen kleinen Teil meines Lebensweges aufzeigen. Vor allem aber möchte ich allen Betroffenen und Angehörigen Mut machen, nach vorne zu blicken, sich nicht unterkriegen zu lassen und die Krankheit anzunehmen. Auch wenn es oft sehr schwer ist.
In diesem Buch habe ich offen und schonungslos meine Gefühle, Probleme und Ängste aufgeschrieben. Ich habe ehrlich und fair mit »Parki« abgerechnet.
Ich kämpfe jeden Tag so gut es eben geht und bekomme so die Chance, zumindest ein Unentschieden herauszuholen.
Das ist, so glaube ich, auch meine Pflicht gegenüber allen, die mich lieb haben.
Es ist ein kühler Morgen an diesem Donnerstag im September 2010.
Der letzte Donnerstag vor dem Beginn des Oktoberfests. Wie jedes Jahr haben wir Plätze auf dem Oktoberfest reserviert. Wie jedes Jahr freue ich mich darauf. Doch dieses Jahr ist alles anders. Dieses Jahr ist viel geschehen. Dieses Jahr und die kommenden Jahre wird noch viel geschehen.
Ich stehe mit meinem Auto vor einer Privatklinik in München auf dem Parkplatz. Es ist 8.30 Uhr. Gefrühstückt habe ich wie immer zwei Tassen Kaffee und zwei Zigaretten. Doch dieser Morgen ist anders. Seit ich aufgestanden bin, habe ich das Gefühl, dass sich heute etwas in meinem Leben verändern wird. Ich mag keine Veränderungen, schon gar nicht, wenn ich die Folgen nicht abschätzen kann.
In 30 Minuten habe ich einen Termin bei Professor Dr. Nest, Facharzt für Neurologie.
Ich habe mir von meinem Hausarzt Dr. Hell sagen lassen, dass man ihn auch »den Papst der Parkis« nennt. Er soll der Topkenner dieser Krankheit sein, von der ich sehr wenig weiß und genau genommen auch gar nichts wissen will. Wozu auch? Parkinson, wer braucht das schon.
Zugegeben, natürlich habe ich vor meinem geistigen Auge den einen oder anderen bekannten Menschen, von dem man sagt, dass er Parkinson hat oder hatte. Da ist zum Beispiel Muhammad Ali, der beim Gehen fast einschläft und Bewegungen wie in Zeitlupe vollführt. Und es fällt mir auch ein alter Spruch ein, den ich gerne benutzt habe, wenn der verstorbene Papst im Fernsehen zu sehen war, der da lautet: Der Papst, er winkt von dem Balkon, er winkt gar nicht, hat Parkinson.
Göttliche Rache!, schießt es mir durch den Kopf. Ich verwerfe den Gedanken.
Doktor Hell hat mir den Termin beim »Parki-Papst« kurzfristig besorgt. Ironie des Schicksals, denke ich. Erst über den Papst witzeln und dann zum »Parki-Papst« gehen.
Doktor Hell ist immer sehr bemüht, seinen Patienten umfassend zu helfen. Ich finde, er ist ein guter Arzt. Weil er Professor Dr. Nest von einer Ärztetagung her kannte, hat das mit dem Termin auch innerhalb einer Woche geklappt. Ich wollte ja nicht, aber auf Wunsch meiner Frau Monika hat er mir den Termin besorgt.
Ich habe keine Angst, zu ihm in die Klinik zu gehen, doch es ist so ein komisches Gefühl in mir. Als würde man in ein Karussell einsteigen, mit dem noch niemand zuvor gefahren ist – und es kann keiner sagen, ob es Spaß macht oder möglicherweise gefährlich ist. Lebensgefährlich.
Gedankenfetzen schwirren in meinem Kopf herum. Kann es doch sein? Ich und Parkinson?
Das erste Mal mache ich mir wirklich ernsthafte Gedanken, was wäre wenn. Wie würde es werden? Wie würde mein, unser Leben weiter gehen?
Doch dann verwerfe ich die Gedanken sofort wieder. Eine Spur von Angst macht sich breit.
Nein!, beruhige ich mich selbst. Nein!, verdränge ich die Angst aus meinem Kopf.
Mein Hausarzt Dr. Hell hat mir doch gesagt, dass er nicht davon ausgeht, dass ich an Parkinson erkrankt bin. Ich bin doch noch viel zu jung dafür, hat er gesagt. Und außerdem bin ich ja Raucher und die Studie, die er vor einiger Zeit einmal gelesen hat, besagt, dass ich eher einen Sechser im Lotto, als unter diesen Vorzeichen Parkinson bekommen würde.
Unwillkürlich stecke ich mir eine Zigarette an.Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit steht auf der Schachtel. Aber schützt vor Parkinson sollte da auch noch stehen, denke, nein besser hoffe ich.
Unruhe kommt in mir auf. Ich schaue zum zigsten Mal auf die Uhr. Noch 20 Minuten bis zu meinem Termin beim Herrn Professor. Ich versuche die innere Unruhe zu verdrängen. Es gelingt mir aber nur bedingt.
Meine Schritte werden langsamer, je näher ich der Klinik komme. Meine Unruhe versuche ich mit der nächsten Zigarette weg-zu-dampfen. Mein Puls schlägt jetzt schneller als noch vor zehn Minuten. Der Gedanke an dasWas wäre wenn? sucht sich Platz in meinem Kopf.
Es ist schon komisch. Warum bin ich überhaupt hierhergekommen? Eigentlich habe ich doch keine Zeit für so etwas Sinnloses. Bringt doch auch nichts, versuche ich mir einzureden, um die negativen Gedanken zu verdrängen. Wieso soll ich eigentlich zum Arzt? Nur um mir bestätigen zu lassen, dass ich nicht krank bin? Nicht krank! Ich weiß es doch eigentlich jetzt schon. Ich verplempere hier doch nur meine Zeit und in der Arbeit bleibt alles liegen. Die brauchen mich doch da drin, sonst läuft der Laden nicht. Wie soll ich nur die verlorene Zeit wieder aufholen? Ich arbeite doch so schon rund 60 Stunden die Woche. Soll ich den Termin beim Professor einfach platzen lassen und lieber wieder zur Arbeit fahren? Ich merke, dass ich anfange schneller zu atmen. Auch spüre ich, dass sich meine innere Unruhe nun auch nach außen durchgearbeitet hat. Ich spüre, dass ich anfange zu schwitzen.
Na ja, um auf Nummer sicher zu gehen, soll er mich halt schnell mal anschauen. Und ich habe es ja auch Monika versprechen müssen, dass ich mir endlich mal eine abschließende Diagnose von einem Spezialisten einhole.
Mein Hausarzt Dr. Hell, sympathisch, nett und durchaus kompetent, was Standarderkrankungen angeht, doktert ja auch schon ein Jahr an mir herum und irgendwie wird es ja doch nicht besser mit den Symptomen.
Okay, das Zittern in meiner rechten Hand ist jetzt ziemlich häufig aufgetreten. Besonders wenn Monika und ich am Abend vor dem Fernseher sitzen und Händchenhalten. Genau genommen tritt das Zittern nur dann auf, wenn ich zur Ruhe komme und meine Hand bewegungslos daliegt. Bewegungslos?
Ja, das nervt jetzt schon ganz schön, die Zitterei. Und die Schmerzen in der Schulter und das Krampfen in meinem rechten Unterarm kommen auch immer wieder. Trotz der Behandlung auf Kalkschulter mit diversen Spritzen und Pillen.
Diese Unterarmspange, mit der man sich kurz unterhalb des Ellbogens den Arm abschnüren kann, hat auch irgendwie nichts gebracht. Doch kein Tennisarm, denke ich. Woher auch?
Und eine Nervenentzündung war es ja wohl auch nicht. Obwohl, die Messung der Nervenbahngeschwindigkeit hat gezeigt, dass die Nervenbahnen im rechten Arm langsamer sind als die im linken Arm. Also bestimmt doch eine Nervensache. Die Ärzte können ja auch nicht alles wissen.
Vielleicht habe ich es mit der Arbeit auch nur etwas übertrieben. Zu viel Büroarbeit. Zu viel am PC gesessen und stundenlang Mails gelesen und beantwortet. Und Sport mache ich ja auch nicht wirklich.
Abgesehen von einmal im Jahr eine Woche Ski fahren und im Sommer mit dem Fahrrad in den Biergarten radeln. Und nicht zuletzt der Stress und Ärger, den ich in der letzten Zeit hatte. Beruflich wie privat.
Nun stehe ich direkt vor dem Klinikeingang. Vor dem großen Steinportal. Vor dem alten Gebäude. Mit den dicken Mauern. Nervenklinik. Imposant. Beeindruckend. Beängstigend.
Bum, bum, bum!, klopft mir das Herz bis zum Hals. Ich habe das Gefühl, dass mein Rücken inzwischen pitschnass geschwitzt ist und mir der Schweiß bereits bis in die Unterhose läuft.
Das große Messingschild rechts neben dem Eingang wird wohl jeden Tag zweimal poliert, denke ich, um mich abzulenken.
Der etwas zu groß dimensionierte Türdrücker, wohl auch aus Messing, fühlt sich massiv an. Und kalt. Als wolle er mir zeigen, wie klein und unbedeutend ich bin. Ob wohl jeder diese Gedanken hat, der ihn in die Hand nimmt?
Ich drücke die schwere, große Holztür auf. Sie lässt sich in Anbetracht der Größe sehr leicht öffnen. Ein etwas kleineres Messingschild, auch auf Hochglanz poliert, weist mir den Weg. Mir ist ein wenig schlecht. Zu viele Zigaretten? Oder ist es doch einfach nur die Angst vor einer schlechten Nachricht?
Der stumme Wegweiser. Wie in einem schlechten Film. Kurz bevor die Musik sich in schrille Töne verwandelt und den unwissenden Besucher zum Opfer eines geisteskranken Massenmörders werden lässt.
Ich spüre, wie sich mein Magen auf die Größe einer Walnuss zusammen zieht.
Es gibt doch überhaupt keinen Grund dazu. Oder etwa doch?
Zögerlich klopfe ich an die Tür mit der Aufschrift:
»Herein, bitte!«, dringt es durch die dunkle Holztür, die sich von den gekalkten weißen Wänden wie die Pforte zu Hölle deutlich abhebt.
Freundlich lächelnd sitzt eine Dame hinter einem kleinen Schreibtisch in dem geschmackvoll eingerichteten Raum. Zivilkleidung. Kein weißer Kittel. Keine Arzthelferuniform. Die Mittvierzigerin empfängt mich freundlich. Sehr freundlich. Da merkt man gleich, dass man in einer Privatklinik ist. Und ich hier als Kassenpatient … Das wird bestimmt sau teuer. Aber ich werde ruhiger. Mein Blutdruck scheint sich wieder auf ein normales Niveau eingependelt zu haben.
Meine Frau Monika hat gesagt: »Das können wir uns schon leisten. Das wird schon nicht gleich die Welt kosten, wenn der Professor mal einen Blick auf dich wirft. Dann wissen wir es wenigstens genau, dass nichts ist!«
Etwas verlegen zücke ich meinen Geldbeutel und suche die Krankenkassenkarte heraus, schiebe sie über den Schreibtisch und warte. Die Mittvierzigerin blickt auf, lächelt milde. Damit können sie hier leider nichts anfangen, die Rechnung würde per Post kommen, bekomme ich freundlich, aber bestimmt gesagt.