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Ein modernes Märchen und Phantasiegeschichte für Kinder, Jugendliche und so manchen Erwachsenen.
Das E-Book Parsafé wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Phantasie, modernes Märchen, Fantasyy, Jugendbuch, Mystik
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Seitenzahl: 278
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gewidmetHans Hendrik Hermann Peters
Einbandmotiv und 13 Illustrationen / Collagen von der Autorin
Die unüberlegte Flucht
In Rowinda
Der König der lachenden Stadt
Vorbereitungen und Beginn der Reise
Das Gemäuer Rorbem und der Salzsee
Die weinende Stadt
In der Schule von Suggeria
Königin Sorgas Residenz
Sarras
Die Gesetze Suggerias
Die Macht des Kaufmann Sebus
Ein Leichenwagenfahrer namens Sulzbach
Abschied von Suggeria
Verlaufen!
Lappalia
Ein seltsamer Unterricht und ein Schloss mit Namen Lixenburg
König Kolja
Lemmfritz und Lilifratz oder: Der Tanz im Schloss
Perdita
Das Wiedersehen
Ist wirklich alles so einfach?
In Parsafé
Wie oft hatte Aljona sich schon fort gewünscht aus dem muffigen, stickigen Klassenzimmer mit den verblichenen, gelben Wänden, und den eintönigen , hölzernen Tischreihen, die an allen Teilen zerkratzt oder bemalt waren.
Aber heute tut sie es ganz besonders! Weil sie sich so fremd fühlt unter ihren Klassenkameraden, so ausgegrenzt. Und das wird nicht besser. Meistens wird sie ausgelacht, wenn sie etwas sagt, und sogar die Lehrer belächeln sie oft , wie ihr scheint, oder schauen über sie hinweg, als wäre sie Luft.
Aljona. Den Namen haben ihr die Eltern gegeben. Fremd klingt er in Deutschland.
Und in Alexandrowka, dem kleinen Dorf in Russland, wäre es da anders? Sie weiß es nicht. Aljona war noch klein, als die Eltern mit ihr hierher kamen. Fünf vielleicht oder sechs. Aber sie kann sich noch an vieles erinnern. Jetzt ist sie elf. Und ihr Vater hat vor zwei Jahren die kleine Familie verlassen.
Draußen schneit es. Dicht und sanft fällt der Schnee und deckt alles zu.
Aljona beginnt zu träumen, mit den Augen zeichnet sie bunte Häuser in das Weiß hinein mit Dächern aus Holz und manche auch aus Stroh, oder kleine, zeltförmige Jurten, in einer weiten, hügeligen Landschaft mit tiefem, schwerem Himmel ähnlich den Bildern, die sie in der Ausstellung von Kindern einer russischen Malschule vor ein paar Wochen gesehen hat.
„Today it snows“, sagt die Lehrerin und deutet nach draußen. „Repeat these words... Aljona please!“
Aljona hört ihren Namen rufen wie aus weiter Ferne, über Felder und Gras hinweg, immer näher kommt der Ruf, bis..... Die Lehrerin vor ihr steht. Sie deutet noch einmal nach draußen.
„What is it doing?“, fragt sie jetzt eindringlicher. Durch die 5b geht ein verhaltenes Kichern. Aljona schweigt, starrt vor sich hin und vergräbt die Finger ineinander. Stille...... Warten...... Die Lehrerin vor ihr wächst ins Riesenhafte, das Schweigen vergrößert sich, bis es endlich in Lachen zerplatzt. Das Lachen schwillt zu einem einzigen, großen Wogen an, schließlich lacht auch die Lehrerin mit. Aljona lacht nicht. Sie drückt die Hände zu Fäusten zusammen, so dass die Finger ins Fleisch graben, bis es schmerzt.
„Na, Aljona , wenn du so weiter machst, kriegst du noch den Schweigeorden“, sagt die Lehrerin. Aljona wird es heiß und kalt. Wie so oft in ihrem elfjährigen Leben wird sie wieder einmal ausgelacht und ist das schwarze Schaf. So heißt es doch. Aber irgendwo müsste es noch andere geben. Und dann könnten sie zusammen eine kleine Herde von schwarzen Schafen bilden, und sie wäre nicht mehr allein.
Kevin stößt sie von der Seite an, neigt seinen blonden Schopf herüber und flüstert: „Lach doch einfach mit!“
Aljona schluckt. Das fehlte noch! Mitlachen soll sie, sich selber auslachen!
Sie fühlt sich so, als sollte der Teil von ihr, den die anderen nicht verstanden, einfach weg gelacht werden, bis er vor lauter Lachen verschwunden ist! Aber so leicht will sie es ihnen nicht machen! Endlos dehnt sich das Lachen um sie her; wiehernd, kichernd, herausfordernd... Aljona steht auf. So ruckartig und entschlossen, wie es ihr die anderen nie zugetraut haben würden, erhebt sie sich. Das Lachen mündet in Verblüffung und Erstaunen, als sie zur Türe läuft.
Auch die Lehrerin findet kein Wort, um Aljona zurückzuhalten. Das Öffnen und Schließen der grünen Tür passiert wie ohne eigenes Zutun. Aljona hastet über den Gang, reißt ihren Mantel vom Haken, stolpert bereits die breite Steintreppe herunter - und steht auf dem Schulhof. Soll sie heute ihren monatelangen Traum vom Fortlaufen Wirklichkeit werden lassen? Es kommt ihr vor, als habe sie mit der Büchertasche auch den Alptraum des Ausgelacht-Werdens hinter sich gelassen.
Im Rücken die Blicke der ganzen Klasse, die oben am Fenster steht, und ein Ruf der Englischlehrerin, den Aljona schon nicht mehr hört. Vor ihr den Biologielehrer, der mit einem Stapel blauer Hefte den Schulhof betritt. Auch das, was er sie fragt, hört Aljona nicht mehr . Sie spürt nur die Erleichterung, des Laufens, das sie immer weiter von der Schule entfernt. Vorbei am Central-Kino mit dem bunten Schaukasten am vereisten Brunnen, vorbei am geschlossenen Kiosk, durch den verlassenen Stadtpark. Ohne sich im Klaren zu sein, wohin, läuft sie weiter. Nach Hause? Aber wo ist das? Die Mutter kommt ohnehin erst abends zurück. Und dann ist sie müde von ihrer Arbeit in der Wäscherei. Es gibt kein Zuhause, denkt Aljona .Zuhause war in Alexandrowka. Da war die Mutter nie allein. Sie kochte und backte mit den anderen Frauen und morgens fuhren sie gemeinsam in die Molkerei zur Arbeit. Und wie oft wurde gesungen, immer waren Lieder da, die sie begleiteten, bei der Arbeit im Haus und im Garten. Aber dann wollten die Eltern fort. Andere waren auch gegangen. Zu ihren Verwandten nach Deutschland. Doch als sie ankamen, gab es keine Verwandten mehr. Nur noch eine Großtante, die allein in einer kleinen Wohnung lebte und sehr verwirrt war. Nein, bei ihr konnten sie nicht wohnen. Und so gehörten die Holzhäuser und die kunstvoll geschnitzten Zäune oder mit Spitzen geklöppelten Vorhänge der Vergangenheit an. Ein paar von den Vorhängen bedecken zwar hier die Fenster in der Hochhaus-Wohnung, aber das ist nicht das Gleiche. Jedes Mal, wenn Aljona hinausschaut, wundert sie sich, dass die Dorfstraße jetzt so weit unten ist. Doch dann fällt ihr ein, dass es keine Dorfstraße gibt und dass sie im sechsten Stock leben. Es gibt kein richtiges Zuhause mehr und in die Schule geht sie nicht mehr zurück. Der Gedanke erschreckt sie kein bisschen. Sie hat so lange und so oft ans Fortlaufen gedacht, dass es ihr jetzt nur natürlich und richtig erscheint.
Es hat aufgehört, zu schneien. Der liegen gebliebene Schnee ist pappig und nass. An einer Bushaltestelle gerät Aljona in das Gedränge der einsteigenden Fahrgäste und steht plötzlich vor dem Fahrer.
„Wohin?“, fragt er, die Hand schon am Automaten, der die Karte ausspucken soll. Sie starrt ihn an. Hinter ihr drängen sich die anderen Fahrgäste. „Also, wohin?“ fragt der Fahrer noch einmal. „Zur Endstation“, sagt sie schnell, ohne sich weiter zu besinnen, sucht das Geld zusammen und bekommt ihre Fahrkarte
Dann sitzt sie im Bus, das Schaukeln und die Wärme machen schläfrig. Schnee fällt wieder in dichten, nassen Flocken auf die Scheiben und verwischt die Landschaft draußen. Graue und braune Flächen ziehen vorüber. Jetzt sind sie schon außerhalb der Stadt und der Bus schwankt in dumpfem Gleichmaß über die Landstraße.
....In der Jurte wird es warm. Die Frauen haben ein Feuer angemacht. So ein Feuer können nur Frauen miteinander zustande bringen. Sie sitzen in ihrer bunten Kleidung davor und verteilen Suppe mit einer alten, verbeulten Schöpfkelle....
„Aufwachen! Endstation“ - Vor ihr steht der Busfahrer, ringsum die meisten Sitze sind schon leer. Noch trunken vom Schlaf erhebt Aljona sich langsam und tastet die Reihe der Metallgriffe entlang zur Tür. Dann steigt sie in die Kälte hinab. Sie steckt die Hände in die Manteltaschen und findet links zwei verklebte Hustenbonbons und ein zerknülltes Taschentuch; rechts einen abgebrochenen Bleistift und einen Euro. Ein Euro? Der reicht ja nicht mal für die Rückfahrt. Sie blickt sich suchend um.
Da sind auf einmal zwei helle Augen in einem lachenden Jungengesicht. Seine Haare leuchten rot und er ist ziemlich dick. Alles an ihm lacht. Das hat ihr noch gefehlt! Aljona verzieht keine Miene und wendet sich ab. Sie hebt den Kopf, macht ein paar Schritte um den Bus herum und liest auf einem Schild, das nach rechts zeigt die Aufschrift Blauenstraße.
„Die blaue Straße führt in eine Stadt, die Rowinda heißt, da will ich auch hin. Wenn du möchtest, können wir zusammen gehen.“ Der rothaarige Junge steht neben ihr. Aljona sieht ihn nachdenklich an. „Rowinda?!“, sagt sie halblaut. „Nie gehört...“ Der Junge scheint nicht so viel vom Nachdenken zu halten. Er wird bereits ungeduldig, aber das Lachen bleibt in seinem Gesicht. „Was gibt´s denn da zu überlegen? Komm doch einfach mit, dann wirst du schon sehen!“ Zwei Pferde ziehen einen Schlitten mit dick eingepackten Leuten vorbei. Wie seltsam, eine Kutsche hier an der Stadtgrenze von Grauwinkel, denkt Aljona. Der Junge neben ihr schüttelt sich vor Lachen. Die Leute auf dem Schlitten blicken sich wie ertappt um. „Weshalb lachst du denn diese Leute aus?“, fragt Aljona mit vorwurfsvollem Unterton. Der Junge sieht sie verwundert an. „Auslachen? Was ist das?“
Jetzt ist Aljona sich sicher: Der ist ein bisschen beschränkt. Unwillkürlich muss sie lächeln. Der Junge fasst dies als Aufforderung auf, sie nun endlich hinüber zu ziehen auf die Blauenstraße. „Wirst sehen, Rowinda wird dir auch gefallen. Da hört das Lachen nie auf. Es ist die Stadt der Lachenden. Wenn einer lacht, lachen alle mit, auch unser König Ranzenpuffer.“
Nach diesen Worten kann Aljona ihr Grinsen nun nicht mehr zurück halten. „Der ist wirklich bekloppt“, denkt sie. Ranzenpuffer - hahaha, so ein bescheuerter Name!
„Wie heißt du denn “, fragt sie.
„Rigbert. Und du?“
„Aljona.“
„Wie,- Rah-jona?“
„Nein, Al-jo-na!“, antwortet Aljona , die bereits beginnt, sich an Rigberts ständiges Lachen zu gewöhnen.
Es schneit stärker, und Aljona tun die Füße weh. Sie hätte sich gerne ausgeruht. „Wie weit ist es denn noch bis Rowinda?“
„Schon keine Puste mehr?“, lacht Rigbert. „Wir sind gleich da, wirst sehen!“
Diesmal fühlt sie sich von seinem Lachen ermutigt. Rigbert spitzt die Lippen zu einem Pfiff, wobei er nach oben schaut in die graue, undurchsichtige Schneeluft. Nach wenigen Sekunden ist ein Krächzen zu hören und ein großer, bunter Vogel taucht aus dem Schneegestöber auf. Zielstrebig fliegt er auf Rigbert zu und lässt sich mit einem Schwung auf dessen Schulter nieder. Dabei krächzt er: „Krähähähähä, Krähähähähä.“
„Das ist mein Spaßvogel, Rinaldo,“, erklärt Rigbert. „Eine Mischung aus Papagei und Krähe.“ Zögernd tritt Aljona näher an das seltsame Tier heran, das mit seinen flinken, kleinen Augen nach allen Seiten blickt. Das Gefieder schimmert in bunten Farben. Kopf und Schnabel lassen in ihrer Form die Krähe erkennen.
Rinaldo zwickt Rigbert in den roten Haarschopf, stelzt auf den Schultern des Jungen hin und her und mustert Aljona mit seinen funkelnden Knopfaugen.
Den Rest des Weges legen sie schweigend zurück; Rigbert mit Rinaldo auf der Schulter und Aljona neben ihm. Ihre Füße sind nass und kalt vom Schnee. Es dämmert schon, da sieht sie plötzlich ein feines, helles Leuchten am Himmel, das wie ein Regenbogen den Horizont überstrahlt. Sie staunt und Rigbert wird wieder munter: „Jetzt haben wir´s geschafft!“
Rinaldo erhebt sich von seinen Schultern und fliegt auf das Leuchten zu.
Es ist wie ein Traum. Auf einmal stehen sie vor einem Meer aus goldenen Kuppeln, die glänzen, als seien sie poliert. Die Fassaden der Häuser strahlen rot und blau und gelb - nie zuvor hat Aljona etwas bunteres und farbenprächtigeres gesehen. Nie zuvor klarere, reinere Farben. Auch nicht bei den bunten Holzhäusern in Alexandrowka.
steht in großen, silbernen Buchstaben, die schwarz umrahmt sind, auf einem roten Tor mit Blätterranken darauf. Zu beiden Seiten sind Glocken, ebenfalls von silberner Farbe, angebracht, und in der Mitte prangt ein geöffneter, silberner Mund, der aussieht, als ob er lacht.
Daneben ist in silbernen Buchstaben der Spruch zu lesen:
Ohne ihr Zutun öffnet sich das Tor. Aljona starrt nach oben, geblendet von all dem Glanz. Doch was ist das...?!
Plötzlich ertönt ein Geläut wie von hundert verschiedenen Schellen und Glocken! „Kling... klong... ding... bimbim.., bamm. Klong-klong-dong!“ - Und das tönt fort und nimmt kein Ende. Hinter ihnen hat sich das Tor bereits wieder geschlossen.
Geht es auch wieder auf? Aljona kommt nicht dazu, es auszuprobieren oder Rigbert zu fragen, was es mit dem Läuten auf sich hat.
Da kommt schon jemand auf sie zu: Ein kleiner, wohlbeleibter Mann, der Rigbert überschwänglich begrüßt. Er klopft ihm auf die Schulter und dann lacht er von Herzen, das hört sich so an: „Schuhuhuhuhuhu.....“. Und auch Rigbert lacht: „Heheheheheh!“
Aljona steht etwas befremdet neben ihnen. Endlich sagt der kleine, dicke Mann: „Du warst lange fort, Rigbert Rundhals“ Aber trotz der Ernsthaftigkeit seiner Worte kann er nicht anders, er muss noch einmal lachen. Etwas ernster fügt er noch hinzu: „War es die richtige Stadt?“
Rigbert schüttelt den Kopf. Aljona versteht nicht, wovon sie sprechen. Was meint der Mann mit der richtigen Stadt? Doch da deutet Rigbert auch schon auf sie und ruft: „Das ist Rah-jona, äh, ne..., Aljona! Sie ist mit mir aus dem Bus gestiegen.“
„Ist es eine aus der falschen Stadt?“, fragt der kleine Mann. Rigbert lacht und nickt und der kleine Mann, der Aljona etwas später mit „Rondo, unser Pfarrer“, vorgestellt wird, lacht ebenfalls. Ein Pfarrer in einem blau-gelb-gestreiften Anzug, wo gibt es denn so was..?!Aber Aljona hat keine Zeit mehr, sich darüber zu wundern, denn jetzt passiert vieles gleichzeitig. Menschen, die vor ihren bunten Häusern stehen, laufen auf Rigbert zu, ganz Rowinda scheint ihn begrüßen zu wollen. Wer ist Rigbert....? Der Sohn von diesem König vielleicht,- wie heißt er doch gleich... Ranzenpuffer...?! Auf einmal kommt ihr das gar nicht so unwahrscheinlich. vor. Die Bewohner Rowindas sind fast alle ein bisschen dick, rothaarig oder blond. Sie tragen merkwürdige Kleider: Anzüge, die oft mit Blumen und Streifen zugleich gemustert sind, oder mit Glöckchen und silbernen Mündern verziert. Da löst sich ein Kind aus der Menge und rennt auf Rigbert zu. „Hallo, Rinnchen“, ruft er, und dann schütteln sie sich vor Lachen, tanzen im Kreis und kneifen und drücken sich.
Aljona zieht ihren Wintermantel aus. Es ist sommerlich warm in Rowinda. Unschlüssig steht sie neben all diesen Lachenden....... Was tue ich hier eigentlich? ..... Gehe mit einem wildfremden Jungen, der Rigbert heißt und über alles Mögliche und Unmögliche lacht, in eine seltsame Stadt, von der ich noch nie gehört habe, und die einen König haben soll.....
Wie Glocken, die langsam ausklingen, so zerstreut sich das Lachen der Rowindaer und sie spazieren in verschiedene Richtungen auseinander. „Das ist Rinnchen, meine Schwester“, stellt Rigbert vor. Das kleine Mädchen lacht Aljona an und hüpft vor ihnen her, den Kiesweg entlang. „Gehen wir nach Hause, Rinnchen?“
Aljona folgt ihnen. Immer wieder sieht sie sich nach allen Seiten um. Da sind kleine, runde Fenster neben den Haustüren; gerade so groß, dass man den Kopf durchstecken kann. Und fast alle Fassaden sind schön bemalt mit Tieren, Blumen und immer wieder Mündern und Glocken. Die Leute scheinen ungeheuer viel Zeit zu haben. Sie stehen beieinander, lachen, schwatzen, gehen vor ihren Häusern auf und ab. Wenn das eine Stadt sein soll, dann wirkt sie eher wie ein großes Dorf..... Für einen Moment drängt sich Aljona wieder das Bild von Alexandrowka auf, kleines Dorf, das sie seit fast sechs Jahren nicht wieder gesehen hat, aber in ihrer Vorstellung ist es immer noch lebendig mit seinen Holzhäusern, Zäunen und Dächern. Die Türen waren immer offen und die Menschen hatten auch Zeit, obwohl sie viel arbeiten mussten.
Vor einem knallgelben Haus mit der Aufschrift REBS, KAUFMANN bleibt Rigbert stehen. Rinnchen und Aljona gehen hinter ihm über die schmale Treppe in den Keller, wo Rebs seinen Laden hat.
Es ist eigentlich nicht sehr voll darin, nur ziemlich unordentlich. Kisten, Flaschen und Dosen stehen bis unter die Decke gestapelt. Rebs selbst ist ein großer, fülliger Mann, der sich in seinem kleinen Geschäft ausnimmt wie ein Elefant im Porzellanladen. Er bedient zwei Frauen gleichzeitig und muss jedes Mal unter Kichern und Gähnen lange suchen, bis er etwas findet. Aber den beiden Frauen scheint das Warten gar nichts auszumachen. Rebs lacht, dass sich seine Westen-Knöpfe stark über dem Bauch spannen. Die Frauen lachen mit, schwenken ihre Körbe hin und her und nehmen sich fortwährend Lakritze aus einem großen Glas neben der Kasse.
Dann sind die Kinder an der Reihe. Rebs mustert Aljona eingehend. Sie möchte sich am liebsten in den Boden verkriechen. Endlich fragt er Rigbert, auf Aljona deutend: „Ist sie aus de r Stadt?“
Rigbert schüttelt den Kopf. „Es war nicht die richtige Stadt, in die ich gefahren bin“, antwortet er.
„Soso, nicht die richtige Stadt“, murmelt Rebs. Dann lacht er, als ob ihn das freut und bietet Aljona seinen ganzen Vorrat an Süßigkeiten an: Karamelbonbons, Schokoladenchips, Zitronenkekse, Liebesperlen..., alles durcheinander. „Ihr müsst doch hungrig sein, Rigbert und du, was..?! Habt doch einen weiten Weg hinter euch!“ Dazu grinst er und wischt sich fortwährend mit dem Hemdsärmel über seine von Schweiß glänzende Stirn.
Rigbert nimmt sich bereits mit beiden Händen, Aljona fühlt sich nicht so wohl mit dem schwitzenden Rebs. Es wäre ihr lieber, die Süßigkeiten wären abgepackt, wie in dem Supermarkt, wo sie immer mit ihrer Mutter zum Einkaufen geht. Aber dann lässt sie sich doch zu einer Handvoll Schokoladenchips überreden und kaut langsam. Hinter ihnen warten bereits wieder Frauen und Kinder, die sich lachend unterhalten und überhaupt nicht ungeduldig werden. Aljona staunt. Rowinda beginnt ihr zu gefallen. Anschließend wartet Rebs ihnen mit Salzigem auf: mürbe, kleine Gebäckstücke und weicher, köstlicher Käse. Ein sehr großzügiger Kaufmann!
Rinnchen ist über und über mit Schokolade beschmiert, als sie aus Rebs´ Kellerladen wieder auf den breiten Kiesweg treten. „Ist das immer so, dass er euch so viel zu essen schenkt?“, erkundigt sich Aljona.
„Hoho, na klar, er ist doch Kaufmann“, lacht Rigbert. „Aber ein Kaufmann schenkt doch nichts, der will doch....“, setzt Aljona an. Weiter kommt sie nicht, denn Rigbert bleibt abrupt vor einem gelben Tor stehen, um ihr laut und feierlich zu erklären, dass das hier sein Haus sei. Aljona ist beeindruckt. Die Außenwände leuchten himmelblau, Kästen mit bunten Blumen stehen neben dem kleinen Pfad, der vom Tor zum Haus führt. Alles wirkt sauber und gepflegt.
RUNDHALS ist auf einem Schild neben dem Tor zu lesen. Da öffnet sich auch schon die Tür und zwei fröhliche Leute kommen ihnen entgegen. Es sind Rudolf und Reni Rundhals, Rigberts Eltern. Sie begrüßen ihren Sohn auf ihre eigene Weise; indem sie ihn in die Luft werfen und wieder auffangen. Und das trotz seiner Rundheit! Wie stark sie sein müssen!
Endlich sehen sie auch Aljona und Rigberts Mutter fragt genau das Gleiche, wie vorhin der Kaufmann Rebs: „Ist sie aus de r Stadt?“, wobei sie Aljona mit soviel Misstrauen ansieht, wie das bei ihrer fröhlichen Art überhaupt möglich ist.
Aljona spürt, wie sie langsam wütend wird. Von was für einer Stadt sprecht ihr eigentlich dauernd?, möchte sie rufen, kommt aber wieder nicht dazu, denn nachdem Rigbert den Kopf geschüttelt hat, verfahren Rudolf und Reni genauso mit ihr wie mit ihrem Sohn. Sie werfen sie in die Luft und fangen sie auf, wieder und wieder.
So etwas hat Aljona noch nie erlebt! Eigentlich möchte sie sich freuen, aber weil ihr noch Rebs´ Kekse und Chips im Magen herum kollern, wird ihr ein bisschen übel und leicht schwindelig. Als sie wieder auf dem Boden steht, dreht sich alles um sie her; das blaue Haus tanzt Ringelreihen mit dem dicken, roten Farbklecks, der Rigberts Mutter ist, und ein weißer Streifen hüpft fortwährend auf und nieder: Das ist Rinnchen.
Später, im Haus, als sie um den runden Tisch sitzen, soll Aljona endlich erfahren, was es damit auf sich hat, dass sie immerfort von der Stadt sprechen. Rudolf erzählt:
„Dem König von Rowinda ist vor siebzehn Jahren prophezeit worden, dass für seine Stadt in diesem Jahr eine Gefahr ausgeht von einer anderen Stadt, in der die Menschen nie lachen. Die Prophetin hat König Ranzenpuffer den Rat gegeben, einen Botschafter auszusenden, um diese Stadt ausfindig zu machen und den dortigen König umzustimmen. Der König bat die weit gereiste Prophetin, diese Aufgabe zu übernehmen. Aber sie hat abgelehnt, weil Jemand aus Rowinda selbst dieser Botschafter oder Kundschafter sein sollte. Am nächsten Tag war sie verschwunden, und Ranzenpuffer vergaß die Sache. Seit einigen Monaten jedoch gibt es einige Rowindaer, die immer weniger lachen. Und Keiner weiß, warum“, setzt Rudolf hinzu.
„Mit Recht nennen wir uns die Stadt der Lachenden und darauf sind wir stolz!“, klopft er sich behaglich auf den Bauch, als sitze darin das Lachen.
„Jawohl, darauf sind die Einwohner von Rowinda stolz“, wiederholt er noch einmal. „Aber einige waren es scheinbar nicht mehr. Sie fingen an, zu meutern und lachten einfach nicht mehr mit! Es wird auch gesagt, sie hätten sich mit dem feindlichen Lager verbündet.“
„Aber wer und wo ist denn dieses feindliche Lager“, fragt Aljona.
„Um das zu erkunden, bin ich ja ausgeschickt worden“, wirft Rigbert ein.
Aber jetzt muss endlich einmal wieder gelacht werden! Das ist den Leuten hier anscheinend ein Bedürfnis wie anderswo Schlafen oder Essen. Und so entlädt sich Rigbert einer Lachsalve und Reni, Rudolf und Rinnchen fallen ein. Rinaldo, die Papageien-Krähe beginnt zu krächzen. Das ergibt ein Gelächter und Gekrächze, so dröhnend und klangvoll, dass der runde Tisch zu wackeln beginnt.
Aljona lacht aus Höflichkeit ein bisschen mit, obwohl ihr nicht besonders danach zumute ist. Die Fortsetzung der Geschichte hätte sie weit mehr interessiert. Da stand vielleicht tatsächlich eine Gefahr ins Haus und was taten die Bewohner Rowindas? Sie lachten!
An diesem Abend erfährt Aljona weiter nichts mehr, denn es ist spät geworden. Reni Rundhals erhebt sich, um ihr die Schlafkammer zu zeigen.
„Schlaf gut“, ruft Rigbert ihr nach. „Morgen früh gehen wir dann zu König Ranzenpuffer!“
Die kleine Stube ist unterm Dach. Durch die runde Luke sieht Aljona in den Sternenhimmel. Und kaum liegt sie im Bett, schläft sie auch schon ein....
Wanda, ihre Mutter, sitzt am Fenster und hält mit einem großen Fernglas Ausschau nach Aljona. „Ich sehe sie nicht“, sagt sie. „Aber halt - was ist das...?“ Sie dreht ein wenig am Fernrohr, bis sie Aljona gefunden hat, die neben einem Jungen mit feuerrotem Haar durch den Schnee geht. „Da, das ist sie! Aljona!“, ruft die Mutter, „Aljona, hallo!“
Aber Aljona kann sie nicht hören, denn zwischen ihnen tanzen die Lehrer, zeigen mit dem Finger auf sie und lachen, lachen, lachen - sie aus! Aber sie werden von einem noch stärkeren Lachen übertönt: Dem der Familie Rundhals! Die lacht so herzhaft und voll tönend,, dass die Lehrer beschämt inne halten und schweigen. „Komm!“, ruft die Mutter. „Komm!“, rufen die Lehrer!“ „Komm!“, ruft Rigbert. Alle zerren an ihr. Aljona fängt an zu weinen. „Ich will zu meinem Vater!“, ruft sie und wacht auf.
Ihr Gesicht ist nass. Durch die Luke fällt das frühe Sonnenlicht auf ihr Bett. Leise öffnet sich die Tür und Rigbert schaut ihr lächelnd entgegen. Er trägt eine grüne Hose und einen roten Pullover und auf seiner Schulter sitzt Rinaldo, fröhlich krähend. „Hallo, guten Morgen, Aljona! Hast du gut geschlafen? Ich muss bald los zu König Ranzenpuffer. Du kommst doch mit?!“
Aljona ist mit einem Mal froh, Rigbert zu sehen, in Rowinda zu sein und nicht zur Schule gehen zu müssen. Wer von ihren Klassenkameraden hätte ihr, Aljona, dem schweigsamen und eher unbeliebten Mädchen, dieses Abenteuer zugetraut?
„Arbeitet dein Vater heute nicht?“, fragt Aljona, als sie mit Rigbert durch die Straßen Rowindas geht.
„Was meinst du mit - arbeiten-?“ fragt Rigbert etwas verwundert. Doch dann fällt ihm ein: „Er fährt manchmal Ware aus für Kaufmann Rebs oder repariert Zäune, Schränke und Fahrräder für Nachbarn und Freunde. Er hat auch schon mal Vögel gezüchtet, so wie Rinaldo einer ist. Aber ich glaube, ich weiß, was du meinst. Ich war ja in eurer Stadt. Da arbeiten sie alle den ganzen Tag und das heißt, Jeder von ihnen macht dauernd das Gleiche, nicht wahr? Aber das ist doch langweilig, oder?“
Rigbert lacht und zieht eine Grimasse. „Nein, bei uns ist das anders. Wir arbeiten, wie wir Lust haben, oder wenn gerade etwas zu tun ist. Dafür haben wir mehr Spaß.“
„Und ihr müsst nicht zur Schule?“, forscht Aljona.
„Doch, meistens schon, das ist ganz verschieden. Mal kommt einer von uns nicht, weil er lieber Zuhause für sich was lernt und manchmal gibt es einfach anderes, das wichtig ist. Als wir die Vögel gezüchtet haben, bin ich wochenlang nicht in die Schule gegangen, weil ich die Kleinen versorgt, Futter geholt und die Käfige sauber gemacht habe. Manchmal kommt auch Ralfi, der Lehrer nicht, wenn er in seinem Garten zu tun hat oder wenn er sich wieder einmal verlobt hat. Dann hängt er morgens einen Zettel an die Schultür, dass der Unterricht ausfällt und wir gehen wieder nach Hause und lernen dort.“
Aljona horcht auf. „Und ihr lernt dann auch wirklich Zuhause?“
„Natürlich“, sagt Rigbert. „Das macht doch Spaß.“
Er ist das erste Kind, von dem sie hört, dass Lernen Spaß macht. Aber Aljona glaubt es ihm aufs Wort, so wie er dabei lächelt. Dort, wo sie herkommt, würden die Kinder vermutlich von selber überhaupt nichts lernen. In Rowinda würde sie auch gern zur Schule gehen. Aber ob sie sich an das viele Lachen gewöhnen könnte?
„Hallo, Onkel Ronni“, grüßt Rigbert einen jungen Mann in Latzhosen, der neben seinem Fahrrad steht. An dem Fahrrad ist ein kleiner Anhänger und darauf liegen zwei Fässer. „Hallo, Rigbert“, lächelt der mit Onkel Ronni Angeredete und lächelt zurück. Dabei lässt er seine hübschen, weißen Zähne sehen. Er nimmt die grasgrüne Kappe ab, als Rigbert ihm Aljona vorstellt.
„Hab´ schon gehört, dass du wieder da bist, Rigbert, und eine Begleitung hast du auch mitgebracht....! Ich bringe die zwei Fässchen zum Gärtner Rieseling. Und ihr geht wohl zu König Ranzenpuffer....? Rigbert nickt. Ronni steigt aufs Fahrrad und ruft ihnen nach: „Na dann, viel Glück!“ Er schwenkt noch einmal seine Kappe, bevor er sie wieder aufsetzt.
Endlich liegt Schloss Rulendoom vor ihnen, Ranzenpuffers Residenz. Aljona muss die Augen schließen.
Stärker als der Glanz aller Häuser Rowindas miteinander funkelt Rulendoom im Sonnenlicht.
Die Außenwände des Schlosses sind aus lauter kleinen, bunten Mosaiksteinen zusammen gesetzt. Das ganze Gebäude hat die Form eines nach oben auslaufenden Kelches und ist eingebettet in einen Wildgarten mit rund gesägten Baumkronen und langstieligen Blumen.
Im Näherkommen sieht Aljona, dass der große, goldene Stab, der aus der Kuppel herausragt, die Form eines weit geöffneten Mundes hat, der ihr entgegen lacht.
Vorm hohen, weißen, mit Edelsteinen besetzten Tor gehen zwei Wächter spazieren. Sie unterhalten sich lachend. Rigbert ist schon durchs Tor gegangen und Aljona folgt ihm zögernd, als die Wächter sie erblicken. „Ich muss zum König, er weiß, dass ich komme“, ruft Rigbert ihnen zu. „Und das ist ein Mädchen aus der Stadt, die ich besucht habe. Sie begleitet mich.“
„Willkommen, Rigbert Rundhals, willkommen!“, lachen die beiden Wächter. „Willkommen, fremdes Mädchen! Geht nur. Ranzenpuffer ist auf der Veranda in seinem Garten! Du kennst ja den Weg, Rigbert!“
Ja, Rigbert kennt sich aus. Er führt Aljona über schmale Pfade mit Gräsern und Blumen am Rand, vorbei an einem kleinen Teich mit bunten Enten und rosa Schwänen zu einem lauschigen Platz , eingesäumt von großen Steinen neben dem Schloss. Es wäre nicht nötig gewesen, den Umweg zu machen, aber er wollte Aljona noch schnell zeigen, wie schön der Park ist, der das Schloss umgibt.
Der Platz ist umsäumt von buntem Glas; wie eine Art Wintergarten. Hinter den Scheiben hat man sie bereits kommen sehen, denn sofort öffnet ein Junge die Schiebetüren. Er trägt eine enganliegende, goldene Kappe, und seine großen, braunen Augen schauen Aljona und Rigbert freundlich entgegen.
Es ist Rüdiger, der Sohn des Königs!
Ranzenpuffer aber sitzt auf einem purpurfarbenen Sessel inmitten einer Plantage von kleinen Kürbissen.
Aljona macht unwillkürlich erst einen Schritt zurück, bevor sie tapfer neben Rigbert auf den König zuschreitet. Inzwischen kennt sie ja nun das Lachen und weiß, dass es kein Auslachen ist, aber trotzdem befremdet es sie nicht wenig, einen König zu sehen, der vor Lachen in seinem Sessel auf- und nieder federt. Sein Kopf ist rund wie eine Sonne und auf dem haarlosen Hinterhaupt sitzt eine Krone mit vier Glöckchen daran, die bimmeln im Takt zu seinem Lachen.
Auch um den Hals trägt er eine große Glocke an einer Schnur.„Rekehehehehicks, Rekehehehehicks,“ lacht er. Unter dem weiten, gelben Mantel, den er trägt, schauen grüne, noch mit Erde beschmierte Gummistiefel hervor. Ein König, der gärtnert? Allmählich wundert Aljona überhaupt nichts mehr in dieser seltsamen Stadt.
In der rechten Hand hält Ranzenpuffer aufrecht wie ein Zepter, eine langstielige Gänsefeder von der gleichen Farbe wie sein Bademantel. Als Aljona ihn so sieht, muss sie auch lachen, ob sie will oder nicht. Und das wirkt so befreiend und herzhaft, dass sie den König sogleich für sich eingenommen hat. Später soll sie von Rigbert erfahren, dass Ranzenpuffer so zum Lachen aussieht, weil er doch der König der lachenden Stadt ist, und als ein solcher ist es unter anderem seine Aufgabe, die Leute immer wieder zum Lachen zu bringen.
Inzwischen hat ihnen Rüdiger Schüsseln mit Konfekt und Früchten hingestellt und entfernt sich wieder, nicht ohne vorher Mund und Hosentaschen mit Naschwerk vollgestopft zu haben.
Aber Rigbert ist ein mit Spannung erwarteter Bote. Als die Kinder nebeneinander auf dem Sofa sitzen, sieht er seinen Boten erwartungsvoll an und all die kleinen Glöckchen und die große Glocke, die er um den Hals trägt, sind ganz still geworden.
Er dreht an der Kordel seines Mantels und sagt langsam:
„Nun, Rigbert, fang´ einfach irgendwo an. Am besten am Anfang.“ Dann lehnt er sich zurück, um zu lauschen.
„Also“, beginnt Rigbert, „ich war in der Stadt, von der du glaubtest, dass es die feindliche sei. Ich bin sehr weit gelaufen, über die Felder bis zur Blauenstraße. Von dort fuhr ein großer Wagen, ein.....“, er sieht Aljona fragend an.
„Ein Bus“, ergänzt sie.
„Ja, ein Bus“, fährt Rigbert fort. „Mit dem bin ich also in die Stadt gefahren; sie ist nicht besonders groß, dafür aber sehr laut und es fahren auf sehr geraden Straßen noch viel mehr von solchen Bussen, auch kleinere. In denen sitzt meistens nur ein einziger Mensch.
Ich bin bis zu der Stelle mitgefahren, die sie Zentrum nannten: Ein großer Platz mit grauen Steinen gepflastert. Es ist übrigens vieles grau dort; die Straßen, die Plätze, und auch die meisten Häuser und ihre Dächer.
Die Leute dort hatten es alle sehr eilig, sie liefen schnell über diesen Zentrum-Platz.
Zwei von ihnen habe ich gefragt, wo hier der König sei, da tippten sie sich an die Stirn ohne zu antworten und beachteten mich weiter nicht.
Eine Frau lachte, als ich sie fragte, aber das war kein richtiges Lachen so wie bei uns, sondern es klang wie...“, Rigbert überlegt.
„Wie, Auslachen?“, kommt ihm Aljona zur Hilfe. Rigbert sieht sie an. „Was ist das nun wirklich: Auslachen?“, will er wissen. Ranzenpuffer kommt ihnen zur Hilfe. „Es ist, wenn man über Jemand lacht, um sich lustig zu machen und ihn zu verspotten. Derjenige, der über den Anderen lacht, kann sich so einen Vorteil mit seinem Lachen, verschaffen wollen, indem er ihm zu ver-stehen gibt, - schau, so dumm bist du, ich lache über dich, weil man dich einfach nicht ernst nehmen kann.“
Aljona schaut schweigend zu Boden. Wie Recht er hat!
Rigberts Augen blicken auf. „Ja, ich glaube, das war es, was sie taten,- sie lachten mich also aus.“ Hier unterbricht er seine Erzählung noch einmal, um selbst kräftig zu lachen, denn das letzte Lachen ist schon eine Weile her. Ranzenpuffer stimmt mit ein und hält sich den Bauch. Auf diese Weise wird Rigberts Erzählung noch einige Male unterbrochen und so kommt es, dass sie sehr lange sitzen, bis alles berichtet ist. Aljona wundert sich selbst, dass sie darüber nicht ungeduldig wird, aber es ist irgendwie befreiend und entspannend, dieses Lachen; wie ein herrlicher Prasselregen nach glühender Hitze.
„Ich fragte also noch einige andere und die lachten mich ebenfalls aus oder taten, als hätten sie gar nicht gehört, was ich gesagt habe. Da gab ich es auf und setzte mich auf eine Bank. Es war ziemlich kalt und ich fror. Schließlich sprach mich ein Mann an, der auch auf der Bank saß; er hatte mich wohl beobachtet und fragte, ob ich zum König wolle. Ich nickte. „Hier gibt es keinen König. Vor vielen Jahren gab´s noch einen Grafen, den habe ich selbst gesehen, als er in einem Wagen durch die Stadt fuhr. Aber der ist schon lange tot.“
Der alte Mann schwieg und wischte sich über die Augen. Ich musste lange warten, bis er weiter sprach. Oft nahm er einen großen Schluck aus der grünen Glasflasche, die neben ihm stand. Aber wisst ihr was?“ (Rigbert ist plötzlich richtig aufgeregt!) „Ich habe die ganze Zeit in dieser Stadt kein einziges Mal gelacht, erst, als ich wieder an der Bushaltestelle stand und Aljona traf. Deshalb war ich auch ganz müde und erschöpft.“
„Das ist ganz einfach, Rigbert“, erklingt Ranzenpuffers ein wenig blecherne Stimme. „Du hast nicht gelacht, weil du dich dort fremd und ausgeschlossen gefühlt hast. Auch kann Einen das Ausgelacht werden zu einem Fremden machen, wenn es so gemeint ist, dass man nicht mitlachen kann.“
„Ja, so wird es wohl gewesen sein“, meint Rigbert, schiebt sich eine von den kandierten Früchten in den Mund, und lutschend, und schmatzend erzählt er weiter. „Der alte Mann sprach eine Weile gar nichts, und ich glaubte schon, er habe mich ganz vergessen, doch da stellte er seine Flasche ab, sah mich mit verändertem Gesicht an und fuhr schleppend fort: